Woche 19/2022: Zielloses Vorsichhindenken ohne konkretes Ergebnis

Montag: Morgens auf dem Fahrrad hätte ich Handschuhe gebrauchen können, ab Mittag wurde es warm, abends sah ich gar einen mit bloßer Brust durch die Stadt radeln. Nach Rückkehr aus dem Werk hingegen bildeten sich zu Hause auf meiner Brille Eisblumen, weil der Geliebte mit großer Begeisterung die Leistungsfähigkeit der neuen Klimaanlage testete. Darüber wird gelegentlich zu reden sein.

Dienstag: Bitte bilden Sie einen Satz mit den Begriffen Kantine, Naturpreißelbeeren und weißes Hemd.

Für Schönheit gilt wie für Idylle: Oft liegt es im Auge des Betrachters.

(General-Anzeiger Bonn)

Der Mensch braucht ab und zu Urlaub. Auch Politiker sind im weitesten Sinne Menschen, die meisten jedenfalls. Somit hat auch die Bundesverteidigungsministerin ein Recht auf Urlaub, selbst dann, wenn andere Länder gerade Krieg führen; irgendwo ist immer Krieg, so sind wir Menschen nunmal, einander in Ruhe zu lassen liegt nicht in unserer Natur, weder im Großen noch im Kleinen. Und also machte sie sich mit Sohn auf nach Sylt, die Anreise verband sie mit einem dienstlichen Termin, wie es vielleicht jeder schon getan hat, der gelegentlich auf Dienstreisen ist. Die Mitreise des Sohnes in staatlichem Fluggerät bezahlte sie ordnungsgemäß, niemandem ist ein Schaden entstanden. Über was genau regen sich nun alle auf? Es gab schon gewählte Staatschefs, die Schwiegersöhne zu Beratern und Ministern ernannten.

Mittwoch: Gehört in einer Besprechung: „Ich habe keine Hunde, das ist mir zu stressig, wenn ich in den Urlaub fahren will und dann nicht weiß, wohin damit. Dafür habe ich Kinder, die machen genauso viel Dreck.“ Das muss dieses Elternglück sein, von dem alle schwärmen.

Gelesen in der Zeitung: „In Fourstones in Northumberland färben sich die Rapsfelder zur Blütezeit gelb.“ Wer hätte das gedacht.

Donnerstag: Gegen halb vier in der Frühe wurde ich geweckt vom an- und abschwellenden Ton einer Alarmsirene im Landgericht nebenan, vielleicht war jemand aus seiner Zelle oder ein Feuer ausgebrochen. Nachdem ich die Fenster geschlossen hatte, war sie nicht mehr zu hören, entweder weil sie inzwischen verstummt war oder durch die üblichen Schlafgeräusche von der Nebenmatratze übertönt wurde. Leider bringt es das fortgeschrittene Alter mit sich, dass ich, einmal erwacht, manchmal nur schlecht wieder einschlafe. Stattdessen springt der Gedankengenerator an, wobei es keine unangenehmen Gedanken waren, kein um ein diffuses Problem kreisendes Grübeln, vielmehr ein zielloses Vorsichhindenken ohne konkretes Ergebnis, sieht man einmal von dieser Notiz ab. Irgendwann kurz vor fünf schlief ich dann doch nochmal ein und träumte irgendwas von Roland Kaiser.

Laut Radiomeldung am Morgen beherrschen Kinder immer weniger den Umgang mit Fahrrädern. Manche stiegen von der einen Seite auf und fielen zur anderen wieder runter, so der Sprecher. Trotz vorausgegangenen Schlafmangels musste ich daraufhin doch etwas grinsen, was am frühen Morgen nicht häufig vorkommt.

In der Inneren Nordstadt war heute Sperrmüllabfuhr.

Das unerwünschte Lärmen ging nach Ankunft im Werk weiter, als direkt vor dem Fenster Arbeiter mit einem von einem knatternden, abgasenden Verbrennungsmotor angetriebenen Aufzug Dämmmaterial auf das gegenüberliegende Dach beförderten. Somit war auch der Büroschlaf erheblich beeinträchtigt.

Freitag: Es ist vielleicht nicht jedermanns Sache, einen Freitag den dreizehnten mit einem Zahnarztbesuch zu beginnen. Doch verlief der Termin schmerzfrei und auch sonst gab es nichts zu beklagen. Seit vielen Jahren bin ich nun bei diesem Zahnarzt, noch niemals hat er mir wehgetan. Da habe ich in der Kindheit und Jugend mit Dr. G. in Bielefeld-Stieghorst ganz anderes erlebt.

Aus einer Besprechung: „Wir müssen das Pferd von hinten aufrollen.“ Vielleicht habe ich mich auch verhört.

Man müsse alle Menschen wertschätzen, ungeachtet ihres jeweiligen Lebensentwurfs, stand irgendwo. Ich möchte nicht als oder in einem Entwurf leben.

Samstag: Eine Fahrraddemonstration rollt durch die Stadt, Motto: „Kidical Mass – Kinder aufs Rad!“ Also jedenfalls die, die nach dem Aufsteigen nicht zur anderen Seite herunterfallen.

Ein rastalockiger – nun ja: Musiker terrorisiert in der Fußgängerzone Fußgehende und Gäste der Außengastronomie mit weithin hörbarem Flötenspiel, begleitet von unter seinen Schuhsohlen angebrachten Klapperschellenrasseln, mit denen er den Takt schlägt. Lied auf Lied, er hört nicht auf; es ist furchtbar, keine zwei Minuten lang möchte man es hören. Womöglich basiert sein Geschäftsmodell auf der Hoffnung, jemand biete ihm eine größere Geldsumme an unter der Bedingung, dass er sofort aufhört und sich in einen anderen Stadtteil verzieht.

In der Innenstadt gibt es ein Fachgeschäft für Barfußschuhe. Warum nicht. Demnächst dann vielleicht auch eines für Nackthemden.

Sonntag: Bei bestem Kurze-Hosen-Wetter verband ich den Sonntagsspaziergang mit dem Einwurf eines handgeschriebenen Briefes und der Entsorgung einer größeren Anzahl Bücher in diverse öffentliche Bücherschränke. Mögen sie anderen Freude bringen, sowohl der der Brief als auch die Bücher.

Ansonsten gelesen:

»… schließlich ist unsere Realität nicht unbedingt dazu angetan, dass man sich jeden Tag 24 Stunden lang darin aufhalten möchte.«

Der Autor Sascha Mamczak in der PSYCHOLOGIE HEUTE über Science Fiction

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Ich wünsche Ihnen eine angenehme neue Woche möglichst ohne störende Geräusche.

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