Woche 9/2024: Apfelbäumchen und so

Montag: Heute ist Tag der Pistazie, warum auch nicht, irgendwas ist immer. Ihre grünlichen Kerne sind wohlschmeckend und sie bieten ein gewisses Beschäftigungspotenzial, wenn man nichts zu tun hat, vielleicht an lauen Sommerabenden auf dem Balkon bei einer Flasche Rosé, nach dem Grillen; Platz für ein paar Pistazien ist immer noch, nachdem man sie aus der hölzernen Schale gepult und, wer sich die Mühe machen möchte, die bräunliche Haut abgeknibbelt hat. Auch Pistazieneis mag ich, aber bitte ohne Splitter darin, schon immer stören mich Nusskürsel in Eis, Pudding und Schokolade, ich kann das nicht erklären. Außer bei Walnusseis, da kann ich es erklären, das schmeckt mir überhaupt nicht, weder mit noch ohne Kürsel. Pistazien pule und esse ich, wenn sie auf dem Tisch stehen, weil sie jemand gekauft hat; aus eigenem Antrieb selbst welche kaufen, vielleicht extra für den Pistazienerwerb ein Geschäft aufsuchen würde ich eher nicht. Daher erscheint mir ein ihnen gewidmeter Gedenktag übertrieben.

Ansonsten erspare ich Ihnen die Schilderung von trübkühlem Regenwetter, stockendem Stadtbahnbetrieb / Arbeitseifer, latentem Erkältungsgefühl und Nachmittagsmüdigkeit.

Dienstag: Laut Radiomeldung am Morgen erwägt Frankreich, zur Unterstützung der Ukraine Bodentruppen dorthin zu entsenden. Willkommen im Dritten Weltkrieg; womöglich formuliert Putin schon eine Reisewarnung für Paris, Marseille oder Lyon. Mal lieber schnell noch ein Apfelbäumchen pflanzen.

Zurück zum profanen Alltag, solange es ihn noch gibt: Immer wieder erstaunlich, wie jemand es schafft, mit einem Thema, das sich auf einer halben Seite Text darstellen ließe, einundzwanzig Seiten Powerpoint zu füllen.

Doch ist nicht alles schlecht: Mittags in der Kantine gab es, gleichsam als Powerpointe, roten Wackelpudding mit Vanillesoße. Das lässt manches in milderem Licht erscheinen.

WordPress fragt heute: »Wenn du für einen Tag jemand anderes sein könntest, wer wärst du und warum?« Mir ist so, als hätte ich das schon mal beantwortet, mache das gerne nochmals: Ein muskulöser Pornodarsteller. Warum? Ich wüsste gerne, wie es sich anfühlt, in so einem Körper zu leben und es gegen Bezahlung in Anwesenheit einer Filmcrew vor einer Kamera zu tun. Das bleibt bitte unter uns.

Mittwoch: Jedesmal wenn einer sagt „Das ist keine Raketenwissenschaft“, geht mir einer flitzen möchte ich in die Luft gehen.

Wetter- und werkstattbedingt kam ich erst heute, nach über einer Woche, wieder dazu, mit dem Fahrrad ins Werk zu fahren. Auf dem Heimweg befuhr ich erstmals den vor allem in Kraftfahrerkreisen umstrittenen, nun auch stadteinwärts neu abgetrennten Radstreifen an der Adenauerallee, vorbei an den sich auf der ihnen verbliebenen Fahrspur stauenden Autos, was weniger an der nun fehlenden zweiten Spur liegt, vielmehr an der vorübergehenden Umleitung wegen der baustellenbedingt zurzeit gesperrten Autobahn. Auch auf zwei Streifen hätten sie sich wahrscheinlich gestaut. Wie auch immer – es radelte sich prächtig, von mir aus kann das gerne so bleiben, wobei ich anerkenne, dass man auch anderer Meinung sein kann. Dennoch werde ich wohl auch künftig überwiegend am Rheinufer entlang zurück fahren, weil es dort wesentlich schöner ist. Auch wenn es etwas länger dauert und Läufer auf dem Radweg immer wieder ein Ärgernis sind. Für sie habe ich eine neue, deutlichere Fahrradklingel montieren lassen.

Donnerstag: Der heutige 29. Februar gab mir die seltene Gelegenheit, meinen großen Bruder an seinem Geburtstag anzurufen, nicht wie sonst einen Tag vorher, was bekanntlich Unglück bringt und nicht einen danach mit dem Zusatz „nachträglich“. Übrigens sein sechzehnter.

Die Tageszeitung berichtete neulich über einen jungen, sehr erfolgreichen und hochpreisigen Bäcker in der Bonner Südstadt, der sich entschlossen hat, zum Wohle seiner Mitarbeiter und zur Vermeidung von Kündigungen die Geschäftszeiten zu kürzen. Das erzürnt Frau Ingeborg N., die uns per Leserbrief an ihrem Unmut teilhaben lässt: »Der Kunde ist ohnehin allgemein nicht mehr König, die Kunden haben das Nachsehen. Morgens gibt es bei Max Kugel außer samstags kein frisches Brot mehr und von Anfang an gab es keine Brötchen zum Frühstück. Das bedeutet einen Verlust an Lebensqualität für die Kunden, aber die des jungen Bäckers und seiner Angestellten steigt. Ist das okay?«, Ja, liebe Frau N., ist es.

Abends kam es zu einem kollegialen Umtrunk im Wirtshaus. Dabei erfuhr ich, dass der Kollege Vaterfreuden entgegensieht. So löblich es ist, trotz aller Widrigkeiten der Welt einen aktiven Beitrag zur Arterhaltung zu leisten, Apfelbäumchen und so – es gelingt mir immer weniger, mich mit den künftigen Eltern zu freuen. Erkenntnis: Rote-Bete-Schnaps schmeckt gar nicht mal so gut.

Freitag: Manchmal hilft nur bewusstes Ein- und Ausatmen und Abwarten, bis es vorüber ist. Eine lange Besprechung am Vormittag mit geringem Redeanteil meinerseits ermöglichte es mir, längere Zeit untätig aus dem Fenster zu schauen und den Raben, Elstern und Amseln am Futterteller beim Frühstück zuzuschauen. Aufgrund akuter Indisposition war ich dafür sehr dankbar.

Gleichwohl gelang es mir im Laufe des Tages, eher zufällig ein lästiges Büroproblem zu lösen. Somit habe ich mein Gehalt heute durchaus verdient.

Erkenntnisauffrischung mittags in der Kantine: Rucola ist ein unnötiges Unkraut, das in Kaninchenställen seinen Zweck erfüllen mag, jedoch nicht auf meinen Teller gehört.

Mittags Moosbetrachtung mit Mutterhaus

Kurt Kister in seiner Kolumne „Deutscher Alltag“:

»Seit Lazarus allerdings hat das Wort „revitalisieren“ eine unrühmliche Karriere gemacht. Es ist aus dem Fachjargon von Bauleuten, von denen viele verbal nicht so geschickt sind wie handwerklich, in die fast normale Sprache diffundiert, wo es mit anderen verwandten Blähwörtern (Ertüchtigung, Infrastruktur, Transformation etc.) zu Ansammlungen zusammengerottet wird, die groß klingen, aber klein sind an Sinn. […] Durch das Aneinanderreihen von Substantiven, die gerne auf -ung oder -ion enden, kann ein Klangfolgenhersteller Lautreihen erzeugen, die bei anderen Klangfolgenherstellern und Innen, also bei Projektbeauftragten, Abteilungsleiterinnen, Geschäftsführern oder AG-Koordinatorinnen, gleichzeitig Erkennen, Heimatgefühle und professionelle Müdigkeit auslösen.«

Zum gesamten Text bitte hier entlang.

Auch Herr Formschub hat lesenswerte Gedanken über Sprache aufgeschrieben.

Samstag: Ab Mittag nahmen wir teil an einer kulinarischen Stadtführung durch die Innere Nordstadt, auch als Altstadt bekannt, die ich meinen Lieben zu Weihnachten geschenkt hatte. (Also die Führung, nicht die Nord- bzw. Altstadt, bei aller Liebe.) Erstmals gebucht und verschenkt hatte ich die Tour bereits zu Weihnachten 2019, dann kam Corona, weshalb ich vom Anbieter eine Gutschrift für einen späteren Termin erhielt. Da Corona länger blieb als anfangs vermutet, war die Gutschrift inzwischen verfallen, was will man machen.

Die Tour war sehr angenehm und interessant. Mit sieben Teilnehmernden suchten wir sechs Lokalitäten auf, wo jeweils kleine Probierportionen gereicht wurden. So aß ich erstmals türkische Gözleme und war angemessen begeistert. Zwischendurch erfuhren wir durch die nette Führerin allerlei Wissenswertes über den Stadtteil, in dem wir mittlerweile seit immerhin neunzehn Jahren wohnen. Eine gewisse überregionale Bekanntheit hat er inzwischen erlangt durch die Kirschblüte, die in schätzungsweise drei bis vier Wochen wieder beginnt und die Instagram-Server sirren lässt.

Auch sonst gibt es immer wieder interessantes am Wegesrand zu entdecken, wenn man mal den Blick vom Datengerät hebt:

Foto: der Geliebte (d.h. der Fotograf, nicht das Motiv)
Laut Bundesbank befinden sich noch immer mehrere Milliarden D-Mark allein an Münzen in Bevölkerungsbesitz. Die kann man in Kürze in Bonn wieder verwenden. Man beachte auch die »Innere Altstadt«. (Foto: der Liebste)

Die Führerin (darf man das Wort überhaupt verwenden? Was sonst, wenn man nicht Guide schreiben will? Erklärdame klingt besserwisserhaft, was der freundlichen Frau nicht gerecht würde) wohnt übrigens, wie sich im Laufe des Gesprächs ergab, im selben Haus in der Südstadt, in dem ich wohnte, als ich vor fünfundzwanzig Jahren nach Bonn zog. Außerdem ist sie wie ich in Bielefeld geboren. Nach weiteren Gemeinsamkeiten traute ich mich nicht zu fragen. Zufälle gibts.

Sonntag: Der Frühling ist da mit Blütenpracht, milder Luft und Sonnenschein. Viel zu früh und viel zu warm, ist zu lesen, meine bereits vergangene Woche diesbezüglich geäußerte Vermutung wird bestätigt.

Viel zu warm war deshalb auch die weiterhin getragene Winterjacke. Dessen ungeachtet war der Spaziergang am Nachmittag erquickend. Auch zahlreiche andere zog es nach draußen, zu Fuß und zu Fahrrad; auf dem Rhein paddelte ein nur leicht bekleideter Stehpaddler mit großer Anstrengung flussaufwärts und kam dabei nur sehr langsam voran. Je nachdem wohin er wollte, dürfte mit einer späten Ankunft zu rechnen sein. Auch die ersten Düsenbarken (Jetski) brausten am sich mühenden Paddler vorbei und belästigten ihn und alle anderen mit ihrem Lärm. Der Lieblingsbiergarten hat noch geschlossen, vielleicht war das heute ganz gut und ersparte mir die Versuchung.

Über die knöchelfreie Hosenbeinmode junger Männer ließ ich mich bereits des öfteren aus, wobei ich es nicht kritisiere, viele können das durchaus tragen, nicht alle sollten es. Hier beobachte ich einen neuen Trend: Die Hosenbeine bleiben kurz, vielleicht einmal umgekrempelt wie bisher. Doch verjüngen sie sich nach unten hin nicht mehr, vielmehr bleiben sie bis zum Ende weit geschnitten und schlackern beim Gehen um die weiterhin sichtbaren Fesseln, die wie ein Besenstiel aus einem Abflussrohr staken. Jungs, glaubt dem alten Boomer: Es sieht bescheuert aus. Meine Oma nannte das früher „Hochwasserhosen“, vermutlich ein ebenso aussterbender Begriff wie Kassettenrekorder oder Videothek.

Die Sonntagszeitung berichtet über die schnelle Ausbreitung der Roten Feuerameise, deren Bisse und Stiche extrem schmerzhaft sein sollen. Unter anderem das Rheinland soll besonders prädestiniert sein als Lebensraum für die Eindringlinge, auch das noch. Das hinderte mich nicht daran, nach der Zeitungslektüre die Augen zu schließen und ein Stündchen der Dämmerung entgegen zu schlummern.

Das bereits am Montag erwähnte Erkältungsgefühl hat sich zu einer richtigen Erkältung mit Nasenpein und Hustenreiz entwickelt. Ins Büro muss ich morgen auf jeden Fall, da sich mein Rechner dort befindet und ich etwas Unaufschiebbares erledigen muss. Ob ich mich danach krank melde oder weiterarbeite, entscheide ich situativ morgen.

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Kommen Sie gut und möglichst ohne Indispositionen durch die Woche.

Woche 30/2023: Verfallserscheinungen und Restlaufzeiten

Montag: Da für heute kühleres Wetter mit Regen angekündigt war, kleidete ich mich in einen länger nicht getragenen Anzug und fühlte mich sehr wohl darin. Vorsichtshalber nahm ich morgens statt des Fahrrades die Bahn, was sich im Nachhinein als unnötig herausstellte, das kann man vorher nie wissen. Dadurch kam ich nachmittags immerhin in den Genuss eines außerplanmäßigen Fußmarsches nach Hause.

Was ich während der Arbeit höre, lautet die Tagesfrage des Blogvermieters. Falls damit Musik gemeint ist, muss die Antwort „Nichts“ lauten, außer dem tagesaktuellen Ohrwurm, der mich heute allerdings verschonte, vielleicht wegen Montagsunlust seinerseits. Ansonsten hörte ich in einer Besprechung mal wieder viel zu oft „tatsächlich“.

Vom Hören zum Sehen beziehungsweise Lesen: Mich erreichten gleich zwei Mails, bei denen weder aus dem Betreff noch dem grußlos-knappen Inhalt das Begehr des Absenders erkennbar war. Als überwiegend freundlicher Mensch fragte ich zurück, obwohl sofortiges Löschen die angemessene Reaktion gewesen wäre.

Apropos Löschen: Wenn die ARD zu den Waldbränden am Mittelmeer nach der Tagesschau einen Brennpunkt sendet, entbehrt das nicht einer gewissen Komik.

Während des Rückwegs beeindruckendes Gewölk am anderen Ufer

Dienstag: Die Landwirte im Ruhrgebiet sind halbwegs zufrieden, wurde morgens in den Radionachrichten gesagt. Ein trotz der Einschränkung bemerkenswerter Satz, den ich nie zuvor hörte; ich hätte nicht gedacht, dass das möglich ist. Von Apothekern ist derlei vorerst nicht zu erwarten, die verkünden stattdessen regelmäßig die nahende Apothekalypse.

Nachmittags erschienen zwei Mitarbeiter der Fachfirma für Jalousienangelegenheiten, um den defekten Motor zu tauschen, ich berichtete. Wie sich herausstellte, ist der Motor keineswegs defekt, vielmehr wurde die vorgelagerte Stromzufuhr als Ursache ausgemacht, wofür wiederum nicht vorhandene Elektrikerkompetenz vonnöten sei. Man gibt es weiter. Egal, zurzeit scheint die Sonne ohnehin kaum.

Twitter heißt jetzt X, sonst ändert sich nix. – Wie oft mag dieser Satz in den einschlägigen Hetzwerken schon geschrieben worden sein, wie viele Sterne, Herzchen und Daumenhochs gab es dafür? Mir egal. Für mich habe ich diesbezüglich eine Entscheidung getroffen, dieses Mal endgültig.

Mittwoch: Morgens telefonierte ich mit M., meinem früheren Bielefelder Kollegen und Chef, der heute, genau wie ein gewisser Mick Jagger, achtzig wird. Deshalb ist er, also nicht Mick Jagger, sondern der andere M., mit Frau und Hund nach Langeoog geflüchtet. Zu Hause kämen zu viele gleichaltrige Gratulanten zu Besuch, die über ihre Verfallserscheinungen und Restlaufzeiten reden, darauf hat M. keine Lust, sagte er, das kann ich gut nachvollziehen. (Ich bin übrigens etwa gleichaltrig mit Sinéad O’Connor, die heute gestorben ist, du liebe Güte.) M. ist neben Mick Jagger der wohl jüngste beziehungsweise junggebliebenste … jüngstgebliebene? – egal, Sie wissen schon, was ich meine – Achtzigjährige, den ich kenne. Wäre mir dereinst Ähnliches vergönnt, könnte ich mir vorstellen, auch so alt werden zu wollen. Aber auch nur dann.

In der Kantine gab es Mittags an der Vegantheke Eintopf mit Sonnenblumenhackfleisch. Dürfen die das wirklich „Fleisch“ nennen? Ich entschied mich stattdessen für Nudelauflauf mit Käsesoße. Nicht vegan, immerhin fleischlos.

Donnerstag: Da es von morgens an bis in den Nachmittag hinein regnete, endete der planmäßige Fußmarsch ins Werk bereits an der Stadtbahnhaltestelle, von wo aus mich die Bahn trocken, pünktlich und für die Tageszeit erstaunlich leer in Werksnähe brachte.

Mittags wurde Kollege D. in größerer Runde in den Ruhestand verabschiedet, mit Kaltgetränken und Bochumer Currywurst, daher entfiel der übliche Kantinengang. Leider zogen sich die Lobes- und Dankesreden der Chefs und des zu Verabschiedenden hin, so dass mir bis zur nächsten Besprechung nur noch eine Viertelstunde blieb für den Verzehr eines Schälchens Wurst und ein wenig Nudelsalat.

Zu Arbeitsende hatte der Regen nachgelassen, deshalb ging ich zu Fuß nach Hause, wenigstens das. Im Gegensatz zur herbstlichen Kühle am Morgen war es trotz weiterhin dichter Wolkendecke recht warm geworden. Unterwegs meldete sich der kleine Hunger als Folge des schmalen Mittagsmahls, der sich im weiteren Verlauf zu einem unverhandelbaren Appetit (oder Jieper, wie es auf Dummdeutsch heißt) auf ein Stück Kuchen entwickelte. Daher suchte ich am Marktplatz den beschirmten Außenbereich eines Cafés auf, wo ich ein Stück Apfelkuchen und eine Tasse Kaffee bestellte; letzteres ein kleines Experiment, ob die Bestellung mit dem klassischen Hinweis „draußen nur Kännchen“ abgewiesen wurde. Aber nein, Kaffee und Kuchen wurden wie gewünscht serviert und der kleine Hunger vorläufig gestillt.

Freitag: „Ich habe das mal angehangen.“ Was immer wieder auffällt: Viele können nicht die transitive und intransitive Form des Verbs „hängen“ unterscheiden und sie jeweils korrekt anwenden. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es immer kann.

Werbung:

Manchmal riecht man es

Gehört: „Du musst mehr unter Menschen.“ – „Ich bin bei euch.“ – „Das ist nicht unter Menschen.“ – Und das: „Was du pupst ist mein Deo.“

Samstag: Besuch der Mutter in Bielefeld, dank Deutschlandticket mit dem Bahn-Nahverkehr. Die Hinfahrt lief trotz baustellenbedingter Umleitung perfekt, abgesehen von einer schwäbischen Dame, die sich neben mich setzte und das Gespräch suchte, aufgrund meiner ostwestfälischen Abneigung gegen Gespräche mit Fremden jedoch nicht fand und bald einen anderen Platz wählte.

Wie sich auf der Rückfahrt zeigte, verstehen es neben der Deutschen Bahn auch andere Anbieter, hier National Express, die Kunden durch originelle Einlagen zu überraschen. Bei Ankunft des Anschlusszuges in Hamm war der hintere Zugteil verschlossen, was zahlreiche Reisewillige nicht davon abhielt, trotz des augenscheinlich leeren Wagens längere Zeit auf den Türaufknopf zu drücken, ehe sie nach vorne eilten, wo sich durch die fehlenden Plätze eine gewisse Füllung einstellte. Mir selbst gelang es, einen der letzten Sitzplätze zu bekommen und das, da ich über fünfzig bin, ohne schlechtes Gewissen.

In Hagen blieben wir längere Zeit wegen einer technischen Störung stehen, irgendwas mit den Bremsen, so die Durchsage des Triebfahrzeugführers. Nach etwa einer Viertelstunde ging es weiter ohne weitere Beeinträchtigungen. Zum Glück erwachte nicht der Ohrwurm „Der Zug, der Zug, der Zug hat keine Bremsen“.

Aus der Zeitung: Herr Dr. Heinz-Lothar B. lehnt das bedingungslose Grundeinkommen ab, wie er in einem Leserbrief kundtut, unter anderem deshalb: »Der Arbeit kommt außerdem in christlicher Tradition eine eigene Würde zu.« Wer wundert sich da über zunehmende Kirchenaustritte.

Gibt es eigentlich ein Wort dafür, wenn man gerade etwas liest, schreibt oder nur denkt, und im selben Moment hört man es jemanden im Hintergrund sagen? Also ein anderes als Zufall?

Sonntag: Während des Spaziergangs hörte ich eine junge Frau in bestem Deppendialekt in das flach vor den Mund gehaltene Telefon sagen: „Respekt muss man sisch verdienen. Ey warum hast du kein Respekt vor mir.“ Ja, warum.

Statt weiterer Worte Bilder:

DAS ist mal eine Aussage
An diesem Wochenende sind die Bonner aufgerufen, Fotos von Straßenkunst zu machen, die jetzt aus irgendwelchen Gründen Streetart genannt wird. Daran beteilige ich mich gerne.
Oft sind es kleine Zeichen am Wegesrand, die die Vermutung stärken, dass der dauerhafte Fortbestand dieser Spezies ernsthaft gefährdet ist

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Kommen Sie gut durch die Woche.

Woche 35/2022: Paketdienstleisterinnen dürfen sich gerne mitgedacht fühlen

Montag: Immer noch in Bielefeld, ging ich den Geschäften bis mittags vom Gästezimmer meiner Mutter aus nach. Heimarbeit an sich fühlt sich für mich schon grundfalsch an, diese Variante indes erschien geradezu absurd. Aber besondere Situationen erfordern besondere … Sie wissen schon.

Nachmittags reiste ich weiter nach Celle, wo der Zug unfassbar pünktlich ankam; ist doch schön, wenn man die Bahn mal loben kann. Nach Ankunft schien die Sonne schon wieder heiß, insbesondere auf die schattenfreie Bushaltestelle, wo meine Kollegin und ich auf den Bus zum etwa fünf Kilometer entfernten Hotel warteten. Als der auch zehn Minuten nach planmäßiger Abfahrtszeit nicht kam, beschlossen wir, zu Fuß zu gehen, was dank fortschreitender Knieheilung problemlos möglich war und uns einen unerwartet schönen Gang durch Maisfelder bescherte. Auch das ist zu loben.

Nur Experten können Futtermais (links) von Popcornmais unterscheiden

Dienstag: „Vielen Dank für Ihre E-Mail“, so die Einleitung einer Abwesenheitsmeldung, die mich erreichte. Immer diese Verlogenheit.

Träumen Sie auch manchmal von Banketten?

Zum Feierabend ging ich spazieren durch einen Kiefernwald. Dort kam mir ein Mann mit zwei großen, immerhin angeleinten Hunden entgegen, der freundlich grüße, im Gegensatz zu seinen mich anknurrenden Hunden.

Kurz vor der Hundebegegnung

Mittwoch: Die Rückfahrt aus Celle gestaltete sich unter Berücksichtigung des üblichen Bahnsinns – Zugausfall, Verspätung, 9-Euro-Finale – recht angenehm.

Wat mutt dat mutt

Ich freue mich sehr auf die kommenden fünf Nächte im eigenen Bett, ehe ich am Montag zur nächsten und vorläufig letzten Dienstreise aufbreche.

Gelesen in der Zeitung: »Die Nosferatu-Spinne hat acht Beine, ist gelb-bräunlich gefärbt, wird bis zu fünf Zentimeter groß und ist derzeit in aller Munde – nicht zuletzt, weil sie giftig ist.« Was lernen die heute auf den Journalistenschulen?

Donnerstag: Heute diene ich seit sechsunddreißig Jahren meinem Arbeitgeber, noch immer überwiegend recht gerne. Mutmaßlich unabhängig davon gab es am Werk nach langer Zeit wieder ein Sommerfest mit frei Essen und Trinken. Es war sehr schön, Kollegen zu treffen, die man teilweise seit Jahren nicht mehr gesehen hat, bei der einen mehr, dem anderen weniger. Erschreckend: Zu manchen, mit denen ich früher regelmäßig zu tun hatte, ist mir der Name komplett entfallen.

Auf dem Rückweg schlug die Motivklingel des Datengeräts an

Gelesen:

»Auch bei fehlender Ware, die per Retoure unterwegs war, steht der/die Händler*in vor einem Problem. Diese*r muss sich darum kümmern und sich gegebenenfalls mit dem Paketdienst auseinandersetzen. Das Geld für die zurückgegebene Ware muss dem/der Käufer*in erstattet werden, wenn der/die nachweisen kann, die Retoure ordnungsgemäß auf den Weg zurückgebracht zu haben. Damit also Kunden und Kundinnen im Fall einer fehlenden Retoure ihr Geld zurückerhalten, müssen sie den/die Anbieter*in und nicht den Paketdienstleister kontaktieren.«

Bild der Frau online vom 31.8.2022

Paketdienstleisterinnen dürfen sich gerne mitgedacht fühlen.

Freitag: Aus mir entgangenen Gründen ergänzt seit heute ein Brotbackautomat unseren häuslichen Maschinenpark. Er wurde von den Lieben sogleich unter Verwendung einer Kürbiskern-Backmischung in Betrieb genommen. Man darf gespannt sein: erstens auf das Produkt, zweitens die Nutzungsdauer des Gerätes, ehe es in den Keller zieht.

Der im Friseurgeschäft meines Vertrauens beschäftigte Inhabersohn darf sich nun mit dem Titel „CEO Herrensalon“ schmücken, wie der digitalen Präsenz zu entnehmen ist. Haarsträubend.

Samstag: Das Brot schmeckte ausgezeichnet. Ansonsten verlief der Tag in angenehmer Samstäglichkeit ohne bloggenswerte Beobachtungen, Ereig- oder -kenntnisse.

Sonntag: »Dieser Winter wird sommerlich«, wirbt am Wegesrand ein Plakat für eine vierzehntägige Kreuzfahrt in die Karibik. Ja, das ist gut möglich, nicht zuletzt wegen solcher Kreuzfahrten.

Etwas über die mannigfachen Verwendungsmöglichkeiten von Schokobrunnen erfahren Sie hier.

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Ich wünsche Ihnen eine angenehme neue Woche.

Woche 28/2022: Zwischen den Wellen

Montag: Manchmal muss man aus Routinen ausbrechen. Entgegen der Gewohnheit ging ich bereits heute zu Fuß ins Werk, in der Hoffnung, ein längerer Gang durch die Morgenfrische würde des Montags Müdigkeit mildern. Was den gewünschten Effekt betrifft: ging so.

Vergangene Woche beschrieb ich im Zusammenhang mit einem Friseurbesuch mein Unbehagen, das allzu Offensichtliche auszusprechen. Heute erschien beim Öffnen eines neuen Internet-Tabs das vermutlich von Microsoft so eingerichtete Bild eines Eisberges, dazu dieser Hinweis:

Manchmal weiß ich wirklich nicht, was ich dazu sagen soll.

Auf dem Rückweg ging ich hinter dem Mutterhaus an einem vorbei, der Tenorhorn übte, weithin gut hörbar, beziehungsweise nicht gut; er mühte sich immer wieder mit einer kurzen Tonfolge ab, die nicht recht gelingen wollte, auch nicht bei der werweißwievielten Wiederholung. Ob es Teil eines Liedes war oder eine Etüde, war nicht zu erkennen. Ebenfalls nicht, warum er ausgerechnet dort übte statt im Schallschutz des heimischen Kellers. Vielleicht haben die Nachbarn auf Unterlassung geklagt oder der Vermieter mit Beendigung des Mietverhältnisses gedroht, wundern würde es nicht. Er muss noch viel üben. Oder besser Briefmarken sammeln.

Das Wetter zeigte sich tagsüber trübe, erst am Abend heiterte es auf und bildete auf diese Weise meine persönliche Stimmung ziemlich genau ab.

Dienstag: Gegen 14 Uhr ist die Arbeitsunlust am größten. Dann rief auch noch ein ehemaliger Kollege an und schwärmte vom Ruhestand. Als er fragte, wie lange ich noch zu arbeiten habe, kamen mir die Tränen und die Lippen begannen zu zittern.

In einem Artikel der PSYCHOLOGIE HEUTE über Alter und Eintritt ins Rentenalter las ich von „Firmenpatriarchen und -patriarchinnen.“ Patriarchinnen? Ein weiteres Mosaiksteinchen im Bild einer Welt, die immer weniger meine ist.

Oder dieses: Die Zeitung berichtet über einen vierzigjährigen Wanderer, der vom Rhein-Sieg-Kreis einen Bußgeldbescheid über mehr als zehntausend Euro erhalten hat. Grund: Bei seinen Wanderungen verstieß er immer wieder gegen Naturschutzbestimmungen, indem er gesperrte Wege benutzte, in Schutzhütten übernachtete, im Wald Feuer entfachte und mutwillig einen Feuersalamander und eine Spinne beunruhigte. Über all das berichtete er umfassend auf Youtube, was der behördlichen Beweisführung sehr entgegenkam. Bei Reue hätte man ihm einen Nachlass gewährt, indes: „Ich bin es leid, mich zu verbiegen und die geforderte Einsicht und Reue zu zeigen“, so der vom rechten Wege Abgekommene. Weiter: „Es kann aber auch nicht sein, dass man erst Verordnungen lesen muss, bevor man einen Wald betritt.“ Ich finde es einmal mehr unerträglich, wie Medien Menschen, die sich nicht an Regeln halten wollen und deswegen zur Rechenschaft gezogen werden, Gelegenheit geben, sich als Opfer darzustellen.

Mittwoch: Wie der heutigen Wikipedia-Startseite zu entnehmen ist, starb vergangenen Sonntag im Alter von 69 Jahren ein „kanadischer Rockeranführer und Verbrecher“. Bemerkenswert, mit welchem Lebenswandel man es auf die Wikipedia-Startseite schafft. Doch wer weiß, vielleicht steht dort dereinst, wenn für mich die Zeit gekommen ist: „Carsten K., erfolgloser und weitgehend unbeachteter Kleinblogger“.

»Ich könnte heulen vor Wut!«, so endet ein Kommentar in der Berliner Zeitung. Dabei ging es nicht um den russischen Angriff auf die Ukraine oder die beharrliche Weigerung der FDP, Vernunft anzunehmen, vielmehr wurde die Schließung zweier Postfilialen beklagt. Heul doch, möchte man da antworten.

Donnerstag: Zu Fuß ins Werk, wie jeden Donnerstag.

Morgendliche Rheinruhe
Wenn es doch so einfach wäre
Das Geheimnis meiner Schönheit
Um Gottes Willen

In der Zeitung ein weiterer Artikel über den Dienstag genannten Falschwanderer, dieses Mal etwas kritischer, vielleicht haben sie es selbst gemerkt. In diesem Zusammenhang ist das Wort „Outdoorer“ zu lesen, was vermutlich soviel wie Freiluftinfluencer bedeutet. Die Verwendung solcher Wörter sollte auch bußgeldbewehrt sein.

Ich habe mir übrigens einen lang gehegten Wunsch erfüllt, beziehungsweise seine Erfüllung in die Wege geleitet: Ende September werde ich eine viertägige Alleinzeit am Niedersonthofener See im Allgäu verbringen, wo unsere Familie bis in die Achtziger häufig Urlaub machte. Darauf freue ich mich sehr und bin gespannt, was sich dort seitdem verändert hat, und was nicht. In letztere Kategorie fällt hoffentlich der allgegenwärtige leichte Kuhdungduft, ohne den das Allgäu für mich undenkbar wäre.

Freitag: Dieses Layla-Lied, über das sich gerade empört wird, kenne ich nicht, und das zu ändern liegt nicht in meiner Absicht. Es interessiert mich einfach nicht. Im Übrigen verstehe ich die Aufregung nicht. Der Anteil der Liedtexte, die in fragwürdiger Weise körperliche Reize preisen, dürfte erheblich sein, ohne dass daran nennenswert Anstoß genommen wurde und wird.

Gelesen in der PSYCHOLOGIE HEUTE über Hochbegabte: »Das Erdulden von Geschwätz erzeugt bei ihnen immense innere Spannung.« Bin ich hochbegabt? Aber in was nur?

Samstag: Aus Gründen familiärer und freundschaftlicher Kontaktpflege reiste ich nach Bielefeld, man muss diese Zeit zwischen den Wellen nutzen. Bei der Gelegenheit komme ich nicht umhin, den Schienenpersonennahverkehr zu loben: Die Bahnen waren pünktlich und nicht überfüllt.

„Alles wird schlechter“, hörte ich hinter mir jemanden ins Telefon sprechen, der am Düsseldorfer Flughafen zugestiegen war und seine Gesprächspartnerin davon in Kenntnis setzte, dass sein Gepäck nicht mitgeflogen war und sich noch in München befand.

Das sah der Vater einer dreiköpfigen Familie vermutlich anders: Immer wieder zeigte er sich begeistert von dem modernen Zug, der Anzeige der Anschlüsse vor dem nächsten Halt auf dem Monitor und der (funktionieren) Klimaanlage. Vielleicht war er zum letzten Mal Zug gefahren, als die Bahn den Nahverkehr noch mit Silberlingen abwickelte.

Flickwerk in Duisburg

In Essen ist an einem Gebäude der Stadtwerke der Schriftzug »Wohlfühlwärme von STEAG« zu lesen. Hoffentlich noch recht lange, möchte man eingedenk der aktuellen Entwicklung hinzufügen.

Kurz vor Rheda-Wiedenbrück mahnte der Triebfahrzeugführer per Lautsprecherdurchsage einen Fahrgast, der offenbar Freude daran hatte, immer wieder den Knopf für die Anforderung einer Rollstuhlrampe zu betätigen: „Dieser Zug ist ein Beförderungsmittel und kein Abenteuerspielplatz.“ Ein Satz aus Kindertagen: Oft, wenn wir uns irgendwo aufhielten, wo es einem Erwachsenen nicht genehm war, auf einer Baustelle oder so, wurde uns beschieden „Hier ist kein Spielplatz.“ Lange nicht gehört.

Vor Gütersloh sagte mein Sitznachbar ins Telefon: „Die Aufgabenstruktur soll ziemlich geil sein.“ Ein ebenso bemerkens- wie notierenswerter Satz.

Sonntag: Am Vormittag besuchte ich kurz die Dampfkleinbahn, die nach zweijähriger Zwangspause wieder fährt.

Lok 7 „Gustav“, Baujahr 1949, baustellenbedingt (auch bei der Kleinbahn wird gebaut) auf der sonst planmäßig nicht mehr befahrenen Oststrecke zwischen Mühlenstroth-Postdamm und Mühlenstroth-Forst

Danach trat ich ab Gütersloh die Heimreise nach Bonn an mit einer Bahn, die wesentlich stärker ausgelastet war als die Dampfkleinbahn. „Es zwingt Sie niemand, sich für neun Euro in überfüllte Züge zu quetschen“, sagte ein offenbar genervter Triebfahrzeugführer per Lautsprecher, nachdem er Fahrgäste aus der ersten Klasse verscheucht hatte. Er schien noch nicht völlig überzeugt von dem aktuellen Angebot der Bundesregierung.

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Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche, möglichst in Wohlfühlwärme statt allzu großer Hitze.

Woche 27: Einfach nur sitzen und kucken – Brückenlimbo und Silberlocken

Montag: Zwei Wochen Urlaub, wie schön. Entgegen sonstiger Gewohnheit werden wir die Zeit nicht in Südfrankreich verbringen, nicht wegen der Seuche, sondern wegen schlechter Erfahrungen im Vorjahr mit der Hitze, die uns zum vorzeitigen Abbruch zwang. Was wir stattdessen tun, darüber berichte ich ab morgen.

„Es gibt keinen Plan“, ist in diesem Aufsatz zu lesen, den ich Ihnen empfehle. Sein Fazit: „Das heißt, Sie können einfach machen, was immer Sie wollen. Auch wenn es zu Fehlern führt. Das macht überhaupt nichts, denn Sie haben zwar keinen Plan – die anderen alle aber auch nicht. Es fällt nicht weiter auf. Machen Sie einfach irgendwas.“

Womöglich hat unser Nachbar gegenüber den Aufsatz ebenfalls gelesen und verinnerlicht. Von Beruf ist er Lehrer, was keinesfalls ab- oder in sonstiger Weise wertend gemeint ist, vielmehr soll es nur als Erklärung dienen, warum auch er Urlaub hat. Seit Stunden hämmert, sägt und flext er auf seiner Terrasse herum, ohne dass der Zweck seines Tuns erkennbar wäre.

Ob die Verfasserin des umstrittenen Artikels in der „taz“, der die Entsorgung von Polizisten auf Mülldeponien empfiehlt, ebenfalls einen Plan verfolgte oder einfach nur von allen guten Geistern verlassen ist, weiß ich nicht. Dabei gebe ich zu bedenken: Müll landet heute üblicherweise nicht mehr auf Deponien, sondern in Müllverbrennungsanlagen. So weit wollte sie dann vielleicht doch nicht gehen. Laut Zeitungsbericht sieht sie sich inzwischen heftigen Schmähungen und Bedrohungen ausgesetzt. Das heiße ich selbstverständlich nicht gut, kann es allerdings nachvollziehen.

Dienstag: Der Liebste und ich stachen heute in See, oder besser: in Fluss; statt Südfrankreich dieses Jahr eine Woche auf Rhein und Mosel. Ab 14 Uhr war am Bonner Ufer die Einschiffung, ein Wort, das ein wenig an Inkontinenz erinnert, was mit einer gewissen Boshaftigkeit eine passende Überleitung auf das Durchschnittsalter der Mitreisenden wäre, das wie erwartet erkennbar über unserem liegt, oder, wie der Geliebte es in der ihm eigenen Charmanz ausdrücken würde: „Kommen die alle zum Sterben hierher?“

Da unser Schiff, die „Andrea II“, nagelneu ist, wurde sie heute erst getauft. Die Champagnerflasche zerschellte auf Anhieb an der vorgesehenen Stelle, ohne größeren Schaden anzurichten, wodurch die allzeit eine Hand breit Wasser unter dem Kiel hoffentlich mindestens für die nächsten sieben Tage gewährleistet ist.

Zur Sicherheitsbelehrung wurde Sekt gereicht (auch für den Kapitän). Da kann man nicht meckern, was selbstverständlich manche nicht davon abhalten wird, es dennoch zu tun.

Pünktlich um 19 Uhr legten wir ab. Dem Kalenderseitenspruch „Auch jede große Reise beginnt mit einem kleinen Schritt“ folgend endete die erste Etappe bereits nach einer Stunde in Königswinter (nicht davor und nicht dahinter, ha ha), wo wir einen kurzen Landgang auf ein Glas Wein machten.

Bis jetzt zwei kleine Kritikpunkte. Erstens: Zum Essen wurde uns ein Vierertisch zugewiesen, was meiner westfälischen Abneigung, mich mit fremden Leuten unterhalten zu müssen, zuwiderläuft, wobei anzumerken ist, unsere Tischnachbarn, ein Paar aus Bayern, sind sehr nett. Zweitens: Frühstück gibt es nur bis 9:30 Uhr, was ein für Urlaubsverhältnisse unangemessen frühes Aufstehen erfordert.

Nachts um zwei legten wir in Königswinter ab, nächster Halt: Braubach.

Mittwoch: Vergangene Nacht träumte ich erst von intensivem Maschinenlärm im Norden von Gütersloh, der bis Bielefeld zu hören war, dann vom lauten Abbruch eines Wohnblocks neben meinem Elternhaus, begleitet von äußerst lustigen Dialogen der Abbrucharbeiter, die ich leider nicht wiedergeben kann, da vergessen. Interessanterweise spielt noch immer ein großer Teil meiner Träume in Bielefeld, und es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis auch die für die Traumerzeugung zuständige Hirnregion endlich im Rheinland ankommt. Grund für die geräuschthematischen Träume war übrigens das recht laute Brummen des Schiffs, das sich nachts stromaufwärts gen Braubach kämpfte. Daran muss ich mich noch etwas gewöhnen, oder zur Schlafvorbereitung ein Glas Wein mehr trinken.

Nach dem Frühstück machten wir einen kurzen Spaziergang durch Braubach, danach begaben wir uns auf das Sonnendeck, wo sich ein Mitreisender darüber empörte, dass kein Kellner heraufkommt. „Dann muss du eben unten bescheid sagen“, sagte seine Begleitung. „Das ist für mich nicht interessant“, seine Antwort. Einer hat halt immer was zu pissen.

Aus der Zeitung: „Jetzt müssen und können wir beweisen, dass Karneval auch ohne Alkohol und laute Musik geht“, sagt die Präsidentin des Festausschusses Bonner Karneval. Karneval ohne Alkohol und Musik. Das ist einen Tusch wert, wenn nicht gar eine Rakete.

Gegen zwölf Abfahrt nach Rüdesheim. Alle paar Meter eine Burg oder Ruine, dazu Erklärungen aus dem Bordlautsprecher. Wenn man hört, wann die von wem und wozu errichtet und wieder zerstört wurden, kann man nur zu dem Schluss kommen, früher waren die Menschen nicht weniger bekloppt als heute, nur anders.

Erkenntnis zu Rüdesheim: Wenn in ohnehin deprimierenden Touristenorten die Touristen ausbleiben, wirken sie nochmal so deprimierend. Dennoch hielten wir Einkehr für einen vorzüglichen Riesling.

(Die berühmte, sonst menschendurchtoste Drosselgasse)

Das Fotografierverbot, das ich erst jetzt bemerke, könnte ein Hinweis darauf sein, wie sehr man sich selbst schämt, so einen Unrat zu verkaufen.

Donnerstag: In den frühen Morgenstunden fuhr das Schiff nach Koblenz, wo es am Peter-Altmeier-Ufer festmachte. Falls Sie sich wundern wie ich zunächst: Nicht der amtierende Wirtschaftsminister ist Namensgeber, sondern ein früherer Ministerpräsident, wie der Liebste zu recherchieren so freundlich war.

Ansonsten gehen in Koblenz die Uhren anders.

Mittags setzten wir die Reise fort über die Mosel bis Cochem. Ich kann stundenlang oben auf dem Aussichtsdeck sitzen und, ob sonnenbestrahlt oder windumpustet, nichts weiter tun als in die Gegend zu kucken. Wenn man damit Geld verdienen könnte, gerne auch hauptberuflich.

Im Übrigen gilt für die touristische Attraktivität von Cochem ähnliches wie für Rüdesheim. Grundsätzlich sind das schöne Orte. Leider wurden deren Grelle und Lautstärke viel zu weit aufgedreht.

Freitag: Am Morgen Weiterfahrt in Richtung Trier. Einfach nur sitzen und kucken.

(Brückenlimbo in Bullay)

Eine Runde Extrem-Brückenlimbo in Wehlen:

Die Präzision, mit welcher der Schiffsführer die zahlreichen Schleusen durchfährt mit jeweils nur wenigen Zentimetern Platz zu den Seiten, ist bewundernswert. Vermutlich würde er auch ziemlich großen Ärger mit dem Eigner bekommen, wenn er in das neue Schiff eine Macke fährt.

Ankunft im Industriehafen zu Trier zwei Stunden vor Plan. Auch schön hier.

Samstag: Hier und da Unmutsäußerungen der Mitreisenden ob des wenig pittoresken Liegeplatzes im Hafen, fern der Trierer Innenstadt, die immerhin mit einem vom Veranstalter organisierten Bustransfer zu erreichen ist. Oder: „Aufstand der Silberlocken“, wie der Liebste es treffend ausdrückt.

Mir bereitet es unterdessen keinerlei Verstimmung, wenn beim Sitzen und Kucken der Blick nur auf ein Hafenbecken mit wenig Betrieb fällt. „Hafen Trier – unser Hafen bringts!“, steht an einem hohen Bunker. Ein Satz, der zum Nachdenken anregt.

Nachmittags Bus-Ausflug nach Luxemburg. Augenscheinlich eine sehr schöne Stadt, die wir nochmals besuchen wollen, gerne auch ohne eine geführte Tour, also mit mehr sehen, weniger hören. Bei Stadtführungen wird für für meinen Geschmack ja generell zu viel erzählt und zu wenig gegangen. Alle paar hundert Meter bleibt man stehen, da ist dann irgendein bedeutendes Bauwerk, eine geschichtsträchtige Gaststätte, eine wichtige Kirche oder ein Denkmal, und man wird mit wenig merkenswerten Fakten beworfen. Immerhin weiß ich nun, dass die Luxemburgische Flagge rot-weiß-himmelblau ist. Himmel-, nicht hellblau; hellblau kann ja jeder.

Sonntag: Aufgewacht in Bernkastel-Kues, wo freundlicherweise schon für uns geflaggt wurde.

Das Wetter zeigte sich zunächst leicht betrübt, die persönliche Stimmung indessen bestens.

Weinanbau, so weit das Auge reicht. Wie würde man das einem Außerirdischen erklären?

Wurde eigentlich schon untersucht, warum einander fremde Menschen winken, sobald sich ein Teil von ihnen auf einem Schiff befindet?