Montag: Die Woche begann wenig optimismusfördernd. Erst Giesinger im Radio (schon wieder am Montagmorgen, machen die das extra, um mich zu prüfen oder zermürben?), dann die Meldung, wonach eine internationale Konferenz zur Reduzierung von Plastikmüll am Widerstand der erdölfördernden Länder gescheitert ist. Meine Überzeugung, dass diese Spezies den baldigen Untergang verdient, festigt sich täglich.
Abends in der Innenstadt hörte ich über den bereits aufgebauten, noch dunklen Weihnachtsmarktbuden eine Amsel singen, als wäre April. Alle irre.
Dienstag: Dienstag ist Zufußtag, und also ging ich zu Fuß ins Werk und zurück, entlang dem noch immer hochwässrigen Rhein. Auf dem Rückweg hielt ich nach längerem mal wieder Einkehr auf einen Tee (jawohl!) im Rheinpavillon. Dort waren bei Ankunft die meisten Tische reserviert für eine größere Gruppe, weshalb ich mit einem Platz nahe dem Eingang vorlieb nahm, wo es jetzt schon wieder recht kühl ist. Kurz darauf trafen nach und nach die Gäste ein, es wurde immer lauter. Ab der kommenden Woche gibt es dort im Außenbereich wieder Glühwein; die Verkaufsbude ist bereits aufgestellt, aber noch geschlossen.
Tosende WasserUrlaubsfreudenWeg ist der Weg
Vergangene Woche ließ ich mich über die Gewohnheit junger Menschen aus, ständig „genau“ zu sagen, nicht im Sinne von „exakt“, sondern eher „nun denn …“ oder „äh“, weshalb mir die Kategorie „Generation Genau“ passend erscheint. Was sie auch gerne und oft sagen, wie mir heute wieder auffiel, ist „keine Ahnung“. Sie deswegen als „Generation keine Ahnung“ zu bezeichnen erscheint mir indes unangemessen.
Mittwoch: Die Nachbarabteilung trifft sich heute zum Offsite, anschließend teambuildet man in einem Bash Room. Bislang unwissend, was das ist, recherchierte ich kurz und fand heraus: Dort trifft man sich zu einem zweieinhalbstündigen Game-Show-Event, wo es gilt, durch unterschiedliche Aufgaben und Spiele zu ermitteln, wer am Ende der/die/das Beste ist. Motto: „All About Skill“. Da halte ich es wie der Schreiber Bartleby: Ich möchte lieber nicht. Wann genau und wodurch ist berufstätigen Menschen die Fähigkeit abhanden gekommen, zum Zwecke des persönlichen Austauschs einfach nur gemeinsam zu essen und sich nett zu unterhalten? Warum muss daraus immer gleich ein Event gemacht werden?
Donnerstag: »Doch kaum einer will’s oder interessiert’s«, schreibt Bild Online.
Interessiert vielleicht auch keiner:
*** Auftritt Mainzelmännchen ***
Ich hätte es längst erzählen sollen, wollte jedoch abwarten, bis es fertig ist, et voila: das Buch zum Blog. Rechtzeitig für die Gabentische ist es ab sofort fast überall erhältlich, zum Beispiel hier. Auch beim großen A., wenn es unbedingt sein muss.
276 Seiten, ISBN 978-3-758433-08-5
*** Abgang Mainzelmännchen ***
Freitag: »In Zeiten von Krieg macht es keinen Sinn, dass Millionen Euro in Böller fließen, die dann auf der Straße verpuffen«, wird der Landesvorsitzende der Polizeigewerkschaft in der Zeitung zitiert. Dazu erlaube ich mir zu ergänzen: Auch in Friedenszeiten macht es keinen Sinn. Die FDP ist erwartungsgemäß anderer Meinung: »Feuerwerk an Silvester ist häufig ‚Made in NRW’ und gehört für viele Menschen zum Jahreswechsel«, so eine Abgeordnete. Auch beim größten Unsinn immer schön an die Wirtschaft denken.
Dieselbe Zeitung über Geert Wilders: »… ein Mann mit einer platinblonden Haartolle aus Venlo«. Venlo ist ja weltberühmt für seine traditionsreichen Haartollenmanufakturen.
Wie ich auf der Rückfahrt vom Rad aus sah, ist die Glühweinbude am Rheinpavillon nun geöffnet, was spontane Vorfreude auslöste.
Abends besuchten wir den heute eröffneten Bonner Weihnachtsmarkt. Alles wie immer: Die üblichen Buden an den üblichen Plätzen, dazwischen die üblichen Menschenmengen, die sich durch die Gänge schieben. Am Feuerzangenbowlenstand blies unangenehm kalter Wind die Flammen von den brennenden Zuckerkegeln, auf dem Rückweg wurden wir nassgeregnet. Wir werden wohl trotzdem bald wieder hingehen.
Samstag: Vormittags erledigte ich ein paar Samstäglichkeiten in der Stadt, unter anderem ließ ich ein paar ausgelesene Bücher in einen öffentlichen Bücherschrank frei, in dem sich bei Ankunft seltsamerweise nur ein einziges Buch befand, ein Beziehungsratgeber; da der mir vermutlich auch nicht helfen kann, ließ ich ihn stehen und stellte meine Bücher dazu.
Abends hatten wir mit der Karnevalsgesellschaft einen Auftritt in Wachtberg-Niederbachem, voraussichtlich den letzten in diesem Jahr. Im Januar geht es dann wieder richtig los mit Alaaf und so.
(Fotos: Der Geliebte)
Sonntag: Nach etwas appetitlosem Frühstück (keine Folge des Auftritts gestern, eher der Wetten dass..?-Begleitweine; wir schauten die Sendung gestern Abend, weil der Geliebte unbedingt Cher sehen wollte, was der Alkoholunterstützung bedurfte; die deutlich gealterten Herren von Take That fand ich auch sehenswert) fuhr ich mit dem Bus nach Bonn-Duisdorf, um eine Modellbahnbörse zu besuchen, die zweite innerhalb weniger Wochen, nachdem ich zuvor jahrelang auf keiner mehr gewesen war.
Zurück bei leichtem Regen zu Fuß, damit war der Sonntagsspaziergang auch erledigt. In der Inneren Nordstadt eine kleine Überraschung: Das am vergangenen Sonntag an einem öffentlichen Bücherschrank halblegal angebrachte Plakat für die Lesung nächsten Sonntag war noch nicht entfernt.
Ansonsten gesehen:
Wer wollte das bezweifelnAuch schön (Weststadt)
Einmal noch Werbung:
***
Kommen Sie gut und voller Optimismus durch die Woche.
Montag: Wie bereits vergangene Woche dargelegt, ist an meiner Selbstbeherrschung noch zu arbeiten. Heute Morgen auf der Radfahrt in die Werktätigkeit wurde sie wieder auf die Probe gestellt, als ein rechtsabbiegender Autofahrer mich abdrängte und zum Bremsen zwang. Das ihm hinterher gerufene A-Wort wird er nicht vernommen haben, alle Passanten in der Nähe dafür umso mehr.
In der Kantine gab es mittags lt. Karte Spaghetti an Tomaten-Gewürz-Rahm-Soße. Die Soße wurde trotzdem einfach drübergekellt, was nicht zu beanstanden war.
Nachgelesen im Kieselblog über Kassenschlangen in Supermärkten und gegrinst: »Beobachtung: Das Warteschlangenverhalten der Österreicher gleicht dem der Deutschen. Wird eine neue Kasse geöffnet, gilt das Kriegsrecht.«
In der Zeitung las ich erstmals mit einigem Entsetzen den Begriff „Egg Crack Challenge“. Dieser bezeichnet das verstörende Elternvergnügen, an der Stirn ihrer kleinen Kinder ein rohes Ei zu zerschlagen, dieses zu filmen und auf Tiktok zu zeigen, auf dass viele es lustig finden und mit Sternchen, Herzchen oder was weiß ich, was bei Tiktok diesbezüglich üblich ist, zu belohnen. Was sind das für Eltern? Vielleicht dieselben, die beim Kinderwagenschieben den Blick fest auf das Datengerät gerichtet haben und dabei solche Filmchen anschauen.
Dienstag: Für alle, die es nicht abwarten können oder wollen, eröffnet bereits kommende Woche der erste Weihnachtsmarkt in NRW in Essen-Steele, meldete das Radio morgens.
Der Fußweg ins Werk hingegen bei völlig unweihnachtlicher Milde.
Auf Veranlassung des Geliebten steht seit heute ein Vogelfutterhäuschen vor meinem Bürofenster. Erste Kundin war eine Elster. „Verscheuchen, das sind Räuber!“, fordert der Geliebte. Das finde ich herzlos, er darf schließlich auch bleiben.
Mittwoch: Der für heute angekündigte Regen fiel reichlich, freundlicherweise zu Zeiten, als ich nicht auf dem Fahrrad saß.
Schlecht besucht war das neue Futterhäuschen vor dem Bürofenster, sogar die Elster schaute nur kurz vorbei, pickte ein paar Körnchen und flog wieder davon. Vielleicht war ihr das Wetter zu ungemütlich und sie blieb lieber zu Hause, kann man verstehen.
Nachmittags besprach ich mit meinem Chef ein persönliches Vorhaben, er reagierte erfreulich positiv. Dann gehe ich es mal an. (Ich muss nur noch den Liebsten, meinen anderen Chef, überzeugen.)
Donnerstag: Die Deutschen wollen lieber früher als später in Rente gehen, steht in der Zeitung. Wer hätte das gedacht.
Abends holte ich die neue Gleitsichtbrille beim Optikdiscounter ab und nahm sie sofort in Gebrauch. Ein wenig gewöhnungsbedürftig, das wird schon.
Auch in der Bonner Innenstadt hängen die ersten Lichterketten an den Zugängen zur Fußgängerzone, um die baldige Besinnlichkeit herbeizuleuchten.
Freitag: Im Maileingang morgens eine Besprechungseinladung vom Chefchef für Januar 2025. Ich nahm sie an; den Zusatz „Falls ich dann noch lebe“ dachte ich mir nur.
Manche Dinge stören mich, ohne dass ich sagen könnte, warum genau; weder nehmen sie mir etwas weg noch belästigen sie mich persönlich. Zum Beispiel Leute, die auf das Datengerät schauen, während sie freihändig radfahren. An ihnen stört mich vermutlich am meisten, dass sie es können und ich nicht.
Auch muss ich gelegentlich in mich kehren und ergründen, warum es jedesmal fast einen Brechreiz auslöst, wenn ich das Wort „Enkelchen“ höre oder lese. Die Gewissheit, niemals selbst welche zu haben, ist es ganz sicher nicht.
Was mich dagegen immer wieder freut ist der Fußweg vom Werk nach Hause.
Um 15:37 Uhr nach freitagsangemessen zeitigem Arbeitsende
Samstag: Aufgrund körperlicher Unpässlichkeiten, mit deren Ursachen ich Sie nicht unnötig langweilen möchte, verbrachte ich größere Teile des Tages auf dem Sofa, wo sich erwartungsgemäß nicht viel Berichtenswertes ereignete.
Abends waren wir eingeladen zu einer Geburtstagsfeier in einer Wohnung mit ungefähr fünfundzwanzig Teilnehmern ungefähr unseres Alters, mit Essen, Trinken und viel Gespräch. Derlei ist man gar nicht mehr gewohnt und, insbesondere in Verbindung mit Unpässlichkeiten, vermisst man es auch nicht. Deshalb blieben wir nicht allzu lange.
Sonntag: Dank frühzeitigem Aufbruch am Vorabend und wegen Zeitumstellung verlängerter Nacht erwachte ich erholt.
In Ermangelung notierenswerter Bermerknisse ein Blick auf die Tagesfrage des Blogvermieters: »Was ist deine Lieblingsform der körperlichen Betätigung?« Bis vor einigen Jahren hätte ich mich womöglich zu einer in sittlich-moralischer Hinsicht eher zweifelhaften Antwort hinreißen lassen; heute, mit der Ruhe und Reife fortgeschrittenen Alters, womit ich völlig einverstanden bin, kann sie auch Lesern unter zwölf Jahren bedenkenlos zugemutet werden: Gehen.
Und also ging ich auch heute, wie jeden Sonntag, ein Stündchen, durch Nordstadt und an den Rhein, begleitet von unentschlossenem Herbstwetter aus Bewölkung, ein paar Sonnenstrahlen und Regentropfen, gerade so wenige, dass ein Aufspannen des mitgeführten Schirms nicht lohnend erschien, sowie Wind, der gelbe Blätter von Bäumen zupfte und herumwirbelte. Am Wegesrand liegende Außengastronomien sind inzwischen geschlossen, das ist nicht zu beklagen, zumal ich sie wegen vorgenannter Unpässlichkeit heute ohnehin nicht aufgesucht hätte.
Regentropfen in der Inneren NordstadtSonne und Wolken am Rhein
***
Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche möglichst ohne Unpässlichkeiten.
Montag: Gewundert, mal wieder, über Kollegen, die ohne Not sonntags Mails schreiben.
Nach Feierabend suchte ich ein namhaftes Kaufhaus in der Bonner Innenstadt auf. Dort ist nun ein Teil der Rolltreppen außer Betrieb genommen worden, zur Energieersparnis, wie große, direkt vor den stehenden Treppen angebrachte Tafeln verkünden. Deswegen sind die stehenden Stufen nicht zugänglich, die Treppen somit auch als Nichtrolltreppen unbenutzbar. Stattdessen ist der Konsument, je nachdem, von welcher Seite er kommt, genötigt, nach Ankunft in der nächsten Etage eine Runde durch die Abteilung zu gehen, um per noch rollender Treppe ins nächste Stockwerk zu gelangen. Als Gernegeher beanstande ich das nicht, vielmehr frage ich mich, warum man überhaupt nur per Rolltreppe ins nächste Stockwerk gelangt, warum gibt es nicht auch ganz normale Treppen? Vermutlich gibt es die, irgendwo versteckt, wo man sie nicht auf Anhieb findet. Ich bin der Meinung, für Menschen ohne körperliche Einschränkungen oder unhandliche Traglasten gibt es keinen vernünftigen Grund, überhaupt eine Rolltreppe zu benutzen; Aufzüge erst ab fünf Stockwerken.
Dienstag: Erstmals kam es zu einem persönlichen Treffen mit Leuten eines IT-Dienstleisters, mit denen ich seit fast zwei Jahren gut und gerne zusammenarbeite und die ich bislang zwar regelmäßig, aber nur virtuell traf, und von denen ich zumindest teilweise nicht einmal wusste, wie sie aussehen, da sich kamerabegleitete Teams-Besprechungen bei uns erst langsam durchzusetzen beginnen, was ich bislang nicht vermisste. Das persönliche Treffen war sehr angenehm, wenngleich mir dabei deutlich wurde, wie wenig ich auch größere nicht-virtuelle Besprechungsrunden, bis März 2020 alltäglich, vermiss(t)e.
Abends aßen wir gemeinsam in einem vietnamesischen Restaurant, in dem ich bislang nicht gewesen war und das aufzusuchen ich mich ohne diese Einladung so bald auch nicht veranlasst gesehen hätte, manchmal hat man unerklärliche Vorbehalte gegenüber Unbekanntem. Das Essen war sehr gut, nicht zuletzt auch wegen der auf meinen Wunsch hin unterlassenen Korianderbeigabe. Mir ist völlig unerklärlich, wie man Koriander mögen kann. Ähnlich muss es schmecken, wenn man sich Seife über das Essen raspelt.
Mittwoch: Donald Trump hat (auf seinem Anwesen, wie berichtet wird) verkündet, demnächst wieder als Präsidentschaftskandidat antreten zu beabsichtigen. Als ob die Welt gerade nicht genug Krisen zu verkraften hätte.
Auf dem Rückweg zu Fuß vom Werk schnappte ich Gesprächsfetzen auf: „Das ist schon ganz nice“ und „Da hat man dann seinen eigenen space.“ Vielleicht ist das der Grund, warum junge Menschen heute kaum noch ohne Kopfhörer in der Öffentlichkeit anzutreffen sind, womöglich mögen sie den Unfug, den ihre Altersgenossen so von sich geben, einfach nicht hören. Beziehungsweise Altersgenossinnen, in diesem Falle war beides gesprochen von jungen Frauen. Sicher Zufall, es liegt mir fern, anzunehmen oder gar zu unterstellen, vor allem junge Frauen redeten dummes Zeug. Auch dieser Satz kam von einer jungen Frau: „Ich glaube, man bringt die beste Leistung, wenn man sich wohlfühlt.“ Wer wollte dem widersprechen.
Apropos wohlfühlen: Die Glühweinbude am Rheinpavillon hat nun wieder abends geöffnet. Das ist sehr erfreulich.
Besonders nice mit einem Hauch Amaretto
Nach Rückkehr musste ich mir von meinen Lieben anhören, ich röche wie ein Weihnachtsmarkt. Das war es wert.
Donnerstag: Heute legte ich mal wieder einen Inseltag ein, also einen anlasslos freien Tag zwischendurch. Warum ich diese Tage nicht auf einen Freitag oder Montag lege, werde ich gelegentlich gefragt. Nun: Ich mag diese Inseln im Fluss der Werktätigkeit. Die Arbeitswoche bis Mittwoch ist dadurch angenehm kurz, und am Freitag naht das Wochenende. Wohingegen sich die Rückkehr nach einem verlängerten Wochenende oft besonders mühsam anlässt. Darum Inseltage. Diesen nutzte ich für eine Wanderung durch die Wahner Heide südöstlich von Köln, die schon länger im Geplant-Ordner bei Komoot angelegt war. Das Wetter zeigte sich gnädig, nur ein paar wenige Regentropfen verlangten für kurze Zeit nach einer Kapuze, ansonsten blieb es trocken und mild.
Sehen Sie:
Bei Rösrath, kurz nach Betreten der Heide
Ebenfalls bei Rösrath
Vor Altenrath
Hinter Altenrath
Bei Lohmar
Vor Troisdorf. Im Vordergrund etwas verblühte Heide, also das namensgebende Kraut.
Während der Bahnfahrt nach Köln hörte ich eine Frau zu ihrem Begleiter sagen: „Ich finde das echt schwer, den Überblick zu behalten mit dem ganzen ab den Sechzigerjahren.“ Ich habe nicht genau mitbekommen, um was es ging; als 1967 Geborener stimme ich ihr jedenfalls uneingeschränkt zu.
Freitag: Manchmal, wenn ich Präsentationen anderer Bereiche sehe, bin ich froh, mit welchen Themen ich mich nicht beschäftigen muss.
Heute eröffnete der Bonner Weihnachtsmarkt. Unser Besuch am Abend fühlte sich unwirklich an, was nicht nur an den Männern in kurzen Hosen lag, die ich dort sah. Wie in besseren Zeiten strömten Menschen in großer Zahl durch die Budengassen und labten sich an Bratwurst, Backfisch und Warmgetränken. Erstmals wieder ohne Corona-Beschränkungen wie Masken, Impf-/Testnachweis und Abstände, als wäre es vorbei. Ich kritisiere das nicht, auch für mich hat die Seuche mittlerweile ihre Bedrohlichkeit weitgehend eingebüßt. Wenngleich mir bewusst ist, dass ich mich jederzeit erneut infizieren kann, nächstes Mal vielleicht mit langfristigen Folgen. Doch scheint mir die Gefahr zurzeit nicht größer, als während der Radfahrt ins Werk von einem Auto angefahren zu werden oder, wenn ich zu Fuß gehe, von einem irren Radfahrer, der während des Rasens durch die Fußgängerzone seine Aufmerksamkeit statt dem Fahrweg lieber dem Datengerät widmet.
Ist das wirklich so schwer?
Samstag: Im Rheinauenpark, durch den ich gelegentlich nach dem Mittagessen eine kleine Runde drehe, fand heute ein „Trauermarsch für die Nutrias“ statt, steht in der Zeitung. Damit will eine Initiative gegen das Abschießen der Tiere protestieren, die sich dort in den letzten Jahren mangels natürlicher Feinden stark vermehren und zunehmend aggressiv-futterfordernd gegenüber Parkbesuchern auftreten, wie mir meine Kollegin aus eigener Erfahrung bestätigte. Statt letaler Entnahme solle man sie sterilisieren, so die Forderung der Trauernden. Wie schön, wenn man keine anderen Probleme hat.
Ich werde alt. Das wurde mir mittags wieder auf dem Weihnachtsmarkt deutlich, wo ich einen bestimmten Stand suchte, den wir am Vorabend gesehen hatten, um auf Geheiß des Geliebten Trinkgefäße zu kaufen. Erst nach mehreren erfolglosen Runden über den Münsterplatz, wo ich mich mit den bereits um diese Tageszeit zahlreichen Besuchern im Tempo eines Gletschers durch die Gänge treiben ließ, fiel mir ein, dass sich der Stand in der Vivatsgasse befindet, wo ich ihn – immerhin – sofort fand und die Bierkrüge erstand.
Zahlreich auch die Kraniche, die nachmittags auf dem Weg Richtung Süden über das Haus zogen.
Nur eine von mehreren Formationen
Sonntag: Über Twitter wollte ich eigentlich nichts mehr schreiben. Einmal noch: Viele beklagen nun dessen Übernahme durch Elon Musk, der dort seitdem wütet und alles aus den Angeln zu heben im Begriff ist. Sie sehen sich dadurch aus ihrer digitalen Heimat vertrieben und beabsichtigen, Twitter zu verlassen oder haben es bereits getan. Als Zufluchtsort wird Mastodon genannt, was für mich weiterhin wie ein Schweinefutterzusatzstoff klingt.
Auch ich fühlte mich einst bei Twitter sehr wohl. Zehn Jahre lang, von 2009 bis 2019, betrieb ich dort einigermaßen – nun ja: erfolgreich ein Konto, hatte zeitweise mehr als tausend Follower. Mit der Zeit schwand die Freude daran, an meinem zehnten Jahrestag löschte ich das Konto. Die Gründe dafür habe ich hier und dort dargelegt. Doch bereits im August 2020 verspürte ich erneut Lust, wieder dabei zu sein, und legte mir einen neuen Anschluss zu. Was ich vorfand, war ein anderes Twitter als das, in dem ich mich früher so wohlgefühlt hatte. Zahlreiche derer, mit denen ich in gegenseitigem Gefolge verbunden war, fand ich wieder und folge ihnen erneut. Nur finde ich keinen Anschluss mehr: Fast keiner von ihnen folgt zurück, und wenn ich was schreibe, bleibt es ohne jede Resonanz. Wie ein Junge, der am Rand steht und den anderen beim Ballspielen zusieht, aber nicht mitspielen darf. Ein schlechtes Beispiel – ich verabscheue Sportarten mit Bällen. Besser dieses: Vielleicht kennen Sie die Szene von und mit Loriot, wo ein älterer Herr an einem Festessen teilnimmt und versucht, mit seinen Tischnachbarn ins Gespräch zu kommen, die sich untereinander bestens unterhalten, ihn jedoch beharrlich ignorieren. – Ich beklage das keineswegs im Sinne von „Keiner hat mich lieb“, bemerke es nur. Deshalb schaue ich nur noch unregelmäßig rein, noch seltener schreibe ich was. Wenn Herr Musk es demnächst stilllegen sollte, ist mir das egal. Mit Mastodon habe ich es bereits vor ein paar Monaten versucht, mich dort aber noch weniger wohl gefühlt. Daher ist das Konto längst wieder gelöscht.
Mit diesem Blog ist es ähnlich, mit dem Unterschied, dass es niemals „erfolgreich“ war und auch nicht sein soll. Dennoch beobachte ich jedes Mal mit einem ganz leicht in Richtung Neid tendierenden Gefühl, wenn in den Blogs, die ich regelmäßig lese, auf andere Blogs verwiesen wird, während das von mir hier Verfasste weitgehend unbeachtet bleibt. Das mag an dessen Qualität liegen, vielleicht weil es weder vegan noch gegendert ist. Wobei andere, die einfach nur täglich ganz knapp schreiben, was sie gegessen, getrunken und gelesen haben, dafür regelmäßig Gefallensbekundungen in zweistelliger Anzahl erhalten. (Die Gefällt-mir-Sternchen für dieses Blog würde ich übrigens gerne deaktivieren, finde die entsprechende Funktion bei WordPress aber nicht. Wenn jemand weiß, wie das geht, wäre ich für einen Hinweis sehr dankbar.) Bitte verstehen Sie auch das nicht als larmoyante Klage gegen die böse Blogwelt, es ist einfach so. Es gibt schlimmeres, zum Beispiel Koriander oder wenn irgendwo von „Mitgliederinnen und Mitgliedern“ zu lesen ist. – Ein paar regelmäßige Leserinnen und Leser gibt es hier, und darüber freue ich mich sehr. Daher wird dieses Blog weiterhin bestehen und regelmäßig beschrieben, selbst wenn Elon Musk irgendwann WordPress kaufen sollte, oder Donald Trump.
Diese Betrachtung ist nun länger geworden und hätte für einen separaten Aufsatz gereicht. Aber das würde dem Thema den Anschein einer Bedeutung verleihen, die es nicht hat.
Zum Schluss was Positives: Beim Spaziergang heute haben zweimal Autofahrer angehalten, um mich die Straße queren zu lassen, obwohl sie es nicht gemusst hätten. Daher nicht immer nur meckern.
Ein zusammenhangloses Bild vom Spaziergang
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Kommen Sie gut durch die Woche, lassen Sie sich nicht ärgern und umfahren.
Montag: In der PSYCHOLOGIE HEUTE las ich erstmals das Wort „Dezivilisation“. Es bezeichnet die zunehmende Neigung zu irrationalem, emotionalem Verhalten und nachlassende Bereitschaft zu sachlicher Diskussion, Annahme von Kritik, Einhaltung von Regeln, Rücksicht, Höflichkeit, Aushalten abweichender Meinungen. Stattdessen Hass, Polarisierung, Aggression und Angst. Laut dem Artikel erfolgt die Dezivilisation innerhalb von nur Jahren oder Jahrzehnten, Auslöser sind gesellschaftliche Krisen. Verrichten wir unsere Notdurft bald auf der Straße anstatt im heimischen Sanitär? Wundern würde es mich nicht.
Dezivilisation auch im Rheinauenpark
„Bleibe negativ!“ las ich unter einer Mail als zeitgemäß-originelle Alternative zum mittlerweile recht ausgefransten „Bleiben Sie gesund“.
Dienstag: Mein Mitgefühl gilt auch allen, die Issues haben.
Apropos: Gibt es ein Wort für den Zwang, mit der Zunge ständig die Stelle im Gebiss abzutasten, wo sich am Vorabend eine Zahnkrone verabschiedet hat?
»In meiner radikal antisozialen, vollkommen empathiefreien und autismusnahen Universalmeinung fehlt mir jedes Verständnis für Menschen, die nicht gegen die Seuche geimpft sind. Gleichzeitig würde ich aber auch niemanden zwingen, sich impfen zu lassen, ich würde nur für erkrankte Ungeimpfte wieder sowas wie früher die Pesthäuser neu erfinden, da können sie dann liegen und mitsamt ihrer Überzeugung und ihrem freien Willen entspannt unter Ihresgleichen vor sich hin coronieren, chacun à son goût, aber dass sie wegen ihrem freien Willen und ihrer freien Entscheidung anderen zusätzlich Arbeit machen und für unfreiwillig Erkrankte die Intensivbetten blockieren – nun, das finde ich halt genauso wenig okay, wie die Einführung einer Impfpflicht.
[…]
Ich bin der festen Überzeugung, dass die heute so modernen moralischen Befindlichkeiten weder in der Natur noch in der Realität eine stabile Mehrheit haben, sondern schlicht nur dekadente Auswüchse einer extrem realitätsfernen intellektuellen Schickeria sind, die sich von den tatsächlichen Alltagsproblemen der Mehrheit der Menschen soweit entfernt haben, dass es schon fast an die Naivität einer Marie-Antoinette heranreicht.«
Laut Radio sind die Preise für Opium gestiegen. Auch das noch.
Mittwoch: Der Buß- und Bettag wurde 1995 zur Finanzierung der Pflegeversicherung als gesetzlicher Feiertag abgeschafft. Außer in Sachsen, dort wird heute weiterhin gebüßt und gebetet. Das erscheint auch dringend geboten.
Heute öffnet nicht nur der Weihnachtsmarkt in Bonn, auch gilt in großen Teilen der Innenstadt wieder Maskenpflicht. Vielen Dank an alle, die im Recht auf Impfverzicht einen wesentlichen und unverhandelbaren Bestandteil ihrer persönlichen Freiheit und körperlichen Selbstbestimmung sehen.
Man beachte die medizinische Maskenpflicht.
In der Zeitung fand ich übrigens das Wort „gewissensarm“, ich finde, Sie sollten das auch mal gelesen haben.
Donnerstag: Donnerstag ist Zu-Fuß-ins-Werk-geh-Tag. Wer geht, sieht mehr. Ich sah und hörte morgens eine Nilgans, die auf dem Hinterdeck der am Rheinufer festgemachten MS „Beethoven“ saß und von dort aus in etwa halbsekündlich ausgestoßenen Rufen die Welt beschimpfte: Nak, nak, nak, nak, nak …, minuten,- vielleicht stundenlang, so viel Zeit hatte ich nicht. Ob sie wirklich die Welt beschimpfte, kann ich, der Geflügelsprache nur unzureichend mächtig, natürlich nicht beurteilen, besonders froh klang sie jedenfalls nicht. Vielleicht galt jedes einzelne „Nak“ einem entfernten Art- beziehungsweise Gattungsgenossen, der in den letzten Tagen als Martinsgans sein Gänseleben beendete oder einer Zukunft als Weihnachtsgans entgegensieht. Auf dem Rückweg am Abend sah ich die „Beethoven“ (warum gilt eigentlich für Wasserfahrzeuge, ob Schiff, Kahn oder Fähre, seit jeher das generische Femininum?) noch immer am selben Platz vertäut, freilich ohne die erregte Gans auf dem Hinterdeck. Irgendwann hat auch so ein Großvogel mal Feierabend oder einfach den Schnabel voll.
Ebenfalls auf dem Heimweg gönnte ich mir im Außenbereich eines Lokals am Rheinufer, fernab des Weihnachtsmarktgedränges und ohne fremde Menschen in unmittelbarer Nähe, den ersten Glühwein des Jahres, zur Geschmacksveredelung mit einem Hauch Amaretto versehen. Das war sehr schön, ich freue mich schon auf den übernächsten Donnerstag (am nächsten habe ich Urlaub, auf den freue ich mich auch).
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(Triggerwarnung: Der folgende Absatz könnte Boomerblödfinder ärgern.) Skandal: An Schulen spielen die Kinder laut Zeitungsbericht Szenen aus der Netflix-Serie „Squid Game“ nach. Ich kenne sie nicht und werde sie mangels Netflix-Anschluss und Interesse an dieser Serie im Speziellen und Serien im Allgemeinen voraussichtlich auch nicht kennen lernen. Wie zu lesen ist, müssen dort Menschen am Ende sterben, also wie im Tatort (den ich konsequent auch nicht anschaue), nur dass man dort üblicherweise nicht am Ende, sondern innerhalb der ersten Minuten stirbt und die Sendung nur selten einen Skandal hervorruft, und in der Bibel, die bis heute direkt und indirekt zahlreiche Skandale auslöst, was hier auszuführen indes zu weit führte. »Es sei richtig, dass Erzieher und Lehrkräfte Alarm schlügen, wenn sie erlebten, dass Kinder brutale Szenen nachstellten«, heißt es in dem Artikel. – Wir spielten als Kinder, nachdem wir im Fernsehen „Bonanza“ und „Rauchende Colts“ gesehen hatten und als das noch als moralisch unbedenklich galt und es den Begriff der „kulturellen Aneignung“ noch nicht gab, Cowboy und Indianer. Da wurde auch schon mal einer erschossen, was nicht immer gelang: „Peng, du bist tot.“ – „Bin ich gar nicht!“ – „Menno, dann spiele ich nicht mehr mit dir!“ Soweit ich mich erinnere, schlug deswegen niemand Alarm.
Freitag: Eine Kollegin hat sich nun auch dieses Tatsächlich-Virus eingefangen. Womöglich ursprünglich aus dem Angelsächsischen stammend, hat es sich, neben dem Unterwegs-Virus, rasend verbreitet durch Gebrauch und unbedachtes Nachplappern vor allem in Besprechungen. Zu bekämpfen ist es tatsächlich nur durch bewusste Wahrnehmung und Vermeidung. Möge dieser Absatz einen Beitrag dazu leisten.
Aus einer Studie zum Thema Glück: »Je höher die Infektionszahlen und je strikter die Maßnahmen, desto niedriger das Glücksniveau.« Wer hätte das gedacht.
Samstag: In der Fußgängerzone sah ich ein Pappschild mit der Aufschrift »Wer an den Sohn des HERRN glaubt, der wird ewig leben.« Daneben zwei Personen, die versuchten, den Vorübergehenden Druckerzeugnisse in die Hand zu drücken, mit geringem Erfolg; alle gingen weiter, die meisten ordnungsgemäß maskiert, ohne ein segensreiches Exemplar abzugreifen. Auch ich beschleunigte, wie stets, wenn mir jemand unaufgefordert etwas aushändigen oder mich gar ansprechen will, meine Schritte. Zudem erscheint mir ewiges Leben wenig erstrebenswert, daher besser nicht alles glauben.
Sonntag:»Die Ampelkoalition will den Zugbetrieb vom Schienennetz trennen«, steht in der Sonntagszeitung. Eines meiner wiederkehrenden Traummotive: Ein Zug verlässt an einem Bahnübergang die Schienen und fährt über die Straße weiter. Jedesmal stehe staunend daneben und frage mich, wie der wohl gelenkt wird. Wobei es so etwas ja schon gegeben hat.
Ein gestern in der Tageszeitung gelesener Artikel über Schlüsseldienste scheint in meinem Unterbewusstsein etwas ausgelöst zu haben. So verließ ich die Wohnung heute zum Spaziergang ohne Schlüssel, was mir noch nie zuvor passiert ist, vielmehr erfolgt stets vor Schließen der Wohnungstür ein automatisierter Prüfgriff nach Portmonee, Telefon, Notizbuch und Schlüsselbund. Doch musste ich nach Rückkehr keinen Schlüsseldienst beauftragen, nur klingeln und des Geliebten Gemurre über mich ergehen lassen.
Zum Schluss weitere Bilder der Woche:
Abendstimmung am Mutterhaus
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Gute Basssänger werden von vielen Chören mittlerweile dringend gesucht.
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Donnerstagabend, kurz vor Glühwein
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Während der Nachstunden sowie an Sonn- und Feiertagen geht von dem Virus keine Gefahr aus.
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Kann ja mal passieren.
Ansonsten notierte ich gestern am späteren Abend das Wort „Belfast“, weiß aber nicht mehr, warum. Irgendwas mit schnell bellenden Hunden, meine ich mich dunkel zu erinnern – die Notiz erfolgte nach der ersten Flasche Wein. Sollte es mir wieder einfallen, reiche ich es nach.
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Ihnen eine angenehme neue Woche, bleiben Sie im positiven Sinne negativ!