Woche 34/2024: Kollegen in Sprechlaune und verantwortungsvoller Roséverzehr

Montag: Wie vergangene Woche beklagt begann die Woche mit einem halben Tag Heimbüro, heute auf dem Balkon, wo es vormittags noch ungewohnt kühl war, was ein Jäckchen erforderte. Trotz Abneigung gegen diese Art zu arbeiten und den Wochentag überhaupt war ich erstaunlich produktiv: Drei Aufgaben in der Liste konnten abgehakt, eine in den Zustand W (wartet auf Reaktion) versetzt werden.

Am frühen Nachmittag wurde ich abgeholt, nach dreieinhalb Stunden erreichten wir die Region Hannover, wo wir bis übermorgen tagen. Wir wären noch früher angekommen, läge das Hotel in Laatzen nicht inmitten einer großräumig abgesperrten Baustelle, die dem Navigationssystem unbekannt ist. Im Übrigen ist es nicht sehr idyllisch gelegen, aber wir sind ja nicht zum Vergnügen hier, jedenfalls nicht nur. Wobei es auf der Terrasse der Bar gut auszuhalten ist.

Fensterblick auf Laatzen (Teilansicht)

Abends aßen wir beim örtlichen Griechen, der laut Kollegin nur mittelmäßige Bewertungen im Netz hat. Ich achte nie auf so etwas, weil ich Meinungen Fremder grundsätzlich mit Skepsis begegne. In diesem Fall zu recht, es war alles sehr zufriedenstellend, daher von mir fünf Sterne. Vielleicht bin ich auch zu genügsam.

Als großer Freund des kleinen Gepäcks auf Reisen komme ich üblicherweise mit einer kleinen Reisetasche aus, während andere großräumige Koffer durch die Gegend rollen. Beim Packen überlege ich genau, was und wieviel ich für den Reisezeitraum benötige. Ungünstig nur, wenn ich bereits am ersten Abend beim Essen das Polohemd bekleckere. Vielleicht sollte ich doch etwas großzügiger planen.

Dienstag: Meine grundsätzlich Abneigung gegen Hotelfrühstücke überwindend begab ich mich morgens runter in den Saal, der schon reichlich besucht war. Wie überhaupt das Hotel in Ordnung ist, abgesehen von wieder mal fehlenden Jackenhaken im Zimmer (warum nur sparen die so häufig daran?), macht auch das Frühstücksbüffet einen guten Eindruck, einschließlich ausreichender Saftgläsergröße. Für mich allerdings überwiegend nur zur Ansicht, da ich am frühen Morgen keinen Appetit habe auf Brötchen, Rührei, Speck, Würste und was sie sich sonst so auf die Teller laden. Ich begnügte mich mit einem Croissant, zwei Tassen Kaffee, zwei Gläsern Saft und der Beobachtung das Treibens. Als die ersten Kollegen in Sprechlaune eintrafen, war ich fertig und zog mich ins Zimmer zurück, ehe wir zur Veranstaltung in unserer Betriebsstätte in Pattensen fuhren.

Dort wurde es ein angenehmer Tag mit erfreulichen Begegnungen. Besonders gefreut habe ich mich über das Wiedersehen mit einer mittlerweile dort arbeitenden Kollegin, mit der ich vor einunddreißig Jahren die Ausbildung gemacht habe und die ich lange nicht gesehen habe. Dass wir uns sofort wiedererkannt haben, spricht für einen zufriedenstellenden Erhaltungszustand auf beiden Seiten.

Mittwoch: Nach erfreulichem Verlauf auch des zweiten Tagungstages, inklusive einer interessanten Betriebsbesichtigung, verließen wir Pattensen am Nachmittag in Richtung Berlin, wo wir nach knapp drei Stunden Fahrt ankamen, zumal der gaspedalführende Kollege diesbezüglich nicht von übermäßiger Zimperlichkeit geplagt wird. Ich war wieder dankbar, hinten sitzen zu dürfen.

Morgen und übermorgen dann in Schönefeld die gleiche Veranstaltung wie gestern und heute in Pattensen, nur mit anderem Publikum. Icke freu mir, wa.

Gefreut habe ich mich auch, nachdem ich es im Duden nachgeschlagen habe, über das in einer Mail gelesene Wort „disjunkt“, mit dessen Gebrauch man hierfür empfängliche Kreise gewiss beeindrucken kann.

Zum Abendessen begaben wir uns in die „Kantine Kolonie Platanenblick“, eine im besten Sinne einfache Gaststätte in einer Kleingartenkolonie am Rande von Berlin-Neukölln, vom Hotel aus zu Fuß in einer halben Stunde zu erreichen, unter anderem durch eine idyllische Siedlung. Das Lokal bietet gute Küche (bis zwanzig Uhr, wir hatten mit unserer Ankunft um zehn vor acht Glück), großen, für mich etwas zu großen Portionen (vielleicht habe ich mittlerweile das Seniorentelleralter erreicht), Berliner Herzlichkeit, man wird sofort geduzt, auch im Seniorentelleralter, das alles zu sehr günstigen Preisen. Auch hier von mir fünf Sterne. In Reiseführern würde dazu wohl „Geheimtipp“ stehen, nun auch in diesem Blog, wobei es aufgrund dessen überschaubarer Reichweite ein solcher bleibt. Bezahlt haben wir disjunkt, um das Wort auch mal anzuwenden.

Siedlungsidyll in der Straße 181
Ebendort, aber das sehen Sie ja selbst

Vermutlich kein Geheimtipp, weil Sie das längst wissen: Viele Hotels haben hinter der Zimmertür einen Einsteckschlitz für die Zimmerkarte. Erst nach deren Einstecken fließt Strom sowohl aus den Steckdosen als auch durch die Leuchtmittel. Das ist praktisch im Sinne eines sparsamen Stromverbrauchs, indes ärgerlich, wenn man während des Abendessens ein Telefon laden muss. Das Gute: Strom fließt nicht nur mit Einstecken der Zimmerkarte, das funktioniert auch mit jeder beliebigen anderen Karte. Ein guter Grund, nicht alle Karten statt aus Plastik nur noch virtuell auf dem Datengerät mit sich zu tragen. Erst recht, wenn der Akku leer ist.

Das muss doch jemand merken. Oder der erste Satz richtet sich an das Kind, das ins WLAN gefunden hat, der zweite an die Eltern, die nun ihre Ruhe haben, weil das Blag zockt.

Donnerstag: Der erste Tag der zweiten Tagung verlief in guter Stimmung und ohne bloggenswerte Ereignisse. Einer der Teilnehmer hat gewisse Ähnlichkeit mit dem Sänger Mark Foster. Das brachte ihm unverschuldet Minuspunkte ein, da ich Mark Foster nicht sonderlich mag, weder optisch noch akustisch.

Die etwas knappe Zeit zwischen Veranstaltungsende und Abendessen nutzte ich für einen Spaziergang durch die an Pittoresken eher arme Umgebung in Sicht- und Hörweite des Flughafens BER.

Dorfteich in Alt-Schönefeld
Bahnhof Schönefeld

Im vorletzten Jahr waren wir schon einmal dort, wie hier nachzulesen ist. Die damals angetroffenen Flamingos sind inzwischen leider ausgeflogen, ihr Teich mit Schilf weitgehend zugewachsen.

Jetzt entschuldigen Sie mich bitte, das Abendprogramm ruft.

Freitag: Auch der zweite und somit für diese Woche letzte Tagungstag verlief gut, nicht zuletzt dank verantwortungsvollem Roséverzehr am Vorabend.

Falls es Sie interessiert, was wir da machen, ohne allzu sehr ins Detail zu gehen: Unser Team ist fachlich verantwortlich für eine IT-Anwendung, die zweimal jährlich ein neues Release erfährt. Vor der deutschlandweiten Umstellung gibt es vier jeweils zweitägige regionale Veranstaltungen, in denen wir die Anwender über die Neuerungen informieren. In dieser Woche gab es deren gleich zwei, zwei weitere folgen in der kommenden und übernächsten Woche, dann sind wir damit erstmal wieder durch, bis zum nächsten Release. Somit wissen sie das nun auch.

Ich mache das durchaus gerne, auch wenn die persönliche Freizeit stets knapp bemessen ist. Die Leserückstände in den Blogs holte ich während der Rückfahrt nach, da war wieder einiges aufgelaufen, unter anderem diese Betrachtungen von Frau Anje über das Ende, die ich unter ständigem zustimmenden Nicken las. Lesenswert auch der darin verlinkte SZ-Artikel, falls Sie offen sind für dieses Thema, das (zum Glück) uns alle irgendwann (be)trifft.

Beim Heben des Blicks vernahm ich zwischen Magdeburg und Helmstedt ein Lavendelfeld. Vielleicht war es auch ein anderes violett blühendes Landwirtschaftserzeugnis, es ging sehr schnell. Irgendwo las ich neulich über Lavendelanbau in einem östlichen Bundesland, meine jedoch, das wäre in Mecklenburg-Vorpommern gewesen und nicht in Sachsen-Anhalt.

Beim Überholen anderer Fahrzeuge – wir überholten viele Fahrzeuge, wurden unsererseits nur selten überholt, wie erwähnt ist der Kollege ein Freund des flinken Reifens – staunte ich über die hohe Anzahl von Fahrern, die während der Fahrt in verschiedenen Weisen mit ihren Datengeräten beschäftigt waren.

Samstag: Als Ausgleich für die tagungsbedingt in dieser Woche weitgehend ausgefallenen Fußwege besuchte ich heute nach längerer Zeit mal wieder den Flohmarkt im Rheinauenpark, versehen mit dem Auftrag des Geliebten, einen Weinkühler aus Ton zu kaufen. Den fand ich schon kurz nach Ankunft und erstand ihn für wenig Geld. Das war wohl Käuferglück, es war augenscheinlich das einzige Exemplar seiner Art auf dem ganzen Markt, und der ist wirklich groß. Nicht alles gehört dabei dorthin, wie das große Verkaufszelt für Tee, eine Pflanzenhandlung oder mehrere Honiganbieter, aber das hat mich nicht gestört. Vielmehr staune ich über die Motivation vor allem der privaten Verkäufer, bereits am frühen Morgen mit hohem Aufwand ihr Verkaufsgut in den Park zu schaffen, den Stand aufzubauen, an einem heißen Tag wie heute stundenlang dahinter zu verharren und anschließend den größten Teil der Gegenstände wieder nach Hause zu transportieren, bis zum nächsten Mal. Was treibt die dazu an? Viel gekauft wurde nach meiner Beobachtung nicht. Als Besucher und mit anschließender Einkehr auf ein Getränk im Rheinauen-Biergarten hingegen gefiel es mir ganz gut. Deshalb: Vielen Dank für Ihre Mühen, ich komme gerne gelegentlich wieder.

Teilweise erschien das Verkaufsangebot fragwürdig
Heiß

Sonntag: Der Tag war anders geplant. Nach dem Frühstück wollte ich mit der Bahn zur Modelleisenbahnbörse (was nichts anderes ist als ein thematisch eingeschränkter Flohmarkt) in den Stadtteil Duisdorf fahren, danach als Sonntagsspaziergang zu Fuß zurück. Auf dem Weg zum Bahnhof wollte ich drei am Vorabend angefallene Weinflaschen trotz Sonntagsverbots in den Glascontainer meines Vertrauens einwerfen. Nach Rückkehr ein Glas auf dem Weinfest in der Bonner Innenstadt.

Und so war es: Der Glascontainer war überfüllt. Statt die drei Flaschen, wie Zahlreiche vor mir, einfach davor abzustellen, behielt ich sie im Rucksack in der Hoffnung auf eine andere Entsorgungsmöglichkeit.

Immerhin einigermaßen sauber nach Braun-, Weiß- und Grünglas getrennt

Die Bahn nach Duisdorf fuhr pünktlich, das ist zu loben. Bei Ankunft an der Halle, in der die Börse laut meinem Kalender stattfindenden sollte, war klar: Der Kalender hatte gelogen. Das war überhaupt nicht schlimm, ohnehin hatte ich wenig Hoffnung, dort etwas zu finden, was meine Sammlung vervollständigt. (Falls Sie einen oceanblau-beigen Triebzug der Baureihe 634 vom Hersteller BEMO in Baugröße H0 gerne loswerden möchten, kontaktieren Sie mich bitte.) Zudem lag der Schwerpunkt, wie jeden Sonntag, auf dem Spaziergang, insbesondere nach dieser eher bewegungsarmen Woche, siehe oben. Immerhin wurde ich in aufnahmefähigen Altglascontainern vor der Halle meine Flaschen los.

Rückweg durch das Messdorfer Feld
Auch wenn ich mich wiederhole: Was soll aus dem Kind mal werden?

Beim Weinfest traf ich einen lieben Vereinskameraden, deshalb blieb es nicht bei wie geplant einem Glas, was die Niederschrift dieser Tagesnotiz ein wenig erschwerte.

Gelesen am Bonner Hauptbahnhof: „Bionade – weil ehrlich gut“. Werbesprüche aus der Hölle.

Gehört: „Das Ei fällt nicht weit weg vom Huhn.“ Dem ist nicht zu widersprechen.

***

Kommen Sie gut durch die Woche.

Woche 25/2024: Im Schatten der Zypresse

Montag: Auch im Urlaub lese ich die Bonner Tageszeitung, man will ja informiert bleiben. Ein gewisser Martin Kessler ist offenbar ein kluger Mann, denn er schreibt Leitartikel für den General-Anzeiger. In der heutigen Ausgabe nimmt er Anstoß an neuen Regelungen, wonach die Städte künftig mehr Freiraum erhalten, Tempo dreißig anzuordnen. Dazu der kluge Herr K: „Selbst Millionenstädte, die flächendeckend Tempo 30 einführen, leisten damit einen Beitrag zum Klimaschutz, der gegen null geht. […] Die Kommunen wollen Klimaschutz vorantreiben, obwohl das Aufgabe internationaler Konferenzen ist.“ Das ist so ziemlich das Dümmste, was ich in letzter Zeit zu dem Thema gelesen habe. Doch steht K mit dieser Ansicht nicht alleine da. Genau deshalb habe ich keine Hoffnung mehr für das längerfristige Fortbestehen der Menschheit.

Nach spätem Frühstück unternahmen wir eine Radtour von knapp zwanzig Kilometern Länge. Dabei kamen wir an einem instagramtauglichen Lavendelfeld vorbei:

Vielleicht ist es auch Lavandin

Ich könnte es als Statusbild bei Whatsapp verwenden, aber warum sollte ich das tun? Ich meine: Wie verzweifelt vor Langeweile muss man sein, um sich bei Whatsapp den Status anderer Leute anzusehen?

Nach Rückkehr trug ich den Liegestuhl in den Schatten der Zypresse im Garten und holte darin den Tagebucheintrag für gestern nach, nachdem mir das am Vorabend aus Weingründen nicht mehr gelungen war. Danach las ich im SPIEGEL der Vorvorwoche den Artikel über Kafka zu Ende und meine, ich sollte mich doch noch mal daran wagen, von ihm zu lesen.

Währenddessen stutzte ein Motorsensenmann an der Zufahrt zu unserem Haus den Bewuchs. Als er fertig war, setzte sich in Hörweite eine Baumaschine oder ähnliches in Gang und erfreute längere Zeit das Ohr mit Rückwärtsfahrpieptönen. Das zu beklagen wäre unangemessenes Jammern auf höchstem Niveau, es können nicht alle Urlaub haben.

Dienstag: Um fünf Uhr vierzig wurde die Baumaschine oder ähnliches gestartet und sie begrüßte rückwärts piepend den jungen Morgen. Nach Schließen des Fensters, was sich, da man schon mal auf war, mit einem Toilettengang verbinden ließ, gelang noch einmal die Rückkehr ins Reich der Träume.

Der Tag zeigte sich bewölkt mit Sonnenlücken, trocken und warm. Im Gegensatz zu Bonn, wo Regen und Gewitter geplant waren.

Während des Frühstücks erreichte mich per Mail die Mai-Abrechnung von epubli. Demnach wurde ein weiteres Buch verkauft. Vielen Dank an den Käufer oder die Käuferin, sofern er oder sie hier mitliest. Sonst auch.

Nachmittags las ich mich durch die Blogs, die im UberBlogr Webring versammelt sind. Auch dieses Blog ist dort seit geraumer Zeit vertreten. Nach Mailaustausch mit dem Initiator des Rings habe ich inzwischen auch das Prinzip mit den drei Links verstanden, die man auf der eigenen Startseite hinterlegen muss.

Abends grillten wir, so dass ich das Grundstück heute gar nicht verlassen musste. Beim anschließenden Nachtglas schauten wir den zahlreichen Fledermäusen beim Jagen zu. Zwei davon waren einander sehr zugewandt, sie flederten stets umeinander und schienen dabei viel Spaß zu haben.

Apropos Grillen: Der Liebste hörte am späteren Abend in den Bäumen eine Grille zirpen. Ich hörte sie nicht, so sehr ich auch lauschte. Anscheinend ist diese Frequenz meinem Gehör nicht mehr zugänglich. Das wäre ein bisschen schade.

Mittwoch: Der Tag begann schwül-warm. Nach dem Frühstück gingen wir runter in den Ort, wo heute Wochenmarkt war. Dort kauften wir ein Grillhuhn mit Zubehör für das Abendessen, außerdem Tomaten und zwei Flaschen Rosé. Unser Verbrauch an letzterem ist hier wieder recht hoch, was bitte nicht als Prahlerei zu verstehen ist, vielmehr als eher bedenkliche Tatsachenbeschreibung.

Der Rückweg bergauf durch die Mittagshitze war auch ohne vorherigen Roséverzehr recht anstrengend. Nach Ankunft gab es Erdbeeren mit Creme Fraiche und selbstgemachtem Erdbeer-Granité. Ich verzichtete auf zusätzliche Zuckerung. Noch nie habe ich verstanden, warum man die natürliche Erdbeersüße mit Zucker übertünchen muss, aber das ist wohl, wie so vieles, Geschmacksache.

Danach begab ich mich wieder mit dem Liegestuhl in den Zypressenschatten, wo bei leichtem Wind vorstehende Zeilen niedergeschrieben wurden.

Liegestuhlperspektive
Von der anderen Seite

Nachmittags unternahmen wir eine Ausfahrt nach Nyons und zu unserer Lieblings-Domaine in Vinsobres, wo einige Weinkartons eingeladen wurden. Währenddessen fielen ein paar Tropfen Regen, die sandige Flecken auf dem Auto und anderen glatten Flächen hinterließen.

Donnerstag: Während normaler Arbeitswochen denke ich: Wie schön, schon wieder Donnerstag. Hier und heute: Och nö, schon Donnerstag. Man kann es mir wirklich nur schwer recht machen.

Nachdem es gestern Abend begonnen hatte, regnete es die ganze Nacht durch. Da unser Haus, wie üblich in dieser Region, keine Dachrinnen besitzt, läuft das Wasser direkt ab und es erzeugte auf dem Vordach unter dem Schlafzimmerfenster ein als Schlafbegleitung durchaus angenehmes Dauerprasseln.

Nach dem Frühstück, wetterbedingt heute am Esstisch in der Küche statt vor dem Haus, fuhren wir nach Avignon zum Besuch der Markthalle, auch dort bestand auf dem Weg zwischen Parkhaus und les halles Regenschirmerfordernis.

Schließlich, da das Auto schon mal fuhr, fuhren wir nach Piolenc, wo wir direkt beim Erzeuger einen größeren Posten frisch geernteten Knoblauchs erstanden.

Nach Rückkehr zeigte sich das Wetter weiterhin unentschieden, nicht warm und nicht kalt, bewölkt, immer wieder wieder ein paar Regentropfen. Immerhin: Die angekündigten Gewitter blieben bis zum Zeitpunkt des Aufschreibens am frühen Abend aus. Später zeigte sich doch noch die Sonne.

Durch den Dunst wirkte sie eher wie ein etwas überbelichteter Vollmond

Freitag: Der Wecker ging in unurlaublicher Frühe, weil eine Fahrt nach Marseille geplant war. Nicht einfach so mit dem Auto hinein, was in dieser Stadt vermutlich ein noch geringeres Vergnügen ist als Autofahren ohnehin, vielmehr mit der Bahn ab Miramas entlang der Côte Bleue, eine sehr schöne Strecke mit zahlreichen Aussichten auf das bleue Mittelmeer.

Miramas, vor Abfahrt
Kurz vor Ankunft in Marseille Saint-Charles (bei uns hieße das einfach Marseille Hbf)

Auch die gut zwei Stunden in Marseille waren angenehm, die Stadt zeigte sich längst nicht so laut und schmuddelig wie befürchtet. Nur die Straßenbahnwagen sind die hässlichsten, die ich jemals sah.

Vielleicht denkt sich der Designer im Hauptberuf Kaffeemühlen aus
Oberhalb des alten Hafens
Bahnstation Arenc Euroméditerranée. Ein Ort, den man nach Einbruch der Dunkelheit lieber meidet

Den Zug zurück hätten wir fast verpasst. Nicht, weil wir zu spät gewesen wären an der Station Arenc Euroméditerranée, von wo aus wir nach Miramas zurückfahren wollten. Doch als der Zug fast pünktlich eintraf, fiel mir auf, dass es sich um einen Elektrotriebzug handelte. Das konnte nicht sein, die Strecke war größtenteils nicht elektrifiziert, wie mir während der Hinfahrt aufgefallen war. Nach kurzem Zögern stiegen wir dennoch ein, als das Türzuwarnpiepen schon tönte. Das war gut und richtig, mir war nicht bewusst, dass die französische Staatsbahn SNCF Hybridtriebzüge hat, die unter Fahrdraht elektrisch, sonst mit Dieselmotor fahren. Es ist nicht immer von Vorteil, von Dingen Ahnung zu haben, wenn es nur eine Ahnung ist. Der ahnungslose Fahrgast steigt ohne darüber nachzudenken ein und gerät nicht in derartige Bedrängnis.

Meerblick auf der Rückfahrt mit Marseille im Hintergrund. Die Bildstörungen sind den nach Saharastaubregen nicht ganz sauberen Fenstern geschuldet.

Zur französischen Bahn ist anzumerken: Die Züge waren nicht die allerneuesten, aber sauber und pünktlich. Die Bahnhöfe unterwegs wirkten gepflegt, die Bahnhofsgebäude konnten noch zu Wartezwecken betreten werden und waren nicht verkauft oder abgerissen. Und dank einem Sonderticket für diese Strecke kostete die Fahrt für zwei Person nur fünfzehn Euro.

Abends blieben wir zu Hause und grillten. Der am Donnerstag gekaufte Knoblauch ist ausgezeichnet, roh ziemlich scharf. Es wurde nicht besonders spät.

Abendrot I
Abendrot II

Samstag: Vormittags kam der Vermieter und entfernte die Sahara aus dem Schwimmbecken.

„Sternstunden demokratischer Debatten finden oft zu einer Uhrzeit statt, zu der Schichtarbeiter schon im Bett liegen.“ Über den Satz bitte nochmal nachdenken, lieber General-Anzeiger.

In einer Buchbesprechung bezeichnet dieselbe Zeitung die Autorin als „bekennende Berlinerin“. Man kann sich zu vielem bekennen: als Katholik, Eierbechersammler, FDP-Wähler, Fan einer Fußballmannschaft, Alkoholiker, auch in beliebiger Kombination. Aber als Bewohner einer bestimmten Stadt? Entweder man wohnt dort oder eben nicht, das bedarf nun wirklich keines Bekenntnisses. Nicht einmal, wenn man in Bielefeld wohnt.

Mittags unternahmen wir eine kürzere Radtour, bei der sich das Wetter als wärmer erwies als zunächst angenommen. Besser als umgekehrt.

Sainte-Marguerite wirkte um die Mittagszeit verschlafen, machte jedoch nicht den Eindruck, zu anderen Tageszeiten wacher zu sein

Nachmittags schickte der Geliebte aus Bonn beunruhigende Bilder aus unserer Wohnung, die auf einen schon länger vor sich hin schleichenden Wasserschaden unter der Küchenzeile schließen lassen. Freuen wir uns also auf eine größere Baustelle. Aber erst nach dem Urlaub.

Gegen Abend kühlte es ab, dazu leichter Regen. Deshalb kam es gelegen, dass im Restaurant nur noch im Innenraum ein Tisch für uns frei war. Dort war es nicht nur angenehm warm sondern auch unangenehm laut durch eine Gruppe Belgier, die erst zur Ruhe kamen, als irgendein Fußballspiel begann, dessen Verlauf sie auf ihren Datengeräten verfolgten.

Der Chronist in seinem natürlichen Element (Foto: der Liebste)
Immer wieder schön, wenn Selbstverständliches der Beschreibung bedarf. (Falls Sie es aus Designgründen nicht sofort erkennen: Es handelt sich um den Wasserhahn des Waschbeckens in der Toilette)

Sonntag: Der Tag war sonnig, jedoch windig. Mistral trieb die Wolken nach Süden und lutschte sie dabei klein. Ab dem frühen Nachmittag ließ er nach, als hätte jemand den großen Ventilator einige Stufen kleiner gestellt, aber immer noch genug, um mich aus dem Zypressenschatten unter das windgeschützte Terrassendach zu treiben. Urlaubsstress.

Bitte denken Sie sich dazu eine Bewegung der Wölkchen an den linken Bildrand

Wesentliche Aktivität des Tages war das Einkochen von Knoblauchzehen, beim vorbereitenden Entpulen der Knollen ging ich dem Liebsten etwas zur Hand.

Hierzu denken Sie sich bitte wunderbaren Knoblauchduft

„Wie praktizierst du Selbstfürsorge?“, lautet die WordPress-Tagesfrage. Antwort: Durch konsequente Trennung von Beruflichem und Privat. Während hier meine größte Sorge ist, wo der Liegestuhl am besten steht, befindet sich mein dienstliches Laptop im Büro, das dienstliche Datengerät ausgeschaltet zu Hause in Bonn. Nicht im Traume fiele mir ein, hier nach geschäftlichen Mails zu schauen.

***

Kommen Sie gut durch die Woche.

Woche 23/2023: Voila – Ginster, Gegend und Gewölk

Montag: Aus Gründen, die mit vergorenen Weinbeeren am Vorabend im Zusammenhang stehen, kamen wir morgens erst relativ spät aus den Betten und an den Frühstückstisch, aber man hat ja Urlaub. Vormittags lungerten wir lesend in Liegestühlen vor dem Haus, danach unternahmen wir eine erste Ausfahrt in die nähere, ginsterbeblühte Umgebung, einschließlich Besuch zweier Groß-Supermärkte in Vaison-la-Romaine. Der Liebste liebt solche Läden, kann sich dort stundenlang aufhalten und das Warenangebot studieren. Ich dagegen finde es nach spätestens einer halben Stunde ermüdend, daher ist mein Bedarf an Großsupermarktbesuchen bis auf Weiteres gedeckt.

Liegestuhlperspektive

Am frühen Abend baute sich im Süden eine beeindruckende Gewitterfront auf. Laut WetterOnline sollte in den nächsten Stunden nichts passieren, das hatten sie gestern Nachmittag auch behauptet, plötzlich waren wir mittendrin. Daher verzichteten wir heute auf das Nachmittagsgetränk im Ort, das mit einem etwa viertelstündigen Fußweg hin und wieder zurück verbunden wäre, und blieben zu Hause. Heute mal kein Bier, das ist nicht schlimm, wir haben adäquaten Ersatz in ausreichenden Mengen im Haus, siehe oben. Für nach dem Urlaub formuliere ich dann mal einen Vorsatz, in dem das Wort „alkoholfrei“ vorkommt.

Aber auch wirklich erst nach dem Urlaub

Gelesen bei Herrn Kiezschreiber und zustimmend genickt: »Warum überhaupt alt werden? Ich habe mal ein Interview mit einer Hundertjährigen gesehen, die zum Reporter gesagt hat, sie wünschte, es wäre endlich alles vorbei. Ich bin 56 und denke manchmal: Eigentlich ist ja auch mal gut. Was soll im Alter noch kommen?«

Dienstag: Dank vorabendlicher Trinkdisziplin saßen wir zu angemessener Zeit und mit Appetit am Frühstückstisch. Danach fuhren wir in westliche Richtung bis nach Piolenc, bekannt als Anbaugebiet von Knoblauch, wovon wir, da wir schonmal dort waren, einen größeren Posten erstanden.

Bitte denken Sie sich den angenehmen Duft selbst dazu

Dabei fuhren wir auch an mehreren Lavendelfeldern entlang, die bereits violett zu schimmern beginnen, indes bis zur vollen Postkartenblüte noch einige Wochen benötigen. (Ich bin mir sicher, dieses Bemerknis so oder ähnlich bereits früher beschrieben zu haben, bitte sehen Sie es mir nach. Das lässt sich nicht ganz vermeiden, wenn man so häufig in der Gegend ist.)

Séguret, nicht zu verwechseln mit Sablet gleich nebenan

Beim Nachmittagsgetränk nach Rückkehr in Malaucène beobachtete ich den auffällig blauen Wagen einer Auto Ecole beim Einparken in eine enge Lücke. Das wirkte auf den ersten Blick etwas ungelenk, doch bin ich sicher, mit meinen – lassen Sie mich rechnen: achtunddreißig Jahren Führerscheinbesitz hätte ich es keinesfalls eleganter hinbekommen als der junge Fahrschüler.

Auf Vorschlag und Wunsch des Liebsten haben wir uns Fahrräder geliehen, die wir am frühen Abend abholten. Zum ersten Mal fahre ich nun Elektrorad, was angesichts der örtlichen Topografie, wo ebene Straßen die Ausnahme sind, durchaus angenehm ist. Wesentlich älter fühlt es sich auch nicht an.

An der Zufahrt zum Haus sitzt dieser Bursche. Im Gegensatz zu ähnlichen Gesellen auf Plätzen und in Fußgängerzonen verharrt er in völliger Regungslosigkeit, auch wenn man ihn mit Münzen bewirft. Respekt.

In Bonn hat eine Klimakonferenz begonnen. Als wir hier abends auf der Terrasse der Pizzeria saßen, unterhielten sich nebenan drei junge Franzosen etwa eine halbe Stunde lang, derweil der Automotor des einen die ganze Zeit lief; zeitweise gesellte sich ein zweites Auto mit laufendem Motor dazu. Das ist ein Grund, weshalb ich den Sinn von Klimakonferenzen zunehmend anzweifle.

Mittwoch: In den frühen Morgenstunden saß eine Nachtigall (oder ein anderer früher Vogel, ich kenne mich da nicht so aus) vor dem Fenster und gab ihre neuesten Hits zum besten. Das war sicher lieb gemeint, doch des Guten zu viel, daher schloss der Liebste das Fenster. Nachdem der Krachtigall kein Erfolg zuteil wurde in Form von Liebesglück oder wenigstens Applaus, zog sie weiter, das Fenster wurde wieder geöffnet. Ich war nun wach, konnte zunächst nicht wieder einschlafen und formulierte stattdessen diese Notiz in der Hoffnung, sie bis zur Niederschrift am Morgen nicht zu vergessen. Voila.

Morgens beim Decken des Frühstückstisches spielte Radio Nostalgi „Last Christmas“ von Wham!. Warum auch nicht, es ist nie zu früh, an Weihnachten zu denken.

Wie verabredet trafen mittags die Schwiegerschwester und Gatte bei uns ein, die mit dem Wohnmobil Südfrankreich bereisen. Nach dem Begrüßungskaffee unternahmen wir gemeinsam eine Radtour nach Vaison-la-Romaine, meine erste längere Tour mit elektrischer Unterstützung, ich bin angemessen begeistert. Auf dem Rückweg näherten wir uns einem heftigen Regenschauer um Malaucène, der sich bei Ankunft freundlicherweise soeben ausgeregnet hatte, nur die begossenen Straßenbäume betropften uns noch etwas; somit alles richtig gemacht.

Donnerstag: Nach dem Frühstück unternahmen wir mit den Schwiegers eine Autotour um und über den Mont Ventoux, mit Zwischenhalten in Montbrun-les-Bains (frei übersetzt etwa: Bad Braunberg), Sault und bei einem Lavendel verarbeitenden und die daraus entstehenden Produkte verkaufenden Betrieb, wo wir in deutscher Sprache eine kleine Führung mit Erläuterung der Lavendelölherstellung durch Destillation erhielten.

Montbrun-les-Baines

Der Gipfel des Mont Ventoux hüllte sich heute, im Gegensatz zu den Vortagen, nicht vollständig in Wolken. Ab und an zog eine vorüber, was recht beeindruckend aussah. Auch sonst blieb es heute regenfrei. Bei Rückkehr zum Haus stand auf dem Tisch davor eine Papiertüte voll frisch gepflückter Kirschen, mutmaßlich vom Vermieter. Das ist ja mal nett.

Blick vom Gipfel des Mont Ventoux

Am frühen Abend tönte vom Ort Partymusik zu unserem oberhalb gelegenen Haus, vermutlich im Zusammenhang mit einer niederländischen Radfahrer-Veranstaltung zugunsten der Bekämpfung von ALS, wenn ich das richtig verstanden habe. Ist das nicht diese Erkrankung, wegen der sich die Leute vor einigen Jahren eimerweise Eiswasser über den Kopf kippten? (Also nicht wegen der Symptome, sondern um auf das Thema aufmerksam zu machen.) Wie auch immer – unter anderem spielten sie „Viva Colonia“ von den Höhnern. Dafür fährt man nun nach Südfrankreich.

Gartenblick

Freitag: Nach dem Frühstück fuhren die Schwiegers weiter Richtung München, wo der Schwager morgen ein Rammstein-Konzert besuchen wird, was rein gar keine Rückschlüsse auf seinen Charakter zulässt. Im Gegenteil, die zwei sind sehr angenehme Ostwestfalen mit allen positiven Eigenschaften, die den Ostwestfalen ausmachen und die ich gerne um mich habe. Und doch verspürte ich bei ihrer Abreise ein ganz klein wenig das, was Herr Fischer kürzlich sehr treffend als „Sozialkater“ bezeichnet hat. Was auch immer das über meinen Charakter aussagt.

Nach ihrer Abfahrt machten wir eine kurze Radtour in die Gegend östlich von Malaucène. Sie endete im Ort bei der Bar unseres Vertrauens, wo wir wegen unklarer Wetteraussichten das Nachmittagsgetränk vorzogen, selbstverständlich im vernünftigen Rahmen, so dass eine unfallfreie Heimfahrt per Fahrrad sichergestellt blieb. Am Nebentisch saß ein Paar mit Kinderwagen, statt des Nachwuchses schaute ein kleinerer Hund heraus. Vielleicht war er ja gehbehindert.

Gegend bei Les Alazards
Ginster in Gegend mit Gewölk
Für die Trafoturm-Sammlung

Samstag: Da wir noch immer die Fahrräder gemietet haben, was nebenbei bemerkt ganz schön teuer ist, müssen wir sie auch nutzen. Das taten wir heute mit einer Radtour über Le Barroux nach Suzette, mit ganz viel Berg- und Talfahrt. Ich muss nochmals meine Begeisterung für elektrisch unterstütztes Radfahren zum Ausdruck bringen: Wenn es anstrengend wird, drückt man auf ein Plus-Knöpfchen, und schon ist es gerade so, als würde man von einer unsichtbaren Hand oder einer kräftigen Rückenwindböe angeschoben. Bergab wird es mir allerdings auch ohne Schubunterstützung ab dreißig Stundenkilometern unheimlich, deshalb wurden die Hände mit Bremsen ungefähr genauso stark beansprucht wie die Beine mit Trampeln. Gleichwohl werde ich mir zu Hause auf absehbare Zeit kein Elektrorad zulegen, für den Alltagsgebrauch innerhalb Bonns genügt das rein muskelbetriebene voll und ganz.

Zwischen Le Barroux und Suzette
Suzette in Sichtweite. Ungefähr hier drückte ich das Plus-Knöpfchen.
Landschaft mit Drogenanbau vor Suzette
Lavendel, vielleicht auch Lavandin
Nachtglas

Sonntag: Während wir frühstückten, kamen nacheinander vier Fallschirmspringer angeschwebt und landeten auf der Wiese nebenan, nachdem sie wohl vom Mont Ventoux abgesprungen waren. Das ist bestimmt toll, so eine lange Strecke über Hügel, Wälder, Wiesen und Dörfer zu gleiten, jedoch nichts, was für mich als Freizeitbeschäftigung in Frage käme. Immerhin besser, als ohne jede Sicherung in hunderte Meter hohen, senkrechten Felswänden herumzuklettern oder mit einem Fahrrad unbefestigte Berghänge herunterzubrettern. Oder mit Motorenlärm andere Leute zu belästigen.

Da heute keine besonderen Aktivitäten anstanden, zog ich es vor, mich zum Lesen und Schreiben in den Garten zu setzen. Ein schönerer Schreib- und Leseplatz ist kaum denkbar: Man kann nicht nur die Gedanken schweifen lassen, sondern auch den Blick, über den Ort hinweg auf die gegenüber liegenden Hügel, und immer wieder in die Wolken. Ich liebe diese Tage, an denen die wesentliche Tätigkeit darin besteht, den Liegestuhl immer wieder umpositionieren, damit er im Schatten steht.

Monstermücke
Ein Glücksort

Tagsüber war es sehr heiß. Deshalb machten wir erstmals von der piscine Gebrauch, die zum Haus gehört. Seit Ewigkeiten war ich nicht mehr in einem Schwimmbecken, und heute voraussichtlich nicht zum letzten Mal.

***

Kommen Sie gut durch die hoffentlich nicht zu heiße Woche.

Woche 22: Hand am Arm und zweibeinige Spatzen

Montag: Ein Nachtrag zu letzter Woche, ich fand den Eintrag erst heute in meinen Notizen wieder, es ist nur ein Wort. Am Samstagnachmittag probierten wir bei einem Moselwinzer sein Sortiment; am Ende, als alles probiert und für gut befunden war, wurde der „Reparaturriesling“ gereicht, ein einfacher Riesling mit dem Zweck, die aufgrund vorangegangener Aromenstürme vor Verzückung jubilierenden Geschmacksnerven zu beruhigen und sie wieder auf den Boden der Tatsachen zu führen. So, als reichte ein Molekularküchensternekoch nach dem letzten Gang eine herzhafte Frikadelle.

Was allemal besser wäre als die tote Banane, die neuerdings bei uns im Hof liegt.

KW22 - 1

Dienstag: Geträumt: Wir saßen in so einem Züglein, mit denen Touristen durch fremdenverkehrlich auffällige Städte gefahren werden, Sie kennen die sicher, mehrere offene Waggons hinter einem als Lokomotive verkleideten Traktor, dessen Fahrer den Fahrgästen per Bordlautsprecher die örtlichen Sehenswürdigkeiten erklärt. In so einem vollbesetzten Züglein also fuhren wir durch eine Straße, die auf beiden Seiten von ebenfalls vollbesetzter Außengastronomie gesäumt war (der Traum spielte demnach vor, oder, falls es das irgendwann geben sollte, nach Corona), man beobachtete sich gegenseitig, wir im Zug die draußen und umgekehrt. An einem Tisch draußen saß ein extrem dicker, unzufrieden wirkender Junge, und während ich, als wir ihn passierten, dachte: Boah, ist der dick, ging ein kollektives „Boah, kuck mal …“ durch das Züglein. Das fand ich beschämend.

Im nächsten Traum wurde mir als Teilnehmer einer Liveshow auf RTL die Aufgabe gestellt, möglichst lustig einen Zahnarzt mit extremem Lippenherpes zu spielen. Während ich mir unter den Augen eines Millionenpublikums recht ungeschickt eine Schutzmaske aufsetzte (dieser Traum spielte womöglich zu Corona), dachte ich: So ein Unsinn. Nach einer Stunde wurde die Szene wegen akuter Unlustigkeit abgebrochen.

Im Werk hörte ich in einer Besprechung nämliches: „Wie ihr wisst, sind wir zeittechnisch nicht gerade gut unterwegs.“ Auch nicht besonders lustig.

Mittwoch: Die Ausgaben für Verteidigung werden laut Zeitungsbericht in diesem Jahr um 3,5 Milliarden Euro gegenüber Vorjahr steigen. Gerade in unsicheren Zeiten wie diesen kommt es darauf an, das Geld für die richtigen Dinge auszugeben und die Rüstungsindustrie zu stützen.

„Das ist noch sehr Hand am Arm„, sagt einer während einer Präsentation. Wo denn sonst? Ist das wieder so ein stumpf übersetzter Anglizismus, oder was meint das?

„Wie war die Anrufqualität“, fragt Skype nach der Konferenz. Inhaltlich eher fragwürdig, möchte ich antworten.

Bei Heimkehr aus dem Werk hatte ich den Eindruck, die Banane im Hof hätte sich kurz bewegt.

Donnerstag: Im Pressespiegel ein Interview mit dem Senior Transaction Manager Global Operations Real Estate & Design eines großen Versandhändlers, bei dem ich aus grundsätzlichen Erwägungen nichts bestelle. Da geht einem schon beim Lesen des Titels einer flitzen.

Flitzen gegangen ist auch die Banane, jedenfalls ist sie weg. Ob sie sich aus eigener Kraft entfernte oder jemand spontan Vitaminbedarf hatte, ließ sich nicht klären.

Das sollten Sie lesen, vor allem das mit den Leckmuscheln.

Freitag: Für Menschen mit fragwürdigem Naturverständnis mag es „Unkraut“ sein, mich hingegen ließ auf dem Weg in die Kantine dieses Lavendelchen kurz lächeln.

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Apropos Natur: Nachdem es hieß, die Zahl der Spatzen ginge zurück, beobachte ich sie in letzter Zeit – neben den bereits erwähnten Halsbandsittichen – in erfreulicher Anzahl vor meinem Büro, wo sie mir vom Fenstersims aus tschilpend bei meinem Tun und Lassen zuschauen. „Mich besuchen in letzter Zeit viele Spatzen“, erzählte ich am Morgen. Der Geliebte: „Ist klar, vor allem zweibeinige.“ – „Ja, was sonst?“ – „… ach ja.“

Samstag: Der Duft von Lavendel hält übrigens nicht nur Motten vom Kleiderschrank fern, er lindert auch Liebeskummer, steht in der Zeitung. Nicht dass ich welchen hätte oder in absehbarer Zeit erwarte, dennoch gut zu wissen, falls mal ein zweibeiniger Spatz herbeiflattert.

Aus Gründen, die hier nicht näher erläutert werden sollen, suche ich regelmäßig die Altglascontainer hinter dem Stadthaus auf. Diese können wegen einer Baustelle zurzeit nicht geleert werden, was zur Überfüllung des mittleren, laut Anschrift „Nur für Weißglas“ bestimmten geführt hat. Davor steht nun eine größere Menge Flaschen und Gläser, immerhin korrekterweise nur farblose, da Leute einerseits keine Lust haben, das Zeug zu einem anderen Container zu schleppen, andererseits, vielleicht aus Gründen gewisser Obrigkeitshörigkeit, sich nicht trauen, es wie ich und augenscheinlich vor mir bereits andere in die Behälter daneben für Braun- und Grünglas einzuwerfen, die noch über freie Kapazitäten verfügen oder „Luft nach oben“, wie man auf Blöddeutsch oft hören muss. Vielleicht ist das dieses „typisch Deutsch“.

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Der Liebste war beim Friseur. Abends wurde mein Kopfhaar thematisiert, mit völlig unangemessener Bezugnahme auf die Hinterkopflichtung durch den Geliebten: „Du hast bald die Haare wie Roy Black.“ – „Wie hat denn Roy Black die Haare?“ – „Gar keine mehr.“

Logik beim Abendessen, es gab gegrillten Rollbraten: „Die Schnur kann man mitessen, ist Baumwolle.“

Sonntag: Alle Jahre wieder- was genau war nochmal Pfingsten? Ist dieser Heilige Geist auch so eine Art Virus?

Gespräch beim Frühstück: „Blühen die Pfingstrosen im Garten schon?“ – „Die sind schon verblüht.“ – „Da kann man mal sehen, wie dusselig die sind.“

Nachmittags kam mir eine Dame auf dem Fahrrad mit volltätowierten Brüsten entgegen. Das war sehr unschön.

Woche 27: Der Taubenvergrämer von Malaucène

Montag: Zum Konzert mit dem Tenor Andrea Bocelli in der Köln-Arena schreibt der Bonner General-Anzeiger: „Aber die Strahlkraft seiner Stimme, das, was uns dazu bringt, tief in uns hineinzuhorchen, um dann, endlich, all das preiszugeben, daran zu leiden und es gleichzeitig zu genießen, was in uns schlummert und um Süße, Sehnsuchtserfüllung und Vergebung bettelt, ist noch immer da.“ Ja, da möchte man schmerzerfüllt um Vergebung betteln. In einem anderen Artikel wird die Sängerin Bonnie Tyler als „Rock-Röhre“ bezeichnet. Das ist mindestens so fade-verstaubt (oder „asbach“, wenn Ihnen das lieber ist), wie jemandem, der die Satire beherrscht, zu bescheinigen, er bringe die Dinge „mit spitzer Feder“ auf den Punkt.

Nicht einmal der SPIEGEL ist bereit, auf abgenutzte Synonyme und schiefe Bilder zu verzichten: Ein (ansonsten sehr lesenswerter) Artikel über Österreich kann nicht ohne das Wort „Alpenrepublik“ verfasst werden, und zum Ableben von Joseph Jackson, dem Vater von Michael, Janet, La Toya und einigen weiteren muss man lesen, er habe seine Kinder „durch ein Stahlbad“ geschickt, was auch immer das bedeuten mag.

Leider ist meine Feder nicht annähernd so spitz wie die des Meisters der Überleitung, Max Goldt. Daher nun ein etwas unsanfter Themenwechsel:

In der Bar, wo wir immer unser Nachmittagsbier einnehmen, lief Fußball im Fernseher, die Franzosen sind ja noch dabei. Auch wenn es mich nicht interessiert, musste ich doch ab und zu hinschauen. Dieser brasilianische Fußballstar, dessen Name mir aus Sicherheits- und rechtlichen Gründen gerade entfallen ist, erinnert mich an ein lackiertes, dressiertes Äffchen.

Dienstag: Am Morgen nahm ich nach sechs Jahren Abschied von meinem mittlerweile von reichlich Silberstoppeln durchsetzen Mehrtagesbart. Erstmal vorläufig, vielleicht nur vorübergehend. Ich weiß es noch nicht. Das entscheide ich kommende Woche.

Mit großer Freude darf ich darauf hinweisen, dass mir am 10. August erneut die Ehre zuteil wird, ein paar Zeilen aus meinem Schaffen verlesen zu dürfen. Einzelheiten dazu hier: https://4xmi.de/

Mittwoch: Nachdem bereits gestern am frühen Abend ein Gewitter die Stadt umzogen hatte, war in der Nacht erneut ein leichtes, fernes Grollen zu vernehmen, was sich ungünstig auf die Qualität meines Schlafes auswirkte. Freundlicherweise blieb es in der Ferne und verstummte bald wieder.

Während in der heimischen Ferne die lieben Kollegen damit beschäftigt sind, die Welt zu retten, oder wenigstens das „EBIT“ des Unternehmens, während in Berlin Frau Merkel mit Herrn Seehofer zankt, sitze ich im Schatten vor unserem Urlaubsdomizil und gebe mich genüsslich der Lektüre des von mir sehr geschätzten, bereits oben erwähnten Max Goldt hin, von dem ich extra für den Urlaub in der Buchhandlung meines Vertrauens (und nicht bei Amazon, trotz EBIT, oder gerade deswegen, die Ansichten darüber gehen zurzeit auseinander) drei weitere Bücher erstanden habe. (Vor einiger Zeit las ich, er schreibt nicht mehr, weil ihm nichts mehr einfällt. Stimmt das? Das wäre sehr zu bedauern.) Doch der Anschein der Ruhe trügt, nur eine Armlänge von meinem bequemen Stuhl entfernt tobt Krieg: Zwei Ameisenvölker liefern sich wilde Schlachten, wobei ich nicht erkenne, welches Volk im Vorteil ist. Während die einen durch ihre Körpergröße beeindrucken, sind die anderen in der Überzahl. Als zum Katastrophisieren neigender Mensch rechne ich nun damit, dass sie sich verbünden und ich morgens eine dunkle, kribbelnde Masse auf der Bettdecke vorfinde.

Donnerstag: Rote Mückenstich-Placken verunzieren Bein und Fuß. Das ist unschön, jedoch besser, als von Ameisen verzehrt zu werden. Die sind inzwischen verschwunden. Entweder haben sie sich gegenseitig umgebracht, oder die Flucht ergriffen, nachdem der Liebste großräumig Katzenvergrämungsspray ausgebracht hat wegen der Köttel unter dem Frühstückstisch.

Übrigens: Auch in Malaucène, dem lieblichen Ort in der nördlichen Provence, in welchem wir zurzeit in unsere Urlaubstage hineinzuleben das Vergnügen haben, gibt es jetzt einen Taubenvergrämer. Nur handelt es sich hier nicht um eine populäre Twitter-Figur, sondern einen im Baumwipfel angebrachten Lautsprecher, der in regelmäßigen Abständen Schreie von Greifvögeln und anderem Getier verlauten lässt und damit nicht nur Tauben, sondern augenscheinlich auch den einen oder anderen Tourist auf Abstand hält.

Freitag: Es ist schon bemerkenswert, wenn der Vorstandsvorsitzende eines Konzerns das 232-fache „verdient“ von dem, was alle anderen Beschäftigten des Unternehmens im Durchschnitt bekommen. Erst recht dann, wenn dieser Konzern kürzlich noch eine Gewinnwarnung herausgegeben hat unter anderem wegen zu hoher Personalkosten. Aber wahrscheinlich ist es eine menschliche Gewohnheit, immer mehr haben zu wollen, auch wenn man schon genug hat.

Zu den unschönen menschlichen Gewohnheiten gehört auch die öffentliche Nasenreinigung ohne Taschentuch: Man hält sich das eine Nasenloch zu und schnaubt das Sekret aus dem anderen in die Umgebung. Bislang beobachtete ich das nur bei Radfahrern, was es nicht akzeptabler macht, heute sah ich indes auch einen Fußgänger auf der Straße dergleichen tun. Zum Glück befand sich gerade niemand in seiner unmittelbaren Umgebung, auch ging er während des Schnaubens nicht an einem Obststand entlang. Und ja: Ich benutze Stofftaschentücher, aus Gewohnheit und Überzeugung, und ich wüsste nicht, was es darüber zu diskutieren gibt.

Samstag: Während eines Ausflugs um und über den Mont Ventoux ließ in der Nähe des Ortes Sault, welcher durch Lavendel verarbeitendes Gewerbe Touristen aus Nah und Fern lockt, ein Lavendelfeld, das den Eindruck erweckte, es sei nur für die Produktion der einschlägigen Provence-Postkartenmotive angelegt worden, welches grober gewebte Charaktere mit wenig Sinn für Schönes womöglich gar als kitschig bezeichnen würden, die Motivklingeln unser Mobilgeräte aufs Heftigste ausschlagen, oder bellen, wie der Brite sagen würde, müsste er nicht gerade Fußball schauen. Die Eindrücke möchte ich Ihnen nicht vorenthalten:

Apropos Fußball: Das Albernste bei den Spielen sind ja diese Werbewände, die anschließend eiligst aufgestellt werden, um Spieler davor zu zerren und zu zwingen, sinnlose Dinge zu sagen.

Sonntag: Heute ist nichts Nennenswertes geschehen. Also es ist bestimmt schon einiges passiert: Donald Trump hat wahrscheinlich irgendwas Blödes getwittert, in Russland wird ein Ball in ein Netz geflogen sein, und vielleicht hat „Astro-Alex“ wieder etwas Sympathisches gesagt oder getan, woraufhin ihm die Herzen der Welt in seine Umlaufbahn zuflogen, ein interessantes Bild, aus dem ein Comiczeichner oder Zeichentrickfilmer sicher was machen könnte. Also mir ist jedenfalls nichts zu Gesicht oder -hör gekommen, was notierenswert erschiene. Weitere Informationen zum Tag entnehmen Sie daher bitte den von Ihnen bevorzugten Medien.

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