Woche 49/2024: Für Fußgängerinnen sind keine Einschränkungen zu erwarten

Montag: Wegen der Dienstreise nach München war der Wecker auf halb fünf eingestellt, zwei Stunden früher als gewöhnlich an Arbeitstagen. Um kurz nach drei wachte ich auf, umgehend stellten sich die vor Reisen üblichen Gedanken darüber ein, was alles schief gehen kann, von Verschlafen über Stellwerksstörung bis Zugausfall, die mich am Weiterschlafen hinderten. Dennoch schlief ich nach mehreren Sorgenrunden nochmal ein, kurz vor dem Wecker wachte ich wieder auf und kam erstaunlich leicht aus dem Bett.

Ich möchte mich nicht allzu sehr in Eigenlob ergehen, jedenfalls war der Beschluss, eine Regionalbahn früher als die in der Bahn-App angezeigte nach Köln zu nehmen, obwohl alles pünktlich sein sollte, genau richtig, auch auf die Gefahr hin, dadurch eine Dreiviertelstunde in der Kälte des Deutzer Bahnhofs auf den ICE nach München warten zu müssen. Nach pünktlicher Abfahrt in Bonn stand der Zug später wegen einer Weichenstörung längere Zeit vor Köln-Süd, aus der Dreiviertelstunde in Deutz wurden schließlich wenige Minuten. Das Unbehagen wäre vermeidbar gewesen, da der ICE entgegen dem Fahrplan auch in Siegburg/Bonn hielt, das bequem und zuverlässig mit der Stadtbahn zu erreichen ist. Warum wurde das geheim gehalten?

Immerhin erreichte ich in Deutz den ICE, während die planmäßige Regionalbahn aus Bonn vermutlich noch vor Köln-Süd im Stau stand. Entgegen der Anzeige in der App war er nicht besonders voll, jedenfalls nicht Wagen 31. Schönheitsfehler: Mein reservierter Platz war einer von den allgemein beliebten, von mir indes gemiedenen Sitzen in einer Vierergruppe mit Tisch, obwohl ich das anders gebucht hatte. In Frankfurt, wo ein größerer Fahrgastwechsel erfolgte, fand ich einen zufriedenstellenden Reihensitz mit Fußfreiheit. Mit etwa einer Viertelstunde Verspätung kamen wir in München an, somit am unteren Rand des Rahmens meiner Planung.

Das Hotel, im wenig pittoresken Stadtteil Obergiesing gelegen, ist einfach und zweckerfüllend. Immerhin verfügt das Zimmer über zwei Jackenhaken, dafür keinen Kleiderschrank oder wenigstens Ablageflächen für Kleidung. Aber ich war hier ja nicht im Urlaub, für zwei Nächte reichte es.

Einfach und zweckerfüllend

Die Kollegen besuchten abends den Tollwood-Weihnachtsmarkt auf der Theresienwiese. Ich verzichtete zugunsten eines ruhigen Alleinabends mit Aussicht auf frühe Nachtruhe. Ob die den Namen verdiente, würde sich zeigen; die Tegernseer Landstraße ist nicht, wie der Name vermuten lässt, eine ruhige Allee zum gleichnamigen Gewässer, sondern eine brausende, sechsspurige Hauptverkehrsstraße.

Dienstag: Die Kollegen erschienen mit Restmüdigkeit zum Frühstück, nachdem sie um zwei Uhr nachts zurück ins Hotel zurückgekehrt waren. Ich erfreute mich hingegen einer der Tageszeit angemessen Munterkeit, sogar meine Abneigung gegenüber Hotelfrühstücksräume überwand ich. (Pluspunkt: ausreichend große Saftgläser.) Auch die Nachtruhe war gegeben, dank ausreichendem Schallschutz gegen den brausenden Verkehr.

Etwas rätselhaft zwei Bedienelemente über dem Kopfende des Bettes mit flackernden Buttons, über die wohl das Raumlicht zu steuern ist. So sehr ich auch drauftippte und -drückte, nichts ging an oder aus. Ein wenig fühlte ich mich wie Polizeichef Heribert Pilch im Dauerkampf mit dem Kaffeeautomaten in der Krimikomikserie „Kottan ermittelt“.

Satz des Tages in einer Besprechung: „Das Team zeichnet sich durch maximale Humorlosigkeit aus.“

Abends besuchten wir in größerer Gruppe den Augustiner-Bierkeller. Dort war es sehr laut, was die verbale Kommunikation nicht nur für mich erschwerte. Den Biergenuss, unter anderem eine nur mäßig gefüllte Maß, beeinträchtigte das indes nicht. Außerdem wurde Wiener Schnitzel als typisch bayrisches Gericht ausgewiesen. Auf meine Essensauswahl – Ente mit Rotkohl und Knödeln – hatte das keinen Einfluss. Laut Karte sogar eine Bauernente, was auch immer das bedeuten mag.

Mäßig

Mittwoch: Die Rückfahrt mit der Bahn verlief zufriedenstellend. Pünktlich verließ der ICE München, wegen Stockungen vor Frankfurt wurde der Zielbahnhof Siegburg/Bonn mit fünf Minuten Verspätung erreicht. Da kann man nun wirklich nicht meckern.

Ich reiste im Ruhebereich. Vor mir zwei junge Damen, die sich angeregt, jedoch wenigstens mich nicht sehr störend unterhielten. Eine weitere junge Frau daneben sah bzw. hörte das wohl anders: Empört wies sie die beiden zurecht, ehe sie sich wieder dem Film auf ihrem Datengerät widmete, dem sie über Ohrstöpsel lauschte. Man kann sich auch ein bisschen anstellen.

Ab Frankfurt saß eine Dame neben mir, die es mit dem Ruhebereich ebenfalls nicht so eng sah. Deutlich für mich und alle Umsitzenden telefonierte sie mit einem Lokal, wo sie gestern anlässlich einer Weihnachtsfeier einen Ohrring verloren hatte. Muss ein rauschendes Fest gewesen sein.

„Nenne fünf Dinge, in denen du gut bist“ lautet der heutige Themenvorschlag des Blogvermieters. Ich wäre schon froh, wenn ich eins nennen könnte.

Donnerstag: Kleine Woche – Inseltag. Statt der üblichen Wanderung gönnte ich mir einen ruhigen Tag mit Ausschlafen. Zu Frühstück und Zeitungslektüre suchte ich das Kaufhof-Restaurant auf, wie weitere ältere Herren ohne Begleitung an den anderen Tischen. Auch wenn es voraussichtlich noch ein paar Jahre dauert, nähren solche Tage die Vorfreude auf den Ruhestand deutlich. Nach Rückkehr begann es kräftig und für längere Zeit zu regnen, was den Nichtwanderbeschluss bekräftigte.

Nachmittags legte ich die Reihenfolge der Texte für die Lesung am Abend fest und beantwortete den Brief eines Blogkollegen.

Die Lesung hätte ein paar weitere Besucher vertragen können, war ansonsten für die Lesenden wie (hoffentlich auch) die Hörenden vergnüglich, die Zeit verging schnell. Vielen Dank an die Stage Gallery für die Bereitstellung des Raumes und ganz besonders an dich, lieber Lothar, dass ich wieder an deiner Seite vortragen durfte!

Freitag: Der letzte Arbeitstag der Woche war sogleich der erste im Büro. Regen und Sturmerwartung legten die Anfahrt mit der Bahn nahe. Auf der Etage war ich fast allein, die anderen zogen Heimbüro vor. Mir war es recht, so konnte ich nachmittags, als alle Besprechungen überstanden waren, in Ruhe Angefallenes wegarbeiten. Nachmittags war der Regen vorerst durch, was den Rückweg zu Fuß ermöglichte.

Für den Abend hatte der Liebste kurzfristig beim Franzosen unseres vollen Vertrauens reserviert. Seit Weggang des ambitionierten, schon von Sternen träumenden Jungkochs steht der Chef selbst in der Küche, das Niveau ist wieder traditioneller ausgerichtet und die Preise wurden gesenkt, was dem Restaurant nicht geschadet hat. Es war gut besucht, wir waren höchst zufrieden.

Samstag: Beim Aufwachen spürte ich eine gewisse postethanolische Unpässlichkeit, dabei war die Weinbegleitung am Vorabend nicht übermäßig gewesen. Manchmal ist das so, dann vertrage ich nicht viel. Vielleicht das Wetter?

Das, so morgens die Frau im Radio, starte heute mit dichter Bewölkung, erst zum Nachmittag hin werde es voraussichtlich „schöner“, so die Frau. Wieder frage ich mich: Was ist an Bewölkung, sofern sie uns nicht Starkregen, Hagel oder Orkan um die Ohren haut, schlecht?

Aus einem Zeitungsartikel über die anstehende Untersuchung einer der drei Bonner Rheinbrücken: „Radfahren­de und Fußgänger müssen daher in dieser Zeit die Brücke auf der jeweils anderen Seite überqueren.“ Für Fußgängerinnen sind demnach keine Einschränkungen zu erwarten.

Aus einem anderen Artikel über Modelleisenbahnen als mögliches Weihnachtsgeschenk:

Finde den Fehler (General-Anzeiger Bonn)

Sonntag: Im Radio sind nun wieder auf allen Sendern die Weihnachts-Popsongs mit künstlichen Glocken und Pferdeschlittenschellen zu hören, manche eine echte Ohrenplage. Vielleicht äußerte ich es schon in den Vorjahren, in diesem Fall verzeihen Sie mir bitte die Wiederholung: In meinen Ohren das diesbezüglich schlimmste Lied ist nicht das vielgeschmähte „Last Christmas“, sondern „Wonderful Christmas Time“ von Paul McCartney. Ding-dong, ding-dong … Grauenvoll.

Nachmittags verband ich den üblichen Spaziergang mit der Freilassung mehrerer Bücher in öffentliche Bücherschränke. In der Südstadt treiben die Magnolien schon Knospen aus. Sie werden wissen, was sie tun. Die Innenstadt war an diesem verkaufsoffenen Sonntag gefüllt mit kaufoffenen Menschen, die sich auf der Jagd nach Besinnlichkeit durch die Gassen des Weihnachtsmarktes schoben.

Nebenan auf der Hofgartenwiese feierten unterdessen die Syrer mit Flaggen und Freudenrufen die Vertreibung des Tyrannen aus ihrem Land, auch hupende Autokorsos waren später, als ich wieder zu Hause war, zu vernehmen. Ich freue mich mit ihnen. Hoffentlich entwickelt sich dort alles zum Guten, ein wenig skeptisch bin ich noch.

Schöne Adventszeit
Poppelsdorfer Allee
Am botanischen Garten

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Kommen Sie gut und möglichst adventsstressfrei durch die Woche. Ding-dong.

Woche 36/2022: Ein bedauerliches Versehen der Evolution

Montag: Die vorläufig letzte Dienstreise führte heute nach Neu-Ulm. Auf der Hinfahrt überholten wir auf der Autobahn einen LKW der Firma Allfred. Daraufhin spielte mein Ohrwurm stundenlang „Fred vom Jupiter“.

Nach Ankunft machte ich einen Spaziergang durchs Dorf. Es liegt mir fern, Neu-Ulm als Dorf zu diffamieren, doch befindet sich das Hotel in einem dörflichen Ortsteil namens Finningen. Es hat eine regionaltypische Zwiebelturmkirche und einige Häuser bayrischer Anmutung, ist ansonsten wenig pittoresk und ziemlich verkehrslaut. Immerhin liegt Landduft in der Luft, und man kann in der Ferne das Ulmer Münster sehen.

Dienstag: Der erste Tag unserer Veranstaltung lief gut, danach spazierte ich erneut durch Dorf und Feld. Auf den zweiten Blick ist es doch ganz schön hier.

Die Briten bekommen eine neue Regierungschefin. Ist es nicht erstaunlich, dass es immer noch Menschen gibt, die sich in solchen Zeiten ein solches Amt freiwillig antun, nicht nur in Großbritannien? Was mag passieren, wenn sich niemand mehr dafür findet? Also nicht immer auf dem Kanzler rumhacken.

Die Menükarte für das Abendessen verhieß als Dessert ein „Schokoladen-Duett an süßer Begleitung“. Letztere erwies sich als eine überflüssige Physalisbeere, insofern blieb meine Hoffnung auf einen attraktiven, zweierlei Sorten Mousse au chocolat servierenden Jungkellner unerfüllt.

Mittwoch: Trotz durchgehender viertelstündiger Uhrzeitverkündung durch die Kirchturmglocke in Hotelnähe schlief ich sehr gut; dank rechtzeitiger Bettruhe nach mäßiger Alkoholzufuhr am Vorabend erwachte ich frisch und folgenlos.

Auf der Rückfahrt kamen wir an einem Autobahnparkplatz mit dem schönen Namen „Nachtweide“ vorbei, der sofort ein Bild erzeugt: Auf einer Wiese in Südniedersachsen haben sich mehrere Kühe unter einer großen Kastanie zur Ruhe gelegt, ihre Körper schmiegen sich wärmend aneinander. Vielleicht sind es schwarz-weiß gefleckte, vielleicht auch braun-weiß; das fahle Licht des abnehmenden Halbmondes lässt es nicht genau erkennen. Das einzig vernehmbare Geräusch ist das rhythmische Ticken des Aggregates, das im Sekundentakt Stromschläge in den Weidezaun jagt.

Donnerstag: Morgens regnete es, das war sehr schön, wenngleich dadurch der donnerstägliche Fußmarsch ins Werk nur bis zur Bahnhaltestelle führte.

Der Arbeitstag war überfüllt mit zahlreichen Besprechungen; nach drei Tagen Dienstreise hatte sich offenbar einiges an Gesprächsbedarf aufgestaut. Nach solchen Labertagen bin ich abends zumeist besonders wortkarg, was bei den Lieben nicht immer auf Verständnis stößt.

Abends regnete es wieder, allerdings in der Ferne.

Dunkle Wolken auch über England: Die Queen ist tot. Somit bekommen die Briten binnen einer Woche neben einer neuen Regierungschefin auch einen neuen König.

Freitag: „Wenn es nicht nötig ist, in Grundrechte einzugreifen, dann ist es nötig, nicht in Grundrechte einzugreifen“, so der Bundesjustizminister zu den beschlossenen Corona-Maßnahmen. Worte, wie sie nur Politiker zu finden vermögen.

Samstag: Im Rheinauenpark sind die sich ungehindert vermehrenden Nutrias nun zum Abschuss freigegeben. Dazu schrieb Hermann P. in einem Leserbrief: »Was ein Lebewesen ohne natürliche Feinde anrichten kann, erleben wir seit Jahrzehnten leider auch bei der Menschheit, die allerdings selbst zur Vernunft kommen muss und vielleicht auch kann.« Dem erlaube ich mir hinzuzufügen: Zunehmend glaube ich, die menschliche Existenz ist auf ein bedauerliches Versehen der Evolution zurückzuführen. Und ich bin mir sicher, die Menschen werden nicht aus eigenem Antrieb zur Vernunft kommen, vielmehr hat die Evolution ihren Irrtum bereits bemerket und wird ihn in bewährter Weise korrigieren.

Sonntag: Manchmal sind es unbedeutende Kleinigkeiten, die zu einer Beeinträchtigung des zwischenmenschlichen Friedens führen, ich werde das nicht weiter ausführen. So ein Tag war heute. Aber wer sagt, das Leben müsse stets einfach und harmonisch sein – Disharmonien sind nicht immer zu vermeiden und gehören dazu.

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Kommen Sie gut durch die neue Woche.

Woche 18/2022: Camargue in Brandenburg und Sympathie in Lippe

Montag: »Das ist harter Tobak«, ist in einem Zeitungskommentar zu lesen. Auf der Liste der abgegriffensten Metaphern ein ganz alter Hut.

Wie weiterhin in der Zeitung zu lesen ist, erlaubt ein Göttinger Schwimmbad aus Gründen der Geschlechtergerechtigkeit jetzt auch Besucherinnen an Wochenenden den Besuch mit freiem Oberkörper. (Für Freunde des generischen Femininums: also allen Besucherinnen.) Das ist zu befürworten, solange aus der Erlaubnis keine Verpflichtung wird.

Dienstreise nach Schönefeld bei Berlin. Die Notdurft der mitfahrenden Kollegin erforderte einen kurzen Halt auf einem Rastplatz. Wo wir schon mal hielten, wollte auch ich die Gelegenheit nutzen, kam allerdings nicht dazu, weil die Herrenabteilung der Toilette verschlossen war. Jetzt, da Frauen oben ohne ins Freibad dürfen, wäre es wünschenswert, endlich auch diese unsinnige Geschlechtertrennung bei Toiletten zu überdenken. Und wozu gibt es immer noch Damen- und Herrenfahrräder?

Wo wir gerade beim Wünschen sind: Der Ort Wünschdorf wird auf einem braunen Sehenswürdigkeitenhinweisschild am Autobahnrand als „Bücher- und Bunkerstadt“ bezeichnet. Vielleicht habe ich mich auch verlesen.

Dienstag: Teil zwei unserer Tagungstournee. Der Tagungsort ist, verglichen mit Buch am Ammersee in der vergangenen Woche, nicht ganz so idyllisch gewählt, aber wir sind ja nicht (nur) zum Vergnügen hier: Statt bayrischer Seeidylle Neubau- und Gewerbegebiet. Immerhin – in einem Teich zwischen Bahnstrecke und vierspuriger Straße weilen Flamingos, und sie scheinen sich dort nicht unfreiwillig aufzuhalten. Ein Hauch von Camargue in Brandenburg.

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Finde den Fehler.
Kleines Rätsel am Wegesrand
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Auch das kollegiale Abendprogramm war überwiegend angenehm. Gewiss, einer nervt immer, das gehört dazu. Im Übrigen kann ich wunderbar abschalten, während andere über Fußball sprechen.

Mittwoch: Dank rechtzeitigem Absprung am Vorabend erwachte ich in einigermaßen erfreulichem Zustand. Dennoch verzichtete ich aus in der vergangenen Woche bereits dargelegten Gründen auf das Frühstück.

Tagsüber gehört und notiert: „Wir sind relativ statisch unterwegs.“

Zügig unterwegs waren wir nachmittags auf dem Weg nach Celle zur dritten Tagungsetappe, die morgen startet. Nach dem Abendessen in kleiner Runde im Hotelrestaurant zeitig ins Tuch. Man weiß nicht, was einem der nächste Abend abverlangt.

Donnerstag: Hypothese: Je voluminöser der Gast, desto größere Mengen an Nahrung werden auf den Teller gepackt. Während meiner stillen Beobachtung beim Frühstücksbüffet treten Ursache und Wirkung in einen fröhlichen Streit miteinander. Ansonsten gibt es Saftgläser in angemessener Größe und im Zimmer einen Haken für die Jacke, was in Hotels keineswegs selbstverständlich ist.

Neben uns tagt hier auch eine Gruppe von Rheinmetall, ein Unternehmen, das seine Eigenschaft als bevorzugtes Verabscheuungsobjekt aus aktuellen Gründen zumindest teilweise eingebüßt hat. Bleibt immer noch Amazon.

Vor dem Abendessen ging ich ein wenig durch die Gegend.

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Rapsfelder gehen immer
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Freitag: Erst gegen Mittag kehrte das uneingeschränkte Wohlbefinden zurück, da am Vorabend Rosé, Hausbrand, Wiedersehensfreude und Willensschwäche in eine ungünstige Konstellation getreten waren, die morgens noch etwas nachwirkte.

Gegen 18 Uhr kehrte ich nach einer sehr angenehmen Tagungswoche heim in die Arme der Lieben. Die vierte und letzte Etappe folgt übernächste Woche, ich freue mich drauf.

Samstag: Da plötzlich Sommer ist, frühstückten wir erstmals in diesem Jahr auf dem Balkon, den wir neuerdings mit dem Außenaggregat der neuen Klimaanlage teilen, die seit dieser Woche unsere Wohnung bereichert, weil die Lieben meinen, wir benötigen derlei, und wer bin ich, daran zu zweifeln. „Daran gewöhnst du dich“, sagt der Liebste. Bestimmt, man gewöhnt sich angeblich auch an Tinnitus. Und im Gegensatz zum Ohrenflöten kann man auf dem Gerät Dinge abstellen, immer auch das Positive sehen.

„Ich würde mir wünschen, dass du das mal begutachtest“, hörte ich in der Fußgängerzone einen zu seiner mutmaßlichen Gattin sagen. Vielleicht haben sie gerade ein Seminar über erfolgreiche Kommunikation in der Partnerschaft absolviert.

Sonntag: Um 0:45 Uhr aufgewacht, weil jemand an der Haustür geklingelt hatte (wobei das bei uns nicht klingelt, sondern ein „Düdl-düdl-düdl“-Geräusch ertönt; ich wollte aber nicht „gedüdelt“ schreiben). Da wir weder Besuch noch ein weiteres Paket erwarteten, reagierten wir nicht und konnten, da nicht erneut geklingelt beziehungsweise gedüdelt wurde, in Ruhe weiterschlafen.

Heute vor fünfundzwanzig Jahren erkannten zwei (damals noch) junge Männer während einer Gruppenwanderung durch lippische Wälder und Fluren gegenseitige Sympathie; auf den Tag genau fünf Jahre später sagten sie vor dem Bonner Standesamt „Ja“. Mein Liebster, danke für die Jahre, in denen wir uns nun schon aufs Angenehmste reiben! Ich freue mich auf die nächsten fünfundzwanzig. Mindestens.

Der zwanzigste Hochzeitstag heißt übrigens „Porzellanhochzeit“. In Japan heißt es „Kintsugi“, wenn die Risse eines zerbrochenen und wieder zusammengefügten Porzellangefäßes mit Goldstaub hervorgehoben werden, habe ich mal irgendwo gelesen. Das hat keinen direkten Bezug zum vorstehenden Absatz, ist trotzdem schön.

Auch schön. Wenn wir Menschen uns irgendwann erfolgreich selbst ausgerottet haben, wird sich die Natur alles ganz schnell zurück holen. Immer das Positive sehen.

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Kommen Sie gut durch die sommerliche Woche.

Woche 17/2022: Gratulationsgetöse in der Gruppe und Frühfremdeln am Ammersee

Montag: Die neue Arbeitswoche begann mit einer Dienstreise nach Buch am Ammersee, meine erste richtige seit Siewissenschon. Man hat schon schäbigere Tagungsstätten gesehen.

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Ein Kollege ist Vater geworden, woraufhin das übliche Gratulationsgetöse in der Abteilungswhatsappgruppe anhob. Ich zögerte zunächst, nicht, weil ich anderen ihr Elternglück missgönnte, sondern immer weniger nachvollziehen kann, warum man sich jetzt noch fortpflanzt. Schließlich hielt ich einen Glückwunsch doch für angebracht; was kann ein neuer Mensch in diesen Zeiten mehr brauchen als Glück? Diesen Zusatz verkniff ich mir indes.

Frau Anje schrieb, durchaus passend zum Vorstehenden, wieder einen Satz, dem ich vollumfänglich zustimme: »Wirklich dankbar bin ich für all die Probleme, die ich nicht habe, weil es so unendlich viele Dinge gibt, die ich schlicht nicht brauche oder die mich überhaupt nicht interessieren, so dass ich sehr viel Energie spare, weil ich mich weder über diese Dinge informieren noch aufregen muss.«

Dienstag: Zu den Dingen, die ich während Siewissenschon nicht vermisste und erst wieder neu erlernen muss gehört es, in einem Hotel aufzuwachen und mich danach zu motivieren, zum Frühstück aufzubrechen, wo andere schon zur Unzeit mit mir sprechen wollen. Statt Büffet erhielt jeder Gast eine persönliche Etagere mit Brötchen, Croissant, Wurst, Käse, Marmelade und Müsli, dazu ein Ei, wahlweise gekocht, gerührt oder gespiegelt, was meiner Appetitlosigkeit am Morgen geradezu spottete. Dafür sind auch hier wie üblich die Saftgläser lächerlich klein.

Sonst ist es hier wirklich sehr schön, doch was nützt das, wenn zwischen Ende des Tages- und Beginn des Abendprogramms nur wenig Zeit zur eigenen Verfügung steht und es dazu noch regnet.

Auch ein schönes Trafohäuschen für meine Sammlung haben sie hier, wenn auch kein Turm, oder allenfalls ein sehr niedriger:

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Ansonsten haben heute laut Zeitung Namenstag: Kletus, Ratbert, Richardius und Trudpert. Klingt wie die Wilden Vier aus der Augsburger Puppenkiste.

Mittwoch: Trotz Frühfremdelneigung am Morgen war es eine schöne Veranstaltung. Immerhin gab es heute zum Frühstück keine überdimensionierte Etagere, sondern bedarfsgerecht ein Schälchen Müsli vom Büffet.

Schön war danach, sich wieder ohne Angst vor Ansteckung mit einer größeren Anzahl Menschen persönlich auszutauschen, die man lange nicht gesehen hat; auch die nicht geringe Bierzuführung am Vorabend verursachte keine nennenswerten Nachwirkungen. Daher freue ich mich auf zwei gleichartige Veranstaltungen an anderen Orten in der kommenden Woche.

Während einer Fahrtunterbrechung schlug die Motivklingel meines Datengerätes an:

Suchbild: Wo bin ich?

Donnerstag: Während im Werk das Abarbeiten der tagungsbedingten Rückstände recht gut von der Hand ging, war draußen auch das Eichhörnchen fleißig. Es nutzt zur Bevorratung seiner Bestände nun nicht nur das bekannte Loch unterhalb des Daches, sondern auch zwei weitere Höhlen jeweils in Ecken von Fensterstürzen. Apropos stürzen: Offenbar kann er nur an den Hausecken hoch- und runterlaufen, jedoch nicht an der planen Wand. So wäre es beim Sprung vom Fenster zur Hausecke einmal beinahe in die Tiefe gestürzt, konnte sich aber so gerade noch, gleichsam im Sturzflug, an der Ecke festkrallen. Sehr beeindruckend.

Mittags ging ich eine Runde durch den Rheinauenpark.

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Freitag: Vergangene Nacht geträumt, Österreich hätte Bayern annektiert. Trotz eindringlicher Videoansprache von Markus Söder zeigte man sich in Berlin weitgehend unbeeindruckt, es wurden nicht einmal Sanktionen erwogen, um die Versorgung mit Mozartkugeln nicht zu gefährden.

Abends waren meine Lieben und ich in einer Beueler Gaststätte, wo ich (vermutlich) erstmals Sauerbraten vom Pferd aß, deren Spezialität. Hat gut geschmeckt, unterscheidet sich nach meinem Geschmacksempfinden allerdings kaum vom herkömmlichen Rind-Sauerbraten. Und nein, ich finde es in keiner Weise anstößig, Pferdefleisch zu essen.

Samstag: »Kultur mit all seinen wie auch immer gearteten negativen Auswirkungen ist lebensnotwendig«, ist in einem Leserbrief in der Zeitung zu lesen. Es bleibt schwierig.

Schwieriger als gedacht gestaltet sich auch der beabsichtigte, vor drei Wochen angekündigte Erwerb eines Hutes. Das genannte Hutgeschäft in der Bonner Innenstadt, das ich heute in bester Kauflaune aufsuchte, hatte leider nichts Ansprechendes im Angebot. Nicht schlimm, es hat keine Eile.

Stattdessen kaufte ich Schuhe. Im fortgeschrittenen Alter neigen Männer oft zu seltsamen Anschaffungen, so kaufen sich manche in ergrauten Jahren einen Sportwagen, mit dem sie fortan ihren Mitmenschen auf die Nerven gehen. Ich hingegen begnügte mich mitmenschenschonend mit weißen Turnschuhen.

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Sonntag: Der Mai ist gekommen. Zum Einlaufen der neuen Schuhe machte ich einen langen Spaziergang, der zur Würdigung des ausgefallenen Feiertages mit einer Einkehr auf ein Weizenbier in der Südstadt garniert wurde.

Andere feierten den Tag der Arbeit klassisch, indem sie mit einem Protestzug durch die Innenstadt marschierten, wobei die auf Bannern und mündlich vorgetragenen Parolen – irgendwas mit „Kapitalismus“ und „System“ – ein wenig aus der Zeit gefallen schienen.

»RASSISMUS TÖTET.« hat schon vor längerer Zeit jemand in großen Buchstaben an eine Hauswand nebenan geschrieben. Ganz klein hat jemand anderes dazu ergänzt: »NA UND?«. Letzterer Zusatz wurde nun von einem Dritten, oder dem Ersten, man weiß es nicht, durchkritzelt. Ordnung muss sein.

»Liebe ist halal«, ist an einem Laternenpfahl zu lesen. Aber vermutlich nur zwischen Mann und Frau, wage ich gedanklich zu ergänzen.

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Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche mit viel Liebe.