Woche 36/2025: Regionaltypische Produkte in fester und flüssiger Form

Montag: Das Grillen mit den Freundinnen gestern Abend erwies sich als nicht ganz so einfach, weil der Grill des Hauses, bei unserem letzten Besuch noch einwandfrei, mittlerweile einen Zustand angenommen hat, den man ohne Übertreibung als schrottreif bezeichnen kann. Ich weiß nicht, wie Gäste vor uns es hinbekommen haben, jedenfalls ist die Feuerroste, auf der die Kohlen liegen beziehungsweise lägen, großflächig durchgebrannt und die untere Luftklappe abgerissen. Warum hinterlässt man sowas anderen? Es gelang dennoch, das Grillgut hinreichend zu garen, am Ende waren alle zufrieden, niemand blieb hungrig, durstig schon gar nicht.

Desolat

Heute ist der erste September, somit meteorologischer Herbstanfang, meine Lieblings-Jahreszeit beginnt, auch wenn hier in Südfrankreich optisch noch nichts darauf hinweist. Meteorologisch interessant war die vergangene Nacht. Wie angekündigt kamen starke Gewitter auf, die zunächst westlich vorüberzogen und den Himmel über den Bergen für längere Zeit dauerhaft aufblitzen ließen, vom Fenster aus sicherer Entfernung faszinierend anzuschauen. Später setzte auch hier heftiger Regen ein, der die Fläche vor unserem Haus in eine temporäre Seenplatte verwandelte, während die Gewitter weiterhin nur als fernes Leuchten und Grummeln auszumachen waren.

Am Morgen hatte es sich beruhigt, das Wasser vor dem Haus war abgelaufen und versickert. Der Tag war überwiegend bewölkt, hin und wieder fiel etwas Regen, längst nicht so viel wie die Wetter-App gestern in Aussicht gestellt hatte; auch vereinzelte Sonnenstrahlen zeigten sich. Wir frühstückten unter dem Dach der Terrasse, wo wir auch sonst die meiste Zeit des Tages verbrachten und in urlaubsangemessener Liegestuhlhaltung die Wechselhaftigkeit des Wetters zufrieden zur Kenntnis nahmen.

Auf Regen …
… folgt Sonne

Positive Überraschung am Abend: Vormittags hatte der Liebste dem Vermieter per Kurznachricht einen freundlichen Hinweis (keine Beschwerde) den Grill betreffend geschickt. Als wir vom Abendessen im Ort zurückkehrten, stand ein neuer Grill vor dem Haus. Nicht fabrikneu, schon gebraucht, jedenfalls in einem guten Zustand, was einen spontanen Grillbeschluss für den nächsten Abend auslöste.

Dienstag: Beinahe hätten wir heute eine Radtour gemacht. Als wir die Fahrräder beim Verleih abholen wollten, wurde uns beschieden, dass wir sie erst ab morgen reserviert haben, dafür eine Woche länger als unser Urlaub hier dauert. Nicht schlimm, kann passieren. Wo wir schon unten im Ort waren, zogen wir das Nachmittagsbier in der dafür bevorzugten Gaststätte vor, so brauchten wir später nicht nochmal runter zu gehen. Auch im Urlaub wegeoptimiert planen.

Somit erlebten wir auch diesen Nachmittag bis zur Pastisstunde aus der Liegestuhlperspektive, es gibt schlimmeres. Fahrrad fahren wir dann voraussichtlich ab morgen.

Pastisstunde

Mittwoch: Am frühen Morgen wurden wir geweckt durch ein flatterndes Geräusch, das bei Lichte der Nachttischlampe betrachtet von einer kleinen Fledermaus ausging, die sich offenbar durch den Spalt des Fensters ins Schlafzimmer verirrt hatte und nun durch den Raum raste. Als freundlicher Mensch auch gegenüber Chiropteren – man weiß nie, wofür es gut ist und wann und in welcher Lebensform man sich vielleicht irgendwann wiederbegegnet – öffnete ich das Fenster ganz, bald darauf fand sie den Weg nach draußen und konnte hoffentlich noch ein paar Mücken jagen.

Ansonsten erschien der Himmel heute besonders blau, dazu war es angenehm warm, also unter dreißig Grad. Nach dem Frühstück gingen wir runter zum Wochenmarkt und kauften ein gegrilltes Huhn mit Zubehör für das Abendessen, anschließend holten wir die Fahrräder ab. Die erste Radtour führte durch Hameau des Valettes, Sainte-Marguerite und Beaumont-de-Ventoux; wie immer in dieser Gegend, wo ebene Straßen eher unüblich sind, freute ich mich über die elektrische Unterstützung.

Bei Sainte-Marguerite

Donnerstag: Heute hätte ich frei, da kleine Woche ist. Da Urlaub ist, habe ich auch frei, das ist ohne Zweifel so oder so erfreulich. In (maximal) sechseinhalb Jahren habe ich dauerhaft frei. Das klingt lange, ist es aber im Rückblick gar nicht. März 2019 war doch gerade erst.

Den Tag verbrachten wir mit einem Autoausflug in nördliche Richtung über Vaison-la-Romaine, Saint-Maurice-sur-Eygues, Vinsobres und Nyons, dabei kauften wir regionaltypische Produkte in fester und flüssiger Form. Nachmittags bildeten sich Gewitter mit Regen, denen wir nach Rückkehr von der Terrasse aus beim Vorüberziehen zuschauten. Und dann wurde es auch schon wieder Zeit für den Apéro.

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Freitag: Auch heute, da der Himmel wieder provencalischblau über dem Land lag, als wäre nichts gewesen, unternahmen wir eine Ausfahrt mit dem Auto. Zuerst über den Mont Ventoux, von dessen Gipfel die Aussicht ungetrübt war, dann weiter durch Beaumes-de-Venise und Gigondas, wo wir zwei bekannte Weingüter besuchten, ein wenig probierten und aus Gründen der Höflichkeit ein paar Kartons erstanden. Wird ja nicht schlecht, jedenfalls nicht so bald und nicht bei uns. Zur Pastisstunde waren wir zurück. Das war schön.

Blick vom Mont Ventoux

Samstag: Hätte ich nicht eine tiefe Abneigung gegen Fußballmetaphern, schriebe ich jetzt einen Satz, in dem das Wort „Halbzeit“ vorkommt. Jedenfalls ist die erste Urlaubswoche vorüber, erschreckend, doch eine weitere liegt vor uns, herrlich. Bei weiterhin blauem Himmel und Kurze-Hosen-Temperatur stand keine besondere touristische Aktivität an, muss ja auch nicht, man hat ja Urlaub. Nach dem Frühstück verbrachten wir ein paar Stunden Alleinzeit, ein jeder auf die von ihm bevorzugte Art: Während der Liebste in den großen Supermarkt nach Vaison fuhr, las ich zuerst nach, was die Mitblogger so geschrieben haben, dann unternahm ich einen längeren Spaziergang in die Umgebung. Sehen Sie:

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Hinten Beaumont-de-Ventoux
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Warten auf das Mittagessen

Und schließlich …

Frage 773 lautet: „Welche Tradition wird überbewertet?“. Ich möchte nicht mehr das Geschwafel über die „christlich-jüdische Tradition“ hören und lesen, in der wir angeblich leben. Die aus meiner Sicht am meisten überbewertete Tradition ist jede Art von Religion, da wiederhole ich mich. Vor allem wenn man bedenkt, welche Macht Christentum, Islam, Judentum und wie sie alle heißen noch heute haben und wieviel Leid in ihren Namen Menschen zugefügt wurde und immer noch wird. Im Übrigen gehören Staat und Religion streng getrennt und eine Partei sollte nicht das „C“ in ihrem Namen führen, schon gar nicht eine in Regierungsverantwortung.

Sonntag: Beim Frühstück habe ich gelacht. Sie lesen doch auch regelmäßig das Blog von Frau Novemberregen? Sollten Sie tun, denn sie schreibt wunderbare Sätze wie diese:

Und noch etwas sehr Aufregendes ist passiert: ich habe einen genetischen Zwilling! Und rechne es allen, denen ich bisher davon erzählt habe, hoch an dass sie nicht sofort „Auch das noch!!“ sagten.

Nach dem Frühstück unternahmen wir eine längere Radtour bis Buis-les-Baronnies, schließlich haben wir die Räder für viel Geld gemietet, da müssen sie bewegt werden. Wobei der Liebste mit seinem (das eigentlich meins ist, erkläre ich gleich) täglich runter in den Ort zum Baguetteholen fährt, während ich Kaffee koche und den Tisch decke, eine wie ich finde gerechte Arbeitsteilung. Also die Fahrräder: eins ist schwarz, das andere in diesem, ich weiß nicht, wie die Farbe genau heißt, vielleicht pastellblau. Man sieht immer mehr Autos in dieser Farbgebung, es gibt sie auch in beige und grau. Im Gegensatz zu den Autos sieht das Fahrrad damit richtig gut aus. Als wir die Räder am Mittwoch entgegennahmen, war mir das blaue, dem Liebsten das schwarze zugeteilt worden und die Sattelhöhen entsprechend angepasst. Nachdem wir mit den Rädern zu unserem Haus gefahren waren, fiel dem Liebsten ein, dass er lieber das blaue hätte. Meine Frage, warum, wurde argumentativ eher flachwurzelnd beantwortet, sinngemäß mit „Isso“ oder ähnlich. Ich halte mich keineswegs für klüger, ganz im Gegenteil, dennoch folgte ich dem Sprichwort „Der Klügere gibt nach“, letztlich war und ist es mir egal, Fahrrad ist Fahrrad, ob schwarz oder blau. Wobei das schwarze keine Klingel hat, damit komme ich auch klar.

Heute also über Entrechaux, Mollans-sur-Ouvèse und Pierrelongue bis Buis-les-Baronnies und wieder zurück. Ein großer Teil der Strecke führt über die Trasse der ehemaligen Schmalspurbahn von Orange bis Buis-les-Baronnies, von der noch zahlreiche Bahnhofsgebäude, Bahnwärterhäuser, Brücken und zwei Tunnel erhalten sind. Dadurch gestaltete sich vor allem die Rückfahrt zu einem angenehmen Rollenlassen mit nur wenig Trampeln. Vor jeder Wegkreuzung zog ich gedanklich an der Dampfpfeife der Lokomotive und stellte mir vor, wie wunderbar eine Fahrt mit dieser Bahn gewesen sein muss. Schade, dass sie schon 1938 stillgelegt wurde, heute wäre sie vermutlich eine Touristenattraktion.

Während des gemeinsamen Radfahrens entsteht stets eine gewisse kommunikative Asymmetrie: Der Liebste möchte sich dabei gerne mit mir unterhalten, ich möchte lieber schweigend die Fahrt genießen, zumal ich durch den Fahrtwind auf den Ohren nichts verstehe, wenn er vor oder (seltener) hinter mir fährt, auch nebeneinander Fahren finde ich anstrengend, weil man immer aufpassen muss, ob von hinten ein Auto kommt; bei der robusten Fahrweise der Eingeborenen ist das im eigenen Interesse ratsam.

Nach Rückkehr nutzten wir erstmals in diesem Urlaub unser Schwimmbecken, nach der üblichen Überwindung des ersten Kälteschocks war das sehr angenehm. Danach wurde es Zeit, das hier alles bis zum Apéro aufzuschreiben.

Pierrelongue mit der Chapelle Notre-Dame de la Consolation
Zwischen Pierrelongue und Buis-les-Baronnies. In der Mitte letzte Gleise, rechts ein ehemaliges Bahnwärterhaus, heute gastronomisch genutzt. Doch wir mussten weiter.
Buis-les-Baronnies

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Vielen Dank für die Aufmerksamkeit, kommen Sie gut durch die Woche.

#WMDEDGT im Juli: Nicht mein Tag


Heute ist der fünfte Juli, am Fünften eines jeden Monats ruft die geschätzte Mitbloggerin Frau Brüllen zur Pflege der Tagebuchblogkultur auf. Hierzu schreibt der geneigte Teilnehmer einen Aufsatz zum Thema „Was machst du eigentlich den ganzen Tag?“, kurz #WMDEDGT, und verlinkt ihn hier.

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„Röttgen fordert Rückzug Bidens“ lese ich auf der Titelseite der Tageszeitung während des Morgenkaffees. Das Interesse des US-Präsidenten an der Forderung eines deutschen Oppositionspolitikers dürfte sich in homöopathischen Größenordnungen bewegen.

„Atemlos durch die Macht“ ist ein anderer Artikel über Ursula von der Leyens Wiederwahlwunsch als EU-Kommisionspräsidentin übertitelt. So geht seriöser Journalismus. Der damit verbundene Ohrwurm wurde zum Glück nach kurzer Zeit vom frühen Vogel vertilgt.

Während der Radfahrt ins Werk musste ich hinter einem Müllwagen anhalten, der durch ein anderes Fahrzeug auf dem Marktplatz aufgehalten wurde. Als er geräuschlos wenige Zentimeter vorrückte, bemerkte ich, dass es sich um ein Elektrofahrzeug handelte, woraufhin ich mit den begleitenden Müllwerkern (heißt das so?) kurz ins Plaudern kam. Mit dem neuen Fahrzeug zeigten sie sich unzufrieden, da es wegen des hohen Gewichts der Batterien weniger Zuladung hat. So hat alles seine Vor- und Nachteile.

Auf dem weiteren Weg musste ich wegen Baustellen mehrfach den komfortablen Radweg an der Adenauerallee verlassen und auf die Autofahrbahn wechseln. Das war nicht so schlimm, es war nicht viel los, freitags arbeiten viele lieber zu Hause. Außer Leute mit richtigen Berufen, wie Müllwerker. Ab Montag wähle ich dann die Alternativstrecke mit leichtem Umweg.

Während einer Teams-Besprechung ohne bewegte Bilder am Morgen verzehrte ich die letzten drei Aprikosen, die wir letzte Woche aus Südfrankreich mitgebracht hatten. Das wurde höchste Zeit, sie wurden langsam matschig. Ansonsten bot die Besprechung viel Fensterblickzeit, während andere ihre Sätze mit zahlreichen „quasi“ und „tatsächlich“, aber nur wenigen „genau“ garnierten, was Rückschlüsse auf das Durchschnittsalter der Runde zulässt.

Der Speiseplan der Kantine war heute nicht online einsehbar, daher ließ ich mich mittags überraschen. Einer christlichen – es ist doch eine christliche? – Tradition folgend gab es Fisch, konkret Heringsfilets mit Sahnesoße und Kartoffeln. Trotz Bekenntnis zum Agnostikertum entschied ich mich dafür und war sehr zufrieden, wenn auch nicht übermäßig satt. Am Tisch für einen Freitag ungewöhnlich viele Mitesser, siehe oben.

Alle reden über Fußball. Heute Abend spielt Wir gegen Spanien, wenn ich das richtig mitbekommen habe. Da dieser Text aus zeitlichen Gründen vor dem Ergebnis ins Netz geht, weiß ich zum Zeitpunkt der Niederschrift nicht, wie es ausgehen wird, und es ist mir auch herzlich egal.

Nach dem Mittag überkam mich schwere Müdigkeit, der ich durch Hochfahren der Schreibtischplatte und Arbeiten im Stehen entgegenzuwirken suchte. Der Fisch?

Nachmittags rief ein ehemaliger Kollege an, der seit geraumer Zeit den Ruhestand genießt, das Interesse an Unternehmensdingen indes nicht verloren hat. Wir plauderten ein wenig und wünschten uns zum Abschied gegenseitig alles Gute. Beneide ich ihn? Höchstens ein bisschen. Noch sieben Jahre und acht Monate, maximal.

Eine halbe Stunde vor Beginn des Fußballspiels hatte ich einen Friseurtermin. Der war nach gut zehn Minuten zu meiner vollen Zufriedenheit erledigt, einschließlich Augenbrauenkürzung.

Zurzeit bereiten wir uns mit Sektbegleitung auf das Wochenende vor. Nebenbei schaut der Liebste Fußball, aus dem Wohnzimmer kommt „Oooh“, „Boah“, „Nein“, „Uiuiui“, dazu die aufgedrehte Reporterstimme. Bis jetzt noch kein Tor.

Nachher werden wir was essen gehen, vielleicht beim persischen Italiener. Hauptsache irgendwo, wo kein Fußball läuft.

Laut kleiner kalender ist heute Tag der Workaholics. Also nicht mein Tag.

Woche 48/2021: Wer es sich leisten kann

Montag: Die sogenannte Ampelkoalition plant ein Werbeverbot für Süßigkeiten, insbesondere sollen Kinder und Jugendliche nicht in süße Versuchung geführt werden. Dazu eine bekannte Bonner Naschwerkmanufaktur gegenüber dem General-Anzeiger: »So richten wir Werbung nicht an Kinder beziehungsweise Jugendliche unter 14 Jahren. […] Wir richten unsere Werbebotschaften immer an Erwachsene, die für den Lebensmitteleinkauf in einem Haushalt verantwortlich sind. Das gilt sowohl für die inhaltliche Gestaltung als auch für die Auswahl der Marketing- und Werbekanäle.« Dann ist es ja gut.

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Dienstag: Eine Radiomeldung ließ mich bereits am frühen Morgen grinsen, was nur selten vorkommt. In Nordengland waren Pub-Besucher wegen eines Schneesturms drei Tage lang in der Gaststätte eingeschlossen. Sie überbrückten die Zeit mit Karaoke und Brettspielen. Ob sie dabei auch grinsten, wurde nicht gemeldet, es ist nicht ganz auszuschließen.

Laut Entscheidung des Bundesgerichtshofs hat die Witwe von Helmut Kohl keinen Anspruch auf die Millionen-Entschädigung, die ihr verblichener Gatte wegen unautorisierter Veröffentlichung seiner Memoiren erstritten hatte. Dazu der Anwalt der Dame: „Wir werden unserer Mandantin raten, dem Bundesverfassungsgericht die Gelegenheit zu geben, über diese Rechtsprechung seinerseits nochmals nachzudenken.“ Das wird die Richter sicher freuen.

Der Jahresrückblick des SPIEGEL lag im Briefkasten. Ist das nicht ein bisschen früh? Gerade in diesem Jahr kommt das Interessanteste vielleicht erst noch.

Mittwoch: Im Angebot der Kantine heute was vom Bruderkalb (also vom Neffen / der Nichte?) und was mit Gurkenwasserschaum. Habe mich für die Bratwurst mit Senf-Spitzkohl entschieden. Demnächst vielleicht was mit Rollmopswassersorbet. Oder Mäusegulasch.

Donnerstag: Morgens auf dem Weg ins Werk hörte ich auf dem Friedensplatz, wo die Weihnachtsmarktbuden noch verschlossen waren und die Maskenpflicht erst zweieinhalb Stunden später erwachte, eine Amsel singen, wie im Frühling. Vielleicht kommen auch die Singvögel so langsam durcheinander.

Der Kollege fragte per Mail einen größeren Verteiler, ob jemand Themen für die regelmäßige Rundmail an die Niederlassungen hätte, die jeden Freitag versandt wird; „Leermeldung nicht erforderlich“, so endete die Nachricht. Das Wort „Leermeldung“ mag ich, wobei ich nicht genau weiß, ob es in diesem Zusammenhang allgemein gebräuchlich oder Teil unseres eigenen Unternehmensjargons ist; egal, gemeint war: Wer nicht zu melden hat, möge schweigen (DAS sollte allgemein gelten, die Welt wäre zweifellos besser). Immerhin zwei Kollegen gaben dennoch eine nicht erforderliche Leermeldung ab, selbstverständlich an alle, auf dass ein jeder was zu löschen hatte.

Am liebsten lösche ich ja Durst. Weniger zu diesem Zweck, mehr wegen des Genussempfindens gönnte ich mir auf dem Rückweg vom Werk im nahezu menschenleeren Ausschank am Rhein zum zweiten Mal (siehe vorletzte Woche) einen Glühwein mit genussverstärkendem Amarettozusatz. Ab nächsten Donnerstag kann man das dann wohl Tradition nennen.

Freitag:In a nutshell geht es darum …“ schrieb einer in der Mail. Ein anderer sagte in der Besprechung, er habe nur mal laut ausgespeichert. Als dann auch noch eine „Das ist wie beim Fußball“ sagte, war es mit meiner Zuhörbereitschaft endgültig vorbei. Endlich Wochenende.

Auch meine Lesebereitschaft ist nicht grenzenlos. Das Buch »Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand« stand lange auf diversen Bestseller-Listen (einer der wenigen Anglizismen, die ich mangels Alternative vorbehaltlos akzeptiere). Deshalb nahm ich es mit, als ich es neulich im öffentlichen Bücherschrank vorfand. Nach 115 Seiten stelle ich fest: Die Geschichte spricht mich nicht an, außerdem zu viele Figuren, Orte und Zeitsprünge; es schmälert mir den Lesegenuss, wenn ich immer wieder zurückblättern muss, um nachzuvollziehen, wer das jetzt nochmal war, und das über mehr als vierhundert Seiten. Es geht wieder zurück in den Schrank. Es sei denn, Sie möchten es gerne haben, dann schreiben Sie mir eine kurze Nachricht.

Samstag: Auch in diesem Jahr wird es zu Silvester keine Knallerei und Feuerwerk geben, wurde beschlossen. Das ist wirklich schlimm für die Hersteller dieses Zeugs und für die Arbeitsplätze, die daran hängen. Aber eben auch nur für die.

Gegen Mittag suchte ich die Fußgängerzone auf, unter anderem um völlig überteuerte Minen (oder Mienen? Nein, Minen ist richtig, habe es nachgeschlagen) für meinen Kugelschreiber einer Schweizer Edelmarke zu kaufen, den ich mir vor zehn Jahren in einem unerfindlichen Anflug von Luxussucht gönnte, und den ich fast ausschließlich im Werk gebrauche. Da es dort im digitalen Zeitalter nur noch wenig mit der Hand zu schreiben gibt, hält so eine Mine sehr lange, was den hohen Preis über die Jahre etwas relativiert. Somit kein Grund zu getrübter Miene, jedenfalls nicht deswegen.

Während der Besorgung sah ich insgesamt drei junge Männer, die in kurzen Hosen durch die Stadt liefen. Warum auch nicht, wer es sich leisten kann … Ein Zusammenhang zum am Donnerstag gehörten Amselgesang erscheint eher unwahrscheinlich, aber wer weiß.

Sonntag: Eine Ankündigung am späteren Vorabend hüllte den heutigen Tag in eine diffuse Traurigkeit, die, je nach Entwicklung der Dinge, länger andauern könnte. Mehr darüber werden Sie hier nicht zu lesen bekommen, weder heute noch in Zukunft, versprochen.

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Mit dem Virus hat die Sache übrigens nichts zu tun, jedenfalls nicht unmittelbar. Mittelbar hat ja inzwischen so ziemlich alles irgendwie damit zu tun, und mein Optimismus, das könnte sich irgendwann wieder ändern, schrumpft täglich.

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Ihnen eine angenehme neue Woche!

Was im August a u c h in der Zeitung stand

Griechenland, Ukraine, Flüchtlinge, Islamischer Staat – das sind die großen Themen, welche die Medien in diesen Wochen füllen. Doch wollen wir auch den eher unbedeutenden Ereignissen einen kleinen Teil unserer Aufmerksamkeit widmen. Hier eine unvollständige und keineswegs repräsentative Auswahl aus dem scheidenden Monat August.

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Glaube und Videospiele – Die „Gamechurch“-Bewegung verbindet Spieltrieb und Spiritus, was weniger absurd ist, als es auf den ersten Blick erscheint: Videospiele und Religion passen aufgrund ihrer fiktionalen Grundlage perfekt zusammen. Die Spieler treffen sich wöchentlich im lippischen Lemgo und sprechen, während sie sich diversen Ego-Shootern widmen, über Glaube und Gott, „aber nur, wenn jemand Bock hat“, so der Gründer der deutschen Sektion; wie oft das der Fall ist und ob überhaupt, weiß der Himmel. Die Gamechurch-Idee kommt übrigens – wie kann es anders sein – aus Amerika.

Ebenfalls aus den USA kam folgende Meldung:

Beziehungs-Aus für Miss Piggy und Kermit – Der Frosch mit dem merkwürdigen Zackenkragen und die divenhafte Sau gaben ihre Trennung bekannt. Dennoch wollen sie weiter zusammen arbeiten.

Womit wir beim nächsten Thema sind.

Mehrheit geht gerne zur Arbeit – Nur jeder achte Arbeitnehmer ist laut einer Umfrage des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung unzufrieden mit seinem Job – alle anderen gehen mehr oder weniger gerne zur Arbeit. Manche möglicherweise sogar montags.

Vielleicht auch deshalb, weil sie ihre Arbeit bei Musik verrichten dürfen:

Zu Helene Fischer unters OP-Messer – Forscher bewerten die musikalische Untermalung von Operationen als positiv, sowohl für die Operateure, auf die die Musik entspannend wirkt, als auch für die Operierten, deren Schmerz- und Angstempfinden mit Musikbegleitung abnimmt. Ob das auch bei Beschallung durch die Fischerin zutrifft, wage ich zu bezweifeln.

Wer arbeitet, ob gerne oder nicht, braucht ab und zu Urlaub.

Mehrheit der Deutschen gut erholt – Laut dem DAK-Urlaubsreport gab die Mehrheit in einer Befragung an, sich im Urlaub gut oder sehr gut erholt zu haben. 38 Prozent derjenigen, für die das nicht zutraf, nannten „nicht abschalten können“ als Grund, nur 13 Prozent „schlechtes Wetter“. Vielleicht sollten erstere einfach mal einen Blick in die Bedienungsanleitung ihres dienstlichen Mobiltelefons werfen.

Mobiltelefone und Kopien teurer Markenuhren werden in China hergestellt, und nicht nur das:

Chinesen kopieren Goldman Sachs – Rein zufällig wählte eine chinesische Bank, die mit der bekannten amerikanischen Investmentbank nichts zu tun hat, deren Namen. „Wir haben den Namen zufällig ausgewählt, es ist nicht absichtlich derselbe“, so eine Sprecherin. Kann ja passieren.

Nicht nur in China, auch in Spanien gibt es Zufälle:

Blutige Fiesta – Bislang kamen in diesem Jahr zehn Menschen bei Stiertreiben ums Leben, deutlich mehr als in den Vorjahren. Diese Zuname der Todesfälle sei „zufällig“, so ein Organisator. Wie viele Stiere für diesen Unfug ihr Leben lassen mussten, bleibt hingegen offen. Doch trotz Protesten von Tierschützern halten die Spanier an dieser fragwürdigen Tradition fest.

Nicht nur Stiere, auch ihre weiblichen Artgenossen leiden traditionell:

Alarmgeläut gegen die Kuhglocken – Die Kuhglockendebatte aus der Schweiz ist nun auch in Bayern angekommen. Tierschützer verlangen ein Verbot, da die Tiere unter dem permanenten Gebimmel leiden (wie ein Mensch unter der Dauerbeschallung durch Helene Fi… lassen wir das). Das ist natürlich „kompletter Schmarrn“, denn in den Glocken komme der Stolz der Almhirte zum Ausdruck, so Vorsitzende des Alpwirtschaftlichen Vereins im Allgäu: „Das ist Tradition im Allgäu und gehört dazu.“

Manchmal indes bewirken Proteste etwas:

Der runde Bauch ist zurück – Nachdem die zeitgemäße Verschlankung des rothaarigen Kobolds Pumuckl eine Protestwelle nach sich zog, darf er sich nun wieder eine kleine Plauze anfressen.

Es ist schon bemerkenswert, worüber sich Menschen erregen. Erregung in mehrfacher Hinsicht war auch der Auslöser folgender Meldung:

Jugendarrest für Sex im Erlebnisbad – Ein junges Paar (18 und 19) muss ins Jugendarrest, weil sie die Bezeichnung „Erlebnisgrotte“ in einem Augsburger Hallenbad wörtlich nahmen und dort ihren natürlichen Trieben freien Lauf ließen. Das finde ich reichlich übertrieben, andererseits: In Amerika wären sie dafür vermutlich hingerichtet worden. Oder Youporn-Stars, beides ist gleichermaßen möglich.

Alle Jahre wieder – Einen weiteren Grund dauerhafter, mir völlig unverständlicher Erregung beleuchtet folgende Meldung:

Alljährliche Plätzchen-Hysterie – In Kürze stehen wieder Dominosteine, Zimtsterne, Marzipanbrote und Lebkuchen in den Supermarktregalen; damit einhergehen wird die übliche Welle der Empörung und der Boykottaufrufe in den sozialen Hetzwerken. In Österreich soll sogar schon ein Lebkuchenständer in Brand gesetzt worden sein. Dass es heutzutage fast ganzjährig Erdbeeren und Spargel zu kaufen gibt, regt hingegen kaum jemanden auf.

Apropos soziale Hetzwerke:

Eine Milliarde bei Facebook – Erstmals haben eine Milliarde Menschen freiwillig das bekannte Datenmonster genutzt, vermeldet der Chef Zuckerberg stolz. Angesichts des Umgangs mit Schmähungen gegen Flüchtlinge gelingt es mir leider nicht, den Satz „Herzlichen Glückwunsch“ mit aufrichtiger Ehrlichkeit hervorzubringen. Das wird den weiter steigenden Nutzerzahlen nicht im Wege stehen.