Jungs in albernen Anzügen

ABBA hat ein neues Album rausgebracht, „Voyage“, eine kleine Sensation, nachdem sie vor fast vierzig Jahren aufgehört hatten, neue Alben herauszubringen. „The day before you came“ war einer ihrer letzten Hits, soweit ich mich erinnere, vielleicht auch der letzte, so genau weiß ich das nicht mehr und ich bin außerdem zu bequem, es zu recherchieren.

Das erste Mal sah ich ABBA bei ihrem legendären (ein großes Wort, ich weiß) Auftritt beim Grand Prix Eurovision de Dings, wo sie mit „Waterloo“ siegten. Von da an waren sie in Funk und Fernsehen häufig zu hören: „Fernando“, „I do, I do, I do“, „Gimme gimme“, „Thank you for the music“, „Move on“ (Kennen Sie nicht? Doch, bestimmt, aus der Werbung für ein Haarwaschmittel: „Schönes Haar ist dir gegeben, lass es leben …“), um nur einige zu nennen; Lieder, die fast jeder kennt und mitsingen kann.

Ich kann das übrigens nicht, seit jeher verstehe ich keine Liedtexte, nicht mal die deutschen, erst recht kann ich sie mir, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht merken. (Als man im Auto noch Musik von Kassetten hörte, hatte ich eine mit der Bezeichnung „Zum Mitsingen“, darauf Lieder mit Textkenntnis, nicht nur, nein gar nicht ABBA, dafür zum Beispiel „Don’t look in anger“ von Oasis, eine weitere großartige Band, auf deren nächstes Album wir wohl auch noch mindestens vierzig Jahre warten müssen, „Don’t answer me“ von Alan Parsons Project, „A New South Wales“ von The Alarm und „Never tear us apart“ von INXS. Wenn ich alleine fuhr, kam diese Kassette in den Schlitz, Lautstärke aufgedreht bis nahe an die Schmerzgrenze und lauthals mitgegrölt.)

Doch, einen ABBA-Text konnte ich mal auswendig: „Does your mother know“, eines der wenigen Lieder, bei denen die beiden Männer auch mal singen durften. Überhaupt nahm ich Björn und Benny erst nach einiger Zeit als Bestandteil von ABBA wahr, bis dahin dachte ich, sie bestünden nur aus den beiden Frauen, der blonden und der dunklen, während die Jungs in den albernen Anzügen nur instrumentales Begleitprogramm waren. Dass die beiden gleichsam die Macher von ABBA waren und immer noch sind, ahnte ich mit acht Jahren noch nicht. Das Lied gehörte zum Repertoire unserer Kellerband in den Neunzigern, deren Sänger ich war. „Dancing Queen“ sangen wir auch, etwas später, als wir auch eine Sängerin hatten, die im Gegensatz zu mir ziemlich gut singen konnte. Zu Ruhm brachten wir es nicht, wir hatten nicht mal einen Bandnamen. „Böcker-Band“, weil zwei von uns, der Pianist und der Schlagzeuger, Cousins, Böcker hießen, setzte sich nicht durch. Immerhin hatten wir sogar einen Auftritt, auf der Hochzeitsfeier von Rainer K. Film- oder Tonaufnahmen gibt es davon meines Wissens nicht, jedenfalls hoffe ich das sehr. Aber ein Bild:

Wie die Ehen bei ABBA hielt auch die von Rainer leider nicht sehr lange. Ein Zusammenhang mit unserem Auftritt ist indes mit einigermaßen hoher Sicherheit auszuschließen.

Woche 35/2021: Natürlich gealterte Originale

Montag: Mittags im Rheinauenpark war bei den Wildgänsen eine gewisse Aufgeregtheit auszumachen. Vielleicht stritten sie darüber, ob sie angesichts der aktuellen Wetterlage früher aufbrechen sollen in den Süden, wer wollte es ihnen verdenken. (Danach spielte mein Hirnradio stundenlang „Nils Holgerson“ in Dauerschleife. Sollte es Ihnen beim Lesen dieser Zeilen nun ähnlich ergehen, bitte ich dies zu entschuldigen.)

Ein nicht zu unterschätzendes Problem in südlichen Regionen ist der Diebstahl von Sand, wie die Zeitung heute berichtet. Demnach wurden auf Sardinien durch den Zoll kürzlich 4,1 Kilogramm Sand sicherstellt, was mit Strafen bis zu dreitausend Euro geahndet wurde. Wohlgemerkt: Sand, nicht Goldstaub.

Man muss nicht alles verstehen. Auch dieses nicht:

Ganz anderes Thema, dafür absolut verständlich im Sinne von nachvollziehbar, gelesen hier:

Denn wenn man auf Silberhochzeiten geht, dann sind das ja normalerweise die von alten Leuten, die von den Freunden der Eltern etwa. Also normalerweise ist das so. Es war diesmal aber die Silberhochzeit meiner Freunde, was zwingend bedeutet, dass wir das jetzt sind, die Zuständigen für derlei.

Dienstag: Von alt zu jung – üblicherweise übe ich mich in Zurückhaltung darin, andere Leute als dumm zu bezeichnen, wohnt dieser Bezeichnung doch stets eine gewisse, möglicherweise ungerechtfertigt-peinliche Selbsterhöhung inne. Doch scheint es mir hier zutreffend: Wie das Radio meldete, kletterte in Troisdorf mal wieder ein Jugendlicher auf einen Güterwaggon der Bahn, wo ihn umgehend und final der Schlag aus der Oberleitung traf; fünfzehntausend Volt leisten hier stets schnelle und gründliche Arbeit. Warum tun die das immer wieder? Werden die Digital-Naiven in ihren Ätzwerken, denen sie einen nicht unerheblichen Teil ihrer Zeit widmen, nicht davor gewarnt, Eisenbahnfahrzeuge zu besteigen, erst recht wenn sie unter einer Oberleitung stehen? Oder werden sie dort in zweifelhaften Challenges gar dazu ermutigt? – Und allen Vollkasko-Eltern, die nun bald wieder nach besseren Umzäunungen von Bahnanlagen verlangen, sei geschrieben: Das ist Unsinn, eure Nachzucht wird sie mühelos überwinden. So „schlau“ sind sie dann doch.

Mittwoch: Mit fünfunddreißig war ich ziemlich zufrieden – in Bonn die ersten Wurzeln geschlagen, frisch und glücklich verheiratet, auch sonst lief alles erfreulich. Heute diene ich seit fünfunddreißig Jahren demselben Arbeitgeber, auch das immer noch überwiegend zufrieden. Klar, manchmal sehnt man den Feierabend, das Wochenende, den nächsten Urlaub oder den Ruhestand etwas mehr herbei als sonst, aber insgesamt begebe ich mich immer noch ganz gerne ins Werk, auch wenn sich das hier vielleicht manchmal anders liest. So viele Jahre beim selben Arbeitgeber – wohl nur wenige heute Fünfunddreißigjährige können sich das noch vorstellen. Ach ja: Auch sonst bin ich immer noch ziemlich zufrieden, geradezu glücklich, vielleicht anders, aber keineswegs weniger als mit fünfunddreißig.

Donnerstag: Morgens auf dem Fußweg ins Werk sah ich das Rheintal in Nebel gehüllt, was die Motivklingel der Datengerätkamera anschlagen ließ.

Ab Mittag wurde es sonnig-warm. Nach langen, entbehrungsreichen Monaten gab es abends dienstlich veranlasste Alkoholzufuhr, so richtig mit Menschen. Die häufig gestellte Frage des Abends lautete daher „Wann haben wir uns das letzte Mal gesehen?“ Anlass war der erfolgreiche Abschluss eines großen Projekts bereits Anfang letzten Jahres, das dann aus bekanntem Grund nicht mehr angemessen begossen werden konnte. Es war sehr schön, man ist so etwas ja gar nicht mehr gewohnt, also das mit den Leuten, das mit dem Alkohol schon noch.

Nach vierzig entbehrungsreichen Jahren gibt es Erfreuliches für das Ohr, ich hätte nicht gedacht, das noch zu erleben, ABBA hallo. Öffentlich wollen die vier wohl nur noch in Form künstlicher Abbatare in Erscheinung treten, was ich einerseits verstehe, andererseits bedaure, da sie sich auch als natürlich gealterte Originale durchaus noch sehen lassen können.

Freitag: Ein nur kleiner Kater schnurrte in des ersten Stunden des Arbeitstags, das war es wert, siehe Eintrag von gestern. „Das ist ein getoggeltes Feature“ sagte einer während einer Präsentation und ließ meinen Sprachnerv leicht zucken.

Ich halte es für richtig, auch abweichenden Meinungen gegenüber offen zu sein, selbst wenn der Klimawandel mit seinen Auswirkungen als „fachpolitische Detailfrage“ bezeichnet wird. Daher mein ausdrücklicher Dank an Bundesstadt.com für dieses Gespräch.

Samstag: Wie morgens das Radio meldet, wird in Xanten heute die Schnick-Schnack-Schnuck-Meisterschaft ausgetragen, ohne Publikum, zudem nur mit Schere, Stein und Papier, aber ohne Brunnen, warum auch immer.

Als Mensch mit einer generellen, nicht rassistisch motivierten Fremdenreserviertheit lasse ich mich ungern von Unbekannten ansprechen. Daher ist es zurzeit anstrengend, durch die Fußgängerzone zu gehen: Überall stehen Leute an sonnenbeschirmten Tischchen, die einem etwas in die Hand drücken wollen und womöglich gar das Gespräch suchen.

Abends vernahm ich erstmals das schöne Wort „Pilzputzchampagner“ und übernahm es sogleich in die Schatulle meines aktiven Wortschatzes, auf dass es zur Verfügung steht, wenn mich der Liebste das nächste Mal zu Hilfstätigkeiten bei der Essenszubereitung heranzieht, selbstverständlich auch in analoger Anwendung beim Kartoffel- und Spargelschälen; „Schälchampagner“ dann eben. Es muss auch nicht zwingend Champagner sein, ein Cremant tut es auch.

Sonntag: Eimal mehr stellt sich die Frage, wie es diese Spezies so weit bringen konnte.

Ich habe das Buch „Das Glück des Gehens“ von Shane O’Mara ausgelesen. Das Glück des Lesens war dabei begrenzt, da stellenweise etwas langatmig-theoretisch die zum Gehen erforderlichen Körper- und Hirnfunktionen erläutert werden. Etwas zu kurz kam mir dagegen das, was den eigentlichen Gehnuss ausmacht, nämlich aufmerksam und unabgelenkt durch ein Datengerät die Details am Wegesrand wahrzunehmen. Siehe auch vorstehendes Bild.

Von der Theorie zur Praxis: Warmes Spätsommerwetter lockte zahlreiche Menschen nach draußen; während des Sonntagsspaziergangs erforderte es einiges an Aufmerksamkeit, auf den Rheinbrücken nicht von Fahrrädern und Elektrorollern angefahren zu werden, während ich notorischen Linksgehern auswich. Als ich während des Gehens mit Blick auf eine öffentliche Uhr bemerkte, dass meine Armbanduhr drei Minuten vorgeht, stellte ich mir vor, wie ich sie abnehme und korrigiere, und wie, während der große Zeiger zurückwandert, alles um mich herum rückwärts läuft wie in einem Film, der zurückgespult wird. Was man so denkt, wenn die Sonne auf die ungeschützte Hinterkopflichtung sticht. Vielleicht wäre das was für die Mainzelmännchen.

Ich wünsche Ihnen eine angenehme neue Woche mit möglichst vielen erfreulichen Details am Wegesrand.