Woche 48/2021: Wer es sich leisten kann

Montag: Die sogenannte Ampelkoalition plant ein Werbeverbot für Süßigkeiten, insbesondere sollen Kinder und Jugendliche nicht in süße Versuchung geführt werden. Dazu eine bekannte Bonner Naschwerkmanufaktur gegenüber dem General-Anzeiger: »So richten wir Werbung nicht an Kinder beziehungsweise Jugendliche unter 14 Jahren. […] Wir richten unsere Werbebotschaften immer an Erwachsene, die für den Lebensmitteleinkauf in einem Haushalt verantwortlich sind. Das gilt sowohl für die inhaltliche Gestaltung als auch für die Auswahl der Marketing- und Werbekanäle.« Dann ist es ja gut.

Dienstag: Eine Radiomeldung ließ mich bereits am frühen Morgen grinsen, was nur selten vorkommt. In Nordengland waren Pub-Besucher wegen eines Schneesturms drei Tage lang in der Gaststätte eingeschlossen. Sie überbrückten die Zeit mit Karaoke und Brettspielen. Ob sie dabei auch grinsten, wurde nicht gemeldet, es ist nicht ganz auszuschließen.

Laut Entscheidung des Bundesgerichtshofs hat die Witwe von Helmut Kohl keinen Anspruch auf die Millionen-Entschädigung, die ihr verblichener Gatte wegen unautorisierter Veröffentlichung seiner Memoiren erstritten hatte. Dazu der Anwalt der Dame: „Wir werden unserer Mandantin raten, dem Bundesverfassungsgericht die Gelegenheit zu geben, über diese Rechtsprechung seinerseits nochmals nachzudenken.“ Das wird die Richter sicher freuen.

Der Jahresrückblick des SPIEGEL lag im Briefkasten. Ist das nicht ein bisschen früh? Gerade in diesem Jahr kommt das Interessanteste vielleicht erst noch.

Mittwoch: Im Angebot der Kantine heute was vom Bruderkalb (also vom Neffen / der Nichte?) und was mit Gurkenwasserschaum. Habe mich für die Bratwurst mit Senf-Spitzkohl entschieden. Demnächst vielleicht was mit Rollmopswassersorbet. Oder Mäusegulasch.

Donnerstag: Morgens auf dem Weg ins Werk hörte ich auf dem Friedensplatz, wo die Weihnachtsmarktbuden noch verschlossen waren und die Maskenpflicht erst zweieinhalb Stunden später erwachte, eine Amsel singen, wie im Frühling. Vielleicht kommen auch die Singvögel so langsam durcheinander.

Der Kollege fragte per Mail einen größeren Verteiler, ob jemand Themen für die regelmäßige Rundmail an die Niederlassungen hätte, die jeden Freitag versandt wird; „Leermeldung nicht erforderlich“, so endete die Nachricht. Das Wort „Leermeldung“ mag ich, wobei ich nicht genau weiß, ob es in diesem Zusammenhang allgemein gebräuchlich oder Teil unseres eigenen Unternehmensjargons ist; egal, gemeint war: Wer nicht zu melden hat, möge schweigen (DAS sollte allgemein gelten, die Welt wäre zweifellos besser). Immerhin zwei Kollegen gaben dennoch eine nicht erforderliche Leermeldung ab, selbstverständlich an alle, auf dass ein jeder was zu löschen hatte.

Am liebsten lösche ich ja Durst. Weniger zu diesem Zweck, mehr wegen des Genussempfindens gönnte ich mir auf dem Rückweg vom Werk im nahezu menschenleeren Ausschank am Rhein zum zweiten Mal (siehe vorletzte Woche) einen Glühwein mit genussverstärkendem Amarettozusatz. Ab nächsten Donnerstag kann man das dann wohl Tradition nennen.

Freitag:In a nutshell geht es darum …“ schrieb einer in der Mail. Ein anderer sagte in der Besprechung, er habe nur mal laut ausgespeichert. Als dann auch noch eine „Das ist wie beim Fußball“ sagte, war es mit meiner Zuhörbereitschaft endgültig vorbei. Endlich Wochenende.

Auch meine Lesebereitschaft ist nicht grenzenlos. Das Buch »Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand« stand lange auf diversen Bestseller-Listen (einer der wenigen Anglizismen, die ich mangels Alternative vorbehaltlos akzeptiere). Deshalb nahm ich es mit, als ich es neulich im öffentlichen Bücherschrank vorfand. Nach 115 Seiten stelle ich fest: Die Geschichte spricht mich nicht an, außerdem zu viele Figuren, Orte und Zeitsprünge; es schmälert mir den Lesegenuss, wenn ich immer wieder zurückblättern muss, um nachzuvollziehen, wer das jetzt nochmal war, und das über mehr als vierhundert Seiten. Es geht wieder zurück in den Schrank. Es sei denn, Sie möchten es gerne haben, dann schreiben Sie mir eine kurze Nachricht.

Samstag: Auch in diesem Jahr wird es zu Silvester keine Knallerei und Feuerwerk geben, wurde beschlossen. Das ist wirklich schlimm für die Hersteller dieses Zeugs und für die Arbeitsplätze, die daran hängen. Aber eben auch nur für die.

Gegen Mittag suchte ich die Fußgängerzone auf, unter anderem um völlig überteuerte Minen (oder Mienen? Nein, Minen ist richtig, habe es nachgeschlagen) für meinen Kugelschreiber einer Schweizer Edelmarke zu kaufen, den ich mir vor zehn Jahren in einem unerfindlichen Anflug von Luxussucht gönnte, und den ich fast ausschließlich im Werk gebrauche. Da es dort im digitalen Zeitalter nur noch wenig mit der Hand zu schreiben gibt, hält so eine Mine sehr lange, was den hohen Preis über die Jahre etwas relativiert. Somit kein Grund zu getrübter Miene, jedenfalls nicht deswegen.

Während der Besorgung sah ich insgesamt drei junge Männer, die in kurzen Hosen durch die Stadt liefen. Warum auch nicht, wer es sich leisten kann … Ein Zusammenhang zum am Donnerstag gehörten Amselgesang erscheint eher unwahrscheinlich, aber wer weiß.

Sonntag: Eine Ankündigung am späteren Vorabend hüllte den heutigen Tag in eine diffuse Traurigkeit, die, je nach Entwicklung der Dinge, länger andauern könnte. Mehr darüber werden Sie hier nicht zu lesen bekommen, weder heute noch in Zukunft, versprochen.

Mit dem Virus hat die Sache übrigens nichts zu tun, jedenfalls nicht unmittelbar. Mittelbar hat ja inzwischen so ziemlich alles irgendwie damit zu tun, und mein Optimismus, das könnte sich irgendwann wieder ändern, schrumpft täglich.

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Ihnen eine angenehme neue Woche!