Woche 35/2022: Paketdienstleisterinnen dürfen sich gerne mitgedacht fühlen

Montag: Immer noch in Bielefeld, ging ich den Geschäften bis mittags vom Gästezimmer meiner Mutter aus nach. Heimarbeit an sich fühlt sich für mich schon grundfalsch an, diese Variante indes erschien geradezu absurd. Aber besondere Situationen erfordern besondere … Sie wissen schon.

Nachmittags reiste ich weiter nach Celle, wo der Zug unfassbar pünktlich ankam; ist doch schön, wenn man die Bahn mal loben kann. Nach Ankunft schien die Sonne schon wieder heiß, insbesondere auf die schattenfreie Bushaltestelle, wo meine Kollegin und ich auf den Bus zum etwa fünf Kilometer entfernten Hotel warteten. Als der auch zehn Minuten nach planmäßiger Abfahrtszeit nicht kam, beschlossen wir, zu Fuß zu gehen, was dank fortschreitender Knieheilung problemlos möglich war und uns einen unerwartet schönen Gang durch Maisfelder bescherte. Auch das ist zu loben.

Nur Experten können Futtermais (links) von Popcornmais unterscheiden

Dienstag: „Vielen Dank für Ihre E-Mail“, so die Einleitung einer Abwesenheitsmeldung, die mich erreichte. Immer diese Verlogenheit.

Träumen Sie auch manchmal von Banketten?

Zum Feierabend ging ich spazieren durch einen Kiefernwald. Dort kam mir ein Mann mit zwei großen, immerhin angeleinten Hunden entgegen, der freundlich grüße, im Gegensatz zu seinen mich anknurrenden Hunden.

Kurz vor der Hundebegegnung

Mittwoch: Die Rückfahrt aus Celle gestaltete sich unter Berücksichtigung des üblichen Bahnsinns – Zugausfall, Verspätung, 9-Euro-Finale – recht angenehm.

Wat mutt dat mutt

Ich freue mich sehr auf die kommenden fünf Nächte im eigenen Bett, ehe ich am Montag zur nächsten und vorläufig letzten Dienstreise aufbreche.

Gelesen in der Zeitung: »Die Nosferatu-Spinne hat acht Beine, ist gelb-bräunlich gefärbt, wird bis zu fünf Zentimeter groß und ist derzeit in aller Munde – nicht zuletzt, weil sie giftig ist.« Was lernen die heute auf den Journalistenschulen?

Donnerstag: Heute diene ich seit sechsunddreißig Jahren meinem Arbeitgeber, noch immer überwiegend recht gerne. Mutmaßlich unabhängig davon gab es am Werk nach langer Zeit wieder ein Sommerfest mit frei Essen und Trinken. Es war sehr schön, Kollegen zu treffen, die man teilweise seit Jahren nicht mehr gesehen hat, bei der einen mehr, dem anderen weniger. Erschreckend: Zu manchen, mit denen ich früher regelmäßig zu tun hatte, ist mir der Name komplett entfallen.

Auf dem Rückweg schlug die Motivklingel des Datengeräts an

Gelesen:

»Auch bei fehlender Ware, die per Retoure unterwegs war, steht der/die Händler*in vor einem Problem. Diese*r muss sich darum kümmern und sich gegebenenfalls mit dem Paketdienst auseinandersetzen. Das Geld für die zurückgegebene Ware muss dem/der Käufer*in erstattet werden, wenn der/die nachweisen kann, die Retoure ordnungsgemäß auf den Weg zurückgebracht zu haben. Damit also Kunden und Kundinnen im Fall einer fehlenden Retoure ihr Geld zurückerhalten, müssen sie den/die Anbieter*in und nicht den Paketdienstleister kontaktieren.«

Bild der Frau online vom 31.8.2022

Paketdienstleisterinnen dürfen sich gerne mitgedacht fühlen.

Freitag: Aus mir entgangenen Gründen ergänzt seit heute ein Brotbackautomat unseren häuslichen Maschinenpark. Er wurde von den Lieben sogleich unter Verwendung einer Kürbiskern-Backmischung in Betrieb genommen. Man darf gespannt sein: erstens auf das Produkt, zweitens die Nutzungsdauer des Gerätes, ehe es in den Keller zieht.

Der im Friseurgeschäft meines Vertrauens beschäftigte Inhabersohn darf sich nun mit dem Titel „CEO Herrensalon“ schmücken, wie der digitalen Präsenz zu entnehmen ist. Haarsträubend.

Samstag: Das Brot schmeckte ausgezeichnet. Ansonsten verlief der Tag in angenehmer Samstäglichkeit ohne bloggenswerte Beobachtungen, Ereig- oder -kenntnisse.

Sonntag: »Dieser Winter wird sommerlich«, wirbt am Wegesrand ein Plakat für eine vierzehntägige Kreuzfahrt in die Karibik. Ja, das ist gut möglich, nicht zuletzt wegen solcher Kreuzfahrten.

Etwas über die mannigfachen Verwendungsmöglichkeiten von Schokobrunnen erfahren Sie hier.

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Ich wünsche Ihnen eine angenehme neue Woche.

Woche 18/2022: Camargue in Brandenburg und Sympathie in Lippe

Montag: »Das ist harter Tobak«, ist in einem Zeitungskommentar zu lesen. Auf der Liste der abgegriffensten Metaphern ein ganz alter Hut.

Wie weiterhin in der Zeitung zu lesen ist, erlaubt ein Göttinger Schwimmbad aus Gründen der Geschlechtergerechtigkeit jetzt auch Besucherinnen an Wochenenden den Besuch mit freiem Oberkörper. (Für Freunde des generischen Femininums: also allen Besucherinnen.) Das ist zu befürworten, solange aus der Erlaubnis keine Verpflichtung wird.

Dienstreise nach Schönefeld bei Berlin. Die Notdurft der mitfahrenden Kollegin erforderte einen kurzen Halt auf einem Rastplatz. Wo wir schon mal hielten, wollte auch ich die Gelegenheit nutzen, kam allerdings nicht dazu, weil die Herrenabteilung der Toilette verschlossen war. Jetzt, da Frauen oben ohne ins Freibad dürfen, wäre es wünschenswert, endlich auch diese unsinnige Geschlechtertrennung bei Toiletten zu überdenken. Und wozu gibt es immer noch Damen- und Herrenfahrräder?

Wo wir gerade beim Wünschen sind: Der Ort Wünschdorf wird auf einem braunen Sehenswürdigkeitenhinweisschild am Autobahnrand als „Bücher- und Bunkerstadt“ bezeichnet. Vielleicht habe ich mich auch verlesen.

Dienstag: Teil zwei unserer Tagungstournee. Der Tagungsort ist, verglichen mit Buch am Ammersee in der vergangenen Woche, nicht ganz so idyllisch gewählt, aber wir sind ja nicht (nur) zum Vergnügen hier: Statt bayrischer Seeidylle Neubau- und Gewerbegebiet. Immerhin – in einem Teich zwischen Bahnstrecke und vierspuriger Straße weilen Flamingos, und sie scheinen sich dort nicht unfreiwillig aufzuhalten. Ein Hauch von Camargue in Brandenburg.

Finde den Fehler.
Kleines Rätsel am Wegesrand

Auch das kollegiale Abendprogramm war überwiegend angenehm. Gewiss, einer nervt immer, das gehört dazu. Im Übrigen kann ich wunderbar abschalten, während andere über Fußball sprechen.

Mittwoch: Dank rechtzeitigem Absprung am Vorabend erwachte ich in einigermaßen erfreulichem Zustand. Dennoch verzichtete ich aus in der vergangenen Woche bereits dargelegten Gründen auf das Frühstück.

Tagsüber gehört und notiert: „Wir sind relativ statisch unterwegs.“

Zügig unterwegs waren wir nachmittags auf dem Weg nach Celle zur dritten Tagungsetappe, die morgen startet. Nach dem Abendessen in kleiner Runde im Hotelrestaurant zeitig ins Tuch. Man weiß nicht, was einem der nächste Abend abverlangt.

Donnerstag: Hypothese: Je voluminöser der Gast, desto größere Mengen an Nahrung werden auf den Teller gepackt. Während meiner stillen Beobachtung beim Frühstücksbüffet treten Ursache und Wirkung in einen fröhlichen Streit miteinander. Ansonsten gibt es Saftgläser in angemessener Größe und im Zimmer einen Haken für die Jacke, was in Hotels keineswegs selbstverständlich ist.

Neben uns tagt hier auch eine Gruppe von Rheinmetall, ein Unternehmen, das seine Eigenschaft als bevorzugtes Verabscheuungsobjekt aus aktuellen Gründen zumindest teilweise eingebüßt hat. Bleibt immer noch Amazon.

Vor dem Abendessen ging ich ein wenig durch die Gegend.

Rapsfelder gehen immer

Freitag: Erst gegen Mittag kehrte das uneingeschränkte Wohlbefinden zurück, da am Vorabend Rosé, Hausbrand, Wiedersehensfreude und Willensschwäche in eine ungünstige Konstellation getreten waren, die morgens noch etwas nachwirkte.

Gegen 18 Uhr kehrte ich nach einer sehr angenehmen Tagungswoche heim in die Arme der Lieben. Die vierte und letzte Etappe folgt übernächste Woche, ich freue mich drauf.

Samstag: Da plötzlich Sommer ist, frühstückten wir erstmals in diesem Jahr auf dem Balkon, den wir neuerdings mit dem Außenaggregat der neuen Klimaanlage teilen, die seit dieser Woche unsere Wohnung bereichert, weil die Lieben meinen, wir benötigen derlei, und wer bin ich, daran zu zweifeln. „Daran gewöhnst du dich“, sagt der Liebste. Bestimmt, man gewöhnt sich angeblich auch an Tinnitus. Und im Gegensatz zum Ohrenflöten kann man auf dem Gerät Dinge abstellen, immer auch das Positive sehen.

„Ich würde mir wünschen, dass du das mal begutachtest“, hörte ich in der Fußgängerzone einen zu seiner mutmaßlichen Gattin sagen. Vielleicht haben sie gerade ein Seminar über erfolgreiche Kommunikation in der Partnerschaft absolviert.

Sonntag: Um 0:45 Uhr aufgewacht, weil jemand an der Haustür geklingelt hatte (wobei das bei uns nicht klingelt, sondern ein „Düdl-düdl-düdl“-Geräusch ertönt; ich wollte aber nicht „gedüdelt“ schreiben). Da wir weder Besuch noch ein weiteres Paket erwarteten, reagierten wir nicht und konnten, da nicht erneut geklingelt beziehungsweise gedüdelt wurde, in Ruhe weiterschlafen.

Heute vor fünfundzwanzig Jahren erkannten zwei (damals noch) junge Männer während einer Gruppenwanderung durch lippische Wälder und Fluren gegenseitige Sympathie; auf den Tag genau fünf Jahre später sagten sie vor dem Bonner Standesamt „Ja“. Mein Liebster, danke für die Jahre, in denen wir uns nun schon aufs Angenehmste reiben! Ich freue mich auf die nächsten fünfundzwanzig. Mindestens.

Der zwanzigste Hochzeitstag heißt übrigens „Porzellanhochzeit“. In Japan heißt es „Kintsugi“, wenn die Risse eines zerbrochenen und wieder zusammengefügten Porzellangefäßes mit Goldstaub hervorgehoben werden, habe ich mal irgendwo gelesen. Das hat keinen direkten Bezug zum vorstehenden Absatz, ist trotzdem schön.

Auch schön. Wenn wir Menschen uns irgendwann erfolgreich selbst ausgerottet haben, wird sich die Natur alles ganz schnell zurück holen. Immer das Positive sehen.

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Kommen Sie gut durch die sommerliche Woche.

Woche 33: Zur gefälligen Kenntnisnahme

Montag: Dienstreise nach Leipzig als Beifahrer im Auto. Knödelkenner sollten gelegentlich Heichelheim besuchen, wo sich laut Hinweisschild an der Autobahn die Thüringer Kloßwelt dreht. Lärmempfindliche Menschen (wie ich) machen hingegen um Apolda besser einen größeren Bogen, da es sich nach eigenem Bekunden um die Glockenstadt handelt.

Dienstag: „Der etwas andere Friseur mit der Wartenummer“ steht an einem Salon in der Leipziger Innenstadt, nahe unserem Tagungshotel. Ein Friseur mit Schweigegelübte – DAS wäre mal ein lockendes Alleinstellungsmerkmal.

Ich bin mir übrigens sicher, über neunzig Prozent derjenigen, die heute in Bonn gegen einen umstrittenen Textildiscounter demonstrieren, bestellen jeden Mist beim großen Onlinehändler mit dem A, ohne sich die geringsten Gedanken zu machen über die Arbeitsbedingungen derjenigen, die anschließend ihre Pakte packen und ausliefern.

Mittwoch: Ich mag es, wenn Berliner „jetze“ sagen. Den Anblick bloßer Männerfüße in Flipflops auf Tagungen hingegen nicht so. Auch nicht, wenn sie Bestandteil eines Berliners sind.

Weiterreise nach Celle. Der Mann im Radio warnt mehrfach vor „Flitzerblitzern“. Das ist hart an der Grenze des Erträglichen und unterstreicht ein weiteres Mal die Frage, warum es Radiosendern überhaupt erlaubt ist, auf Geschwindigkeitskontrollen hinzuweisen. Ein vor uns fahrender LKW transportiert laut Aufschrift Sportpferde. Was will uns das sagen? Dass die reisenden Tiere keine Speisepferde sind?

Heute ist übrigens Tag des Rosé. Das erscheint etwas absurd. Die Frage ist doch eher: Welcher ist der Rosé des Tages?

Donnerstag: Celle-Groß Hehlen ist eher keine Perle architektonisch-landschaftlicher Schönheit, also nicht so pittoresk, dass einer Instagram-Influencerin bei dessen Anblick der lackierte Zehnagel zuckte. Dennoch war ein kurzer Spaziergang durch den Regen nach Feierabend einer der schönen Momente des Tages.

Freitag: Die Rückfahrt nach Bonn im ICE verlief ohne nennenswerte Störungen und fast pünktlich, seltsamerweise ohne Halt in Hagen; aber wer will schon nach Hagen, wird doch seitens der Bahn von einem Ausstieg abgeraten, wie nachfolgendes Archivbild belegt.

KW33 - 1

Auch die kurz hinter Bielefeld von einer netten Bahndame an die Kinder einer gegenüber reisenden Familie verteilten Lutscher mit integrierter Schaffnerpfeife wurden nur kurz ausprobiert und verstummten nach elterlicher Ermahnung umgehend.

„Nichts wird jemals konkret, erst recht nicht die Musik aus der Grabbelkiste der Singer-Songwriter-Floskeln“, schreibt der General-Anzeiger über das Konzert von Max Giesinger. Die scheinen diese Art von Musik auch nicht sonderlich zu mögen.

Das heutige Blatt des Loriot-Kalenders zur gefälligen Kenntnisnahme:

Samstag: „Wie heißt nochmal dieses Mischtier: Vorne Pferd, hinten … Dings.“ – „Die Eier legende Wollmilchsau.“ – „Genau.“ Was beim Frühstück so gesprochen wird.

Als wäre ich die letzten beiden Wochen nicht schon genug außer Haus gewesen, fahren wir heute nach Ostwestfalen, wo die Schwiegerfamilie feiert. Obschon ich die Schwiegerfamilie sehr mag, wäre ein ruhiges Wochenende zu Hause eine akzeptable Alternative gewesen.

Sonntag: Rückfahrt im Regen nach Bonn, wo das eigene Bett und die heimische Klobrille sehnsüchtig warten. Neben der Autobahn sehe ich eine größere Ansammlung von Windrädern, die allesamt stillstehen. Ein seltsamer Anblick und gleichsam ein angenehmer Kontrast zu meiner derzeitigen Reiseunruhe, welche sich in den kommenden Wochen fortsetzen wird.

„J’EXISTE“ hat jemand augenscheinlich vor längerer Zeit an einen Brückenpfeiler plakatiert. Mittlerweile ist das Plakat in abblätternder Auflösung begriffen, worin bei näherem Nachdenken womöglich eine gewisse Symbolik für diverse Auflösungserscheinungen unserer Zeit zu erkennen ist. Übrigens sah ich niemals zuvor so viele sterbende oder bereits abgestorbene Bäume wie in diesem Jahr. Sehr erschreckend.