Woche 49/2023: Selbstbeherrschung ist und bleibt ein mühsam zu beackerndes Feld

Montag: Da ich einen Weinkarton für den Kollegen zu transportieren hatte und wegen einer ungünstigen Niederschlagsprognose für den Nachmittag entschied ich mich morgens für die Stadtbahn. Die verspätete sich aufgrund üblicher Imponderabilien, das störte mich nicht weiter. Es stand morgens kein Termin an, und das Gleitzeitkonto sollte bis zum Jahresende möglichst leer laufen.

Die jugendliche Hosenmode erfährt zurzeit einen unvorteilhaften Wandel, wie ich auch heute während der Hinfahrt wieder sah: Bevorzugte man in Jungenkreisen bislang enganliegende Beinkleider, gerne etwas kürzer mit bei jeder Witterung freiliegenden Fußfesseln, so hüllen sie sich nun zunehmend in weit geschnittene, bollerige Beinsäcke. Es ist äußerst angenehm, an derartige Trends nicht (mehr) gebunden zu sein.

Gelesen in einer internen Mitteilung über den Werksweihnachtsmarkt am kommenden Donnerstag: »Wer es lieber „flüssig“ mag, muss sich zwischen klassischem oder leckerem Apfel-Zimt-Glühwein entscheiden.«

Dienstag: Heute ist der fünfte, daher ist alles Wesentliche zum Tage bei Interesse hier nachzulesen.

Mittwoch: Deutschland ist in Aufregung wegen der Ergebnisse der jüngsten Pisa-Studie, der mittelfristige Schaden für die Wirtschaft soll mehrere Billionen Euro betragen, wie auch immer zweifellos kluge Leute das berechnet haben. Als Gründe werden ein hoher Ausländeranteil mit schlechten Deutschkenntnissen, Benachteiligung bei finanzschwachem Elternhaus und Lehrermangel vermutet. Ohne in rentnerbeiges Genörgel verfallen zu wollen: Kann es nicht auch daran liegen, dass immer mehr vor allem junge Menschen Teile ihres Hirns ins Datengerät ausgelagert haben? Vielleicht ist das nicht schlimm, weil bei den Tests Kenntnisse abgefragt wurden, die aufgrund fortschreitender Digitalisierung mittel- bis langfristig nicht mehr benötigt werden, jedenfalls nicht, solange noch Strom fließt. Rechnen? Taschenrechner-App. Schreiben? ChatGBT. Längere Texte lesen und verstehen? Zeitverschwendung.

Passend dazu erreichte mich abends eine Nachricht

Mittags nach Rückkehr aus der Kantine (heute wieder vorzüglich) tönte im Werkshof „Last Christmas“ in erheblicher Lautstärke. Gerade als mein rechter Fuß im Takt zu wippen begann, verstummte es wieder.

Donnerstag: »Ihr Paket ist da!«, verkündet ein Benachrichtigungszettel des rot-weißen Paketdienstleisters. Offen bleibt, wer mit Ihr gemeint ist, auch, wie da zu deuten ist. Hier ist es jedenfalls nicht, der unbekannte Empfänger erfährt auch nicht, wo es sich befindet und wie er dessen habhaft werden kann. Danke, DPD, für dieses nette Weihnachtsrätsel.

Der Tag endete mit einem Weihnachtsmarktbesuch und anschließendem Essen im Kollegenkreis. Mein Zurückhaltungsvorhaben bezüglich Getränkeverzehr gelang nur so halb. Selbstbeherrschung ist und bleibt ein mühsam zu beackerndes Feld.

Freitag: Erfreulicherweise lagen im Büro keine anspruchsvollen, heute dringend zu erledigenden Geschäfte an; auch der Eingang an Mails, Anrufen und sonstigen Belästigungen war gering. Daher konnte ich nach Abarbeitung einiger Dinge zeitig das Werk verlassen.

Die Gruppendruckbetankung am Vorabend zog heute eine gewisse Unpässlichkeit nach sich. Eigentlich mag ich Glühwein nicht in größeren Mengen. Doch kaum war der Becher geleert gewesen – es nützte nichts, durch langsameres Trinken eine niedrigere Frequenz anzustreben, weil der Trunk dann durch Abkühlung ungenießbar wird – schon stand der nächste auf dem Tisch. Dazu wurde später ein cremeartiger Likör mit adventlichen Aromen gereicht, vom Chef persönlich, was soll man da machen.

Danach suchten wir eine spanische Gaststätte auf. Das Essen war gut (andere würden es als „lecker“ bezeichnen), mehrere Platten und Teller mit unterschiedlichen Speisen wurden serviert, von denen sich jeder nahm, und wovon später, als alle gesättigt waren, erschreckend viel zurück ging. Anscheinend wurde für die Zubereitung in großen Mengen Knoblauch nicht der höchsten Qualitätsstufe verwendet, jedenfalls beklagten meine Lieben heute bis zum Abend entsprechende Ausdünstungen meinerseits.

Samstag: Aus einem Zeitungsbericht über Extras, die Firmen ihren Mitarbeitern zur Arbeitsluststeigerung gewähren: »Richtet ein Unternehmen einen Fitnessraum ein, kann man ihn nutzen, muss es aber natürlich nicht.« Das finde ich sehr beruhigend.

Auch gelesen und für gut befunden:

»Wer glaubt, dass sich ein vergangenes oder zukünftiges Ereignis ändern lässt, indem man sich lange genug schlecht fühlt oder Sorgen macht, der lebt auf einem anderen Stern mit anderen Gesetzen.«

William James

Gesehen:

Claudia W. und Jan-Malte L. aus B. bereiten ihre Kinder Lea-Charlotte (links) und Paula-Marie für das nächste Pisa-Debakel vor.

Sonntag: In der aktuellen Ausgabe der PSYCHOLOGIE HEUTE, die ich noch bis Juni erhalte, ehe das Abonnement endet, ein interessanter Artikel über (positive) Alleinzeit in Abgrenzung zur (negativen) Einsamkeit. Darin wird der Begriff „aloneliness“ genannt, für den es wohl keine passende deutsche Entsprechung gibt. Er bezeichnet die Unzufriedenheit, wenn man nicht genug Zeit für sich selbst zur Verfügung hat.

Bestandteil meiner persönlichen Alleinzeit ist der regelmäßige Spaziergang am Sonntag. Dieser führte mich heute bei Sonnenschein und milder Temperatur zunächst nach Bonn-Beuel, und zwar – welch Zufall – genau dorthin, wo ich eine Woche zuvor einige meiner Aufsätze einem erlesenen Publikum vortragen durfte. Im Kellergeschoss desselben Gebäudes betreibt der Modelleisenbahnclub Köln eine beeindruckende Anlage in Spur 1, die heute öffentlich zugänglich und in Betrieb zu besichtigen war.

Dieser Triebwagenzug der Baureihe 515/815 beeindruckte mich besonders

Danach ging es in einer größeren Schleife über Schwarzrheindorf (mit spontanem Besuch des örtlichen Weihnachtsmarktes), die Nordbrücke und am Rhein entlang zurück nach Hause, wo die heutige Alleinzeit endete.

***

Kommen Sie gut durch die Woche.

4 Gedanken zu “Woche 49/2023: Selbstbeherrschung ist und bleibt ein mühsam zu beackerndes Feld

  1. Anonymous Dezember 12, 2023 / 11:09

    Ist das Zitat, welches ich übrigens sehr gut finde, nicht von William James (anstelle von William Henry)?
    Gruss
    Alban

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    • Postwestfale Dezember 12, 2023 / 11:21

      Ja in der Tat. Ich habe es korrigiert, vielen Dank für den Hinweis.

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  2. nömix Dezember 12, 2023 / 11:58

    @ Bild “Gesehen:“
    Stelle mir gerade vor, die Poller würden einen halben Meter weiter links stehen…;)

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