Woche 51/2024: Das gastronomische Angebot wird gut angenommen

Montag: Vergangene Woche zählte ich ein paar komische Wörter auf, die mir irgendwann in den Sinn gekommen waren und bis zu einer möglichen Verwendung auf einer Liste notiert wurden. (Die wenigsten davon waren übrigens neu, wie ich erst heute nach Internetrecherche in einer *hüstel* kurzen Phase verminderter Arbeitslust bemerkte.) Hierzu übersandte mir mein geschätzter Mitschreiber L. einige Ergänzungen, die ich Ihnen mit seiner Erlaubnis gerne zur Kenntnis gebe: Pornokasse, Muschibude, Suboptimierer, Polendioxid, Effie Biest, Saufpate, Affenschein.

Auch anderen fallen komische Wörter ein: „Es ist Besinnlichzeit“, beginnt eine saisonale Grußmail im Bürorechner. Komische Blüten treibt auch immer wieder das Streben nach geschlechterneutraler Sprache. So heißt es in einer Mitteilung der Unternehmenskommunikation „Gewinnende“ als Variante von „Gewinner:innen“. Müsste es nicht „gewonnen Habende“ heißen?

Dienstag: Üblicherweise gehe ich jeden Dienstag und Donnerstag zu Fuß ins Werk und zurück. Seit einiger Zeit nehme ich dabei morgens am Rheinufer eine dreirädrige Gruppe junger Radfahrer wahr, die mich überholt. Das Auffällige daran ist der eine, der dabei unentwegt in Englisch auf die anderen einredet. Wenn sie sich von hinten nähern, höre ich ihn plappern, und ich höre ihn noch, wenn ihre Rücklichter als kleine rote Punkte aus meinem Blickfeld verschwinden. Jeden Dienstag und Donnerstag; an den anderen Tagen plappert er vermutlich auch. Die anderen sind wahrlich nicht zu beneiden.

Als vor allem morgens der wörtlichen Rede eher abgeneigter Mensch staune ohnehin immer wieder, wieviel so früh schon geredet und telefoniert wird, beim Gehen, Laufen, auf dem Rad. So wie manche Menschen zu fürchten scheinen, zu Staub zu zerfallen, wenn sie nicht minütlich aus einer stets griffbereiten Wasserflasche trinken oder irgendwo kurz warten müssen, sind andere anscheinend zum ständigen Reden verdammt.

Alle Jahre wieder diese Meldung: Etwa jeder zweite Beschäftigte ist auch an den Urlaubstagen um Weihnachten und Neujahr für Kollegen, Vorgesetzte und Kunden erreichbar. Auch so ein unerklärlicher, mir fremder Zwang.

Mittwoch: Da ich der anderen Hälfte angehöre, verstaute ich nach Arbeitsende den Rechner im Büroschreibtisch, schaltete das dienstliche Telefon aus und freute mich auf ein paar Tage Urlaub …

Donnerstag: … in Beaune im Burgund, wo wir nach störungsfreier, überwiegend verregneter Fahrt am frühen Nachmittag eintrafen. Da wir das Hotel bereits kennen, es ist unser vierter Aufenthalt hier, fühlte sich die Ankunft ein wenig wie Heimkehr an, was den Geliebten veranlasste, durch Anbringen mitgebrachter Lichterketten das Revier zu markieren.

Auch innerlich verlief die Fahrt nicht allzu trocken, selbstverständlich nicht für den diensthabenden Fahrer
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Leider auch eingetroffen ist meine Erkältung, die sich bereits am Montag als erste vage Ahnung andeutete, sich in der Nacht zu Dienstag mit Halskratzen bemerkbar machte und heute mit laufender Nase ihre Pracht entfaltet.

Freitag: Nach nicht allzu spätem Frühstück unternahmen wir eine Ausfahrt nach Lyon in die dortige Markthalle. Das Anfahren des Parkhauses war wegen des dichten Stadtverkehrs nicht sehr einfach, was mich selbst als Beifahrer auf dem Rücksitz anstrengt, während der Liebste als Fahrer es mit immer wieder bewundernswerter Gelassenheit hinnahm.

Die Markthalle ist einen Besuch wert. Wie in vielen anderen französischen Städten kann man dort nicht nur Lebensmittel aller Art kaufen, auch das gastronomische Angebot wird gut angenommen, an mancher Theke schon mittags Partystimmung.

Nach der Markthalle gingen wir eine Runde durch die sehenswerte Stadt, ehe wir zurück nach Beaune fuhren, wo wir erst nach Einbruch der Dunkelheit ankamen, was um diese Jahreszeit nicht sehr spät ist. Immerhin werden die Tage ab übermorgen wieder länger.

Den Abend verbrachten wir im Hotel, zunächst an der Hotelbar im Kaminzimmer. Heute mit Livemusik, dargeboten von zwei mäßig begabten Sängerinnen, die bekannte Melodien wie „Last Christmas“ und „Halleluja“ recht eigenwillig interpretieren und meine grundsätzliche Abneigung gegen Livemusik als Hintergrundbegleitung bestätigten. Dass niemand applaudierte, schien sie nicht zu beirren. (Nein, vermutlich könnte ich es nicht besser, deshalb lasse ich es auch.) Unser Essen wurde nebenan im Frühstücksraum serviert, wo der Gesang, vermischt mit anderer Musik aus dem Lautsprecher, kaum noch störte; mit jedem Glas Wein weniger.

Markthalle in Lyon
Das Angebot von Geflügel ist für das deutsche Auge bisweilen ungewohnt
Man beachte das Gespinst der Fahrleitungen für die O-Busse
Blick über die Rhone

Samstag: Vormittags besuchen wir bei feuchtkaltem Wetter den Markt in Beaune. Auch hier gibt es eine Markthalle, freilich viel kleiner als in Lyon und vom Angebot her längst nicht so interessant. Außerdem ohne gastronomische Einkehrmöglichkeit, deshalb verweilten wir nur kurz.

Schokoschnecken. Zur Vermeidung von Missverständnissen wurde es dazu geschrieben.

Nach Rückkehr brachen meine Lieben auf zu einer Supermarktbesichtigung. Mangels Interesse verblieb ich im Hotel und genoss ein paar Stunden Alleinzeit, was zwischendurch ja auch mal ganz schön ist.

Sonntag: In der Nacht bis in den Vormittag hinein umtosten starker Regen und Sturm das Hotel. Da mein Bett direkt unter dem Dachfenster steht, war ich in angenehmster Weise gleichsam live dabei. Aus anderen Gründen, an denen ein Digestif aus der Hölle am Vorabend beteiligt war, kamen wir erst kurz vor Schluss zum Frühstück. Danach unternehmen der Liebste und ich eine Ausfahrt nach Chablis, wo wir bei der örtlichen Coopérative mehrere Flaschen des gleichnamigen Weines erstanden. Das Wetter hatte sich beruhigt, auch die Sonnen ließ sich kurz blicken.

Zurück fuhren wir über Flavigny, wo wir die Fertigungsstätte von Anisbonbons besuchten und einige der hübsch dekorierte Blechdosen kauften.

Dabei durchfuhren wir zahlreiche auf den ersten Blick malerische Dörfer, auf den zweiten Blick ist viel Verfall und Leerstand zu erkennen. Oft sind die Ortseingangs- und Ausgangsschilder verhüllt, vermutlich eine Alternative zu den andernorts auf den Kopf gedrehten Schildern, mit denen die französische Landbevölkerung ihren Unmut über die Politik aus Paris zum Ausdruck bringt. Immerhin stehen, wie zum Trotz, an vielen Straßenecken bunt geschmückte Weihnachtsbäume.

Die Tage in Beaune sind übrigens unser gegenseitiges Weihnachtsgeschenk anstelle von gegenständlichen oder gutscheinbaren Gaben, was meiner diesbezüglichen Ideenlosigkeit (man hat ja alles) sehr entgegen kommt. Ich hoffe, die anderen halten sich auch daran, sonst stehe ich am Heiligabend blöd da.

Chablis
La Poste in Chablis
Bei ‎⁨Flavigny-sur-Ozerain⁩

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Kommen Sie gut durch die Woche, allen Leserinnen und Lesern wünsche ich angenehme Weihnachtstage!

Woche 41/2024: Kiloweise Trüffel, nicht geleerte Teller und Abschied

(Der letzte Blogeintrag vergangener Woche war der eintausendste, wie ich erst jetzt bemerkt habe. Somit ist dies der tausenderste.)

Montag: Die Woche begann bewölkt mit ein wenig Regen, dafür ungewöhnlich warm. Also nicht T-Shirt-kurze-Hosen-warm, jedenfalls nicht für mich, immerhin ließ es sich mit Pullover im Liegestuhl ganz gut aushalten. Wobei ich dazu kaum kam, nachmittags unternahmen wir eine Ausfahrt in die Umgebung: In Saint-Maurice-sur-Eygues erstanden wir in der Bisquiterie eine größere Menge regionaltypischen Gebäcks. In Vinsobres besuchten wir das befreundete Weingut, wo man gerade gut mit der Lese beschäftigt ist. Wie überall ist die Erntemenge in diesem Jahr wegen des Wetters gering, dafür wird eine hohe Qualität erwartet. Auf einen größeren (W)Einkauf verzichteten wir, irgendwann muss das ganze Zeug in unserem Keller ja mal getrunken werden. In Nyons besorgten wir im Brauerei-Werksverkauf lokales Bier und Limonade, außerdem in der Coopérative zwei Eimer Oliven für das befreundete Restaurant in Bonn.

Für das Abendessen (wegen ungünstiger Wetterprognose zu Hause) kauften wir bei Puyméras weißen Trüffel, dessen Preis, wie bei Trüffeln üblich, mit einem vierstelligen Betrag je Kilogramm ausgewiesen war. Wer kauft kiloweise Trüffel? Warum keine Preisangabe je Tonne? Für alles weitere, wie Nudeln und Knoblauch, suchten wir den Super-U in Vaison-la-Romaine auf. Gelernt, als ich einfach einen Beutel Bandnudeln aus dem Regal nehmen wollte: Man muss sich an das Produkt herantasten.

Bewölkung, morgens
Krokusse im Oktober? Nein, Herbst-Goldbecher, sagt die künstliche Intelligenz. Und eine Schnecke.
Besuch zum Aperitif am Abend (Foto: Stefan K.)
0,000018 Tonnen Weißer Trüffel; nach meinem Geschmack überbewertet, was am erkältungsbedingt immer noch eingeschränkten Geschmacksempfinden liegen mag

Dienstag: Der Regen, der seit der Nacht bis zum Mittag teils heftig fiel, verwandelte den Hof vor dem Haus in einen kleinen See. Immerhin, die von Wetter Online für heute Vormittag in tiefstem Violett angekündigte Gewitterzelle, in deren Zentrum Malaucène liegen sollte, blieb aus. Daher begab ich mich nach dem Frühstück zunächst lesend in den Liegestuhl auf der Terrasse, um mich herum zahlreiche kleine Schnecken, denen es wohl draußen zu naß war. Dabei stelle ich es mir recht heimelig vor, sich bei Regen einfach ins Spiralhäuschen zurückzuziehen und abzuwarten, bis es vorbei ist. Nach dem ersten Knacks unter der Schuhsohle bemühte ich mich, keine weiteren zu zertreten.

Land unter am Morgen
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Nachmittags schien wieder die Sonne, wir unternahmen eine kleine Wanderung durch die nähere nördliche Umgebung, die im Ort mit zwei Bierchen endete.

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Massenhaft Kakteen, als wäre es das natürlichste von der Welt, dass hier massenhaft Kakteen wachsen
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Herzliche Grüße an den Kiezschreiber, auch wenn die Schreibweise etwas abweicht.

Abends versuchten wir es mal wieder mit einem Dreigängemenü im Restaurant. Es ging einiges zurück, was will man machen. Satt ist satt.

Mittwoch: Trotz am Vorabend nicht geleerter Teller erfreuten heute blauer Himmel und warme Luft Auge und Seele, nur der Wind blies unangemessen heftig. Selbst einer Frostbeule wie mir war es problemlos möglich, große Teile des Tages ohne Jacke und Pullover zu verbringen. Nach dem Frühstück (wegen des Windes weiterhin drinnen) besuchten wir den Wochenmarkt von Malaucène, um Gegrilltes und diverse Sättigungsbeilagen für das Abendessen einzukaufen. Der Markt war wesentlich kleiner als im Sommer, die Durchgangsstraße nicht gesperrt. Als wir um kurz nach zwölf ankamen, wurden einige Stände schon abgebaut, obwohl offiziell bis dreizehn Uhr geöffnet.

Bereits gestern Abend hatten wir für mich ein (elektrisch unterstütztes) Leihfahrrad geholt. Der Liebste hat seins schon seit Samstag für seine Alleinzeit jeden Morgen mit Kaffee in der Bar und Baguettekauf, derweil ich zu Hause das Frühstück vorbereite. Nach Rückkehr vom Markt machten wir damit heute eine Tour, wie wir sie ähnlich schon im Sommer letzten Jahres gemacht hatten: über den Berg (nicht den Mont Ventoux, im Leben fiele mir, im Gegensatz zu vielen anderen, nicht ein, den mit einem Fahrrad zu bereisen, auch nicht elektrisch unterstützt) bis Mollans-sur-Ouvèze, zurück über Entrechaux, teilweise auf der ehemaligen Schmalspurbahn-Trasse. Immer wieder von heftigen Windböen umtost, die uns mehrfach vom Sattel zu pusten versuchten.

Nach Rückkehr zogen wir uns bald ins Haus zurück, als die Sonne hinter Wolken verschwand und der Wind kühl unter das Terrassendach blies. Später kam Regen dazu und wir waren froh, zum Abendessen nicht mehr raus zu müssen.

Bei Malaucène, mit herzlichen Grüßen an das Fachblog für Bewölkung
Blick über den Berg auf den nächsten und Wolken
Mollans

Eine schlechte Nachricht erreichte uns aus Bonn, einen sehr lieben Menschen betreffend, dem wir es unter anderem zumindest indirekt verdanken, dass wir so oft und gerne hier in Malaucène sind.

Donnerstag: Vorletzter Urlaubstag, wie immer vergeht so eine Woche viel zu schnell. Während der Liebste ein paar letzte Einkäufe in Vaison erledigte, machte ich einen Spaziergang, der ungeplant zu einer Wanderung wurde, weil ein von Google Maps behaupteter Weg nicht existiert. Zum Glück hatte ich vorsorglich Wanderschuhe angezogen. So zog sich der Weg stetig ansteigend mit schönen Aussichten in die fernere Umgebung, bis der Bergkamm erreicht war und es auf der andere Seite über steinige Pfade wieder herunter ging bis Beaumont-du-Ventoux. Von da an flanierte es sich recht entspannt weiter durch Obstplantagen und Weinfelder, wie ursprünglich beabsichtigt. Zu meiner Freude begegnete mir niemand. Man möge mir verzeihen, dass mich das freut, doch manchmal, wirklich nur manchmal, betrachte ich die Abwesenheit von (anderen) Menschen als Geschenk. Was mir auch nicht begegnete, daran dachte ich erst in des Waldes Einsamkeit, waren Wildschweine, deren es hier dem Vernehmen nach reichlich gibt; in den letzten Tagen waren immer wieder Gewehrschüsse aus den umliegenden Wäldern zu hören, die Jagd ist eröffnet. Auch hielt mich glücklicherweise kein Chasseur im Pastisnebel für ein solches.

Nach ziemlich genau zwei Stunden kam ich wieder am Haus an, wo ich mich mit einem kleinen Imbiss belohnte. Kurz darauf traf auch der Liebste wieder ein und wir genossen noch etwas Liegestuhlzeit auf der Terrasse bei Sonnenschein und nur noch leichtem Wind.

Aufstieg
Aussicht
Abstieg
Reptil mitten auf dem Weg
Für Frau Lotelta
Blick auf Vaison-la-Romaine
Moos
Obst
Imbiss nach Rückkehr

Obwohl noch letzte Ausläufer der Erkältung spürbar sind, scheint der Appetit wieder hergestellt. Abends im Restaurant gelang es, das Dreigängemenü rückstandsfrei und mit Genuss zu verzehren.

Freitag: Letzter Urlaubstag. Die Sonne schien vom wolkenlosen Himmel, die Luft war zunächst kühl, im Laufe des Tages wärmte sie sich auf, ich war genötigt, den Pullover gegen ein Polohemd zu tauschen. Nachmittags begannen wir, die ersten Sachen ins Auto zu packen, ansonsten verbrachten wir die meiste Zeit auf der Terrasse, wo diese Zeilen sowie der Entwurf eines neuen Blog-Aufsatzes entstanden. Außerdem las ich den Stanišić fertig. Es bleibt dabei, das Buch kommt demnächst in den öffentlichen Bücherschrank, wenn es niemand haben möchte.

Was ich mir für den Urlaub vorgenommen hatte, jedoch nicht getan habe: an meinem Romandings weiter zu schreiben. Im Moment hänge ich etwas in der Geschichte, auch fehlen Antrieb und Inspiration. Das ist nicht schlimm, es hat keine Eile. Zudem ist, wie der SPIEGEL gestern meldete, der Literatur-Nobelpreis für dieses Jahr ohnehin bereits vergeben. (Die Meldung erreichte mich während des Aufstiegs auf den Berg. Deswegen stört ihr mich?, dachte ich. Meldet euch erst wieder, wenn der Preis an mich geht. Was man so denkt in Momenten größerer Anstrengung.)

Die Müllentsorgung verband ich mit einem Spaziergang durch die environs. Man hat hier übrigens keine verschiedenfarbigen Hausmülltonnen, die regelmäßig durch die Müllabfuhr geleert werden. Stattdessen stehen an vielen Stellen öffentliche Müllcontainer, in die man die Abfälle einwirft, immerhin seit einigen Jahren auch hier getrennt nach Verpackung, Papier, Glas und Restmüll.

Gegend und unser Haus (Pfeil)

Die übliche Urlaubsende-Melancholie und das Bedauern über die morgige Abreise hielten sich in Grenzen. Nicht, dass ich mich wieder auf die Werktätigkeit ab Montag gefreut hätte, doch löste der Gedanke daran auch kein Unbehagen aus. Vielleicht liegt das etwas an meinem neuen Arbeitszeitmodell, der nächste freie Donnerstag steht schon im Kalender.

Zum Abendessen gingen wir runter in die Pizzeria, die erst seit gestern wieder geöffnet hat. Dort war es sehr laut durch eine sechsköpfige Herrenrunde am Nachbartisch, später kam noch eine vierköpfige, nicht viel leisere am Nebentisch hinzu. Hatten wohl alle Ausgang. Der Genuss von Pizza und Rosé wurde dadurch nicht wesentlich gemindert.

Malaucène-Zentrum, nach der Pizza

Samstag: Abreisetag. Morgens um sieben schlug der Wecker an, eine halbe Stunde später standen wir auf; noch hatten wir Urlaub, da kann der Wecker allenfalls unverbindliche Vorschläge machen. Eine gute Stunde später war alles Restliche zusammengeräumt, der Kühlschrank geleert, ohne Frühstück verließen wir das Haus. Bevor es in Richtung Autobahn ging, fuhren wir zu einem Obstbauern ein Tal weiter, um eine Kiste frisch geernteter Muscat-Trauben für das befreundete Restaurant in Bonn abzuholen.

Bei Abfahrt stellte Frau Navi eine Ankunft nach bereits neuneinhalb Stunden in Aussicht. Gedanklich schlug ich aus Erfahrung eine halbe bis ganze Stunde drauf für Pausen und Staus. Lyon durchfuhren wir dann ohne die übliche Umleitung auf eine Ausweichstrecke und ohne auch nur einmal staubedingt anhalten zu müssen, das ist sehr selten. So kamen wir wirklich fast zur angezeigten Zeit zu Hause an, vom Geliebten wiedersehensfreudig und mit Cremant begrüßt.

Sonntag: Der Tod ist unabwendbarer Teil des Lebens* – das sagt sich so leicht. Wenn er dann in der näheren Umgebung zuschlägt und einen lieben Menschen holt, trifft es einen doch. Was sich am Mittwoch ankündigte, wurde heute Morgen zur Gewissheit. Lieber K, wir werden dich sehr vermissen.

*Auch wenn irgendwelche Spinner glauben, die natürliche Alterung des Körpers ließe sich aufhalten und umkehren, somit wäre ewiges Leben möglich. Welch furchtbare Vorstellung.

Für uns geht das Leben vorerst weiter. Heute mit einem herbstlichen Spaziergang durch die Südstadt und an den Rhein. Hier ist deutlich mehr Herbst als in Südfrankreich. Die Außengastronomien sind noch nicht überall eingeräumt, dort, wo noch Tische und Stühle vor den Lokalen stehen, sitzt niemand mehr. Der Rhein fließt bräunlich dahin, er scheint anzusteigen.

Südstadt
Rheinufer

„Das Mittel gegen den rauen Ton“ wird eine Halspastille an einer Litfaßsäule beworben. Davon sollten einige Politiker, und nicht nur die, ganz viel nehmen.

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Kommen Sie gut durch die Woche. Wenn auch Sie Urlaub hatten, einen guten Start in den Alltag. Sonst auch.

Woche 40/2024: Auf Kosten des Hauses

Montag: „Österreich ist nach rechts gerückt“, hieß es morgens im Radio. Vermutlich rätseln die Geologen noch, wie es dazu kommen konnte. Nicht auszuschließen ist, dass Bayern und die Schweiz nachrücken werden. (Zugegeben, das war jetzt eher flachwurzelnd.)

Ansonsten verlief der erste von drei letzten Arbeitstagen vor dem Urlaub insgesamt zufriedenstellend. Ein Kollege aus der Nachbarabteilung hatte seinen letzten Arbeitstag, ab morgen ist er Pensionär. Wie stets zu solchen Anlässen, die sich in letzter Zeit häufen, beneide ich ihn ein klein wenig. Also im positiven Sinne, fernab jeder Missgunst.

Mittags nahm ich erstmals an einem Fire Side Chat mit dem Oberchef teil, von einem Townhall Meeting kaum zu unterscheiden. Letztlich eine Informationsveranstaltung vor internem Publikum in einem Konferenzsaal, mit Interview durch eine Dame der Kommunikationsabteilung und einer Q&A Session. Hauptsache es klingt modern und bedeutend. Was solls – ich werde gut dafür bezahlt, es mir anzuhören.

Etwas in Sorge bin ich wegen eines Kratzens im Rachen, das vormittags ganz dezent anfing und sich im Laufe des Tages steigerte. Zur Sicherheit verzichtete ich zum Abendessen auf den Rosé, stattdessen Rotwein.

Dienstag: Ein gewöhnlicher Dienstag mit Fußweg ins Werk und zurück, morgens mit etwas Regen zwischendurch, das war nicht schlimm. In einer Gruppe von Schulkindern sah ich ein Mädchen, das statt Ranzen oder Rucksack einen rosa Rollkoffer hinter sich herzog (erst beim Notieren bemerke ich die R-Lastigkeit des Satzes). Nun also auch die Schüler, und warum auch nicht.

Weg ins Werk vor Regenschleier

In einer Besprechung zuckte der Sprachnerv etwas, als eine Kollegin etwas als „specialig“ (sprich: sspeschelig) bezeichnete.

Das Halskratzen konnte mit Lutschbonbons kleingehalten werden, die sich allerdings negativ auf das Geschmacksempfinden auswirken. Der Genuss von Currywurst und roter Götterspeise mittags wurde dadurch nicht beeinträchtigt, wohl aber das Glücksgefühl beim Verzehr eines Nougat-Marzipan-Baumstammes am Nachmittag. Deshalb suchte ich auf dem Rückweg statt einer Gastronomie eine Apotheke auf.

Darüber könnte Max Giesinger mal singen. Titelvorschlag: Und wenn sie surft

Mittwoch: Der letzte Arbeitstag vor dem Urlaub endete zeitig und ohne die gelegentlich auftretende Vorurlaubshektik, wenn kurz vor Schluss noch Sachen reinkommen, die dringend zu erledigen sind. Nun ist es für derartige Anliegen zu spät: Der Rechner ruht in der Schreibtischschublade im Büro, das dienstliche Datengerät ist ausgeschaltet.

Die Vorfreude ist bereits da, nun muss nur noch Urlaubsstimmung aufkommen. Das Rachenkratzen ist abgeklungen, dafür läuft sich die Nase gerade ein; als erste Maßnahme wurde die vorübergehende Umstellung von Stoff- auf Papiertaschentücher bereits vollzogen. Egal: Die Sachen sind gepackt, morgen früh gehts los. Immer optimistisch bleiben.

Donnerstag: Morgens brachen wir auf, sechs Stunden später erreichten wir nach recht entspannter Autofahrt Beaune im Burgund, mittlerweile traditionell unser Zwischenziel auf der Reise in den Süden. Unterkunft nahmen wir wieder im Hotel la Poste, obwohl wir beim letzten Mal unzufrieden waren, weil die gebuchte Suite (man gönnt sich ja sonst nichts) sich als geräumige Dachkammer mit defektem Dachfenster erwiesen hatte. Nachdem der Liebste sich per Mail ausführlich beschwert hatte, Cc an die französische Tourismus-Ministerin, darauf muss man erstmal kommen, zeigte sich die Hausleitung zerknirscht und bot uns an, beim nächsten Aufenthalt, also jetzt, in der besten Suite zu residieren, und zwar, das ist das beste, auf Kosten des Hauses. Ich finde das etwas übertrieben, aber nun sind wir hier und sehr zufrieden. Von der Terrasse blickt man über die Stadt und auf die Weinberge. Leider ist es inzwischen zu kühl für längeres Terrassenverweilen, irgendwas ist ja immer.

Beaune im Abendlicht
Hinten die Côte d‘Or

Was auch ist: Die Erkältung plagt mich weiterhin mit Nasenlauf, Hustenreiz und Kopfdröhnen wie nach übermäßigem Alkoholverzehr am Vorabend. Zwar hatten wir gestern Abend auf den Urlaub angestoßen, von Übermaß kann indes keine Rede sein. Jedenfalls verzichtete ich nach Ankunft in Beaune auf eine Runde durch die Stadt mit dem Liebsten und hielt ein Schläfchen; wenn man schon die beste Räumlichkeit bewohnen darf, sollte man das nutzen. Anschließend teebegleitetes Bloggen, voila.

Für das Abendessen hatte der Liebste schon vor Monaten in einem Restaurant in der Stadt reserviert. Das Essen war ausgezeichnet, wegen der Erkältung allerdings Appetit und Genuss eingeschränkt. Bedauerlich, aber nicht zu ändern.

Freitag: Zwei kleine Kritikpunkte wies das Hotelzimmer doch auf, so klein, dass eine Mail ans Ministerium unangemessen erscheint. Zum einen fehlen auch hier Jackenhaken; immer wieder frage ich mich, warum die meisten Hotels an dieser Kleinigkeit sparen. Vielleicht sollte ich gelegentlich nach Reisejackenhaken recherchieren, die man ins Türblatt einhängen kann, vielleicht gibt es sowas. Zum anderen die Dusche: Zwar mit extravaganter Armatur, doch ohne Möglichkeit, die Brause über Kopf irgendwo einzuhängen, um sich darunter berieseln zu lassen. Stattdessen muss man sich mit der Brause in der Hand bewässern. Als Spritzschutz gegen das Badezimmer ein gerade mal etwa vierzig Zentimeter breiter Glasstreifen, entsprechend sah der Boden neben der Wanne aus, als ich abgebraust war.

Extravagente Armatur

Auch die Weiterfahrt nach Malaucène verlief entspannt, auffallend viele deutsche Autos waren unterwegs. Nach Verlassen der Autobahn in Bollène wurden wir von einem LKW hinter uns bedrängt und angehupt, dessen Fahrer die zulässigen achtzig Stundenkilometer offenbar für einen nicht ernst zu nehmenden Vorschlag hielt. Im nächsten Kreisverkehr, derer es hier viele gibt, ließen wir ihn vor.

Bei Meursault

Nach viereinhalb Stunden Fahrt kamen wir an unserem Haus an. Die Sonne scheint, leichter Mistral pustet den Himmel blau. Wunderbar.

Kurz nach Ankunft. Bitte denken Sie sich den Wind dazu

Samstag: Der erste Tag in Malaucène verlief bei erfreulichem Wetter ohne besondere Unternehmungen. Alles Weitere ist hier nachzulesen.

Sonntag: Vergangene Nacht träumte ich, mein Bruder wäre mit einem Lied über Biertrinken zum Youtube-Star geworden, man muss sich wirklich wundern, was sich so ein Hirn zusammenspinnt, während man schläft. Da sich das Thema über mehrere Traumphasen hinweg hielt, schaute ich morgens zur Sicherheit nach, bekam nur die Fratze das Antlitz von FDP-Kubicki angezeigt, schloss Youtube daher schnell wieder; schlimm genug, sich mit dem den Familiennamen teilen zu müssen. Lieber M., wenn ich was übersehen habe, lass es mich bitte wissen.

Des Himmels Blau war morgens hinter einer dichten Wolkendecke verschwunden, für den weiteren Verlauf des Tages war Regen angekündigt. Der perfekte Tag zum Nichtstun. Und also taten wir: Der Liebste zog sich nach dem Frühstück zum Lesen und Genesen in die Gemächer zurück, ich begab mich in Daunenjacke in den Liegestuhl auf der Terrasse, wo ich auf Empfehlung des daheim gebliebenen Geliebten die heute-Show und Böhmermann, außerdem Nuhr vom vergangenen Freitag nachschaute, danach las ich weiter im Stanišić. Vorläufiges Urteil nach der ersten Hälfte: Nach dem Auslesen werde ich das Buch wohl in einen öffentlichen Bücherschrank bringen. Wenn Sie es haben wollen, melden Sie sich gerne. Am frühen Nachmittag kam der erwartete Regen, nur so wenig, dass die Dachziegel über der Terrasse die Tropfen aufsaugten, es rann nichts vom Dache herab. Unterdessen terrorisierte eine Gruppe PS-Freunde über längere Zeit die Umgebung, indem sie mit motordröhenden Fahrzeugen ohrenscheinlich in größerer Anzahl den Mont Ventoux überquerten.

Erst abends verließen wir Haus und Grund für das Abendessen im Ort.

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Kommen Sie gut durch die Woche. Falls Sie eine Erkältung oder Schlimmeres plagt, baldige Genesung.

Woche 9/2024: Apfelbäumchen und so

Montag: Heute ist Tag der Pistazie, warum auch nicht, irgendwas ist immer. Ihre grünlichen Kerne sind wohlschmeckend und sie bieten ein gewisses Beschäftigungspotenzial, wenn man nichts zu tun hat, vielleicht an lauen Sommerabenden auf dem Balkon bei einer Flasche Rosé, nach dem Grillen; Platz für ein paar Pistazien ist immer noch, nachdem man sie aus der hölzernen Schale gepult und, wer sich die Mühe machen möchte, die bräunliche Haut abgeknibbelt hat. Auch Pistazieneis mag ich, aber bitte ohne Splitter darin, schon immer stören mich Nusskürsel in Eis, Pudding und Schokolade, ich kann das nicht erklären. Außer bei Walnusseis, da kann ich es erklären, das schmeckt mir überhaupt nicht, weder mit noch ohne Kürsel. Pistazien pule und esse ich, wenn sie auf dem Tisch stehen, weil sie jemand gekauft hat; aus eigenem Antrieb selbst welche kaufen, vielleicht extra für den Pistazienerwerb ein Geschäft aufsuchen würde ich eher nicht. Daher erscheint mir ein ihnen gewidmeter Gedenktag übertrieben.

Ansonsten erspare ich Ihnen die Schilderung von trübkühlem Regenwetter, stockendem Stadtbahnbetrieb / Arbeitseifer, latentem Erkältungsgefühl und Nachmittagsmüdigkeit.

Dienstag: Laut Radiomeldung am Morgen erwägt Frankreich, zur Unterstützung der Ukraine Bodentruppen dorthin zu entsenden. Willkommen im Dritten Weltkrieg; womöglich formuliert Putin schon eine Reisewarnung für Paris, Marseille oder Lyon. Mal lieber schnell noch ein Apfelbäumchen pflanzen.

Zurück zum profanen Alltag, solange es ihn noch gibt: Immer wieder erstaunlich, wie jemand es schafft, mit einem Thema, das sich auf einer halben Seite Text darstellen ließe, einundzwanzig Seiten Powerpoint zu füllen.

Doch ist nicht alles schlecht: Mittags in der Kantine gab es, gleichsam als Powerpointe, roten Wackelpudding mit Vanillesoße. Das lässt manches in milderem Licht erscheinen.

WordPress fragt heute: »Wenn du für einen Tag jemand anderes sein könntest, wer wärst du und warum?« Mir ist so, als hätte ich das schon mal beantwortet, mache das gerne nochmals: Ein muskulöser Pornodarsteller. Warum? Ich wüsste gerne, wie es sich anfühlt, in so einem Körper zu leben und es gegen Bezahlung in Anwesenheit einer Filmcrew vor einer Kamera zu tun. Das bleibt bitte unter uns.

Mittwoch: Jedesmal wenn einer sagt „Das ist keine Raketenwissenschaft“, geht mir einer flitzen möchte ich in die Luft gehen.

Wetter- und werkstattbedingt kam ich erst heute, nach über einer Woche, wieder dazu, mit dem Fahrrad ins Werk zu fahren. Auf dem Heimweg befuhr ich erstmals den vor allem in Kraftfahrerkreisen umstrittenen, nun auch stadteinwärts neu abgetrennten Radstreifen an der Adenauerallee, vorbei an den sich auf der ihnen verbliebenen Fahrspur stauenden Autos, was weniger an der nun fehlenden zweiten Spur liegt, vielmehr an der vorübergehenden Umleitung wegen der baustellenbedingt zurzeit gesperrten Autobahn. Auch auf zwei Streifen hätten sie sich wahrscheinlich gestaut. Wie auch immer – es radelte sich prächtig, von mir aus kann das gerne so bleiben, wobei ich anerkenne, dass man auch anderer Meinung sein kann. Dennoch werde ich wohl auch künftig überwiegend am Rheinufer entlang zurück fahren, weil es dort wesentlich schöner ist. Auch wenn es etwas länger dauert und Läufer auf dem Radweg immer wieder ein Ärgernis sind. Für sie habe ich eine neue, deutlichere Fahrradklingel montieren lassen.

Donnerstag: Der heutige 29. Februar gab mir die seltene Gelegenheit, meinen großen Bruder an seinem Geburtstag anzurufen, nicht wie sonst einen Tag vorher, was bekanntlich Unglück bringt und nicht einen danach mit dem Zusatz „nachträglich“. Übrigens sein sechzehnter.

Die Tageszeitung berichtete neulich über einen jungen, sehr erfolgreichen und hochpreisigen Bäcker in der Bonner Südstadt, der sich entschlossen hat, zum Wohle seiner Mitarbeiter und zur Vermeidung von Kündigungen die Geschäftszeiten zu kürzen. Das erzürnt Frau Ingeborg N., die uns per Leserbrief an ihrem Unmut teilhaben lässt: »Der Kunde ist ohnehin allgemein nicht mehr König, die Kunden haben das Nachsehen. Morgens gibt es bei Max Kugel außer samstags kein frisches Brot mehr und von Anfang an gab es keine Brötchen zum Frühstück. Das bedeutet einen Verlust an Lebensqualität für die Kunden, aber die des jungen Bäckers und seiner Angestellten steigt. Ist das okay?«, Ja, liebe Frau N., ist es.

Abends kam es zu einem kollegialen Umtrunk im Wirtshaus. Dabei erfuhr ich, dass der Kollege Vaterfreuden entgegensieht. So löblich es ist, trotz aller Widrigkeiten der Welt einen aktiven Beitrag zur Arterhaltung zu leisten, Apfelbäumchen und so – es gelingt mir immer weniger, mich mit den künftigen Eltern zu freuen. Erkenntnis: Rote-Bete-Schnaps schmeckt gar nicht mal so gut.

Freitag: Manchmal hilft nur bewusstes Ein- und Ausatmen und Abwarten, bis es vorüber ist. Eine lange Besprechung am Vormittag mit geringem Redeanteil meinerseits ermöglichte es mir, längere Zeit untätig aus dem Fenster zu schauen und den Raben, Elstern und Amseln am Futterteller beim Frühstück zuzuschauen. Aufgrund akuter Indisposition war ich dafür sehr dankbar.

Gleichwohl gelang es mir im Laufe des Tages, eher zufällig ein lästiges Büroproblem zu lösen. Somit habe ich mein Gehalt heute durchaus verdient.

Erkenntnisauffrischung mittags in der Kantine: Rucola ist ein unnötiges Unkraut, das in Kaninchenställen seinen Zweck erfüllen mag, jedoch nicht auf meinen Teller gehört.

Mittags Moosbetrachtung mit Mutterhaus

Kurt Kister in seiner Kolumne „Deutscher Alltag“:

»Seit Lazarus allerdings hat das Wort „revitalisieren“ eine unrühmliche Karriere gemacht. Es ist aus dem Fachjargon von Bauleuten, von denen viele verbal nicht so geschickt sind wie handwerklich, in die fast normale Sprache diffundiert, wo es mit anderen verwandten Blähwörtern (Ertüchtigung, Infrastruktur, Transformation etc.) zu Ansammlungen zusammengerottet wird, die groß klingen, aber klein sind an Sinn. […] Durch das Aneinanderreihen von Substantiven, die gerne auf -ung oder -ion enden, kann ein Klangfolgenhersteller Lautreihen erzeugen, die bei anderen Klangfolgenherstellern und Innen, also bei Projektbeauftragten, Abteilungsleiterinnen, Geschäftsführern oder AG-Koordinatorinnen, gleichzeitig Erkennen, Heimatgefühle und professionelle Müdigkeit auslösen.«

Zum gesamten Text bitte hier entlang.

Auch Herr Formschub hat lesenswerte Gedanken über Sprache aufgeschrieben.

Samstag: Ab Mittag nahmen wir teil an einer kulinarischen Stadtführung durch die Innere Nordstadt, auch als Altstadt bekannt, die ich meinen Lieben zu Weihnachten geschenkt hatte. (Also die Führung, nicht die Nord- bzw. Altstadt, bei aller Liebe.) Erstmals gebucht und verschenkt hatte ich die Tour bereits zu Weihnachten 2019, dann kam Corona, weshalb ich vom Anbieter eine Gutschrift für einen späteren Termin erhielt. Da Corona länger blieb als anfangs vermutet, war die Gutschrift inzwischen verfallen, was will man machen.

Die Tour war sehr angenehm und interessant. Mit sieben Teilnehmernden suchten wir sechs Lokalitäten auf, wo jeweils kleine Probierportionen gereicht wurden. So aß ich erstmals türkische Gözleme und war angemessen begeistert. Zwischendurch erfuhren wir durch die nette Führerin allerlei Wissenswertes über den Stadtteil, in dem wir mittlerweile seit immerhin neunzehn Jahren wohnen. Eine gewisse überregionale Bekanntheit hat er inzwischen erlangt durch die Kirschblüte, die in schätzungsweise drei bis vier Wochen wieder beginnt und die Instagram-Server sirren lässt.

Auch sonst gibt es immer wieder interessantes am Wegesrand zu entdecken, wenn man mal den Blick vom Datengerät hebt:

Foto: der Geliebte (d.h. der Fotograf, nicht das Motiv)
Laut Bundesbank befinden sich noch immer mehrere Milliarden D-Mark allein an Münzen in Bevölkerungsbesitz. Die kann man in Kürze in Bonn wieder verwenden. Man beachte auch die »Innere Altstadt«. (Foto: der Liebste)

Die Führerin (darf man das Wort überhaupt verwenden? Was sonst, wenn man nicht Guide schreiben will? Erklärdame klingt besserwisserhaft, was der freundlichen Frau nicht gerecht würde) wohnt übrigens, wie sich im Laufe des Gesprächs ergab, im selben Haus in der Südstadt, in dem ich wohnte, als ich vor fünfundzwanzig Jahren nach Bonn zog. Außerdem ist sie wie ich in Bielefeld geboren. Nach weiteren Gemeinsamkeiten traute ich mich nicht zu fragen. Zufälle gibts.

Sonntag: Der Frühling ist da mit Blütenpracht, milder Luft und Sonnenschein. Viel zu früh und viel zu warm, ist zu lesen, meine bereits vergangene Woche diesbezüglich geäußerte Vermutung wird bestätigt.

Viel zu warm war deshalb auch die weiterhin getragene Winterjacke. Dessen ungeachtet war der Spaziergang am Nachmittag erquickend. Auch zahlreiche andere zog es nach draußen, zu Fuß und zu Fahrrad; auf dem Rhein paddelte ein nur leicht bekleideter Stehpaddler mit großer Anstrengung flussaufwärts und kam dabei nur sehr langsam voran. Je nachdem wohin er wollte, dürfte mit einer späten Ankunft zu rechnen sein. Auch die ersten Düsenbarken (Jetski) brausten am sich mühenden Paddler vorbei und belästigten ihn und alle anderen mit ihrem Lärm. Der Lieblingsbiergarten hat noch geschlossen, vielleicht war das heute ganz gut und ersparte mir die Versuchung.

Über die knöchelfreie Hosenbeinmode junger Männer ließ ich mich bereits des öfteren aus, wobei ich es nicht kritisiere, viele können das durchaus tragen, nicht alle sollten es. Hier beobachte ich einen neuen Trend: Die Hosenbeine bleiben kurz, vielleicht einmal umgekrempelt wie bisher. Doch verjüngen sie sich nach unten hin nicht mehr, vielmehr bleiben sie bis zum Ende weit geschnitten und schlackern beim Gehen um die weiterhin sichtbaren Fesseln, die wie ein Besenstiel aus einem Abflussrohr staken. Jungs, glaubt dem alten Boomer: Es sieht bescheuert aus. Meine Oma nannte das früher „Hochwasserhosen“, vermutlich ein ebenso aussterbender Begriff wie Kassettenrekorder oder Videothek.

Die Sonntagszeitung berichtet über die schnelle Ausbreitung der Roten Feuerameise, deren Bisse und Stiche extrem schmerzhaft sein sollen. Unter anderem das Rheinland soll besonders prädestiniert sein als Lebensraum für die Eindringlinge, auch das noch. Das hinderte mich nicht daran, nach der Zeitungslektüre die Augen zu schließen und ein Stündchen der Dämmerung entgegen zu schlummern.

Das bereits am Montag erwähnte Erkältungsgefühl hat sich zu einer richtigen Erkältung mit Nasenpein und Hustenreiz entwickelt. Ins Büro muss ich morgen auf jeden Fall, da sich mein Rechner dort befindet und ich etwas Unaufschiebbares erledigen muss. Ob ich mich danach krank melde oder weiterarbeite, entscheide ich situativ morgen.

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Kommen Sie gut und möglichst ohne Indispositionen durch die Woche.

Woche 46/2023: Bulkbatches, Bühnenpräsenz und bewegte Bilder

Montag: Die IG Metall fordert die 32-Stunden-Woche bei 8,5 Prozent mehr Lohn, meldete morgens das Radio. Wenn die das durchkriegen, schule ich auf meine alten Tage noch um zum Stahlträger.

WDR 4 fragte seine Hörer, was sie tun, um trotz Herbstwetter glücklich zu bleiben. Ich verstehe die Frage nicht: wieso trotz?

Herbstliches Regenwetter nötigte mich, statt mit dem Fahrrad mit der Bahn zum Werk zu fahren; wegen Bauarbeiten endete sie eine Haltestelle vor der üblichen, so dass sich noch ein grundsätzlich willkommener Fußweg anschloss. Zurück nahm ich zur Abwechslung den Bus. Kurz nachdem ich ihn verlassen hatte, begann es heftig zu regnen, daher kam ich trotz Schirm mit nassen Füßen zu Hause an. Das kann meine Freude am Herbst nicht schmälern. Auch nicht, dass der Schirm, ein zusammenschiebbares Taschenprodukt des Premium-Herstellers, heute irreparabel entzwei ging. Nichts hält ewig.

Abends erhielt ich die Einladung zu einem vorweihnachtlichen Schreibvorhaben; darüber habe ich mich trotz der nicht gerade leichten Aufgabenstellung sehr gefreut und zugesagt.

Dienstag: Entschleunigung ist auch eines der beliebten Zeitgeistwörter. Nur weniges entschleunigt mich gründlicher als das Wort „DRINGEND“ im Betreff einer Mail.

Mittags nach dem Essen

Auf dem Rückweg in der Bahn saß mir ein junges Paar gegenüber, innig miteinander beschäftigt. Schon immer finde ich öffentliche Liebesbekundungen abstoßend, unabhängig von Alter, Vorliebe und Geschlechterkombination.

Spontaner Gedanke ohne jeglichen aktuellen Bezug: „Splitterfasernackt“ ist auch so ein Wort, das bei genauer Betrachtung keinen Sinn ergibt.

Mittwoch: In Kolumbien herrscht eine Nilpferdplage, steht in der Zeitung. Zur Dezimierung des Bestandes erwägt man, die Tiere »unter moralischen Aspekten einzuschläfern«, wofür ein »ethisches Euthanasieprotokoll« erstellt wurde. Das ist gewiss viel besser, als sie einfach abzuknallen. Eine andere Möglichkeit sei die Sterilisation für ca. neuntausend Euro je Tier, allerdings befürchtet man, dass sie die Narkose nicht vertragen und womöglich gar sterben. Dann doch lieber moralisch einwandfrei einschläfern.

Ich bin etwas unzufrieden: Nachdem meine Lieben von einer Erkältung heimgesucht worden sind, hat es nun auch mich wieder erwischt, dabei liegt meine letzte Erkältung noch nicht lange zurück, im Grunde bin ich seit Wochen mal mehr, mal weniger erkältet. Immerhin sind Appetit und Geschmackssinn nicht beeinträchtigt. Leider fällt der für morgen geplante Wandertag dadurch aus. Ich werde den Tag dennoch freinehmen, mir wird nicht langweilig werden.

Donnerstag: Inseltag. Statt der geplanten Wanderung durch herbstbunte Wälder des Siebengebirges Frühstück im Café, danach verbrachte ich viel Zeit körperschonend auf dem Sofa und holte Leserückstände auf. Ohnehin war für heute Regen angekündigt und die Anreise nach Linz wäre vom Bahnstreik beeinträchtigt gewesen. (Dass der Regen weitgehend ausblieb und ein paar Bahnen fuhren, soll mich rückblickend nicht ärgern, wegen der Erkältung wäre es so oder so kein Genuss gewesen.)

In der Innenstadt wurden derweil die Weihnachstmarktbuden aufgebaut für den bevorstehenden Besinnlichkeitstrubel.

Gelesen beim Realitätsabzweig: »Zerfällt die Gesellschaft immer weiter in ideologische Lager, die nur noch den eigenen Nachrichtenkanälen glauben und die letztendlich anstreben, möglichst wenig mit den Abweichlern da drüben zu tun zu haben? Es wird nicht einfach werden.« Zum lesenswerten Artikel bitte hier entlang.

Gelesen bei Frau Brüllen: »… dass ich für einen drug product release test ein Mischmuster von verschiedenen Samplingpunkten im Prozess nehmen muss, damit das Testmuster repräsentativ ist für den gesamten Batch? Achtung: es geht um das tatsächliche Testen im Labor, nicht das tatsächliche Sampling des Bulkbatches.« Ich habe keinen Schimmer, um was es geht, jedenfalls klingt es toll. Vor allem Bulkbatches.

Freitag: Da ich mich morgens erkältungsbedingt ziemlich dusig im Kopf fühlte und im Büro vermutlich keine Dringlichkeiten anstanden, nichts, was nicht auch noch am Montag oder später erledigt werden kann, meldete ich mich krank. (Heimbüro ging nicht, weil der Rechner sich befindet, wo er hingehört: im Büro.

Zeitig aufstehen musste ich dennoch, zum einen für die Krankmeldung, zum anderen, weil ich morgens einen Zahnarzttermin hatte. Mein Hinweis auf die Erkältung wurde in der Praxis zur Kenntnis genommen, indes für die vorgesehene Zahnbehandlung (nur regelmäßige Reinigung) nicht als hinderlich angesehen. Wenn es nicht mehr ginge, könnte man ja abbrechen. Es ging gut, der Hustenreiz setzte erst später wieder ein, als ich auf dem heimischen Sofa vor mich hin genas. (Ja, ich habe in der Duden-App nachgeschaut, ob geneste oder genas korrekt ist.)

„Ich werde dich pflegen bis ins hohe Alter“, versprach der Geliebte. Vielleicht habe ich ja Glück und werde nicht so alt.

Gelesen in der Zeitung: »Betrunkener Mann schläft in Gleisbett ein«

Seit geraumer Zeit spotte ich regelmäßig über die Generation Genau, vor allem jüngere Kolleginnen (ja, nach meiner Beobachtung und ohne Wertung meistens weiblich), die gerne das Wort „genau“ als Füllwort in Besprechungen verwenden. Über Frau Kaltmamsell wurde ich auf eine wissenschaftliche Abhandlung aufmerksam, die sich genau diesem Phänomen widmet, bezeichnet als „Powerpoint-Genau“. Vielleicht gibt es ähnliches demnächst oder bereits heute schon auch über „quasi“ und „tatsächlich“. Für Hinweise wäre ich dankbar.

Samstag: Heute war die offizielle Sessionseröffnung des Godesberger Karnevals, traditionell immer am Samstag nach dem elften Elften. Obwohl auch unsere Gesellschaft dort mit Bühnenpräsenz, Bierbude und Bratwurstverkauf vertreten war, blieben wir zu Hause: der Liebste, weil er erst gestern Abend von einer mehrtägigen Dienstreise aus Paris zurückgekehrt war, der Geliebte, weil er da ohnehin nicht mehr hingeht und ich wegen Erkältung, die langsam abklingt. Da sich das Wetter äußerst novemberlich gestaltete, ist davon auszugehen, dass wir nicht viel verpasst haben.

Stattdessen verlief der Tag nach ein paar aushäusigen Erledigungen (unter anderem drei neue Bücher für den Stapel der ungelesenen aus der Buchhandlung abgeholt) ereignislos mit Lesen und Teetrinken auf dem Sofa, derweil der November auf das Glasdach des Erkers tropfte. Viele andere hätten stattdessen Filme oder Serien geschaut. Ich kann es mir selbst nicht recht erklären, für bewegte Bilder bringe ich immer weniger Interesse auf, das gilt besonders für über Whatsapp zugesandte Filmchen, auch fehlt mir die Zeit dazu; kaum dass die Tageszeitung, das letze Blog gelesen, der neue SPIEGEL durchgeblättert sind, wird es draußen schon wieder dunkel und die Abendkulinarikfrage steht im Raum.

Sonntag: Mittags unternahm ich bei milder Temperatur einen Spaziergang, ab und zu begleitet von ein paar Regentropfen. In dessen Zuge brachte ich halblegal an einem öffentlichen Bücherschrank ein Plakat an, danach besichtigte ich das Rheinhochwasser, das nur wenig Dramatik bot – die Uferpromenade war noch nicht (oder nicht mehr) überflutet.

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Seit nunmehr siebenunddreißig Jahren führe ich regelmäßig Tagebuch, seit fast zwanzig Jahren bevorzugt in Moleskine-Bücher, man gönnt sich ja sonst nichts. Doch ist fraglich, ob ich künftig dabei bleiben werde: Vor ein paar Tagen fing ich ein neues Buch an, weil das vorherige vollgeschrieben ist. Hier stelle ich nun fest, dass die Tinte, mit der ich üblicherweise schreibe, durch die Seiten sickert und das Geschriebene auf der Blattrückseite durchscheint. Sparen die jetzt an der Papierqualität? Haben Sie ähnliche Erfahrungen gemacht, können Sie ein anderes Produkt empfehlen?

Die Erkältung ist noch nicht ganz verschwunden, doch soweit abgeklungen, dass einer Werktätigkeit ab morgens nichts entgegensteht. Hurra.

Ein ganz besonderer Gruß geht an meine treue Leserin R., zurzeit im Waldkrankenhaus Bad Godesberg. Liebe R., alles Gute dir, komm bald wieder auf die Beine!

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Kommen Sie gut und möglichst unerkältet durch die Woche.