Montag: Trotz trüber Regenkühle war ich in Anzuglaune. Das Problem: Erst beim Anziehen des Jacketts kurz vor Verlassen des Hauses bemerkte ich, dass es inzwischen merklich spannt, wenn ich die Knöpfe schließe. Daher blieben sie geöffnet und schweren Herzens beschloss ich, dass dies heute sein letzter Einsatz werden würde. Ich fürchte, vorstehendes gilt für die meisten Anzüge in meinem Schrank, die ich lange nicht trug. Ob ich in absehbarer Zeit einen neuen kaufen werde, ist fraglich, im Grunde genommen brauche ich keinen mehr, seit sich die Kleidungsgepflogenheiten im Werk deutlich gelockert haben, was einerseits nicht zu bedauern ist, andererseits doch, da ich ab und an sehr gerne einen Anzug trage.
Der Tag blieb trüb mit nahezu ununterbrochenem Regen; das Siebengebirge, auf das ich vom Büro aus schaue, lag in Wolken gehüllt. So ähnlich fühlte ich mich auch.
Aus einem Leserbrief über Auswüchse der Political Correctness: »Peinlich, dass den Moralaposteln und Gendersensiblen bislang entgangen ist, dass der allseits gebräuchliche Genderstern nicht wenige Menschen an unsere tiefbraune Vergangenheit erinnert.« Bei aller geteilten Skepsis zu diesem Thema: Das erscheint nun doch etwas weit hergeholt.
Dienstag: Statt Anzug- weiterhin Daunenjackenwetter. Morgens leichter Niesel, gerade so wenig, dass es sich nicht lohnte, den Faltregenschirm aus der Tasche zu holen. Der für nachmittags in Aussicht gestellte Sonnenschein zeigte sich nur kurz, ehe aus Nordosten erneut Gewölk mit Regen aufzog. Lichtblick am trüben Himmel war ein Luftschiff, das rheinaufwärts flog und mich kurz von der Werktätigkeit innehalten ließ.
„Das ist Schmuck am Nachthemd“, hörte ich in einer Besprechung, was sinngemäß eine gewisse Überflüssigkeit zum Ausdruck bringen sollte; vielleicht kennen Sie diese Redewendung längst, mir war sie neu. Im Übrigen bin ich der Meinung, wenngleich ich, im Gegensatz zu meinem vergangenen Vater, derartiges nicht tragen würde, auch Nachtwäsche muss nicht zwingend grau-beige sein.
Mittwoch: Der zweiundzwanzigste Hochzeitstag heißt Bronzehochzeit. Dazu alles Liebe, mein Liebster, und danke, dass du es immer noch mit mir aushältst! – Offenbar hatten wir beide denselben Gedanken, abends kam es zum Austausch von Herzlichkeiten und Blumensträußen.
Vormittags geriet ich in einen intensiven Mailaustausch, weil ein Großkunde einen Wunsch geäußert hat. „Kann man nicht …“, „Man müsste doch …“, „Bis wann geht das …“ und so weiter. Als fachlich Verantwortlicher für das IT-System, das könnte und müsste, teilte ich der Runde mit, dass es dazu bereits lange eine Anforderung gibt auf der langen Liste unerfüllter Wünsche. Nun müsste sich nur noch einer finden, der es bezahlt, dann kann man auch. Ich fürchte nun, irgendwo wird das erforderliche Budget locker gemacht werden mit der Vorgabe der kurzfristigen Umsetzung und ohne Rücksicht auf die bestehende Planung. Dann wird es wieder unnötig hektisch.
Was ich in den letzten viereinhalb Jahren überhaupt nicht vermisste waren Aufzuggespräche, wie ich bemerkt, als ich nach der Mittagspause wieder hoch zum Büro fuhr.
Donnerstag: Schon wieder Feiertag, danke den Christen und Vätern, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Schnittmenge; wenn Sie in den Siebzigern Grundschüler waren, kennen Sie bestimmt noch die Mengenlehre, eigentlich ganz einfach, viele Eltern überforderte sie jedoch, was erst zu einem Skandal, dann zu ihrer Abschaffung führte. Ich schweife ab.
Eine Menge unterhaltsamer Texte gab es nachmittags bei der Bonntastik-Lesung im Stadtteil Niederholtorf zu hören. Sieben Autorinnen lasen ihre Werke vor, inspiriert durch Bilder eines Bonner Künstlers. Das ganze ist auch in Buchform erhältlich. Da sich das Wetter maimäßig-sonnig zeigte, verband ich den Hinweg mit einem längeren Spaziergang, der mich einigermaßen ins Schwitzen brachte, da Niederholtorf, anders als der Ortsname vermuten lässt, einige Meter höher liegt. Erfreulicherweise fand die Lesung in einer Gaststätte statt, wo des Anstiegs Mühe mit kühlendem Kristallweizen belohnt wurde.
Freitag: Büros und Kantine waren erwartbar leer, weil viele brückentäglich frei hatten, andere lieber zu Hause arbeiteten.
Mittags im Park sah ich mehrere Gänsefamilien mit Nachwuchs in unterschiedlichen Wachstumsstufen Gras zupfen; Schildkröten, die erheblich gewachsen sind, seit ich sie das letzte Mal in ihrer üblichen Teichecke sah, reckten die Köpfe in die Sonne. Nutrias sind keine mehr zu sehen, seit die Stadt sie abknallen letal entnehmen ließ, nur hier und da deutet noch eine zerwühlte Uferkante auf ihr Wirken hin.
Nach der Mittagspause machte ich erstmals von der Möglichkeit Gebrauch, die Schreibtischplatte elektrisch hochzufahren und stehend zu arbeiten*, was aufkommender Müdigkeit entgegen wirkt. Das sollte zur Gewohnheit werden.
*d.h. den Pressespiegel zu lesen wie jeden Tag nach dem Essen
Wie Mittwoch geahnt, wurde heute entschieden, die IT-Anforderung so bald wie möglich umzusetzen, auch das Geld steht bereit. Das ging nun doch überraschend schnell.
Kurt Kister über Sprache:
»Sprache entwickelt sich nicht, sie wird entwickelt. Menschen entwickeln Sprache, verändern sie. Diese Veränderungen der Sprache spiegeln meistens Veränderungen im Denken, häufiger noch im Fühlen der Menschen wider. Es sind nicht einmal die Menschen, die sprachliche Gewohnheiten verändern, sondern Milieus, Schichten oder Interessengruppen, die der Auffassung sind, dieser oder jener Sprachgebrauch entspreche nicht mehr der modernen Sicht der Wirklichkeit, jedenfalls der Wirklichkeit, so wie sie die Angehörigen der sprachverändernden Gruppe(n) wahrnehmen. Die Veränderung von Sprache ist oft auch ein Versuch, „Wirklichkeit“ zu verändern. Und um die aus subjektiven Motiven vorgenommene Veränderung nicht zuletzt gegenüber Skeptikern zu objektivieren, heißt es dann: Sprache entwickelt sich nun einmal.«
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Samstag: Mittags brachte ich fast alle Anzüge und mehrere Sakkos zu Oxfam, die gestern Abend nach Anprobe kurzentschlossen ausgemustert wurden. Alles, was am Bäuchlein spannte, flog raus. Mein Lieblingsanzug, den ich vor Jahren im Schaufenster sah und in den ich mich, trotz des nicht gerade günstigen Preises, spontan verliebte, sitzt erfreulicherweise noch immer ganz passabel, nur sehr ungern hätte ich auch ihn weggegeben.
»Wegen einer Störung, kommt es zurzeit zu Verspätungen«, ließ die Laufschrift an einer Straßenbahnhaltestelle die Fahrgäste wissen. Dieses unnütze Komma, nach Satzeinleitungen mit oder unmittelbar vor einer Präposition setzt sich immer mehr durch.
Sonntag: Der Sonntagsspaziergang führte heute wieder, bei bestem Sommerkurzehosenwetter, ans andere Rheinufer. Diese Strecke mag ich besonders, nach knapp einer halben Stunde Fußweg befindet man sich auf dem Land, wo Vogelgezwitscher das vorherrschende Geräusch ist. Heute wurde die Akustikidylle ein wenig getrübt durch ein Partyschiff, dass basswummernd den Rhein auf und ab fuhr.
Die Sonntagszeitung stellt jede Woche im Feuilleton vier Fragen an jemanden aus der Kulturszene, heute den (mir unbekannten) Sänger Dagobert. Eine der Fragen lautet: »Was nervt Sie?« Aus der Antwort: »Schlimmer […] sind eigentlich nur Steinmännchen, die manchmal von bösartigen Wanderern an Flussufer oder Strände gebaut werden und deren einzige Bestimmung es ist, mich zu ärgern. Ihr Anblick löst in mir zuverlässig Aggression und Zerstörungswut aus.« Ähnlich geht es mir bei aus Fingern geformten Herzen, gestern Abend wieder zahlreich zu sehen bei der Übertragung des European Song Contest. Immerhin, der deutsche Beitrag lag verdientermaßen nicht auf dem letzten Platz. Warum die Schweiz gewonnen hat, erschließt sich mir allerdings nicht. Interessanter die Frage, ob der Finne wirklich ohne Hose aufgetreten ist.
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Kommen Sie gut durch die Woche, lassen Sie sich nicht nerven.