Woche 29/2024: Wenn die Muse nicht in Kusslaune ist

Montag: Abends sitze ich auf dem Balkon unter der ausgefahrenen Markise, auf die nach einem sonnig-warmen Tag Regen fällt. Rechts von mir, auf dem Balkon gegenüber, beschallt eine Amsel die Siedlung, offenbar stört sie der Regen nicht. Darüber schreien Möwen, die nach subjektivem Empfinden immer mehr und lauter werden, wie so manches in diesen Zeiten.

Während es über mir prasselt, warte ich vergeblich auf den Kuss der Blogmuse, doch die küsst heute wohl woanders, oder sie hat das montägliche Antriebslos gezogen, ich kenne das. Lassen wir es also dabei. Vielleicht morgen wieder mehr. Oder übermorgen. Oder demnächst.

Vielleicht dieses noch: Laut kleiner kalender haben heute Donald und Wladimir Namenstag. Es gibt schon erstaunliche Zufälle.

Dienstag: Wenn die Muse nicht in Kusslaune ist, bleibt immer noch und jederzeit, neben den Schlechtigkeiten der Welt, das Wetter als Thema, gerade in diesem verwässerten Sommer. So auch heute: Morgens beim Fußmarsch in die Werktätigkeit brannte die Sonne schon sehr intensiv auf die schattenlose Uferpromenade, auch ohne Jacke war es mir zu warm. Und das will schon was heißen, wenn es mir zu heiß wird.

Nachmittags zog ein Gewitter über die Stadt, das von meinem Schreibtisch im 28. Stock aus beeindruckend anzusehen war. (Kann man das so schreiben, beeindruckend anzusehen? Sie wissen schon, was ich meine.) Als ich kurz darauf zum Heimweg aufbrach, hatte es sich deutlich fast auf Jackentemperatur abgekühlt, wärmte sich jedoch bald wieder auf. Der Regen muss heftig gewesen sein, die Straßen am Rheinufer standen handbreit unter Wasser. Radfahrer wichen aus auf den Gehweg, ein Auto pflügte durch die Gischt, Fußgänger blieben zögernd stehen vor breiten Rinnsalen, die über die Promenade in den Rhein strömten. Mangels Alternative ging ich, den Elementen trotzend, weiter und prüfte, ob die Schuhe wasserdicht sind; Ergebnis: sind sie nicht.

Am Brassertufer

Daraus resultierende Fußfeuchte hielt mich nicht vom Feierabendweizen auf dem nun wieder sonnenbeschienen Marktplatz ab, wo diese Zeilen mühsam ins Datengerät getippt wurden.

Keine oder allenfalls unbezahlte Werbung. Paulaner, Erdinger oder jedes andere Weißbier hätte ich genauso fotografiert.

In einem Zeitungsartikel über Windräder und Weltkulturerbe las ich das Wort „Kulturverträglichkeitsprüfung“ und freute mich ein weiteres Mal über die wunderbaren Wortschöpfungsmöglichkeiten unserer Sprache.

(Ich glaube, sie küsst wieder.)

Mittwoch: Morgens während des Brausebades hörte ich im Radio erstmals bewusst Taylor Swift. WDR 4 berichtete über das bevorstehende Konzert der Dame in Gelsenkirchen und darüber, wie sie deswegen alle eskalieren. (So heißt das jetzt wohl.) Deswegen spielten sie, obwohl nach eigener Aussage spezialisiert auf „Achtziger und die größten Klassiker“ (was sie nicht davon abhält, ab und zu auch Max Giesinger zu spielen, der weder Achtziger noch – Gott bewahre – ein großes Klassiker ist) ein Lied von ihr. Ich fand es angenehm anhörbar, indes wüsste ich nicht, was ihre Musik abhebt von der vergleichbarer Künstlerinnen, warum ausgerechnet sie damit so viel erfolgreicher ist als andere. Das Lied kam mir nicht bekannt vor, als hätte ich es schon oft gehört, ohne zu wissen, dass es von ihr ist. Auch blieb es mir nicht nicht in Erinnerung, weder können ich den Titel nennen (irgendwas mit no heroes?) noch die Melodie summen. Vermutlich werde ich es nicht wiedererkennen und ihr zuordnen, wenn ich es das nächste Mal zufällig höre.

Was wiederum die Frage aufwirft: Wie kann es sein, dass dieser Superstar dermaßen gründlich nicht in meiner Wahrnehmung vorkommt, wo doch alle Welt von ihr angetan ist? Desinteresse? Das Alter? Selbst am Fußball, der mich kein bisschen interessiert, komme ich nicht ganz vorbei, weiß, wer Thomas Müller ist und wie der aktuell amtierende Bundestrainer heißt. Wie also kann es sein?

Aus der Zeitung: „Die Bundesstadt war und wird mit seinen Gassen und Einbahnstraßen nie eine Autostadt sein.“ Auf der Liste der Lieblingsfehler ganz weit oben.

Donnerstag: Ein freier Tag, Inseltag, Wandertag. Heute eine Runde durch die Waldville, ein Waldgebiet westlich von Bonn, bequem mit der Bahn zu erreichen; am Bonner Hauptbahnhof steigt man ein und zehn Minuten später in Alfter-Impekoven wieder aus. Spektakuläre Ausblicke wie Rhein- oder Siegsteig bietet die Tour nicht, dafür viel Strecke durch den Wald, was es auch an heißen Tagen wie heute erträglich macht.

Etwa eine halbe Stunde nach Erreichen des Waldes vernahm ich in naher Hörweite einen umstürzenden Baum, erst Knacksalven, dann den dumpfen Aufschlag auf den Boden. Da dem Umsturz kein Kettensägengetöse voranging, wird der Baum wohl eines natürlichen Todes gestorben sein. Das bringt mich zu grundsätzlichen Betrachtungen über die Natur, die mir während des Gehens in den Sinn kamen. Was ist das überhaupt, Natur? Viele denken dabei an das Ursprüngliche, vom Menschen Unberührte. Demnach gäbe es in Deutschland nur noch wenig Natur, auch die meisten Wälder wurden und werden seit Jahrhunderten bewirtschaftet. Doch ist nicht letztlich alles Natur, einschließlich Mensch, den auch die Natur hervorgebracht hat, mit all seinen Fehlern und allem, was er erschaffen hat bis hin zu Tiktok, Laubläsern und Atombomben? Warum diese natürliche Fehlentscheidung nicht längst korrigiert wurde, weiß nur die Natur. Vielleicht hat sie bereits damit begonnen, die Menschen wollen es nur nicht sehen.

Bei Buschhoven
Unendlicher Weizen bei Dünstekoven
Am Wegesrand immer wieder Tümpel, in denen Frösche wohnen. Bei Nahen des Wanderers springen sie panisch ins Wasser und verharren im Tauchgang, bis die Gefahr vorüber ist. Die Teichfrösche der Schwiegereltern waren da früher deutlich gelassener.
Der Eiserne Mann gilt als Sehenswürdigkeit der Waldville, wobei Geschichte und Zweckbestimmung des Pömpels nicht völlig geklärt sind.
Birkenbild
Entsprechende Waldgeräusche denken Sie sich bitte
Extra für Frau Lotelta: Auch in der Waldville wachsen Stechpalmen

Ungefähr im letzten Viertel verließ mich Komoot: Mitten im Wald endete plötzlich die Anzeige der geplanten Route. Nun ist die Waldville nicht der Amazonas, daher fand ich auch ohne mobile Navigation problemlos den Weg zurück, vielleicht etwas anders als ursprünglich geplant, was die Wanderlust nicht trübte.

Wenige Minuten nach Rückkehr in Impekoven kam eine Bahn und brachte mich mit lobenswerter Pünktlichkeit (wie auch bei der Hinfahrt) zurück nach Bonn, wo ich mir, mangels gastronomischer Möglichkeiten in Impekoven, das Belohnungsweizen gönnte und mich auf den nächsten Inseltag freute, von denen ich demnächst, wenn alles meinen Vorstellungen entsprechend verläuft, wesentlich mehr haben werde.

Freitag: Nachwirkungen von gestern sind nicht nur Erinnerungen an einen schönen Wandertag, sondern auch Insektenstiche in größerer Anzahl, wie ich erst heute bemerkte. Obwohl ich vorher Insektenspray aufgelegt hatte, fanden die Tierchen offenbar Gefallen an meiner Haut, insbesondere der linken Hand; im Laufe des Tages bemerkte ich an weiteren Stellen juckende Pöckchen. Auch das ist Natur.

Am Wochenende bleibt es warm. „Denkt daran, viel zu trinken!“ sagte die Kollegin am Ende der Besprechung. Das bekomme ich hin.

Aus einem Zeitungsbericht über Straßenmusiker: „Allerdings kann in Bonn nicht einfach jede Person in die Fußgängerzone gehen und auf seinem Instrument klimpern.“ Schon wieder.

Endlich Wochenende

Entgegen der Gewohnheit verbrachten wir den Abend nicht in der örtlichen Gastronomie, sondern auf dem Balkon, wo der Liebste erstmals auf dem Grill Pizza zubereitete. Hierzu wurde entsprechendes Grillzubehör (Pizzastein, Wärmehaube, Pizzaschieber) beschafft sowie Teig vorbereitet. Es bedarf noch etwas der Übung, bis das Ergebnis auch in optischer Hinsicht perfekt (oder wenigstens rund) ist, geschmacklich jedenfalls war es überzeugend. Ein wenig frage ich mich, ob sich dieser immense Aufwand lohnt, wo man doch in vielen Lokalen ausgezeichnete Pizza serviert bekommt. Eine ähnliche Frage stelle ich mir, wenn Leute selbst Brot backen. Andererseits, wenn sie Freude daran haben und es schmeckt, warum nicht.

Samstag: Heute war es sehr heiß, selbst der Gang zum Altglascontainer strengte mehr an als die Wanderung am Donnerstag, ein Zusammenhang mit dem zu Entsorgenden ist nicht auszuschließen. (Gestern Abend beim Pizzagrillen und -essen wurde der erwähnten kollegialen Rat streng befolgt.) Anstrengend auch die Menschen in der Fußgängerzone, die heute besonders langsam vor mir hergingen.

Nach Rückkehr begab ich mich auf das klimatisierte Sofa, um zu lesen, unter anderem dieses im SPIEGEL vom immer lesenswerten Jochen-Martin Gutsch über eine Schwanenfamilie: „Aber sie scheißen viel.“ Insgesamt dreimal kam das Fäkalwort in unterschiedlichen Formen in dem Text vor. Mich stört das überhaupt nicht, nur erstaunt es, dass man ihm das erlaubt.

Sonntag: Statt Spaziergang heute eine Radtour nach Bonn-Mehlem, wo administrative Vereinstätigkeiten ohne besonderen Bloggenswert (Adressieren und Frankieren von etwa siebenhundert Briefumschlägen für den Versand der nächsten Mitgliederzeitung) zu erledigen waren. Auf dem Hinweg geriet ich in einen kurzen, heftigen Regenschauer, dessen Unannehmlichkeit sich wegen vorsorglich mitgeführter Regenjacke und kurzer Hose in Grenzen hielt. Auch das ist Natur.

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Kommen Sie gut durch die Woche.

Woche 28/2024: Vorfreude, Staunen und bilinguale Aufgeblasenheit

Montag: Frankreich hat gestern gewählt. Wie es aussieht, ist es noch einmal gut gegangen, damit war nach dem ersten Wahlgang am Wochenende zuvor nicht unbedingt zu rechnen. Unserer nächsten Reise dorthin in zwölf Wochen steht nach jetzigen Erkenntnissen somit nichts entgegen, freuen wir uns also vorsorglich drauf.

Zum Thema Vorfreude etwas seltsam die WordPress-Tagesfrage: „Worauf freust du dich im Hinblick auf die Zukunft am meisten?“ Mir wäre neu, wenn man sich auch auf Vergangenes oder Gegenwärtiges freuen kann.

Ansonsten war es insgesamt ein überwiegend angenehmer Tag ohne größeren Notierenswert, was für den Beginn einer neuen Arbeitswoche schon mal nicht schlecht ist.

Dienstag: Fußweg ins Werk bei Sonnenschein. Wegen der vorausgesagten hohen Temperaturen nahm ich vom ursprünglichen Plan Abstand, nach längerer Zeit mal wieder den letzten verbliebenen Anzug spazierenzutragen, eine gute und richtige Entscheidung, wie sich bereits auf dem Hinweg zeigte. Ich weiß, in Zeiten der Klimaerwärmung sollte Sonnenschein kein Grund zur Freude mehr sein, auch der Begriff „schönes Wetter“ relativiert sich in dem Lichte, doch steigerte es meine Stimmung erheblich.

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Noch mehr stieg die Laune, nachdem ich den nächsten Inseltag für kommende Woche gebucht hatte. Es ist immer gut, wenn man sich auf etwas nicht sehr fernes freuen kann.

„Hallo Herr B.“ begann eine Mail, die ich Cc erhielt, im Folgenden wurde Herr B. geduzt. So wie früher, vielleicht heute hier und da heute auch noch, Beschäftigte im Einzelhandel. Im weiteren Verlauf stellte Herr B. mit „gerne per du“ die Kommunikationssymmetrie wieder her.

Mittags gab es in der Kantine Königsberger Klopse. Am Tisch war ich der einzige, der das Gericht vollständig verzehrte, während der eine keine Rote Bete, die andere keine Kapern mochte. Der Verzicht auf erstere wurde bereits bei der Ausgabe geäußert und berücksichtigt, der verschmähten Kapern nahm ich mich an, auf dass nichts umkomme.

Ich kann mir nicht den Namen des neuen britischen Premierministers merken. Vielleicht lohnt sich das auch gar nicht.

Mittwoch: Nach einem heißen Sommertag war das Wetter heute durchwachsen, zwischendurch immer wieder Regen, am frühen Abend erneut sehr heiß. Nachmittags auf der Rückfahrt vom Tagwerk fuhr ich einem beeindruckenden Wolkenereignis hinterher, das zum Glück in ausreichender Entfernung wirkte.

Auf dem Foto wirkt es noch etwas bedrohlicher als in echt

Immer häufiger ist der Duft von Cannabis zu vernehmen, so auch heute, als ich abends aus Besorgungsgründen durch die Innere Nordstadt ging. Ich habe überhaupt nichts dagegen, warum auch, schließlich ist es jetzt erlaubt, indes nicht verpflichtend. Oder: Spaß muss sein, um eine reichlich abgenutzte Phrase zu bemühen.

„Ich muss das noch mal challengen“ hörte ich in einer Besprechung. Warum nur können die Leute nicht mehr normal reden? Irgendwo hörte oder las ich vor einiger Zeit den Begriff „bilinguale Aufgeblasenheit“ und notierte ihn, um ihn bei passender Gelegenheit anzubringen. Voila.

Donnerstag: „Döner Game“ nennt sich eine innerstädtische Fleischzerspanungsstätte, die demnächst eröffnet, wie ich morgens sah. Meine Großmutter, des Englischen nicht mächtig, aß vermutlich ihr Leben lang kein einziges Döner, so wie ich noch keinen Bubble Tea trank und es für den Rest meiner Jahre nicht zu tun beabsichtige. Jedenfalls hätte sie dazu wohl gesagt: Mit Essen spielt man nicht.

Freitag: „Bushido kündigt Karriereende an“ meldet der SPIEGEL. Eine Nachricht, die man, auch mit anderen Namen, gerne öfter lesen möchte.

Die Bonner Oberbürgermeisterin (2. von links) hat eine barrierefreie Stadtbahnstation in Betrieb genommen. Wünschen wir allzeit gute Fahrt.

Quelle: General-Anzeiger Bonn

Samstag: Im Gegensatz zu anderen Haushaltsmitgliedern begegne ich Haushaltsgeräten zumeist mit Gleichgültigkeit oder, wenn sie (also die Geräte, nicht die Mitglieder; wobei, doch, die bisweilen auch) Geräusche erzeugen, ablehnender Skepsis. Das gilt nicht für den neuesten Zuwachs des heimischen Geräteparks: ein Fensterputzroboter. Im Prinzip das gleiche wie ein Staubsauger- oder Rasenmähroboter, nur eben für senkrechte Fensterscheiben. Ich weiß nicht, wie das funktioniert, jedenfalls fährt der quadratische Kasten von etwa zwanzig Zentimeter Kantenlänge wie ein Insekt oder eine Schnecke die Scheiben entlang, ohne herabzufallen, dabei verspritzt er in regelmäßigen Abständen eine Reinigungsflüssigkeit. Immer wieder erfreulich, wenn ich auch in meinem Alter noch ins Staunen gerate. Staunen Sie selbst;

Sonntag: Donald Trump wurde bei einem Anschlag nur am Ohr verletzt. Politiker aus aller Welt bringen ihr Entsetzen über die Tat zum Ausdruck, sogar Joe Biden soll seinem Widersacher Genesungswünsche übermittelt haben. Daher ist es selbstverständlich moralisch verwerflich, wenn der erste Gedanke beim Vernehmen dieser Nachricht lautet: wie schade.

Das Sonntagswetter war unentschlossen. Die Lektüre der Sonntagszeitung auf dem Balkon erfolgte noch an der (bei mir sehr niedrig gezogenen) Gänsehautgrenze, beim anschließenden Spaziergang wären kurze Hosen angebracht gewesen. Auf den Rasenflächen am Poppelsdorfer Schloss zahlreiche Menschen in unterschiedlichen Entkleidungsstufen, vertieft in ihre Datengeräte. Gegen Ende leitete mich Appetit auf bayrisches Bier zu einem geeigneten Lokal in der Innenstadt, wo großflächig tätowierte Arme inzwischen Einstellungsvoraussetzung zu sein scheinen. Dessen ungeachtet ließ ich mich nieder zum Biertrinken und Leutekucken.

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Kommen Sie gut durch die Woche.

Woche 20/2024: Therapeutische Unterstromsetzung, Spätburgunder und Selbstbeherrschung

Montag: Der Tag bot Positives. Das Büro hatte ich für mich allein, auch sonst wurde ich weitgehend in Ruhe gelassen, in den Nebenbüros und auf dem Flur nur wenig Betrieb. Der Maileingang, per Teams in Wort und Schrift vorgetragene Anliegen und Besprechungen waren überschaubar. Dennoch war gut zu tun. Vormittags erschien ein Techniker und beseitigte das bei Einzug vor drei Wochen an die Haustechnik als störend gemeldete Brummen der Raumlüftung, mittlerweile hatte ich mich daran gewöhnt. Dennoch erfreulich, dass désormais brummfrei gelüftet wird.

Da meine neuen Mitesser wegen einer Besprechung erst verspätet zu Tisch gingen, nahm ich das Mittagessen allein zu mir, was mir durchaus gelegen kam. Anschließend erlaubte ich mir eine Runde durch den Park.

Das Wetter zeigte sich weiterhin vorsommerlich, die für den Abend angekündigten Regenfälle blieben aus. Nur kurz vor Mittag fiel ein kurzer, heftiger Schauer, der mich am Schreibtisch nicht weiter störte.

Die aktuelle PSYCHOLOGIE HEUTE wurde zugestellt, für mich zum letzten Mal, da ich das Abo nach etwa fünfundzwanzig Jahren gekündigt habe, um mehr Lesezeit für Bücher zu gewinnen. Auch stört mich, wie bereits dargelegt, die mittlerweile nicht nur dort praktizierte Form des Genderns, die mal die männliche, mal die weibliche Form verwendet. Ich bin kein Freund von Sternchen, Binnen-I und -Doppelpunkten, und das von manchen auch männlichen Schreibern mittlerweile verwendete generische Femininum erscheint mit ein wenig störrisch-albern, weil es das Grundproblem nicht löst. Doch dieses Durcheinander halte ich für die schlimmste Form.

Im Übrigen lag wieder eine leichte Montäglichkeit über dem Tag. Die geht vorüber, spätestens morgen.

(Dafür, dass mir zunächst für heute nicht viel eingefallen war, ist es doch recht umfangreich geworden.)

Dienstag: Bereits morgens beim Fußweg ins Werk war es ziemlich warm, ich beklage das nicht.

Ein Farbtupfer der Anmut am Wegesrand

Der Arbeitstag war, verglichen mit gestern, lebhaft: zu zweit im Büro, nebenan und auf dem Flur emsiges Treiben, Mittagessen in größerer Gruppe, auch das alles nicht zu beklagen. Ebenfalls nicht zu beklagen, immerhin werde ich gut dafür bezahlt, allenfalls anzumerken ist, dass ich relativ plötzlich in ein Projekt mit hoher Management Attention und sportlicher Zeitplanung involviert bin; ich nehme an, in nicht allzu ferner Zukunft, jedenfalls lange vor meinem Ruhestand, wird sich niemand mehr dafür interessieren. Wie auch immer – ich werde mein Möglichstes dazu beitragen, auf dass ein mögliches Scheitern nicht mir anzulasten ist.

Vormittags irritierte mich das Verschwinden einer wichtigen Outlook-Aufgabe, die ich regelmäßig fortschreibe, gleichsam als Journal für ein längerfristiges Vorhaben. Heute war sie plötzlich aus der Aufgabenliste verschwunden, weder hatte ich sie versehentlich gelöscht noch auf „erledigt“ gesetzt. Erst nach einiger Zeit fand ich sie im Online-Archiv, wohin sie wegen ihres Alters von zwei Jahren automatisch verschoben wurde. Immerhin beruhigend: Es geht nichts verloren, oder jedenfalls nur selten etwas.

Blogvorschlag des Tages: Ich möge meine fünf Lieblingsfrüchte auflisten. Nun denn: Kirsche, Mirabelle, Spätburgunder, Riesling und Grenache.

Mittwoch: In der Zeitung fand ich zwei bemerkenswerte Berufe: Feelgood-Managerin und Crossover-Performer. Ich habe keine Ahnung und will es auch gar nicht wissen, worin deren Tagwerk besteht, doch das lässt sich Außenstehenden über einen Senior Specialist, was auf meinen Visitenkarten stünde, wenn ich welche hätte, auch nicht immer ganz leicht erklären.

Ansonsten war der Tag recht angenehm. In zwei Angelegenheiten konnte ich wenigstens für mich etwas Struktur bringen, zudem wird sich voraussichtlich auch hier wieder der alte Grundsatz bestätigen, wonach nichts so heiß gegessen wie gekocht wird.

Wichtigste Tätigkeit des Tages: in Outlook eine Abwesenheitsmeldung für den morgigen Inseltag einzustellen.

Die für nachmittags angekündigten starken Regenfälle erwiesen sich als radfahrerverträglich, nach Rückkehr vom Werk musste nicht einmal die Hose getauscht werden.

Vielleicht bin ich mit den Jahren empfindlicher geworden, jedenfalls habe ich den Eindruck, die Leute werden immer lauter. Immer öfter nehme ich wahr, sei es im Werk oder auf der Straße, manchmal auch zu Hause, dass jemand meint, herumblöken zu müssen. Vielleicht irre ich mich auch.

Donnerstag: Ein freier Tag. Wegen ungünstiger Wetterprognose keine Wanderung, stattdessen morgens der lange fällige Termin beim Orthopäden. Seit Monaten* plagt mich zeitweise der untere Rücken mit Schmerz, vor allem nach längerem Liegen. Da ich sehr gerne lange liege, ein auf Dauer inakzeptabler Zustand. Gedacht hatte ich es mir so: Kurz nach neun verlasse ich das Haus, um halb zehn ist der Termin. Vorher nimmt die freundliche Arzthelferin (heißt das noch so?) meine Personalien auf, da ich neuer Patient in der Praxis bin, danach empfängt mich Herr Doktor, hört sich mein Leiden an, schaut, untersucht, verschreibt Tabletten, Salbe, vielleicht Massagen; am Ende mahnt er zu mehr (oder überhaupt) sportlicher Betätigung. Spätestens um halb elf ist alles erledigt, danach frühstücke ich gemütlich im Kaufhof-Restaurant.

*Aufgrund eines Verschreibers stand hier erst „Montagen“. Das ist eine interessante Variante, allerdings plagen mich montags zumeist andere, zusätzliche Unpässlichkeiten.

Und so war es wirklich: Man nahm meine Personalien auf, ich musste für alles Mögliche unterschreiben, sogar ein Foto von mir wollte man gerne haben für die Akten, letzteres freiwillig, wozu auch immer, aber von mir aus. Dann zu Herrn Doktor. Er hörte, schaute, untersuchte und befand: alles schief, krumm, fehlgestellt, verwachsen und verspannt, als sei ich der Glöckner vom Bonner Münster. Anschließend wurde ich geröntgt, hin und her gebogen, bis es mehrfach leicht knackte (aber nicht weh tat), akupunktiert, behämmert, mit Elektroden beklebt vermessen und unter Strom gesetzt; insgesamt dreimal durfte ich mich aus- und wieder ankleiden. Am Ende erhielt ich einen neuen Termin, weitere folgen, sowie eine Verschreibung zu zehn Gerätetherapien beim Physiotherapeuten meiner Wahl. Erst um halb zwölf verließ ich die Praxis. Da das Frühstücksbüffet im Kaufhof dann schließt, frühstückte ich vor einem Café auf dem Marktplatz.

Während der oben genannten therapeutischen Unterstromsetzung las ich den Anfang eines interessanten Zeitschriftenartikels. Wie die Autorin darin beklagt, genügt es heute nicht mehr, sich als lesbisch oder schwul zu bezeichnen, vielmehr muss man (m/w/d) queer sein. Als nur Lesbische oder Schwuler grenzt man andere aus, insbesondere Transsexuelle und Nonbinäre, somit gehört man zu den Bösen. Welch irre Zeiten. Hiermit sei erklärt: Ich bezeichne mich weiterhin (ungern zwar, weil es kein besseres Wort dafür gibt) als schwul, und es liegt mir fern, irgendwen wegen dessen, als was er/sie/es sich fühlt, auszugrenzen. Nicht einmal Heteros.

Freitag: Auch für heute waren wieder erhebliche Regenfälle angekündigt, deshalb war morgens die Stadtbahn das Verkehrsmittel der Wahl. Der Tag zeigte sich trübe, der Regen blieb – im Gegensatz zu südlicheren Regionen, die es heftig traf -, aus, das ermöglichte nachmittags einen außerplanmäßigen Fußmarsch nach Hause.

Viel heller wurde es nicht

Auch am Rheinufer jede Menge beschädigter und abgerissener Wahlplakate, was geht nur vor in den Leuten. Wobei, selbstverständlich ohne das gutzuheißen: Wofür braucht man überhaupt Wahlplakate? Glauben die Parteien wirklich, mit ihren austauschbaren, aussagefreien Phrasen könnten sie weitere Wähler gewinnen?

In der Innenstadt ging ich unter einem Baugerüst hindurch, daran ein Schild »Vorsicht Dacharbeiten«. Was will mir dieses Schild sagen? Durchgang nur mit Helm und auf eigene Gefahr, oder besser gar nicht?

Gunkl schreibt: »Da eine herkömmliche Bestattung eine Beerdigung ist, müßte ein Seemannsbegräbnis Bewässerung heißen. Naja, im Anlaßfall sollte man diese Überlegung aber eher für sich behalten.«

Wenn etwas gerade wunschgemäß funktioniert, heißt es oft „Das läuft wie geschmiert“ oder „wie ein Uhrwerk“, etwas überschwänglicher formuliert „geht es ab wie Schmidts Katze“, wer auch immer Schmidt ist. Etwas robuster formuliert man offenbar im Münsterland, wie bei Frau Anje zu lesen ist; dort heißt es: „… das läuft grade wie Rotz am Ärmel.“

Samstag: Als ich nachmittags im Hof Fahrradpflege betrieb, sah ich durch das Torgitter, wie vor dem Haus ein Auto abgestellt wurde, so dass sein Heck in unsere Einfahrt ragte. Die Beifahrerin hatte mich offenbar gesehen und fragte freundlich, ob es in Ordnung wäre, wenn sie kurz dort parkten. Ebenso freundlich verneinte ich mit dem Verweis darauf, dass dies nunmal eine Einfahrt sei, außerdem ohnehin absolutes Halteverbot. Das sah sie ein. Nicht so der Fahrer, der meinte, mich anpampen zu müssen, sinngemäß ob ich überhaupt Auto fahre und ich solle mich nicht so anstellen. Das veranlasste mich, zurückzupampen, worüber ich mich sogleich ärgerte, mehr als über den uneinsichtigen Fahrer; ich hasse es, in solchen Situationen die Selbstbeherrschung zu verlieren. Immerhin fruchtete es, man stieg wieder ein und fuhr ab, im Vorbeifahren winkte der Fahrer drohend und hupte zweimal. Ich antwortete mit Kusshand und lächelte zurück. Die Selbstbeherrschung war wiederhergestellt.

Der für die vergangenen Tage angekündigte und ausgebliebene heftige Regen fiel am Nachmittag.

Sonntag: Ich verschone Sie mit der alljährlichen Frage, was genau nochmal an Pfingsten passiert sein soll.

Ansonsten bei Sonnenschein die üblichen Sonntäglichkeiten: lange geschlafen, spätes Frühstück, Spaziergang, Sonntagszeitungslektüre auf dem Balkon.

Aus einer Pressemitteilung der Stadt Bonn: »Ziel ist es, die freie Kulturszene bei der Entwicklung von Projekten im Bereich der ökologischen Nachhaltigkeit zu unterstützen und die interkommunale Kooperation sowie den Aufbau nachhaltiger regionaler oder nationaler Netzwerke im Kulturbereich zu stärken.« Auch nach mehrmaligem Lesen will sich mir nicht erschließen, was genau unterstützt und gestärkt werden soll. Jedenfalls erinnert es an die Vereinssitzung in Loriots „Ödipussi“.

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Vielen Dank für die Aufmerksamkeit, ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche.

Woche 16/2024: Heftiger April, Wanderlust und ein Umzug

Montag: „Ganz NRW ist stolz auf Leverkusen“ lobte der Ministerpräsident die örtliche Fußballmannschaft, die offenbar irgendwas gewonnen hat. Dem erlaube ich mir zu widersprechen. Ich gönne allen, die aktiv daran beteiligt waren sowie allen anderen, denen es was bedeutet, diesen Sieg, doch warum sollte er mich mit Stolz erfüllen? Ich habe nichts dazu beigetragen.

Die letzte Woche in meinem jetzigen Büro ist angebrochen. Vor viereinhalb Jahren zogen wir auf Wunsch und Weisung des damaligen Chefchefs vom nahen Mutterhaus in dieses Gebäude. Das fand ich erst blöd, allein schon wegen der Aussicht auf den Rhein vom bisherigen Schreibtisch aus, doch nach dem Umzug fühlte ich mich hier von Anfang an sehr wohl, weil es im Gegensatz zum Mutterhaus sehr ruhig ist. (Noch ruhiger wurde es mit Corona, darauf hätte ich gerne verzichtet.) Ab kommender Woche sind wir wieder drüben, daran werde ich mich gewöhnen müssen, vor allem die Menschengeräusche. Ein wenig freue ich mich auch drauf, allein schon wegen der Aussicht.

Nachmittags zeigte sich das Wetter sehr unfreundlich, Windböen umwehten das Werk, die App kündete von stärkerem Regen, der auf dem Bildschirm schon fiel, während es hinter dem Fenster noch trocken war. Das motivierte mich zu einem zeitigen Arbeitsende, was sich als gute Entscheidung erwies: Etwa eine halbe Stunde nach Heimkehr setzte erhebliches Brausen und Tosen an, das vom Sofa aus wesentlich angenehmer anzuschauen war als vom Fahrradsattel.

Übrigens ist die Rheinnixe wieder da; als ich gegen den Wind und mit bangem Blick gegen dunkles Gewölk nach Hause radelte, lag sie wieder an ihrem Anlegeplatz vor dem Rheinpavillon, als wäre sie nie weg gewesen.

Später zeigte sich aprilgemäß wieder die Sonne

Dienstag: Auch heute heftiger April. Morgens kam ich noch trocken zu Fuß ins Werk, die meiste Zeit mit tief in den Hosentaschen vergrabenen Händen, weil die Temperatur nach der Regenfront gestern Nachmittag (die Zeitung nennt es „Gewittersturm“, obwohl es meines Wissens weder geblitzt noch gedonnert hatte, Drama muss sein) deutlich gesunken ist. Nach Ankunft im Büro verdunkelte es sich, bald schlug starker Regen gegen die Fenster und labte die ergrünte Flora. Keine guten Aussichten für den geplanten Wandertag am Donnerstag.

Kalt
Da ist sie wieder

„Wer hat für das Thema die Hosen an?“ sagte eine in der Besprechung.

Abends holte ich Döner für uns. Auf dem Rückweg hörte ich einen zum anderen sagen: „Du kannst dich influencen lassen oder eben nicht.“ Vorher stellte ich fest, dass der schöne große Regenschirm, den mir die Lieben letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt hatten, nicht an seinem Platz hing. Da ich ihn als Einziger benutzt habe, liegt es nahe, dass ich es war, der ihn irgendwo vergaß. Wenn ich nur wüsste, wo.

Mittwoch: »Glück ist, wenn das Orchester einsetzt«, steht auf Werbeplakaten für eine örtliche Musikveranstaltung, darauf ein augenscheinlich glücklicher Dirigent. Wobei Zweifel aufkommen an seiner Kompetenz und Autorität, wenn das Anheben der Instrumente Glückssache ist.

Das Rätsel der Rheinnixe ist teilgelöst: Laut Zeitungsbericht war sie am Wochenende in der Werft, sie soll demnächst verkauft werden. Vollständig geklärt ist der Verbleib des Regenschirms: Ich vergaß ihn vergangene Woche beim Friseur, wo ich ihn heute unversehrt abholen konnte.

Der Schauspieler Wichart von Roël ist gestern gestorben. Wieder ein Ach-der-lebte-noch?-Moment. Die Älteren kennen ihn vielleicht noch als Opa in der legendären Klimbim-Familie, „Damals in den Ardennen“ und so. Auch eine Art von Humor, die heute, wenn überhaupt, allenfalls mit vorangestelltem Warnhinweis auf mögliche moralische Bedenklichkeiten gesendet würde.

Abends besuchte ich erstmals das Treffen der Bonner Ortsgruppe vom Bundesverband junger Autoren und Autorinnen e.V. (BVjA). Der Schwerpunkt lag eindeutig bei den Autorinnen, ich war der einzige anwesende – nun ja: Autor, das war nicht schlimm. Auch trete ich den anwesenden Damen wohl nicht zu nahe, wenn ich meiner Freude Ausdruck verleihe darüber, dass das j im Vereinskürzel aus gutem Grund klein geschrieben ist; soweit ich es sah, hob ich den Altersdurchschnitt durch meine Anwesenheit nicht wesentlich an.

Gehört zum Thema Ernährung: „Ich bin der Überzeugung, der Mensch ist gebaut wie ein Schwein.“ Bei manchen beschränkt sich das nicht auf die Bauweise, wäre ohne jeden Bezug auf Anwesende zu ergänzen.

Donnerstag: Der erste Inseltag des Jahres, also ein freier Tag zwischendurch. Bis zuletzt war aus Wettergründen offen, ob ich wie geplant wandern kann. Da es morgens trocken war und die Wetter-App für den weiteren Tag keine Regenfälle in Aussicht stellte, entschied ich mich für die Wanderung: dritte Rheinsteig-Etappe von Linz nach Bad Honnef, die ich vor drei Jahren (so lange ist das schon wieder her) schon einmal gelaufen war, in umgekehrter Richtung. Dabei hatte ich mich an einer Stelle gründlich verlaufen und es erst so spät bemerkt, dass auch die Wander-App nichts mehr retten konnte, es sei denn, ich wäre einige Kilometer zurück gegangen, das wollte ich nicht. Deshalb die Strecke heute nochmal, nur andersrum.

Nach Ankunft mit der Bahn in Linz ein kleines Frühstück (Rosinenschnecke und Kaffee) in einem Café, bevor es losging: Immer den blau-weißen Wegmarkierungen nach, die offenbar erst kürzlich erneuert worden sind; nur wenige Male benötigte ich die App, um nicht vom rechten Wege abzukommen. Immer wieder erstaunlich, wie neu eine Wegstrecke erscheint, wenn man sie andersrum geht. Die Entscheidung für die Wanderung heute war richtig: Das Wetter blieb trocken bis auf wenige Regentropfen gegen Mittag, die die Wanderlust nicht zu trüben vermochten, erst etwas kühl, was sich mit der ersten längeren Steigungsstrecke verlor, immer wieder zeigte sich auch die Sonne. Erkenntnis, wenn auch keine neue: Weniges ist beglückender, als frisch ergrünende, vögelbesungene Wälder zu durchstreifen.

Vergangene Pracht oberhalb von Linz
Hier meinte man es besonders gut mit der Wegweisung
Blick von der Erpeler Ley: rechts der namensgebende Ort, gegenüber Remagen
Insgesamt vier Trafotürme für die Sammlung säumten den Weg. Ein besonders schöner in Orsberg.
Beglückendes Grün
Allee oberhalb von Unkel
Moosansicht

Als am Nachmittag das Etappenziel Bad Honnef erreicht war, schien mir das zu früh zum Aufhören, obwohl ich da schon fünf Stunden gewandert war. Deshalb entschied ich mich, eine Teilstrecke der zweiten Etappe (Bad Honnef – Königswinter) anzuhängen, die beim letzten Mal im Juli 2020 wegen offenbar kurz zuvor gefällter, kreuz und quer auf den Wegen herumliegender Baumstämme und von Fahrzeugen zerfurchter Wege unpassierbar gewesen war.

Danach reichte es. Die Füße verlangten nach einer Pause, der Magen nach Nahrung. Beides fand sich in einem Imbisslokal in Bad Honnef. Manchmal lautet die einzig sinnvolle Antwort auf alle Fragen: Currywurst mit Pommes, dazu ein Weißbier.

Freitag: Anscheinend hatten die für das Wetter zuständigen höheren Mächte gestern Rücksicht genommen auf meine Wanderabsichten, bereits heute regnete und wehte es wieder heftig, deshalb war die Stadtbahn Verkehrsmittel der Wahl.

„Das ist – sportlich dürfen wir ja nicht mehr sagen – herausfordernd“, sagte eine in der Besprechung. Wer hat das wann verfügt? Warum wurde der Gebrauch von herausfordernd nicht gleich mit verboten? Ich hätte da noch ein paar weitere Vorschläge.

Es sportlich zu nennen wäre übertrieben, jedenfalls blieb ich in Bewegung, weil von unsichtbaren Mächten gesteuert die Sonnenschutz-Jalousien mehrfach versuchten, herunterzufahren, was mangels Sonnenschein besonders unsinnig war. Um sie daran zu hindern, musste ich mich jedes Mal zum Schalter neben der Bürotür begeben und sie wieder hochfahren. Anscheinend ein weiter verbreitetes Phänomen, wie bei Frau Kaltmamsell zu lesen ist.

Nachmittags bezog ich mein Büro im Mutterhaus und begann, mich einzurichten. Als erstes baute ich den zweiten Monitor ab, weil er für mein Empfinden zu viel Platz auf dem Schreibtisch beanspruchte und schon auf einem genug Unbill erscheint. Ich weiß nicht, wozu so viele mittlerweile mindestens zwei Bildschirme und ein aufgeklapptes Laptop benötigen. Die Aussicht auf Rhein, Siebengebirge und Bad Godesberg ist erfreulich, heute war sie durch heftigen Regen getrübt. Alles Weitere kommende Woche, sofern die beiden Umzugskartons aus dem bisherigen Büro gebracht werden. Es hat keine Eile.

Samstag: Morgens spielten sie bei WDR 2 wieder dieses Jerusalema-Lied. Seit den frühen Achtzigern bis vor nicht langer Zeit war WDR 2 ein von mir bevorzugt gehörter Radiosender, gerade auch wegen der Musik, das erwähnte ich sicher schon. Das hat sich geändert, seit man auch dort als Hörer ungefragt geduzt wird. Ein weiterer Grund ist vorgenanntes Lied, ich finde es gar grauenvoll, es steht auf meiner ungeschriebenen Liste der Radioabschaltgründe gleich hinter dem Wellerman und noch vor Giesingers frustrierter tanzender Mutter.

Herzlichen Glückwunsch dem Liebsten zum Geburtstag und allen, die Wiho heißen, zum Namenstag. Aus erstem Anlass suchten wir abends ein (für uns) neues Restaurant in der Nordstadt auf. Wir waren sehr zufrieden mit Qualität, Service, Preisen und voraussichtlich nicht zum letzten Mal dort.

Sonntag: Katja Scholtz in der FAS über den Verzehr von Meeresgetier:

»… ich habe es genau beobachtet in französischen Restaurants — man benötigt ein kompliziertes Operationsbesteck, lebenslange Erfahrung und vor allem sehr viel Geduld, um aus winzigen Krustentierenscheren zwei Milligramm Fleisch herauszufriemeln und dabei auch noch gut auszusehen.«

Das kenne ich gut.

Während des Spazierganges sah ich ein rätselhaftes Verkehrsschild:

Wer oder was ist frei? Halbierte Autos?

Da hat wohl jemand zu viel Pantothensäure verabreicht bekommen:

Auf einer Schachtel mit Vitaminpillen

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Kommen Sie gut durch die Woche. Ziehen Sie sich warm an, es soll kalt werden.

Woche 46/2023: Bulkbatches, Bühnenpräsenz und bewegte Bilder

Montag: Die IG Metall fordert die 32-Stunden-Woche bei 8,5 Prozent mehr Lohn, meldete morgens das Radio. Wenn die das durchkriegen, schule ich auf meine alten Tage noch um zum Stahlträger.

WDR 4 fragte seine Hörer, was sie tun, um trotz Herbstwetter glücklich zu bleiben. Ich verstehe die Frage nicht: wieso trotz?

Herbstliches Regenwetter nötigte mich, statt mit dem Fahrrad mit der Bahn zum Werk zu fahren; wegen Bauarbeiten endete sie eine Haltestelle vor der üblichen, so dass sich noch ein grundsätzlich willkommener Fußweg anschloss. Zurück nahm ich zur Abwechslung den Bus. Kurz nachdem ich ihn verlassen hatte, begann es heftig zu regnen, daher kam ich trotz Schirm mit nassen Füßen zu Hause an. Das kann meine Freude am Herbst nicht schmälern. Auch nicht, dass der Schirm, ein zusammenschiebbares Taschenprodukt des Premium-Herstellers, heute irreparabel entzwei ging. Nichts hält ewig.

Abends erhielt ich die Einladung zu einem vorweihnachtlichen Schreibvorhaben; darüber habe ich mich trotz der nicht gerade leichten Aufgabenstellung sehr gefreut und zugesagt.

Dienstag: Entschleunigung ist auch eines der beliebten Zeitgeistwörter. Nur weniges entschleunigt mich gründlicher als das Wort „DRINGEND“ im Betreff einer Mail.

Mittags nach dem Essen

Auf dem Rückweg in der Bahn saß mir ein junges Paar gegenüber, innig miteinander beschäftigt. Schon immer finde ich öffentliche Liebesbekundungen abstoßend, unabhängig von Alter, Vorliebe und Geschlechterkombination.

Spontaner Gedanke ohne jeglichen aktuellen Bezug: „Splitterfasernackt“ ist auch so ein Wort, das bei genauer Betrachtung keinen Sinn ergibt.

Mittwoch: In Kolumbien herrscht eine Nilpferdplage, steht in der Zeitung. Zur Dezimierung des Bestandes erwägt man, die Tiere »unter moralischen Aspekten einzuschläfern«, wofür ein »ethisches Euthanasieprotokoll« erstellt wurde. Das ist gewiss viel besser, als sie einfach abzuknallen. Eine andere Möglichkeit sei die Sterilisation für ca. neuntausend Euro je Tier, allerdings befürchtet man, dass sie die Narkose nicht vertragen und womöglich gar sterben. Dann doch lieber moralisch einwandfrei einschläfern.

Ich bin etwas unzufrieden: Nachdem meine Lieben von einer Erkältung heimgesucht worden sind, hat es nun auch mich wieder erwischt, dabei liegt meine letzte Erkältung noch nicht lange zurück, im Grunde bin ich seit Wochen mal mehr, mal weniger erkältet. Immerhin sind Appetit und Geschmackssinn nicht beeinträchtigt. Leider fällt der für morgen geplante Wandertag dadurch aus. Ich werde den Tag dennoch freinehmen, mir wird nicht langweilig werden.

Donnerstag: Inseltag. Statt der geplanten Wanderung durch herbstbunte Wälder des Siebengebirges Frühstück im Café, danach verbrachte ich viel Zeit körperschonend auf dem Sofa und holte Leserückstände auf. Ohnehin war für heute Regen angekündigt und die Anreise nach Linz wäre vom Bahnstreik beeinträchtigt gewesen. (Dass der Regen weitgehend ausblieb und ein paar Bahnen fuhren, soll mich rückblickend nicht ärgern, wegen der Erkältung wäre es so oder so kein Genuss gewesen.)

In der Innenstadt wurden derweil die Weihnachstmarktbuden aufgebaut für den bevorstehenden Besinnlichkeitstrubel.

Gelesen beim Realitätsabzweig: »Zerfällt die Gesellschaft immer weiter in ideologische Lager, die nur noch den eigenen Nachrichtenkanälen glauben und die letztendlich anstreben, möglichst wenig mit den Abweichlern da drüben zu tun zu haben? Es wird nicht einfach werden.« Zum lesenswerten Artikel bitte hier entlang.

Gelesen bei Frau Brüllen: »… dass ich für einen drug product release test ein Mischmuster von verschiedenen Samplingpunkten im Prozess nehmen muss, damit das Testmuster repräsentativ ist für den gesamten Batch? Achtung: es geht um das tatsächliche Testen im Labor, nicht das tatsächliche Sampling des Bulkbatches.« Ich habe keinen Schimmer, um was es geht, jedenfalls klingt es toll. Vor allem Bulkbatches.

Freitag: Da ich mich morgens erkältungsbedingt ziemlich dusig im Kopf fühlte und im Büro vermutlich keine Dringlichkeiten anstanden, nichts, was nicht auch noch am Montag oder später erledigt werden kann, meldete ich mich krank. (Heimbüro ging nicht, weil der Rechner sich befindet, wo er hingehört: im Büro.

Zeitig aufstehen musste ich dennoch, zum einen für die Krankmeldung, zum anderen, weil ich morgens einen Zahnarzttermin hatte. Mein Hinweis auf die Erkältung wurde in der Praxis zur Kenntnis genommen, indes für die vorgesehene Zahnbehandlung (nur regelmäßige Reinigung) nicht als hinderlich angesehen. Wenn es nicht mehr ginge, könnte man ja abbrechen. Es ging gut, der Hustenreiz setzte erst später wieder ein, als ich auf dem heimischen Sofa vor mich hin genas. (Ja, ich habe in der Duden-App nachgeschaut, ob geneste oder genas korrekt ist.)

„Ich werde dich pflegen bis ins hohe Alter“, versprach der Geliebte. Vielleicht habe ich ja Glück und werde nicht so alt.

Gelesen in der Zeitung: »Betrunkener Mann schläft in Gleisbett ein«

Seit geraumer Zeit spotte ich regelmäßig über die Generation Genau, vor allem jüngere Kolleginnen (ja, nach meiner Beobachtung und ohne Wertung meistens weiblich), die gerne das Wort „genau“ als Füllwort in Besprechungen verwenden. Über Frau Kaltmamsell wurde ich auf eine wissenschaftliche Abhandlung aufmerksam, die sich genau diesem Phänomen widmet, bezeichnet als „Powerpoint-Genau“. Vielleicht gibt es ähnliches demnächst oder bereits heute schon auch über „quasi“ und „tatsächlich“. Für Hinweise wäre ich dankbar.

Samstag: Heute war die offizielle Sessionseröffnung des Godesberger Karnevals, traditionell immer am Samstag nach dem elften Elften. Obwohl auch unsere Gesellschaft dort mit Bühnenpräsenz, Bierbude und Bratwurstverkauf vertreten war, blieben wir zu Hause: der Liebste, weil er erst gestern Abend von einer mehrtägigen Dienstreise aus Paris zurückgekehrt war, der Geliebte, weil er da ohnehin nicht mehr hingeht und ich wegen Erkältung, die langsam abklingt. Da sich das Wetter äußerst novemberlich gestaltete, ist davon auszugehen, dass wir nicht viel verpasst haben.

Stattdessen verlief der Tag nach ein paar aushäusigen Erledigungen (unter anderem drei neue Bücher für den Stapel der ungelesenen aus der Buchhandlung abgeholt) ereignislos mit Lesen und Teetrinken auf dem Sofa, derweil der November auf das Glasdach des Erkers tropfte. Viele andere hätten stattdessen Filme oder Serien geschaut. Ich kann es mir selbst nicht recht erklären, für bewegte Bilder bringe ich immer weniger Interesse auf, das gilt besonders für über Whatsapp zugesandte Filmchen, auch fehlt mir die Zeit dazu; kaum dass die Tageszeitung, das letze Blog gelesen, der neue SPIEGEL durchgeblättert sind, wird es draußen schon wieder dunkel und die Abendkulinarikfrage steht im Raum.

Sonntag: Mittags unternahm ich bei milder Temperatur einen Spaziergang, ab und zu begleitet von ein paar Regentropfen. In dessen Zuge brachte ich halblegal an einem öffentlichen Bücherschrank ein Plakat an, danach besichtigte ich das Rheinhochwasser, das nur wenig Dramatik bot – die Uferpromenade war noch nicht (oder nicht mehr) überflutet.

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Seit nunmehr siebenunddreißig Jahren führe ich regelmäßig Tagebuch, seit fast zwanzig Jahren bevorzugt in Moleskine-Bücher, man gönnt sich ja sonst nichts. Doch ist fraglich, ob ich künftig dabei bleiben werde: Vor ein paar Tagen fing ich ein neues Buch an, weil das vorherige vollgeschrieben ist. Hier stelle ich nun fest, dass die Tinte, mit der ich üblicherweise schreibe, durch die Seiten sickert und das Geschriebene auf der Blattrückseite durchscheint. Sparen die jetzt an der Papierqualität? Haben Sie ähnliche Erfahrungen gemacht, können Sie ein anderes Produkt empfehlen?

Die Erkältung ist noch nicht ganz verschwunden, doch soweit abgeklungen, dass einer Werktätigkeit ab morgens nichts entgegensteht. Hurra.

Ein ganz besonderer Gruß geht an meine treue Leserin R., zurzeit im Waldkrankenhaus Bad Godesberg. Liebe R., alles Gute dir, komm bald wieder auf die Beine!

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Kommen Sie gut und möglichst unerkältet durch die Woche.