Im Übrigen waren wir auch nicht besser

Vor längerer Zeit las ich, ich weiß nicht mehr wo, vielleicht in der Sonntagszeitung, den Text einer jungen Autorin. In Form eines offenen Briefes äußerte sie sich kritisch-verwundert über die Generation der sogenannten Boomer, ihre Engstirnigkeit wie etwa die Weigerung, ein Tempolimit auf Autobahnen zu akzeptieren oder geschlechterneutrale Sprache zu verwenden. Vieles in dem Text war zutreffend.

Gleichwohl erlaube ich mir, selbst nicht mehr der Jüngste (je nach Definition ebenfalls Boomer oder Generation X, nicht so wichtig) eine Erwiderung. Also:

Liebe Jungmenschen,*

vieles hat sich im Laufe der Jahrzehnte gewandelt hat, das meiste, auch wenn von vielen Vertretern meiner und noch älterer Altersgruppen gerne gegenteilig behauptet, zum Guten. Etwa das äußere Erscheinungsbild junger Männer: In den Siebzigern trugen sie Hosen mit weitem Schlag, lange Haare, gerne mit etwas schmieriger Anmutung, und Schnauzbärte. Allein wenn man Fußballspieler damals und heute miteinander vergleicht, bei allem mir gegebenem Desinteresse an Fußball, könnte man meinen, es handelte sich um unterschiedliche Spezies: Paul Breitner zu Thomas Müller, Günter Netzer zu Joshua Kimmich und was weiß ich wie die heute heißen.

Dagegen heute: Bis vor kurzem zeigtet ihr euch gerne mit gescheitelter Kurzhaarfrisur, Dreitagebart und schmal geschnittenen Hosen, bei jeder Außentemperatur knöchelfrei oder mit hochgezogenen weißen Sportsocken. Doch ist hier in letzter Zeit eine schleichende Verhässlichung zu beobachten. Damit meine ich nicht den inzwischen typischen Einheitsjugendlichen mit Alpakafrisur und weißen Turnschuhen, Verzeihung: Sneeker. Aber ihr solltet darüber nachdenken, ob eurem Erscheinungsbild die Rückkehr in die Siebziger- und Achtzigerjahre dienlich ist mit Vokuhila-Schnitt, Schnauzbärten und sackartigen Hosen.

Wenn ich bis hierher nur die Jungs angesprochen habe, liegt es daran, dass mir vergleichbares bei Mädchen bislang nicht so auffällt. Vielleicht achte ich auch nicht so sehr darauf, was bitte nicht frauenfeindlich oder -desinteressiert aufzufassen ist. Außerdem: Knöchelfrei bei jedem Wetter tragen sie seit jeher, auch und gerade Rentnerinnen.

Doch bei folgenden Beobachtungen fühlt euch gerne alle angesprochen.

Ständig blickt ihr aufs Datengerät: auf dem Fahrrad, beim Autofahren, in der Bahn und beim Warten auf diese sowieso. Beim Gehen durch die Stadt, beim Laufen, vermutlich auch während des Liebesspieles. Dabei tragt ihr stets Kopfhörer, zumeist diese kleinen weißen Einsteckstöpsel, auch während ihr miteinander sprecht. (Vielleicht werden in einigen Generationen die Menschen bereits damit geboren, fest verwachsen.) Dann schaut ihr Filmchen bei TikTok und Serien mit englischen Titeln. Über TikTok informiert ihr euch auch über das Weltgeschehen; Tagesschau und überhaupt lineares Fernsehen ist was für Alte. Überhaupt schaut ihr für alles Mögliche aufs Gerät; wenn ihr was wissen wollt, googelt ihr danach. Man könnte vermuten, Teile eures Hirns habt ihr auf das Smartphone ausgelagert.

Wenn ihr nicht draufschaut, telefoniert ihr. Wobei, das stimmt nicht ganz, dank flach vor das Gesicht gehaltenen Telefons schafft ihr es, zu telefonieren UND auf das Display zu schauen. Gerne mit eingeschaltetem Lautsprechen, damit auch alle anderen in den Genuss des vollständigen Gesprächs kommen, oder ihr haltet euch zum Hören die schmale Unterseite des Telefons ans Ohr.

Oder ihr macht Fotos, am liebsten von euch selbst, allein vor einem instagrammablen Hintergrund oder zusammen mit euren Freunden. Dann haltet ihr die Kamera mit ausgestrecktem Arm über Kopfhöhe vor euch und grinst hinein. Ist euch noch nie aufgefallen, wie dämlich das aussieht?

Fahrrad fahrt ihr stets im Stehen, auch im Gefälle. Warum? Welchen Vorteil hat das gegenüber bequemem Sitzen auf dem Sattel? Vielleicht werden künftige Fahrräder ohne Sattel hergestellt, so wie Autos kein Ersatzrad mehr haben und Züge vielleicht demnächst keine Fenster, weil alle nur noch auf ihre Geräte schauen und nicht nach draußen. Dafür mit mehreren Getränkehaltern. Es ist euch nicht möglich, ohne gefüllte Trinkflasche aus dem Haus zu gehen und im Minutentakt daran zu nippen. Fürchtet ihr, sonst zu verdursten? Ähnliches gilt für den Gehkaffee. Warum muss man mit einem Kaffeebecher, schlimmstenfalls Einweg, durch die Gegend laufen?

Gut, niemand sagt „Gehkaffee“, sondern Coffee to go. So wie ihr überhaupt gerne englisch sprecht. Weil ihr es könnt, wie ich ein wenig neidisch anerkenne. Aber muss man wirklich bei jeder Gelegenheit chillen, by the way, never ever, really, random sagen?

Aber auch wenn ihr nicht englisch sprecht, benutzt ihr komische Wörter: Alles möglich findet ihr krass, statt äh … sagt ihr genau, und tatsächlich an Stellen, wo es völlig überflüssig ist. Ungeachtet des Geschlechts nennt ihr euch gegenseitig Alter, vielleicht ist das auch gar keine Anrede, sondern nur eine universelle Gefühlsregung.

Ihr ernährt euch vegan, weil euch die Tiere leid tun. Daran ist nichts zu kritisieren, im Gegenteil, das ist sogar sehr lobenswert, wir alle sollten viel weniger Fleisch essen, den Tieren und dem Klima zuliebe, gesünder ist es auch. Doch tun euch nicht auch die Pflanzen leid, wenn sie zu veganer Leberwurst verarbeitet werden? Und was wird aus den ganzen Kühen, wenn niemand mehr Milch trinkt und Bic Mac isst?

Haftete Tätowierungen früher etwas Verruchtes an, sind sie für euch selbstverständlich und ihr zeigt sie mit Stolz. Manche von euch übertreiben es damit etwas, wenn Arme und Beine großflächig eingefärbt sind oder Ornamente am Hals entlang aus dem T-Shirt-Kragen flammen. So mancher von Natur aus wohlgeratener Körper wird dadurch freiwillig und dauerhaft verunstaltet. Warum?

Sympathisch, wenn auch anfangs gewöhnungsbedürftig finde ich eure Gewohneit, alle zu duzen, auch über Hierarchieebenen hinweg. Wobei Kommunikation nicht immer einfacher wird, wenn statt Herr Schröder, Frau Schmidt nur noch „der Tobi“ oder „die Steffi“ gesagt wird und man nicht sofort weiß, welcher beziehungsweise welche von mehreren gerade gemeint ist. Nicht geduzt werden möchte ich hingegen von Firmen, Organisationen und Webseiten. Da bin ich Boomer.

Man sagt euch eine gewisse Nachlässigkeit in der Arbeitsmoral nach, doch das glaube ich nicht. Ihr setzt halt andere Prioritäten, ordnet einer Karriere nicht alles andere unter. Vielleicht seid ihr auch ein wenig verwöhnt von euren Eltern, die ihr statt mit „Mama“ und „Papa“ mit ihren Vornamen ansprecht und die möglichst alle Unannehmlichkeiten von euch fernhalten.

In vielem stimme ich mit euch überein: Wir müssen viel mehr für Klima- und Naturschutz tun, damit ihr und eure Kinder, die ihr trotz allem Irrsinn in der Welt irgendwann haben wollt, auf eine angenehme Zukunft hoffen könnt. Wir müssen nicht jede noch so kurze Distanz mit dem Auto zurücklegen, weil es so bequem ist. Und Arbeit muss nicht der zentrale Lebensinhalt sein, siehe oben.

Im Übrigen waren wir auch nicht besser. In den Achtzigerjahren trugen wir seltsame Frisuren, schaut euch auf Youtube nur mal das Video zu Do They Know It‘s Christmas an. Unsere Bekleidung war auch fragwürdig: Die einen trugen wallende Bundfaltenhosen und grelle Seidenblusons, andere kleideten sich in selbst gefärbten Latzhosen und Hemden aus grobem Leinen, dazu einen Rauschebart.

Statt mit dem Smartphone beschäftigten wir uns stundenlang mit dem Zauberwürfel, später einem elektronischen Haustier namens Tamagotchi. Auch wir gingen schon mit Kopfhörern aus dem Haus, nur kam die Musik von einer Kassette im Walkman statt per Stream aus der Wolke.

Ich glaube, ihr seid nicht verkehrt. Und dass wir euch die Welt so hinterlassen wie sie ist, dafür könnt ihr nichts.

*Ich weiß nicht, wie ich euch anreden soll: Millenials, Generation Y, Z, Alpha, Beta, Gamma, Genau; sucht euch was aus, wenn ihr nicht viel älter als dreißig seid

Aus dem Familienalbum (ohne mich)

Woche 9/2024: Apfelbäumchen und so

Montag: Heute ist Tag der Pistazie, warum auch nicht, irgendwas ist immer. Ihre grünlichen Kerne sind wohlschmeckend und sie bieten ein gewisses Beschäftigungspotenzial, wenn man nichts zu tun hat, vielleicht an lauen Sommerabenden auf dem Balkon bei einer Flasche Rosé, nach dem Grillen; Platz für ein paar Pistazien ist immer noch, nachdem man sie aus der hölzernen Schale gepult und, wer sich die Mühe machen möchte, die bräunliche Haut abgeknibbelt hat. Auch Pistazieneis mag ich, aber bitte ohne Splitter darin, schon immer stören mich Nusskürsel in Eis, Pudding und Schokolade, ich kann das nicht erklären. Außer bei Walnusseis, da kann ich es erklären, das schmeckt mir überhaupt nicht, weder mit noch ohne Kürsel. Pistazien pule und esse ich, wenn sie auf dem Tisch stehen, weil sie jemand gekauft hat; aus eigenem Antrieb selbst welche kaufen, vielleicht extra für den Pistazienerwerb ein Geschäft aufsuchen würde ich eher nicht. Daher erscheint mir ein ihnen gewidmeter Gedenktag übertrieben.

Ansonsten erspare ich Ihnen die Schilderung von trübkühlem Regenwetter, stockendem Stadtbahnbetrieb / Arbeitseifer, latentem Erkältungsgefühl und Nachmittagsmüdigkeit.

Dienstag: Laut Radiomeldung am Morgen erwägt Frankreich, zur Unterstützung der Ukraine Bodentruppen dorthin zu entsenden. Willkommen im Dritten Weltkrieg; womöglich formuliert Putin schon eine Reisewarnung für Paris, Marseille oder Lyon. Mal lieber schnell noch ein Apfelbäumchen pflanzen.

Zurück zum profanen Alltag, solange es ihn noch gibt: Immer wieder erstaunlich, wie jemand es schafft, mit einem Thema, das sich auf einer halben Seite Text darstellen ließe, einundzwanzig Seiten Powerpoint zu füllen.

Doch ist nicht alles schlecht: Mittags in der Kantine gab es, gleichsam als Powerpointe, roten Wackelpudding mit Vanillesoße. Das lässt manches in milderem Licht erscheinen.

WordPress fragt heute: »Wenn du für einen Tag jemand anderes sein könntest, wer wärst du und warum?« Mir ist so, als hätte ich das schon mal beantwortet, mache das gerne nochmals: Ein muskulöser Pornodarsteller. Warum? Ich wüsste gerne, wie es sich anfühlt, in so einem Körper zu leben und es gegen Bezahlung in Anwesenheit einer Filmcrew vor einer Kamera zu tun. Das bleibt bitte unter uns.

Mittwoch: Jedesmal wenn einer sagt „Das ist keine Raketenwissenschaft“, geht mir einer flitzen möchte ich in die Luft gehen.

Wetter- und werkstattbedingt kam ich erst heute, nach über einer Woche, wieder dazu, mit dem Fahrrad ins Werk zu fahren. Auf dem Heimweg befuhr ich erstmals den vor allem in Kraftfahrerkreisen umstrittenen, nun auch stadteinwärts neu abgetrennten Radstreifen an der Adenauerallee, vorbei an den sich auf der ihnen verbliebenen Fahrspur stauenden Autos, was weniger an der nun fehlenden zweiten Spur liegt, vielmehr an der vorübergehenden Umleitung wegen der baustellenbedingt zurzeit gesperrten Autobahn. Auch auf zwei Streifen hätten sie sich wahrscheinlich gestaut. Wie auch immer – es radelte sich prächtig, von mir aus kann das gerne so bleiben, wobei ich anerkenne, dass man auch anderer Meinung sein kann. Dennoch werde ich wohl auch künftig überwiegend am Rheinufer entlang zurück fahren, weil es dort wesentlich schöner ist. Auch wenn es etwas länger dauert und Läufer auf dem Radweg immer wieder ein Ärgernis sind. Für sie habe ich eine neue, deutlichere Fahrradklingel montieren lassen.

Donnerstag: Der heutige 29. Februar gab mir die seltene Gelegenheit, meinen großen Bruder an seinem Geburtstag anzurufen, nicht wie sonst einen Tag vorher, was bekanntlich Unglück bringt und nicht einen danach mit dem Zusatz „nachträglich“. Übrigens sein sechzehnter.

Die Tageszeitung berichtete neulich über einen jungen, sehr erfolgreichen und hochpreisigen Bäcker in der Bonner Südstadt, der sich entschlossen hat, zum Wohle seiner Mitarbeiter und zur Vermeidung von Kündigungen die Geschäftszeiten zu kürzen. Das erzürnt Frau Ingeborg N., die uns per Leserbrief an ihrem Unmut teilhaben lässt: »Der Kunde ist ohnehin allgemein nicht mehr König, die Kunden haben das Nachsehen. Morgens gibt es bei Max Kugel außer samstags kein frisches Brot mehr und von Anfang an gab es keine Brötchen zum Frühstück. Das bedeutet einen Verlust an Lebensqualität für die Kunden, aber die des jungen Bäckers und seiner Angestellten steigt. Ist das okay?«, Ja, liebe Frau N., ist es.

Abends kam es zu einem kollegialen Umtrunk im Wirtshaus. Dabei erfuhr ich, dass der Kollege Vaterfreuden entgegensieht. So löblich es ist, trotz aller Widrigkeiten der Welt einen aktiven Beitrag zur Arterhaltung zu leisten, Apfelbäumchen und so – es gelingt mir immer weniger, mich mit den künftigen Eltern zu freuen. Erkenntnis: Rote-Bete-Schnaps schmeckt gar nicht mal so gut.

Freitag: Manchmal hilft nur bewusstes Ein- und Ausatmen und Abwarten, bis es vorüber ist. Eine lange Besprechung am Vormittag mit geringem Redeanteil meinerseits ermöglichte es mir, längere Zeit untätig aus dem Fenster zu schauen und den Raben, Elstern und Amseln am Futterteller beim Frühstück zuzuschauen. Aufgrund akuter Indisposition war ich dafür sehr dankbar.

Gleichwohl gelang es mir im Laufe des Tages, eher zufällig ein lästiges Büroproblem zu lösen. Somit habe ich mein Gehalt heute durchaus verdient.

Erkenntnisauffrischung mittags in der Kantine: Rucola ist ein unnötiges Unkraut, das in Kaninchenställen seinen Zweck erfüllen mag, jedoch nicht auf meinen Teller gehört.

Mittags Moosbetrachtung mit Mutterhaus

Kurt Kister in seiner Kolumne „Deutscher Alltag“:

»Seit Lazarus allerdings hat das Wort „revitalisieren“ eine unrühmliche Karriere gemacht. Es ist aus dem Fachjargon von Bauleuten, von denen viele verbal nicht so geschickt sind wie handwerklich, in die fast normale Sprache diffundiert, wo es mit anderen verwandten Blähwörtern (Ertüchtigung, Infrastruktur, Transformation etc.) zu Ansammlungen zusammengerottet wird, die groß klingen, aber klein sind an Sinn. […] Durch das Aneinanderreihen von Substantiven, die gerne auf -ung oder -ion enden, kann ein Klangfolgenhersteller Lautreihen erzeugen, die bei anderen Klangfolgenherstellern und Innen, also bei Projektbeauftragten, Abteilungsleiterinnen, Geschäftsführern oder AG-Koordinatorinnen, gleichzeitig Erkennen, Heimatgefühle und professionelle Müdigkeit auslösen.«

Zum gesamten Text bitte hier entlang.

Auch Herr Formschub hat lesenswerte Gedanken über Sprache aufgeschrieben.

Samstag: Ab Mittag nahmen wir teil an einer kulinarischen Stadtführung durch die Innere Nordstadt, auch als Altstadt bekannt, die ich meinen Lieben zu Weihnachten geschenkt hatte. (Also die Führung, nicht die Nord- bzw. Altstadt, bei aller Liebe.) Erstmals gebucht und verschenkt hatte ich die Tour bereits zu Weihnachten 2019, dann kam Corona, weshalb ich vom Anbieter eine Gutschrift für einen späteren Termin erhielt. Da Corona länger blieb als anfangs vermutet, war die Gutschrift inzwischen verfallen, was will man machen.

Die Tour war sehr angenehm und interessant. Mit sieben Teilnehmernden suchten wir sechs Lokalitäten auf, wo jeweils kleine Probierportionen gereicht wurden. So aß ich erstmals türkische Gözleme und war angemessen begeistert. Zwischendurch erfuhren wir durch die nette Führerin allerlei Wissenswertes über den Stadtteil, in dem wir mittlerweile seit immerhin neunzehn Jahren wohnen. Eine gewisse überregionale Bekanntheit hat er inzwischen erlangt durch die Kirschblüte, die in schätzungsweise drei bis vier Wochen wieder beginnt und die Instagram-Server sirren lässt.

Auch sonst gibt es immer wieder interessantes am Wegesrand zu entdecken, wenn man mal den Blick vom Datengerät hebt:

Foto: der Geliebte (d.h. der Fotograf, nicht das Motiv)
Laut Bundesbank befinden sich noch immer mehrere Milliarden D-Mark allein an Münzen in Bevölkerungsbesitz. Die kann man in Kürze in Bonn wieder verwenden. Man beachte auch die »Innere Altstadt«. (Foto: der Liebste)

Die Führerin (darf man das Wort überhaupt verwenden? Was sonst, wenn man nicht Guide schreiben will? Erklärdame klingt besserwisserhaft, was der freundlichen Frau nicht gerecht würde) wohnt übrigens, wie sich im Laufe des Gesprächs ergab, im selben Haus in der Südstadt, in dem ich wohnte, als ich vor fünfundzwanzig Jahren nach Bonn zog. Außerdem ist sie wie ich in Bielefeld geboren. Nach weiteren Gemeinsamkeiten traute ich mich nicht zu fragen. Zufälle gibts.

Sonntag: Der Frühling ist da mit Blütenpracht, milder Luft und Sonnenschein. Viel zu früh und viel zu warm, ist zu lesen, meine bereits vergangene Woche diesbezüglich geäußerte Vermutung wird bestätigt.

Viel zu warm war deshalb auch die weiterhin getragene Winterjacke. Dessen ungeachtet war der Spaziergang am Nachmittag erquickend. Auch zahlreiche andere zog es nach draußen, zu Fuß und zu Fahrrad; auf dem Rhein paddelte ein nur leicht bekleideter Stehpaddler mit großer Anstrengung flussaufwärts und kam dabei nur sehr langsam voran. Je nachdem wohin er wollte, dürfte mit einer späten Ankunft zu rechnen sein. Auch die ersten Düsenbarken (Jetski) brausten am sich mühenden Paddler vorbei und belästigten ihn und alle anderen mit ihrem Lärm. Der Lieblingsbiergarten hat noch geschlossen, vielleicht war das heute ganz gut und ersparte mir die Versuchung.

Über die knöchelfreie Hosenbeinmode junger Männer ließ ich mich bereits des öfteren aus, wobei ich es nicht kritisiere, viele können das durchaus tragen, nicht alle sollten es. Hier beobachte ich einen neuen Trend: Die Hosenbeine bleiben kurz, vielleicht einmal umgekrempelt wie bisher. Doch verjüngen sie sich nach unten hin nicht mehr, vielmehr bleiben sie bis zum Ende weit geschnitten und schlackern beim Gehen um die weiterhin sichtbaren Fesseln, die wie ein Besenstiel aus einem Abflussrohr staken. Jungs, glaubt dem alten Boomer: Es sieht bescheuert aus. Meine Oma nannte das früher „Hochwasserhosen“, vermutlich ein ebenso aussterbender Begriff wie Kassettenrekorder oder Videothek.

Die Sonntagszeitung berichtet über die schnelle Ausbreitung der Roten Feuerameise, deren Bisse und Stiche extrem schmerzhaft sein sollen. Unter anderem das Rheinland soll besonders prädestiniert sein als Lebensraum für die Eindringlinge, auch das noch. Das hinderte mich nicht daran, nach der Zeitungslektüre die Augen zu schließen und ein Stündchen der Dämmerung entgegen zu schlummern.

Das bereits am Montag erwähnte Erkältungsgefühl hat sich zu einer richtigen Erkältung mit Nasenpein und Hustenreiz entwickelt. Ins Büro muss ich morgen auf jeden Fall, da sich mein Rechner dort befindet und ich etwas Unaufschiebbares erledigen muss. Ob ich mich danach krank melde oder weiterarbeite, entscheide ich situativ morgen.

***

Kommen Sie gut und möglichst ohne Indispositionen durch die Woche.

Woche 18/2023: Viertagewoche und eine Sprengung zwischen Rasur und Brausebad

Montag: Wie der Zeitung zu entnehmen ist, gibt es einen Interessenverband für Fußgänger, Fuss e. V. Als begeisterter Gernegeher begrüße ich das sehr, doch warum nennen die sich „Fuss“? Nach englischer Lesart bedeutet das Getue, Gedöns, Gewese, Buhei. Damit tun sie ihrem berechtigten Anliegen, Städte fußgängerfreundlicher zu machen, sicher keinen Gefallen.

Heute ist der Tag der Arbeit. Die IG Metall fordert eine Viertagewoche, was der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände ablehnt, stattdessen fordert er ein weiteres Mal „mehr Bock auf Arbeit“, man mag es nicht mehr hören. Nach allem, was ich über die Viertagewoche bei vollem Lohn gelesen habe, bringt sie allen Beteiligten nur Vorteile: Die Mitarbeiter sind zufriedener, arbeiten produktiver, werden seltener krank, neue Leute sind einfacher zu bekommen und zu halten. Und die Arbeit wird erbracht. Also worauf noch warten? Aber ein freier Tag, einfach so, ist in unserer Fleißkultur, wo es immer was zu tun gibt, nicht denkbar. Noch nicht. Liebe Generation Z, bitte übernehmen! Als Boomer stimme ich nicht in allem mit euch überein, in diesem Punkt sind wir uns einig.

Anstatt zu arbeiten nutzte ich den Tag für einen langen Spaziergang ans andere Rheinufer und zurück.

Durch die Hüchten
Ölfeld
Streuobst
Siegauen
Einkehr

Dienstag: Nach zwei richtigen Frühlingstagen lag heute Morgen ein Grauschleier über Stadt, Land und Fluss, dazu ganz feiner Niesel, geradeso zu spüren, indes zu wenig, um dafür den Schirm aufzuspannen. Erfreulicherweise blieb meine persönliche Stimmung davon ungetrübt, daher kam ich einigermaßen wohlgelaunt durch diesen Quasimontag.

Die Linden am Rheinufer schlagen aus, wie man so sagt, was in etwa so unsinnig ist wie aus dem Boden schießende Pilze

Abends schien wieder die Sonne, daher hielt ich spontan Einkehr in der Außengastronomie einer innenstädtischen Gaststätte mit dem Namen Varie Tee. Aus Protest gegen dieses Wortspiel bestellte ich statt des ursprünglich beabsichtigten Pfefferminztees einen Rosé. (Ja ich weiß … Jeder hat halt seinen Dämonen.)

Ich bin kein Gendergegner, kann das darin enthaltene Anliegen nachvollziehen. Meines völlig unmaßgeblichen, in diesem Blog allerdings vorherrschenden Erachtens überwiegen die nachteiligen Auswirkungen auf das Sprach- und Schriftbild die erhofften Vorteile für die Mitgedachten (m/w/d), daher sehe ich auch weiterhin davon ab; bislang hat das keine Leserin beanstandet. Dessen ungeachtet staunte ich heute einmal mehr, wie andere Zeit und Geld für dieses Thema aufwenden:

Um den Reim zu wahren: „Geländer“ ist ein gängiges Synonym für Treppenhandlauf, aber das wissen Sie sicher.

Vielleicht noch das dazu: Gegendert wird gerne mit Sternchen, Doppelpunkt, Binnen-I, der etwas sperrigen Nennung beider Geschlechter („Hosenträgerinnen und Hosenträger“), Partizip („Gastgebende“), sich für besonders fortschrittlich haltende nutzen konsequent das generische Femininum. Kann man alles machen, habe ich nichts gegen. Was ich indes richtig schlimm finde, ist die irritierende Mischform, für die sich unter anderem manche Zeitschriften inzwischen entschieden haben: „Busfahrerinnen und Altenpfleger fordern mehr Lohn.“ Ob sich da alle mitgedacht fühlen?

Mittwoch: „Wenige Tage vor der Keulung von König Charles …“ hörte ich morgens den Nachrichtensprecher im Radio sagen. Vielleicht war das Gehör kurz nach dem Aufwachen noch nicht voll betriebsbereit.

Gehört und notiert in einer Besprechung: „Es müssen mal alle zusammenkommen, die da einen Löffel im Topf haben.“ Das klingt jedenfalls wesentlich netter als Stakeholder.

Als abends vier von fünf Leuten, die mir begegneten, mit ihrem Datengerät beschäftigt waren, entweder indem im Gehen ihr Blick darauf gerichtet war oder sie damit telefonierten, fiel mir wieder ein Artikel in der vorletzten Sonntagszeitung ein. Darin listete eine offenbar junge Redakteurin mit einem Augenzwinkern diverse Dinge auf, die sie an Boomern befremdlich findet, unter anderem (erwartungsgemäß) deren Genderverweigerung. Ein anderer Punkt lautete sinngemäß so: „Ihr habt es nicht gelernt, im Gehen das Smartphone zu benutzen, deshalb steht ihr uns oft im Wege herum.“ Dem ist zu entgegnen: Dafür können wir problemlos größere Strecken gehend oder radfahrend zurückzulegen ohne Kopfhörer und ohne überhaupt das Telefon zu benutzen. Und ohne Kaffeebecher.

Donnerstag: Heute feiert Deutschland den Erdüberlastungstag, an dem wir alle natürlich nachwachsenden Ressourcen für dieses Jahr verpulvert haben. – Der Verband der Automobilindustrie erwartet für dieses Jahr in Deutschland eine Verdopplung des Zuwachses an Neuzulassungen auf vier Prozent, demnach werden 2,8 Millionen neue Autos unsere Straßen bereichern. Hätte ich ein Schamgefühl, wäre es verletzt.

Mittags in der Kantine in der Rubrik „Tradition“: Gyros von der Bio-Landpute mit Bratkartoffeln und Gurkensalat mit Dill. Es gibt schon seltsame Traditionen.

Spontane Frage: Wurde bereits die Halbwertszeit von Vollwertkost erforscht?

Was nervt: das Gechatte auf Teams. Ständig geht unten rechts auf dem Bildschirm das Fensterchen auf, weil einer mal eben was will. Wie auf dem Marktplatz, wo mich Leute ungefragt anquatschen, um mich für Kinder- oder Tierschutz zu begeistern. Der Vorzug von Gruppenchats: Man kann sie stummschalten, was ich konsequent mache.

Aufkleber an einem Lampenpfahl: »Therapie für alle«. Sehr guter Vorschlag, wo kann ich mich anmelden?

Freitag: „Ich habe nächste Woche Urlaub, bin aber erreichbar“, sagt ein Kollege in der Besprechung. Auch hier scheint eine Therapie dringend angebracht.

Nachmittags gab es Gebäck und Sekt anlässlich der Verabschiedung des großen Vorsitzenden, der nun den Stab übergeben hat an den jüngeren Nachfolger. Nach launigen Ansprachen begab er sich in die Menge, die sich sogleich um ihn scharrte für ein Selfie mit dem Scheidenden. Das ganze fotografiert von einem Fotografen der Kommunikationsabteilung, auf dass demnächst zahlreiche Bilder von Leuten, die zusammen mit dem Ex-Chef gequält in ihr eigenes Datengerät grinsen, im Intranet zu sehen sind. Als Selfiesdämlichfinder hielt ich Abstand und griff lieber ein weiteres Gläschen vom gereichten Tablett ab. Prioritäten setzen, so wichtig.

Samstag: Mit einem halben Auge schaute ich die Krönung in London an. Nicht weil es mich sonderlich interessierte oder ich eine Monarchie im Jahre 2023 noch für zeitgemäß und erforderlich hielte, doch wenn der Fernseher läuft, weil andere Haushaltsmitglieder die Zeremonie verfolgen, dann komme ich nicht umhin, ab und zu hinzuschauen. Warum auch nicht, das war schon sehens- und hörenswert. Ich möchte nicht mit denjenigen tauschen, die Verantwortung tragen für die Vorbereitung und Durchführung einer solchen Veranstaltung, die man ja nicht im vollen Umfang vorher proben kann, dennoch müssen alle Beteiligten, egal ob Chorsängerin, Soldat oder König, genau wissen, wann sie wo zu sein, was sie dort zu tun und gegebenenfalls sagen haben. Dafür meine volle Hochachtung. Der Stein, der ihnen danach vom Herzen fällt, wenn alles gut gelaufen ist, dürfte ähnliche Erschütterungen auslösen wie die Rahmedetalbrücke an der Autobahn 45, wenn sie morgen gesprengt wird.

Nach drei Jahren Zwangspause gab es in Bonn wieder Rhein in Flammen, dessen Höhepunkt am späten Abend stets ein grandioses Feuerwerk im Rheinauenpark ist. Zu diesem Anlass hatte der Liebste einen Tisch reserviert im Restaurant im Obergeschoss eines nahe dem Veranstaltungsort gelegenen Hotels, oder Rooftop Restaurant, wie das wohl jetzt heißt. Die Hoffnung war, nach dem Mahl mit einem Getränk in der Hand von dort aus das Feuerwerk zu betrachten. Daraus wurde nicht viel, denn das Spektakel wurde fast komplett durch das frühere Abgeordnetenhochhaus, auch als „Langer Eugen“ bekannt, verdeckt, nur ein paar wenige Male überragten die Lichter das Gebäude. Das einzige, was wir neben Lichtblitzen und Knallen mitbekamen, war die beeindruckende Rauchwolke, die über den Rhein nach Beuel zog. Rhein im Feinstaub statt in Flammen.

Nach Hause gingen wir zu Fuß, weil die Bahnen in Richtung Innenstadt überfüllt waren von Veranstaltungsbesuchern, ein Taxi war nicht zu bekommen. Das war überhaupt nicht schlimm, zum einen gehe ich diese Strecke ohnehin zweimal wöchentlich freiwillig, zudem kam nach der umfassenden Weinbegleitung zum Abendessen etwas Bewegung an der frischen Luft sehr gelegen. (Der Feinstaub war ja rüber nach Beuel gezogen.)

Sonntag: Durch das Programm am Vorabend kamen wir heute Morgen erst etwas später aus dem Tuch. Immerhin schaffte ich es, zwischen Rasur und Brausebad im Fernsehen die Sprengung der Rahmedetalbrücke mitzuerleben, die um zwölf planmäßig zusammenbrach und die Umgebung in eine Staubwolke hüllte. Der Sprengmeister zeigte sich mit seinem Werk sehr zufrieden.

Nach spätem Frühstück ging ich raus, es war warm, man trug T-Shirt und kurze Hose. Und die Kastanien stehen endlich in voller Blüte, nicht nur an der Poppelsdorfer Allee.

Hier ein besonders hypsches Exemplar in der Inneren Nordstadt

***

Kommen Sie gut durch die Woche.

Woche 8/2023: Flugmodus ist ein schönes Wort für Unerreichbarkeit

Montag: Nachlese zum Zoch in Bad Godesberg gestern: Es hat Spaß gemacht, wieder dabei zu sein. Auch wenn es zwischendurch kurz und zum Glück nur leicht regnete und die Fortbewegung immer wieder für mehrere Minuten stockte, unter anderem weil das Technische Hilfswerk mehrere Begrenzungspfähle aus dem Weg flexen musste, bevor es weitergehen konnte. Kann ja passieren.

Foto: Wolfgang Sitte

Am Ende reichte es auch und es war angenehm, in die warme Godesberger Stadthalle zurückzukehren (also den Teil, der nicht wegen Einsturzgefahr gesperrt ist), wo sich der Tag in einer vereinsinternen Party fortsetzte. »Der Zug, der Zug, der Zug hat keine Bremsen« lautet der inhaltlich eher flachwurzelnde Text eines Liedes, unter bestimmten Voraussetzungen* dennoch geeignet, erwachsene Menschen jauchzend hintereinander weg durch den Saal sausen zu lassen, den Verfasser dieser Zeilen eingeschlossen *räusper*. Die Halle hielt, auch der einsturzgefährdete Teil.

Eher gebremst war heute unser Elan, ab Mittag den Bonner Zoch anzuschauen, obwohl er in Hör- und Laufweite zu unserer Wohnung durch die Innere Nordstadt führte. Auch eine aufziehende Erkältung ließ es ratsam erscheinen, stattdessen diesen freien Tag überwiegend sofalesend zu verbringen und das Jecksein den anderen Jecken zu überlassen. (Zum Zeitpunkt der Niederschrift war der Bonner Zoch gerade durch, wohingegen in Köln die letzten Wagen und das Dreigestirn noch gar nicht gestartet sein sollen. Wird wohl ein später Feierabend.)

*Siehe Eintrag von vergangener Woche Sonntag, letzter Absatz.

Dienstag: Über Dienstage, die sich wie Montage anfühlen, ist alles geschrieben. Dabei gab es am ersten Arbeitstag nach insgesamt fünf freien Tagen nichts zu beanstanden, die für Karnevalstage ungewöhnlich hohe Zahl an Mails war recht schnell abgearbeitet. Zudem schien nachmittags die Sonne ins Büro, wodurch es zeitweise wegen defekter Jalousie schon wieder zu warm wurde. Man kann es mir manchmal wirklich nur schwer recht machen, ich weiß. Unbehagen entstand vielmehr aus der sich gestern andeutenden, heute im Laufe des Tages zu voller Pracht erblühten Erkältung.

»Blau ist Wow« las ich morgens auf dem Hinweg an einem Lieferwagen angeschrieben. Das stimmt, wobei zwischendurch mal nüchtern auch nicht schlecht ist. Während es gestern gelang, gar keinen Alkohol zu trinken, womit der Tag wohl als erster alkoholfreier Rosenmontag seit der Mittelstufe in meine persönlichen Annalen eingehen dürfte, wird der heutige Tag mit einem Schluck achtzehnprozentigen Erkältungstrunk für die Nacht enden. Wohlsein.

Mittags auf dem Weg zur Apotheke sah an mehreren Stellen gefüllte Hundekotbeutel fernab von Müllbehältern in der Gegend herumliegen. Was denken sich diese Leute nur? Koten die zu Hause einfach ins Wohnzimmer?

In einem Zeitungsartikel über das leidige Thema kulturelle Aneignung wird eine afroamerikanische Soziologieprofessorin zitiert mit Kritik an Frauen, die sich die Haare blond färben: »Künstlich Blondierte beanspruchen die Symbolik der begehrten Haarfarbe, die nicht ihre natürliche ist, für sich. Weil es sich bei blonden Haaren um ein ausschließliches genetisches Merkmal von Weißen handelt, scheint der Wunsch danach besonders problematisch.« Auch nach mehrmaligem Lesen verstehe ich nicht, was daran falsch sein soll, und wer darin Häme liest, irrt. Vermutlich, weil ich ein alter, weißer Boomer bin, zu bequem, mich damit genauer auseinanderzusetzen.

Mittwoch: Laut Kleiner Kalender ist heute nicht nur Aschermittwoch, sondern auch Sei-bescheiden-Tag, somit ein Tag des Verzichtes. Ich verzichtete auf die Arbeit und blieb wegen der Erkältung heute zu Hause. Da der Beschluss dafür bereits gestern gefasst worden war, hatte ich den dienstlichen Rechner mitgenommen, der sonst grundsätzlich im Büro bleibt. Den schaltete ich morgens nur kurz an, um alle Termine für heute und morgen abzusagen und mich im Zeiterfassungssystem als krank zu buchen. Danach frühstückte ich knapp (der Appetit ist kaum beeinträchtigt, nur der Geschmackssinn ein wenig) und ging wieder ins Bett, wo ich die meiste Zeit des Tages verschlief.

Nicht nur ich blieb weitgehend untätig: »Die Zinsangst lähmt die Anleger« schreibt die Tagesschau bei Twitter.

Apropos Wirtschaft: Da bleibt man mal krank zu Hause, schon fällt der Aktienkurs des Arbeitgebers. Für einen kurzen Moment erlag ich einer Illusion von Relevanz.

Donnerstag: Da Husten und Schnupfen nachgelassen haben, schlief ich bis fast neun Uhr. Nur eine gewisse Duseligkeit im Kopf ließ das Bett weiterhin als den zu bevorzugenden Aufenthaltsort erscheinen, deshalb begab ich mich nach kurzem Müslifrühstück wieder dorthin.

Zwischendurch schaute ich kurz zur Gewissensberuhigung in das dienstliche iPhone, ob irgendetwas war, was mein sofortiges Handeln erforderte. Natürlich war nichts, was sollte auch sein. Mein Arbeitsplatz birgt keine Gefahren, die bei Versäumnissen aller Art Menschen zu Schaden kommen oder in lebensbedrohliche Situationen geraten lassen. Alles andere muss ich halt nacharbeiten oder liegen lassen, bis es sich von selbst erledigt hat. Der Aktienkurs steigt auch schon wieder. Daher schnell das Gerät wieder in den Flugmodus, ein schönes Wort für Unerreichbarkeit, wenn man mal darüber nachdenkt. Und mit meinem Gewissen sollte ich gelegentlich ein ernstes Wort reden.

Zurück im Bett las ich die Zeitung zu Ende und die Blogs. In der Zeitung neben den aktuellen Unbillen in der Welt ein Artikel über das Aussterben des deutschen Mittagsgrußes „Mahlzeit“, dem nun wirklich nicht nachzutrauern ist. Nach der Lektüre überkam mich erneut Schläfrigkeit, wogegen mich zu wehren ich keine Veranlassung sah.

Freitag: Nach schlecht durchschlafener Nacht zurück im Werk, begann der Arbeitstag mit einer Besprechung bereits um acht Uhr, also deutlich vor meiner üblichen Sprechzeit. Obwohl ich mich noch nicht zu hundert Prozent genesen fühlte, ging die Arbeit recht gut von der Hand und es gelang in angemessener Zeit, die Rückstände der Vortage abzuarbeiten.

Kurz vor Mittag spürte ich einen Stich ins Kreuz, der meine ohnehin nicht sehr ausgeprägte Bewegungsfähigkeit bis zum Abend und darüber hinaus beeinträchtigte. Es wird immer deutlicher: Die Sechzig liegt wesentlich näher als die Dreißig.

Mit fünfundsechzig hat sich nun der ehemalige Frontmann der Kölner Band De Höhner seinen charakteristischen Schnauzbart abrasiert, was großes öffentliches Interesse erregt und ihm optisch durchaus zum Vorteil gereicht. Das sei vielen wesentlich jüngeren Männern zur Nachahmung sehr empfohlen. Wenn ich meinem Teenager-Ich einen Rat geben könnte, so lautete dieser: Rasier dir diesen lächerlichen Schnäuzer ab.

Archivbild. Ja, auch die Frisur bietet Anlass zur Kritik.

Hauptthema der Medien heute ist der erste Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine. Manchmal stelle ich mir vor, wie die Evolution vor dem Fernseher sitzt, fassungslos zuschaut, wie die Menschen Kriege führen und die Natur zerstören, und sich sagt: Es reicht. Zeit für Mutationen.

Samstag: Nachdem der Geliebte gestern wegen eines unerfreulichen Vorfalls auf dem Nachbargrundstück vergangene Woche als Zeuge bei der örtlichen Polizei geladen war, erwägt er eine berufliche Veränderung in den Staatsdienst. Warum nicht, als Übungskrimineller könnte er ganz gute Dienste leisten.

Nach spätem Frühstück und dem samstagsüblichen Altglasentsorgungsgang verzichtete ich aus verschiedenen Gründen auf den Besuch der Weinbar. Stattdessen ging ich spazieren an den Rhein, wo mich das Fünfzigerjahre-Design des Lampenmodells Milano immer wieder begeistert.

Sind sie nicht wunderschön?

Über das Mit- und Gegeneinander der verschiedenen Verkehrsteilnehmer hat Herr Formschub hier einen sehr lesenswerten Aufsatz verfasst.

Sonntag: Lange geschlafen, einen langen Spaziergang gemacht, die Sonntagszeitung gelesen. Der übliche Sonntagskram halt.

Während des Spazierens nahm ich erfreut die ersten Forsythienblüten und Magnolienknospen zur Kenntnis. Außerdem wunderte ich mich über einen Wagen, der mitten auf dem Weg stand, augenscheinlich schon etwas länger, wie aus dem ordnungsamtlichen Zettelchen unter dem Scheibenwischer zu schließen war. Unmittelbar davor drei umgefahrene Absperrpömpel. Ob zwischen Wagen und Pömpeln ein Zusammenhang bestand, war nicht zu erkennen.

Die Sonntagszeitung spottet, zu recht, über Klimaaktivisten, die durch hirnrissige Aktionen ihrem wichtigen Anliegen schaden. Zum einen, indem sie vor dem Berliner Kanzleramt einen Baum abgesägt haben. Das muss man sich mal vorstellen: Um gegen unzureichende Klimamaßnahmen der Regierung zu protestieren, sägen die einen Baum ab. Was machen die als nächstes, Eisbärenbabys grillen? Dann war da noch eine Gruppe, die sich bei Wien an einer Schilderbrücke über einer Autobahn festklebte, um Tempo 100 zu fordern. (Auf dem Autobahnabschnitt, über dem sie klebten und forderten, waren 80 km/h erlaubt.) Da die Aktion keine störenden Auswirkungen auf den Verkehrsfluss hatte, ließ die Polizei die Klebenden kleben und unternahm nichts. Das fanden die Klebenden ungehörig und forderten per Twitter (einhändig?) die Polizei auf, sie zu lösen. Da die Polizei weiterhin untätig blieb, mussten sie sich schließlich selbst aus ihrer Lage befreien, was nach einiger Zeit wohl gelang. Was geht nur vor in diesen Leuten? Denken die nicht darüber nach, wie das ankommt bei denen, die den Ernst der Lage noch nicht erkannt und deshalb noch nicht ganz so verzweifelt sind wie sie?

***

Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche. Falls auch Sie gerade von einer Erkältung gepeinigt sind, baldige Genesung.