Woche 10/2023: Jede wie er mag

Montag: „Was gibt es schöneres als Reisen?“ fragte morgens der Mann im Radio. Das ist schnell beantwortet: nicht zu reisen.

Heute vor hundert Jahren wurde Jürgen von Manger geboren, bekannt geworden in der Rolle des Ruhrgebietsbewohners und Menschenerklärers Adolf Tegtmeier, die Älteren erinnern sich vielleicht an ihn, gleichsam Vorfahre von Herbert Knebel. Komisch, an seinem Vornamen haben wir uns seinerzeit nicht gestört, heute undenkbar. Achtung Wortspiel: zu recht.

Laut kleiner kalender ist heute Tag der Tiefkühlkost. Dazu passend betrug die Temperatur im Büro bei Ankunft morgens fünfzehn Grad, im Laufe des Tages stieg sie nicht über siebzehn. Vielleicht war das der Grund für den akuten Arbeitslustverlust, der mich nach dem Mittagessen ereilte und bis in den frühen Nachmittag anhielt. – Bei Twitter las ich von Habecks Heizungsvorstoß und mir wurde sofort warm ums Sprachherz.

Abends hielt ich bei der Fahrradwerkstatt des Vertrauens an, um eine Inspektion zu vereinbaren. Zu meiner Überraschung konnte ich es gleich dort lassen. Nun habe ich für zwei bis drei Tage kein Fahrrad. Das macht nichts, ich habe Schuhe.

Dienstag: Wie bei Wikipedia zu lesen ist, führte im Jahre 1973 die Entdeckung eines Kometen zu einer allgemeinen Kometenbegeisterung. Auch ich bin begeistert: von diesem wunderbaren Wort, auch wenn ich dafür voraussichtlich kaum Verwendung finden werde.

Begrenzt begeistert dagegen von „Jekami“, ein sächliches Substantiv, das laut Duden etwas bezeichnet, bei dem jeder ohne spezielle Voraussetzung mitmachen kann, denn daher kommt es: „Jeder kann mitmachen“. Sollte das jemand in einer Besprechung gebrauchen, wäre ihm ein „Was?“ meinerseits sicher.

Stattdessen heute gehört: „Da müssen wir zeitnah am Ball bleiben.“ Was so gesagt wird, wenn jemand meint, was Bedeutendes sagen zu müssen.

Da ich während der Seuchenzeit fast nie zu Hause arbeitete und immer ins Büro fuhr oder ging, bin ich es seitdem gewohnt, mittags alleine zu essen, entweder, als die Kantine geschlossen war, die Mitnehmgerichte auf einer Parkbank oder im freien Besprechungsraum, später, seit sie wieder geöffnet ist, dort. Und das mittlerweile sehr gerne, wie ich bereits erwähnte. Es ist sehr entspannt gegenüber einer größeren Gruppe Mitesser, deren Gespräche ich wegen des Gemurmels und Gerausche im Hintergrund nur schwer folgen kann und auch gar nicht will. Heute war ich wegen einer Besprechung spät dran und traf beim Verlassen des Büros auf eine Kollegengruppe im Aufbruch zur Kantine, derer mich nicht anzuschließen womöglich das Licht eines sozialen Sonderlings auf mich hätte scheinen lassen, daher ging ich mit ihnen. Doch das Schicksal meinte es wie so häufig gut mit mir: Da nun wieder viele in die Büros kommen, ist die Kantine gegen zwölf dermaßen gut besucht, dass es aussichtslos ist, einen freien Tisch für vier oder mehr Personen zu finden. Daher wählte ich, während die anderen vielleicht noch suchten, nach Inempfangnahme der Bratwurst einen freien Einzelplatz am Fenster und genoss den ungestörten Verzehr.

Mittwoch: Über Nacht kehrte der Winter zurück. Sogar hier in Bonn lag Schnee, der sich erst ab Mittag in Matsch und großflächige Pfützen wandelte. Da es morgens weiterhin schneite, brach ich mein Vorhaben ab, mangels Fahrrad zu Fuß ins Werk zu gehen, und fuhr mit der Bahn weiter; wozu zahlt man immer noch für ein Jobticket, wenn man es nicht wenigstens ab und zu nutzt.

Rätselhafte Spuren im verschneiten Werkshof

Im Büro ist es weiterhin kalt. Wie mir der Hausservice auf Anfrage mitteilte, arbeite man bereits an der Behebung der Heizungsschwäche. Da sich mangels Inspiration warme Gedanken nicht einstellten und diese alleine nur unzureichende Linderung brächten, fragte ich nach einem Heizlüfter, der kurz darauf gebracht und sogleich in Betrieb genommen wurde. Lobenswert, wenn etwas schnell und unbürokratisch erledigt wird. Das Gerät klingt zwar wie ein kleines Propellerflugzeug und roch anfangs etwas streng, aber es wärmt zufriedenstellend. Nicht immer nur meckern.

Unerwartet schnell ging auch die Inspektion des Fahrrades, bereits heute Abend konnte ich es abholen, werde es allerdings angesichts der Wetteraussichten in dieser Woche voraussichtlich nicht mehr benutzen, da bin ich mittlerweile etwas weicheiig.

Dass auch die erstaunlich zahlreichen Menschen, die in der Bahn noch immer Maske tragen, verweichlicht sind, unterstelle ich ihnen keinesfalls, auch wenn ich für mich dazu keine Notwendigkeit mehr sehe. Recht haben sie: Gegenüber einer Infektion mit was auch immer ist eine beschlagene Brille zweifellos das kleinere Übel.

Gedanke: Ist vielleicht die Jahreszeit auch nur ein soziales Konstrukt?

Donnerstag: Morgens spielte „The Show Must Go On“ von Queen im Radio, eins der beiden Lieder, von denen ich mir wünsche, sie werden auf meiner hoffentlich fernen Beerdigung gespielt. (Das andere ist die Arie „Ebben ne andro lontana“ in der Interpretation der Kölner Spitzbuben, zu hören hier:

Wisst ihr bescheid, meine Lieben, wenn mal was passiert, wie man so schön sagt, wenn das Unausweichliche unausgesprochen bleiben soll.)

Noch immer fiel Regen, daher war auch heute die Bahn das Verkehrsmittel der Wahl, um ins Werk zu gelangen. Erst nachmittags ließ es nach, zudem war es unerwartet mild geworden, daher ging ich zu Fuß zurück. Vor dem World Conference Center parkten in großer Anzahl pastellfarbene Autos der Stuttgarter Marke, die augenscheinlich alle einer gewissen Mary Kay gehörten.

Passend zum Wetter hatte der Geliebte morgens schlechte Laune ohne erkennbaren Grund, die sich bis in den Abend zog. Das kommt vor und gibt sich für gewöhnlich früher oder später wieder. Meine Laune dagegen war ganz passabel, auch wegen der Erbsensuppe, die es mittags in der Kantine gab.

Wie kürzlich dargelegt, beabsichtige ich, das Trommeln zu erlernen, um wieder im Musikzug der Karnevalsgesellschaft mitzuwirken. Heute Abend war die erste Unterrichtsstunde, nicht auf einer Trommel, sondern auf so einem flachen, schallarmen Übungsdings, das man am Notenständer befestigt, die Nachbarn wird es freuen. Mein erster Eindruck: Das macht wirklich Spaß.

Freitag: Ich weiß, das klingt vielleicht pingelig, aber zucken Sie auch immer ein wenig, wenn jemand „Stati“ oder gar „Statis“ sagt, wenn er den Plural von Status meint?

Vormittags war Betriebsversammlung mit anschließender Möglichkeit, Fragen zu stellen. Frage des Tages: „Kann man es sich angesichts steigender Kosten künftig noch leisten, für dieses Unternehmen zu arbeiten?“ Fragesteller war keineswegs ein Mitarbeiter der unteren Entgeltgruppen, sondern ein AT-Angestellter, also ein übertariflich bezahlter Kollege. Ich bewunderte die sachliche Gelassenheit, mit der die Personalchefin darlegte, dass in dieser Gehaltsklasse nun wirklich keine baldige Hungergefahr besteht. Ich an ihrer Stelle hätte ihn wohl gefragt, ob er noch bei Verstand ist. Was geht in solchen Menschen vor?

Samstag: Ich fühlte mich leicht matschig im Kopf, obwohl es am Vorabend in alkoholischer Hinsicht im Rahmen geblieben war. Vielleicht liegt es am Wetter: Gestern war es erst trocken, ab Mittag Regen, abends Sturm, später schneite es. Heute hingegen schien die Sonne, als wäre nichts gewesen. Da kann man wohl matschig werden.

Warum es im bayrischen Grünwald nicht angezeigt ist, Tempo dreißig einzuführen, ist hier nachvollziehbar dargelegt. Kurz zusammengefasst: Weil man mit großen Autos gar nicht langsam fahren kann. (Danke an Herrn Fischer für den Link.)

Ich wurde nach meinem zweiten Vornamen gefragt, und ob er eine besondere Bedeutung hat. Ja, ich habe einen: Rainer. Ob er eine besondere Bedeutung hat, weiß ich nicht, nur weiß ich, warum er in meinem Ausweis steht. Das kam so, vielleicht habe ich das bereits erzählt: Bei meiner Geburt wollte mein älterer Bruder, dass ich Rainer heiße, weil sein Schulfreund so hieß. Meine Eltern bevorzugten hingegen Carsten. Da kann man jetzt geteilter Meinung sein, was besser ist, mit Carsten bin ich seitdem recht zufrieden, Rainer wäre auch akzeptabel gewesen, Sie wissen schon, Schall und Rauch und so. Jedenfalls, um ihrem Ältesten entgegen zu kommen, einigten sie sich auf diesen Kompromiss. Später hatte ich selbst einen Schulfreund dieses Namens. Leider trennten sich unsere Wege in den Neunzigern, ich habe lange nichts mehr von ihm gehört. (Lieber Rainer, wenn du das hier lesen solltest, melde dich mal, ich würde mich sehr freuen.) Kleines Detail am Rande: In den Achtzigern fand ich es eine Zeit lang schick, beim Unterschreiben zwischen Vor- und Nachnamen ein „R.“ zu setzen, wie es in Wichtigtuerkreisen üblich ist. Zum Glück habe ich mir diesen Unfug bald wieder abgewöhnt.

Sonntag: Während des Spaziergangs kam es beinahe zu einer Kollision mit einer dem Anschein nach nichtbinären Person. Ich schließe das aus der Kombination einer männlichen Physiognomie mit Rock und Strumpfhosen, vielleicht liege ich mit meiner Vermutung auch daneben. Egal, es liegt mir fern, darüber zu spotten oder nur zu werten; jede, wie er mag. Die Ursache des Beinahe-Zusammenstoßes war nicht (non-)binärer, sondern digitaler Natur, da die Person bis kurz vor unserer Begegnung aufs Datengerät konzentriert war.

Derart konzentrierte Autofahrer (m/w/d) müssen bekanntlich mit Bestrafung rechnen, auch wenn ihr Verteidiger darin einen staatlichen „Eingriff in das grundrechtlich geschützte Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ sieht, wie die Sonntagszeitung berichtet. Immerhin ein netter Versuch.

Der für heute angekündigte Regen blieb oben
An dieser Remise bin ich schon oft vorbeigegangen. Erst heute fiel sie mir auf. Sie ist nicht schön im ästhetischen Sinne, gleichwohl irgendwie zeigenswert, nicht wahr.

Im übrigen bin ich der Meinung, dass die FDP verboten werden muss. Und die CSU, siehe Samstag.

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Kommen Sie gut durch die Woche.

Morgen kommt die Dildofee

Ein modernes Unternehmen zeichnet sich durch Innovationen aus, nicht nur nach außen, sondern auch nach innen. „Zufriedene Mitarbeiter sind der wesentliche Faktor unseres Erfolgs“, so oder ähnlich die bekannten Parolen. In diesem Sinne zu loben ist die Initiative eines großen Konzerns, seinen Mitarbeitern in der Zentrale eine Art Kontaktbörse anzubieten, um Mitesser für den Lunch zu finden, wobei die Auswahl zufällig erfolgt. Das heißt: Ich melde mich als Interessent an, und schon werde ich gewissermaßen temporär verkuppelt mit einer mir unbekannten Person, um mit ihr zu Mittag zu essen. Das ganze hat auch einen Namen: Mystery Lunch.

Treffender hätte man es nicht bezeichnen können. Mir ist es ein absolutes Rätsel, was jemanden bewegen könnte, dort mitzumachen. Wie soll so etwas schon ablaufen? Man trifft also jemanden fremdes zum Essen, im günstigsten Falle ist man sich sympathisch. Aber selbst dann: Während des Essens wird man über irgendein völlig uninteressantes geschäftliches Zeugs reden („Aus welchem Bereich kommen Sie?“ – „Ach das ist ja interessant!“ – „Und in welchen Themen sind Sie unterwegs?“), vielleicht spricht man auch über körperliche Gebrechen, etwa so:

„Ich sehe gerade, sie haben nur ein Bein.“

„Ja, das andere habe ich mir zum Wohle des Konzerns ausgerissen. – Und Sie, warum haben Sie eine Glatze?“

„Als die letzten Maßnahmen zur Personalabsenkung bekannt gegeben wurden, habe ich mir die Haare gerauft.“

Ich bevorzuge stattdessen den mittäglichen Kantinenbesuch mit meinen direkten und bekannten Kolleginnen und Kollegen, zumal einem ungeschriebenen Gesetz folgend während dieser Zeit keine Gespräche über geschäftliche Angelegenheiten geführt werden.

Die Tage schwappte das Gespräch bei Tisch ein klein wenig über die Ufer angemessener tischthematischer Gepflogenheiten: Eine Kollegin wusste über eine Mitschülerin ihrer im Grundschulalter befindlichen Tochter zu berichten, die im Unterricht frei und offen vom Besuch der Dildofee bei ihrer Mutter und ihren Freundinnen erzählt hatte. Wie ein Nachfragen meinerseits ergab, handelte es sich dabei offenbar um eine den bekannten Tupperpartys ähnliche Verkaufsveranstaltung, nur eben nicht mit Aufbewahrungsbehältnissen für Lebensmittel als Verkaufsgegenstand. Dem Vernehmen nach suchte und fand die Lehrerin anschließend das Gespräch mit den Eltern des Mädchens. Das hätte ich wirklich sehr gerne belauscht.

Daraufhin erzählte eine andere Kollegin von ihr entfernt Bekannten, die sehr erfolgreich Liebesspielzeug in naturnaher Gemüseform vertrieben. Ich verkniff mir die spontane Bemerkung „Nach dem Motto ‚Bonduelle ist das famose Zartgemüse für die Dose‘, ha ha ha“, Mann weiß ja nie, wie derart feinsinniger Witz bei Frauen ankommt, wie schnell hat man wegen sowas einen #Aufschrei am Hals oder gar eine Paragraphenkette am Arsch.

Schließlich berichtete eine weitere Kollegin vom zweifelhaften Humor eines Mannes, der im Supermarkt einer Dame, die eine Gemüsegurke in ihren Korb gepackt hatte, zugerufen haben soll: „Nehmen sie doch zwei, dann haben Sie eine zum Essen!“ Mein jähes Auflachen wurde durch die empörten Blicke der anwesenden Damen empfindlich gedämpft.

Nachts darauf hatte ich einen Traum. Einen komischen Traum, wobei Träume ja, bei Hellem betrachtet, meistens ziemlich komisch sind, jedenfalls in der Rückschau, sofern man sie nicht ohnehin vergessen hat. In diesem komischen Traum also ging ich mit einer Tasche durch die Gegend, in welcher sich neben anderen Habseligkeiten ein künstlicher Gummipenis befand. Die Gründe, welche mich dazu bewegten, einen Gummipenis mit mir zu führen, sind nicht mehr nachvollziehbar, auch erscheint es mir wenig angebracht, danach zu forschen.

Und also geriet ich an einen Menschen, der Kraft seines Amtes dazu befugt war, Taschenkontrollen durchzuführen, und also kontrollierte er. „Was haben wir denn hier“, rief er laut, auf dass alle Umstehenden es hörten, wedelte mit dem Tascheninhalt durch die Luft und grinste mich an. „Das ist ein künstlicher Gummipenis“, antwortete ich selbstbewusst, „mit dem kann man…“ Weiter weiß ich nicht, vermutlich wachte ich an dieser Stelle auf.

Wäre diese Begebenheit Realität gewesen statt ein Produkt nächtlichen Hirnfegens, würde es sehr lange dauern, bis ich darüber lachen könnte. Und mindestens nochmal so lange, bis ich darüber schriebe.