Woche 50: Diverses

Montag: Ich liebe es, wenn Menschen mit wenigen Worten direkt auf den Punkt kommen. Insofern rücken viereinhalb Stunden Skype-Konferenz den Teilnehmer nicht gerade in den Verdacht der Vergnügungssteuerpflicht. Andererseits gibt es wesentlich unangenehmere Möglichkeiten des Lohnerwerbs, zum Beispiel Möbel zu schleppen oder Schweinebabys kastrieren.

Manchmal breitet sich in Besprechungen ein Wort oder eine Phrase epidemieartig unter den Teilnehmern aus: Einer fängt an, und alle anderen übernehmen es, scheinbar einer unausgesprochenen Übereinkunft folgend, in ihre wörtliche Rede (der Schreiber dieser Zeilen selbstverständlich ausgenommen). Beliebt sind „quasi“ und „irgendwie“; heute war es „im Endeffekt“. Sätze mit „ich meine ja nur“ sind hingegen zu über achtzig Prozent im Ganzen überflüssig.

Auch gängig: „Das ist ergebnisoffen“, wie die Kollegin sagt. Gilt das nicht im Endeffekt für alles?

Dienstag: Warum rupfen manche Leute in der Kantine fünf und mehr Papierservietten aus dem Spender? Haben die zu Hause kein Klopapier?

In der Zeitung lese ich, nach den Protesten in Frankreich sei in Ägypten aus Angst vor Unruhen nun der Verkauf gelber Warnwesten an Einzelpersonen verboten. Sicher ist sicher. Übrigens fühle ich mich gerade im Umfeld von Menschen, die „Security“ auf ihrer Warnweste stehen haben, selten besonders sicher.

Mittwoch: Ein weiterer freier Tag zum Zwecke des Urlaubsabbaus und natürlich der mentalen Ertüchtigung. Nach Aufbruch des Liebsten ins Werk  liege ich längere Zeit wach und erwäge, aufzustehen im Sinne des Carpe-Diem-Gedankens. Doch dann falle ich in einen interessanten Zustand sich in kurzen Abständen abwechselnder Schlaf- und Wachphasen, jeweils von Träumen begleitet, deren Inhalt sich nach dem Erwachen sofort in die Erinnerungslosigkeit verflüchtigte. Im übrigen gibt es keinen vernünftigen Grund, ohne Not vor zehn Uhr das Bett zu verlassen (dann aber schon, weil ab zehn Gabi, unsere Staubsauger-Roboterin, ihr randalierendes Werk beginnt), zudem ist Träumen von den zahlreichen Möglichkeiten, den Tag zu nutzen, sicher nicht die schlechteste.

Nach meinem unmaßgeblichen Empfinden jedenfalls besser als die Teilnahme an einer Schneeballschlacht-Weltmeisterschaft. Das gibt es wirklich, wie ich aus der Zeitung erfahre. Wodurch mag man dort gewinnen?

„Solange ich von solchen Organisationen erpressbar bin, werde ich ausschließlich Auto fahren“, schreibt Peter F. aus Engelskirchen in einem Leserbrief an die Zeitung zu den Streiks bei der Bahn. Als ob das, was die Auto- und Mineralölkonzerne betreiben, keine Erpressung wäre.

„Wegen einer Weichenstörung verzögert sich unsere Abfahrt um etwa dreißig Minuten“, so die Durchsage im Regionalexpress, der mich am Abend nach Köln bringen soll. Kurz darauf höre ich einen Mitreisenden telefonieren: „Ich sitze noch im Zug, er fährt irgendwie nicht ab, die Gleise sind irgendwie explodiert oder sowas.“ So entstehen wohl die heutzutage allgegenwärtigen Aufschäumungen geringster Nichtigkeiten.

Donnerstag: In der Kantine sehe ich einen jungen Mann mit aufgekrempelten Hosenbeinen. Nun bin ich dem Anblick wohlgeratener Jungswaden nicht grundsätzlich abgeneigt, auch die hier gezeigten schienen der Erzeugung warmer Gedanken grundsätzlich förderlich. Doch in Anbetracht der derzeitigen Außentemperaturen ließen sie mich frösteln.

Freitag: Der Bundestag hat das Gesetz zur Anerkennung eines drittes Geschlecht „divers“ beschlossen. Nun werden wieder zahlreiche Trottel ihr Unverständnis und ihren Hass darüber in Leserbriefen und digitalen Hetzwerken absondern. Als ob ihnen dadurch irgendetwas weggenommen würde. Aber nur, weil neunzig Prozent aller Menschen sich etwas nicht vorstellen können, heißt das ja nicht, dass es das nicht gibt.

Weiterhin hat sich die Bundesregierung über das „Werbeverbot für Abtreibungen“ geeinigt. Werbung für Abtreibung – was soll das sein? Vielleicht so: „Fötex – we take it out“? Dabei gäbe es viel dringlicher zu verbietende Werbungen, etwa die nervzehrenden Radioreklamen für Möbelhäuser oder einen bekannten Müslimischer. Oder die eines überregional tätigen Fischbrötchenverkäufers, die ungefähr so geht:

Er: „Liebling, ich gehe Angeln, soll ich was mitbringen?“ – Sie: „Vielleicht einen Fisch?“ – (beiderseitiges peinliches Lachen wie nach einem wegen erektiler Dysfunktion abgebrochenen Geschlechtsakt) – Er (mit betretener Stimme): „Wir wissen beide, dass das nicht klappt …“ – Sie: „Macht doch nichts …“ Ist das nicht auch eine – gewissermaßen vorbeugende – Abtreibungswerbung, somit eindeutig zu verbieten?

Laut einer Zeitungsmeldung weilt ein Viertel der Arbeitnehmer gedanklich bereits im Weihnachtsurlaub. Das würde bedeuten, drei Viertel wären noch voll bei der Sache. Das erscheint mir sehr hoch.

Samstag: Auf der nächtlichen Rückfahrt von einem Besinnlichkeitsbeisammensein in Köln sehe ich in der Bahn erneut einen jungen Mann in kurzer Hose (dazu farbenfrohe Kniestrümpfe); das bereits am Donnerstag hierzu Notierte gilt weiterhin, denn es ist nach wie vor a…kalt. Ist das vielleicht ein neuer Trend, von dem ich mal wieder noch nichts mitbekommen habe, gleichsam die konsequente Fortsetzung beziehungsweise Ablösung der beliebten Knöchelfrei-Mode?

Tagsüber habe ich Gelegenheit zur Teilnahme an einem wahren Besinnlichkeitsmarathon, der unsere Reisegruppe mit dem Bus ins niederländische Valkenburg führt. Dort wird uns nach etwa einstündigem, eisigen Schlangestehen Einlass gewährt in eine Höhle, wo in früheren Zeiten offenbar Sandstein oder ähnliches abgebaut wurde, heute hingegen an zahlreichen „weihnachtlichen“ Verkaufsständen arglosen Touristen das Geld zu lockern versucht wird.

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„Abgezapft und originalverkorkt …“

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Das „Intelligent“ macht es nicht besser, siehe auch Dienstag

Fazit: Es ist immer wieder bemerkenswert, für was Menschen bereit sind, sich eine Stunde lang bei Eiseskälte in eine Warteschlange zu stellen. Man muss dieses ganze Weihnachtsbrimborium schon sehr mögen, wenn man dort ein zweites Mal hinfährt. Aber ich will es nicht schlechtschreiben, der Glühwein in der Höhle schmeckte ausgezeichnet.

Sonntag: „Bonn ist Beethoven, weil Freude hier am schönsten klingt“, verkünden die Reklame- und Informationsbildschirme in der U-Bahnhaltestelle am Hauptbahnhof. Ein sehr schöner Satz, wenngleich sich mir auch nach mehrfachem Lesen und Nachdenken nicht erschließt, was er bedeutet.

„Man muss nicht immer über alles sprechen“, antwortet der Fraktionsvorsitzende der CDU, Ralph Brinkhaus, in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung auf die Frage, was uns Ostwestfalen ausmacht. Genau so ist es, dem ist nichts hinzuzufügen.

Woche 49: Mir doch egal

Montag: In Kattowitz beginnt der Klimagipfel und ich recherchiere den Begriff „Fatalismus“.

„Ist die Erde noch zu retten?“, lese ich irgendwo. Die Frage erscheint mir reichlich vermessen. Auch wenn wir uns seit einigen Jahrtausenden die größte Mühe geben, wird es uns nicht gelingen, die Erde auszulöschen, höchstens verändern wir sie vorübergehend ein wenig, für einen aus erdgeschichtlicher Sicht winzigen Zeitraum. So wie ein Schnupfen uns für gewöhnlich nicht umbringt, jedoch eine Zeit lang sehr lästig sein kann. Die Frage muss daher lauten: „Sind die Menschen noch zu retten?“ Da habe ich indes wenig Hoffnung.

Es ist wohl eine Ironie der Weltgeschichte, dass sich ausgerechnet diese hochgradig bescheuerte Spezies selbst als „Homo sapiens“ bezeichnet.

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(Quelle: PONS)

Dienstag: Über menschlichen Irrsinn, Macht und Manipulation hier ein lesenswerter Aufsatz von Paul Kaufmann.

„Besinnlichkeitsbooster“ nennt Herr Buddenbohm die jetzt wieder allgegenwärtigen Weihnachtsfeiern. Trotz Englisch-Anteil ein schönes Wort.

Mittwoch: Bleiben wir noch etwas beim Thema „menschlicher Irrsinn“. Bei Yuval Noah Harari lese ich dazu: „In den kommenden anderthalb Jahrtausenden schlachteten sich die Christen gegenseitig zu Millionen ab, weil sie die Lehre der Nächstenliebe in einigen Detailfragen unterschiedlich interpretierten.“ Na dann schöne Adventszeit.

Donnerstag: Widmen wir uns schönen Dingen. Augenscheinlich tritt die bei jungen Männern beliebte Knöchelfrei-Mode zurzeit – vielleicht jahreszeitlich bedingt – etwas zurück zugunsten besonders bunter Socken.

Freitag: In der Zeitung lese ich einen interessanten Artikel über JOMO – Joy of missing out – zu deutsch: mir doch egal. Es geht darum, sich nicht zum Sklaven der (digitalen) Medien machen zu lassen, nicht jeden Quatsch in den einschlägigen Hetzwerken zu verfolgen. Zitat: „Vieles, was wir am Smartphone tun, frisst Lebenszeit. Die sich nicht gut verbraucht anfühlt.“ Demnach bin ich, ohne es zu wissen, schon lange ein Vorreiter dieses Trends. Auf Whatsapp zugesandte Filmchen und Sprüche-Bildchen ignoriere ich konsequent, mein Facebook-Konto löschte ich bereits vor Jahren, und das Lesen der Twitter-Timeline bereitet mir schon seit geraumer Zeit keine Freude mehr. Die Tage meines Twitter-Kontos sind ohnehin gezählt.

„Das Äußerste ist da, wo nichts mehr kommt“, sagt der Geliebte. Da hat er wohl recht.

Samstag: Auf der Jagd nach Besinnlichkeit fahren die Homo sapiens heute zu tausenden mit ihren Autos in die Stadt, um sich gegenseitig anzuhupen, zu beschimpfen und unfreundlich zu Verkaufspersonal zu sein. Es fällt manchmal schwer, Menschen zu mögen.

Nicht so am Abend auf der Adventsfeier des Karnevalsvereins, wo unter anderem ehemännliche Unarten der Badbenutzung erörtert wurden wie Zähneputzen abseits des Waschbeckens, was zu folgendem Dialog führte: „Putzt du dir auch beim Kacken die Zähne?“ – „Nein, ich mache das umgekehrt. Aber ich mache es hinterher weg!“ Das wäre einen Tusch wert gewesen, diese Menschen mag ich sehr.

Sonntag: Schöner Regenspaziergang am Nachmittag. Danach Lektüre der Sonntagszeitung bei einer Tasse Tee. Dort lese ich vom App-gesteuerten Hochtechnologie-Teekocher eines bekannten Wuppertaler Haushaltsgeräteherstellers für sechshundert Euro, welcher wegen „Auffälligkeiten an der Software vereinzelter Geräte“ zurzeit nicht lieferbar ist. Meinen Tee bereitete ich hingegen mit einem klappbaren, rein mechanischen Teesieb für 3,95 Euro und einem herkömmlichen Wasserkocher mit simplem Einschaltknopf zu. Geht notfalls auch.

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Am Abend treibt uns Bratwurst-Appetit noch einmal raus auf den Weihnachtsmarkt. An einer Glühweinbude „singen“ zwei elektrisch bewegte Hirschköpfe „Last Christmas“, davor eine Anzahl Menschen, die das mit dem Telefon filmen. Ich bin unschlüssig, welches von beiden ich bekloppter finde.