Woche 3/2023: Beschimpfender Unfug

Montag: Als solchen Geräten mit einer gewissen Skepsis begegnender Mensch schenkte ich unserer digitalen Personenwaage im Bad nicht allzu viel Glauben, als sie gestern Morgen ein unplausibel hohes Gewicht anzeigte, zumal es sich wenig später nach dem Duschen um ein halbes Kilo verringerte; soviel Dreck wird da wohl nicht weggebraust worden sein. Heute früh spannten die Knöpfe der Strickjacke deutlich, die vor einem Jahr noch tadellos saß. Sicher ist das auf unsachgemäße Wäsche zurückzuführen. Kann ja nur.

Der Feuilleton-Teil der Tageszeitung enthält an Montagen mittlerweile als festen Bestandteil eine Tatort-Kritik. Mord und Totschlag als Kultur zu betrachten finde ich reichlich unangemessen. Dann bitte auch eine regelmäßige Rezession der neuesten Filme auf XHamster. Ich kann das gerne übernehmen.

Dienstag: Der Rhein hat Hochwasser. Die Anlegestege der Ausflugsschiffe und Rudervereine, üblicherweise Richtung Flussmitte abwärts geneigt, stehen waagerecht oder neigen sich nach oben. Frachtschiffe, auf die man sonst vom Ufer aus herabschaut, fahren auf Augenhöhe. Und es ist kalt, was erstaunlich viele Läufer nicht davon abhält, in kurzen Hosen das noch morgenmüde Auge zu reizen.

Das Leben überrascht manchmal durch erstaunliche Zufälle. Gestern beim Abendessen noch beklagte ich im Kreise der Lieben, dass der neue Kantinenbetreiber keinen Wackelpudding mehr anbietet. Raten Sie mal, was es heute Mittag zum Dessert gab. Vielleicht durch die heimischen Lausch- und Laberdosen, in denen die dämliche Frau Siri wohnt?

Vergangene Woche beklagte ich das jahreszeitlich durchaus begründete Verschwinden der Glühweinbude am Rheinpavillon. Hierbei handelt es sich um eine Gaststätte am Rheinufer im typischen Baustil der Fünfzigerjahre, vermutlich und wenn dann zu recht denkmalgeschützt. Im Obergeschoss befindet sich ein Café, dort hielt ich auf dem Rückweg spontan Einkehr und bestellte einen Pfefferminztee, jaha, ich kann auch ohne Alkohol. Es war voller als es von außen schien, ich fand noch einen Platz mit Blick auf den Fluss. Statt der erwarteten Tasse wurde eine ganze Kanne serviert, daher saß ich etwas länger als geplant, was überhaupt nicht schlimm war; da zu sitzen ist sehr angenehm, man kann während des Verzehrs vorüberfahrende Schiffe und gegenüber am anderen Ufer die Lichter von Beuel betrachten. Hier war ich sicher nicht zum letzten Mal.

Archivbild aus Dezember 2021

»Thee und Bier stellten mich aus der Erschöpfung wieder her«, schrieb passend Thomas Mann heute vor vierundachtzig Jahren ins Tagebuch.

Eine Bierlieferung wurde mir vom Lieblingspaketdienstleister per Mail angekündigt. Die anfängliche Vermutung, da ich nichts bestellt hatte, es könnte sich um eine der üblichen Spam-Mails handeln, bewahrheitete sich nicht. Wer mag die Lieferung veranlasst haben? Ich habe einen vagen Verdacht.

Mittwoch: Warum eigentlich glauben Menschen, sich im Straßenverkehr wie Irre verhalten zu dürfen, denen alle anderen Verkehrsteilnehmer zu weichen haben, sobald sie ein Lastenfahrrad führen?

Auf dem Weg zur Kantine begegnete mir ein ehemaliger Abteilungskollege, der vor geraumer Zeit zum Leiter einer anderen Abteilung ernannt wurde, von der ich nie hörte; seitdem sehe ich ihn nur selten, weil er in einem anderen Gebäudeteil seinem leitenden Wirken nachgeht. Da er den Blick auf sein Datengerät gerichtet hatte und auch zum Zeitpunkt unserer Begegnung nicht davon abließ sah ich davon ab, ihn anzusprechen und auf die Briefe hinzuweisen, die noch in seinem Postfach auf unserem Flur liegen. Man will ja nicht stören.

Nach Rückkehr am Abend war das Bier geliefert, fünf Halbe aus bayrischer Klosterherstellung und ein Glas. Meine Vermutung die Bestellerin betreffend traf zu. Herzlichen Dank, liebe N.!

Donnerstag: Morgens schneite es überraschend heftig, was mich nicht davon abhielt, zu Fuß ins Werk zu gehen. Flockenumtost genoss ich den Gang am allmählich wieder abschwellenden Fluss, gelegentlich begegnet und überholt von Läufern, die der Schnee ebenfalls nicht von ihrem Morgenlauf abhielt und deren Fußspuren schon bald wieder weggeschneit waren. Erst nach Ankunft im Büro bemerkte ich, wie nass die Jacke geworden war.

»Was hast du in deinem Leben über die Liebe gelernt?« lautet die WordPress-Tagesfrage. Nämliches: 1) Wer suchet, der findet nicht; am ehesten findet, in einem unerwarteten Moment, wer nicht sucht. 2) Liebe und Lust sind trennbar, Monogamie wird völlig überbewertet. 3) Aller guten Dinge sind drei. Mindestens.

Freitag: Die Arbeitswoche endete angenehm mit Schnee am Nachmittag, der nur kurz liegenblieb, und einer karnevalistischen Großveranstaltung mit zehn Karnevalsgesellschaften und Musik in der der Bonner Innenstadt, an der ich mangels Uniform nur in begleitender Funktion teilnahm und die in alkoholischer Hinsicht glimpflich endete.

Das Musik-Corps der Fidelen Burggrafen Bad Godesberg, Rück(en)ansicht

Samstag: In Bonn ist laut Zeitungsbericht ein Obdachloser zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt worden, weil er im vergangenen Jahr einen menschlichen Kopf vor dem Bonner Landgericht ablegte, den er zuvor seinem Kumpel abgetrennt hatte, ich erzählte es, Sie erinnern sich vielleicht. Was ihn zu der Tat bewogen hatte, verschweigt er nach wie vor. Dem ursprünglichen Kopfinhaber wird es egal gewesen sein, da er bereits vor dem Kopfverlust infolge einer Krankheit gestorben war. Die Anklage lautet deshalb nur auf „Störung der Totenruhe“. Der hier einschlägige Paragraph 168 des Strafgesetzbuches lautet im Absatz eins: »Wer unbefugt aus dem Gewahrsam des Berechtigten den Körper oder Teile des Körpers eines verstorbenen Menschen, eine tote Leibesfrucht, Teile einer solchen oder die Asche eines verstorbenen Menschen wegnimmt oder wer daran beschimpfenden Unfug verübt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.« Klingt wie aus einer anderen Zeit. Am besten gefällt mir das mit dem beschimpfenden Unfug.

Nach samstäglichen Besorgungen hielt ich kurze Einkehr in der Lieblingsweinbar, direkt an einer Straßenbahnhaltestelle gelegen. Während des Rieslings sah ich einen Straßenbahnfahrer mit Krawatte, ein sehr seltener Anblick. Die Bus- und Straßenbahnfahrer früherer Zeiten trugen blaue Uniformjacke, Schirmmütze und selbstverständlich Krawatte. Das ist lange her. Heute muss man fast froh sein, wenn sie überhaupt einigermaßen bekleidet sind.

Es ist ein durchaus angenehmes Merkmal fortschreitenden Alters, wenn man am Samstagabend statt aushäusigen Fetenrausches auf ARTE eine Dokumentation über Moose anschaut, eine faszinierende Lebensform, die selbst unter widrigsten klimatischen Unbequemlichkeiten noch gedeiht. Vielleicht sind es Moose, die bald die Weltherrschaft erlangen, nachdem wir uns erfolgreich ausgelöscht haben. Eine noch faszinierendere, geradezu unheimliche Lebensform ist Physarum polycephalum, auch Blob genannt, über den anschließend berichtet wurde. Er verfügt über erstaunliche Intelligenz, obwohl er kein Hirn hat, im Gegensatz zu vielen Menschen, die trotz Hirn nennenswerte Intelligenz vermissen lassen.

Sonntag: Während des Spazierens sah ich am Rhein einen Mann, der mit Flusswasser seinen kleinen Hund hinten reinigte. Der Hund ließ es über sich ergehen, begeistert wirkte er nicht, was bei der Wassertemperatur und überhaupt nachvollziehbar ist.

Auf dem weiteren Weg durch den trüben, sich scheinbar endlos ziehenden Januar sah ich die erste Schneeglöckchenblüte und einen Kleinbus mit der Aufschrift »Es gibt Hoffnung«, was wie ich finde ganz gut zusammenpasst. Außerdem sah ich jede Menge Moos, die Dokumentation gestern Abend hat mir diesbezüglich die Augen geöffnet. Es ist kaum möglich, auch nur wenige Meter durch die Gegend zu gehen, ohne irgendwo die grünen Polster zu erblicken.

Es gibt Menschen, die ihre Lebensaufgabe darin sehen, über Moose zu forschen. Das muss wunderbar sein.

Ganz wunderbar muss es auch sein, sein Moos zu verdienen mit Schreiben, wenn man es kann wie Max Goldt, der sich ausnahmsweise interviewen ließ, anzuschauen hier:

Ach ja, dies noch:

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Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche, möglichst ohne Mord, Totschlag und anderen Unannehmlichkeiten.

Woche 2/2023: In dekorativer Funktion

Montag: „Ich hab denen mal ’nen Reminder geschickt, damit die das checken. Nicht, dass wir da noch ein Gap haben“ sagte eine in der Besprechung. Was Leute so reden, wenn sie busy sind, wie es auf Dummdeutsch heißt.

Vergilbte Bilder – was Journalisten so schreiben, wenn sie über Tarifverhandlungen berichten: »Gewerkschaft fordert einen großen Schluck aus der Pulle« – »Fünfzehn Prozent sind ein gehöriges Pfund.« Immer wieder.

Ein eher schiefes Bild aus einem Zeitungsartikel über immer mildere Winter: »Vegetationsperioden beginnen schon deutlich früher. Schaut man diesen Januar in die Vorgärten, so sieht man Schneeglöckchen blühen. Auch die Krokusse machen sich schon auf den Weg«, so ein Meteorologe.

Ein schönes Wort las ich in einem Blog: „Ordnungshut“. Nicht im Sinne einer Kopfbedeckung, sondern im Femininum, gleichsam die Positivform zum Ordnungshüter.

Dienstag: Morgens früh lag ein Hauch von Fäkalaroma in der Luft der Fußgängerzone, die ich beim Weg ins Werk durchquere, woher auch immer das kam. Ansonsten gestaltete sich der Tag insgesamt recht angenehm. Auch der zum Feierabend einsetzende Regen, der mich den Rückweg mit der Bahn statt zu Fuß zurückzulegen nötigte, vermochte die Stimmung nicht zu trüben, zumal ein spontaner Kurzbesuch in der Weinbar für entgangenes Gehglück entschädigte.

»Willst du ewig leben?« lautet die heutige Tagesfrage bei WordPress. Sie ohne nachzudenken spontan zu beantworten fällt mir leicht, wobei ich mich wiederhole: Nein, auf gar keinen Fall. Mir ist rätselhaft, wie man das überhaupt wollen kann, insofern erscheint es verwunderlich, dass so viele Menschen diesbezüglichen Verheißungen diverser Religionen immer noch nachhängen. Also ähnlich wie dem Fußball. Auch ein möglichst langes Leben halte ich nicht für erstrebenswert. Irgendwann ist es vorbei, wenn das Universum es für angezeigt hält, die Atome meines Leibes einer anderen, sinnvolleren Verwendung zuzuführen, und dann ist es gut; viel besser kann es ohnehin nicht mehr werden. Hauptsache es geht schnell, wenn es so weit ist. Da fällt mir wieder ein, dieses Jahr muss ich endlich mal die Patientenverfügung fertigstellen.

Mittwoch: »Das ist noch viel weirder« las ich irgendwo. Es wierd wird immer tiefenbekloppter.

Bleiben wir noch kurz bei Wörtern: Als Unwort des Jahres wurde „Klimaterroristen“ ausgesucht, weil es Menschen, die sich mit nicht ganz gesetzkonformen Methoden für ein wichtiges Anliegen engagieren, gleichsetzt mit anderen, die für ihre nicht immer ehrenwerten Anliegen Mord, Totschlag, Angst und Schrecken anzuwenden keine Hemmungen haben. Eine gute Wahl. Mein Vorschlag für das Langzeitunwort der letzten (mindestens) zehn Jahre ist übrigens „nachhaltig“, weil es durch seinen inflationären Gebrauch zur Klassifizierung aller möglichen „grünen“ (auch so ein Unwort) Maßnahmen keinen Wert mehr hat.

Mittags in der Kantine saßen am Nebentisch zwei Männer, deren einer unentwegt redete. Wieder einmal war ich dankbar für meine leichte Hörschwäche, die mich davor bewahrte, den Inhalt des Geschwafels vollständig mitzubekommen. Wie auch immer: Trotz Dauerredens war sein Teller bald leer. Ein wahrer Oralakrobat.

Ich weiß, man soll nicht … gleichwohl: Wenn man den Namen Großstück liest, fragt man sich schon nach dessen Ursprung.

Donnerstag: Wie ich auf dem Rückweg vom Werk mit Entsetzen zur Kenntnis nahm, ist die Glühweinbude am Rhein inzwischen entfernt.

Am Rhein ist es dennoch schön, auch ohne Glühweinbegleitung

Der Tag endete dennoch nicht allzu trocken mit einem kollegialen Umtrunk im Wirtshaus, …

Freitag: … was den heutigen Werktag etwas mit Müdig- und Antriebslosigkeit überschattete. Glücklicherweise lagen keine anspruchsvollen, dringend zu erledigenden Geschäfte an, die nicht problemlos in neuer Frische auch kommende Woche angegangen werden können. Zudem endete er früh wegen anstehender karnevalistischer Verpflichtungen ab dem Nachmittag.

»Mehr Überflüge: Bürger wollen wachrütteln« übertitelt das Freisinger Tageblatt einen Artikel über Proteste gegen Fluglärm. Manches kann sich selbst ein Büttenredner nicht besser ausdenken.

Einmal Prinz zu sein – Ich wäre sehr dankbar, wenn ich von dem ganzen Gewese um das Buch des Harryprinzen nicht behelligt würde, aber dem ist kaum zu entgehen. Es sei denn, man verzichtete komplett auf Medienverzehr, doch das sehe ich gar nicht ein. Auch Kurt Kister widmet sich in seiner Wochenkolumne diesem Thema, indessen lesenswert:

Grundsätzlich muss man immer vorsichtig sein, wenn Leute, die jünger als 40 sind, Memoiren schreiben – es sei denn, diese Leute wären Alexander der Große oder gar Jesus, die beide in ihren Dreißigern leider memoirenlos starben. Die Memoiren von Jesus wären für den bücherverlegenden, bertelsmannschen Zappelsender RTL ein deutlich besseres Geschäft als die Übernahme des Stern. Vielleicht könnte der RTL-Stern ja wenigstens die Tagebücher von Alexander, dem Makedonenkönig, finden. Schließlich gehört der Penguin-Verlag, in dem Harrys Geisterbuch auf Deutsch erscheint, genauso zum Bertelsmann-Konzern wie RTL. Alles hängt mit allem zusammen, und alle Wege führen nach Gütersloh.

Kurt Kister: „Deutscher Alltag“, zu beziehen hier

Samstag: Rückblickend auf den Vorabend kann die Prunksitzung der Karnevalsgesellschaft Fidele Burggrafen Bad Godesberg e.V., der anzugehören ich die Freude und Ehre habe, derzeit nur in dekorativer Funktion, bei aller Bescheidenheit als sehr gelungen bezeichnet werden. Leichte Unpässlichkeiten in der ersten Tageshälfte werden dafür als unvermeidbares Kollateralleiden gerne in Kauf genommen.

Ein- und Ausmarsch. Beachten Sie den echten ostwestfälische Frohsinn in meinem Gesicht. Alaaf. (Fotos: Stefan Hamacher)

Sonntag: Gesehen am Wegesrand beim Spazieren: Manchmal muss es einfach schnell gehen, da bleibt dann keine Zeit für ordnungsgemäße Entsorgung der Verpackung, wer kennt das nicht.

Auf dem weiteren Weg durch die Südstadt sah ich ein Café mit dem Namen „pie me“. Zunächst hatte ich „pee me“ gelesen und mich ein wenig gewundert, vermutete ich eine Gaststätte dieses Namens allenfalls in sehr speziellen Gegenden von Köln, Berlin oder Amsterdam, jedoch nicht in der mondänen Bonner Südstadt.

In der Fußgängerzone begegnete mir einer mit hochgekrempelten Hosenbeinen, nicht weil es so warm war, sondern er offenbar zeigen musste, was er hatte. Das sah auf den ersten Blick und eine gewisse Entfernung nach einer Prothese aus, das linke Bein war deutlich dunkler als das rechte. Im Näherkommen erwies es sich als flächendeckende Tätowierung ohne erkennbare Konturen, als wäre es in einen Farbtopf gehalten worden. Schönheit liegt ja oft gerade darin, was man nicht sieht.

Ich bin kein Befürworter von Überregulierung, doch wäre ich dankbar für eine verbindliche Vorschrift öffentliche Bücherschränke betreffend, wonach Bücher stets mit gleichgerichteter Rückenbeschriftung einzustellen sind. Von dem ständigen Halshinundherkippen wird man ja ganz wirr.

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Kommen Sie gut durch die Woche. Achten Sie auf Krokusse, die Ihnen über den Weg vor die Füße laufen könnten.

Woche 1/2023: Auf dem Boden der Tatsachen

Montag: Auf den Werkstoiletten wurden zwischen den Jahren Schilder angebracht, man möge beim Verlassen das Licht ausschalten. Für manche müssen halt auch Selbstverständlichkeiten beschildert werden, siehe auch „Nicht vor der Einfahrt parken“ und „Betreten der Baustelle verboten“. Oder „Vorsicht, Heißgetränk“ auf den unsäglichen Pappbechern. Ab heute müssen Kaffeeverkäufer auch Mehrwegbehälter anbieten, allerdings erst ab einer bestimmten Betriebsgröße. Die hippen Wägelchen am Wegesrand dürfen hingegen weiterhin den Gehkaffeedrang der hippen Kundschaft bedienen, der Müll bleibt uns also vorerst erhalten.

Das Wort „Freiheit“ wurde zur Floskel des Jahres erklärt? Mal kurz überlegen: Lindner, Wissing, Buschmann, Kubicki (also der andere) … ja, passt perfekt.

Dienstag: Morgens herrschte interessantes Licht.

„Lass uns mal wieder zusammen Mittagessen“, schreibt einer per Mail. Vorteil der schriftlichen Kommunikation: Durch schlichtes Nichtantworten kann man konkludent zu Ausdruck bringen, dass es keine Eile hat.

Mittwoch: Der angekündigte Regen mit Sturm blieb aus, so kam ich trocken und unbestürmt mit dem Fahrrad ins Werk und wieder zurück. Die Kantine bot mittags Currywurst an Pommes an. Auch sonst gibt es über den Tag nichts Nachteiliges zu berichten. Weiteres auch nicht.

Schauen wir stattdessen zur Abwechslung mal in die Vergangenheit. Heute vor dreißig Jahren, an einem Montag, schrieb ich um halb eins nachts ins Tagebuch: »Ich kann nicht schlafen. Das liegt allerdings eher daran, daß ich zum Abendessen einen Cappuccino getrunken habe als an der an sich erschreckenden Tatsache, daß es nur noch 31 1/2 Stunden bis zur ersten Prüfungsklausur sind.« Nach drei Jahren Beamten-Ausbildung, auch als Vorbereitungsdienst bezeichnet, stand die Laufbahnprüfung für den gehobenen Dienst an. In den nächsten Tagen folgten drei weitere Klausuren sowie im Februar die mündliche Prüfung, dann hatte ich es geschafft. Danach musste ich nie wieder eine größere Prüfung ablegen und ich wäre dem Universum dankbar, wenn sich daran in der verbleibenden Zeit nichts mehr änderte. Auch wenn ich manchmal noch davon träume und danach stets mit einem Lächeln aufwache. – Im Tagebuch ließ ich mich dann noch über meinen Liebeskummer aus und redete mir schriftlich ein, darüber hinweg zu sein, was keineswegs zutraf; vielmehr hielt der Schmerz noch bis lange nach der bestandenen Prüfung an. »Willkommen auf dem Boden der Tatsachen!«, mit diesem schönen Satz endete der Tageseintrag, damit schließe ich auch für heute.

Donnerstag: Die Bonner Stadtreinigung firmiert seit einiger Zeit unter „Bonnorange“. Vielleicht muss das so sein, so wie die Verkehrsbetriebe der Stadtwerke Bielefeld sich schon länger „MoBiel“ nennen, irgendwer wird sich was dabei gedacht haben. Wie komme ich jetzt darauf: Bonnorange hat gegen Ende vergangenen Jahres angekündigt, bei der Papierabholung ab Januar nur noch die Blauen Tonnen zu leeren; weitere Papierabfälle, die daneben gestellt werden, bleiben liegen. Hierdurch, so Bonnorange, sollen die geschundenen Rücken des Personals geschont werden, was zu loben ist. Dies gilt gleichermaßen für Privathaushalte wie für Gewerbetreibende. Bedenken amazonisierter Bürger wie von Ladenbesitzern werden regelmäßig mit Verweis auf die öffentlichen (immer vollen) Altpapierbehälter beantwortet sowie auf die städtischen Wertstoffhöfe (somit mehr Autoverkehr, also nicht im Sinne der Grünen Oberbürgermeisterin). Oder man könne kostenlos zusätzliche Blaue Tonnen anfordern (wenn man dafür Platz hat). Mal sehen, wie lange Bonnorange das durchhält. Warum ich das besinge: Als ich morgens auf dem Weg ins Werk durch die Fußgängerzone ging, lagen vor mehreren Geschäften wie ehedem Kartonagen gestapelt, wenn auch längst nicht so viele wie bisher. Bei Rückkehr am Abend waren sie verschwunden. Wo mögen sie geblieben sein?

Rücken- wie auch alles andere schonend war ein weiterer Bonnorangemitarbeiter tätig, den ich morgens auf dem weiteren Weg am Rheinufer seiner Beschäftigung nachgehen sah. Diese bestand darin, auf dem sandigen Streifen zwischen Geh- und Radweg mit einem Besen etwas auf eine langstielige Kehrschaufel zu fegen, wobei sein Tun weder System noch Ziel erkennen ließ. Er fegte bald hier ein paar Krümel, ging einige Meter, bald fegte er da. Was genau er fegte, war nicht auszumachen, da es noch dunkel war. Und doch war seine Arbeit wahrscheinlich nicht sinnloser als meine an manchen Tagen. Nur wesentlich schlechter bezahlt.

Freitag: Mittags in der Kantine gab es Heringsfilets nach Hausfrauenart. Wie kommen solche Bezeichnungen zustande? Woher kommen Forelle Müllerin, Birne Helene, Kalbshaxe Florida*? Gibt es einen Zentralen Ausschuss für kulinarische Namensgebung (ZAKUNA), der sowas verbindlich festlegt? Ich könnte das recherchieren. Dann erführe ich vielleicht: Am Karfreitag 1951 bemerkte Hertha Böhm in Löhne (Westfalen) erst morgens, dass sie vergessen hatte, einzukaufen, daher suchte sie alles Verfügbare aus Vorratskammer und Kühlschrank zusammen, um ihren Lieben, dem Gatten Albert und den drei Kindern, ein vorösterliches Mahl zu bereiten. Leider fanden sich neben den eingelegten Heringen nur noch zwei Becher Sahne kurz vor Verfallsdatum, eine Zwiebel und ein schrumpeliger Apfel. Kurz vor dem Mittagessen schellte es bei den Böhms, ein berühmter Sternekoch stand vor der Tür, der sich im Eingang vertan hatte. „Kommen Sie doch rein und essen sie mit uns“, bat Frau Böhm ihn herein, unwissend, welche Herdkoryphäe sie vor sich hatte. Dieser Bitte kam der Koch, nach langer Reise hungrig, gerne nach. „Das schmeckt vorzüglich“, lobte er kurz darauf das Fischgericht, „was machen Sie beruflich?“ – „Hausfrau“, antwortete sie wahrheitsgemäß und durchaus stolz auf ihren Stand. – Vielleicht war es auch ganz anders. Es gibt Fragen, die unbeantwortet bleiben dürfen. Wie diese.

*Ja ich weiß, die hat sich Loriot ausgedacht.

Samstag: Frau Gabriele H. aus Königswinter schreibt in ihrem Leserbrief an den General-Anzeiger: »Freiheit, zur Floskel des Jahres gekürt, ist also ein gehaltloses Wort, ohne Relevanz. Die Freiheit der Person, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Glaubensfreiheit, Berufsfreiheit, Freizügigkeit, Versammlungsfreiheit – alles leere Luft? […] Seltsam, dass in vielen Ländern der Welt junge Leute gegen Diktaturen protestieren und unter Lebensgefahr Freiheit einfordern, dieses leere, floskelhafte Wort.« Anscheinend hat sie da etwas nicht richtig verstanden.

Sonntag: Nachmittags ging ich spazieren.

Blick von der Kennedybrücke Richtung Norden
Rheinaue vor Schwarzrheindorf
Friedrich-Ebert-Brücke
Von der Friedrich-Ebert-Brücke Richtung Süden mit Siebengebirge und Mutterhaus

Gefunden in der Sonntagszeitung: Sie erwägen mittelfristig den Kauf eines Grundstücks am Wasser, ohne sich um die Folgen des Klimawandels sorgen zu müssen? Dann ist vielleicht hier was für Sie dabei. »Lassen Sie Ihre Rendite mit dem Meeresspiegel steigen.«

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Kommen Sie gut durch die Woche.

Woche 52/2022: Nächste Ausfahrt Zierfische

Montag: Driving home from Christmas. Der Junge, der einst meinen Namen trug, freute sich zu Weihnachten am meisten darauf, wenn am Heiligabend nach Gottesdienst und Essen endlich das Glöckchen bimmelte und Einlass gewährt wurde ins Wohnzimmer, wo am Baum die (echten) Kerzen brannten und wir, mein Bruder und ich, uns auf die darunter abgelegten Geschenke stürzen durften. An den Weihnachtsfeiertagen verbrachte ich viel Zeit im Wohnzimmer, betrachte bäuchlings auf dem Teppich liegend den Zug der L.G.B.-Eisenbahn mit der neuen Lok oder den neuen Wagen, wie er Runde um Runde den Baum umfuhr. Oder ich blätterte in dem Eisenbahnbuch, das ich geschenkt bekommen hatte. Schaute immer wieder auf die neue Uhr. Freute mich über den Pullover, eine Muh, eine Mäh oder Tätärätätä. Am zweiten Weihnachtstag fuhren wir mit dem Wagen nach Lämershagen, einem Ortsteil im Südosten von Bielefeld, von wo aus wir durch den Teutoburger Wald flanierten. Von der Brücke über die A 2 aus winkten wir den Autos zu, die sich auf dem Rückweg von den Weihnachtsbesuchen befanden.

Seit ich in Bonn wohne, sitze ich an Weihnachten selbst in einem dieser Wagen auf der A 2. Heiligabend verbringen wir meistens hier in Bonn, am ersten Weihnachtstag geht es los: Nicht allzu lang schlafen, mit einer Spur Widerwillen aufstehen, Geschenke ins Auto packen, dann auf nach Ostwestfalen zur Mutter und weiter zur Schwiegerfamilie. Gut essen, reichlich trinken, die alten Geschichten, lachen, manchmal auch ein Tränchen, Taxi ins Hotel. Morgens Frühstück, wenn es gut läuft ohne Kater (dieses Mal lief es gut), die Mutter nach Hause bringen, zurück nach Bonn. Ankommen, Ruhe. Das ist heute der Moment, auf den ich mich zu Weihnachten am meisten freue. Weihnachten 2022 ist überstanden – rückblickend war es ganz schön.

Er hat es auch hinter sich.

Während der Rückfahrt sah ich kurz vor Hamm auf einem Feld rechts der A2 ein großes Schild: »700 Aquarien – Nächste Ausfahrt Zierfische«. Wie viele Autofahrer mögen dadurch inspiriert werden, in Hamm abzufahren und erst nach Erwerb von einem Duzend Guppys oder Black Mollys ihre Fahrt Richtung Süden fortzusetzen?

Nach Rückkehr ging ich als erstes spazieren, woran mir auch einsetzender Regen nicht die Freude nahm. Bemerkenswert: Bereits heute, am Zweiten Weihnachtstag, liegt gegenüber neben dem Spielplatz der erste Tannenbaum abgelegt. Da konnte wohl auch jemand nicht das Ende vom Fest abwarten.

Was jemanden bewogen haben mag, am unteren Ende unserer Straße zwei Kartons mit Bananen abzustellen, ist schwer nachvollziehbar. Falls die Absicht war, anderen damit Gutes zu tun, darf man diese als im Ansatz verrissen betrachten, denn die Früchte sind dunkelbraun bis schwarz. Wenigstens verzichtete er auf den üblichen Zettel „Zu verschenken“.

Dienstag: Eine Woche Urlaub. Wie einst Opa Hoppenstedt bekam ich zu Weihnachten einen Plattenspieler geschenkt. Den nahm ich heute in Betrieb und bin damit sehr zufrieden.

Mich erreichte eine verspätete Weihnachtsgeschichte, die ich aus persönlichen Gründen sehr schön finde.

Mittwoch: Nach spätem Frühstück unternahm ich einen Gang durch die Innenstadt und an den Rhein. Fußgängerzone und Rheinpromenade waren menschengefüllt, viele haben ebenfalls Urlaub zwischen den Jahren. Am Rheinufer lag ein Hotelschiff aus der Schweiz, im Restaurant auf dem Hinterdeck wurde das Mittagessen gereicht. Die örtlichen Ausflugsschiffe dagegen liegen menschenleer im Winterschlaf bis zur nächsten Saison, bei einem wurde auf dem Oberdeck der Weihnachtsbaum demontiert. Nur wenige Frachtschiffe waren unterwegs. Rheinabwärts brummte ein Boot mit angebautem Kran, beladen mit grünen und orangen Bojen; Tonnenleger nennt man diese Boote meines Wissens. Tonnen gibt es wohl immer zu legen, auch zwischen den Jahren.

Oberhalb des Rheinufers steht im großen Garten einer Villa ein türmchenartiges Ziegelgebäude mit vielen Fenstern. Ich weiß nicht, welchem Zweck es ursprünglich diente. Vielleicht als Teehäuschen oder Gästeunterkunft. Oder als Rückzugsort des Hausherrn, wenn die Lieben daheim mal wieder an den Nerven zerrten; wo Menschen zusammenleben, kommt das gelegentlich vor, Sie kennen das sicher. Wie auch immer: Ich stelle es mir traumhaft vor, ofenbeheizt an einem kalten Wintertag darin im bequemen Sessel ein Buch zu lesen (wenn Sie unbedingt wollen auch ein gutes Buch, ich weiß nicht, warum das immer wieder betont werden muss; wer freiwillig schlechte Bücher liest, ist selbst schuld, wobei die Beurteilung, ob ein Buch gut oder schlecht ist, jedem selbst obliegt), zwischendurch immer wieder den Blick über den Fluss schweifen lassen. Oder am Schreibtisch zu sitzen, dahinter ein Fenster mit Rheinblick. Wem da nichts zu schreiben einfällt, dem ist nicht zu helfen.

Oder einfach nur sitzen und schauen.

Auch müsste ich mir nicht sagen lassen „Du hörst ja komische Musik“, wenn während des Sitzens, Lesens oder Schreibens Pink Floyd läuft. Das haben wir gerne: Erst zu Weihnachten einen Plattenspieler verschenken, dann rummeckern. So eine Langspielplatte läuft übrigens ganz schön kurz, stelle ich fest. Das war mir gar nicht mehr bewusst.

Donnerstag: Vergangene Nacht schlief ich schlecht. Gegen drei Uhr wachte ich auf und schlief längere Zeit nicht wieder ein. Vielleicht war der Körper urlaubsbedingt schlafsatt. Draußen zankten Katzen und schrieen dabei wie angebratene Säuglinge. Während des Wachens zogen diverse Gedanken durch, nichts Bedeutendes und nichts, was in Erinnerung geblieben ist, bis auf die Idee für einen passenden Buchtitel: „Was besorgt den, der keine Sorgen hat?“

Es hätte ein schöner Wandertag werden können. Geplant war eine Tour durch den Bonner Norden, das Meßdorfer Feld und das Vorgebirge maximal bis Brühl. Da Komoot hierfür etwa sieben Stunden veranschlagt, war offen, wie weit ich kommen würde, ehe das Nachlassen von Wanderlust oder Tageslicht eine Beendigung der Wanderung ratsam erscheinen ließen, was dank der parallel verlaufenden Stadtbahnlinie jederzeit möglich wäre. Trotz Schlafmangels kam ich zur vorgesehenen Zeit um kurz nach acht gut aus dem Tuch, der Regen war durch, der Tag versprach trocken, zeitweise sonnig zu werden, perfektes Wanderwetter.

Doch ach: Beim Anziehen der Wanderschuhe waren diese zu klein. Das konnte nicht sein: Ich habe sie im Oktober gekauft und war seitdem zweimal beanstandungslos darin gewandert. Da auch meine Füße seitdem sehr wahrscheinlich nicht gewachsen sind, beschloss ich, dennoch zu gehen, vielleicht glichen sich Schuhe und Füße im Laufe des Tages wieder an. Leider nicht – bei Ankunft am Meßdorfer Feld spürte ich die erste schmerzende Blase an der rechten Ferse, bald darauf auch an der linken. Daher entschied ich mich für den Abbruch und schleppte mich zur nächsten Bushaltestelle, wo bald ein Bus kam und den geschundenen Körper zurück in die Innenstadt brachte, von wo aus ich mich mit letzter Kraft unter Tränen nach Hause schleppte. (Na gut, ganz so schlimm war es nicht, dennoch ärgerte ich mich über den ausgefallenen Wandertag, ohne genau zu wissen, wem oder was das Scheitern in die Schuhe zu schieben war.)

Für ein Bild hat es immerhin gereicht: Das Meßdorfer Feld, dahinter das Vorgebirge.

Statt Wanderung als ein Sofalesetag. Es hätte zweifellos schlimmer kommen können. Und die Wanderung wird so bald wie möglich nachgeholt.

Freitag: Aufgrund interner atmosphärischer Störungen, auf deren Inhalt und Anlass ich nicht weiter eingehen werden, wünschte ich mir vormittags das oben besungene Gartenhäuschen am Rheinufer als vorübergehenden Rückzugsort. Wo so ein Häuschen nicht zur Verfügung steht, muss ein Zimmer mit einer zu schließenden Tür und einer Stereoanlage ausreichen.

Dort hörte ich nach längerer Zeit mal wieder „Mein Vaterland“ von Friedrich Smetana. Was ich mich dabei schon immer fragte: Warum ließ der Komponist das wunderschöne, zu Grundschulzeiten ausgiebig besprochene Stück „Die Moldau“ nach dem sanftleisen Ausklang mit zwei Donnerschlägen enden? Sollte das Publikum im Konzertsaal damit geweckt werden?

Später hörte ich bei noch immer geschlossener Tür die zweite Symphonie von Mahler, ebenfalls länger nicht mehr gehört. In welcher Verfassung mag sich Gustav Mahler während der Entstehung befunden haben? Jedenfalls nicht sehr aufgeräumt. Immerhin, das Finale ist grandios.

In einem Blog las ich die Frage, seit wann man sich zum Jahreswechsel nicht mehr „einen guten Rutsch“ wünscht. Ich weiß nicht, ob man das wirklich nicht mehr tut, vielmehr meine ich, es immer noch häufig zu hören und lesen. Soweit es mich betrifft, meide ich schon lange diese Formulierung, weil ich sie für unsinnig halte. Warum sollte jemand ins neue Jahr rutschen, und worauf? Soll er gar ausrutschen und sich was brechen? Das ist nun wirklich niemandem zu wünschen, weder zum Jahreswechsel noch sonst. Gut, ein paar wenigen vielleicht schon, aber das muss man denen ja nicht mitteilen.

Samstag: Das Jahr verabschiedet sich mit ungewöhnlich milder Temperatur. Auch das häusliche Klima scheint (zum Zeitpunkt der Niederschrift) wieder gemäßigter. Was soll der Zank auch immer.

Wie zu lesen ist, erfreuen sich die Namen Erwin und Kurt wieder größerer Beliebtheit bei der Namensgebung Neugeborener. Schade, dass mein Vater (E) und sein Lieblingsschwager (K) das nicht mehr erleben. Aber vielleicht erheben sie darauf im Jenseits ihr Glas. Bestimmt würden sie das tun.

Ich mag es immer wieder sehr, wenn die Sichtweise anderer bei bestimmten Randthemen mit meiner übereinstimmt:

»Ich habe neulich einen Hörtest gemacht und wenn ich es richtig verstanden habe, sagte man mir, ein Hörgerät wäre sehr sinnvoll für mich, ich glaube aber, ich bin im Moment nicht in der Verfassung, dass ich noch mehr mitbekommen möchte.«

Gelesen bei Frau Anje

„Hey Helene Fischer, spiel Roland Kaiser“, sprach der Geliebte zu fortgeschrittener Stunde zur Siri-Box und wunderte sich über die ausbleibende Ausführung. Ansonsten blieben die Silvester-Feierlichkeiten in angemessenem Rahmen.

Sonntag: Neben einem Asteroiden, der die Erde doch nicht verheerte, nennt die Sonntagszeitung in der Rubrik „Zehn düstere Prognosen, die sich nicht bewahrheitet haben“, wir würden uns nie wieder die Hand geben. Was genau wäre daran so düster gewesen?

Ich verschone Sie mit der in anderen Blogs üblichen Jahresrückblicksfragenliste, da es Sie vermutlich wenig interessiert, was ich gutes oder schlechtes gegessen, ob ich weniger oder mehr Geld ausgegeben habe oder meine Haare länger oder kürzer trage.

Neujahrsgrüße sind jetzt häufig verbunden mit dem Zusatz, 2023 möge ein besseres Jahr werden als das alte, was angesichts der aktuellen Krisen in der Welt nachvollziehbar, jedoch keineswegs wahrscheinlich ist. Gleichwohl kann ich das verblichene 2022 in ganz persönlicher Hinsicht nicht beklagen, insgesamt war es für mich ein recht gutes Jahr. Unsere Corona-Infektion haben wir gut und ohne spürbare Nachwirkungen überstanden, die bislang einzige Auswirkung der Energiekrise ist ein etwas zu kaltes Büro im Werk. Vielen Imponderabilien begegne ich inzwischen mit wachsendem Fatalismus. Wenn es schlimmer nicht wird, bin ich zufrieden. Wir werden sehen.

Spazieren war ich heute auch.

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Ich wünsche Ihnen ein erfreuliches Jahr und eine angenehme erste Woche. Im Übrigen würde es mich sehr freuen, wenn Sie hier weiterhin gelegentlich lesen. Machen Sie es gut!

Woche 51/2022: Wer jetzt nicht viel zu tun hat, fängt auch nichts Neues mehr an

Montag: Wie angekündigt kam zur Nacht der Regen, mit ihm zunächst Eisglätte auf Straßen und Wegen, aber auch ein Nachlassen der Kälte der letzten Tage. Als ich morgens aufbrach, war es auf den Gehwegen noch immer glatt, doch nicht so sehr wie befürchtet. Daher kam ich ungestürzt mit nur geringer Verspätung im Werk an, letztere verursacht durch die inzwischen verlässliche Unzuverlässigkeit der Stadtbahn, deren Nutzung mir heute dennoch sicherer schien als Fahrrad oder Fuß. Da mich in der letzten Arbeitswoche des Jahres nichts mehr drängt und das Gleitzeitkonto gut gefüllt ist, beklage ich das nicht. Zur Verkürzung der Wartezeit an der Haltestelle erfreuten die Stadtwerke ihre Kunden mit einem Rätsel: Am unteren Rand der elektronischen Fahrplananzeige über dem Bahnsteig lief ein Schriftzug: »… Es wird noch einige Zeit zu Verzögerungen kommen. dem Betriebshof zu ihren Einsatzpunkten. Es wird noch einige Zeit …« und so weiter. Erst später fiel mir darüber der feste Text »Die Busse fahren nun aus« auf, und es dauerte noch eine weitere Weile, bis ich verstand.

Bei Ankunft im Büro zeigte das Schreibtischthermometer fünfzehn Grad an, was mich zu einer Störungsmeldung an den Hausservice veranlasste. Mal sehen, ob es was bewirkt außer einem stimmlos geflüsterten „Heul doch“ des Servicemitarbeiters bei Empfang meiner Nachricht.

Später zählte ich während einer halbstündigen Besprechung, wie oft „tatsächlich“ gesagt wurde und kam am Ende tatsächlich auf sechzehn.

Dienstag: Vom Eise befreit sind Straßen und Wege. Während des Fußweges ins Werk umspielte den Gehenden nahezu milde Luft, morgens sang im Werkshof eine Amsel. Das Thermometer auf dem Schreibtisch zeigte erst sechzehn, später achtzehn Grad an, höher kam es heute nicht. Bis Feierabend keine Reaktion vom Hausservice. Vielleicht kommt der Frühling ja früher.

Erster Termin des Tages war eine Teams-Besprechung der IT, die kurz nach Beginn ein wenig ins Emotionale abglitt. Es fielen Begriffe wie „komische Notion“, „tendenziöse Scheiße“, auch der beliebte Satz „Es geht hier doch gar nicht um Fingerpointing“ (Doch, genau darum ging es); gegen Ende dann folgende wunderschöne Aussage einer Führungskraft: „Das ist nicht mit der Weisheit letztem Löffelchen aufgefressen.“ Als weitgehend Unbeteiligter empfand ich es als äußerst unterhaltsam, lachte mehrfach (bei stummem Mikrofon und blinder Kamera) und bedanke mich ausdrücklich für die Einladung. Für Januar ist ein Follow Up vorgesehen, darauf freue ich mich sehr.

Der Geliebte ist erkältet. Wirklich nur ganz kurzzeitig erwachte in mir der böse Gedanke, was wäre, wenn es schlimmer wird, wir uns anstecken, gegen Ende der Woche womöglich gar der Corona-Selbsttest ausschlägt und wir deswegen über Weihnachten leider nicht nach Ostwestfalen … nur so ein böser Gedanke.

Mittwoch: In einer Kolumne zum Thema Weihnachtsfrieden im Kreise der Lieben ist die Empfehlung einer Familienberaterin zu lesen, es könnte helfen, andere Personen wie eine andere Tierart zu betrachten, hierdurch gerate man „in eine neugierige Beobachterhaltung“, die im besten Falle dazu führe, der anderen Verhaltensweisen nachvollziehen zu können. Ich finde das eine wunderbare Sichtweise, nicht nur zur Weihnachtszeit. Fußgänger auf dem Radweg? Mobiltelefonierer in der Bahn? Gehkaffeetrinker? Ist halt artspezifisch. Wer wollte es einer Möwe persönlich verübeln, wenn sie ihm auf den Kopf kotet? Sie kann halt nicht anders.

Sie können auch nicht anders. (General-Anzeiger Bonn)

Reinhard Mey wird heute achtzig, wozu ich ihm herzlich gratuliere, auch wenn er es hier vermutlich nicht liest; sollten Sie ihn zufällig oder auch absichtlich treffen, richten Sie ihm bitte meine Glückwünsche aus. Kein Medienartikel darüber kommt ohne das Wort „Liedermacher“ als Berufsbezeichnung für ihn aus, was ein wenig an ein Kind erinnert, das im Sandkasten sitzt und mit seinen Förmchen Kuchen backt. (Tun Kinder das noch, oder ist das inzwischen aus Gründen der Hygiene, Diskriminierung oder kultureller Aneignung verpönt?) Während zumeist „Über den Wolken“ und „Gute Nacht, Freunde“ als seine bekanntesten Lieder genannt werden, verweise ich auf „Es gibt keine Maikäfer mehr“. Das mochte ich besonders.

»Was sind deine fünf Lieblingsartikel im Lebensmittelgeschäft?« lautet heute die Frage des Tages bei WordPress. Das ist schnell beantwortet: Nougat-Marzipan-Baumstämme. Nur noch wenige Tage erhältlich, danach bis Ostern aus nicht nachvollziehbaren Gründen leider nicht mehr. Deshalb gerne auch mehr als fünf.

Donnerstag: Der Arbeitstag war angenehm kurz. Wer jetzt nicht viel zu tun hat, fängt auch nichts Neues mehr an.

Den gestern beschriebenen Rat mit der anderen Tierart wendete ich gleich heute an, als ich auf dem Rückweg vom Werk auf dem Weihnachtsmarkt an einem Warmgetränk labte. Eindeutig einer anderen Spezies zugehörig war jener Jugendliche in Hörweite, der seinen Artgenossen in arttypischem, mit zahlreichen Sch-Lauten durchsetztem Rapper-Idioten-Slang mitteilte, seine Mutter habe ihm aufgetragen, um achtzehn Uhr zu Hause zu sein. Das war fast so drollig wie balgende Babyschildkröten. Gedanke: Was, wenn ich derjenige bin, der einer anderen Art angehört, der einzige, letzte? Da ich keine Vermehrungsabsichten in mir trage, wäre das auch in Ordnung.

So sehr sie auch alle „Last Christmas“ schmähen – viel schlimmer finde ich „Feliz Navidad“.

„Jetzt werden die Tage wieder länger“ ist vielfach zu hören und lesen. Bezichtigen Sie mich gerne der Klugschei Besserwisserei, jedenfalls werden die Tage keineswegs länger. Dem Himmel sei Dank, möchte ich hinzufügen.

Abends begleitete ich den Geliebten in ein Brillengeschäft. Während die freundliche junge Dame die Auftragsdaten aufnahm, hier maß, dort peilte, sah ich auf das Namensschild an ihrem Pullover, das sie als „Augenoptikerin“ auswies und mich zu der unausgesprochenen Frage veranlasste, welche Arten von Optikern es sonst noch gibt.

Geht doch.

Freitag: Da ab Mittag Regen angekündigt war, fuhr ich nicht mit dem Fahrrad ins Werk, sondern ging bei leichtem Niesel zu Fuß. Nur wenige Menschen sah ich auf dem Weg, anscheinend sind schon viele im Weihnachtsurlaub. Kurz vor Ankunft fragte ich mich, warum ich nicht ebenfalls bereits heute frei genommen hatte. Wichtige Aufgaben standen nicht mehr an, das Gleitzeitkonto war ausreichend gefüllt. Zu spät.

Auch im Mutterhaus augenscheinlich nur wenig Tätigkeit

Da zum Zeitpunkt des erfreulich frühen Feierabends (oder eher: Feiermittags) verlässlich der angekündigte Regen fiel, fuhr ich mit der Bahn nach Hause. Darin erlebte ich eine weitere interessante Spezies: Eine ältere Frau saß alleine in einer Vierersitzgruppe zum Gang hin, den Fensterplatz neben sich belegt mit Rucksack und Regenschirm, am Haken über dem freien Fensterplatz gegenüber hing ein Mantel. Die Dame selbst hatte raumeinnehmend die Beine übereinander geschlagen, somit schaffte sie es, vier Sitzplätze in Beschlag zu nehmen. Damit war sie bei mir richtig. Gegen den Fuß des überschlagenen Beines stoßend setzte ich mich ohne Entschuldigungsgesuch auf den Fensterplatz unter dem Mantel, was mit einen missbilligen Blick der Besitzerin quittiert wurde, zumal die Berührung des Mantels mit meinem Kopfe nicht zu vermeiden und dies zu vermeiden auch nicht von mir beabsichtigt war. Kurz vor Erreichen der Haltestelle Hauptbahnhof, wo ich auszusteigen beabsichtigte, fragte sie, ob sie an ihren Mantel dürfe, sie wollte hier also auch raus. Erst nachdem ich mich vom Platz erhoben hatte, die Dame hinter mir, bemerkte ich, dass die nächste Wagentür sich wegen einer Störung nicht öffnete, so ging ich weiter bis zur nächsten. Da diese bereits geöffnet war und durch sie Leute den Wagen betraten, kam ich nur langsam voran. Das wiederum veranlasste die Dame hinter mir, gegen meinen Rücken zu drücken. Auf meinen mit der Situation angemessener Freundlichkeit vorgetragenen Hinweis, es ginge nicht schneller, wenn sie mich anzuschieben versuche, antwortete sie: Doch, doch. Auf eine weitere Erörterung verzichtete ich.

Samstag: Wie in der Zeitung zu lesen war, wird das Weihnachtsfest im häuslich-privaten Familienkreis mit Geschenken erst seit Anfang des neunzehnten Jahrhunderts in dieser Form begangen, nachdem ein gewisser Friedrich Schleiermacher es so in einem Buch beschrieben hatte. Zuvor ging man nur zum Mitternachts-Gottesdienst uns saß anschließend betrunken im Wirtshaus. – Noch drei Tage. (Bitte denken Sie sich hier ein tiefes Seufzen.)

Ins Wirtshaus ging ich mittags auch, zu einem vorweihnachtlichen Umtrunk mit lieben Nachbarn. Die Idee, dort bei Eifeler Landbier sitzen zu bleiben bis Weihnachten vorbei ist, war verlockend, indes nicht zu verwirklichen a) wegen familiärer Verpflichtungen und b) weil um vierzehn Uhr geschlossen wurde. Immer wieder faszinierend: Der Weihnachtsmarkt, bis gestern Abend noch gut besucht, war bis auf ein paar Tannenzweige vollständig verschwunden, als wäre nichts gewesen.

»Der Mensch bleibt in sich gefangen. Gerade zu Weihnachten« schreibt Kurt Kister in seiner Wochenkolumne.

Sonntag: Aufgrund vorgenannter Pflichten finde ich hier heute nur wenig Gelegenheit zur Niederschrift. Gegebenenfalls Berichtenswertes wird kommende Woche nachgereicht, ich bitte um Verständnis. Jedenfalls: Allen Leserinnen und Lesern wünsche ich schöne Weihnachten, wie auch immer Sie dazu stehen!

***

Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche, einen frohen Weihnachtsrest und einen guten Start in ein hoffentlich erfreulicheres Jahr.

Woche 50/2022: Alkoholzufuhr im Kollegenkreis und komische Vögel

Montag: »Wen beneidest du?« lautet die Tagesfrage von WordPress. Niemanden, jedenfalls nicht als Ganzes. Es gibt einige Einzelattribute, die ich anderen neiden könnte, vielleicht weil sie besser schreiben oder mehr Haare auf der Brust haben. Doch hat auch der Schönste, Reichste, Erfolgreichste, Wasauchimmerste seine eigenen Probleme, auf die ich gerne verzichte. So wie es ist bin ich sehr zufrieden, gerne darf es vorläufig so bleiben.

Nicht Neid, eher ein gewisses Erstaunen empfand ich für den Radfahrer, der mittags mit hoher Geschwindigkeit durch den Park fuhr, dabei freihändig eine Jacke vom Gepäckträger nahm und sie während der Fahrt anzog. Ich gebe zu: Wäre er dabei vom Weg abgekommen und in den Teich gestürzt, hätte ich ein Zucken der Mundwinkel nicht ganz unterdrücken können.

Was anderes: Fast zwei Drittel der Arbeitnehmer, die über Weihnachten Urlaub haben, werden für ihren Arbeitgeber dennoch erreichbar sein, davon wiederum über siebzig Prozent aus eigenem Antrieb, berichtet die Zeitung. Auch das erzeugt Erstaunen, mit einer kräftigen Beimischung von bedauerndem Unverständnis. Ein Kommentar dazu endet mit dem wunderbaren Satz »Das Nützliche vom Unnützen zu trennen, ist schwierig, aber notwendig.«

Dienstag: Wie im Radio zu hören war, plant man in Essen, kleine Waldflächen anzulegen, bevorzugt bepflanzt mit heimischen Hölzern. Diese Haine sollen „Tiny Forest“ heißen. Warum nur werden grundsätzlich gute Ideen immer wieder durch zwangsenglische Bezeichnungen der Lächerlichkeit preisgegeben?

Wo Bäume sind, fällt Laub. Dieses zu beseitigen schuf der HERR (oder eher Luzifer) den Laubbläser, dessen Klang auch heute Mittag auf dem Weg aus der Kantine in mein Ohr drang. So lange es noch genug Benzin für Laubbläser gibt, müssen wir uns um die Energieversorgung nicht sorgen.

Abends sah ich in der Stadt den Weihnachtsmann. Augenscheinlich hatte er Feierabend, denn er stand, ohne Mütze und Bart, mit drei anderen Männern in der Runde, vor sich eine große Tragetasche, eine Zigarette rauchend. Hoffentlich wurden nicht allzu viele Kinder durch dessen Anblick desillusioniert oder gar traumatisiert.

Mittwoch: Es ist weiterhin kalt. Warum auch nicht Mitte Dezember. Das Schreibtischthermometer zeigte morgens siebzehn Grad an, wie jeden Morgen bei Ankunft (außer Montag, da waren es sechzehn), im Laufe des Tages kam es nicht über achtzehn hinaus. Ich beklage das nicht, dank dienstlich zur Verfügung gestellter Fleecejacke ist es erträglich. Frieren für den Frieden. Allemal besser als Heimarbeit. Vormittags begann es zu schneien bis in den späten Nachmittag hinein, daher wurde die Rückfahrt mit dem Fahrrad interessant, jedoch unproblematisch, da der Radweg am Rhein geräumt war, wodurch er noch mehr Fußgänger anzog als sonst. Was soll ich mich darüber immer wieder aufregen? Menschen sind so. Nur meine Fingerkuppen schmerzten vor Kälte. Die derzeit benutzten Handschuhe sind für Radfahrten bei Minustemperaturen nur bedingt geeignet.

Mittags im Park

Donnerstag: Gelungenes Marketing zeichnet sich aus durch originelle, eingängige Werbeaussagen und Produktnamen, die dem Konsumenten im Idealfall jahrelang im Gedächtnis bleiben, denken Sie etwa an „Advocard ist Anwalts Liebling“ oder „Ariel wäscht nicht sauber, sondern rein“. (Oder war es Persil? Oder Weißer Riese? Frosch jedenfalls nicht. Egal.) Das gelingt mal besser, mal nicht so gut. Eher der zweiten Kategorie zugehörig ist die Namensgebung für die weihnachtliche Konfektmischung eines bekannten Bonner Süßwarenherstellers, die unter der Bezeichnung „Merry Mixmas“ gehandelt wird.

Morgens auf dem Weg ins Werk

Freitag: Da ich mich als eher kältescheu bezeichnen würde, beschloss ich morgens, mit der Stadtbahn ins Werk zu fahren. Das war gar nicht so einfach. Zunächst kam keine Bahn, dann gleich drei direkt nacheinander. Da Zug eins erwartungsgemäß voll war, ließ ich ihn fahren und stieg in den folgenden. Der Beförderungsfall währte nicht lange, bereits an der nächsten Haltestelle Hauptbahnhof hieß es „Zug defekt, bitte aussteigen, der nächste Zug folgt direkt am Bahnsteig gegenüber“. Das tat er auch, und also fuhr ich mit Zug drei ins Werk, wo ich schließlich fast fünfzig Minuten nach Verlassen des Hauses ankam. Zu Fuß hätte es kaum länger gedauert. Immerhin war die Bahn geheizt, auch hier das Positive sehen.

Nachmittags ging ich zu Fuß zurück. Da am Abend noch Alkoholzufuhr im Kollegenkreis bevorstand, ausnahmsweise ohne Zwischenhalt an der Glühweinbude am Rheinpavillon.

Wirklich jede Freude wollen sie uns vergällen.

Wir bleiben noch etwas beim öffentlichen Nahverkehr. Den Leserbrief der Woche schrieb Frau Dorothea G. May an den General-Anzeiger. Darin beklagt sie, dass sie am Sonntag auf dem Weg zum Gottesdienst vergeblich auf den Bus gewartet hätte, weil der seit dem Fahrplanwechsel nur noch stündlich fährt. Sie vermisse hier den „Aufschrei der Kirchen“. Gegen wen oder was soll sich der heilige Zorn richten? Vielleicht gegen das Versäumnis der Schäflein, sich über die Bus-Abfahrtzeiten zu informieren.

Samstag: Morgens wurde ich übler Knoblauch-Ausdünstungen bezichtigt, eine direkte Folge des Abteilungs-Weihnachtsessens am Vorabend in einer spanischen Gaststätte. Aufgrund einer weiteren Folge dieser Zusammenkunft verzichtete ich mittags nach den üblichen Samstagserledigungen in der menschengefüllten Innenstadt auf den Besuch der Weinbar meines Vertrauens und ging ein wenig am Rhein spazieren, wo mich der Anblick zahlreicher Wasservögel an und in den eisigen Fluten schaudern ließ. Besonders, als ein schwarzer Vogel (vielleicht ein Kormoran, ich bin ornithologisch nicht sehr bewandert), der auf dem Wasser schwamm, erst den Kopf unter Wasser steckte und kurz darauf komplett abtauchte. Für mich ein Wunder der Natur, dass die das überleben und nicht erfrieren, augenscheinlich gar so etwas wie Freude an ihrem Tun empfinden. Letzteres gilt natürlich auch außerhalb des Tierreiches – man wundert sich oft, an welchen Dingen andere Freude haben, wobei es mir fern liegt, Fußball für ein Naturwunder zu halten.

Gelesen: »Dabei wird gern vergessen, dass womöglich erst das Siezen einer Beleidigung eine gewisse Bedeutung geben kann. […] Es ist ein allzu schlichtes Weltbild, das sich da abzeichnet: Weil man sich duzt, haben sich alle schrecklich lieb, wird alles hierarchiefrei, vertrauter und besser«, schreibt Ulrich Bumann in seiner lesenswerten Kolumne im General-Anzeiger zum allüberall grassierenden Duz-Zwang.

Sonntag: Seltsames Vogelverhalten beobachtete ich auch während des Spazierganges in der Bonner Innenstadt, wo mehrere Möwen etwas vom Gehweg aufpickten, das sich bei näherer Betrachtung als eine gerade an Wochenenden auf innenstädischen Gehwegen nicht selten vorzufindende menschliche Hinterlassenschaft erwies, ich möchte das mit Rücksicht auf empfindsame Gemüter nicht weiter ausführen. Immerhin: In der Natur kommt nichts um.

Weiterhin ungeklärt sind Herkunft und Sinn dieser komischen Vögel, die in unterschiedlichen Größen und Farben zahlreich im Bonner Stadtgebiet vorzufinden sind.

In der Rheinaue vor Schwarzrheindorf

Dem unvergesslichen Verkehrsminister A. Scheuer (CSU) verdanken wir diese innovativen Fortbewegungsmittel, die als Teil der dringend notwendigen Verkehrswende nicht mehr wegzudenken sind.

Während der Bearbeitung vorstehender Zeilen führe ich mir mehrere Scheiben eines Marzipanbrotes zu Gemüte, das mir der Liebste mitgebracht hat. »Mindestens haltbar bis: 23.05.2023« steht auf der Verpackung. Ganz sicher nicht.

Bei Redaktionsschluss am Sonntagnachmittag lassen die Wetteraussichten für die Nacht und morgen früh Glatteis erwarten. Das wäre selbst für mich ein Grund zur Heimarbeit, auch wenn ich sie nicht mag. Geht jedoch nicht, da sich mein Rechner im Büro befindet. Ich muss also morgen ins Werk, wie auch immer. Zu Fuß und Fahrrad scheiden wohl aus, die Stadtbahn zeichnet sich in letzter Zeit durch erhebliche Unzuverlässigkeit aus. Es könnte interessant werden.

***

Ich wünsche Ihnen eine angenehme Vorweihnachtswoche. Kommen Sie nicht ins Rutschen, lassen Sie sich nicht hetzen und vergessen Sie nicht, das Unnütze vom Nützlichen zu trennen.

Woche 49/2022: Einigermaßen wunschlos glücklich

Montag: Vergangene Nacht träumte ich bunt in zahlreichen, häufig wechselnden Szenen. Wie wenn man durch die verschiedenen Fernsehsender zappt, nur eben nicht selbst sondern durch fremde Hand, man gleichsam gezappt wird. (Im Englischen bedeutet to zap übrigens abknallen oder jemandem eine vor den Latz knallen; da ich das nicht wusste, habe ich es eben kurz nachgeschaut. Weiß der Himmel, wie es dazu kam, dass dieses Wort im Deutschen für das sinnlose Durchschalten durch die Fernsehsender benutzt wird.) Eine Traumszene ist mir erinnerlich geblieben, obwohl sie vermutlich genauso wenig Sinn ergab wie die vergessenen: In einer Abteilungsbesprechung präsentierte ein junger Kollege mithilfe einer umfangreichen Powerpointpräsentation eine absolute Marginalie als die große, von ihm erdachte Innovation, wofür er von allen Anwesenden ebenso umfangreich gelobt wurde. Dass die gelobte Marginalie keineswegs neu war, wusste nur ich, behielt es aber für mich. Nach der Besprechung nahm mich die neue Chefin, die äußerlich große Ähnlichkeit aufwies mit der amtierenden Entwicklungsministerin, deren Name mir momentan entfallen ist, beiseite und teilte mir mit, sie würde sich freuen, auch von mir mal derartiges präsentiert zu bekommen. Danach gingen wir, die Chefin und ich, durch die Fußgängerzone, bis ich sie schließlich im Gewühl verlor. Mehr weiß ich nicht mehr. Reicht auch.

Kein Traum, sondern Realität: In der Nacht hatte es geschneit. Stellenweise blieb der Schnee bis in den frühen Nachmittag liegen, was für Bonn und das südliche Rheinland ungewöhnlich ist.

Mittags bei nur kurzem Gang durch den Park

Im Büro ist es mit maximal neunzehn Grad weiterhin nicht warm, dank zusätzlicher Fleecejacke indes erträglich. Nachmittags fiel mir während der Zubereitung eines Tees ein Reim über Weihnachtsunlust ein. Leider versäumte ich es anschließend, ihn zu notieren, daher ist er mir entfallen. Sollte er mir wieder einfallen, werden Sie die ersten sein, die ihn lesen.

Abends aßen wir bei ortsüblichem Regen Brat- und Currywurst auf dem Weihnachtsmarkt. Dabei wurde mir fast mein Schlüsselbund geklaut, jedenfalls vermisste ich es auf dem Rückweg in der Jackentasche. Ich hatte es aber nur zu Hause vergessen, wo es nach Rückkehr an seinem angestammten Haken hing. Die sich bei solchen Gelegenheiten einstellende Erleichterung ist ungefähr so angenehm wie der Moment, wenn der Schmerz nachlässt, nachdem man sich den Kopf gestoßen hat. Oder eine vor den Latz geknallt bekommen hat. Oder einen Tritt in die Marginalien.

Dienstag: Nikolaustag. Ich wurde beschenkt und etwas beschämt. Seit Jahren versuche ich meine Lieben davon zu überzeugen, uns zu Weihnachten nichts mehr zu schenken, weil wir alles haben und nichts brauchen. Ich gebe zu, das ist ein wenig vorgeschoben. Die Wahrheit ist: Mir fehlen die Ideen und ich bin etwas bequem, darüber nachzudenken, a) was ich schenken kann, worüber sie sich wirklich freuen, also keine Unterhosen oder Staubsaugerbeutel, und b) was ich mir selbst wünschen soll; in materieller Hinsicht und auch sonst bin ich einigermaßen wunschlos glücklich. Heute früh nun bog sich die Küchentischplatte fast vor Nikolausgaben, wohingegen ich mit leeren Händen auftrat. Ohne jede Frage freue ich mich über jedes einzelne davon, und doch frage ich mich: Wohin soll das führen? Ich habe mit jedenfalls fest vorgenommen, nicht einzusteigen in dieses Geschenkewettrüsten. Daher, meine Lieben, erwartet bitte auch im kommenden Jahr von mir nichts zu Nikolaus, bitte nehmt es mir nicht übel. Ich mag euch auch ohne Geschenke. Sehr sogar. Mal mehr, mal noch mehr; und nur ganz selten etwas weniger.

Der heutige Inhalt des Werks-Adventskalenders. Wenig überraschend, jedoch nicht zu beanstanden. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung ist er längst entkleidet und verzehrt.

Durch ein von mir geschätztes und regelmäßig gelesenes Blog wurde ich aufmerksam auf einen anderen Blogtext, den ich heute mit Interesse und gelegentlichem Kopfnicken las. Bis zu dieser Stelle: »… noch vor wenigen Jahren wären weite Teile der Bevölkerung fein damit gewesen, …« – Ab „fein … gewesen“ musste ich die Lektüre leider abbrechen. Schade.

Schon wieder las ich entgegen jeder Gewohnheit im Sportteil der Zeitung und fand dieses:

(General-Anzeiger Bonn)

Mittwoch: Zu den Unarten der Bürokommunikation zähle ich, mir einen langen Mailverlauf weiterzuleiten mit der lapidaren Frage, ob ich helfen könnte, voraussetzend, ich würde mir den ganzen Verlauf durchlesen, um zu verstehen, um was es überhaupt geht, anstatt das Anliegen kurz zusammenzufassen. Weiterhin schätze ich es nicht, das erwähnte ich schon, wenn man mich spontan und unvorbereitet in eine Teams-Besprechung hineinzieht und ebenso spontan von mir eine fundierte Auskunft erwartet.

Beides widerfuhr mir heute Morgen bereits vor neun Uhr, also zu einer Zeit, in der meine Bereitschaft zu verbaler Kommunikation gering ist. Im ersten Fall schrieb ich ebenso lapidar zurück „Um was geht es?“, woraufhin die Fragestellerin umgehend anrief und mir erklärte, das stünde doch weiter unten. Nach einer angemessenen Unmutsäußerung meinerseits konnte ich dann, um Freundlichkeit bemüht, helfen. Spontane Besprechungsnötigungen hingegen ignoriere ich grundsätzlich, es sei denn, es ist der Chef oder es könnte wichtig sein, wobei Chefanliegen selbstverständlich immer wichtig sind. Heute vermutete ich aufgrund aktueller Ereignisse Wichtigkeit und nahm das Gespräch an. Es stellte sich dann als völlig unwichtig und durch einfache Weiterleitung einer (kurzen) Mail wesentlich effizienter zu lösen heraus, was mich zu einer weiteren Unmutsäußerung veranlasste.

Nachmittags nahm ich an einem Workshop mit persönlicher Anwesenheit teil. Weitere Teilnehmer waren unter anderen ein Lead Solution Engineer, ein Senior Solution Consultant und eine Senior Strategic Account Executive, deren Wortschatz ebenfalls jede Menge bedeutend scheinender englischer Begriffe enthielt. Meine tiefe Abneigung gegen Gruppenarbeit, die ich schon seit der Schulzeit hege, wurde erneut bestätigt. Auch hierüber äußerte ich in der abschließenden Feedback-Runde mein Missfallen.

Dass ich auf der Rückfahrt vom Werk mit dem Fahrrad nass geregnet wurde, wirkte sich indessen kaum negativ auf das Wohlbefinden aus. Spätestens als zum Abendessen Glühwein gereicht wurde war aller Unmut verflogen.

Donnerstag: Bei WordPress, dem Vermieter dieses Blogs, gibt es etwas Neues. Vielleicht ist es auch gar nicht neu, jedenfalls ist es mir erst kürzlich aufgefallen: Eine Frage des Tages, hier „Daily Prompt“ genannt. Das finde ich gut, gerade für Tage, an denen mir nichts einfällt. Die heutige Frage lautet: »Siehst du manchmal wildlebende Tiere?« Ja, natürlich, in des Wortes wahrster Bedeutung. Heute früh auf dem Weg ins Werk wieder. Wobei, da es noch dunkel war, hörte ich sie mehr: Durcheinander keckernde Raben oder Krähen oder beides in den Baumwipfeln gegenüber am Beueler Rheinufer. Immer wieder flogen sie in Formationen über den Fluss und ließen sich im nächsten Baum nieder, wo sie weiter keckerten und krähten. Das war ganz schön wild. Wie schon berichtet sehe ich regelmäßig vom Büro aus Halsbandsittiche und Eichhörnchen, mittags im Park Wildgänse und ab und zu ein Nutria. Wilder wird es selten.

»Post erwägt Zwei-Klassen-Gesellschaft« übertitelt die Zeitung einen kurzen Artikel über die Erwägungen der Post, künftig neben Briefen, die am nächsten Tag ankommen sollen (ja ja ich weiß), solche anzubieten, die gegen ein geringeres Entgelt etwas später im heimischen Briefschlitz landen dürfen; also nichts, was im Zeitalter der überwiegend elektronischen Kommunikation noch Empörung hervorrufen oder gar zu einer gesellschaftlichen Zweiteilung führen sollte. Wieder einmal frage ich mich, was die Journalisten-Azubis heute beigebracht bekommen.

Eine Anzeige für den verkaufsoffenen Sonntag in Bonn ist überschrieben mit »Stöbern, shoppen und schlemmen«, drei Wörter, gegen die ich eine unerklärliche Abneigung hege. „Schlendern“ und „(Eis) schlecken“ fallen auch in diese Kategorie. Schlafen hingegen nicht, und so verabschiede ich mich für heute ins Bett.

Freitag: „Mutti, Mutti, er hat gar nicht gebohrt“ lautete die Kernaussage einer Fernsehreklame für ein Zahnpflegeprodukt in den Siebzigern, die mir erinnerlich geblieben ist. Ob man in fünfzig Jahren noch eine Werbung für ein Mittel gegen Reizüberflutung im Gedärm zitieren wird, darf bezweifelt werden. Nur die Seitenbacher-Reklame wird die Menschen voraussichtlich auch in hundert Jahren noch terrorisieren, vorausgesetzt, es gibt dann noch Reklame und Zielgruppen. Wie kam ich jetzt darauf: Auch mein Zahnarzt hat heute Morgen nicht gebohrt, nur gereinigt und poliert. Somit ist das Kauwerkzeug für die Weihnachtstage gerüstet.

Aus hier nicht näher dargelegten Gründen schaute ich nach Rückkehr aus dem Werk nach Hotels in der näheren Umgebung, verwarf den zugrunde liegenden Gedanken jedoch auf unbestimmte Zeit.

Abends waren wir im Malente-Theater am neuen Standort in Pützchen. Wie immer haben wir gelacht, etwa über dieses: Was steht auf dem Grabstein eines Bäckers? Der Ofen ist aus. Am Ende sangen wir gemeinsam „Last Christmas“. Ein Besuch ist dennoch sehr zu empfehlen.

Samstag: Vor ein oder zwei Wochen berichtete die Tageszeitung über ein Gänseessen, das ein Bonner Karnevalsverein, soweit ich mich erinnere die Beueler Stadtsoldaten, für Obdachlose veranstaltet hatte. Während ich einmal mehr die Frage stelle, warum in einem Land wie unserem überhaupt Menschen auf der Straße leben müssen, äußert sich Frau Dr. Angelika B. hierzu in einem wirklich dummen Leserbrief an den General-Anzeiger, der nach Ausführungen über Gänsewohl und -herkunft so endet: »Ein Festessen auf pflanzlicher Basis könnte für alle – auch für Bonner ohne Zuhause – ein Leckerbissen sein. Vielleicht im nächsten Jahr, der Umwelt und den Gänsen zuliebe.«

Es müssen nicht immer Katzenbabys sein – gesehen heute in einem Tierbedarfshandel in der Bonner Nordstadt

Sonntag: An einem Garagentor sah ich beim Spaziergang einen freundlichen Hinweis an den Nutzer der Remise:

Bemerkenswert daran ist, der Zettel klebte auch schon vor zwei Wochen, als ich dort lang ging. Entweder hat der Adressat die Garage länger nicht benutzt, oder er verfügt über eine beneidenswerte Dickfälligkeit.

***

Kommen Sie gut durch die Woche.

Woche 48/2022: Kulturelle Aneignung, katarische Bademäntel, korrekte Mülltrennung und hochgezogene Buntsocken

Montag: Regen ließ mich am Morgen statt des Fahrrades die Bahn zur Anfahrt ins Werk nutzen, das mache ich seit Seuchenausbruch kaum noch. Nicht, weil ich immer noch fürchtete, mich darin zu infizieren, vielmehr weil ich es zu Rad oder Fuß einfach als viel angenehmer empfinde, trotz zunehmend egoistisch und rücksichtslos agierender Verkehrsteilnehmer, dafür mit Bewegung und ohne Fremdgeschwätz und -gerüche. Da der Regen zum nicht allzu späten Feierabend nachgelassen hatte, ging ich zu Fuß nach Hause, heute ausnahmsweise ohne innere Wärmung durch Rast an der Glühweinbude.

Bleiben wir noch ein wenig bei Innenwärmung: »Die Fußbodenheizung ist der Tod für den Baum«, wird ein Weihnachtsbaumverkäufer in der Zeitung zitiert. Das finde ich bemerkenswert, ging ich doch bis heute davon aus, der Tanne Tod sei Folge der gewaltsamen Trennung von Stamm und Wurzel.

Mittags hörte ich die Bezeichnung „Deppenzepter“ für Selfiestange. Sie kennen das vermutlich längst, ich hörte es heute zum ersten Mal und lachte sehr. An einem Montag auch nicht selbstverständlich.

Für Ende November keineswegs selbstverständlich: Ich habe schon recht konkrete Geschenkideen, sonst bin ich nicht gut im Erdenken von Geschenken. (Beim Duden auf Twitter las ich das schöne Wort „poetisieren“, es bedeutet: etwas dichterisch erfassen und durchdringen.) Was soll es – in einem Monat ist Weihnachten überstanden, alle Schenk- und Besuchspflichten erfüllt. Darauf freue ich mich sehr.

Dienstag: Da mich Fußball nicht interessiert, ich erwähnte es, schaue ich mir kein Spiel an. Auch den Sportteil der Zeitung überblättere ich regelmäßig ungelesen. So war es Zufall, der dort mein müdes Auge an einem Artikel über das WM-Spiel Deutschland gegen Spanien vergangenen Sonntag verweilen ließ. Darin wird berichtet über einen gewissen Sandro Wagner, der sich als Kommentator für das ZDF betätigte und dabei wohl die weißwallenden Kutten der einheimischen männlichen Zuschauer als „katarische Bademäntel“ bezeichnete, was sogleich zu Aufruhr in den elektrischen Hetzwerken führte und das ZDF-Sportstudio zur Ankündigung „Wir werden das besprechen“ veranlasste. Herr Wagner zeigte sich unterdessen reuig. Warum eigentlich? Die Welt ist wirklich sehr humorlos geworden.

Einen sehr speziellen Humor zeigt die Deutsche Bahn, die seit sechs Jahren an einer S-Bahn-Verbindung von Köln nach Bonn-Oberkassel baut. Wie erst jetzt bemerkt wurde, vergaß man bei der Planung offenbar eine Brücke in Troisdorf, die für die Einfädelung der neuen Verbindung benötigt wird. Dadurch wird die künftige S 13, deren Baukosten von den ursprünglich veranschlagten fünfhundert auf mindestens siebenhundertfünfzig Millionen Euro ansteigen wird, nach Fertigstellung nur zwischen Troisdorf und Oberkassel pendeln. Wer also mit der S 13 von Bonn rechtsrheinisch zum Flughafen fahren möchte, muss in Troisdorf umsteigen. So lange, bis die fehlende Brücke geplant und gebaut wurde. Da wir uns in Deutschland befinden und man nie weiß, welche seltenen Lurche, Insekten oder Vögel dadurch gestört werden, kann das ziemlich lange dauern. (Man könnte allerdings auch bereits heute umsteigefrei mit der RB 27 fahren.)

Gelesen hier: »Der Mensch ist mitnichten seinem Mitmenschen ein Wolf — er ist ihm vielmehr ein Huhn: Immer wenn einer sich mal konzentrieren will, läuft ihm ein anderer laut gackernd um den Tisch!« – Kenne ich. Jeden Abend, wenn ich ermattet nach Heimkehr aus dem Werk in Ruhe die Zeitung und Blogs lesen will.

Mittwoch: Aus einem Präsentationstitel: »Verbesserung Usability und Enabler für neue Zielgruppen und Use-Cases« – Ein weiterer Grund, weshalb ich mein Gehalt manchmal auch ein wenig als Schmerzensgeld verstehe. Das gilt auch und besonders für das an Dümmlichkeit kaum zu überbietende Wort „cherrygepickt“, gehört in einer Besprechung am Nachmittag.

Mittags im Rheinauenpark

Immer mehr Führungskräfte unseres Unternehmens gefallen sich darin, Jacken aus dem Sortiment der Unternehmenskleidung zu tragen, die eigentlich vorgesehen ist für die Außendienstmitarbeiter, die täglich an der Front bei den Kunden die teils übertriebenen Gehälter der Chefs erwirtschaften. (Ja ich weiß, meins auch.) Kulturelle Aneignung ohne Empörungspotential.

Donnerstag: Kalter Wind aus Nordost ließ mich auf dem Weg ins Werk und zurück einen kühlen Kopf bewahren. Auch wenn das allgemein als durchaus schicklich gilt, holte ich abends die Mütze aus dem Schrank.

Am frühen Abend fuhren zahlreiche Autos wild hupend durch die Innenstadt. Entweder Teilnehmer einer etwas überdimensionierten türkischen Hochzeit oder irgendwer hat beim Fußball gewonnen, was weiß ich.

Später gewann die deutsche Mannschaft das Spiel und war dennoch raus. Würde ich mich für Fußball interessieren, fände ich das empörend.

Freitag: Morgens im Bad äußerte ich mich in unangemessenem Ton. Das tut mir leid, ich bitte den derart Angesprochenen um Verzeihung. Zu meiner Entlastung führe ich an, es macht mich aggressiv, wenn einer, während ich mir die Zähne putze, obwohl wir über ein zweites WC verfügen, reinkommt, sich hinsetzt und … genug. Da fallen schon mal Wörter, die bei Tisch oder in Besprechungen nur sehr selten fallen.

Während der Fahrt mit dem Rad ins Werk war es kalt, doch kam es mir bei weitem nicht so kalt vor wie aufgrund der Wettervorhersage befürchtet. Mittags auf dem Weg zur Kantine fror ich mehr, obwohl es bis dahin nicht kälter geworden war und das Büro alles andere als überheizt ist. Abend auf der Rückfahrt ging es dann wieder. Um es mit Loriot auszudrücken: Offenbar stimmt mit meinem Gefühl was nicht.

Im Büro habe ich einen Adventskalender, dessen zweites Türchen ich heute öffnete. Wobei er streng genommen keine Türchen hat, sondern vierundzwanzig Pappwürfelchen mit Naschwerk darinnen, das nur am Rande. Ich habe diesen Kalender nicht, weil ich Adventskalender auch für Überfünfzigjährige für notwendig erachtete, vielmehr bekam ich ihn geschenkt, und einem geschenkten Kalender schaut man nicht ins … ich kann mir gerade keinen Reim machen. „Gender“ ergibt keinen Sinn, weder hier noch sonst; das ist ein anderes Thema, ich schweife ab. Die Frage ist: Darf man die Samstags- und Sonntagstürchen beziehungsweise -würfelchen bereits am Freitag öffnen oder erst am Montag? Womöglich bringt der vorzeitige Verzehr Unglück, so wie man ja auch nicht jemandem vor dem Geburtstag gratulieren soll. Oder über Kreuz Hände schütteln, wobei man Händeschütteln ohnehin vermeiden sollte, und das nicht nur zur Virenzeit.

Aus den heute-Nachrichten: Deutschland jammert, weil es keine „Fußballnation“ mehr ist. An der Zugspitze beginnt die Skisaison mit zusammengekratztem Schnee aus dem Vorjahr. Der Bundestag debattiert über die Bestrafung der Klimaaktivisten anstatt deren Anliegen. – Irgendwas läuft schief.

Abends gehört & notiert: „Sind dreihundert Milliliter Wasser dreihundert Gramm?“ – „Ja.“ – „Faszinierend.“

Samstag: Mülltrennung halte ich für sinnvoll und notwendig. Doch gibt es nichts, was sich nicht übertreiben ließe:

Gesehen an einer Essigessenzflasche

In welche Tonne gehören die getrennten Bestandteile jeweils, allesamt aus Kunststoff? Man mag sich fragen: Wer macht sich diese Mühe? Wie kompliziert korrekte Mülltrennung ist, sah ich heute Mittag, als ich Altglas entsorgte, selbstverständlich ordnungsgemäß nach Braun-, Grün- und Weißglas getrennt, was bei manchen Weinflaschen nicht ganz so eindeutig ist, deren Glas ein grün-braunes Grau mit einem Stich ins Ockerbeige aufweist. (Macht man das in anderen Ländern auch? In Frankreich nicht, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, dort gibt es erst seit wenigen Jahren überhaupt Altglascontainer, allerdings ohne Farbtrennung.) Vor dem Grünglascontainer stand eine Flasche aus blauem Glas, was deren Vorbesitzer mangels entsprechender Einwurfmöglichkeit offenbar überfordert hatte. Der trennt vielleicht auch Flasche, Deckel und Etikett und legt sie dann vor die gelbe Tonne.

Nachmittags sah ich einen Wagen der Firma Rohrmann, deren Geschäftszweck die Reinigung von Leitungen ist, wie der Beschriftung des Wagens zu entnehmen war. Welchem Gewerbe sie wohl nachgingen, wenn sie Hamacher* hießen? Vielleicht irgendwas mit Humor beziehungsweise Comedy.

*Liebe M., bitte verzeih mir, dieses eine Mal noch.

Sonntag: Seit Tagen, wenn nicht bereits Wochen lag ein nervstrapazierender Piepton über der Inneren Nordstadt. Nicht so ein „Pip-pip-pip“ wie ein Feuermelder oder ein fertigmeldendes Haushaltsgerät, sondern ein etwas tieferer Dauerton. Zwischendurch brach er immer wieder mal für Stunden oder nur Minuten ab, doch kehrte er stets verlässlich zurück und vergällte den Schlaf bei gekipptem Fenster. Weder die Ursache noch die räumliche Herkunft diese kollektiven Tinnitus konnten ermittelt werden. Seit gestern ist er verschwunden, nachts liegt wieder Stille über der Siedlung, abgesehen von den üblichen und unvermeidlichen Geräuschen, die eine Innenstadt so macht, auch nachts.

Heute wurde es nicht richtig hell. Beim Spaziergang zog Kälte durch die leichten Wollhandschuhe und ließ mich frösteln, dabei waren die Pfützen noch nicht einmal eisbekrustet und der Windsack am Freibad hing schlaf herab. Noch mehr fröstelte ich beim Anblick des Radfahrers, der auf der Nordbrücke in kurzen Hosen an mir vorbeifuhr, immerhin mit hochgezogenen Buntsocken.

Auf der anderen Rheinseite war es auch nicht heller:

Die Auen vor Schwarzrheindorf

Gesträuch bei Beuel

Nur am Beueler Ufer ein Leuchten

***

Kommen Sie gut durch eine Woche voller innerer Wärme.

Woche 47/2022: Mopsfilet im Blätterteigmantel

Montag: Der Werktag begann mit einer Besprechung bereits um acht Uhr und endete mit einer solchen, die bis fast siebzehn Uhr ging. Daran gemessen war die Tageslaune erstaunlich gut.

Für die zahlreichen Rückmeldungen auf meine Betrachtungen der vergangenen Woche danke ich sehr. Wie ich von Frau Christine erfuhr, ist meine geschilderte Abneigung gegen Koriander genetisch bedingt, das war mir bislang nicht bekannt. Für die einen schmeckt er (mutmaßlich) nach Seife, für andere ganz passabel. So ähnlich wie die Sache mit der Spargelpipi, also nicht der Geschmack (das vielleicht auch, bei sehr speziellen Vorlieben, ich möchte das nicht weiter vertiefen), sondern der Geruch, der nur bei bestimmter genetischer Veranlagung der Produzenten entsteht. Oder wahrgenommen wird – wie auch immer.

Gänzlich unbekannt war mir bis heute auch der Name Amalberg, dessen Träger laut Zeitung heute Namenstag haben. Wie immer bin ich zu bequem, zu recherchieren, ob so wirklich jemand heißt, und warum. Klar, weil die Eltern das dem Standesbeamten in die Urkunde diktiert haben. Aber wie kamen sie darauf?

Seit jeher, nicht nur zu Zeiten irgendwelcher Meisterschaften und Ligen, graust es mich, wenn in geschäftlichen Zusammenhängen jemand sagt „Das ist wie beim Fußball“ und dann einen albernen Vergleich zum gerade behandelten Thema zieht. Nicht nur mich:

(Bitte klicken Sie auf das Bild, weiter unten kommt noch was.)

Im Übrigen nahm die Telekom heute die letzten Münzfernsprecher außer Betrieb, womit ein weiteres schönes deutsches Wort demnächst nur noch im Lexikon der ausgestorbenen Wörter zu besichtigen ist. Außerdem ist heute Tag des Fernsehens, hörte ich gerade im Radio. Auch das noch.

Dienstag: Morgens ging ich zu Fuß ins Werk. Beim Gehen kann ich wunderbar über verschiedenes nachdenken. Heute dachte nicht besonders intensiv nach, da es nichts Spezielles zu bedenken gab. Stattdessen erfreute ich mich an dem durchaus angenehmen Ohrwurm, der beim Wecken aus dem Radio in mein Hirn gekrochen war.

Die Flecken sind übrigens keine Verunreinigung des Bildes, was nach Ablösung von Dias durch Digitalbilder ohnehin nur noch selten vorkommt, sondern Kondensstreifen (Mitte) und Vögel (rechts)

Der Rückweg führt am Mutterhaus vorbei durch den nördlichen Ausläufer des Rheinauenparks, ehe man an den Rhein gelangt. Dort, in dem Parkausläufer, ging abends eine Frau einige Meter vor mir her. Hinter einer Wegabzweigung, an der ich rechts abbog zum Rheinufer, sie indes geradeaus weiter gegangen war, blieb sie plötzlich stehen und führte einige Schritte aus, die an Stepptanz erinnerten, freilich ohne das typische Klackediklackediklack, vielmehr ein Scharredischarredischarr, da sie die Tanzschritte auf Kiessand statt auf Parkett vollzog. Vielleicht kam sie gerade von einem Tanzkurs und wollte das soeben Erlernte noch einmal kurz vertiefen. Augenscheinlich hatte sie mich hinter sich nicht bemerkt; wenn man sich unbeobachtet fühlt, tut man ja manchmal merkwürdige Dinge, ich kenne das von mir selbst, ohne das weiter ausführen zu wollen.

Am Rheinufer kam mir ein jüngeres gemischtes Paar eingehakt entgegen. Wenige Meter vor unserer Begegnung griff sie an die ihr abgewandte Wange ihres Begleiters und zog sein Gesicht zu sich hin, um einen Kuss anzufordern und zu bekommen, keinen langen Knutscher Jungverliebter, sondern einen kurzen Wegekuss. Als wollte sie signalisieren, dass sie bereits vergeben ist. Vielleicht hatte sie mich auch durchschaut und wollte mir zu verstehen geben, dass er vergeben ist. Die Welt ist voller Missgunst.

Mir selbst gönnte ich am Rheinpavillon einen Glühwein mit Amaretto, heute in weiß; dazu wurden Spekulatius gereicht.

Im Zwiebelblog las ich erstmals das herrliche Wort „Wortkörperschonung“. Es bezeichnet übrigens nicht eine Ansammlung in Reihe gepflanzter Wortstämmchen, auf dass sie dereinst zu langen Wörtern und ganzen Sätzen heranwachsen.

Mittwoch: In der Zeitung las ich erstmals das Wort Absentismus. Im Netzduden steht als Bedeutung, nachdem man sich der Werbung erwehrt hat: »gewohnheitsmäßiges Fernbleiben vom Arbeitsplatz«. Somit etwas, das als mittelfristiges Lebensziel erstrebenswert erscheint.

Klaus S. aus St. S. nimmt in einem Leserbrief an den Bonner General-Anzeiger daran Anstoß, als Nutzer der öffentlichen Verkehrsmittel nicht mehr als Fahrgast bezeichnet zu werden, sondern als Mitfahrender. »Bin ich als Restaurantgast denn heutzutage auch ein Mitesser?« fragt er am Ende. Nein, lieber Herr S., Mitessender.

Als Fahrradfahrender wurde ich abends auf der Rückfahrt vom Werk nass geregnet, woran ich indes keinen Anstoß nehme. Als praktizierender Absentist wäre mir das nicht passiert.

Am Montag der 42. Woche berichtete ich über die obsolete Operation am rechten Ellenbogen, weil mein Körper die Sache in der Zwischenzeit selbst erledigt hatte. Hierüber erhielt ich heute eine Rechnung der Chirurgischen Praxis über 17,70 Euro. Für knapp zehn Sekunden Anschauen und die Anmerkung „Da haben Sie Glück gehabt“ recht ordentlich.

Donnerstag: Der Radiosender WDR 4 rief heute auf zum „FEIER-DEIN-EINZIGARTIGES-TALENT-TAG“. (Ja, da fehlt ein E, ist mir auch aufgefallen, aber so steht es auf deren Internetseite.) Hörer sollten sich melden und erzählen, was sie besonders gut können. Während des Fußweges ins Werk dachte ich darüber nach, wegen was ich dort anrufen könnte, wenn mir derlei Rundfunkgeschwätz fremder Leute nicht grundsätzlich zuwider wäre. Das Ergebnis meiner Überlegungen war ernüchternd, mir fiel nichts ein. Es mag ein paar Dinge geben, die ich ganz gut kann, etwa Rechtschreibung einschließlich korrekter Verwendung von -s, -ss und -ß, mir per Mnemotechnik meine Kreditkartennummer merken oder den Zauberwürfel entzaubern; auch in beruflicher Hinsicht zeigten sich meine Chefs bislang zufrieden mit meinen Leistungen. Doch findet sich nichts darunter, das besonders hervorsticht, eher ist in allem, was ich tue, Mittelmaß meine Richtschnur. Sollte ich indessen meine Inkompetenzen aufzählen, fiele mir spontan vieles ein, zum Beispiel Autofahren, Trompete spielen oder Kinder hüten. Daher hat dieser Talentfeiertag für mich eine Relevanz wie Mariä Lichtmess oder Bundesligafinale.

Morgens gesehen an einem städtischen Laubsammelwagen

„Wir hatten einen smoothen Hochlauf“ hörte ich in einer Besprechung und nahm es auf in die Liste, die bei der Gelegenheit aktualisiert wurde und mittlerweile über fünfhundert Einträge enthält. Vielleicht zählt das auch als Talent.

Freitag: „Wie gehts dir“, wurde ich gefragt. Nun: Während andere vor Hunger und Kummer nicht in den Schlaf kommen, ist an manchen Tagen meine größte Sorge, was ich heute ins Blog schreiben soll. Ich glaube, es geht mir ganz gut.

Auf dem Bonner Weihnachtsmarkt gibt es jetzt eine Hundebäckerei. Liebhaber von Mopsfilet im Blätterteigmantel muss ich allerdings enttäuschen: Es ist nur Gebäck für des Menschen besten Freund im Angebot. Vielleicht Pansenplätzchen, ich habe mangels Haustier nicht genauer geschaut.

Samstag: Wie die Zeitung mehrspaltig berichtet, ist man in Wachtberg-Ließem empört, weil auf einem Straßenabschnitt wegen Asphaltmängeln die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf dreißig Stundenkilometer reduziert wurde und die Polizei deren Einhaltung zu allem Übel nun auch noch kontrolliert hat, wobei jeder fünfte Wagen zu schnell fuhr. Der Ließemer Ortsvorsteher zeigt sich befremdet: Zahlreiche „abgezockte“ Bürger hätten sich bereits bei ihm gemeldet und „absolutes Unverständnis für die Maßnahme“ geäußert. Nicht empörend, vielmehr verwunderlich finde ich, wie breit die Zeitung darüber berichtet und dabei gewisses Verständnis für die Zuschnellfahrer durchklingen lässt. Der Artikel endet mit dem Satz »Das städtische Presseamt beantwortete am Freitag eine Anfrage zur Ließemer Straße bis Redaktionsschluss nicht.« Warum sollte es auch.

Sonntag: Wieder eine Woche beendet ohne nennenswerte Imponderabilien.

Beendet habe ich auch die Lektüre des Buchs „Von der Nutzlosigkeit erwachsen zu werden“ von Georg Heinzen und Uwe Koch aus dem Jahre 1985, das ich vor längerer Zeit einem öffentlichen Bücherschrank entnahm. Dabei handelt es sich nicht um einen Ratgeber im Sinne von „Auch im fortgeschrittenen Alter jung bleiben“, vielmehr ist es ein Roman und beginnt so:

»Ich bin nicht Lokomotivführer geworden. Alles ist anders gekommen, als ich gedacht habe. Ich bin auch nicht Präsident geworden oder Urwalddoktor, nicht einmal Studienrat. Eigentlich bin ich gar nichts geworden.

Ich bin nicht Vater, nicht Ehemann, nicht ADAC-Mitglied. Ich habe keinen festen Beruf und kein richtiges Hobby. Mir fehlt alles, was einen Erwachsenen ausmacht, die Aufgaben, die Pflichten, die Belohnungen. Ich bin kein Vorgesetzter und keine Autoritätsperson, ich habe keinen Dispositionskredit und trage keinerlei Unterhaltslasten, außer für mich selbst.«

Nach längerer Zeit mal wieder ein Buch, bei dem ich bedauerte, dass es zu Ende war. Es kommt vorläufig nicht zurück in den öffentlichen Bücherschrank.

***

Kommen Sie gut durch die neue Woche, auch wenn die deutsche Mannschaft bei der Fußballweltmeisterschaft ausgeschieden ist. (Zum Zeitpunkt dieser Niederschrift, 17:30 Uhr, steht das Spiel noch bevor. Ich werde es mir nicht anschauen, so wie ich mir niemals Fußballspiele anschaue, egal wo und warum sie stattfinden, weil mich Fußball nicht interessiert. Das soll mich nicht daran hindern, einen Tipp abzugeben.)

Woche 46/2022: Wenn man sich wohlfühlt und Schweinefutterzusatzstoff als Zufluchtsort

Montag: Gewundert, mal wieder, über Kollegen, die ohne Not sonntags Mails schreiben.

Nach Feierabend suchte ich ein namhaftes Kaufhaus in der Bonner Innenstadt auf. Dort ist nun ein Teil der Rolltreppen außer Betrieb genommen worden, zur Energieersparnis, wie große, direkt vor den stehenden Treppen angebrachte Tafeln verkünden. Deswegen sind die stehenden Stufen nicht zugänglich, die Treppen somit auch als Nichtrolltreppen unbenutzbar. Stattdessen ist der Konsument, je nachdem, von welcher Seite er kommt, genötigt, nach Ankunft in der nächsten Etage eine Runde durch die Abteilung zu gehen, um per noch rollender Treppe ins nächste Stockwerk zu gelangen. Als Gernegeher beanstande ich das nicht, vielmehr frage ich mich, warum man überhaupt nur per Rolltreppe ins nächste Stockwerk gelangt, warum gibt es nicht auch ganz normale Treppen? Vermutlich gibt es die, irgendwo versteckt, wo man sie nicht auf Anhieb findet. Ich bin der Meinung, für Menschen ohne körperliche Einschränkungen oder unhandliche Traglasten gibt es keinen vernünftigen Grund, überhaupt eine Rolltreppe zu benutzen; Aufzüge erst ab fünf Stockwerken.

Dienstag: Erstmals kam es zu einem persönlichen Treffen mit Leuten eines IT-Dienstleisters, mit denen ich seit fast zwei Jahren gut und gerne zusammenarbeite und die ich bislang zwar regelmäßig, aber nur virtuell traf, und von denen ich zumindest teilweise nicht einmal wusste, wie sie aussehen, da sich kamerabegleitete Teams-Besprechungen bei uns erst langsam durchzusetzen beginnen, was ich bislang nicht vermisste. Das persönliche Treffen war sehr angenehm, wenngleich mir dabei deutlich wurde, wie wenig ich auch größere nicht-virtuelle Besprechungsrunden, bis März 2020 alltäglich, vermiss(t)e.

Abends aßen wir gemeinsam in einem vietnamesischen Restaurant, in dem ich bislang nicht gewesen war und das aufzusuchen ich mich ohne diese Einladung so bald auch nicht veranlasst gesehen hätte, manchmal hat man unerklärliche Vorbehalte gegenüber Unbekanntem. Das Essen war sehr gut, nicht zuletzt auch wegen der auf meinen Wunsch hin unterlassenen Korianderbeigabe. Mir ist völlig unerklärlich, wie man Koriander mögen kann. Ähnlich muss es schmecken, wenn man sich Seife über das Essen raspelt.

Mittwoch: Donald Trump hat (auf seinem Anwesen, wie berichtet wird) verkündet, demnächst wieder als Präsidentschaftskandidat antreten zu beabsichtigen. Als ob die Welt gerade nicht genug Krisen zu verkraften hätte.

Auf dem Rückweg zu Fuß vom Werk schnappte ich Gesprächsfetzen auf: „Das ist schon ganz nice“ und „Da hat man dann seinen eigenen space.“ Vielleicht ist das der Grund, warum junge Menschen heute kaum noch ohne Kopfhörer in der Öffentlichkeit anzutreffen sind, womöglich mögen sie den Unfug, den ihre Altersgenossen so von sich geben, einfach nicht hören. Beziehungsweise Altersgenossinnen, in diesem Falle war beides gesprochen von jungen Frauen. Sicher Zufall, es liegt mir fern, anzunehmen oder gar zu unterstellen, vor allem junge Frauen redeten dummes Zeug. Auch dieser Satz kam von einer jungen Frau: „Ich glaube, man bringt die beste Leistung, wenn man sich wohlfühlt.“ Wer wollte dem widersprechen.

Apropos wohlfühlen: Die Glühweinbude am Rheinpavillon hat nun wieder abends geöffnet. Das ist sehr erfreulich.

Besonders nice mit einem Hauch Amaretto

Nach Rückkehr musste ich mir von meinen Lieben anhören, ich röche wie ein Weihnachtsmarkt. Das war es wert.

Donnerstag: Heute legte ich mal wieder einen Inseltag ein, also einen anlasslos freien Tag zwischendurch. Warum ich diese Tage nicht auf einen Freitag oder Montag lege, werde ich gelegentlich gefragt. Nun: Ich mag diese Inseln im Fluss der Werktätigkeit. Die Arbeitswoche bis Mittwoch ist dadurch angenehm kurz, und am Freitag naht das Wochenende. Wohingegen sich die Rückkehr nach einem verlängerten Wochenende oft besonders mühsam anlässt. Darum Inseltage. Diesen nutzte ich für eine Wanderung durch die Wahner Heide südöstlich von Köln, die schon länger im Geplant-Ordner bei Komoot angelegt war. Das Wetter zeigte sich gnädig, nur ein paar wenige Regentropfen verlangten für kurze Zeit nach einer Kapuze, ansonsten blieb es trocken und mild.

Sehen Sie:

Bei Rösrath, kurz nach Betreten der Heide

Ebenfalls bei Rösrath

Vor Altenrath

Hinter Altenrath

Bei Lohmar

Vor Troisdorf. Im Vordergrund etwas verblühte Heide, also das namensgebende Kraut.

Während der Bahnfahrt nach Köln hörte ich eine Frau zu ihrem Begleiter sagen: „Ich finde das echt schwer, den Überblick zu behalten mit dem ganzen ab den Sechzigerjahren.“ Ich habe nicht genau mitbekommen, um was es ging; als 1967 Geborener stimme ich ihr jedenfalls uneingeschränkt zu.

Freitag: Manchmal, wenn ich Präsentationen anderer Bereiche sehe, bin ich froh, mit welchen Themen ich mich nicht beschäftigen muss.

Heute eröffnete der Bonner Weihnachtsmarkt. Unser Besuch am Abend fühlte sich unwirklich an, was nicht nur an den Männern in kurzen Hosen lag, die ich dort sah. Wie in besseren Zeiten strömten Menschen in großer Zahl durch die Budengassen und labten sich an Bratwurst, Backfisch und Warmgetränken. Erstmals wieder ohne Corona-Beschränkungen wie Masken, Impf-/Testnachweis und Abstände, als wäre es vorbei. Ich kritisiere das nicht, auch für mich hat die Seuche mittlerweile ihre Bedrohlichkeit weitgehend eingebüßt. Wenngleich mir bewusst ist, dass ich mich jederzeit erneut infizieren kann, nächstes Mal vielleicht mit langfristigen Folgen. Doch scheint mir die Gefahr zurzeit nicht größer, als während der Radfahrt ins Werk von einem Auto angefahren zu werden oder, wenn ich zu Fuß gehe, von einem irren Radfahrer, der während des Rasens durch die Fußgängerzone seine Aufmerksamkeit statt dem Fahrweg lieber dem Datengerät widmet.

Ist das wirklich so schwer?

Samstag: Im Rheinauenpark, durch den ich gelegentlich nach dem Mittagessen eine kleine Runde drehe, fand heute ein „Trauermarsch für die Nutrias“ statt, steht in der Zeitung. Damit will eine Initiative gegen das Abschießen der Tiere protestieren, die sich dort in den letzten Jahren mangels natürlicher Feinden stark vermehren und zunehmend aggressiv-futterfordernd gegenüber Parkbesuchern auftreten, wie mir meine Kollegin aus eigener Erfahrung bestätigte. Statt letaler Entnahme solle man sie sterilisieren, so die Forderung der Trauernden. Wie schön, wenn man keine anderen Probleme hat.

Ich werde alt. Das wurde mir mittags wieder auf dem Weihnachtsmarkt deutlich, wo ich einen bestimmten Stand suchte, den wir am Vorabend gesehen hatten, um auf Geheiß des Geliebten Trinkgefäße zu kaufen. Erst nach mehreren erfolglosen Runden über den Münsterplatz, wo ich mich mit den bereits um diese Tageszeit zahlreichen Besuchern im Tempo eines Gletschers durch die Gänge treiben ließ, fiel mir ein, dass sich der Stand in der Vivatsgasse befindet, wo ich ihn – immerhin – sofort fand und die Bierkrüge erstand.

Zahlreich auch die Kraniche, die nachmittags auf dem Weg Richtung Süden über das Haus zogen.

Nur eine von mehreren Formationen

Sonntag: Über Twitter wollte ich eigentlich nichts mehr schreiben. Einmal noch: Viele beklagen nun dessen Übernahme durch Elon Musk, der dort seitdem wütet und alles aus den Angeln zu heben im Begriff ist. Sie sehen sich dadurch aus ihrer digitalen Heimat vertrieben und beabsichtigen, Twitter zu verlassen oder haben es bereits getan. Als Zufluchtsort wird Mastodon genannt, was für mich weiterhin wie ein Schweinefutterzusatzstoff klingt.

Auch ich fühlte mich einst bei Twitter sehr wohl. Zehn Jahre lang, von 2009 bis 2019, betrieb ich dort einigermaßen – nun ja: erfolgreich ein Konto, hatte zeitweise mehr als tausend Follower. Mit der Zeit schwand die Freude daran, an meinem zehnten Jahrestag löschte ich das Konto. Die Gründe dafür habe ich hier und dort dargelegt. Doch bereits im August 2020 verspürte ich erneut Lust, wieder dabei zu sein, und legte mir einen neuen Anschluss zu. Was ich vorfand, war ein anderes Twitter als das, in dem ich mich früher so wohlgefühlt hatte. Zahlreiche derer, mit denen ich in gegenseitigem Gefolge verbunden war, fand ich wieder und folge ihnen erneut. Nur finde ich keinen Anschluss mehr: Fast keiner von ihnen folgt zurück, und wenn ich was schreibe, bleibt es ohne jede Resonanz. Wie ein Junge, der am Rand steht und den anderen beim Ballspielen zusieht, aber nicht mitspielen darf. Ein schlechtes Beispiel – ich verabscheue Sportarten mit Bällen. Besser dieses: Vielleicht kennen Sie die Szene von und mit Loriot, wo ein älterer Herr an einem Festessen teilnimmt und versucht, mit seinen Tischnachbarn ins Gespräch zu kommen, die sich untereinander bestens unterhalten, ihn jedoch beharrlich ignorieren. – Ich beklage das keineswegs im Sinne von „Keiner hat mich lieb“, bemerke es nur. Deshalb schaue ich nur noch unregelmäßig rein, noch seltener schreibe ich was. Wenn Herr Musk es demnächst stilllegen sollte, ist mir das egal. Mit Mastodon habe ich es bereits vor ein paar Monaten versucht, mich dort aber noch weniger wohl gefühlt. Daher ist das Konto längst wieder gelöscht.

Mit diesem Blog ist es ähnlich, mit dem Unterschied, dass es niemals „erfolgreich“ war und auch nicht sein soll. Dennoch beobachte ich jedes Mal mit einem ganz leicht in Richtung Neid tendierenden Gefühl, wenn in den Blogs, die ich regelmäßig lese, auf andere Blogs verwiesen wird, während das von mir hier Verfasste weitgehend unbeachtet bleibt. Das mag an dessen Qualität liegen, vielleicht weil es weder vegan noch gegendert ist. Wobei andere, die einfach nur täglich ganz knapp schreiben, was sie gegessen, getrunken und gelesen haben, dafür regelmäßig Gefallensbekundungen in zweistelliger Anzahl erhalten. (Die Gefällt-mir-Sternchen für dieses Blog würde ich übrigens gerne deaktivieren, finde die entsprechende Funktion bei WordPress aber nicht. Wenn jemand weiß, wie das geht, wäre ich für einen Hinweis sehr dankbar.) Bitte verstehen Sie auch das nicht als larmoyante Klage gegen die böse Blogwelt, es ist einfach so. Es gibt schlimmeres, zum Beispiel Koriander oder wenn irgendwo von „Mitgliederinnen und Mitgliedern“ zu lesen ist. – Ein paar regelmäßige Leserinnen und Leser gibt es hier, und darüber freue ich mich sehr. Daher wird dieses Blog weiterhin bestehen und regelmäßig beschrieben, selbst wenn Elon Musk irgendwann WordPress kaufen sollte, oder Donald Trump.

Diese Betrachtung ist nun länger geworden und hätte für einen separaten Aufsatz gereicht. Aber das würde dem Thema den Anschein einer Bedeutung verleihen, die es nicht hat.

Zum Schluss was Positives: Beim Spaziergang heute haben zweimal Autofahrer angehalten, um mich die Straße queren zu lassen, obwohl sie es nicht gemusst hätten. Daher nicht immer nur meckern.

Ein zusammenhangloses Bild vom Spaziergang

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Kommen Sie gut durch die Woche, lassen Sie sich nicht ärgern und umfahren.