Woche 18/2022: Camargue in Brandenburg und Sympathie in Lippe

Montag: »Das ist harter Tobak«, ist in einem Zeitungskommentar zu lesen. Auf der Liste der abgegriffensten Metaphern ein ganz alter Hut.

Wie weiterhin in der Zeitung zu lesen ist, erlaubt ein Göttinger Schwimmbad aus Gründen der Geschlechtergerechtigkeit jetzt auch Besucherinnen an Wochenenden den Besuch mit freiem Oberkörper. (Für Freunde des generischen Femininums: also allen Besucherinnen.) Das ist zu befürworten, solange aus der Erlaubnis keine Verpflichtung wird.

Dienstreise nach Schönefeld bei Berlin. Die Notdurft der mitfahrenden Kollegin erforderte einen kurzen Halt auf einem Rastplatz. Wo wir schon mal hielten, wollte auch ich die Gelegenheit nutzen, kam allerdings nicht dazu, weil die Herrenabteilung der Toilette verschlossen war. Jetzt, da Frauen oben ohne ins Freibad dürfen, wäre es wünschenswert, endlich auch diese unsinnige Geschlechtertrennung bei Toiletten zu überdenken. Und wozu gibt es immer noch Damen- und Herrenfahrräder?

Wo wir gerade beim Wünschen sind: Der Ort Wünschdorf wird auf einem braunen Sehenswürdigkeitenhinweisschild am Autobahnrand als „Bücher- und Bunkerstadt“ bezeichnet. Vielleicht habe ich mich auch verlesen.

Dienstag: Teil zwei unserer Tagungstournee. Der Tagungsort ist, verglichen mit Buch am Ammersee in der vergangenen Woche, nicht ganz so idyllisch gewählt, aber wir sind ja nicht (nur) zum Vergnügen hier: Statt bayrischer Seeidylle Neubau- und Gewerbegebiet. Immerhin – in einem Teich zwischen Bahnstrecke und vierspuriger Straße weilen Flamingos, und sie scheinen sich dort nicht unfreiwillig aufzuhalten. Ein Hauch von Camargue in Brandenburg.

Finde den Fehler.
Kleines Rätsel am Wegesrand

Auch das kollegiale Abendprogramm war überwiegend angenehm. Gewiss, einer nervt immer, das gehört dazu. Im Übrigen kann ich wunderbar abschalten, während andere über Fußball sprechen.

Mittwoch: Dank rechtzeitigem Absprung am Vorabend erwachte ich in einigermaßen erfreulichem Zustand. Dennoch verzichtete ich aus in der vergangenen Woche bereits dargelegten Gründen auf das Frühstück.

Tagsüber gehört und notiert: „Wir sind relativ statisch unterwegs.“

Zügig unterwegs waren wir nachmittags auf dem Weg nach Celle zur dritten Tagungsetappe, die morgen startet. Nach dem Abendessen in kleiner Runde im Hotelrestaurant zeitig ins Tuch. Man weiß nicht, was einem der nächste Abend abverlangt.

Donnerstag: Hypothese: Je voluminöser der Gast, desto größere Mengen an Nahrung werden auf den Teller gepackt. Während meiner stillen Beobachtung beim Frühstücksbüffet treten Ursache und Wirkung in einen fröhlichen Streit miteinander. Ansonsten gibt es Saftgläser in angemessener Größe und im Zimmer einen Haken für die Jacke, was in Hotels keineswegs selbstverständlich ist.

Neben uns tagt hier auch eine Gruppe von Rheinmetall, ein Unternehmen, das seine Eigenschaft als bevorzugtes Verabscheuungsobjekt aus aktuellen Gründen zumindest teilweise eingebüßt hat. Bleibt immer noch Amazon.

Vor dem Abendessen ging ich ein wenig durch die Gegend.

Rapsfelder gehen immer

Freitag: Erst gegen Mittag kehrte das uneingeschränkte Wohlbefinden zurück, da am Vorabend Rosé, Hausbrand, Wiedersehensfreude und Willensschwäche in eine ungünstige Konstellation getreten waren, die morgens noch etwas nachwirkte.

Gegen 18 Uhr kehrte ich nach einer sehr angenehmen Tagungswoche heim in die Arme der Lieben. Die vierte und letzte Etappe folgt übernächste Woche, ich freue mich drauf.

Samstag: Da plötzlich Sommer ist, frühstückten wir erstmals in diesem Jahr auf dem Balkon, den wir neuerdings mit dem Außenaggregat der neuen Klimaanlage teilen, die seit dieser Woche unsere Wohnung bereichert, weil die Lieben meinen, wir benötigen derlei, und wer bin ich, daran zu zweifeln. „Daran gewöhnst du dich“, sagt der Liebste. Bestimmt, man gewöhnt sich angeblich auch an Tinnitus. Und im Gegensatz zum Ohrenflöten kann man auf dem Gerät Dinge abstellen, immer auch das Positive sehen.

„Ich würde mir wünschen, dass du das mal begutachtest“, hörte ich in der Fußgängerzone einen zu seiner mutmaßlichen Gattin sagen. Vielleicht haben sie gerade ein Seminar über erfolgreiche Kommunikation in der Partnerschaft absolviert.

Sonntag: Um 0:45 Uhr aufgewacht, weil jemand an der Haustür geklingelt hatte (wobei das bei uns nicht klingelt, sondern ein „Düdl-düdl-düdl“-Geräusch ertönt; ich wollte aber nicht „gedüdelt“ schreiben). Da wir weder Besuch noch ein weiteres Paket erwarteten, reagierten wir nicht und konnten, da nicht erneut geklingelt beziehungsweise gedüdelt wurde, in Ruhe weiterschlafen.

Heute vor fünfundzwanzig Jahren erkannten zwei (damals noch) junge Männer während einer Gruppenwanderung durch lippische Wälder und Fluren gegenseitige Sympathie; auf den Tag genau fünf Jahre später sagten sie vor dem Bonner Standesamt „Ja“. Mein Liebster, danke für die Jahre, in denen wir uns nun schon aufs Angenehmste reiben! Ich freue mich auf die nächsten fünfundzwanzig. Mindestens.

Der zwanzigste Hochzeitstag heißt übrigens „Porzellanhochzeit“. In Japan heißt es „Kintsugi“, wenn die Risse eines zerbrochenen und wieder zusammengefügten Porzellangefäßes mit Goldstaub hervorgehoben werden, habe ich mal irgendwo gelesen. Das hat keinen direkten Bezug zum vorstehenden Absatz, ist trotzdem schön.

Auch schön. Wenn wir Menschen uns irgendwann erfolgreich selbst ausgerottet haben, wird sich die Natur alles ganz schnell zurück holen. Immer das Positive sehen.

***

Kommen Sie gut durch die sommerliche Woche.

2 Gedanken zu “Woche 18/2022: Camargue in Brandenburg und Sympathie in Lippe

  1. Thomas Mai 11, 2022 / 18:23

    Lieber Carsten, herzlichen Glückwunsch zum Jahrestag! Ich musste kurz grinsen, als ich las, dass ihr euch während einer Wanderung erkannt habt, wird doch das Wort „Erkennen“ in der Bibel meines Wissens als Synonym zu „Sex“ genutzt.

    Aber was auch immer damals im Wald geschah, Hauptsache ist, dass ihr heute zufrieden Weingläser auf Klimaanlagen-Außengeräten abstellt und euch in die Arme schließt, wenn du von einer Dienstreisentournee zurückkehrst. Hat sich über die letzten zwei Jahre so viel angestaut, dass das jetzt wie eine frisch entpfropfte Abflussleitung alles auf einmal raus muss? (Ich mag das Bild, weil ich persönlich Dienstreisen mit ähnlicher Motivation angehe wie das Reparieren jeglicher Art von Rohrleitungen.)

    Jedenfalls alles Gute für die nächsten (mindestens) 25 Jahre und möglichst wenige Besuche beim Oropäd.

    Gefällt 1 Person

    • stancerbn Mai 11, 2022 / 18:58

      Lieber Thomas, herzlichen Dank! Wir erkannten nicht uns, sondern gegenseitige Sympathie, daher wurde der gebotene Anstand in jeder Hinsicht gewahrt.
      Das Bild der entstopften Leitung passt in der Tat sehr gut.
      Grüße vom Balkon, wo das Aggregat surrt!

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