Ich kauf mir was

Bald ist Weihnachten. Weihnachten ist das Fest des Schenkens, weil vor gut zweitausend Jahren angeblich drei Männer mit Migrationshintergrund Baumharze und Edelmetall nach Bethlehem trugen, um einen Säugling damit zu beschenken; ob der sich darüber freute, ist nicht überliefert. Aber das ist eine andere Geschichte mit bis heute weitreichenden Folgen wie Zölibat und Staatsleistungen.

Vor dem Schenken kommt das Kaufen. Hierzu schuf der Herr, also nicht der im Himmel, sondern einer aus Amerika, Konsumfeiertage mit klangvollen Namen wie Black Friday und Cyber Monday, aus China kam noch der Singles Day dazu, auf dass das Volk Zeug kaufe, was es nicht benötigt, das aber gerade besonders günstig angeboten wird. Wie kürzlich zu lesen war, haben diese Feiertage ihre große Zukunft bereits hinter sich, weil die Chinesen uns nun dauerhaft mit Billigwaren beglücken.

Unser Gesellschaftsmodell baut darauf auf, dass möglichst viel gekauft wird, je mehr, desto besser, das heißt dann Wachstum. Egal ob Autos, Mobiltelefone, Lippenstifte, überteuerte Schokolade mit zweifelhaft-grünlicher Matschfüllung oder Mittelstreckenraketen – am Konsum hängen Arbeitsplätze und Wohlstand. Das bleibt nicht ohne Folgen für Eichen und Eisbär, doch weniger oder nichts zu kaufen ist aus den oben genannten Gründen keine Lösung. (Konsumkritische Gruppen rufen seit einiger Zeit nach dem schwarzen Freitag zum Kauf-nix-Samstag auf, meines Wissens ohne größere Wirkung.)

Für mich selbst habe ich schon vor längerer Zeit beschlossen, dem allgemeinen Kaufruf nicht zu folgen. Was ist nicht benötige, bleibt ungekauft. Was es nur bei Amazon gibt, gibt es für mich nicht. Für Temu, Shein und wie sie alle heißen empfinde ich fades Desinteresse, von ihnen eingeblendete Werbeanzeigen beim Aufruf der Wetter-App laufen bei mir ins Leere. Überhaupt halte ich mich bezüglich Werbung für ziemlich immun, manche Reklamen sind eher ein Grund, die angepriesenen Produkte zu meiden, man denke an Seitenbacher mit dem hysterischen Schwaben oder Kijimea oder dem ungezogenen Kind.

Ganz anders eine nahestehende Person, die gerne und viel kauft, was im Angebot ist: Schuhe, Hemden, Geschirr mit saisonwechselnden Motiven, Gläser, Kaffee, Tee, Küchengeräte, auch Spuren einer glücklicherweise vergangenen Bleikristalphase sind noch in den Schränken zu finden. Und wenn ein Gebrauchsgegenstand wie eine Gartenschere oder ein Saugpömpel, von dem ein Exemplar je Haushalt üblicherweise völlig ausreicht, besonders günstig ist, werden davon gleich drei gekauft, man weiß ja nie. Unseren Keller und die Garage möchten Sie nicht sehen. Ich prangere das nicht an, so bleibt die Wirtschaft in Schwung, siehe oben.

Manchmal wird ausgemistet, immerhin. Kleidung wird dann, manchmal noch mit Original-Etiketten, als Spende zu Oxfam gebracht, andere Gegenstände landen in einem der noch zu wenigen Tauschhäuschen in der Stadt, auf dem Stromkasten um die Ecke oder, wenn die Nachbarin im Erdgeschoss Urlaub hat, auf deren Treppenabsatz vor dem Haus, mit dem üblichen Zettel „Zu verschenken“. Immer wieder erstaunlich, wie schnell die Sachen Abnehmer finden, selbst ausgemusterte elektrische Zahnbürsten, Backmischungen, Kaffeepads, Teebeutel und Tassen mit zweifelhaften Motiven.

Symbolbild

Doch ab und zu überkommt es auch mich. Nicht oft, dafür teuer. Eine Lokomotive für die Modellbahn, die in der Sammlung bislang fehlte. Oder wenn mir eine Armbanduhr besonders gefällt, weil sie schlicht vom Design und nicht klobig ist, außer der Zeit- und maximal Datumsanzeige nicht mit weiteren Funktionen überladen ist. Dann kann schon mal ein hoher dreistelliger bis unterer vierstelliger Betrag die Bankkarte belasten. In eine solche Uhr verliebte ich mich vor einiger Zeit spontan, nachdem ich sie im Katalog des Händlers, bei dem es sie noch gibt, die guten Sachen, gesehen hatte und sie umgehend in der örtlichen Filiale erwarb. Dabei habe ich genug Uhren, wobei man fragen kann, wie viele Uhren genug sind: eine? Zwei? Zehn? Braucht man im Zeitalter des allgegenwärtigen Datengeräts überhaupt noch eine Armbanduhr? Ich schon, ohne fühle ich mich unvollständig bekleidet.

Oder der Baumwollanzug, schmal geschnitten, den ich vor einigen Jahren im Schaufenster eines höherpreisigen Bekleidungsgeschäfts in der Innenstadt sah. Der Preis schreckte mich zunächst ab, doch nachdem ich das Schaufenster noch einige Male passiert hatte und mir die Schaufensterpuppe irgendwann zuzuzwinkern schien, betrat ich das Geschäft, wenigsten anprobieren konnte ich ihn ja mal, zudem bestand Hoffnung, dass sie ihn nicht in meiner Größe hatten. Indes – er passte perfekt und trug sich äußerst bequem. Noch heute hängt er in meinem Kleiderschrank, er passt immer noch, obwohl auch bei mir der Zeiger der Waage mittlerweile deutlich weiter nach rechts ausschlägt als beim Kauf. Leider trage ich ihn nur noch selten, weil sich die Büromode seit der Coronazeit geändert hat in Richtung Jeans und Pulli, einerseits gut, andererseits ein wenig schade. Manchmal ziehe ich ihn noch an, dann falle ich auf, das ist es mir wert.

Das bislang letzte Objekt meiner Spontanverliebtheit war ein Paar Maßschuhe, die ich im Schaufenster eines Schuhmachers in der Nebenstraße sah, schlichte schwarze Lederschuhe. Die musste ich haben, genau die, auch wenn dafür mehrere Vermessungs- und Anprobetermine wahrzunehmen waren und mehrere Monate vergingen, ehe ich die fertigen Schuhe abholen konnte und dafür einen Preis zahlte, zu dem ich im gewöhnliches Schuhhandel zehn Paare bekommen hätte. Immerhin besteht die Hoffnung, dass sie bis zu meinem Lebensende halten. Über die Möglichkeit, dass künftige Reparaturen so teuer werden wie ein neues Paar im Kaufhof, sehe ich großzügig hinweg. Jedenfalls harmonieren sie perfekt mit dem Anzug.

Bei solchen Anlässen verwende ich keine Zeit darauf, andere Angebote zu recherchieren, ob es vielleicht dasselbe oder ein vergleichbares Produkt woanders günstiger gibt. Genau so, wie ich es sehe, will ich es haben, nichts anderes und am liebsten sofort, der Preis ist nicht so wichtig. Ich glaube, ich bin ein ganz guter Konsument.

Es gäbe noch vieles mehr zu schreiben über dieses Thema, doch will ich Sie nicht länger aufhalten. Sie müssen ja bestimmt noch einige Weihnachtsgeschenke besorgen.

Vorfreude

Ursprünglich notiert an einem Sommersonntag in einer Außengastronomie in der Bonner Südstadt

***

Die Welt ist voller Krisen und Probleme, die Menschen werden scheinbar zunehmend verrückter. Letzteres glaube ich nicht: Schaut man in die Geschichte zurück, waren die Menschen immer verrückt, man muss nur in der Bibel lesen; daran wird sich voraussichtlich bis zur bevorstehenden Selbstauslöschung der Spezies nicht mehr viel ändern. Statt zu verzweifeln und deshalb irrationale Dinge zu tun wie mich auf die Straße zu kleben, schaue ich lieber darauf, was gut läuft, wie das frisch gezapfte Bier, das mir während der Niederschrift dieses Aufsatzes gereicht wurde. Und auf die Dinge, auf die ich mich freue. Vorfreude soll ja die schönste Freude sein, heißt es. Ich freue mich auf:

Den nächsten Urlaub, der schon in wenigen Wochen ansteht. – Den nächsten Aufenthalt in Südfrankreich, wenn auch erst wieder im nächsten Jahr. – Den nächsten Inseltag im September, an dem ich voraussichtlich wieder wandern werde. – Den nächsten Besuch des Lieblingsrestaurants mit meinen Lieben. – An Werktagen freue ich mich morgens auf die Mittagspause und ganztägig auf das nächste Wochenende, sonntagsmorgens auf den Spaziergang am Nachmittag. – Ein Wiedersehen und meine aktive Teilnahme an der Lesung der TapetenPoeten Anfang September. – Ein gemeinsames Blogvorhaben, das hoffentlich bald startet. – Alle Jahre wieder, wenn Weihnachten überstanden ist, alle Geschenk- und Besuchspflichten erfüllt sind.

Auf den Ruhestand, auch wenn ich mich bis dahin noch ein paar Jahre gedulden muss. Das ist nicht schlimm, mit meiner derzeitigen Arbeitssituation bin ich sehr zufrieden, auch wenn sich das hier manchmal anders liest. Wenn es so bleibt, halte ich die verbleibenden maximal neun Jahre locker durch.

Auch meinem Lebensende sehe ich einigermaßen gelassen entgegen, wobei Vorfreude hier der falsche Begriff wäre, da ich als nicht (mehr) religiöser Mensch nicht annehme, dass mit dem Ableben Hauptfreude eintreten wird. Das werde ich ja sehen. Oder eben nicht.

Woche 23/2023: Voila – Ginster, Gegend und Gewölk

Montag: Aus Gründen, die mit vergorenen Weinbeeren am Vorabend im Zusammenhang stehen, kamen wir morgens erst relativ spät aus den Betten und an den Frühstückstisch, aber man hat ja Urlaub. Vormittags lungerten wir lesend in Liegestühlen vor dem Haus, danach unternahmen wir eine erste Ausfahrt in die nähere, ginsterbeblühte Umgebung, einschließlich Besuch zweier Groß-Supermärkte in Vaison-la-Romaine. Der Liebste liebt solche Läden, kann sich dort stundenlang aufhalten und das Warenangebot studieren. Ich dagegen finde es nach spätestens einer halben Stunde ermüdend, daher ist mein Bedarf an Großsupermarktbesuchen bis auf Weiteres gedeckt.

Liegestuhlperspektive

Am frühen Abend baute sich im Süden eine beeindruckende Gewitterfront auf. Laut WetterOnline sollte in den nächsten Stunden nichts passieren, das hatten sie gestern Nachmittag auch behauptet, plötzlich waren wir mittendrin. Daher verzichteten wir heute auf das Nachmittagsgetränk im Ort, das mit einem etwa viertelstündigen Fußweg hin und wieder zurück verbunden wäre, und blieben zu Hause. Heute mal kein Bier, das ist nicht schlimm, wir haben adäquaten Ersatz in ausreichenden Mengen im Haus, siehe oben. Für nach dem Urlaub formuliere ich dann mal einen Vorsatz, in dem das Wort „alkoholfrei“ vorkommt.

Aber auch wirklich erst nach dem Urlaub

Gelesen bei Herrn Kiezschreiber und zustimmend genickt: »Warum überhaupt alt werden? Ich habe mal ein Interview mit einer Hundertjährigen gesehen, die zum Reporter gesagt hat, sie wünschte, es wäre endlich alles vorbei. Ich bin 56 und denke manchmal: Eigentlich ist ja auch mal gut. Was soll im Alter noch kommen?«

Dienstag: Dank vorabendlicher Trinkdisziplin saßen wir zu angemessener Zeit und mit Appetit am Frühstückstisch. Danach fuhren wir in westliche Richtung bis nach Piolenc, bekannt als Anbaugebiet von Knoblauch, wovon wir, da wir schonmal dort waren, einen größeren Posten erstanden.

Bitte denken Sie sich den angenehmen Duft selbst dazu

Dabei fuhren wir auch an mehreren Lavendelfeldern entlang, die bereits violett zu schimmern beginnen, indes bis zur vollen Postkartenblüte noch einige Wochen benötigen. (Ich bin mir sicher, dieses Bemerknis so oder ähnlich bereits früher beschrieben zu haben, bitte sehen Sie es mir nach. Das lässt sich nicht ganz vermeiden, wenn man so häufig in der Gegend ist.)

Séguret, nicht zu verwechseln mit Sablet gleich nebenan

Beim Nachmittagsgetränk nach Rückkehr in Malaucène beobachtete ich den auffällig blauen Wagen einer Auto Ecole beim Einparken in eine enge Lücke. Das wirkte auf den ersten Blick etwas ungelenk, doch bin ich sicher, mit meinen – lassen Sie mich rechnen: achtunddreißig Jahren Führerscheinbesitz hätte ich es keinesfalls eleganter hinbekommen als der junge Fahrschüler.

Auf Vorschlag und Wunsch des Liebsten haben wir uns Fahrräder geliehen, die wir am frühen Abend abholten. Zum ersten Mal fahre ich nun Elektrorad, was angesichts der örtlichen Topografie, wo ebene Straßen die Ausnahme sind, durchaus angenehm ist. Wesentlich älter fühlt es sich auch nicht an.

An der Zufahrt zum Haus sitzt dieser Bursche. Im Gegensatz zu ähnlichen Gesellen auf Plätzen und in Fußgängerzonen verharrt er in völliger Regungslosigkeit, auch wenn man ihn mit Münzen bewirft. Respekt.

In Bonn hat eine Klimakonferenz begonnen. Als wir hier abends auf der Terrasse der Pizzeria saßen, unterhielten sich nebenan drei junge Franzosen etwa eine halbe Stunde lang, derweil der Automotor des einen die ganze Zeit lief; zeitweise gesellte sich ein zweites Auto mit laufendem Motor dazu. Das ist ein Grund, weshalb ich den Sinn von Klimakonferenzen zunehmend anzweifle.

Mittwoch: In den frühen Morgenstunden saß eine Nachtigall (oder ein anderer früher Vogel, ich kenne mich da nicht so aus) vor dem Fenster und gab ihre neuesten Hits zum besten. Das war sicher lieb gemeint, doch des Guten zu viel, daher schloss der Liebste das Fenster. Nachdem der Krachtigall kein Erfolg zuteil wurde in Form von Liebesglück oder wenigstens Applaus, zog sie weiter, das Fenster wurde wieder geöffnet. Ich war nun wach, konnte zunächst nicht wieder einschlafen und formulierte stattdessen diese Notiz in der Hoffnung, sie bis zur Niederschrift am Morgen nicht zu vergessen. Voila.

Morgens beim Decken des Frühstückstisches spielte Radio Nostalgi „Last Christmas“ von Wham!. Warum auch nicht, es ist nie zu früh, an Weihnachten zu denken.

Wie verabredet trafen mittags die Schwiegerschwester und Gatte bei uns ein, die mit dem Wohnmobil Südfrankreich bereisen. Nach dem Begrüßungskaffee unternahmen wir gemeinsam eine Radtour nach Vaison-la-Romaine, meine erste längere Tour mit elektrischer Unterstützung, ich bin angemessen begeistert. Auf dem Rückweg näherten wir uns einem heftigen Regenschauer um Malaucène, der sich bei Ankunft freundlicherweise soeben ausgeregnet hatte, nur die begossenen Straßenbäume betropften uns noch etwas; somit alles richtig gemacht.

Donnerstag: Nach dem Frühstück unternahmen wir mit den Schwiegers eine Autotour um und über den Mont Ventoux, mit Zwischenhalten in Montbrun-les-Bains (frei übersetzt etwa: Bad Braunberg), Sault und bei einem Lavendel verarbeitenden und die daraus entstehenden Produkte verkaufenden Betrieb, wo wir in deutscher Sprache eine kleine Führung mit Erläuterung der Lavendelölherstellung durch Destillation erhielten.

Montbrun-les-Baines

Der Gipfel des Mont Ventoux hüllte sich heute, im Gegensatz zu den Vortagen, nicht vollständig in Wolken. Ab und an zog eine vorüber, was recht beeindruckend aussah. Auch sonst blieb es heute regenfrei. Bei Rückkehr zum Haus stand auf dem Tisch davor eine Papiertüte voll frisch gepflückter Kirschen, mutmaßlich vom Vermieter. Das ist ja mal nett.

Blick vom Gipfel des Mont Ventoux

Am frühen Abend tönte vom Ort Partymusik zu unserem oberhalb gelegenen Haus, vermutlich im Zusammenhang mit einer niederländischen Radfahrer-Veranstaltung zugunsten der Bekämpfung von ALS, wenn ich das richtig verstanden habe. Ist das nicht diese Erkrankung, wegen der sich die Leute vor einigen Jahren eimerweise Eiswasser über den Kopf kippten? (Also nicht wegen der Symptome, sondern um auf das Thema aufmerksam zu machen.) Wie auch immer – unter anderem spielten sie „Viva Colonia“ von den Höhnern. Dafür fährt man nun nach Südfrankreich.

Gartenblick

Freitag: Nach dem Frühstück fuhren die Schwiegers weiter Richtung München, wo der Schwager morgen ein Rammstein-Konzert besuchen wird, was rein gar keine Rückschlüsse auf seinen Charakter zulässt. Im Gegenteil, die zwei sind sehr angenehme Ostwestfalen mit allen positiven Eigenschaften, die den Ostwestfalen ausmachen und die ich gerne um mich habe. Und doch verspürte ich bei ihrer Abreise ein ganz klein wenig das, was Herr Fischer kürzlich sehr treffend als „Sozialkater“ bezeichnet hat. Was auch immer das über meinen Charakter aussagt.

Nach ihrer Abfahrt machten wir eine kurze Radtour in die Gegend östlich von Malaucène. Sie endete im Ort bei der Bar unseres Vertrauens, wo wir wegen unklarer Wetteraussichten das Nachmittagsgetränk vorzogen, selbstverständlich im vernünftigen Rahmen, so dass eine unfallfreie Heimfahrt per Fahrrad sichergestellt blieb. Am Nebentisch saß ein Paar mit Kinderwagen, statt des Nachwuchses schaute ein kleinerer Hund heraus. Vielleicht war er ja gehbehindert.

Gegend bei Les Alazards
Ginster in Gegend mit Gewölk
Für die Trafoturm-Sammlung

Samstag: Da wir noch immer die Fahrräder gemietet haben, was nebenbei bemerkt ganz schön teuer ist, müssen wir sie auch nutzen. Das taten wir heute mit einer Radtour über Le Barroux nach Suzette, mit ganz viel Berg- und Talfahrt. Ich muss nochmals meine Begeisterung für elektrisch unterstütztes Radfahren zum Ausdruck bringen: Wenn es anstrengend wird, drückt man auf ein Plus-Knöpfchen, und schon ist es gerade so, als würde man von einer unsichtbaren Hand oder einer kräftigen Rückenwindböe angeschoben. Bergab wird es mir allerdings auch ohne Schubunterstützung ab dreißig Stundenkilometern unheimlich, deshalb wurden die Hände mit Bremsen ungefähr genauso stark beansprucht wie die Beine mit Trampeln. Gleichwohl werde ich mir zu Hause auf absehbare Zeit kein Elektrorad zulegen, für den Alltagsgebrauch innerhalb Bonns genügt das rein muskelbetriebene voll und ganz.

Zwischen Le Barroux und Suzette
Suzette in Sichtweite. Ungefähr hier drückte ich das Plus-Knöpfchen.
Landschaft mit Drogenanbau vor Suzette
Lavendel, vielleicht auch Lavandin
Nachtglas

Sonntag: Während wir frühstückten, kamen nacheinander vier Fallschirmspringer angeschwebt und landeten auf der Wiese nebenan, nachdem sie wohl vom Mont Ventoux abgesprungen waren. Das ist bestimmt toll, so eine lange Strecke über Hügel, Wälder, Wiesen und Dörfer zu gleiten, jedoch nichts, was für mich als Freizeitbeschäftigung in Frage käme. Immerhin besser, als ohne jede Sicherung in hunderte Meter hohen, senkrechten Felswänden herumzuklettern oder mit einem Fahrrad unbefestigte Berghänge herunterzubrettern. Oder mit Motorenlärm andere Leute zu belästigen.

Da heute keine besonderen Aktivitäten anstanden, zog ich es vor, mich zum Lesen und Schreiben in den Garten zu setzen. Ein schönerer Schreib- und Leseplatz ist kaum denkbar: Man kann nicht nur die Gedanken schweifen lassen, sondern auch den Blick, über den Ort hinweg auf die gegenüber liegenden Hügel, und immer wieder in die Wolken. Ich liebe diese Tage, an denen die wesentliche Tätigkeit darin besteht, den Liegestuhl immer wieder umpositionieren, damit er im Schatten steht.

Monstermücke
Ein Glücksort

Tagsüber war es sehr heiß. Deshalb machten wir erstmals von der piscine Gebrauch, die zum Haus gehört. Seit Ewigkeiten war ich nicht mehr in einem Schwimmbecken, und heute voraussichtlich nicht zum letzten Mal.

***

Kommen Sie gut durch die hoffentlich nicht zu heiße Woche.

Woche 52/2022: Nächste Ausfahrt Zierfische

Montag: Driving home from Christmas. Der Junge, der einst meinen Namen trug, freute sich zu Weihnachten am meisten darauf, wenn am Heiligabend nach Gottesdienst und Essen endlich das Glöckchen bimmelte und Einlass gewährt wurde ins Wohnzimmer, wo am Baum die (echten) Kerzen brannten und wir, mein Bruder und ich, uns auf die darunter abgelegten Geschenke stürzen durften. An den Weihnachtsfeiertagen verbrachte ich viel Zeit im Wohnzimmer, betrachte bäuchlings auf dem Teppich liegend den Zug der L.G.B.-Eisenbahn mit der neuen Lok oder den neuen Wagen, wie er Runde um Runde den Baum umfuhr. Oder ich blätterte in dem Eisenbahnbuch, das ich geschenkt bekommen hatte. Schaute immer wieder auf die neue Uhr. Freute mich über den Pullover, eine Muh, eine Mäh oder Tätärätätä. Am zweiten Weihnachtstag fuhren wir mit dem Wagen nach Lämershagen, einem Ortsteil im Südosten von Bielefeld, von wo aus wir durch den Teutoburger Wald flanierten. Von der Brücke über die A 2 aus winkten wir den Autos zu, die sich auf dem Rückweg von den Weihnachtsbesuchen befanden.

Seit ich in Bonn wohne, sitze ich an Weihnachten selbst in einem dieser Wagen auf der A 2. Heiligabend verbringen wir meistens hier in Bonn, am ersten Weihnachtstag geht es los: Nicht allzu lang schlafen, mit einer Spur Widerwillen aufstehen, Geschenke ins Auto packen, dann auf nach Ostwestfalen zur Mutter und weiter zur Schwiegerfamilie. Gut essen, reichlich trinken, die alten Geschichten, lachen, manchmal auch ein Tränchen, Taxi ins Hotel. Morgens Frühstück, wenn es gut läuft ohne Kater (dieses Mal lief es gut), die Mutter nach Hause bringen, zurück nach Bonn. Ankommen, Ruhe. Das ist heute der Moment, auf den ich mich zu Weihnachten am meisten freue. Weihnachten 2022 ist überstanden – rückblickend war es ganz schön.

Er hat es auch hinter sich.

Während der Rückfahrt sah ich kurz vor Hamm auf einem Feld rechts der A2 ein großes Schild: »700 Aquarien – Nächste Ausfahrt Zierfische«. Wie viele Autofahrer mögen dadurch inspiriert werden, in Hamm abzufahren und erst nach Erwerb von einem Duzend Guppys oder Black Mollys ihre Fahrt Richtung Süden fortzusetzen?

Nach Rückkehr ging ich als erstes spazieren, woran mir auch einsetzender Regen nicht die Freude nahm. Bemerkenswert: Bereits heute, am Zweiten Weihnachtstag, liegt gegenüber neben dem Spielplatz der erste Tannenbaum abgelegt. Da konnte wohl auch jemand nicht das Ende vom Fest abwarten.

Was jemanden bewogen haben mag, am unteren Ende unserer Straße zwei Kartons mit Bananen abzustellen, ist schwer nachvollziehbar. Falls die Absicht war, anderen damit Gutes zu tun, darf man diese als im Ansatz verrissen betrachten, denn die Früchte sind dunkelbraun bis schwarz. Wenigstens verzichtete er auf den üblichen Zettel „Zu verschenken“.

Dienstag: Eine Woche Urlaub. Wie einst Opa Hoppenstedt bekam ich zu Weihnachten einen Plattenspieler geschenkt. Den nahm ich heute in Betrieb und bin damit sehr zufrieden.

Mich erreichte eine verspätete Weihnachtsgeschichte, die ich aus persönlichen Gründen sehr schön finde.

Mittwoch: Nach spätem Frühstück unternahm ich einen Gang durch die Innenstadt und an den Rhein. Fußgängerzone und Rheinpromenade waren menschengefüllt, viele haben ebenfalls Urlaub zwischen den Jahren. Am Rheinufer lag ein Hotelschiff aus der Schweiz, im Restaurant auf dem Hinterdeck wurde das Mittagessen gereicht. Die örtlichen Ausflugsschiffe dagegen liegen menschenleer im Winterschlaf bis zur nächsten Saison, bei einem wurde auf dem Oberdeck der Weihnachtsbaum demontiert. Nur wenige Frachtschiffe waren unterwegs. Rheinabwärts brummte ein Boot mit angebautem Kran, beladen mit grünen und orangen Bojen; Tonnenleger nennt man diese Boote meines Wissens. Tonnen gibt es wohl immer zu legen, auch zwischen den Jahren.

Oberhalb des Rheinufers steht im großen Garten einer Villa ein türmchenartiges Ziegelgebäude mit vielen Fenstern. Ich weiß nicht, welchem Zweck es ursprünglich diente. Vielleicht als Teehäuschen oder Gästeunterkunft. Oder als Rückzugsort des Hausherrn, wenn die Lieben daheim mal wieder an den Nerven zerrten; wo Menschen zusammenleben, kommt das gelegentlich vor, Sie kennen das sicher. Wie auch immer: Ich stelle es mir traumhaft vor, ofenbeheizt an einem kalten Wintertag darin im bequemen Sessel ein Buch zu lesen (wenn Sie unbedingt wollen auch ein gutes Buch, ich weiß nicht, warum das immer wieder betont werden muss; wer freiwillig schlechte Bücher liest, ist selbst schuld, wobei die Beurteilung, ob ein Buch gut oder schlecht ist, jedem selbst obliegt), zwischendurch immer wieder den Blick über den Fluss schweifen lassen. Oder am Schreibtisch zu sitzen, dahinter ein Fenster mit Rheinblick. Wem da nichts zu schreiben einfällt, dem ist nicht zu helfen.

Oder einfach nur sitzen und schauen.

Auch müsste ich mir nicht sagen lassen „Du hörst ja komische Musik“, wenn während des Sitzens, Lesens oder Schreibens Pink Floyd läuft. Das haben wir gerne: Erst zu Weihnachten einen Plattenspieler verschenken, dann rummeckern. So eine Langspielplatte läuft übrigens ganz schön kurz, stelle ich fest. Das war mir gar nicht mehr bewusst.

Donnerstag: Vergangene Nacht schlief ich schlecht. Gegen drei Uhr wachte ich auf und schlief längere Zeit nicht wieder ein. Vielleicht war der Körper urlaubsbedingt schlafsatt. Draußen zankten Katzen und schrieen dabei wie angebratene Säuglinge. Während des Wachens zogen diverse Gedanken durch, nichts Bedeutendes und nichts, was in Erinnerung geblieben ist, bis auf die Idee für einen passenden Buchtitel: „Was besorgt den, der keine Sorgen hat?“

Es hätte ein schöner Wandertag werden können. Geplant war eine Tour durch den Bonner Norden, das Meßdorfer Feld und das Vorgebirge maximal bis Brühl. Da Komoot hierfür etwa sieben Stunden veranschlagt, war offen, wie weit ich kommen würde, ehe das Nachlassen von Wanderlust oder Tageslicht eine Beendigung der Wanderung ratsam erscheinen ließen, was dank der parallel verlaufenden Stadtbahnlinie jederzeit möglich wäre. Trotz Schlafmangels kam ich zur vorgesehenen Zeit um kurz nach acht gut aus dem Tuch, der Regen war durch, der Tag versprach trocken, zeitweise sonnig zu werden, perfektes Wanderwetter.

Doch ach: Beim Anziehen der Wanderschuhe waren diese zu klein. Das konnte nicht sein: Ich habe sie im Oktober gekauft und war seitdem zweimal beanstandungslos darin gewandert. Da auch meine Füße seitdem sehr wahrscheinlich nicht gewachsen sind, beschloss ich, dennoch zu gehen, vielleicht glichen sich Schuhe und Füße im Laufe des Tages wieder an. Leider nicht – bei Ankunft am Meßdorfer Feld spürte ich die erste schmerzende Blase an der rechten Ferse, bald darauf auch an der linken. Daher entschied ich mich für den Abbruch und schleppte mich zur nächsten Bushaltestelle, wo bald ein Bus kam und den geschundenen Körper zurück in die Innenstadt brachte, von wo aus ich mich mit letzter Kraft unter Tränen nach Hause schleppte. (Na gut, ganz so schlimm war es nicht, dennoch ärgerte ich mich über den ausgefallenen Wandertag, ohne genau zu wissen, wem oder was das Scheitern in die Schuhe zu schieben war.)

Für ein Bild hat es immerhin gereicht: Das Meßdorfer Feld, dahinter das Vorgebirge.

Statt Wanderung als ein Sofalesetag. Es hätte zweifellos schlimmer kommen können. Und die Wanderung wird so bald wie möglich nachgeholt.

Freitag: Aufgrund interner atmosphärischer Störungen, auf deren Inhalt und Anlass ich nicht weiter eingehen werden, wünschte ich mir vormittags das oben besungene Gartenhäuschen am Rheinufer als vorübergehenden Rückzugsort. Wo so ein Häuschen nicht zur Verfügung steht, muss ein Zimmer mit einer zu schließenden Tür und einer Stereoanlage ausreichen.

Dort hörte ich nach längerer Zeit mal wieder „Mein Vaterland“ von Friedrich Smetana. Was ich mich dabei schon immer fragte: Warum ließ der Komponist das wunderschöne, zu Grundschulzeiten ausgiebig besprochene Stück „Die Moldau“ nach dem sanftleisen Ausklang mit zwei Donnerschlägen enden? Sollte das Publikum im Konzertsaal damit geweckt werden?

Später hörte ich bei noch immer geschlossener Tür die zweite Symphonie von Mahler, ebenfalls länger nicht mehr gehört. In welcher Verfassung mag sich Gustav Mahler während der Entstehung befunden haben? Jedenfalls nicht sehr aufgeräumt. Immerhin, das Finale ist grandios.

In einem Blog las ich die Frage, seit wann man sich zum Jahreswechsel nicht mehr „einen guten Rutsch“ wünscht. Ich weiß nicht, ob man das wirklich nicht mehr tut, vielmehr meine ich, es immer noch häufig zu hören und lesen. Soweit es mich betrifft, meide ich schon lange diese Formulierung, weil ich sie für unsinnig halte. Warum sollte jemand ins neue Jahr rutschen, und worauf? Soll er gar ausrutschen und sich was brechen? Das ist nun wirklich niemandem zu wünschen, weder zum Jahreswechsel noch sonst. Gut, ein paar wenigen vielleicht schon, aber das muss man denen ja nicht mitteilen.

Samstag: Das Jahr verabschiedet sich mit ungewöhnlich milder Temperatur. Auch das häusliche Klima scheint (zum Zeitpunkt der Niederschrift) wieder gemäßigter. Was soll der Zank auch immer.

Wie zu lesen ist, erfreuen sich die Namen Erwin und Kurt wieder größerer Beliebtheit bei der Namensgebung Neugeborener. Schade, dass mein Vater (E) und sein Lieblingsschwager (K) das nicht mehr erleben. Aber vielleicht erheben sie darauf im Jenseits ihr Glas. Bestimmt würden sie das tun.

Ich mag es immer wieder sehr, wenn die Sichtweise anderer bei bestimmten Randthemen mit meiner übereinstimmt:

»Ich habe neulich einen Hörtest gemacht und wenn ich es richtig verstanden habe, sagte man mir, ein Hörgerät wäre sehr sinnvoll für mich, ich glaube aber, ich bin im Moment nicht in der Verfassung, dass ich noch mehr mitbekommen möchte.«

Gelesen bei Frau Anje

„Hey Helene Fischer, spiel Roland Kaiser“, sprach der Geliebte zu fortgeschrittener Stunde zur Siri-Box und wunderte sich über die ausbleibende Ausführung. Ansonsten blieben die Silvester-Feierlichkeiten in angemessenem Rahmen.

Sonntag: Neben einem Asteroiden, der die Erde doch nicht verheerte, nennt die Sonntagszeitung in der Rubrik „Zehn düstere Prognosen, die sich nicht bewahrheitet haben“, wir würden uns nie wieder die Hand geben. Was genau wäre daran so düster gewesen?

Ich verschone Sie mit der in anderen Blogs üblichen Jahresrückblicksfragenliste, da es Sie vermutlich wenig interessiert, was ich gutes oder schlechtes gegessen, ob ich weniger oder mehr Geld ausgegeben habe oder meine Haare länger oder kürzer trage.

Neujahrsgrüße sind jetzt häufig verbunden mit dem Zusatz, 2023 möge ein besseres Jahr werden als das alte, was angesichts der aktuellen Krisen in der Welt nachvollziehbar, jedoch keineswegs wahrscheinlich ist. Gleichwohl kann ich das verblichene 2022 in ganz persönlicher Hinsicht nicht beklagen, insgesamt war es für mich ein recht gutes Jahr. Unsere Corona-Infektion haben wir gut und ohne spürbare Nachwirkungen überstanden, die bislang einzige Auswirkung der Energiekrise ist ein etwas zu kaltes Büro im Werk. Vielen Imponderabilien begegne ich inzwischen mit wachsendem Fatalismus. Wenn es schlimmer nicht wird, bin ich zufrieden. Wir werden sehen.

Spazieren war ich heute auch.

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Ich wünsche Ihnen ein erfreuliches Jahr und eine angenehme erste Woche. Im Übrigen würde es mich sehr freuen, wenn Sie hier weiterhin gelegentlich lesen. Machen Sie es gut!

Woche 51/2022: Wer jetzt nicht viel zu tun hat, fängt auch nichts Neues mehr an

Montag: Wie angekündigt kam zur Nacht der Regen, mit ihm zunächst Eisglätte auf Straßen und Wegen, aber auch ein Nachlassen der Kälte der letzten Tage. Als ich morgens aufbrach, war es auf den Gehwegen noch immer glatt, doch nicht so sehr wie befürchtet. Daher kam ich ungestürzt mit nur geringer Verspätung im Werk an, letztere verursacht durch die inzwischen verlässliche Unzuverlässigkeit der Stadtbahn, deren Nutzung mir heute dennoch sicherer schien als Fahrrad oder Fuß. Da mich in der letzten Arbeitswoche des Jahres nichts mehr drängt und das Gleitzeitkonto gut gefüllt ist, beklage ich das nicht. Zur Verkürzung der Wartezeit an der Haltestelle erfreuten die Stadtwerke ihre Kunden mit einem Rätsel: Am unteren Rand der elektronischen Fahrplananzeige über dem Bahnsteig lief ein Schriftzug: »… Es wird noch einige Zeit zu Verzögerungen kommen. dem Betriebshof zu ihren Einsatzpunkten. Es wird noch einige Zeit …« und so weiter. Erst später fiel mir darüber der feste Text »Die Busse fahren nun aus« auf, und es dauerte noch eine weitere Weile, bis ich verstand.

Bei Ankunft im Büro zeigte das Schreibtischthermometer fünfzehn Grad an, was mich zu einer Störungsmeldung an den Hausservice veranlasste. Mal sehen, ob es was bewirkt außer einem stimmlos geflüsterten „Heul doch“ des Servicemitarbeiters bei Empfang meiner Nachricht.

Später zählte ich während einer halbstündigen Besprechung, wie oft „tatsächlich“ gesagt wurde und kam am Ende tatsächlich auf sechzehn.

Dienstag: Vom Eise befreit sind Straßen und Wege. Während des Fußweges ins Werk umspielte den Gehenden nahezu milde Luft, morgens sang im Werkshof eine Amsel. Das Thermometer auf dem Schreibtisch zeigte erst sechzehn, später achtzehn Grad an, höher kam es heute nicht. Bis Feierabend keine Reaktion vom Hausservice. Vielleicht kommt der Frühling ja früher.

Erster Termin des Tages war eine Teams-Besprechung der IT, die kurz nach Beginn ein wenig ins Emotionale abglitt. Es fielen Begriffe wie „komische Notion“, „tendenziöse Scheiße“, auch der beliebte Satz „Es geht hier doch gar nicht um Fingerpointing“ (Doch, genau darum ging es); gegen Ende dann folgende wunderschöne Aussage einer Führungskraft: „Das ist nicht mit der Weisheit letztem Löffelchen aufgefressen.“ Als weitgehend Unbeteiligter empfand ich es als äußerst unterhaltsam, lachte mehrfach (bei stummem Mikrofon und blinder Kamera) und bedanke mich ausdrücklich für die Einladung. Für Januar ist ein Follow Up vorgesehen, darauf freue ich mich sehr.

Der Geliebte ist erkältet. Wirklich nur ganz kurzzeitig erwachte in mir der böse Gedanke, was wäre, wenn es schlimmer wird, wir uns anstecken, gegen Ende der Woche womöglich gar der Corona-Selbsttest ausschlägt und wir deswegen über Weihnachten leider nicht nach Ostwestfalen … nur so ein böser Gedanke.

Mittwoch: In einer Kolumne zum Thema Weihnachtsfrieden im Kreise der Lieben ist die Empfehlung einer Familienberaterin zu lesen, es könnte helfen, andere Personen wie eine andere Tierart zu betrachten, hierdurch gerate man „in eine neugierige Beobachterhaltung“, die im besten Falle dazu führe, der anderen Verhaltensweisen nachvollziehen zu können. Ich finde das eine wunderbare Sichtweise, nicht nur zur Weihnachtszeit. Fußgänger auf dem Radweg? Mobiltelefonierer in der Bahn? Gehkaffeetrinker? Ist halt artspezifisch. Wer wollte es einer Möwe persönlich verübeln, wenn sie ihm auf den Kopf kotet? Sie kann halt nicht anders.

Sie können auch nicht anders. (General-Anzeiger Bonn)

Reinhard Mey wird heute achtzig, wozu ich ihm herzlich gratuliere, auch wenn er es hier vermutlich nicht liest; sollten Sie ihn zufällig oder auch absichtlich treffen, richten Sie ihm bitte meine Glückwünsche aus. Kein Medienartikel darüber kommt ohne das Wort „Liedermacher“ als Berufsbezeichnung für ihn aus, was ein wenig an ein Kind erinnert, das im Sandkasten sitzt und mit seinen Förmchen Kuchen backt. (Tun Kinder das noch, oder ist das inzwischen aus Gründen der Hygiene, Diskriminierung oder kultureller Aneignung verpönt?) Während zumeist „Über den Wolken“ und „Gute Nacht, Freunde“ als seine bekanntesten Lieder genannt werden, verweise ich auf „Es gibt keine Maikäfer mehr“. Das mochte ich besonders.

»Was sind deine fünf Lieblingsartikel im Lebensmittelgeschäft?« lautet heute die Frage des Tages bei WordPress. Das ist schnell beantwortet: Nougat-Marzipan-Baumstämme. Nur noch wenige Tage erhältlich, danach bis Ostern aus nicht nachvollziehbaren Gründen leider nicht mehr. Deshalb gerne auch mehr als fünf.

Donnerstag: Der Arbeitstag war angenehm kurz. Wer jetzt nicht viel zu tun hat, fängt auch nichts Neues mehr an.

Den gestern beschriebenen Rat mit der anderen Tierart wendete ich gleich heute an, als ich auf dem Rückweg vom Werk auf dem Weihnachtsmarkt an einem Warmgetränk labte. Eindeutig einer anderen Spezies zugehörig war jener Jugendliche in Hörweite, der seinen Artgenossen in arttypischem, mit zahlreichen Sch-Lauten durchsetztem Rapper-Idioten-Slang mitteilte, seine Mutter habe ihm aufgetragen, um achtzehn Uhr zu Hause zu sein. Das war fast so drollig wie balgende Babyschildkröten. Gedanke: Was, wenn ich derjenige bin, der einer anderen Art angehört, der einzige, letzte? Da ich keine Vermehrungsabsichten in mir trage, wäre das auch in Ordnung.

So sehr sie auch alle „Last Christmas“ schmähen – viel schlimmer finde ich „Feliz Navidad“.

„Jetzt werden die Tage wieder länger“ ist vielfach zu hören und lesen. Bezichtigen Sie mich gerne der Klugschei Besserwisserei, jedenfalls werden die Tage keineswegs länger. Dem Himmel sei Dank, möchte ich hinzufügen.

Abends begleitete ich den Geliebten in ein Brillengeschäft. Während die freundliche junge Dame die Auftragsdaten aufnahm, hier maß, dort peilte, sah ich auf das Namensschild an ihrem Pullover, das sie als „Augenoptikerin“ auswies und mich zu der unausgesprochenen Frage veranlasste, welche Arten von Optikern es sonst noch gibt.

Geht doch.

Freitag: Da ab Mittag Regen angekündigt war, fuhr ich nicht mit dem Fahrrad ins Werk, sondern ging bei leichtem Niesel zu Fuß. Nur wenige Menschen sah ich auf dem Weg, anscheinend sind schon viele im Weihnachtsurlaub. Kurz vor Ankunft fragte ich mich, warum ich nicht ebenfalls bereits heute frei genommen hatte. Wichtige Aufgaben standen nicht mehr an, das Gleitzeitkonto war ausreichend gefüllt. Zu spät.

Auch im Mutterhaus augenscheinlich nur wenig Tätigkeit

Da zum Zeitpunkt des erfreulich frühen Feierabends (oder eher: Feiermittags) verlässlich der angekündigte Regen fiel, fuhr ich mit der Bahn nach Hause. Darin erlebte ich eine weitere interessante Spezies: Eine ältere Frau saß alleine in einer Vierersitzgruppe zum Gang hin, den Fensterplatz neben sich belegt mit Rucksack und Regenschirm, am Haken über dem freien Fensterplatz gegenüber hing ein Mantel. Die Dame selbst hatte raumeinnehmend die Beine übereinander geschlagen, somit schaffte sie es, vier Sitzplätze in Beschlag zu nehmen. Damit war sie bei mir richtig. Gegen den Fuß des überschlagenen Beines stoßend setzte ich mich ohne Entschuldigungsgesuch auf den Fensterplatz unter dem Mantel, was mit einen missbilligen Blick der Besitzerin quittiert wurde, zumal die Berührung des Mantels mit meinem Kopfe nicht zu vermeiden und dies zu vermeiden auch nicht von mir beabsichtigt war. Kurz vor Erreichen der Haltestelle Hauptbahnhof, wo ich auszusteigen beabsichtigte, fragte sie, ob sie an ihren Mantel dürfe, sie wollte hier also auch raus. Erst nachdem ich mich vom Platz erhoben hatte, die Dame hinter mir, bemerkte ich, dass die nächste Wagentür sich wegen einer Störung nicht öffnete, so ging ich weiter bis zur nächsten. Da diese bereits geöffnet war und durch sie Leute den Wagen betraten, kam ich nur langsam voran. Das wiederum veranlasste die Dame hinter mir, gegen meinen Rücken zu drücken. Auf meinen mit der Situation angemessener Freundlichkeit vorgetragenen Hinweis, es ginge nicht schneller, wenn sie mich anzuschieben versuche, antwortete sie: Doch, doch. Auf eine weitere Erörterung verzichtete ich.

Samstag: Wie in der Zeitung zu lesen war, wird das Weihnachtsfest im häuslich-privaten Familienkreis mit Geschenken erst seit Anfang des neunzehnten Jahrhunderts in dieser Form begangen, nachdem ein gewisser Friedrich Schleiermacher es so in einem Buch beschrieben hatte. Zuvor ging man nur zum Mitternachts-Gottesdienst uns saß anschließend betrunken im Wirtshaus. – Noch drei Tage. (Bitte denken Sie sich hier ein tiefes Seufzen.)

Ins Wirtshaus ging ich mittags auch, zu einem vorweihnachtlichen Umtrunk mit lieben Nachbarn. Die Idee, dort bei Eifeler Landbier sitzen zu bleiben bis Weihnachten vorbei ist, war verlockend, indes nicht zu verwirklichen a) wegen familiärer Verpflichtungen und b) weil um vierzehn Uhr geschlossen wurde. Immer wieder faszinierend: Der Weihnachtsmarkt, bis gestern Abend noch gut besucht, war bis auf ein paar Tannenzweige vollständig verschwunden, als wäre nichts gewesen.

»Der Mensch bleibt in sich gefangen. Gerade zu Weihnachten« schreibt Kurt Kister in seiner Wochenkolumne.

Sonntag: Aufgrund vorgenannter Pflichten finde ich hier heute nur wenig Gelegenheit zur Niederschrift. Gegebenenfalls Berichtenswertes wird kommende Woche nachgereicht, ich bitte um Verständnis. Jedenfalls: Allen Leserinnen und Lesern wünsche ich schöne Weihnachten, wie auch immer Sie dazu stehen!

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Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche, einen frohen Weihnachtsrest und einen guten Start in ein hoffentlich erfreulicheres Jahr.