Woche 51/2023: Besinnliches Austrinken und Feierpflichten

Montag: Jeden Montagmorgen freue ich mich auf »Lükes Blick in die Woche« im General-Anzeiger, in der Herr Lüke stets eine kleine, lesenswerte Vorschau auf die zu erwartenden Ereignisse der nächsten Tage hält. Heute mit einer kleinen Gräte im Fisch: In einer ansonsten sprachlich geschliffenen Kolumne möchte ich nicht das Wort „lohnenswert“ lesen. Sonst im Übrigen auch nicht.

Was ich auch nicht lesen mochte, in diesem Fall mehr als vierzig Kollegen vermutlich ebenfalls nicht, war eine Mail mit dem alleinigen Inhalt „Danke“ als Antwort auf eine Nachricht des Chefs an die gesamte Abteilung, weil der Absender ohne nachzudenken auf „Allen antworten“ geklickt hatte. Hier kam meine extra für solche Fälle angelegte Mailsignatur zum Einsatz mit dem festen Text »Musste das wirklich an alle gehen?« und dem Zusatz »Bitte denken Sie an die Zeit und den Maileingang Ihrer Kollegen, bevor Sie „Allen antworten“ wählen«. Selbstverständlich schickte ich die Mail nur an den Absender, nicht an alle. Immerhin, er reagierte einsichtig.

Nicht nachgedacht hat offenbar auch die Verfasserin des Wortes „Krankenstandslevel“ in einer internen Mitteilung.

In letzter Zeit erhalte ich privat auffallend viele Mailnachrichten von mir unbekannten Damen mit Kopulationsbedarf. Liebe Damen, ich fürchte, nicht Ihrer Zielgruppe anzugehören. Gleichwohl werde ich Ihre Meldungen im Auge behalten. Vielleicht ist ja mal die richtige dabei.

Nebenwirkungen der Besinnlichkeit

Dienstag: Der Papst lässt eine gewisse Offenheit gegenüber der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare erkennen, solange jede Ähnlichkeit mit der herkömmlichen Ehe ausgeschlossen ist. Hierzu heißt es in der Erklärung über die pastorale Sinngebung von Segnungen: »Jeder Mensch, auch wenn er in Situationen lebt, die nicht dem Plan des Schöpfers entsprechen, besitzt positive Elemente, für die er den Herrn loben kann.« Keine zwei Wochen vor 2024. Obwohl es mich nicht betrifft, weil ich der Katholischen Kirche in etwa so nahe stehe wie dem Deutschen Fußballbund oder Al Kaida, bin ich mir unsicher, ob ich darüber Belustigung oder Wut empfinde.

Werbung ist oft rätselhaft

Mittwoch: Nachdem die Bundesregierung den Wegfall der Kaufprämie für Elektroautos beschlossen hat, erklärt Volkswagen, die Prämie in voller Höhe selbst zu übernehmen. Ähnliches verkündete Tesla. Das ist sehr großzügig, außerdem bemerkenswert: Zeigt es doch, dass wir alle, die mit oder ohne Autoerwerbsabsichten brav ihre Steuern zahlen, das bis Ende vergangener Woche auch zur Mehrung des VW-EBIT (und Sicherung der Manager-Boni) getan haben.

Bemerkenswert auch der Anruf des IT-Dienstleisters am frühen Nachmittag. Vorab zur Erklärung: Mein dienstlicher Rechner soll turnusmäßig getauscht werden. Das sollte bereits am vergangenen Mittwoch geschehen, ging aber nicht, weil der Rechner noch nicht an den Dienstleister, der den Tausch vornimmt, geliefert war. Dies teilte mir der Mitarbeiter des Dienstleisters, nennen wir ihn A, am Dienstag vergangener Woche telefonisch mit; sobald der Rechner geliefert sei, melde er sich wegen eines neuen Termins. So weit, so gut und unproblematisch, da der alte Rechner noch einwandfrei läuft.

Heute nun der Anruf, der ungefähr so ablief: Anrufer (nennen wir ihn B): „Hallo, hier ist B von <Dienstleister>, ich bin der Vertreter von A und rufe an wegen Ihres Rechners, ich soll einen Termin mit Ihnen machen.“ – Ich: „Das ist gut. Der neue Rechner wurde also inzwischen geliefert.“ – B: „Das weiß ich nicht …“ – Ich: „Deswegen wurde der Termin letzte Woche ja verschoben, weil der Rechner noch nicht geliefert wurde.“ – B: „Ah so …“ – Ich: „Für einen neuen Termin wäre es ja durchaus sinnvoll, wenn der Rechner inzwischen da wäre, nicht?“ – B: „Ja, da haben Sie recht. Ich frage nochmal nach und melde mich wieder.“ Offenbar ein echter Profi.

Donnerstag: Abends trafen wir uns mit einer Sektion der Karnevalsgesellschaft auf dem Weihnachtsmarkt, derweil Sturmtief Zoltan zürnte. Nicht schlimm, für uns war ein Tisch reserviert im Hinterzimmer einer Budengaststätte ungefähr von der Größe unserer Küche, nur voller Menschen, wohingegen größere Menschenansammlungen in unserer Küche seit mehreren Jahren nicht mehr vorkommen, was keineswegs zu beklagen ist. Neben uns in der Stube traf sich eine etwa dreißigköpfige Gruppierung eines anderen Bonner Karnevalsvereins, zu deren Zugangsvoraussetzungen offenbar gehört, eine Sprechstimme von mindestens hundertzwanzig Dezibel vorzuweisen. Mit anderen Worten: Es war unangenehm laut. Mit zunehmendem Alter behagt es mir immer weniger, mich in geschlossenen Räumen aufzuhalten, wo mehr als zehn Personen durcheinander reden. Erst recht, wenn dazu laute Musik, schlimmstenfalls Livemusik gespielt wird, wovon heute Abend zum Glück abgesehen wurde.

Jedenfalls rennt sie, wohin auch immer

Freitag: Auch am für mich letzten Arbeitstag des Jahres ließen sich Besprechungen nicht vermeiden. In einer sagte eine: „Ich wollte es nur mal gesagt haben.“ Womit das Grundproblem vieler Besprechungen auf den Punkt gebracht ist.

Samstag: Die meiste Zeit des Tages verbrachte ich in Gaststätten. Zuerst spontan mit den Lieben zum Frühstück im Café. Direkt danach mit Freunden zum „Austrinken“ ins Wirtshaus nebenan, das heute seinen letzten Tag hatte und danach für immer den Zapfhahn abdreht, deshalb „Austrinken“. Im Anschluss mit denselben Freunden auf (wirklich nur) ein Glas in die Weinbar gegenüber. Abends schließlich wieder mit den Lieben gegessen im Restaurant neben der Weinbar. So ein Hedonistenleben ist nicht immer leicht. Immerhin: Wenn die Gastronomie über Umsatzeinbußen klagt, ist mir das somit nicht anzulasten.

Ansonsten freute ich mich sehr über eine erhaltene Weihnachtskarte.

Die Briefkästen muss der Postbote selbst finden

Sonntag: Auch heute frühstückten wir im Café, einem anderen als gestern. Nicht spontan, vielmehr bereits vor Wochen reserviert. Auch dort war es sehr laut, vor allem eine auf mehrere Tische verteilte größere Gesellschaft neben uns mit drei lebhaften Kindern. Ich werfe ihnen das nicht vor; wer in Ruhe frühstücken möchte, bleibt am besten zu Hause, so einfach ist das. Leider war unser Appetit heute Vormittag noch nicht sehr ausgeprägt, daher ging einiges zurück. Mir tut das immer sehr leid, doch ist es nicht zu ändern. Die Gesellschaft nebenan traf daran keine Schuld.

Nach dem Frühstück unternahm ich einen Spaziergang an den Rhein, der im Bonner Norden bereits wieder Teile der Uferpromenade überspült. Für die kommenden Tage ist noch mehr angekündigt.

Heute ist sowohl der Vierte Advent als auch Heiligabend. Vielfach war in den vergangenen Wochen Klage zu hören, dadurch gingen uns einige Tage verloren. Die derart Klagenden können beruhigt sein: Auch dieses Jahr wird zuverlässig erst nach dreihundertfünfundsechzig Tagen beendet sein, darauf können Sie sich verlassen.

Aufgrund von Feierpflichten ab dem Nachmittag musste dieser Wochenrückblick bereits frühzeitig abgeschlossen werden. Sollten sich im Laufe des Tages noch Erwähnenswertigkeiten ergeben, werden diese gegebenenfalls in der kommenden Woche nachgereicht.

***

Ich wünsche Ihnen schöne Weihnachtstage mit reichlich Geschenken, falls sie auf sowas Wert legen, eine angenehme, im Idealfall arbeitsfreie Woche und, wenn wir uns vorher nicht mehr lesen, einen guten Start ins neue Jahr.

Woche 50/2023: Vielleicht lässt die Evolution den Menschen irgendwann einen dritten Arm wachsen

Montag: Der erste Arbeitstag der Woche verlief weitgehend ohne die regelmäßig auftretende Montagsbetrübnis. Mittags in der Kantine konnte ich erleben, was dieses „Slow Food“ bedeutet: In Sichtweite zerteilte und aß ein junger Kollege einhändig mit einem Messer eine Pizza, was augenscheinlich nicht ganz einfach war. Die zweite Hand war derweil unabkömmlich zur Bedienung des Datengeräts. Ich konnte es nicht bis zum Ende verfolgen, auch meine Mittagspause ist endlich. Vielleicht lässt die Evolution den Menschen irgendwann einen dritten Arm wachsen. Andererseits las ich vor einiger Zeit, ich weiß nicht mehr, wo und in welchem Zusammenhang, die jungen Leute essen heute nur noch ungern mit Messer und Gabel, aus genau dem oben beschriebenen Grund. Ob das stimmt, weiß ich nicht, unwahrscheinlich erscheint es mir nicht.

Nach dem Essen eine kurze Parkrunde mit Aussicht auf einen Schwan

Die letzte Teams-Besprechung ging bis siebzehn Uhr. „Ich wünsche euch noch einen schönen Nachmittag und nachher einen schönen Feierabend“, sagte der Organisator zum Abschied. Bei „nachher“ lachte ich (stummgeschaltet) auf und schaltete den Rechner ab.

Dienstag: In der Kantine erprobt man offenbar zurzeit eine neue Tischanordnung. Dadurch wählte ich heute nicht, wie sonst, wenn ich allein esse, einen Zweier- sondern einen Sechsertisch, da die Zweier entfernt worden sind. Eine der Fragen, die ich üblicherweise mit ja beantworte, obwohl ich nein meine, ist „Dürfen wir uns dazusetzen?“, gestellt um kurz vor zwölf. Kurz darauf saß ich mit einer entfernt bekannten und zwei unbekannten Personen am Tisch. Freundlicherweise versuchte man nicht, mich in das Gespräch einzubeziehen, dennoch löffelte ich das Dessert etwas schneller als gewöhnlich.

Nachdem mir in der vergangenen Woche aus Wetter- und Termingründen ein Besuch der Glühweinbude am Rheinpavillon nicht möglich war, freute ich mich heute Abend auf dem Rückweg umso mehr darauf. Aber ach: Die Bude wurde gerade abgebaut, warum auch immer. Nun gibt es in der Innenstadt zahlreiche Alternativen, doch diese Bude hatte durch ihre Lage direkt am Rhein was Besonderes. Schade.

Alternative

Mittwoch: »Weltklimakonferenz ruft zur Abkehr von fossilen Energien auf«, meldet der SPIEGEL. Für dieses schmale Ergebnis ein so hoher Aufwand? So wird das nichts mit unserer Rettung.

Apropos schmal: Epubli hat die Novemberabrechnung meiner Buchverkäufe geschickt. Ich danke der einen Käuferin sehr und freue mich über Nachahmung.

Nachdem am Vormittag die einzige Besprechung des Tages ins nächste Jahr verschoben worden war, war dies einer der seltenen Arbeitstage ganz ohne Termine. Abgesehen von der täglich im Kalender fest geblockten Mittagspause. Während dieser saß erneut in meinem Blickfeld ein jüngerer Einhandesser, den Blick fest auf das Datengerät in der rechten Hand gerichtet, derweil er mit der Gabel in der linken das Backfischfilet zerteilte, was einige Geschicklichkeit voraussetzte: Ich hatte wegen der fest angebratenen Panade schon mit Messer und Gabel einige Mühe. Der offensichtlich einhandgeübte Kollege benötigte dabei nicht mehr Zeit für den Verzehr als ich mit zwei Händen. Respekt.

Welchen vernünftig-nachvollziehbaren Grund mag es geben, „ein halbes Dutzend“ zu sagen statt einfach „sechs“?

Donnerstag: »Man sieht sich immer zweimal im Leben«, hörte ich einen sagen. Manchmal klingelt das ein wenig bedrohlich.

Der Rhein füllt sich wieder, wie ich auf dem Hin- und Rückweg sah, die ersten Schilder für eine Sperrung wegen Hochwassers sind aufgestellt. Möglicherweise ist das der Grund für den am Dienstag beklagten vorzeitigen Abbau der Glühweinbude am Ufer.

Morgens

Die Liste des Grauens wurde fortgeschrieben.

Im bin mir nicht sicher, ob es langfristig eine gute Idee ist, die Ukraine in die EU aufzunehmen. Nur so ein Gefühl.

Freitag: Für einen Freitag waren heute ungewöhnlich viele Kollegen in den Büros, normalerweise haben Kollegin A., wie ich konsequente Heimbüroverweigererin*, und ich freitags fast das ganze Gebäude oder wenigstens die Etage für uns alleine. Was wollten die da alle heute, haben die kein Zuhause, wo sie Unruhe verbreiten können?

*Aus Vereinfachungsgründen ausnahmsweise generisches Femininum. Den Teilsatz „konsequente Heimbüroverweigererin, wie ich konsequenter -verweigerer bin“, wollte ich Ihnen nicht zumuten.

Dass sich das Jahr dem Ende entgegen neigt merkt man auch daran, dass sich zahlreiche Kollegen in den Weihnachtsurlaub verabschieden mit den saisonüblichen Grüßen und Wünschen sowie dem seit fast vier Jahren etablierten Zusatz „Bleibt gesund“, in letzter Zeit wieder häufiger gehört.

Fast kein Kantinen- oder Kaffeeküchenplausch mehr mit gleichaltrigen (oder den wenigen verbliebenen älteren) Kollegen ohne die Frage, wie lange man noch zu arbeiten habe, nicht nur in diesem Jahr, sondern generell. Da neigt sich auch etwas dem Ende entgegen.

+++ Werbung +++

ALLTÄGLICHES + AUSGEDACHTES – Ausgewählte Aufsätze, das Buch zum Blog, ist nun auch als Bildschirmbuch erhältlich, etwa hier. (ISBN 9783758445705)

+++ Werbung Ende +++

Samstag: Aus terminlichen Gründen wurden die familiären Weihnachtsbesuchspflichten bereits an diesem Wochenende erfüllt. Und also machten sich auf der Liebste und ich nach Ostwestfalen, erst zu meiner Mutter, nachmittags weiter zum Treffen und Essen mit der Schwiegerfamilie. Gegen halb elf löste sich die Gesellschaft auf (dieser Satz wäre auch geeignet zur Einleitung einer Dystopie über das Ende der Menschheit), wir fuhren ins Hotel, mutmaßlich waren alle zufrieden.

Der NRW-Minister Laumann erscheint äußerlich eher wie ein westfälischer Rübenbauer statt ein Politiker. Das macht ihn sympathisch und ist keineswegs despektierlich gemeint, Rübenbauer ist ein ehrbarer Berufsstand, mehr als zum Beispiel Bundesverkehrsminister, jedenfalls wenn man die Amtsträger der letzten Jahre zum Maßstab nimmt. Herr Laumann hat nun geäußert, er sei froh, dass Jesus geboren wurde, verdanke diesem Ereignis doch seine Partei, die CDU, ihre Existenz. Es würde mich nicht wundern, wenn Herr Merz daraus folgernd demnächst verlauten lässt, die Existenz der CDU sei der beste Beweis, dass Jesus lebt. Halleluja.

Sonntag: Nach dem Frühstück im Hotel verließen wir bei trübem Himmel, innerlich heiter Ostwestfalen; bereits gegen dreizehn Uhr trafen wir sonnenbeschienen zu Hause ein. Driving home for Christmas mal anders.

Finde den Fehler
Kann denn Liebe toxisch sein?

Nach Ankunft drängte es mich zum Spaziergang raus, zumal wir den Tag gestern mit wenig Draußenzeit überwiegend im Auto und an diversen Esstischen verbracht hatten. Mit dem Gang verbunden war ein Gebäckkaufauftrag des Liebsten auf dem Weihnachtsmarkt, der heute gut besucht war. Das machte es recht anstrengend, nur einen bestimmten Stand aufzusuchen und den Markt danach so schnell wie möglich wieder zu verlassen, derweil Kinderwagenschieber durch die Gassen schlichen und alle paar Meter stehen blieben.

Nach dem Kekskauf belohnte ich meine Mühen mit einem angereicherten Kirschwarmgetränk. Dabei sah ich ein älteres gemischtes Paar vorübergehen, er trug einen längeren Jeansrock, sie hatte die Hosen an.

An einem anderen Getränkeausschank stand eine größere Gruppe rot-weiß gekleideter Weihnachtsmänner, teilweise mit Zigaretten und Bierflaschen in der Hand, manche hatten unter Missachtung der heiligen Kleiderordnung die Mütze abgenommen. Immerhin verteilten sie Süßigkeiten an vorübergehende Kinder. Alles in allem wird diese Ansammlung bei Eltern weihnachtsmanngläubiger Kinder einigen Erklärungsbedarf erzeugt haben.

Zum Spazieren kam ich auch noch

Im Übrigen hätte ich nichts gegen die Abschaffung von Weihnachten. Damit stehe ich im Kreis der Lieben, Verwandten und Bekannten wohl ziemlich alleine.

***

Ich wünsche Ihnen eine angenehme Vorweihnachtswoche, bald ist es erstmal wieder überstanden.

Woche 49/2023: Selbstbeherrschung ist und bleibt ein mühsam zu beackerndes Feld

Montag: Da ich einen Weinkarton für den Kollegen zu transportieren hatte und wegen einer ungünstigen Niederschlagsprognose für den Nachmittag entschied ich mich morgens für die Stadtbahn. Die verspätete sich aufgrund üblicher Imponderabilien, das störte mich nicht weiter. Es stand morgens kein Termin an, und das Gleitzeitkonto sollte bis zum Jahresende möglichst leer laufen.

Die jugendliche Hosenmode erfährt zurzeit einen unvorteilhaften Wandel, wie ich auch heute während der Hinfahrt wieder sah: Bevorzugte man in Jungenkreisen bislang enganliegende Beinkleider, gerne etwas kürzer mit bei jeder Witterung freiliegenden Fußfesseln, so hüllen sie sich nun zunehmend in weit geschnittene, bollerige Beinsäcke. Es ist äußerst angenehm, an derartige Trends nicht (mehr) gebunden zu sein.

Gelesen in einer internen Mitteilung über den Werksweihnachtsmarkt am kommenden Donnerstag: »Wer es lieber „flüssig“ mag, muss sich zwischen klassischem oder leckerem Apfel-Zimt-Glühwein entscheiden.«

Dienstag: Heute ist der fünfte, daher ist alles Wesentliche zum Tage bei Interesse hier nachzulesen.

Mittwoch: Deutschland ist in Aufregung wegen der Ergebnisse der jüngsten Pisa-Studie, der mittelfristige Schaden für die Wirtschaft soll mehrere Billionen Euro betragen, wie auch immer zweifellos kluge Leute das berechnet haben. Als Gründe werden ein hoher Ausländeranteil mit schlechten Deutschkenntnissen, Benachteiligung bei finanzschwachem Elternhaus und Lehrermangel vermutet. Ohne in rentnerbeiges Genörgel verfallen zu wollen: Kann es nicht auch daran liegen, dass immer mehr vor allem junge Menschen Teile ihres Hirns ins Datengerät ausgelagert haben? Vielleicht ist das nicht schlimm, weil bei den Tests Kenntnisse abgefragt wurden, die aufgrund fortschreitender Digitalisierung mittel- bis langfristig nicht mehr benötigt werden, jedenfalls nicht, solange noch Strom fließt. Rechnen? Taschenrechner-App. Schreiben? ChatGBT. Längere Texte lesen und verstehen? Zeitverschwendung.

Passend dazu erreichte mich abends eine Nachricht

Mittags nach Rückkehr aus der Kantine (heute wieder vorzüglich) tönte im Werkshof „Last Christmas“ in erheblicher Lautstärke. Gerade als mein rechter Fuß im Takt zu wippen begann, verstummte es wieder.

Donnerstag: »Ihr Paket ist da!«, verkündet ein Benachrichtigungszettel des rot-weißen Paketdienstleisters. Offen bleibt, wer mit Ihr gemeint ist, auch, wie da zu deuten ist. Hier ist es jedenfalls nicht, der unbekannte Empfänger erfährt auch nicht, wo es sich befindet und wie er dessen habhaft werden kann. Danke, DPD, für dieses nette Weihnachtsrätsel.

Der Tag endete mit einem Weihnachtsmarktbesuch und anschließendem Essen im Kollegenkreis. Mein Zurückhaltungsvorhaben bezüglich Getränkeverzehr gelang nur so halb. Selbstbeherrschung ist und bleibt ein mühsam zu beackerndes Feld.

Freitag: Erfreulicherweise lagen im Büro keine anspruchsvollen, heute dringend zu erledigenden Geschäfte an; auch der Eingang an Mails, Anrufen und sonstigen Belästigungen war gering. Daher konnte ich nach Abarbeitung einiger Dinge zeitig das Werk verlassen.

Die Gruppendruckbetankung am Vorabend zog heute eine gewisse Unpässlichkeit nach sich. Eigentlich mag ich Glühwein nicht in größeren Mengen. Doch kaum war der Becher geleert gewesen – es nützte nichts, durch langsameres Trinken eine niedrigere Frequenz anzustreben, weil der Trunk dann durch Abkühlung ungenießbar wird – schon stand der nächste auf dem Tisch. Dazu wurde später ein cremeartiger Likör mit adventlichen Aromen gereicht, vom Chef persönlich, was soll man da machen.

Danach suchten wir eine spanische Gaststätte auf. Das Essen war gut (andere würden es als „lecker“ bezeichnen), mehrere Platten und Teller mit unterschiedlichen Speisen wurden serviert, von denen sich jeder nahm, und wovon später, als alle gesättigt waren, erschreckend viel zurück ging. Anscheinend wurde für die Zubereitung in großen Mengen Knoblauch nicht der höchsten Qualitätsstufe verwendet, jedenfalls beklagten meine Lieben heute bis zum Abend entsprechende Ausdünstungen meinerseits.

Samstag: Aus einem Zeitungsbericht über Extras, die Firmen ihren Mitarbeitern zur Arbeitsluststeigerung gewähren: »Richtet ein Unternehmen einen Fitnessraum ein, kann man ihn nutzen, muss es aber natürlich nicht.« Das finde ich sehr beruhigend.

Auch gelesen und für gut befunden:

»Wer glaubt, dass sich ein vergangenes oder zukünftiges Ereignis ändern lässt, indem man sich lange genug schlecht fühlt oder Sorgen macht, der lebt auf einem anderen Stern mit anderen Gesetzen.«

William James

Gesehen:

Claudia W. und Jan-Malte L. aus B. bereiten ihre Kinder Lea-Charlotte (links) und Paula-Marie für das nächste Pisa-Debakel vor.

Sonntag: In der aktuellen Ausgabe der PSYCHOLOGIE HEUTE, die ich noch bis Juni erhalte, ehe das Abonnement endet, ein interessanter Artikel über (positive) Alleinzeit in Abgrenzung zur (negativen) Einsamkeit. Darin wird der Begriff „aloneliness“ genannt, für den es wohl keine passende deutsche Entsprechung gibt. Er bezeichnet die Unzufriedenheit, wenn man nicht genug Zeit für sich selbst zur Verfügung hat.

Bestandteil meiner persönlichen Alleinzeit ist der regelmäßige Spaziergang am Sonntag. Dieser führte mich heute bei Sonnenschein und milder Temperatur zunächst nach Bonn-Beuel, und zwar – welch Zufall – genau dorthin, wo ich eine Woche zuvor einige meiner Aufsätze einem erlesenen Publikum vortragen durfte. Im Kellergeschoss desselben Gebäudes betreibt der Modelleisenbahnclub Köln eine beeindruckende Anlage in Spur 1, die heute öffentlich zugänglich und in Betrieb zu besichtigen war.

Dieser Triebwagenzug der Baureihe 515/815 beeindruckte mich besonders

Danach ging es in einer größeren Schleife über Schwarzrheindorf (mit spontanem Besuch des örtlichen Weihnachtsmarktes), die Nordbrücke und am Rhein entlang zurück nach Hause, wo die heutige Alleinzeit endete.

***

Kommen Sie gut durch die Woche.

24 T – Mutmaßungen über die Freiheit des Scheiterns, Tag 10

Vorbemerkung: Vor einigen Wochen fragte mich Frau Graugans an, ob ich Lust hätte, mich mit einem Text an ihrem Blogprojekt 24 T zu beteiligen, einer Art virtuellem Adventskalender. Als ich das Thema sah, dachte ich erst: Was?, siehe Überschrift. Gleichwohl habe ich mich sehr über die Anfrage gefreut und gerne mitgemacht.

***

Wer nichts wird In der Fußgängerzone wäre ich neulich fast jemandem begegnet, mit dem ich bis vor einiger Zeit noch – nun ja: befreundet wäre ein zu …

24 T – Mutmaßungen über die Freiheit des Scheiterns, Tag 10: Carsten Kubicki

#WMDEDGT im Dezember: Wörtliche Rede und Vorfreude

Am fünften eines jeden Monats ruft die geschätzte Mitbloggerin Frau Brüllen zur Pflege der Tagebuchblogkultur auf. Hierzu schreibt der geneigte Teilnehmer einen Aufsatz zum Thema „Was machst du eigentlich den ganzen Tag?“, kurz #WMDEDGT, und verlinkt ihn auf dem Brüllen-Blog.

***

Während der Zeitungslektüre zum ersten Kaffee am Morgen las ich diesen Satz: »Es wird Zeit, dass Bund und Land sich ehrlich machen.« Sich ehrlich machen – eine weitere Floskel für die Liste.

Ehrlich machen sollte sich auch eine Metzgerei in der Bonner Innenstadt, an deren Fenster seit Tagen, wenn nicht Wochen, ein handschriftlicher Zettel angebracht ist: »Heute nur Barzahlung«.

»Wir bringen das Mittelmeer in Ihre Küche«, wirbt ein paar Meter weiter ein Fachgeschäft für olivenhölzerne Haushaltswaren. Das muss nun wirklich nicht sein.

Der dienstagsübliche Fußmarsch ins Werk erfolgte bei Trockenheit und etwas milderer Temperatur gegenüber den letzten Tagen. Auch der Rheinpegel liegt wieder auf einem normalen Niveau, mal sehen, wie lange angesichts der Schneefälle der vergangenen Tage im Süden.

..

Kurz nach Ankunft im Büro klopfte ein Kollege an die Tür, den ich nur selten sehe, weil er im Gegensatz zu mir meistens zu Hause arbeitet. Es kam zu einem längeren Plausch über Gott und die Welt, was in diesem Fall wörtlich zu verstehen ist; trotz meiner grundsätzlichen Abneigung gegen wörtliche Rede am frühen Morgen (also vor neun Uhr) war es sehr angenehm.

Der Arbeitstag floss recht erfreulich dahin; die gestern herrschende Generalunlust hatte sich gelegt, wie so häufig von Montag auf Dienstag. Vor dem Fenster kam immer wieder die Elster zu Besuch, vielleicht waren es auch mehrere abwechselnd, und machte(n) sich, nachdem das von mir dort aufgestellte Futterhäuschen auf mysteriöse Weise abhanden gekommen war, über das nun auf einem profanen Teller dargereichte Vogelfutter her. Ansonsten habe ich zweimal Nein gesagt. Das war gar nicht schwer und fühlte sich gut an.

Der SPIEGEL meldet das »Pisa-Debakel«, nach dem »Pisa-Schock« von 2001. Was kommt als nächstes, Pisa-Krise, -Katastrophe, -Misere? -Horror? Wir werden es vielleicht noch erleben, wenn nicht andere Imponderabilien dazwischenkommen.

Zum Mittagessen in die Kantine gingen wir zu sechst, bis Ende 2019 nichts Besonderes. Jetzt, da ich es gewohnt bin, mittags zumeist allein, allenfalls mal zu zweit zu essen, weil fast alle überwiegend zu Hause arbeiten, empfinde ich derartige Gruppenessen als gewöhnungsbedürftig bis anstrengend. Anscheinend hat meine Sozialtoleranz während der Coronazeit einen irreparablen Schaden genommen. – Gegessen habe ich vegetarisch: Kartoffelpolenta an Grünkohlsalat, ganz gut, hätte etwas mehr sein dürfen. Zum Dessert gab es laut Karte »Schichtdessert von Erdbeeren und Waldmeister-Quark-Creme«. De facto ein Schälchen mit sehr fester, säuerlicher grüner Götterspeise (wenig göttlich), darauf fünf bis sechs kleine Erdbeeren, wo auch immer die herkommen Anfang Dezember, gekrönt mit einer Haube aus einer sahneartigen Vanillecreme. An den meisten Tagen bin ich mit dem Angebot der Kantine höchst zufrieden, heute würde ich allenfalls ein Ausreichend vergeben.

Ab Mittag setzte Regen ein, der sich bis zum Arbeitsende hielt. Deshalb verzichtete ich auf den Fußweg zurück (und auf die Einkehr auf einen Glühwein am Rheinpavillon) und nahm die Bahn. Den Glühwein gab es dann an einer etwas abgelegenen Bude auf dem Weihnachtsmarkt in der Innenstadt, der trotz Regen recht gut besucht war, insbesondere die überdachten Trinkstellen.

Abends war ich ein weiteres Mal auf dem Weihnachtsmarkt, nun mit dem Liebsten, zum Abendessen (erst Reibekuchen, dann Bratwurst) und auf ein Warmgetränk, derweil bei immer noch leichtem Regen eine feuchte Kälte langsam durch die Jacke drang.

Auf dem Rückweg reservierten wir für den Vorheiligabend in unserem Lieblingsrestaurant. Es ist immer schön, wenn man sich auf etwas freuen kann.