Woche 47/2025: Beeindruckende Aussichten und winterliche Kälte

Montag: Appetit kommt beim Essen, Inspiration beim Schreiben, so jedenfalls die Hoffnung. Heute kam nicht viel, was nichts über die Qualität des Tages aussagt. Der war insgesamt nicht schlecht, bot allerdings wenig Notierenswertes. Dass es wie angekündigt kälter geworden ist, haben Sie vermutlich selbst mitbekommen.

Vielleicht noch dieses: Die Kessler-Zwillinge sind gestorben, beide am selben Tag, neunundachtzig sind sie geworden. Ich selbst verband wenig mit ihnen, hatte sie vor Jahren in der einen oder anderen Fernsehshow zur Kenntnis genommen und hätte bis gestern nicht mit Bestimmtheit sagen können, ob sie noch lebten. Soweit man weiß, wählten sie den assistierten Freitod. Wer wollte es den beiden Damen verdenken, dass sie, nachdem sie ihr gesamtes Leben gemeinsam verbracht hatten, auch zusammen diese Welt verlassen wollten.

Büroblick, nachmittags

Dienstag: Die scheinbar ewige Baustelle am Rheinufer hat mal wieder eine neue Gestalt angenommen. Dadurch war ich genötigt, den Fußweg ins Werk, erstmals wieder in MSH-Ausstattung (Mütze, Schal, Handschuhe), zunächst ein Stück in Gegenrichtung zu gehen, ehe er dem Ziel entgegen fortgesetzt werden konnte. Ich bin gespannt, ob das noch vor meinem Ruhestand fertig wird.

Die Bäume am Rheinufer haben in den letzten Tagen die meisten Blätter abgeworfen, nur die Pappeln sind in der unteren Hälfte noch nicht kahl, ähnlich Männern im fortschreitenden Alter, deren Haupt nur ein schütterer Haarkranz ziert. (Bei Frauen kommt das selten vor, wenigstens hier sind sie im Vorteil.) Was letze Woche noch golden leuchtete, liegt heute braun am Boden, mit lärmenden Geräten zusammengeblasen, darauf der erste Rauhreif. (Ja, Rechtschreibprüfung, mach nur deine Strichelchen darunter, ich schreibe es trotzdem weiterhin mit h.) Nun beginnt wieder die lange blätterlose Zeit, mindestens bis März. Ehe die Bäume wieder grünen, bin ich an der Zahl ein Jahr älter, immerhin auch dem Ruhestand etwas näher.

Vormittags machte ich von der Möglichkeit der Grippeschutzimpfung durch den Betriebsarzt Gebrauch. Bis zum Zeitpunkt der Niederschrift ist keine Nachwirkung zu spüren, das darf gerne so bleiben.

Auf dem Rückweg besuchte ich ein Café am Marktplatz, wo ich mir zur Abwechslung und passend zum Wetter einen Minztee bringen ließ. Ab Freitag, wenn der Weihnachtsmarkt eröffnet ist, gibt es wieder andere temperaturangemessene Rückwegsgetränke.

Morgenrot. Auf dem (unbearbeiteten) Foto wirkt es dramatischer als in Wirklichkeit.
Morgentau

Mittwoch: Da für nachmittags Regen angekündigt war, fuhr ich mit der Stadtbahn zum Werk. Weiterhin in MSH-Ausstattung staunte ich an der Haltestelle über ein junges Mädchen in Rock und T-Shirt auf dem Bahnsteig gegenüber sowie einen jüngeren Burschen neben mir, der seine großflächig tätowierten Beine in kurzen Hosen präsentierte. Vielleicht war deren Einfärbung so teuer, dass sie unmöglich unter wärmenden Hosenbeinen verborgen bleiben dürfen.

Am Hauptbahnhof stieg ein Jüngling zu und setzte sich mir schräg gegenüber. Kaum saß er, tat er, was Leute in seinem Alter zu tun gezwungen sind: Er zückte das Datengerät und schaute darauf. Währenddessen – mutmaßlich war die Kamera aktiviert – zupfte er seine aufwendige Lockenpracht zurecht, korrigierte hier und da eine Tolle, anschließend schaute er noch einmal prüfend ins spiegelnde Fenster der Bahn und legte ein letztes Mal Hand an; das ganze ohne ein für den Betrachter erkennbares Resultat, danach sah er genauso aus wie vorher. Vermutlich fand er den älteren Typen schräg gegenüber, der ihn beobachtete und was in ein Notizbuch schrieb, mindestens genauso seltsam.

„Wo Licht endet, beginnt das Abenteuer“, wird in den U-Bahn-Stationen für eine Ausstellung in der Bundeskunsthalle geworben. Leicht wehmütig denke ich dabei an längst vergangene Nächte in Köln zurück und befinde: Stimmt.

Donnerstag: Obwohl die Temperatur morgens im niedrig-einstelligen Celsiusbereich lag, erschien es mir auf dem Fußweg ins Werk nicht so kalt wie nachmittags zurück. Ich beobachte es öfter und schrieb es vermutlich schon, dass es mir morgens weniger kalt erscheint als nachmittags. Als ob mein Körper über einen inneren Nachtspeicherofen verfügt, der sich im Schlaf aufheizt und bis in den Vormittag nachwärmt.

„CITY-STROLL GO-TO LOOK“ schreit den Strollenden ein Schriftzug am Schaufenster eines Herrenmodegeschäfts in der Innenstadt an. Ob das zum Konsum animiert, sei angezweifelt. (Ich musste die Bedeutung von „stroll“ recherchieren: bummeln, spazieren; wobei ich da und auch sonst mit meinen schmalen Englischkenntnissen kein Maßstab bin.)

Per Teams-Chatnachricht schickte mir jemand unbekanntes, der mich gleichwohl und wie mittlerweile üblich duzte, eine knappe Frage zu einer E-Mail, die ich womöglich irgendwann geschickt hatte und an deren Inhalt ich mich nicht erinnerte. Erledigte Angelegenheiten werden in meinem Kopf bald gelöscht; ich bin weit über fünfzig und muss mit meinen Hirnkapazitäten haushalten. Nun hätte ich in Outlook nach der betreffenden Mail suchen oder ebenfalls per Chat rückfragen können, was genau sein Begehr sei. Doch warum sollte ich das tun? Warum schickte er seine Frage nicht einfach als Antwort auf die betreffende Mail?

Mit leichter Sorge nehme ich in unserem Geschäftsbereich eine zunehmende Verschnauzbartung der jüngeren Kollegen wahr.

Nicht mit Sorge, indes Bedauern nehme ich zur Kenntnis, dass der Rheinpavillon, der auf meinem Arbeitsweg liegt, wohl auch in diesem Jahr auf eine eigene Glühweinbude verzichtet. Das ist schade, aber zum Glück gibt es ab morgen Alternativen.

Ab kommenden Jahr werden junge Männer, mit und ohne Schnauzbart, wieder zur Musterung geladen, wird gemeldet. Dabei wird auch gerne, oft mit einem Augenzwinkern, der ärztliche Griff in primäre Geschlechtsorgane, verbunden mit der Aufforderung zum Husten genannt, der wohl beibehalten werden soll. Meine Musterung war Mitte der Achtziger. Auch ich wurde dabei – soweit ich mich erinnere von einer Ärztin – aufgefordert, die Unterhose herabzulassen. Jedoch, da bin ich mir sicher, griff sie nicht zu, sondern schaute nur kurz und war mit dem Vorgefundenen offenbar zufrieden.

Freitag: Die aufgehende Sonne streute goldenes Licht über die Stadt, was mich veranlasste, noch etwas öfter aus dem Fenster meines Büros zu schauen als sonst.

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Sie sei „geistig versumpft“ gewesen begründete eine Besprechungsteilnehmerin ihr nur geringfügiges Zuspätkommen. Eine sympathische Alternative zu busy oder rabbit hole und ähnlichem Verbalgefuchtel.

Wie ich auf Befragung eines der oben genannten Schnauzbartträger erfuhr, tun sie das nicht einfach so, sondern im Rahmen des Movembers. Von mir aus, wenn es nützt. Ansonsten greift die allgemeine Infantilisierung weiter um sich. Die Intranetseite, auf der man IT-Störungen melden kann, ist mit diesem Bild illustriert:

Bei dem Kollegen wäre eine IT-Störung wohl das geringste Problem.

Beeindruckende Aussichten spätnachmittags auch an der Nordseeküste vor Büsum, gesehen durch die örtliche Webcam:

https://www.buesum.de/buesum-erleben/webcams/gruenstrand

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass wir abends den heute eröffneten Bonner Weihnachtsmarkt aufsuchten. Bitte stellen Sie sich entsprechende Bilder brennender Feuerzangenbowle selbst vor.

Samstag: Als wahrer Meister im Zeigen völlig sinnloser Artikelbilder zeigt sich auch immer wieder der General-Anzeiger Online, wie hier wieder zu sehen ist:


Zusammenhangloser Gedanke zwischendurch: Viel Leid wäre der Welt erspart geblieben, hätte der HERR stattdessen Adam und Egon erschaffen.

Sonntag: Bloggen verbindet. Es freut mich immer wieder besonders, Mitblogger und -innen persönlich zu treffen anstatt sich nur gegenseitig zu lesen, vielleicht ein Gefallensherzchen oder einen freundlichen Kommentar zu hinterlassen, bestenfalls das andere Blog zu zitieren. Heute traf ich mich mit Thomas, der vielen von Ihnen auch als Schreiblehrling bekannt sein dürfte. Winterliche Kälte hielt uns nicht von einem gemeinsamen Spaziergang auf die andere Rheinseite ab, Ziel war der Biergarten Zum Blauen Affen, wobei ich nicht annahm, dass dieser geöffnet wäre, vielmehr war der Weg das Ziel. War er aber doch, der Sitzbereich war mit Zeltplanen umhaust und ein Gasbrenner brachte eine gewisse Behaglichkeit leicht unterhalb üblicher Biertrinktemperatur. Für Glühwein reichte es.

Auf dem Rückweg zogen von Westen dunkle Wolken auf. Deshalb änderten wir unseren Plan, eine Gaststätte in Beuel aufzusuchen und wechselten zunächst wieder die Rheinseite. Dort fanden wir Platz in einem gut besuchten Café in Innenstadtnähe, wo wir durch unsere Anwesenheit den Altersschnitt geringfügig senkten und es uns bei Kaffee und Kuchen gutgehen ließen, derweil draußen Schnee fiel und stellenweise sogar liegen blieb.

Schnee im Anflug

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Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Kommen Sie gut durch die hoffentlich nicht zu kalte Woche.

19:30

Woche 41/2024: Kiloweise Trüffel, nicht geleerte Teller und Abschied

(Der letzte Blogeintrag vergangener Woche war der eintausendste, wie ich erst jetzt bemerkt habe. Somit ist dies der tausenderste.)

Montag: Die Woche begann bewölkt mit ein wenig Regen, dafür ungewöhnlich warm. Also nicht T-Shirt-kurze-Hosen-warm, jedenfalls nicht für mich, immerhin ließ es sich mit Pullover im Liegestuhl ganz gut aushalten. Wobei ich dazu kaum kam, nachmittags unternahmen wir eine Ausfahrt in die Umgebung: In Saint-Maurice-sur-Eygues erstanden wir in der Bisquiterie eine größere Menge regionaltypischen Gebäcks. In Vinsobres besuchten wir das befreundete Weingut, wo man gerade gut mit der Lese beschäftigt ist. Wie überall ist die Erntemenge in diesem Jahr wegen des Wetters gering, dafür wird eine hohe Qualität erwartet. Auf einen größeren (W)Einkauf verzichteten wir, irgendwann muss das ganze Zeug in unserem Keller ja mal getrunken werden. In Nyons besorgten wir im Brauerei-Werksverkauf lokales Bier und Limonade, außerdem in der Coopérative zwei Eimer Oliven für das befreundete Restaurant in Bonn.

Für das Abendessen (wegen ungünstiger Wetterprognose zu Hause) kauften wir bei Puyméras weißen Trüffel, dessen Preis, wie bei Trüffeln üblich, mit einem vierstelligen Betrag je Kilogramm ausgewiesen war. Wer kauft kiloweise Trüffel? Warum keine Preisangabe je Tonne? Für alles weitere, wie Nudeln und Knoblauch, suchten wir den Super-U in Vaison-la-Romaine auf. Gelernt, als ich einfach einen Beutel Bandnudeln aus dem Regal nehmen wollte: Man muss sich an das Produkt herantasten.

Bewölkung, morgens
Krokusse im Oktober? Nein, Herbst-Goldbecher, sagt die künstliche Intelligenz. Und eine Schnecke.
Besuch zum Aperitif am Abend (Foto: Stefan K.)
0,000018 Tonnen Weißer Trüffel; nach meinem Geschmack überbewertet, was am erkältungsbedingt immer noch eingeschränkten Geschmacksempfinden liegen mag

Dienstag: Der Regen, der seit der Nacht bis zum Mittag teils heftig fiel, verwandelte den Hof vor dem Haus in einen kleinen See. Immerhin, die von Wetter Online für heute Vormittag in tiefstem Violett angekündigte Gewitterzelle, in deren Zentrum Malaucène liegen sollte, blieb aus. Daher begab ich mich nach dem Frühstück zunächst lesend in den Liegestuhl auf der Terrasse, um mich herum zahlreiche kleine Schnecken, denen es wohl draußen zu naß war. Dabei stelle ich es mir recht heimelig vor, sich bei Regen einfach ins Spiralhäuschen zurückzuziehen und abzuwarten, bis es vorbei ist. Nach dem ersten Knacks unter der Schuhsohle bemühte ich mich, keine weiteren zu zertreten.

Land unter am Morgen
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Nachmittags schien wieder die Sonne, wir unternahmen eine kleine Wanderung durch die nähere nördliche Umgebung, die im Ort mit zwei Bierchen endete.

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Massenhaft Kakteen, als wäre es das natürlichste von der Welt, dass hier massenhaft Kakteen wachsen
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Herzliche Grüße an den Kiezschreiber, auch wenn die Schreibweise etwas abweicht.

Abends versuchten wir es mal wieder mit einem Dreigängemenü im Restaurant. Es ging einiges zurück, was will man machen. Satt ist satt.

Mittwoch: Trotz am Vorabend nicht geleerter Teller erfreuten heute blauer Himmel und warme Luft Auge und Seele, nur der Wind blies unangemessen heftig. Selbst einer Frostbeule wie mir war es problemlos möglich, große Teile des Tages ohne Jacke und Pullover zu verbringen. Nach dem Frühstück (wegen des Windes weiterhin drinnen) besuchten wir den Wochenmarkt von Malaucène, um Gegrilltes und diverse Sättigungsbeilagen für das Abendessen einzukaufen. Der Markt war wesentlich kleiner als im Sommer, die Durchgangsstraße nicht gesperrt. Als wir um kurz nach zwölf ankamen, wurden einige Stände schon abgebaut, obwohl offiziell bis dreizehn Uhr geöffnet.

Bereits gestern Abend hatten wir für mich ein (elektrisch unterstütztes) Leihfahrrad geholt. Der Liebste hat seins schon seit Samstag für seine Alleinzeit jeden Morgen mit Kaffee in der Bar und Baguettekauf, derweil ich zu Hause das Frühstück vorbereite. Nach Rückkehr vom Markt machten wir damit heute eine Tour, wie wir sie ähnlich schon im Sommer letzten Jahres gemacht hatten: über den Berg (nicht den Mont Ventoux, im Leben fiele mir, im Gegensatz zu vielen anderen, nicht ein, den mit einem Fahrrad zu bereisen, auch nicht elektrisch unterstützt) bis Mollans-sur-Ouvèze, zurück über Entrechaux, teilweise auf der ehemaligen Schmalspurbahn-Trasse. Immer wieder von heftigen Windböen umtost, die uns mehrfach vom Sattel zu pusten versuchten.

Nach Rückkehr zogen wir uns bald ins Haus zurück, als die Sonne hinter Wolken verschwand und der Wind kühl unter das Terrassendach blies. Später kam Regen dazu und wir waren froh, zum Abendessen nicht mehr raus zu müssen.

Bei Malaucène, mit herzlichen Grüßen an das Fachblog für Bewölkung
Blick über den Berg auf den nächsten und Wolken
Mollans

Eine schlechte Nachricht erreichte uns aus Bonn, einen sehr lieben Menschen betreffend, dem wir es unter anderem zumindest indirekt verdanken, dass wir so oft und gerne hier in Malaucène sind.

Donnerstag: Vorletzter Urlaubstag, wie immer vergeht so eine Woche viel zu schnell. Während der Liebste ein paar letzte Einkäufe in Vaison erledigte, machte ich einen Spaziergang, der ungeplant zu einer Wanderung wurde, weil ein von Google Maps behaupteter Weg nicht existiert. Zum Glück hatte ich vorsorglich Wanderschuhe angezogen. So zog sich der Weg stetig ansteigend mit schönen Aussichten in die fernere Umgebung, bis der Bergkamm erreicht war und es auf der andere Seite über steinige Pfade wieder herunter ging bis Beaumont-du-Ventoux. Von da an flanierte es sich recht entspannt weiter durch Obstplantagen und Weinfelder, wie ursprünglich beabsichtigt. Zu meiner Freude begegnete mir niemand. Man möge mir verzeihen, dass mich das freut, doch manchmal, wirklich nur manchmal, betrachte ich die Abwesenheit von (anderen) Menschen als Geschenk. Was mir auch nicht begegnete, daran dachte ich erst in des Waldes Einsamkeit, waren Wildschweine, deren es hier dem Vernehmen nach reichlich gibt; in den letzten Tagen waren immer wieder Gewehrschüsse aus den umliegenden Wäldern zu hören, die Jagd ist eröffnet. Auch hielt mich glücklicherweise kein Chasseur im Pastisnebel für ein solches.

Nach ziemlich genau zwei Stunden kam ich wieder am Haus an, wo ich mich mit einem kleinen Imbiss belohnte. Kurz darauf traf auch der Liebste wieder ein und wir genossen noch etwas Liegestuhlzeit auf der Terrasse bei Sonnenschein und nur noch leichtem Wind.

Aufstieg
Aussicht
Abstieg
Reptil mitten auf dem Weg
Für Frau Lotelta
Blick auf Vaison-la-Romaine
Moos
Obst
Imbiss nach Rückkehr

Obwohl noch letzte Ausläufer der Erkältung spürbar sind, scheint der Appetit wieder hergestellt. Abends im Restaurant gelang es, das Dreigängemenü rückstandsfrei und mit Genuss zu verzehren.

Freitag: Letzter Urlaubstag. Die Sonne schien vom wolkenlosen Himmel, die Luft war zunächst kühl, im Laufe des Tages wärmte sie sich auf, ich war genötigt, den Pullover gegen ein Polohemd zu tauschen. Nachmittags begannen wir, die ersten Sachen ins Auto zu packen, ansonsten verbrachten wir die meiste Zeit auf der Terrasse, wo diese Zeilen sowie der Entwurf eines neuen Blog-Aufsatzes entstanden. Außerdem las ich den Stanišić fertig. Es bleibt dabei, das Buch kommt demnächst in den öffentlichen Bücherschrank, wenn es niemand haben möchte.

Was ich mir für den Urlaub vorgenommen hatte, jedoch nicht getan habe: an meinem Romandings weiter zu schreiben. Im Moment hänge ich etwas in der Geschichte, auch fehlen Antrieb und Inspiration. Das ist nicht schlimm, es hat keine Eile. Zudem ist, wie der SPIEGEL gestern meldete, der Literatur-Nobelpreis für dieses Jahr ohnehin bereits vergeben. (Die Meldung erreichte mich während des Aufstiegs auf den Berg. Deswegen stört ihr mich?, dachte ich. Meldet euch erst wieder, wenn der Preis an mich geht. Was man so denkt in Momenten größerer Anstrengung.)

Die Müllentsorgung verband ich mit einem Spaziergang durch die environs. Man hat hier übrigens keine verschiedenfarbigen Hausmülltonnen, die regelmäßig durch die Müllabfuhr geleert werden. Stattdessen stehen an vielen Stellen öffentliche Müllcontainer, in die man die Abfälle einwirft, immerhin seit einigen Jahren auch hier getrennt nach Verpackung, Papier, Glas und Restmüll.

Gegend und unser Haus (Pfeil)

Die übliche Urlaubsende-Melancholie und das Bedauern über die morgige Abreise hielten sich in Grenzen. Nicht, dass ich mich wieder auf die Werktätigkeit ab Montag gefreut hätte, doch löste der Gedanke daran auch kein Unbehagen aus. Vielleicht liegt das etwas an meinem neuen Arbeitszeitmodell, der nächste freie Donnerstag steht schon im Kalender.

Zum Abendessen gingen wir runter in die Pizzeria, die erst seit gestern wieder geöffnet hat. Dort war es sehr laut durch eine sechsköpfige Herrenrunde am Nachbartisch, später kam noch eine vierköpfige, nicht viel leisere am Nebentisch hinzu. Hatten wohl alle Ausgang. Der Genuss von Pizza und Rosé wurde dadurch nicht wesentlich gemindert.

Malaucène-Zentrum, nach der Pizza

Samstag: Abreisetag. Morgens um sieben schlug der Wecker an, eine halbe Stunde später standen wir auf; noch hatten wir Urlaub, da kann der Wecker allenfalls unverbindliche Vorschläge machen. Eine gute Stunde später war alles Restliche zusammengeräumt, der Kühlschrank geleert, ohne Frühstück verließen wir das Haus. Bevor es in Richtung Autobahn ging, fuhren wir zu einem Obstbauern ein Tal weiter, um eine Kiste frisch geernteter Muscat-Trauben für das befreundete Restaurant in Bonn abzuholen.

Bei Abfahrt stellte Frau Navi eine Ankunft nach bereits neuneinhalb Stunden in Aussicht. Gedanklich schlug ich aus Erfahrung eine halbe bis ganze Stunde drauf für Pausen und Staus. Lyon durchfuhren wir dann ohne die übliche Umleitung auf eine Ausweichstrecke und ohne auch nur einmal staubedingt anhalten zu müssen, das ist sehr selten. So kamen wir wirklich fast zur angezeigten Zeit zu Hause an, vom Geliebten wiedersehensfreudig und mit Cremant begrüßt.

Sonntag: Der Tod ist unabwendbarer Teil des Lebens* – das sagt sich so leicht. Wenn er dann in der näheren Umgebung zuschlägt und einen lieben Menschen holt, trifft es einen doch. Was sich am Mittwoch ankündigte, wurde heute Morgen zur Gewissheit. Lieber K, wir werden dich sehr vermissen.

*Auch wenn irgendwelche Spinner glauben, die natürliche Alterung des Körpers ließe sich aufhalten und umkehren, somit wäre ewiges Leben möglich. Welch furchtbare Vorstellung.

Für uns geht das Leben vorerst weiter. Heute mit einem herbstlichen Spaziergang durch die Südstadt und an den Rhein. Hier ist deutlich mehr Herbst als in Südfrankreich. Die Außengastronomien sind noch nicht überall eingeräumt, dort, wo noch Tische und Stühle vor den Lokalen stehen, sitzt niemand mehr. Der Rhein fließt bräunlich dahin, er scheint anzusteigen.

Südstadt
Rheinufer

„Das Mittel gegen den rauen Ton“ wird eine Halspastille an einer Litfaßsäule beworben. Davon sollten einige Politiker, und nicht nur die, ganz viel nehmen.

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Kommen Sie gut durch die Woche. Wenn auch Sie Urlaub hatten, einen guten Start in den Alltag. Sonst auch.

Kundenservice wird groß geschrieben.

Zugegeben, ich bin kein großer Online-Besteller, was vielleicht daran liegt, dass ich mitten in der Stadt wohne und daher der Gang zu den Kaufhäusern für mich kein weiter ist. Dennoch bestellte ich Ende Januar beim Textilversender Mai & Endlich (Name leicht geändert) eine Art Hausjacke, welche mir im Katalog optisch attraktiv erschien; vielleicht orderte ich das Teil auch nur deshalb, weil es „Der Dichter-Sweater“ hieß und ich mir durch dessen Tragen Inspiration zur Verschriftlichung meiner klugen Gedanken erhoffte.

Vergangenen Freitag, also nur drei Wochen nach meiner Bestellung, kam das Paket an, zwar wieder mal nicht, wie bestellt, in die Packstation, sondern an die Haustür, aber langmütig wie ich meistens bin sah ich darüber hinweg, zumal der Liebste zugegen war und das Paket annahm. Leider gefiel mir das Textil in natura überhaupt nicht, daher packte ich es wieder ein, um es irgendwann der Post zur Rücksendung anzuvertrauen (ich habe volles Vertrauen zur Post).

Doch am Montag überrasche mich der Kundenservice von Mai & Endlich mit einer Mail:

Sehr geehrter Herr K,

über Ihre Bestellung haben wir uns sehr gefreut. Leider ist es uns bei Ihrer aktuellen Bestellung nicht gelungen, Sie zufriedenstellend beliefern zu können. Folgende Artikel sind aufgrund der hohen Nachfrage ausverkauft:

[…]

Als kleine Entschuldigung erhalten Sie mit dieser Mail einen Gutschein über 10,00 €, den Sie gerne für Ihren nächsten Einkauf verwenden können. Am schnellsten finden Sie online einen alternativen Artikel – schauen Sie einfach unter www.mai-endlich.de. 

Haben Sie noch Fragen? Schreiben Sie uns eine Mail oder rufen Sie uns an – wir sind gerne für Sie da.

Mit freundlichen Grüßen
Heike F
Kundenservice

Fragen hatte ich nicht, gleichwohl konnte die Mail nicht unerwidert bleiben:

Guten Abend Frau F,

vielen Dank für den Gutschein. Gleichwohl irritiert mich Ihre Nachricht, denn der Artikel wurde am vergangenen Freitag, drei Wochen nach Bestellung, geliefert. Leider gefiel mir die Jacke überhaupt nicht, deshalb habe ich sie heute zurückgeschickt. Im Übrigen habe ich kein Verständnis mehr dafür, dass es Ihrem Haus nach wie vor nicht gelingt, die Ware an eine Packstation zu senden, so wie ich es immer in der Bestellung angebe. Daher glaube ich eher nicht, dass ich den Gutschein einlösen werde.
Mit besten Grüßen
Carsten K
***
Der Kundenservice reagierte bereits am folgenden Tag:

Sehr geehrter Herr K,

Vielen Dank für Ihre Nachricht. Wir haben uns sehr über Ihre Worte gefreut. Ihre Zufriedenheit liegt uns am Herzen und es ist uns immer eine besondere Freude, solche Zeilen zu lesen. Ihre Nachricht dient uns darüber hinaus als Ansporn, den Service für unsere Kunden weiterhin auf einem hohen Niveau zu halten. Gerne sind wir auch zukünftig für Sie da und freuen uns über Ihre Anregungen und Hinweise. 

Mit freundlichen Grüßen
Diane E
Kundenservice

An dieser Stelle könnte ich meinen kleinen Erfahrungsbericht langsam dem Ende zuführen, mich zuvor noch ein wenig ereifern über inhaltsleere Standard-Anschreiben, die viel besungene „Servicewüste Deutschland“ und die von Unternehmen gerne benutzte Floskel „Bei uns wird Kundenservice groß geschrieben“ (wie auch sonst, es ist ein Substantiv); aber es geht noch weiter. Ich antwortete, nicht mehr ganz so gleichmütig:

Sehr geehrte Frau E,
entweder sind Sie ein Roboter oder Sie haben meine Nachricht NICHT gelesen.
Beste Grüße
Carsten K

Auch dieser Hinweis blieb nicht unbeantwortet:

Sehr geehrter Herr K,

danke für Ihre Antwort. Sie haben natürlich Recht – da hatte wohl jemand eine völlig falsche Brille auf – bitte entschuldigen Sie vielmals.

Wir hatten noch eine Jacke aus einer Ansichtssendung erhalten und konnten Sie doch noch beliefern – leider ließ sich die Lieferabsage nicht mehr aufhalten. Schade, dass Ihnen die Jacke nicht gefallen hat.

Wir haben Ihren Hinweis zur abweichenden Lieferadresse natürlich an die entsprechende Abteilung weitergegeben. Es handelt sich um einen Systemfehler und wir arbeiten bereits mit Hochdruck an der Beseitigung. Ihre Verärgerung können wir sehr gut verstehen und es tut uns sehr leid.

Wir hoffen, dass Sie uns doch noch mal die Chance geben, Ihnen zu zeigen, dass wir es auch besser können und senden Ihnen noch einen Gutschein als Entschuldigung.

Bei Fragen sind wir immer gerne für Sie da.

Mit freundlichen Grüßen
Felicitas K
Kundenservice

Wenngleich ich der Zusicherung, „mit Hochdruck“ werde an etwas gearbeitet, stets mit demselben Misstrauen begegne wie der Phrase „Wir nehmen Ihr Anliegen sehr ernst“, bin ich geneigt, Frau K und ihren Kolleginnen und Kollegen die erbetene Chance zu gewähren. Außerdem bin auch ich nur ein Mensch, der Gutscheine in Höhe von fünfundzwanzig* Euro nur ungern verfallen lässt. Der nächste Katalog müsste ohnehin bald eintreffen.

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* Hinzu kommen fünf Euro, die auch in dieser Woche der Ironblogger-Kasse entgehen. Insofern brachte mir der Dichter-Sweater doch noch ein wenig Inspiration.

Gratwanderung

Eher zufällig wurde ich auf das Projekt *.txt im Blog Neon|Wilderness aufmerksam. Ein wenig erinnert es an die Schulzeit, als der Deutschlehrer ein Thema an die Tafel schrieb, zum Beispiel „Mein peinlichstes Nahtoderlebnis“ oder „Warum mich mein Schutzengel mittlerweile hasst und ich trotzdem so weiter mache“, und wir dann bis zur nächsten Deutschstunde Zeit hatten, darüber einen Aufsatz zu schreiben, Sie erinnern sich: Einleitung, Hauptteil, Schluss. So ähnlich ist *.txt auch, nur gibt Dominik, der Initiator, nicht ein Thema vor, sondern nur ein Wort, und die Teilnehmer haben nicht nur einen oder zwei Tage Zeit, darum einen Aufsatz zu spinnen, sondern sage und schreibe drei Wochen. Und benotet wird das ganze am Ende (hoffentlich) auch nicht. 

 

„Das ist doch reizend“, dachte ich mir und meldete mich spontan an. Mit Spannung erwartete ich also das Wort, welches für den 7. Januar angekündigt war, und also kam es und lautete: „Gratwanderung“. Gratwanderung? Hm – daraus sollte sich was machen lassen, so mein erster Gedanke, aber was? Eine spontane Idee hatte ich nicht, also erstmal gedanklich ablegen und auf Inspiration hoffen, drei Wochen sind eine lange Zeit. 

 

Dann kamen plötzlich noch am selben Tag die schrecklichen Meldungen aus Paris, wo wahnsinnige Islamisten auf perfide Weise deutlich machten: auch im einundzwanzigsten Jahrhundert, auch in unserer „freien westlichen Welt“ ist die Wahrnehmung der Meinungsfreiheit, erst recht wenn sie in Form von Satire daher kommt, immer noch riskant. (Mehr möchte und werde ich nicht dazu schreiben, weil erstens dazu bereits sehr viel geschrieben wurde und zweitens von Leuten, die das viel besser können.)

 

Doch muss man gar nicht den Wahnsinn des Terrors vor Augen haben, es genügt schon ein Blick in die Arbeitswelt. Große Konzerne rühmen sich, das Wohl ihrer Mitarbeiter als eines der wichtigsten Unternehmensziele hinzustellen, bezeichnen sie gar gerne als ihr „Aushängeschild“ (was nicht selten bedeutet, dass sie sie im Regen stehen lassen), predigen den offenen Dialog zwischen Führung und Fußvolk. Die Wahrheit sieht oft anders aus: Wie weit kann ich beim jährlichen Mitarbeitergespräch gehen, wie offen kann ich dem Chef seine – nennen wir es mal – Optimierungspotentiale aufzeigen, ohne berufliche Nachteile befürchten zu müssen? Haben wir es nicht schon erlebt, dass allzu offene Kollegen in Ungnade fielen und plötzlich aus an den Haaren herbeigezogenen Gründen die Abteilung oder gar das Unternehmen verließen?

 

Oder nehmen wir die Partnerschaft. Soll ich dem Partner ständig vorhalten, was mir an ihm nicht passt, etwa dass er „ständig“ seine Hose irgendwo rumliegen lässt, „schon wieder“ denn Müll nicht mit runter genommen hat oder hinter meinem Rücken mit meinem Auto zum Cruising fährt? Möchte ich riskieren, dass der Haussegen dauerhaft schief hängt wegen Dingen, die an sich ziemlich unwichtig sind?

 

Auch wenn es vielleicht bequem oder gar feige ist: Manchmal ist es besser, die Klappe zu halten und die Dinge hinzunehmen, wie sie sind. Das gilt ausdrücklich nicht für die Ereignisse in Paris!

 

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Nachtrag: Auf schmalem Grat wandeln auch Frisöre, die diese Bilder ins Fenster hängen, um für ihr Handwerk zu werben – bleibt doch oft unklar, ob die Frisur der dort abgebildeten Person den Zustand vor oder nach der angebotenen Dienstleistung darstellt. Da nützt es dann auch nichts, dass Frisöre können, was nur Frisöre können.