Woche 52/2024: Alternative Tischmanieren und Raclette über Teelichtern

Montag: Weiterhin sind wir in Beaune, Frankreich. Nachtrag zu gestern Abend: Wir waren zum Essen in einem Restaurant, das wir schon von früheren Besuchen kennen und schätzen. Es ist gut, nicht sehr teuer und der Service sehr freundlich. Während des ersten Ganges betrat ein jüngeres Paar mit einem etwa zwei Jahre alten Kind den Raum, sie wurden am Nebentisch platziert. Das Kind zeigte sich lebhaft, es lief herum, plapperte, quengelte, eine alles in allem altersgerechte Verhaltensweise, die vielleicht bei denjenigen, für die Kinderliebe nicht an oberster Stelle steht, ein gewisses Störgefühl auszulösen vermag. Bald warf das Kind das Blumentöpfchen vom Tisch, das nun, getrennt nach Topf, Pflanze und Erde auf dem Boden lag. Die Eltern scherte es nicht weiter, auch sahen sie sich nicht veranlasst, das Malheur zu beheben oder wenigstens zu melden. Als die freundliche Bedienung das sah, zeigte sie sich wenig erfreut. Offenbar hatte man mehr compréhension für kindliche Lebhaftigkeit erwartet, kurz darauf wurden Kind, Malsachen und alles andere zusammengepackt und sie verließen abschiedslos das Lokal. Am Nebentisch, also unserem, wurde dies mit Erleichterung zur Kenntnis genommen, beinahe hätten wir applaudiert. Dem Kind ist kein Vorwurf zu machen. Doch was geht in solchen Eltern vor?

Unser Tischgewächs blieb unbehelligt

Interessant an einem Hotelaufenthalt sind stets auch die anderen Gäste und ihre Verhaltensweisen. Ich vermute, wer in der Gastronomie oder Hotelbranche arbeitet, erlebt vieles, womit man erfolgreich ein Buch oder Blog füllen könnte. (Für entsprechende Blogempfehlungen wäre ich dankbar.) Beim Frühstück fiel mir heute der vielleicht zwanzigjährige Angehörige einer größeren Familie auf, der ungefähr im Minutentakt das Büffet aufsuchte, um noch etwas nachzuholen. Das ganze in kurzen Hosen. Nicht dass ich dem Anblick junger Männerbeine grundsätzlich abgeneigt wäre, aber warum trägt er im Dezember in einem Fünfsternehotel kurze Hosen? Muss der sich oder anderen etwas beweisen?

Sehr nett im übrigen das ältere Ehepaar aus Freiburg, mit dem wir abends in der Hotelbar ins Gespräch kamen. Offensichtlich sind wir nicht die einzigen, die das Verhalten und Auftreten anderer Gäste interessant finden.

Das Hotel hat drei Stockwerke, somit ist es den meisten Menschen möglich, auch ein Zimmer im oberen Stock über die Treppen zu erreichen. Dennoch folgen die meisten Gäste der natürlichen Bequemlichkeit und nehmen den Aufzug, nur selten begegnet mir jemand im Treppenhaus. Im Erdgeschoss gibt es einen Fitnessraum. Dank Aufzug ist er auch für Bewegungssuchende aus den oberen Stockwerken jederzeit bequem erreichbar.

Die Hotelbar. In dem Topf neben dem Feuer wird ausgezeichneter hausgemachter Glühwein warmgehalten, wir haben ihn mehrfach für Sie probiert.

Dienstag: Der Heiligmorgen begann nicht allzu spät und recht entspannt. Nach dem Frühstück gingen wir eine Runde durch die Stadt, die gut gefüllt war mit Autos und Menschen in letzten Besorgungsabsichten für die bevorstehende fête la Noël. Einige Geschäfte, unter anderem Textilläden, hatten bis achtzehn Uhr geöffnet, für Spätentschlossene oder mögliche Weihnachtsverweigerer.

Nach dem Stadtbummel machten wir einen Spaziergang durch den nahegelegenen Parc de la Bouzaise, wo sich Blesshühner und eine Kleingruppe Gänse (neben graugemusterten Wildgänsen auch eine weiße, letztere vielleicht kurz zuvor dem Braten entkommen) vom Fest unbeeindruckt zeigten.

Nach Rückkehr im Hotel gönnten wir uns vor dem heiligen Abend noch etwas Ruhe. Während ich auf dem Sofa die Zeitung und Blogs las, waren von den Lieben nebenan bald leise Schlafgeräusche zu vernehmen. Zwischendurch zuckte immer wieder das Datengerät auf von den tagesüblichen Grüßen und Wünschen in diversen WhatsApp-Gruppen. Im erweiterten Sinne mit Festbezug traf außerdem per Mail eine Empfehlung für bessere Erektionen ein.

Trotz gegenseitigen Nichtschenkpaktes blieben wir dann doch nicht ganz unbeschoren, woher auch immer die Geschenke kamen.

Den Abend verbrachten wir im Hotelrestaurant, wo ein siebengängiges Festmenü in passender Weinbegleitung gereicht wurde. Das war ausgezeichnet, wenn auch des Guten etwas zu viel: Spätestens ab dem vierten Gang konnte ich außer wenigen Probierhappen kaum noch was essen, das zu jedem Gang extra gereichte Brot blieb unangerührt. Das ist nur schwer mit meiner Flüchtlingskinderziehung zu vereinbaren, wonach Teller grundsätzlich leergegessen werden. Allerdings setzt die Magenkapazität hier natürliche Grenzen. Immerhin kam kein Wein um, immer das Positive sehen.

Zuviel des Guten war auch die musikalische Begleitung durch zwei Damen, die mit Geige und Harfe von Raum zu Raum zogen. Sie spielten sehr gut, sogar Stücke von ABBA und Queen, allerdings war es zu laut für Tischgespräche. Deshalb waren wir ihnen nicht böse, als sie weiter zogen und andere Gäste erfreuten.

Nach dem Essen suchten wir mit dem Paar aus Freiburg nochmals für ein Nachtglas die Hotelbar auf. In der Ecke neben dem Kamin saß ein jüngerer Mann augenscheinlich indischer Physiognomie, beschäftigt mit Buch, Datengerät und Getränken. Der saß da schon so, als wir Stunden zuvor ins Restaurant aufgebrochen waren, und er wirkte nicht unzufrieden.

Hotelfensterblick, morgens, mit Weinbergen der Côte d’Or im Hintergrund
Im Parc de la Bouzaise
Sofablick. Mehr braucht es manchmal nicht zur Zufriedenheit.
Nächstes Jahr aber wirklich nichts. (Foto: der Geliebte)

Mittwoch: Beim Aufwachen erwog ich, heute nichts oder überhaupt niemals mehr etwas zu essen. Das späte Frühstück – wir waren die letzten im Frühstücksraum, das Personal war schon mit dem Abräumen des Buffets beschäftigt – fiel mit einem Croissant und einem Pain au chocolat jeweils im Kleinformat, einem Glas Saft und einer Tasse Kaffee entsprechend geringfügig aus.

Mittags deckte ich meinen Bedarf an etwas Bewegung und frischer Luft mit einem Spaziergang über die Remparts, die zu etwa Dreivierteln erhaltene alte Stadtbefestigung um die historische Innenstadt von Beaune. Im Gegensatz zu den vergangenen Tagen waren kaum Autos auf den Straßen, nur wenige Menschen flanierten und führten ihre Hunde oder Kinder aus. Aus einem Fenster drangen Fetzen von „All I Want For Christmas“ von Mariah Carey an mein Ohr, dem in diesen Tagen kaum zu entkommen ist. And Aaaaaahahahahaii …

Nachmittags wurden die meisten Sachen einschließlich getätigter Einkäufe gepackt und ins Auto geladen, auf dass wir morgen zeitig nach Hause aufbrechen können. Wie üblich begleitet von Diskussionen zwischen meinen Lieben. Laut einem beliebten Klischee zerbrechen Ehen an falsch gedrückten Zahnpastatuben. Wie viele Partnerschaften mögen wegen unterschiedlicher Auffassungen über das richtige Packen des Autos bei der Urlaubsabreise in Schieflage geraten?

Nach dem Abendessen nahmen wir den letzten Vin Chaud à la maison in der Hotelbar. Der Inder hatte sich dort inzwischen über drei Sessel häuslich eingerichtet und wirkte weiterhin sehr zufrieden. Die Sitzgruppe gegenüber belegten ein Mann und zwei Teenagerjungs, letztere mit Alpaka-Frisuren. (Diese Bezeichnung für die aktuelle Haarmode junger Männer las oder hörte ich kürzlich irgendwo und finde sie sehr trefflich.) Gesprochen wurde fast nicht, alle drei waren intensiv mit ihren Datengeräten beschäftigt. Manchmal hielt einer dem anderen das Gerät vor die Nase, der grinste dann kurz und widmete sich wieder dem eigenen. Unterbrochen wurde ihr Tun durch einen zwischenzeitlich servierten Imbiss, der mit alternativen Tischmanieren vertilgt wurde, den Blick möglichst wenig vom Bildschirm abgewandt. Sie hatten auf ihre Weise Spaß, nehme ich an.

Rempards mit Moosansicht
Rempards mit Burgund-typischer Dachdeckkunst

Donnerstag: Nachdem auch die letzten Sachen ohne größeren Zank im Auto verstaut waren, verließen wir vormittags Beaune. „Passt bitte gut auf euch auf, die Welt wird nicht besser“, gab uns die Frau des netten Freiburger Ehepaars mit auf den Weg, womit sie zweifellos recht hat.

Auch an der Grenze zu Luxemburg gibt es Kontrollen gegen illegale Einreise. Etwas rätselhaft der Kontrollposten bei Trier: Er ist erst weit hinter der Grenze eingerichtet, nach einem Parkplatz und einer Abfahrt auf deutschem Gebiet. Schleusern wird es somit recht einfach gemacht, ihrem Geschäft nachzugehen. Bestimmt hat man sich dabei was gedacht.

Nach entspannter und sonnenbeschienener Fahrt kamen wir am späten Nachmittag in Bonn an. Dort waren die letzten fünf Törchen des Adventskalenders „Edle Tropfen in Nuss“ abzuarbeiten, was der Ankunft eine gewisse Leichtigkeit verlieh. Zum Abendessen besuchten wir den persischen Lieblingsitaliener. Nach einer Woche mit französischer Küche ist eine Steinofenpizza auch mal wieder ganz schön.

Für den letzten Urlaubstag morgen habe ich einen Wanderbeschluss gefasst.

Freitag: Mittags brach ich auf zur Wanderung, wegen der jahreszeitlich beschränkten Tagesbelichtung nicht sehr lang. Mit dem Bus fuhr ich bis Holzlar, von dort wanderte ich bei Sonnenschein über den Ennert und den mir bislang unbekannten Finkenberg zwischen Küdinghoven und Beuel zurück nach Bonn. Unterwegs begegneten mir vergleichsweise viele Menschen, was am Brückentag zwischen den Jahren liegen mag, viele haben frei, zudem ist die Strecke stadtnah. Jedenfalls war es wieder beglückend, auch wenn die meisten Bäume kahl Winterschlaf halten. Immerhin zeigen sich Moose und Stechpalmen verlässlich dauergrün.

Nach Ankunft in der menschenvollen Bonner Innenstadt belohnte ich mich für die Mühen mit einer Feuerzangenbowle auf dem Remigiusplatz, wo der Weihnachtsmarkt erstmals in diesem Jahr ein paar Tage länger geöffnet bleibt und zum Dreikönigsmarkt wurde, irgendwie muss es ja heißen. Neben mir bestellte und bekam jemand einen Lumumba. Wir kürzlich zu lesen war, soll man das nicht mehr sagen, weil es wohl irgendwie rassistisch ist. Herrje. Ohne Zweifel halte ich es für richtig, nicht mehr Mohrenkopf oder Zigeunerschnitzel zu gebrauchen, auch wenn mir die Diskussion darum bisweilen etwas hysterisch erscheint. Aber Lumumba? Was kommt da demnächst noch? Vielleicht Granatapfel, Götterspeise, Russisches Brot oder Matjes nach Hausfrauenart? AfD und Freie Wähler werden sich freuen, fürchte ich.

Ennert-Wald im Winterschlaf
Hardweiher
Moosansicht
Stilleben auf dem Finkenberg
Der Rhein mal von der anderen Seite

Samstag: Seit Mitternacht darf wieder Silvesterknallwerk verkauft werden. Wie das Radio morgens meldete, hatten die ersten Licht-Schall-Rauchfreunde bereits seit dem Nachmittag vor den Verkaufsstellen gewartet. Zu den Nebenwirkungen hinsichtlich Müll und Lärm befragt, antworteten sie, das hätten sie auf dem Schirm. Dann ist es ja gut.

Nicht auf dem Schirm, sondern auf dem Sofa verbrachte ich große Teile des Tages und war damit sehr zufrieden.

Abends gab es Raclette über Teelichtern, die Öfchen befanden sich in dem am Dienstag gezeigten Geschenkeberg. Das funktioniert erstaunlich gut, schmeckte bestens und machte satt. Und das Spielerische kam auch nicht zu kurz.

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Sonntag: Im Gegensatz zu den Vortagen blieb dieser Tag trüb und kalt, die Pfützen auf den Wegen waren gefroren. Den letzten Sonntagsspaziergang des Jahres verband ich mit einer Probefahrt der neuen Straßenbahnwagen. Zum Glück kam auch gleich einer, im Moment fahren sie noch im Mischbetrieb mit den alten auf der Linie 61. Damit fuhr ich bis bis zur Endhaltestelle in Auerberg und flanierte am Rhein entlang zurück, ein gut einstündiger Marsch, den ich so noch nicht gegangen war. Die neuen Wagen laufen sehr ruhig, was dem an Straßenbahnzügen nicht so interessierten normalen Fahrgast vielleicht gar nicht auffällt.

Wagen 2253 verlässt die Endhaltestelle in Auerberg
Rheinufer gegenüber Graurheindorf

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Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche und einen guten Start in ein neues, möglichst angenehmes Jahr. Vielen Dank, dass Sie meinen Gedanken und Erkenntnissen hier wöchentlich folgen. Passen Sie gut auf sich auf, die Welt wird voraussichtlich nicht besser.

Woche 51/2024: Das gastronomische Angebot wird gut angenommen

Montag: Vergangene Woche zählte ich ein paar komische Wörter auf, die mir irgendwann in den Sinn gekommen waren und bis zu einer möglichen Verwendung auf einer Liste notiert wurden. (Die wenigsten davon waren übrigens neu, wie ich erst heute nach Internetrecherche in einer *hüstel* kurzen Phase verminderter Arbeitslust bemerkte.) Hierzu übersandte mir mein geschätzter Mitschreiber L. einige Ergänzungen, die ich Ihnen mit seiner Erlaubnis gerne zur Kenntnis gebe: Pornokasse, Muschibude, Suboptimierer, Polendioxid, Effie Biest, Saufpate, Affenschein.

Auch anderen fallen komische Wörter ein: „Es ist Besinnlichzeit“, beginnt eine saisonale Grußmail im Bürorechner. Komische Blüten treibt auch immer wieder das Streben nach geschlechterneutraler Sprache. So heißt es in einer Mitteilung der Unternehmenskommunikation „Gewinnende“ als Variante von „Gewinner:innen“. Müsste es nicht „gewonnen Habende“ heißen?

Dienstag: Üblicherweise gehe ich jeden Dienstag und Donnerstag zu Fuß ins Werk und zurück. Seit einiger Zeit nehme ich dabei morgens am Rheinufer eine dreirädrige Gruppe junger Radfahrer wahr, die mich überholt. Das Auffällige daran ist der eine, der dabei unentwegt in Englisch auf die anderen einredet. Wenn sie sich von hinten nähern, höre ich ihn plappern, und ich höre ihn noch, wenn ihre Rücklichter als kleine rote Punkte aus meinem Blickfeld verschwinden. Jeden Dienstag und Donnerstag; an den anderen Tagen plappert er vermutlich auch. Die anderen sind wahrlich nicht zu beneiden.

Als vor allem morgens der wörtlichen Rede eher abgeneigter Mensch staune ohnehin immer wieder, wieviel so früh schon geredet und telefoniert wird, beim Gehen, Laufen, auf dem Rad. So wie manche Menschen zu fürchten scheinen, zu Staub zu zerfallen, wenn sie nicht minütlich aus einer stets griffbereiten Wasserflasche trinken oder irgendwo kurz warten müssen, sind andere anscheinend zum ständigen Reden verdammt.

Alle Jahre wieder diese Meldung: Etwa jeder zweite Beschäftigte ist auch an den Urlaubstagen um Weihnachten und Neujahr für Kollegen, Vorgesetzte und Kunden erreichbar. Auch so ein unerklärlicher, mir fremder Zwang.

Mittwoch: Da ich der anderen Hälfte angehöre, verstaute ich nach Arbeitsende den Rechner im Büroschreibtisch, schaltete das dienstliche Telefon aus und freute mich auf ein paar Tage Urlaub …

Donnerstag: … in Beaune im Burgund, wo wir nach störungsfreier, überwiegend verregneter Fahrt am frühen Nachmittag eintrafen. Da wir das Hotel bereits kennen, es ist unser vierter Aufenthalt hier, fühlte sich die Ankunft ein wenig wie Heimkehr an, was den Geliebten veranlasste, durch Anbringen mitgebrachter Lichterketten das Revier zu markieren.

Auch innerlich verlief die Fahrt nicht allzu trocken, selbstverständlich nicht für den diensthabenden Fahrer
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Leider auch eingetroffen ist meine Erkältung, die sich bereits am Montag als erste vage Ahnung andeutete, sich in der Nacht zu Dienstag mit Halskratzen bemerkbar machte und heute mit laufender Nase ihre Pracht entfaltet.

Freitag: Nach nicht allzu spätem Frühstück unternahmen wir eine Ausfahrt nach Lyon in die dortige Markthalle. Das Anfahren des Parkhauses war wegen des dichten Stadtverkehrs nicht sehr einfach, was mich selbst als Beifahrer auf dem Rücksitz anstrengt, während der Liebste als Fahrer es mit immer wieder bewundernswerter Gelassenheit hinnahm.

Die Markthalle ist einen Besuch wert. Wie in vielen anderen französischen Städten kann man dort nicht nur Lebensmittel aller Art kaufen, auch das gastronomische Angebot wird gut angenommen, an mancher Theke schon mittags Partystimmung.

Nach der Markthalle gingen wir eine Runde durch die sehenswerte Stadt, ehe wir zurück nach Beaune fuhren, wo wir erst nach Einbruch der Dunkelheit ankamen, was um diese Jahreszeit nicht sehr spät ist. Immerhin werden die Tage ab übermorgen wieder länger.

Den Abend verbrachten wir im Hotel, zunächst an der Hotelbar im Kaminzimmer. Heute mit Livemusik, dargeboten von zwei mäßig begabten Sängerinnen, die bekannte Melodien wie „Last Christmas“ und „Halleluja“ recht eigenwillig interpretieren und meine grundsätzliche Abneigung gegen Livemusik als Hintergrundbegleitung bestätigten. Dass niemand applaudierte, schien sie nicht zu beirren. (Nein, vermutlich könnte ich es nicht besser, deshalb lasse ich es auch.) Unser Essen wurde nebenan im Frühstücksraum serviert, wo der Gesang, vermischt mit anderer Musik aus dem Lautsprecher, kaum noch störte; mit jedem Glas Wein weniger.

Markthalle in Lyon
Das Angebot von Geflügel ist für das deutsche Auge bisweilen ungewohnt
Man beachte das Gespinst der Fahrleitungen für die O-Busse
Blick über die Rhone

Samstag: Vormittags besuchen wir bei feuchtkaltem Wetter den Markt in Beaune. Auch hier gibt es eine Markthalle, freilich viel kleiner als in Lyon und vom Angebot her längst nicht so interessant. Außerdem ohne gastronomische Einkehrmöglichkeit, deshalb verweilten wir nur kurz.

Schokoschnecken. Zur Vermeidung von Missverständnissen wurde es dazu geschrieben.

Nach Rückkehr brachen meine Lieben auf zu einer Supermarktbesichtigung. Mangels Interesse verblieb ich im Hotel und genoss ein paar Stunden Alleinzeit, was zwischendurch ja auch mal ganz schön ist.

Sonntag: In der Nacht bis in den Vormittag hinein umtosten starker Regen und Sturm das Hotel. Da mein Bett direkt unter dem Dachfenster steht, war ich in angenehmster Weise gleichsam live dabei. Aus anderen Gründen, an denen ein Digestif aus der Hölle am Vorabend beteiligt war, kamen wir erst kurz vor Schluss zum Frühstück. Danach unternehmen der Liebste und ich eine Ausfahrt nach Chablis, wo wir bei der örtlichen Coopérative mehrere Flaschen des gleichnamigen Weines erstanden. Das Wetter hatte sich beruhigt, auch die Sonnen ließ sich kurz blicken.

Zurück fuhren wir über Flavigny, wo wir die Fertigungsstätte von Anisbonbons besuchten und einige der hübsch dekorierte Blechdosen kauften.

Dabei durchfuhren wir zahlreiche auf den ersten Blick malerische Dörfer, auf den zweiten Blick ist viel Verfall und Leerstand zu erkennen. Oft sind die Ortseingangs- und Ausgangsschilder verhüllt, vermutlich eine Alternative zu den andernorts auf den Kopf gedrehten Schildern, mit denen die französische Landbevölkerung ihren Unmut über die Politik aus Paris zum Ausdruck bringt. Immerhin stehen, wie zum Trotz, an vielen Straßenecken bunt geschmückte Weihnachtsbäume.

Die Tage in Beaune sind übrigens unser gegenseitiges Weihnachtsgeschenk anstelle von gegenständlichen oder gutscheinbaren Gaben, was meiner diesbezüglichen Ideenlosigkeit (man hat ja alles) sehr entgegen kommt. Ich hoffe, die anderen halten sich auch daran, sonst stehe ich am Heiligabend blöd da.

Chablis
La Poste in Chablis
Bei ‎⁨Flavigny-sur-Ozerain⁩

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Kommen Sie gut durch die Woche, allen Leserinnen und Lesern wünsche ich angenehme Weihnachtstage!

Woche 40/2024: Auf Kosten des Hauses

Montag: „Österreich ist nach rechts gerückt“, hieß es morgens im Radio. Vermutlich rätseln die Geologen noch, wie es dazu kommen konnte. Nicht auszuschließen ist, dass Bayern und die Schweiz nachrücken werden. (Zugegeben, das war jetzt eher flachwurzelnd.)

Ansonsten verlief der erste von drei letzten Arbeitstagen vor dem Urlaub insgesamt zufriedenstellend. Ein Kollege aus der Nachbarabteilung hatte seinen letzten Arbeitstag, ab morgen ist er Pensionär. Wie stets zu solchen Anlässen, die sich in letzter Zeit häufen, beneide ich ihn ein klein wenig. Also im positiven Sinne, fernab jeder Missgunst.

Mittags nahm ich erstmals an einem Fire Side Chat mit dem Oberchef teil, von einem Townhall Meeting kaum zu unterscheiden. Letztlich eine Informationsveranstaltung vor internem Publikum in einem Konferenzsaal, mit Interview durch eine Dame der Kommunikationsabteilung und einer Q&A Session. Hauptsache es klingt modern und bedeutend. Was solls – ich werde gut dafür bezahlt, es mir anzuhören.

Etwas in Sorge bin ich wegen eines Kratzens im Rachen, das vormittags ganz dezent anfing und sich im Laufe des Tages steigerte. Zur Sicherheit verzichtete ich zum Abendessen auf den Rosé, stattdessen Rotwein.

Dienstag: Ein gewöhnlicher Dienstag mit Fußweg ins Werk und zurück, morgens mit etwas Regen zwischendurch, das war nicht schlimm. In einer Gruppe von Schulkindern sah ich ein Mädchen, das statt Ranzen oder Rucksack einen rosa Rollkoffer hinter sich herzog (erst beim Notieren bemerke ich die R-Lastigkeit des Satzes). Nun also auch die Schüler, und warum auch nicht.

Weg ins Werk vor Regenschleier

In einer Besprechung zuckte der Sprachnerv etwas, als eine Kollegin etwas als „specialig“ (sprich: sspeschelig) bezeichnete.

Das Halskratzen konnte mit Lutschbonbons kleingehalten werden, die sich allerdings negativ auf das Geschmacksempfinden auswirken. Der Genuss von Currywurst und roter Götterspeise mittags wurde dadurch nicht beeinträchtigt, wohl aber das Glücksgefühl beim Verzehr eines Nougat-Marzipan-Baumstammes am Nachmittag. Deshalb suchte ich auf dem Rückweg statt einer Gastronomie eine Apotheke auf.

Darüber könnte Max Giesinger mal singen. Titelvorschlag: Und wenn sie surft

Mittwoch: Der letzte Arbeitstag vor dem Urlaub endete zeitig und ohne die gelegentlich auftretende Vorurlaubshektik, wenn kurz vor Schluss noch Sachen reinkommen, die dringend zu erledigen sind. Nun ist es für derartige Anliegen zu spät: Der Rechner ruht in der Schreibtischschublade im Büro, das dienstliche Datengerät ist ausgeschaltet.

Die Vorfreude ist bereits da, nun muss nur noch Urlaubsstimmung aufkommen. Das Rachenkratzen ist abgeklungen, dafür läuft sich die Nase gerade ein; als erste Maßnahme wurde die vorübergehende Umstellung von Stoff- auf Papiertaschentücher bereits vollzogen. Egal: Die Sachen sind gepackt, morgen früh gehts los. Immer optimistisch bleiben.

Donnerstag: Morgens brachen wir auf, sechs Stunden später erreichten wir nach recht entspannter Autofahrt Beaune im Burgund, mittlerweile traditionell unser Zwischenziel auf der Reise in den Süden. Unterkunft nahmen wir wieder im Hotel la Poste, obwohl wir beim letzten Mal unzufrieden waren, weil die gebuchte Suite (man gönnt sich ja sonst nichts) sich als geräumige Dachkammer mit defektem Dachfenster erwiesen hatte. Nachdem der Liebste sich per Mail ausführlich beschwert hatte, Cc an die französische Tourismus-Ministerin, darauf muss man erstmal kommen, zeigte sich die Hausleitung zerknirscht und bot uns an, beim nächsten Aufenthalt, also jetzt, in der besten Suite zu residieren, und zwar, das ist das beste, auf Kosten des Hauses. Ich finde das etwas übertrieben, aber nun sind wir hier und sehr zufrieden. Von der Terrasse blickt man über die Stadt und auf die Weinberge. Leider ist es inzwischen zu kühl für längeres Terrassenverweilen, irgendwas ist ja immer.

Beaune im Abendlicht
Hinten die Côte d‘Or

Was auch ist: Die Erkältung plagt mich weiterhin mit Nasenlauf, Hustenreiz und Kopfdröhnen wie nach übermäßigem Alkoholverzehr am Vorabend. Zwar hatten wir gestern Abend auf den Urlaub angestoßen, von Übermaß kann indes keine Rede sein. Jedenfalls verzichtete ich nach Ankunft in Beaune auf eine Runde durch die Stadt mit dem Liebsten und hielt ein Schläfchen; wenn man schon die beste Räumlichkeit bewohnen darf, sollte man das nutzen. Anschließend teebegleitetes Bloggen, voila.

Für das Abendessen hatte der Liebste schon vor Monaten in einem Restaurant in der Stadt reserviert. Das Essen war ausgezeichnet, wegen der Erkältung allerdings Appetit und Genuss eingeschränkt. Bedauerlich, aber nicht zu ändern.

Freitag: Zwei kleine Kritikpunkte wies das Hotelzimmer doch auf, so klein, dass eine Mail ans Ministerium unangemessen erscheint. Zum einen fehlen auch hier Jackenhaken; immer wieder frage ich mich, warum die meisten Hotels an dieser Kleinigkeit sparen. Vielleicht sollte ich gelegentlich nach Reisejackenhaken recherchieren, die man ins Türblatt einhängen kann, vielleicht gibt es sowas. Zum anderen die Dusche: Zwar mit extravaganter Armatur, doch ohne Möglichkeit, die Brause über Kopf irgendwo einzuhängen, um sich darunter berieseln zu lassen. Stattdessen muss man sich mit der Brause in der Hand bewässern. Als Spritzschutz gegen das Badezimmer ein gerade mal etwa vierzig Zentimeter breiter Glasstreifen, entsprechend sah der Boden neben der Wanne aus, als ich abgebraust war.

Extravagente Armatur

Auch die Weiterfahrt nach Malaucène verlief entspannt, auffallend viele deutsche Autos waren unterwegs. Nach Verlassen der Autobahn in Bollène wurden wir von einem LKW hinter uns bedrängt und angehupt, dessen Fahrer die zulässigen achtzig Stundenkilometer offenbar für einen nicht ernst zu nehmenden Vorschlag hielt. Im nächsten Kreisverkehr, derer es hier viele gibt, ließen wir ihn vor.

Bei Meursault

Nach viereinhalb Stunden Fahrt kamen wir an unserem Haus an. Die Sonne scheint, leichter Mistral pustet den Himmel blau. Wunderbar.

Kurz nach Ankunft. Bitte denken Sie sich den Wind dazu

Samstag: Der erste Tag in Malaucène verlief bei erfreulichem Wetter ohne besondere Unternehmungen. Alles Weitere ist hier nachzulesen.

Sonntag: Vergangene Nacht träumte ich, mein Bruder wäre mit einem Lied über Biertrinken zum Youtube-Star geworden, man muss sich wirklich wundern, was sich so ein Hirn zusammenspinnt, während man schläft. Da sich das Thema über mehrere Traumphasen hinweg hielt, schaute ich morgens zur Sicherheit nach, bekam nur die Fratze das Antlitz von FDP-Kubicki angezeigt, schloss Youtube daher schnell wieder; schlimm genug, sich mit dem den Familiennamen teilen zu müssen. Lieber M., wenn ich was übersehen habe, lass es mich bitte wissen.

Des Himmels Blau war morgens hinter einer dichten Wolkendecke verschwunden, für den weiteren Verlauf des Tages war Regen angekündigt. Der perfekte Tag zum Nichtstun. Und also taten wir: Der Liebste zog sich nach dem Frühstück zum Lesen und Genesen in die Gemächer zurück, ich begab mich in Daunenjacke in den Liegestuhl auf der Terrasse, wo ich auf Empfehlung des daheim gebliebenen Geliebten die heute-Show und Böhmermann, außerdem Nuhr vom vergangenen Freitag nachschaute, danach las ich weiter im Stanišić. Vorläufiges Urteil nach der ersten Hälfte: Nach dem Auslesen werde ich das Buch wohl in einen öffentlichen Bücherschrank bringen. Wenn Sie es haben wollen, melden Sie sich gerne. Am frühen Nachmittag kam der erwartete Regen, nur so wenig, dass die Dachziegel über der Terrasse die Tropfen aufsaugten, es rann nichts vom Dache herab. Unterdessen terrorisierte eine Gruppe PS-Freunde über längere Zeit die Umgebung, indem sie mit motordröhenden Fahrzeugen ohrenscheinlich in größerer Anzahl den Mont Ventoux überquerten.

Erst abends verließen wir Haus und Grund für das Abendessen im Ort.

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Kommen Sie gut durch die Woche. Falls Sie eine Erkältung oder Schlimmeres plagt, baldige Genesung.

Woche 24/2024: Kopulationsjuchzer aus dem Nebenzimmer in der Morgenstunde

Montag: Da sich direkt an den regulären Arbeitstag ein Abteilungstreffen in Bad Honnef mit Übernachtung anschloss, nahm ich morgens statt Fahrrad die Stadtbahn. Die kam wegen einer nicht zu übersehenden Störung – alle paar Meter bremste sie ruckartig ab – nur eine Haltestelle weit, am Hauptbahnhof hieß es aussteigen bitte und die nächste Bahn nehmen, die unmittelbar folgte, immerhin. Warum sollte ein alter Stadtbahnzug auch montags besser in die Gänge kommen als der müde Fahrgast darinnen.

Die Formulierung „Magst du …“ anstelle von „Würdest du bitte …“ mag ich auch besonders.

Auch nicht schlecht: „Sorry, dass ich das highjacke“, gehört und notiert in einer Besprechung.

Gunkl schreibt: „Zwischen den Zeilen sind meist nur Unterstellungen des Rezipienten.“

Dienstag: Nach längerer Zeit mal wieder eine kollegiale Zusammenkunft mit gemeinsamem Abendvergnügen. Dank einigermaßen umsichtiger Getränkezufuhr am Vorabend und nicht allzu später Nachtruhe (die letzten hatten es bis halb vier in der Frühe am Glas ausgehalten) ging es mir heute passabel, zu keiner Zeit drohte trotz zeitweise gewisser Längen im Veranstaltungsverlauf die Gefahr zufallender Augen.

Nach der Tagung ließ ich mich am Mutterhaus absetzen, brachte den Rechner ins Büro, räumte den Maileingang auf, verfasste eine Unmutsbekundung wegen nicht erfolgter Lieferung einer Stellungnahme, die ich bis spätestens heute benötigt hätte, um die vierwöchige Verzögerung einer Angelegenheit zu vermeiden, und ging guter Laune zu Fuß nach Hause.

Gehört von einem Kollegen, dem ich derartiges gar nicht zugetraut hätte: „Ein guter Schluss ziert alles.“

Mittwoch: Nach meinem Empfinden, was die Verwandtschaft zu „empfindlich“ besonders deutlich macht, ist es zurzeit juniunangemessen kalt, was (noch) schlichtere Gemüter auf die Idee bringen könnte, das mit der Klimaerwärmung sei nur grünes Geraune.

Mittags begab ich mich vom Mutterhaus ins Nebengebäude, wo ich selbst bis vor Kurzem noch meinen Schreibtisch hatte, weil sich dort eine liebe Kollegin mit Sekt und Imbiss (und ein paar Tränen) in den Ruhestand verabschiedete. Wieder eine, die es geschafft hat und die ich ein wenig vermissen werde.

Vormittags erreichte mich die Meldung über eine äußerst lästige IT-Imponderabilie, die zum Glück sehr schnell gelöst werden konnte. Ansonsten verlief der vorletzte Arbeitstag vor dem Urlaub ohne nennenswerte Brisanz, was ich mir für morgen ebenfalls und ganz besonders erhoffe.

Donnerstag: »Dagegen ist für Carsten Kubicki der „Unsinn“ ein Sprach-Knüller. „Es bringt in wunderbarer Weise den alltäglichen Irrsinn in der Welt auf den Punkt.“«, steht im General-Anzeiger, der letzte Woche dazu aufgerufen hatte, man möge sein Lieblingswort einsenden. Eingesandt hatte ich nicht Unsinn sondern Unfug, aber ich bestehe nicht auf einer Richtigstellung; Sie wissen es ja jetzt.

Aus Wörtern werden Sätze, die sich manchmal zu sprachlichen Diamanten verdichten, wie hier in der FAZ:

„Tatsächlich hatte Hofreiter alle Symptome der Dissoziation bedienend erstaunlich hyperkomplex und ausufernd unterschieden zwischen Realität und Wahrnehmung, als habe das Wahre und Gute in seiner Partei einen ontologischen Status inne, der ihm offenbar selbst im unbewussten Knochenbau sitzt und nur bei gestörter Wahrnehmung in Abrede gestellt werden kann.“

Alles klar?

Im Übrigen verlief der letzte Arbeitstag vor dem Urlaub geschmeidig, mit gutem Gewissen und bei leerem Maileingang schaltete ich zur vorgesehenen Zeit Rechner und dienstliches Datengerät aus und ging sonnenbeschienen zu Fuß nach Hause.

Freitag: Erster Urlaubstag. Nachmittags erreichten wir Beaune, wo wir eine Nacht bleiben, ehe es morgen weitergeht nach Malaucène. Das Hotel, erst kürzlich renoviert, macht äußerlich einen gehobenen Eindruck, lässt indes innerlich in Details zu wünschen übrig. Für die eine Nacht völlig ausreichend.

Frontansicht
Detailansicht

Abendessen in einem Restaurant in der Stadt, erfreulich unbehelligt von Fußballgeschrei und -gehupe.

Aus der Zeitung:

Über Elektroroller: „Im vergangenen Winter hatten (die Anbieter) demnach jedoch ihre E-Scooter-Flotte in einzelnen Städten wegen Glatteis und Schneefall proaktiv deaktiviert.“

Über die Bahn: „Im Regionalverkehr der Deutschen Bahn war fast jede zehnte Toilette im vergangenen Jahr defekt“ – Ein Phänomen der letzten etwa dreißig Jahre. Zuvor, ich erinnere mich noch gut, waren Toilettenstörungen in Zügen undenkbar, weil sich nach dem Geschäft unten eine Klappe öffnete und die Hinterlassenschaften auf den Gleiskörper entließ. Ein weiterer Beleg dafür, dass früher nicht alles besser war, nur vieles anders.

Samstag: Ein weiteres Detail, das dem Hotel allenfalls als gewisse Hellhörigkeit anzulasten ist, waren Kopulationsjuchzer aus dem Nebenzimmer in der Morgenstunde. Beim Frühstück hielt ich Ausschau, wem dieses Vergnügen möglicherweise zuzuordnen wäre, fand jedoch unter den anwesenden Personen keine, bei denen ich mir das vorstellen konnte oder wollte.

Absurde Synonymsucht in der Zeitung: „In der benachbarten Region Cherson zog sich Moskau im November 2022 aus der größten Stadt und Hauptstadt gleichen Namens zurück.“

Nach dem Frühstück setzten wir die Fahrt fort nach Malaucène, das wir nach staureicher Fahrt am Nachmittag erreichten. Unterwegs sahen wir blühende Lavendelfelder, entsprechende Bilder denken Sie sich bitte, auch der Lavendel ist in diesem Jahr früh dran. Nachdem wir die Autobahn verlassen hatten, hüllte sich das Zielgebiet in Gewölk, auch der sonst weithin sichtbare Mont Ventoux verschwand vollständig darin. Als wir nach Ankunft das Haus übernahmen, schien die Sonne bei angenehmen zwanzig Grad. So darf es gerne bleiben.

Gewölk

Nach dem Auspacken und Einrichten holten wir im Städtchen die Fahrräder ab, die der Liebste vorbestellt hatte, auf dass wir in Bewegung bleiben, wenn auch elektrisch unterstützt.

Unsere Maison

Abendessen am Ankunftstag traditionell in der Pizzeria. Nach Rückkehr schauten wir à la maison in Rosébegleitung dem Himmel bei der Dunkelwerdung zu, derweil der Mond um die Bäume lugte.

Sonntag: Der erste Tag am Urlaubsort verlief, wie die Tradition es fordert, in süßer Liegestuhl-Untätigkeit vor dem Haus, jedenfalls bei mir, während der Liebste die erste Radtour in die nähere Umgebung unternahm. Über uns blauer Himmel, dazu ein sanfter, wohltemperierter Lufthauch. Aus dem Haus kommt leise Radio Nostalgi, in den Bäumen nebenan zwitschern Vögel, genauer: Rotkehlchen und Berglaubsänger, wie der Liebste per App ermittelte. Ich bin für derlei Recherchen ja meistens zu bequem. Alles in allem sehe ich die Vorfreude der letzten Wochen als erfüllt an.

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Kommen Sie gut durch die Woche mit möglichst wenig Unfug.

Woche 12/2024: Teilweise gleichgültig

Montag: Bereits um halb neun die erste Besprechung, die volle Konzentration und aktive verbale Teilnahme meinerseits erforderte. Das mag ich frühmorgens und erst recht montags überhaupt nicht. Man kann es sich nicht immer aussuchen.

Eine lästige Begleiterscheinung der Werktätigkeit sind Zielvereinbarungen und Leistungsbeurteilungen, aus denen sich die Höhe der jährlichen Bonuszahlung ergibt. Ich halte das für entbehrlich, ein Bonus motiviert mich nicht, besser, schneller oder mehr zu arbeiten. Wenn man mir also zusätzlich zum regelmäßigen Monatsgehalt etwas draufzahlen möchte, wogegen nichts einzuwenden ist, könnte man das wesentlich vereinfachen: Man nehme hundert Prozent der sogenannten variablen Vergütung, meinetwegen auch nur achtzig oder neunzig, teile sie durch zwölf und schlage sie monatlich dem Regelgehalt zu, das würde viel Zeit sparen. Aber mich fragt ja keiner. Zusätzlich muss mein Chef jedes Jahr eine Potentialeinschätzung zu meiner Karriereentwicklung abgeben. Ich habe diesbezüglich nur noch geringe Ambitionen, er weiß das, dennoch verlangen es die Regularien. Neben viel Lob und Anerkennung meiner zweifellos guten Arbeit *räusper* schrieb er: »Wirkt bzgl. Veränderungen teilweise etwas gleichgültig«. Treffender hätte er nicht auf den Punkt bringen können, dass mir mittlerweile vieles, um das allgemeines Geschrei gemacht wird, an südlichen Körperregionen vorbei geht. Offensichtlich kennt er mich gut.

Mit entspannter Gleichgültigkeit ließ ich am Nachmittag mehrere wirklich schlecht gemachte Präsentationen mit viel zu viel Text und wirren Grafiken über mich ergehen. Schnell verlor ich das Interesse am Inhalt und achtete nur noch darauf, wie oft die Vortragenden „Genau.“ sagten (sehr oft). Das ist nicht schlimm, weder wird das Vorgetragene später abgefragt noch ist es sonstwie prüfungsrelevant.

Abends las ich in der Zeitung: »Phänomen Kinderfüße – Ob nach der Kita oder dem Spielplatzbesuch: Jungs und Mädchen transportieren unglaubliche Mengen Sand in ihren Schuhen. Ein Orthopäde versucht, das Mysterium aufzuklären« Das Sommerloch scheint dieses Jahr besonders früh zu gähnen.

Dienstag: Des nachts geträumt: Kurz nach meiner Geburt beugten sich mehrere Wissenschaftler in weißen Kitteln über mein Kinderbettchen, einer sagte: „Wenn wir wüssten, wie es dazu kommen konnte, hätten wir die Welt entschlüsselt.“

Morgens gedacht: Kino und heimischem Bad ist gemeinsam, dass ich die gleichzeitige Anwesenheit anderer Menschen dort als äußerst störend empfinde. Deshalb meide ich Kinos schon seit längerem, wohingegen ich um den allmorgendlichen Badaufenthalt nicht herumkomme.

Dienstagsüblich ging ich zu Fuß ins Werk mit den üblichen Erschei- und Begegnungen.

Stau auf der Konrad-Adenauer-Brücke, in Zeiten knapper Zeit allgemein nur Südbrücke genannt

Als Fußgänger nimmt man Details am Wegesrand wahr, die dem Rad- und Autofahrer im Vorbeisausen zumeist verborgen bleiben.

Experten raten, mit Trinken nicht zu warten, bis der Durst kommt

Seit gestern ist das Büro neben meinem nach jahrelangem Leerstand wieder belegt, durch die hellhörig-dünne Rigipswand dringt wörtliche Rede, anscheinend telefoniert mein neuer Nachbar Umwohnender gerne. Für mich bedeutet das Umgewöhnung und Zurückhaltung bei den üblichen Selbstgesprächen, sobald ich mich allein wähne.

Vormittags kam die dicke Taube angeflogen, lief vor dem Fenster ein paar mal auf und ab, schaute abwechselnd auf den leeren Futterteller und auffordernd-vorwurfsvoll mich an, ehe sie wieder abflog und nicht wiederkehrte. Ich tat beschäftigt.

Mittwoch: Hey Basti, Alex, Chris und Flo, glaubt ihr wirklich, eure Eltern hätten für euch diese schönen Namen ausgesucht, damit ihr sie derart lächerlich verstümmelt?

Donnerstag: Am Rheinufer wurde morgens eine Schießbude aufgebaut, davor stand ein Taxi aus vergangenen Zeiten. Wenig später verstand ich: Sie waren Bestandteil von Dreharbeiten für eine ZDF-neo-Serie, wie ein an einem Pfahl angebrachter Aushang informierte. We häufig mag ich mich schon über Dinge am Wegesrand gewundert haben, bei denen es sich in Wahrheit um Filmrequisiten handelte. Manchmal dann für einen ziemlich schlechten Film.

Schiesshalle mit Schreibfehler

Vormittags geriet ich beim Erstellen einer Anwendungsbeschreibung in den Zustand, der allgemein als Flow bezeichnet wird. Das ist auch mal ganz schön.

„Da scheint am Code was faul zu sein“, hörte ich in einer Besprechung, woraufhin kurzzeitig olfaktorisches Ungemach in meine geistige Nase drang.

„Hallo … mögen Sie Kinder?“ – „Nein, ich finde Kinder furchtbar.“ – „Auch Ihre eigenen?“ – „Das sind die schlimmsten.“ – Dieser Dialog hätte ablaufen können, als mich auf dem Heimweg in der Innenstadt eine junge Frau ansprach, die zum Infostand einer Kinderschutzvereinigung gehörte, der geschickterweise so an einer baustellenbedingten Engstelle platziert war, dass man ihm und seiner Besatzung nicht ausweichen konnte. Tatsächlich lief es so ab: „Hallo der Herr, darf ich Sie kurz …“ – „NEIN DANKE.“ – „Sind Sie Anwalt?“, rief sie mir noch hinterher, wie auch immer sie darauf kam.

Das schlimmste Kind ist im Übrigen das aus der Kijimea-Reklame. Ähnlich wie der überdrehte Seitenbacher-Schwabe ein überzeugender Grund, das beworbene Produkt zu meiden.

Freitag: Würde ich dazu neigen, mich über Dinge aufzuregen, hätte ich morgens Gelegenheit dazu gehabt, als ein stehend warnblinkender Lieferwagen die Radspur an der stark befahrenen Adenauerallee in voller Breite blockierte und mich mit dem Rad auf den Gehweg nötigte. Statt zu zürnen machte ich ein Foto davon und schickte es mit dem vorgesehenen Formular ans Ordnungsamt. Das nützt überhaupt nichts, indes war mir heute danach.

Die frühe Besprechung am Montag war nicht vergebens: Vorletzte Woche Mittwoch beklagte ich, dass sich eine Werksangelegenheit aus rein formalistischen Gründen voraussichtlich um vier Wochen verzögern wird, »Es sei denn, bestimmte Kollegen drücken ein Auge zu, was so wahrscheinlich ist wie Trumps Verzicht auf die Präsidentschaftskandidatur und die Erreichung der Klimaziele durch die Bundesregierung«, schrieb ich dazu. Die Welt kann hoffen: Kurz vor Arbeitsende erreichte mich die Nachricht, dass die Kollegen zugestimmt haben. Für den höchst unwahrscheinlichen Fall, dass Beteiligte hier mitlesen: Vielen Dank!

Samstag: Morgens brachen wir auf nach Beaune im Burgund, wo wir nach etwa fünf Stunden weitgehend ereignisloser Fahrt angekommen sind. (Da wir zum Zeitpunkt der Notiz noch hier sind, ist Perfekt wohl die korrekte Zeitform.) Das Hotelzimmer war bei Ankunft noch nicht bezugsfertig, deshalb gingen wir in die Stadt auf einen ersten weinbegleiteten Imbiss. Das Wetter zeigt sich aprilig mit Sonne und ab und an etwas Regen, dazu weht kühler Wind durch die Straßen. Ansonsten fanden wir die Stadt und das Hotel dem ersten Eindruck nach so vor, wie wir sie zuletzt nach Weihnachten zurückgelassen hatten. Wir sind sehr zufrieden.

Sonntag: Zu sonntagsunangemessener Zeit waren wir morgens auf, weil der Geliebte weit vor acht Uhr, somit lange vor meiner Sprechzeit, nicht mehr schlafen konnte und das Gespräch suchte. Offensichtlich war die Weinmenge am Vorabend unzureichend, das müssen wir bei der Abendplanung künftig berücksichtigen.

Nach dem Frühstück unternahmen wir eine Ausfahrt nach Cluny, wo wir die Reste der einstmals größten christlichen Kirche der Welt besichtigten, bevor sie den Menschen der Region als Steinbruch diente; im achtzehnten Jahrhundert nahm man es mit dem Denkmalschutz noch nicht so genau. Man muss nicht gläubig sein, um von den Rudimenten auch heute noch angemessen beeindruckt zu sein.

Auf dem Weg dorthin machten wir Halt in Chagny, wo heute Markt war. Neben den üblichen Produkten wie Käse, Obst, Gemüse, Brathähnchen, Billigtextilien und Handyhüllen war an einem erstaunlich gut frequentierten Stand lebendiges Geflügel zu erstehen. Die Tiere wurden einem Gatter entnommen und in einen geräumigen Karton verbracht, der zugeklebt dem Käufer übergeben wurde. Das ließen die Vögel ohne erkennbaren Widerstand über sich ergehen, als hätten Sie mit ihrem Schicksal abgeschlossen. Manchmal ist das ja von allen Optionen die beste.

Was würde PETA sagen?
Robuster Marktbeschickerhumor

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Abgeschossen ist nun auch dieser Wochenrückblick, kommen Sie gut durch die neue Woche.