Woche 47/2024: O tosendes Novemberbrausen

Montag: Morgens zeigte die Wetter-App Regen an, womit sie im Widerspruch zum Blick aus dem Fenster stand. Dort war zwar kein blauer Himmel zu sehen, aber auch kein Niederschlag oder diesen ankündigende dunkle Wolken. Vorsichtshalber nahm ich dennoch die Stadtbahn, schließlich leiste ich mir nicht Monat für Monat das Deutschlandticket, um mit nassen Hosenbeinen im Büro zu sitzen. Der Regen setzte dann erst bei Ankunft am Werk ein, ab Mittag hörte er auf, kurz zeigte sich die Sonne. Somit hätte der planmäßigen Radfahrt nichts entgegengestanden. Dafür kam ich außerplanmäßig in den Genuss eines Spaziergangs zurück, immer das Positive sehen, auch und gerade in diesen Zeiten.

Morgens in Werksnähe

„Vielleicht kannst du ein paar Bulletpoints rüberscribbeln“, sagte einer in der Besprechung, damit war mein Tagesbedarf an derlei Geschwätz gedeckt.

In der Innenstadt wurden die letzten Weihnachtsmarktbuden aufgebaut, es wurde fleißig geschraubt, geräumt und geschmückt. Die große Glühweinpyramide auf dem Friedensplatz machte schon einen trinkfertigen Eindruck, doch der Eindruck täuschte. Freitag erst können wir uns wieder am warmen Trunk laben. Bis dahin gibts zu Hause Tee, das ist auch nicht schlecht. Immer das Positive sehen.

Dienstag: O tosendes Novemberbrausen: Auch dieser Tag begann überraschend mild, doch mit Regen, deshalb war wieder die Bahn das Verkehrsmittel der Wahl. Hinzu kam eine amtliche Sturmwarnung, deren Winde nicht nur den Gebrauch des Regenschirmes erschwerten, sondern auch den Turm umwehten und ihn wie ein altes Schiff knarzen ließen, was dem Arbeitstag bei aller Büronüchternheit eine gewisse Behaglichkeit verlieh. Abends regnete und blies es noch immer, zudem hat es sich spürbar abgekühlt, was den Fußweg zurück vereitelte. Den hatte ich ja bereits gestern. Dennoch mag ich den November.

Aus gegebenem Anlass nochmals der Hinweis an die lieben Kollegen: Anliegen, die mich per Teams-Chat statt Outlook-Nachricht erreichen, werden nachrangig oder, wenn ich nicht daran denke, gar nicht beantwortet. Jedenfalls unterbreche ich deswegen grundsätzlich nicht meine aktuelle Tätigkeit. So wie es sinnlos ist, zu versuchen, mich unangekündigt in eine laufende Teams-Besprechung hinzuzuziehen.

In letzter Zeit, vielleicht aufgrund der Weltlage, begegnet mir immer wieder das Wort „Eskapismus“, dessen Bedeutung ich recherchieren musste: Die Flucht vor den Unannehmlichkeiten der Realität in Illusionen und Vergnügungen. Auch ohne Kenntnis des Wortes beherrsche ich das Prinzip schon lange recht gut, denke ich.

Mittwoch: Da es morgens und abends trocken war, holte ich den gestern wetterbedingt versäumten Fußweg ins Werk und zurück nach. Vormittags zog ein Schneegestöber auf, nachmittags noch eins, dazwischen war ab und zu auch kurz die Sonne zu sehen. Im Büro war reichlich zu tun, mit Unterbrechungen durch zahlreiche Besprechungen. Mittags gab es Graupeneintopf mit einer Mettwurst, köstlich. Zum Feierabend war noch Arbeit übrig. Die kann und muss warten bis Freitag, morgen habe ich frei.

Morgens

Auch dem Rückweg durch die Kälte, die sich kälter anfühlte als das Thermometer am UN-Campus anzeigte, wäre ich einem Glühgetränk am Rheinpavillon zugeneigt gewesen, leider ist die Bude noch nicht aufgebaut. Dennoch war die Terrasse von Lichterketten illuminiert, an der Außentheke stand eine Gruppe und trank aus Pappbechern. Augenscheinlich eine Gesellschaft, deshalb verwarf ich die Idee, mich dazu zu gesellen.

Knüller des Tages: Herr Levin hat von mir geträumt und darüber geschrieben. Meines Wissens sind wir uns noch niemals begegnet; es tut mir leid, wenn ich ihn dennoch in seinen Träumen belästigte. Jedenfalls fühle ich mich sehr geehrt und erleichtert, dass es offenbar kein Alptraum war.

Donnerstag: Heute hat Namenstag, wer Amalberg im Ausweis stehen hat, steht in der Zeitung. Das denken die sich doch aus, oder?

Trotz Inseltag stand ich zur gewohnten Werktageszeit auf, da ich mit meiner Mutter in Bielefeld verabredet war. Als Verkehrsmittel wählte ich den Bahn-Nahverkehr. Der Zug auf der ersten Etappe von Bonn nach Köln war fast leer. Das ist wenig verwunderlich, da in der Viertelstunde vor meiner Abfahrt drei weitere Züge dieselbe Strecke fuhren: die verspätete RB 26, die RB 48 und der RE 5. Warum mit meinem Zug wenige Minuten später eine weitere RB 48 auf die Reise geschickt wird, weiß ich nicht. Es ist mir ja recht, einen ganzen Zug fast nur für mich zu haben, aber vielleicht könnte man die Mittel für andere Fahrten sinnvoller ausgeben. Wahrscheinlich fehlt mir da der Überblick, um das beurteilen zu können. In Köln zeigte sich der Triebfahrzeugführer per Durchsage erfreut und überrascht über die pünktliche Ankunft, oft scheint das nicht vorzukommen.

Während der zweiten Etappe bis Bielefeld zeigte die Bahn wieder die gewohnte und erwartete Betriebsqualität mit Umleitung, Warten wegen belegter Bahnhofsgleise und Baustellen, immerhin ohne Stellwerksstörung und Verzögerungen im Betriebsablauf. Während der Fahrt wünschte der Zugbegleiter neben meinem Ticket auch einen, so wörtlich, Lichtbildausweis zu sehen, ein schönes Wort aus einer vergangenen Epoche. Mit achtzehn Minuten Verspätung erreichten wir das Ziel, damit war ich zufrieden.

Ein Hauch von Winter in Neuss

Während der weiteren Fahrt zur Mutter sah ich in der Straßenbahn schräg gegenüber ein Mädel, das an einer Spargelstange knabberte, jedenfalls sah es nach einer solchen aus, vielleicht war es auch ein anderes Gemüse. Dabei zog sie mit den Zähnen jede Faser einzeln ab. In besonders billigen Erotikfilmchen sieht man manchmal, wie zweifelhafte Damen sich lasziv oral an einer Banane zu schaffen machen, auf dass die Hormone der Hetero-Herren brodeln. Die heute beobachtete Spargelszene wäre indessen geeignet gewesen, jegliche Lust auszutreiben.

Ein Plakat bewirbt ein Mittel zur „Augenbefeuchtung der Profis“, darauf einige junge Männer abgebildet, mutmaßlich Fußballprofis, ich kenne mich da nicht aus. Profis bevorzugen zur Befeuchtung der Augen also ein Drogerieprodukt. Amateure schauen sich dafür Wahlergebnisse an.

Auch die Rückfahrt verlief zufriedenstellend. Trotz Bundespolizeieinsatz im Zug und mehreren kleinen Verzögerungen, die vom Zugpersonal immerhin detailliert erklärt wurden, war ich zur vorgesehenen Zeit wieder zu Hause .

Freitag: Morgens hatte ich eine Voicemail-Nachricht auf meinem geschäftlichen iPhone. Beim Abhören stellte sich heraus, der Anrufer hatte nicht bemerkt, dass er mit dem digitalen Tonband sprach, vielmehr wähnte er mich selbst in der Leitung: „Hallo Carsten … hörst du mich? … Hallo?“ Ich wurde stutzig, da das bereits der dritte Gesprächsteilnehmer innerhalb der letzten Tage war, dem solches widerfuhr. Um der Sache auf den Grund zu gehen, rief ich mich selbst an, und siehe beziehungsweise höre da, der Grund war bald ermittelt: Nach mehrmaligem Tuten ein kurzes Rauschen, dann hörte ich meinen von mir selbst irgendwann eingesprochenen Namen, mehr nicht. Bislang war die Namensnennung eingebunden in die automatische Ansage einer virtuellen Dame: „Hallo, hier ist die Mobilbox von [kurze Pause, dann von mir selbst gesprochen:] Carsten Kubicki [kurze Pause, wieder die Dame:] Bitte hinterlassen Sie nach dem Signalton …“ und so weiter. Bei der Voicemail-Einstellung fand ich dann unter „Begrüßung“ eine Auswahl „Standard“ und „Eigene“, die man sich dort direkt anhören kann, das Häkchen war bei „Eigene“ gesetzt. Dort kam jetzt nur noch der Name ohne den ihn umkleidenden oben zitierten Text. Unter Standard hingegen die nervig-debile Siri-Stimme, den Anrufer duzend und mit neuem Text auf die Weiterleitung hinweisend. Offenbar hat es da in jüngerer Zeit eine Änderung gegeben, von der ich nichts mitbekommen habe, weil ich mal wieder zu bequem war, mir nach einer neuen Version die ganzen Informationseinblendungen durchzulesen. Kurz war ich versucht, die Einstellung so zu belassen und mich weiterhin am irritierten Gestammel der Anrufer zu erfreuen, setzte das Häkchen dann doch auf Standard. Sollen sie sich doch das dämliche Fräulein Siri anhören.

Büroblick morgens

Beim Kiezschreiber las ich übrigens für das zwang- und dauerhafte aufs Datengerät Schauen den schönen Begriff „Handy-Hypnose“. Gefällt mir, muss ich mir merken.

Nach dem Mittagessen umtoste heftiges Schneegestöber den Turm, wodurch Vorfreude auf den heute beginnenden Weihnachtsmarkt aufkam, auch wenn das eine mit dem anderen nichts unmittelbar zu tun hat.

Abends leisteten wir unseren Beitrag zur gelungenen Weihnachtsmarkt-Eröffnung, wo wir durch unsere Kopfdeckungen gewisse Aufmerksamkeit erregten.

Foto: Christine B. (unten rechts)

Samstag: Aus der Tageszeitung: „Denn aktuell ist Brutsaison für die Trichternetzspinne, dessen männliches Exemplar die giftigste Spinne der Welt ist.“ Mittlerweile mein Lieblingsfehler.

Tagsüber hatte ich Gelegenheit, an einem Seminar teilzunehmen zur Verbesserung des Vortrags bei Lesungen. Ob es was gebracht hat, können Sie beurteilen am kommenden Mittwoch auf der Lesebühne im Limes* und am 5. Dezember hier:

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*Lesebühne im Limes am Mittwoch, 27. November ab 19:30 Uhr, Theaterstr. 2, Bonn

Apropos Bühne: Abends hatten wir einen Auftritt mit der Karnevalsgesellschaft in Wachtberg-Niederbachem. Der Liebste und ich kamen etwas spät von zu Hause los, hinzu kam dichter Straßenverkehr in der Bonner Innenstadt: Um halb sechs sollten wir uns treffen, um sechs unser Auftritt sein. Laut Frau Navi würden wir erst um kurz vor sechs ankommen. Mich macht so etwas immer sehr nervös, ich trage ein ausgeprägtes Pünktlichkeitsgen in mir, das manchmal etwas anstrengend ist. Zur angegebenen Zeit kamen wir an, hektisch holte ich die Trommel aus dem Kofferraum, setzte den Dreispitzhut auf und eilte zum Veranstaltungsort. Siehe da: Die grün-weiß Uniformierten standen ganz entspannt vor der Theke, vor uns trat noch eine andere Tanzgruppe auf, wir frühestens um halb sieben. Meine innere Hektik war umsonst gewesen. Mal wieder, muss ich ergänzen: Nur selten habe ich erlebt, dass ein Auftritt pünktlich begann. Da ist noch etwas an mir zu arbeiten.

Sonntag: Auch heute besuchte ich eine Modelleisenbahnbörse, und zwar in Bonn-Duisdorf. Meine Erwartung, dort nichts Erstehenswertes zu finden, wurde erfüllt, das ist überhaupt nicht schlimm. Hauptzweck des Ausflugs war ohnehin, nach Hinfahrt mit der Bahn, der Spaziergang zurück durch das Messdorfer Feld und über mir bislang unbekannte Wege der Weststadt.

Wie angekündigt hat es sich deutlich erwärmt von gestern noch knapp über null auf heute nicht weit unter zwanzig Grad, dazu stärkerer Wind, der Blätter fliegen und Fahnenmasten sirren lässt. Einige gehen schon wieder in kurzen Hosen vor die Tür, vor den Gaststätten sitzt man draußen. Im Messdorfer Feld lassen Eltern mit den Kindern Drachen steigen, festgehalten per Smartphone-Kamera für das digitale Familienarchiv.

Mein Rückweg führte vorbei an der Müllverbrennungsanlage und dem Heizkraftwerk, in unmittelbarer Nähe auch das örtliche Freudenhaus mit viel Rot an der Fassade. An der nächsten Straßenecke sprach mich eine junge Dame mit eindeutigen Geschlechts Geschäftsabsichten an. Ich verzichtete auf die Abgabe eines Angebotes und ging weiter meines Weges.

Es schadet nie, wenn auch Offensichtliches erklärt wird
Messdorfer Feld
Heizkraftwerk

Unterdessen war der Liebste in der Fußgängerzone und berichtete von zahlreichen Menschen, die sich enttäuscht bis empört darüber zeigten, dass der Weihnachtsmarkt am heutigen Totensonntag geschlossen ist. Nun ja: Der Markt ist geschlossen mit Rücksicht auf die religiösen Gefühle der Christen, dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Wenn man aber bedenkt, warum es überhaupt Weihnachten gibt, ist dann nicht so ein Weihnachtsmarkt mit Glühwein, Karussells, Krams- und Fressbuden überhaupt die größte denkbare Blasphemie? Nur der Gedanke eines Agnostikers, den es nicht weiter berührt.

***

Kommen Sie gut durch die Woche und den Restnovember. Wenn Sie mögen, genießen Sie den Glühwein oder was Sie bevorzugen.

Woche 21: Worte und Wünsche

Montag: Während das Pfingstwunder uns einen arbeitsfreien Tag schenkt, wundere ich mich über eine technische Neuerung in unserem Haushalt. Seit gestern wird das Licht im Bad per Bewegungsmelder gesteuert, warum auch immer. Für längere Verrichtungen bedeutet dies, immer in Bewegung zu bleiben, möchte man sie nicht im Dunkeln verrichten. Wobei das immer noch besser ist, als jedes Mal, wie jetzt schon bei der Beschallung von Küche und Wohnzimmer, mit der begriffsstutzigen Siri diskutieren zu müssen. Und doch frage ich mich, was an klassischen Lichtschaltern so verkehrt sein soll.

Beim Spaziergang kam ich an einem Maibaum vorbei, der laut Herzchenbeschriftung für „T T“ aufgestellt worden ist. Zur Ehrenrettung des Verehrers wollen wir annehmen, die Angebetete heißt Thekla-Tanja oder Tamara-Tabea, und der Birkenschmuck ist nicht nur ausgewählten Körperteilen der Dame gewidmet.

Dienstag: Kälte und Regen lähmen heute ein wenig die Lust auf detaillierte Schilderung der Tagesbeobachtungen und -ereignisse. Immerhin – der Regen legte erst nach Ankunft im Werk los und endete vorübergehend kurz vor der Rückfahrt. Auch über Mittag pausierte er und ermöglichte mir, unbeschirmt trockenen Hauptes eine Portion Rheinischen Sauerbraten aus der Togo-Kantine zu holen. Nur abends beim Laufen tröpfelte es ein wenig auf mich herab, was ich beim Laufen indes ganz gerne mag. Fazit: Mein Regenschutzengel ist zu loben.

Eine der Lausch- und Laberbüchsen, in denen Frau Siri lauert, verweigert dauerhaft und irreparabel ihre Funktion. Mein Bedauern darüber ist überschaubar, zumal in unserer Wohnung (mindestens) vier weitere derartige Geräte über unsere Worte und Wünsche wachen.

Mittwoch: Sie mögen keine Anglizismen? Da habe ich was für Sie, schon etwas älter, heute eher zufällig hier gefunden. Am besten gefallen mir „Düsenbarke“ (Jet Ski), „Verjetztlichungsstrahl“ (Live-Stream) und „Eiferkauz“ (Nerd).

Gelesen hier und für gut befunden:

Es gibt Leute, die sich in Fachgeschäften persönlich beraten lassen, anschließend nach Hause fahren und das Produkt im Internet bestellen, weil es dort 0,1 Prozent billiger ist. Ich mache es umgekehrt. Ich nutze die Seite von Lieferando, um mich über das gesamte Angebot schnell zu informieren. Dann klicke ich auf das „i“ auf der Seite des Restaurants, das ist ausgewählt habe, wähle die dort angegebene Telefonnummer und bestelle mein Essen analog. Lieferando verdient keinen Cent, ich habe die Dienstleistung der Firma kostenlos genutzt. Fühlt sich jedes Mal gut an. Wie Klingelstreich.

Donnerstag: Vergangene Nacht geträumt von Inge Meysel, wie sie aus dem Buch Jesaja liest. Hat wohl nichts zu bedeuten.

Aus einer Besprechungseinladung: „… gerne möchte ich uns in Vorbereitung zum Thema in der Überschrift einmal gleichschalten, damit wir mit (bla bla) sicher ins Ziel kommen. Auch das Thema (bla bla) können wir hier zusammen verstehen.“ Ich möchte nicht gleichgeschaltet werden.

„Ich freue mich total, dass ich dieses Projekt leiten darf“, sagte eine. Da es eine sehr große, wenn auch virtuelle Runde war, verzichtete ich auf die angemessene Entgegnung „Du sollst nicht lügen“.

„Wartet nicht auf die Wartung“, sagte eine andere. Es sind Sätze wie dieser, die mich bisweilen lächeln lassen.

Ansonsten entkam ich mit knapper Not einer Break Out Session, bevor ich erfahren musste, was das überhaupt ist.

Freitag: Heute ist laut Zeitung Tag des Hamburgers, also nicht des Hanseaten, des Einwohners von Hammonia, sondern des Hackfleischgebräts im Weichbrötchen. Auf das Kantinenangebot hatte das glücklicherweise keinen Einfluss.

Ich ließ mich bereits aus über die recht neuartige Gewohnheit, Hausrat zum Zwecke der Entsorgung vor das Haus zu stellen mit einem Zettel „Zu verschenken“ daran, anstatt ihn dem Wertstoffkreislauf anheim zu stellen. Abends bei Rückkehr vom Laufen (Sie dürfen mich gerne loben, in dieser Woche lief ich wie geplant zweimal) ging ich an einem Stuhl vorbei mit ebendiesem Hinweis. Keiner der allgegenwärtigen Monobloc-Stühle, auch nichts dolles, ein einfacher Holzstuhl halt. Doch bezweifle ich, dass er bald einen Mitnehmer fand, da ein weiterer Zettel angebracht war: „Nicht draufsetzen“.

Auch bemerkenswert:

(General-Anzeiger Bonn)

Samstag: In Bonn ist der Inzidenzwert noch immer mit um die achtzig vergleichsweise hoch, dennoch strömt alles in Läden und Gastronomie. Ich möchte nicht spaßhemmend wirken, zumal ich in den vergangenen Monaten nur weniges mehr vermisst habe als als den Besuch eines Restaurants oder Biergartens. Und doch sehe ich die nun herrschende allgemeine Öffnungseuphorie mit Skepsis. Während sich die Wirte über Gäste freuen, freut sich das Virus schon auf neue Wirte. Aber womöglich sehe ich das zu negativ, beziehungsweise positiv. Wie auch immer – wir warten noch etwas. Der Liebste hat Maibock gekauft, der lässt sich auf dem Balkon auch kurz vor Juni noch ganz gut genießen.

(Keine Werbung, für diese Abbildung erhalte ich von der Herforder Brauerei keine Zuwendung.)

Gelesen bei Frau Anje und gelacht:

„Es war ein bisschen kompliziert, weil das Kind eine sehr eigenwillige Sprache benutzte, ich also nicht verstand, was es mir erzählte. Solche Situationen kenne ich aber auch von Besprechungen mit wichtigen Personen, die erzählen auch oft wirren Kram, der niemanden interessiert, ich habe also reagiert wie ich im beruflichen Kontext in solchen Situationen auch reagiere, erst habe ich lange nichts gesagt und dann ebenfalls Blödsinn erzählt, das Kind war sehr zufrieden mit meiner professionellen Reaktion.“

Sonntag: Endlich ein Sonntag, der seinen Namen verdient. Die meiste Zeit verbrachte ich (ohne alkoholische Stimmungsaufhellung) auf dem Balkon, wo es angenehm ruhig war, mal abgesehen von den üblichen Sonntagsinnenstadtgeräuschen. Nur wenige Menschen waren in der Nachbarschaft und näheren Umgebung auszumachen, die anderen betrieben vielleicht Inzidenzwertpflege in Cafés und Biergärten.

Woche 14: Hinweise aus Friedenszeiten und funktionslose Damen am Bühnenrand

Montag: Nach zehn Jahren des Zwitscherns überdrüssig löschte ich vor gut einem Jahr mein Twitterkonto @PlanC_. Eher zufällig bemerkte ich nun, dass es unter einem neuen Betreiber wiedereröffnet wurde. Es kommt mir spanisch vor.

Zu meinen beruflichen Obliegenheiten gehört es, Verbesserungsvorschläge aus dem betrieblichen Vorschlagswesen zu begutachten. Heute musste ich wieder einen Vorschlag ablehnen, wobei ich versichere, der Name der Verfasserin war dafür nicht ausschlaggebend. Sie hieß P. Unfug.

Dienstag: „Nach 31 Jahren schafft die EU die Milchstraße ab“, lese ich in der Zeitung. Bei nochmaligem Lesen ging es doch nur um die Milchquote.

Kein Lesefehler: Zum ersten Mal lese ich „HomeOffice“, in dieser verunglückten Marketing-Schreibweise ohne Bindestrich oder wenigstens Leerzeichen. (Bindestriche erwarte ich ohnehin schon lange nicht mehr.) Irgendwann musste das ja kommen.

Nicht gelesen, sondern gehört: „Du vergleichst Äpfel mit Birnen.“ – „Obst ist Obst!“

Mittwoch: Aus einem Zeitungsbericht über den bekannten Virologen Christian Drosten, der mittlerweile den Medien mit wachsender Skepsis begegnet: „… und schließlich ist Drosten auch noch Direktor des Instituts für Virologie an der Berliner Charité. Von 2007 bis 2017 war er in gleicher Funktion auf dem Bonner Venusberg unterwegs.“ Wer hätte da kein Verständnis für seine Skepsis.

Zahlreiche Medienberichte enthalten heute übrigens den Hinweis „kein Aprilscherz“.

Donnerstag: Dieses Mal hat mich die Sommerzeit heftig getroffen: Morgens komme ich schlecht aus dem Bett, gegen 14 Uhr falle ich müde in ein tiefes Lustloch und spätestens um 20 Uhr fallen mir die Augen zu. Dabei habe ich noch die Worte eines gewissen Herrn Junker im Ohr, der da (ver)sprach: „Die Leute wollen das, und wir machen das“, gemeint war die Abschaffung der Zeitumstellung. Ob ich das noch vor meinem Ruhestand erleben werde?

Oder geregelte Arbeitstage mit mittäglichem Kantinenbesuch? Stattdessen aßen wir mit wenigen im Werk verbliebenen Kollegen zu Mittag auf dem immerhin sonnigen Bürobalkon, selbstverständlich im Stehen und unter Wahrung der gebotenen Abstände. Bei mir gabs mitgebrachte Bütterchen und Apfel, ein Kollege hatte sich überteuerte Maultaschen von einem fliegenden Händler geholt.

„Maultaschen gehen immer“, las ich auf einem Werbeplakat, als ich am späten Nachmittag kühlem Wind entgegen velocipedierte. Liebe Marketing-Kasper (oder, wenn euch das lieber ist: MarketingKasper), ich weiß nicht, wie ihr zu diesem Axiom gefunden habt, mir hingegen fielen, wenn ich mich ein wenig bemühte, zahlreiche Situationen ein, in denen Maultaschen gar nicht gehen. Hier eine kleine spontane Auswahl: beim Trompetensolo, in öffentlichen Verkehrsmitteln, während Besprechungen (soweit sie irgendwann nicht mehr nur auf telekommunikativem Wege erfolgen, sonst schon), im Theater, während einer Beerdigung (danach schon), beim Liebesspiel. Wobei, Liebesspiel, warum nicht …

Freitag: „Wir haben nur diesen einen Planeten“, sagt die Umweltministerin. Antwort des Universums: „Welch Glück.“

Noch einmal Marketing-Geschwätz: „Food ist unser Business“, las ich morgens auf dem Weg ins Werk an einem mich überholenden Lastwagen. Da verging mir sogleich der Appetit, nicht nur auf Maultaschen.

Der Sänger Bill Withers ist heute gestorben. Nicht, dass ich ein glühender Fan von ihm gewesen wäre, aber dieses Lied fand ich Ende der Achtziger aus hier nicht näher zu erörternden Gründen ziemlich gut:

(Durch die beiden zappelnden, ansonsten weitgehend funktionslosen Damen am linken Bühnenrand lassen Sie sich bitte nicht stören.)

Samstag: Heute Morgen gegen elf klang es aus der Stube: „Hey Siri, spiel Musik.“ – (Musik) – „Hey Siri, lauter.“ – (lautere Musik) – „Hey Siri, lauter.“ (noch lautere Musik) – „Hey Siri, noch lauter.“ – (ganz laute Musik. Das Telefon klingelt.) – „Hey Siri, leiser. – Hey Siri, leiser. – Hey Siri…“ Irgendwann drehe ich hier durch, und dieses Teil fliegt aus dem Fenster.

Irritierend: Während die Busse der Stadtwerke Bonn nur noch durch die hinteren Türen betreten und verlassen werden dürfen, um die Fahrer vor menschlichen Kontakten zu schützen, befinden sich an den hinteren Türen der Busse der Rhein-Sieg-Verkehrsgesellschaft nach wie vor die Hinweise aus Friedenszeiten, zum Einstieg ausschließlich die vordere Tür zu nutzen. Sind die Fahrer im Rhein-Sieg-Kreis resistenter?

Aus besseren Zeiten offenbar auch das folgende Bild in einer Werbeanzeige:

KW14

Man darf die an der Pommesbude erstandene Currywurst noch an Ort und Stelle verputzen und muss keine Abstände zu anderen Personen halten. Dabei wäre der junge Sparkassenangestellte Gerrit W. (Mitte) wohl gerade froh über etwas Distanz: Der erste warme Tag des Jahres, soeben hat er seine Mittagspause begonnen, als dieser Typ mit der gelben Jacke, der ihn schon seit Tagen wegen seiner Aktionfonds nervt, auftaucht und ihn sogleich finanzthematisch vollquatscht, weshalb W. das Plakatgrinsen nur so halbwegs gelingt. Ich fühle mit ihm.

Auch Herr B ist müde.

Sonntag: Alle Jahre wieder … Für alle, die es sich in diesem Jahr aus gegebenem Anlass nicht persönlich anschauen können:

KW14 - 1

KW14 - 1 (1)

KW14 - 1 (2)

Im Übrigen ein schöner Beweis, dass die Phrase „Danach wird nichts mehr sein wie es war“ Unfug ist.

Woche 25: Schalten Sie auch nächste Woche wieder ein

Montag: Nichts benötigt man bei Wochenanfangslaune weniger, als gefragt zu werden, ob man schlecht gelaunt sei.

Dienstag: Wenig gute Laune erzeugt auch ein Bericht in der Zeitung, wonach die neue italienische Regierung beabsichtigt, die in Italien lebenden Roma zu zählen mit dem Ziel, möglichst vielen von ihnen auszuweisen. Diejenigen mit italienischer Staatsangehörigkeit müsse das Land „leider behalten“, so der Innenminister. Das erinnert an vergangenen, dunkle Zeiten. Als Angehöriger einer anderen Minderheit, der in besagten dunklen Zeiten ebenfalls nicht gerade Wertschätzung entgegengebracht wurde, schaudert es mich beim Lesen des Artikels, auch wenn Angehörige „meiner“ Minderheit es inzwischen zu Ministern, Oberbürgermeistern und Konzernvorständen bringen. Das kann sich ganz schnell wieder ändern.

Erheiternd dagegen die Anordnung Donald Trumps, eine amerikanische Weltraumarmee zu schaffen. „Wir müssen den Weltraum dominieren“, so der Präsident. Das ist zu befürworten, vielleicht ergibt sich dadurch ja die Gelegenheit, ihn und ein paar andere auf den Mond zu schießen. „Schalten Sie auch nächste Woche wieder ein, wenn Sie Onkel Donald sagen hören …“

Besprechung am Vormittag. Bei manchen Menschen frage ich mich, woher sie die vielen Buchstaben nehmen. Hier sollte die Evolution mal eine natürliche Limitierung einrichten. Ist ja auch ein Überlebensvorteil: Wer zu viel quatscht, läuft Gefahr, gefressen zu werden. Oder erschlagen.

Mittwoch: Notierte ich vergangenen Dienstag, die Kosten für die Sanierung der Bonner Beethovenhalle beliefen sich auf neunundsiebzig Millionen Euro? Weit gefehlt, vergessen Sie es schnell. Nach neuen Erkenntnisse sind es siebenundachtzig Millionen, wie heute zu lesen ist.

KW25 - 1

An den Busfahrer der Rhein-Sieg-Verkehrsgesellschaft, der dem Fahrgast das Verlassen des Wagens an der vorderen Tür verweigerte und ihn stattdessen nach hinten schickte, weil dort nunmal der Ausstieg ist: Schön, dass es noch Menschen mit Prinzipien gibt.

Donnerstag: Trotz Desinteresse lässt es sich nicht immer vermeiden, ab und zu etwas von der Fernseh-Berichterstattung über die Fußballweltmeisterschaft mitzubekommen. Was mich als regelmäßigen und begeisterten Zuschauer der heute-Show dabei irritiert, ist die Moderation durch Oliver Welke. Noch mehr irritiert mich, als „Experten“ diesen Kahn-Titanen an seiner Seite zu sehen und nicht Olaf Schubert.

Freitag: „Berufspendler empfinden den Arbeitsweg als deutlich angenehmer, wenn sie mit ihrem Sitznachbarn plaudern“, schreibt die von mir geschätzte Psychologie Heute. Auf meine Person bezogen, möchte ich dazu den von mir ebenfalls geschätzten Eugen Roth zitieren: „Das mag vielleicht als Regel gelten / Ausnahmen aber sind nicht selten.“

Samstag: Die Digitalisierung macht unser Leben einfacher. Auch bei uns: Früher legten wir eine CD ein, wenn wir Musik hören wollten, heute diskutieren wir minutenlang mit einer unsichtbaren, schwerhörigen Dame namens Siri.

Sonntag: Nach einem gepflegten Wirkungstrinken am Vortag erschien mir heute Nachmittag ein Spaziergang angebracht. Dabei sah ich eine telefonierende Radfahrerin. Das ist an sich nichts Besonderes, sieht man doch immer mehr Radfahrer, die während der Fahrt telefonieren oder, für mich unverständlich, auf das Display schauen anstatt auf den Verkehr. Sollte ich jemals Zeuge werden, wie zwei radelnde Datensklaven ineinander fahren, könnte ich ein Grinsen wohl nicht unterdrücken. Warum ich der eingangs erwähnten Dame hier nun ein paar Zeilen widme: Die lindgrüne Telefonhülle war perfekt abgestimmt auf den gleichfarbigen Sturzhelm. Schon erstaunlich, auf was die Leute alles achten.