Woche 45/2024: Wählerwille, Waldeslust, Liberalenliquidierung und Grünkohl

Montag: Es ist deutlich kühler geworden, auf dem Fahrrad trug ich erstmals wieder Handschuhe und Helmunterziehmütze. Vormittags umhüllte Nebel die Umgebung, in mir sah es kaum anders aus, nicht nur in der ersten Tageshälfte. Gegen Mittag setzte sich die Sonne durch, sie ließ das verbliebene Herbstlaub im Rheinauenpark bunt leuchten, bitte denken Sie sich entsprechende Bilder. Wobei viele Bäume noch weitgehend grün sind, während andere das Laub bereits vollständig abgeworfen haben, auf dass es von städtischen Laubblas-Monstern mit Getöse zu langen Haufen zusammengepustet werde. Insofern weisen die Bäume Ähnlichkeit mit Männern auf: Die einen haben mit sechzig noch volles Haar, von einzelnen Silberfädchen durchzogen, andere sind mit vierzig schon kahl.

Zum Haareraufen auch, was nachmittags in einer Besprechung zu hören war: „… damit wir alle on the same page sind“ und „Wir sind hier in charge“ – Bei letzterem erlaubte ich mir, die liebe Kollegin nach der Bedeutung zu fragen. Die schlichte Antwort entlarvte die völlige Lächerlichkeit dieser aufgeblasenen Phrase.

Städtisches Laubblas-Monster (Archivbild)

Künstliche Intelligenz ist überwertet:

Wie viele mögen diesen Korrekturvorschlag ungefragt übernehmen?

Dienstag: In einer Remscheider Grundschule fällt für längere Zeit der Sportunterricht aus, weil die Turnhalle von Schimmel befallen ist, wurde morgens im Radio gemeldet. Als Schüler hätte mich diese Nachricht wohl in mehrtägige Jubelgesänge versetzt: „Hurra hurra die Halle fault!“

Diese Woche ist kleine Woche, das heißt, Donnerstag ist frei, hurra. Wegen günstiger Wetterprognose wird es wieder ein Wandertag, dieses Mal dank der neuen Schuhe voraussichtlich ohne Fußweh. Inzwischen habe ich mich auch für eine Tour aus der Geplant-Liste in der Wander-App entschieden, auf die ich mich freue. Sofern ich mich nicht noch umentscheide und mich auf und über eine andere freue.

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Mittwoch: Morgens lag ein zarter Nieselhauch in der Luft, bei Ankunft im Werk waren die Brillengläser mit Tröpfchen benetzt. Der den Niesel gebärende Nebel hielt sich den ganzen Tag, die Sonne zeigte sich nicht und es wurde nicht richtig hell. Wie es sich gehört für November. Auf meine persönliche Stimmung wirkte sich das kaum aus, die blieb ganztägig zufriedenstellend, vielleicht durch die Vorfreude auf den freien Tag morgen.

Wenig Grund zur Vorfreude bietet das Wahlergebnis in den USA. Sie haben es so gewollt, auch das ist Demokratie, selbst wenn sie damit womöglich bald abgeschafft wird. Vielleicht ist das aber auch eine etwas gewagte These. Darüberhinaus will ich den amerikanischen Wählerwillen nicht bewerten, das können und tun andere ausführlicher und kompetenter. Wie groß mag der wirtschaftliche Schaden sein, weil die Leute heute weltweit über Trump gesprochen haben, statt ihren Geschäften nachzugehen? Auch aus den Nebenbüros war diesbezügliches Geraune zu vernehmen.

Lichtblick des Tages trotz Dauerdunst und Nachrichtenlage: Mittags in der Kantine gab es Erbseneintopf. Erbseneintopf macht glücklich, den hätte ich am liebsten einmal wöchentlich, gerne auch abwechselnd mit Linsen und Grünkohl. Während des Essens fiel von einem Kollegen, der sich bisweilen für den Schnabel der Welt zu halten scheint, der Begriff „Siamesische Zwillinge“. Spontan kam mir der Gedanke, durch einen mehr als unglücklichen Umstand würde ich mit ebendiesem Kollegen siamesisch verschmelzen. Ohne ihm zu nahe treten zu wollen: eine Horrorvorstellung, nicht nur wegen der penetranten Parfümwolke, in die sich mein gedachter Zuwachs gerne hüllt.

Als wenn die US-Wahl nicht schon genug wäre: Abends beeindruckten mich die für ihn ungewohnt deutlichen Worte unseres Bundeskanzlers, mit denen er endlich den Lindner vom Hof gejagt hat. Derartige Deutlichkeit hätte man sich von ihm öfter gewünscht, nicht nur gegenüber der FDP.

Donnerstag: Volker Wissing will trotz Liberalenliqidierung weitermachen als Verkehrsminister, während die anderen FDP-Minister zurücktreten. Außerdem verlässt er die Partei. Vielleicht kommt er dadurch zur Vernunft? Könnte er dann nicht Tempo 130 auf Autobahnen einführen? Nur ein Gedankenspiel, so vernünftig wird er nun auch nicht werden.

Wie bereits angedeutet hatte ich heute frei. Den Inseltag nutzte ich für eine Wanderung durch die Wahner Heide, eines meiner liebsten Wandergebiete in näherer Umgebung mit vielfältiger Landschaft. Morgens spazierte ich zunächst über den Rhein nach Beuel, wo ich in einer Bäckerei frühstückte, danach weiter zum Beueler Bahnhof. Von dort brachte mich die Bahn (pünktlich, man muss es erwähnen) innerhalb weniger Minuten nach Troisdorf, dem Ausgangs- und Endpunkt der Wanderung. Sie führte im Uhrzeigersinn durch die südliche Heide mit Überquerung des Fliegen- und des Güldenbergs, wobei die Bezeichnung „Berg“ für diese leichten Erhebungen ein wenig übertrieben ist. Aus den geplanten knapp fünfzehn wurden gut neunzehn Kilometer, wegen bewusster Abweichung von der Planroute, einmal führte mich Komoot hinter die Fichte bzw. Buche, einmal verpasste ich eine Abzweigung. Alles überhaupt nicht schlimm, im Gegenteil, das Wanderglück war trotz durchgehendem Hochnebel ungetrübt. Auch die neuen Wanderschuhe bewährten sich bestens.

Nur akustisch wurde die Waldeslust leicht beschattet: Im östlichen Viertel durch das Brausen von der Autobahn 3, zudem durchgehend durch startende Flugzeuge vom nahen Flughafen Köln/Bonn, die deutlich zu hören, durch den Hochnebel indes nicht zu sehen waren; umgekehrt wäre es netter gewesen. Nach ziemlich genau vier Stunden war ich wieder in Troisdorf. Da dies nach meinem Empfinden, Troisdorfer mögen es mir verzeihen, kein Ort ist, wo man sich gerne unnötig lange aufhält, nahm ich das nächste öffentliche Verkehrsmittel nach Bonn, den Bus 551. Der braucht wesentlich länger als die Bahn, weil er sich durch zahlreiche enge Ortschaften zwängt, doch das störte nicht; ich saß im Warmen am Fenster und hatte was zu schauen. Nach Rückkehr in Bonn belohnte ich mich, Sie ahnen es vielleicht, mit Currywurst und bayrischem Hellbier.

Wenn Sie schauen möchten:

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Stechpalme für Frau L
Die Wahner Heide ist auch ein Kriegsspielplatz
Heide, Herbstausführung
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Ganzjährig schön: Birken
Aufstieg auf den Fliegenberg
Mehr Moos
Was für ein Pilz ist das?
Kartoffelbovist, wenn ich nicht irre
Buchen auf dem Güldenberg, wo ich vom Wege abkam
Wieder so ein Fall, bei dem man sich fragt, was die Geschichte dahinter ist
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Leyenweiher

Freitag: Wikipedia setzt die richtigen Prioritäten. (Zur Sicherheit haben sie dazugeschrieben, dass sich das Bild auf die erste Meldung bezieht.)

Quelle: Hauptseite Wikipedia vom 8.11.2024

Wie ich bei der Rückfahrt vom Werk aus den Augenwinkeln sah, liegt die Rheinnixe, die ehemalige Personenfähre nach Beuel, wieder an ihrem Anlegeplatz auf der anderen Seite. Laut einem Zeitungsbericht bekam sie neue Fenster eingebaut, ihre künftige Verwendung ist weiterhin offen.

Abends aß ich den ersten Grünkohl der Saison, der traditionell im Winterhalbjahr gegessen wird, wohingegen Erbsensuppe zu jeder Jahreszeit zulässig ist. Erste Winteranmutung kam auf dem Weg zur Gaststätte beim Überqueren der Rheinbrücke auf, wo uns kalter Wind aus Süden mangels Handschuhen die Hände tief in die Hosentaschen versenken ließ.

Samstag: Nachtrag zu den Ausführungen vom 1. November: Donald Trump hat angekündigt, die USA (mal wieder) aus dem Pariser Klimaschutzabkommen herauszuführen. Das ist nicht sehr überraschend. Man könnte es als altersbedingte Minderleistung bewerten, doch es ist nicht auszuschließen, dass weitere Länder folgen werden.

Gedanke während der Morgentoilette: Viele Leute müssen aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen ihr Essen fotografieren, bevor sie es verspeisen. Alternativ könnte man doch auch im Bild festhalten, was am Ende herauskommt. Allerdings verwarf ich den Gedanken sogleich wieder.

Sonntag: Morgens waren die Augenbrauen zu stutzen, da eine baldige Verwechslung meiner Person mit Theo Waigel zu befürchten war, das will man ja nun wirklich nicht. Aus Erfahrung stellte ich die Schermaschine auf Stufe acht, aber ach, anscheinend setzte ich das Gerät nicht richtig an, dadurch sind die Brauen arg kurz geraten. Anscheinend ist das noch niemandem aufgefallen, man selbst ist ja oft der einzige, der so etwas wahrnimmt. Sie wachsen ja wieder nach.

Morgen ist der Elfte im Elften, somit offizieller Beginn der Karnevalssaison. Das hinderte die Jecken im Stadtteil Tannenbusch nicht daran, bereits heute ihre Sitzung abzuhalten. Unsere Gesellschaft war auch dabei, zugleich der erste öffentliche Auftritt der Session, es lief gut. Ob es Unglück bringt, vor dem Elften aufzutreten, oder man dafür später in der Kamellehölle schmort, weiß ich nicht.

Für die Lektüre der Sonntagszeitung blieb keine Zeit, da ich bereits eine Stunde nach Rückkehr vom Auftritt nach Beuel aufbrach zur Lesung der TapetenPoeten. Wegen Ausfalls einer Teilnehmerin war ich gestern angefragt worden, ob ich lesend aushelfen könnte. Da hilft man doch gerne.

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Foto: Lothar Schiefer

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Kommen Sie gut durch die Woche und, wenn Sie es mögen, in die neue Session. Alaaf! (Oder Helau oder was auch immer bei Ihnen zu diesem Anlass gerufen wird.)

Woche 39/2024: Unreife Brombeeren, Buskursionen und Gaudi ohne Lederhose

Montag: Gegen fünf in der Frühe erwachte ich aus einem ungemütlichen Traum (jemand jagte mich mit gezücktem Messer ein Treppenhaus hoch, dabei war er wesentlich schneller als ich) und fand erst eine knappe Stunde später wieder in den Schlaf, kurz bevor der Wecker des Geliebten anschlug.

Heute wäre mein Vater neunzig Jahre alt geworden. Ich erhebe das Glas auf ihn, das hätte ihn gewiss gefreut.

Der angekündigte Regen blieb weitgehend aus, was die planmäßige Fahrradfahrt ans Werk ermöglichte, wo ich erstaunlich gut gestimmt und in trockener Hose ankam. Der Arbeitstag bot wenig Berichtenswertes, er endete zu angemessener Zeit.

Ekaterina hat eine Mail geschrieben:

Willkomm!!!
Vielleichtdu uberrascht, einen Brief von mir zu sehen!
Sie scheinen mir nur ein interessanter Person zu sein! Ich habe mich nicht in dir geirrt?!?
Im den nachfolgenden Nachricht kann ich Ihnen weitere Informationen uber mich selbst schreiben.. Ich bin eine sehr lange Zeit keine mehr Ich hoffe dass Sie bist nicht dagegen? Wenn Sie die Kommunikation fortsetzen und mehr wissen mochten uber mich, dann antworten
Ich bin ein attraktives und freundliches Person mit ernsthaften Planen fur die Zukunft.. Aber in letzter Zeit empfinden ich mich oft Traurigkeit und Einsamkeit!
Ich bin Ekaterina ..
ernsthafte Beziehung gelebt..
Deshalb ich habe wollte, dir zu schreiben, um kennen zu lernen!
Sie mir.. Ich werde warten auf eine E-mail von Ihnen ! Ekaterina.

Dazu das Bild einer jungen Frau mit langen blonden Haaren, dunkel umschminkten Augen und bedrohlich langen Fingernägeln. Leider habe ich gerade keine Kapazitäten frei, mich der Dame anzunehmen, auch sollte sie an ihrer Zielgruppenbestimmung arbeiten. Wenn Sie interessiert sind, kann ich den Kontakt gerne herstellen.

Dienstag: Die Zeitung bezeichnet eine mögliche Koalition aus CDU, BSW und SPD als „Brombeer-Koalition“. Wie kommen die nur darauf? Reife Brombeeren, also die Früchte, sind schwarz, vorher rot, vielleicht auch ein bisschen violett. Außerdem neigen sie, also die Büsche, dazu, alles in ihrer Umgebung stachelbewehrt zuzuwuchern. Vielleicht deshalb?

Lange nichts Neues über die Rheinnixe geschrieben, die ehemalige Personenfähre nach Beuel. Am dortigen Ufer lag sie seit längerem und wartete auf bessere Zeiten. Laut einem Zeitungsbericht hat sie ein Privatmann gekauft ohne nähere Angaben, was er damit vorhat. Vielleicht ist ihm jetzt was eingefallen, seit heute Morgen ist sie verschwunden. Dieses Mal vielleicht für immer. Wir werden sehen.

In einer internen Mitteilung war etwas vom „richtigen Mindset“ zu lesen, auch so ein Begriff, der mich regelmäßig schaudern lässt. Außerdem nahm ich am Kick Off eines zweifelhaften Projektes teil. Bei solchen Anlässen ist es immer wieder beruhigend, wenn mein Name nicht im Projekt-Organigramm zu lesen ist.

Der Arbeitstag war wegen einiger spontan per Mail eingetroffener Handlungsbedarfe und wegen abzuwartenden Regens etwas länger als erwartet, das war nicht schlimm. Ohnehin empfiehlt es sich dienstags nicht, zu früh nach Hause zu kommen, um bei des Heimes Pflege nicht im Wege zu sein. Wozu das gerade in der Vorweihnachtszeit führen kann, wissen wir dank Loriot.

Mittwoch: Anscheinend bin ich nicht der einzige, bei dem das gestern beschriebene Brombeerbild Verwunderung auslöst. Heute sah sich die Zeitung veranlasst, per Kolumne auf der ersten Seite aufzuklären. Demnach hat sich das ein Parteienforscher (was es alles gibt; demnächst, wenn es einigermaßen gut läuft, forscht er vielleicht nach kaum noch nachweisbaren Spuren der FDP) namens K.-R. Korte ausgedacht, inspiriert durch noch nicht ganz reife Brombeeren, die neben schwarzen auch dunkelrote Fruchtperlen aufweisen. Das finde ich sehr weit hergeholt. Wobei: Unreife Brombeeren sind unbekömmlich, insofern passt das Bild.

Deshalb also
Nanu?

Morgens war es trocken, deshalb fuhr ich planmäßig mit dem Rad zum Büro. Dadurch geriet ich nach Arbeitsende in eine Situation: Wegen eines überzogenen Cheftermins kam ich erst später raus, eine halbe Stunde später hatte ich einen Gesundheitstermin in der Inneren Nordstadt. Zeitlich kein Problem, leider regnete es nun mittelstark. Deshalb versuchte ich, mir die morgens vom Geliebten gereichte, ungefähr auf Postkartengröße (falls Sie damit noch was anfangen können) gefaltete Regenschutzfolie überzuziehen, was im windbegleiteten Regen nicht ganz einfach und für mögliche Beobachter erheiternd gewesen sein muss. Wieder so ein Moment, in dem ich dachte: Hoffentlich filmt das keiner. Trotz aller Ungeschicklichkeit meinerseits leistete die Pelle, bis über den Lenker gezogen, was die Lenkung etwas einschränkte, gute Dienste: Die Hose blieb trocken, die Schuhe wurden nur etwas feucht. Vielleicht sollte ich das demnächst mal trocken üben.

Ob die originäre Zweckbestimmung des Produktes der Regenschutz ist, mag aufgrund der Abbildung angezweifelt werden

Donnerstag: Heute hatte ich frei. Da für den Tag Regen angekündigt war, verzichtete ich auf eine Wanderung, zumal die letzte erst zwei Wochen zurück liegt. Stattdessen startete der Tag mit Frühstück und Zeitunglesen im Kaufhof-Restaurant. Zu meiner Überraschung stand ich zunächst vor verschlossener Tür, weil sie erst um zehn öffnen, das muss ich mir merken für künftige freie Tage mit Auswärtsfrühstück.

Die Zeitung berichtet über den vierzehnten Extremwetterkongress in Hamburg. Experten fordern von den Menschen und der Politik sofortiges Umdenken und Handeln ein, wenn uns das Klima nicht schon bald um die Ohren fliegen soll. – In Bad Godesberg geht eine neu gegründete Bürgerinitiative gegen Baumpflanzungen an, weil dadurch Parkplätze entfallen. „Wir sind doch auf das Auto angewiesen“, so die Bürger. – Unterdessen sorgt sich die Weltgesundheitsorganisation um die Jugend, weil sie zu viel Zeit in den sogenannten sozialen Medien verbringt, die bekanntlich einen hohen Energieverbrauch haben. So passt eins zum anderen.

Nach dem Frühstück tat ich, was ich mir schon lange vorgenommen hatte: eine Buskursion in einen mir bislang unbekannten Stadtteil. Auch nach fünfundzwanzig Jahren, die ich nun in Bonn lebe, kenne ich nur wenige der Außenbezirke in den Zielanzeigen der Linienbusse. Also begann ich heute mit der Linie 611 ab Hauptbahnhof nach Heiderhof, ein Stadtteil, den ich bei der vorletzten Wanderung am Rande streifte. Die ersten Kilometer waren vertraute Strecke, sie entsprachen exakt meiner Radfahrt zum Büro. Bei Vorbeifahrt am Mutterhaus sah ich die ersten Hungrigen von den anderen Bürogebäuden in die Kantinen strömen. Die weitere Fahrt führte über Plittersdorf durch das Godesberger Villenviertel, das zu Fuß zu erkunden sich lohnt; falls Sie mal in Bonn sind, empfehle ich Ihnen das sehr. Am Godesberger Bahnhof gab es einen längeren Aufenthalt, weil der Fahrer den Bus verließ, vielleicht drückte die Blase. Es dauerte einige Minuten, ehe es weiter ging, während der ganzen Zeit lief der Motor. Wieviel CO2 mag täglich völlig unnötig ausgestoßen werden, weil Fahrer von Kraftfahrzeugen aller Art es nicht für nötig befinden, während längerer Haltezeiten den Motor abzustellen? Was haben sie davon, wenn der Motor läuft?

An der Godesberger Stadthalle wechselte der Fahrer, was wenige Minuten dauerte, immerhin wurde währenddessen der Motor abgestellt. Dann ging es weiter, nach einigen Kilometern bergauf durch den Wald wurde Heiderhof erreicht. Darüber ist nicht viel zu schreiben: eine nach meinem Empfinden eher seelenlose Ansammlung von Wohnblocks und Bungalows aus den Sechziger- und Siebzigerjahren, immerhin mit viel Grün dazwischen. Ein wenig erinnert es mich an Bielefeld-Sennestadt, das ungefähr zur selben Zeit auf der grünen Wiese bzw. im Wald entstanden ist. Da es keinen Grund zum längeren Verweilen gab, ging ich nach Ausstieg eine Haltestelle vor und fuhr direkt mit dem nächsten (bzw. demselben) Bus zurück.

Die Linie 611 fährt in Gegenrichtung bis Lessenich, das ich ebenfalls noch nicht kannte. Deshalb blieb ich am Hauptbahnhof, wo ein größerer Fahrgast- und der nächste Fahrerwechsel erfolgte, sitzen. Während der Fahrt nach Lessenich, durch die Weststadt, Endenich und Dransdorf, war der Bus wesentlich voller als nach Heiderhof. Lessenich ist im Gegensatz zu Heiderhof ein alter, gewachsener Ortsteil mit teilweise dörflichem Charakter. Bei Erreichen der Endhaltestelle am Sportplatz, direkt am Messdorfer Feld gelegen, war mein Bedarf an Busfahren nach etwa drei Stunden für heute gedeckt, daher beschloss ich, zu Fuß nach Hause zu gehen, zumal der angekündigte Regen ausblieb. Somit kam ich zwar nicht zu einer Wanderung, immerhin einem längeren Spaziergang, mit Einkehr auf Kaffee und Kuchen nach Rückkehr in der Innenstadt.

Man mag das für Zeitverschwendung halten, mir hat es gut gefallen, ich werde das wieder tun. Das Busnetz ist groß, es erreicht viele Orte, in denen ich noch nie war.

Heiderhof I
Heiderhof II
Oft ist böses über Busfahrer zu hören und lesen, sie seien unfreundlich und ließen Leute einfach an der Haltestelle stehen. Doch wie sie ihr Fahrzeug durch enge Straßen mit Baustellen und parkenden Autos lenken, ohne anzuecken, verdient Hochachtung. Meine haben sie.
Messdorfer Feld

Freitag: „Wer bereits geantwortet hat: disregard“ beendete einer seine Mail. Vermutlich war ich der einzige im Verteiler, der das letzte Wort nachschlagen musste. Laut einer Umfrage von Allensbach lehnen nur einunddreißig Prozent der Befragten die Verwendung englischer Begriffe in der deutschen Sprache ab, las ich letztens in der Sonntagszeitung. Offenbar muss ich diesbezüglich an meinem Mindset arbeiten.

Das Morgenlicht war wieder augstreichelnd

Aus der Zeitung:

Da bekommt das Wort Verbrenner eine ganz neue Bedeutung (General-Anzeiger Bonn)

Samstag: Die britische Schauspielerin Maggie Smith ist tot. Sie spielte in der Serie Downton Abbey die Countess of Grantham, Violet Crawley, Mutter des Hausherrn, und zwar ganz großartig, aber das wissen Sie vermutlich selbst, wenn Sie es gesehen haben. Downton Abbey war eine der wenigen Serien, die ich mir in den letzten zehn bis zwanzig Jahren angesehen habe; aus Gründen, die ich selbst nicht benennen kann, langweilen mich bewegte Bilder eher. Daher schaue ich – außer der Tagesschau, gelegentlich der heute-Show und Nuhr im Ersten* – kaum Fernsehen, gehe nur sehr selten ins Kino, per WhatsApp zugesandte Filmchen werden konsequent disregarded. Auf der Liste der Dinge, die ich im Leben benötige, stünde ein Netflix-Anschluss weit unten. Deshalb kann ich, neben Fußball und überhaupt Sport, beim Thema Filme, Serien und Schauspieler nicht mitreden. Maggie Smith war für mich jedenfalls eine der großen.

*Dazu stehe ich, auch wenn Dieter Nuhr umstritten ist

Zusammenhangloses Spaziergangsbild aus der Nordstadt. Finde den Fehler

Auch ziemlich weit unten auf besagter Liste stünde der Besuch von Oktoberfesten. Manchmal lässt es sich nicht ganz vermeiden, so veranstaltete unsere Karnevalsgesellschaft heute Abend ein solches in ihrem Zeughaus. Dem konnte ich mich als Mitglied nicht ganz entziehen, zumal ich mich freiwillig als Helfer an der Kasse gemeldet hatte. Wessen ich mich jedoch entzog war das Tragen einer pseudo-bayrischen Verkleidung, weil mir als ostwestfälisch-rheinischer Nichtbayer derartige kulturelle Aneignung albern erscheint, aber wer es möchte, bitte sehr. Ich kann auch ohne Lederhose a Gaudi haben, gell.

Sonntag: Das gestrige Oktoberfest geriet recht angenehm, auch negative Auswirkungen auf das heutige Wohlbefinden blieben weitgehend aus, was vielleicht auf die hohe Qualität des gereichten Festbieres zurückzuführen ist. Gleichwohl verließen wir die Schlafstätte erst spät, warum auch nicht, es ist Sonntag.

Für den Sonntagsspaziergang wählte ich nicht eine der schon oft gegangenen Strecken durch die Südstadt oder an den Rhein, sondern verband ihn, nachdem ich am Donnerstag auf den Geschmack gekommen bin, mit einer weiteren Bus-Erkundungstour. Am Friedensplatz stieg ich in den 608, der über den Rhein, durch Beuel, Pützchen und Holzlar bis zum Endpunkt Gielgen fährt. Schon immer wollte ich wissen, wie es in Gielgen sein mag, wohin die Busse an Wochentagen im Zehnminutentakt fahren. Seit heute weiß ich es: Es ist, ähnlich Lessenich, ein recht ansehnlicher, gewachsener Ort überwiegend mit Einfamilienhäusern.

Zurück ging es zu Fuß, am Wald entlang, durch eine Siedlung von Holzlar mit Bebauung mutmaßlich aus den Siebziger- und Achtzigerjahren. Die Häuser passen architektonisch nicht zusammen, was sehr unharmonisch wirkt. Aber was weiß ich schon über Architektur, man wird sich was dabei gedacht haben. Weiter führte der Weg entlang dem Festplatz von Pützchen, wo gleich vier Trafotürme in unmittelbarer Sichtweite stehen und für die Sammlung fotografiert wurden. (Machen Sie sich keine Sorgen, es geht mir gut. Andere fotografieren Flugzeuge oder seltene Käfer.)

Suchbild – finde die vier Trafotürme
Interessante und harmonische Architektur hingegen in Pützchen

In Beuel beendete ich den Spaziergang nach immerhin achteinhalb Kilometern, als ein Bus kam, der mich zurück in die Innenstadt brachte, wo ich einen Gang über das Bonnfest machte, ehe ich zu den Lieben nach Hause zurückkehrte, wo dieser Wochenrückblick vollendet wurde.

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Kommen Sie gut durch die Woche, bleiben Sie heiter oder, falls Sie es nicht sind, werden Sie es.

Woche 16/2024: Heftiger April, Wanderlust und ein Umzug

Montag: „Ganz NRW ist stolz auf Leverkusen“ lobte der Ministerpräsident die örtliche Fußballmannschaft, die offenbar irgendwas gewonnen hat. Dem erlaube ich mir zu widersprechen. Ich gönne allen, die aktiv daran beteiligt waren sowie allen anderen, denen es was bedeutet, diesen Sieg, doch warum sollte er mich mit Stolz erfüllen? Ich habe nichts dazu beigetragen.

Die letzte Woche in meinem jetzigen Büro ist angebrochen. Vor viereinhalb Jahren zogen wir auf Wunsch und Weisung des damaligen Chefchefs vom nahen Mutterhaus in dieses Gebäude. Das fand ich erst blöd, allein schon wegen der Aussicht auf den Rhein vom bisherigen Schreibtisch aus, doch nach dem Umzug fühlte ich mich hier von Anfang an sehr wohl, weil es im Gegensatz zum Mutterhaus sehr ruhig ist. (Noch ruhiger wurde es mit Corona, darauf hätte ich gerne verzichtet.) Ab kommender Woche sind wir wieder drüben, daran werde ich mich gewöhnen müssen, vor allem die Menschengeräusche. Ein wenig freue ich mich auch drauf, allein schon wegen der Aussicht.

Nachmittags zeigte sich das Wetter sehr unfreundlich, Windböen umwehten das Werk, die App kündete von stärkerem Regen, der auf dem Bildschirm schon fiel, während es hinter dem Fenster noch trocken war. Das motivierte mich zu einem zeitigen Arbeitsende, was sich als gute Entscheidung erwies: Etwa eine halbe Stunde nach Heimkehr setzte erhebliches Brausen und Tosen an, das vom Sofa aus wesentlich angenehmer anzuschauen war als vom Fahrradsattel.

Übrigens ist die Rheinnixe wieder da; als ich gegen den Wind und mit bangem Blick gegen dunkles Gewölk nach Hause radelte, lag sie wieder an ihrem Anlegeplatz vor dem Rheinpavillon, als wäre sie nie weg gewesen.

Später zeigte sich aprilgemäß wieder die Sonne

Dienstag: Auch heute heftiger April. Morgens kam ich noch trocken zu Fuß ins Werk, die meiste Zeit mit tief in den Hosentaschen vergrabenen Händen, weil die Temperatur nach der Regenfront gestern Nachmittag (die Zeitung nennt es „Gewittersturm“, obwohl es meines Wissens weder geblitzt noch gedonnert hatte, Drama muss sein) deutlich gesunken ist. Nach Ankunft im Büro verdunkelte es sich, bald schlug starker Regen gegen die Fenster und labte die ergrünte Flora. Keine guten Aussichten für den geplanten Wandertag am Donnerstag.

Kalt
Da ist sie wieder

„Wer hat für das Thema die Hosen an?“ sagte eine in der Besprechung.

Abends holte ich Döner für uns. Auf dem Rückweg hörte ich einen zum anderen sagen: „Du kannst dich influencen lassen oder eben nicht.“ Vorher stellte ich fest, dass der schöne große Regenschirm, den mir die Lieben letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt hatten, nicht an seinem Platz hing. Da ich ihn als Einziger benutzt habe, liegt es nahe, dass ich es war, der ihn irgendwo vergaß. Wenn ich nur wüsste, wo.

Mittwoch: »Glück ist, wenn das Orchester einsetzt«, steht auf Werbeplakaten für eine örtliche Musikveranstaltung, darauf ein augenscheinlich glücklicher Dirigent. Wobei Zweifel aufkommen an seiner Kompetenz und Autorität, wenn das Anheben der Instrumente Glückssache ist.

Das Rätsel der Rheinnixe ist teilgelöst: Laut Zeitungsbericht war sie am Wochenende in der Werft, sie soll demnächst verkauft werden. Vollständig geklärt ist der Verbleib des Regenschirms: Ich vergaß ihn vergangene Woche beim Friseur, wo ich ihn heute unversehrt abholen konnte.

Der Schauspieler Wichart von Roël ist gestern gestorben. Wieder ein Ach-der-lebte-noch?-Moment. Die Älteren kennen ihn vielleicht noch als Opa in der legendären Klimbim-Familie, „Damals in den Ardennen“ und so. Auch eine Art von Humor, die heute, wenn überhaupt, allenfalls mit vorangestelltem Warnhinweis auf mögliche moralische Bedenklichkeiten gesendet würde.

Abends besuchte ich erstmals das Treffen der Bonner Ortsgruppe vom Bundesverband junger Autoren und Autorinnen e.V. (BVjA). Der Schwerpunkt lag eindeutig bei den Autorinnen, ich war der einzige anwesende – nun ja: Autor, das war nicht schlimm. Auch trete ich den anwesenden Damen wohl nicht zu nahe, wenn ich meiner Freude Ausdruck verleihe darüber, dass das j im Vereinskürzel aus gutem Grund klein geschrieben ist; soweit ich es sah, hob ich den Altersdurchschnitt durch meine Anwesenheit nicht wesentlich an.

Gehört zum Thema Ernährung: „Ich bin der Überzeugung, der Mensch ist gebaut wie ein Schwein.“ Bei manchen beschränkt sich das nicht auf die Bauweise, wäre ohne jeden Bezug auf Anwesende zu ergänzen.

Donnerstag: Der erste Inseltag des Jahres, also ein freier Tag zwischendurch. Bis zuletzt war aus Wettergründen offen, ob ich wie geplant wandern kann. Da es morgens trocken war und die Wetter-App für den weiteren Tag keine Regenfälle in Aussicht stellte, entschied ich mich für die Wanderung: dritte Rheinsteig-Etappe von Linz nach Bad Honnef, die ich vor drei Jahren (so lange ist das schon wieder her) schon einmal gelaufen war, in umgekehrter Richtung. Dabei hatte ich mich an einer Stelle gründlich verlaufen und es erst so spät bemerkt, dass auch die Wander-App nichts mehr retten konnte, es sei denn, ich wäre einige Kilometer zurück gegangen, das wollte ich nicht. Deshalb die Strecke heute nochmal, nur andersrum.

Nach Ankunft mit der Bahn in Linz ein kleines Frühstück (Rosinenschnecke und Kaffee) in einem Café, bevor es losging: Immer den blau-weißen Wegmarkierungen nach, die offenbar erst kürzlich erneuert worden sind; nur wenige Male benötigte ich die App, um nicht vom rechten Wege abzukommen. Immer wieder erstaunlich, wie neu eine Wegstrecke erscheint, wenn man sie andersrum geht. Die Entscheidung für die Wanderung heute war richtig: Das Wetter blieb trocken bis auf wenige Regentropfen gegen Mittag, die die Wanderlust nicht zu trüben vermochten, erst etwas kühl, was sich mit der ersten längeren Steigungsstrecke verlor, immer wieder zeigte sich auch die Sonne. Erkenntnis, wenn auch keine neue: Weniges ist beglückender, als frisch ergrünende, vögelbesungene Wälder zu durchstreifen.

Vergangene Pracht oberhalb von Linz
Hier meinte man es besonders gut mit der Wegweisung
Blick von der Erpeler Ley: rechts der namensgebende Ort, gegenüber Remagen
Insgesamt vier Trafotürme für die Sammlung säumten den Weg. Ein besonders schöner in Orsberg.
Beglückendes Grün
Allee oberhalb von Unkel
Moosansicht

Als am Nachmittag das Etappenziel Bad Honnef erreicht war, schien mir das zu früh zum Aufhören, obwohl ich da schon fünf Stunden gewandert war. Deshalb entschied ich mich, eine Teilstrecke der zweiten Etappe (Bad Honnef – Königswinter) anzuhängen, die beim letzten Mal im Juli 2020 wegen offenbar kurz zuvor gefällter, kreuz und quer auf den Wegen herumliegender Baumstämme und von Fahrzeugen zerfurchter Wege unpassierbar gewesen war.

Danach reichte es. Die Füße verlangten nach einer Pause, der Magen nach Nahrung. Beides fand sich in einem Imbisslokal in Bad Honnef. Manchmal lautet die einzig sinnvolle Antwort auf alle Fragen: Currywurst mit Pommes, dazu ein Weißbier.

Freitag: Anscheinend hatten die für das Wetter zuständigen höheren Mächte gestern Rücksicht genommen auf meine Wanderabsichten, bereits heute regnete und wehte es wieder heftig, deshalb war die Stadtbahn Verkehrsmittel der Wahl.

„Das ist – sportlich dürfen wir ja nicht mehr sagen – herausfordernd“, sagte eine in der Besprechung. Wer hat das wann verfügt? Warum wurde der Gebrauch von herausfordernd nicht gleich mit verboten? Ich hätte da noch ein paar weitere Vorschläge.

Es sportlich zu nennen wäre übertrieben, jedenfalls blieb ich in Bewegung, weil von unsichtbaren Mächten gesteuert die Sonnenschutz-Jalousien mehrfach versuchten, herunterzufahren, was mangels Sonnenschein besonders unsinnig war. Um sie daran zu hindern, musste ich mich jedes Mal zum Schalter neben der Bürotür begeben und sie wieder hochfahren. Anscheinend ein weiter verbreitetes Phänomen, wie bei Frau Kaltmamsell zu lesen ist.

Nachmittags bezog ich mein Büro im Mutterhaus und begann, mich einzurichten. Als erstes baute ich den zweiten Monitor ab, weil er für mein Empfinden zu viel Platz auf dem Schreibtisch beanspruchte und schon auf einem genug Unbill erscheint. Ich weiß nicht, wozu so viele mittlerweile mindestens zwei Bildschirme und ein aufgeklapptes Laptop benötigen. Die Aussicht auf Rhein, Siebengebirge und Bad Godesberg ist erfreulich, heute war sie durch heftigen Regen getrübt. Alles Weitere kommende Woche, sofern die beiden Umzugskartons aus dem bisherigen Büro gebracht werden. Es hat keine Eile.

Samstag: Morgens spielten sie bei WDR 2 wieder dieses Jerusalema-Lied. Seit den frühen Achtzigern bis vor nicht langer Zeit war WDR 2 ein von mir bevorzugt gehörter Radiosender, gerade auch wegen der Musik, das erwähnte ich sicher schon. Das hat sich geändert, seit man auch dort als Hörer ungefragt geduzt wird. Ein weiterer Grund ist vorgenanntes Lied, ich finde es gar grauenvoll, es steht auf meiner ungeschriebenen Liste der Radioabschaltgründe gleich hinter dem Wellerman und noch vor Giesingers frustrierter tanzender Mutter.

Herzlichen Glückwunsch dem Liebsten zum Geburtstag und allen, die Wiho heißen, zum Namenstag. Aus erstem Anlass suchten wir abends ein (für uns) neues Restaurant in der Nordstadt auf. Wir waren sehr zufrieden mit Qualität, Service, Preisen und voraussichtlich nicht zum letzten Mal dort.

Sonntag: Katja Scholtz in der FAS über den Verzehr von Meeresgetier:

»… ich habe es genau beobachtet in französischen Restaurants — man benötigt ein kompliziertes Operationsbesteck, lebenslange Erfahrung und vor allem sehr viel Geduld, um aus winzigen Krustentierenscheren zwei Milligramm Fleisch herauszufriemeln und dabei auch noch gut auszusehen.«

Das kenne ich gut.

Während des Spazierganges sah ich ein rätselhaftes Verkehrsschild:

Wer oder was ist frei? Halbierte Autos?

Da hat wohl jemand zu viel Pantothensäure verabreicht bekommen:

Auf einer Schachtel mit Vitaminpillen

***

Kommen Sie gut durch die Woche. Ziehen Sie sich warm an, es soll kalt werden.

Woche 15/2024: Sprich ens schön

Montag: Der April bringt dieses Jahr eine Art Vorsommer mit sich, jedenfalls ab Mittag; morgens war noch die leichte Daunenjacke angebracht, nachmittags zurück wäre ein T- oder Poloshirt ausreichend gewesen. Das führte auf der Heimfahrt zu einer etwas kuriosen Situation, die vermutlich nur ich wahrgenommen habe: Während ich mit Jacke bekleidet zurück radelte, weil ich zuvor zu bequem gewesen war, sie anderweitig zu verstauen, ich weiß, eine äußerst faule Begründung, aber so war es, kam mir auf der Gegenspur ein Radler mit freiem Oberkörper entgegen. Spätestens da wurde mir heiß.

Dienstag: Bereits gegen halb fünf wachte ich auf und schlief nicht wieder ein. In dieser Zeit kam mir eine fabelhafte Schreibidee.

Zu Fuß ins Werk wie dienstagsüblich, wegen Regengefahr nicht am Rheinufer entlang, sondern an der Adenauerallee, um im Niederschlagsfalle rasch in die nächste Stadtbahnhaltestelle huschen zu können. Jedoch bestand kein Huschbedarf, die paar Regentropfen konnte der Schirm abwehren, so dass ich trockenen Fußes und Hosenbeins das Büro erreichte.

Auf der Adenauerallee, die, wie berichtet, zugunsten der Fahrräder von vier auf zwei Kraftfahrspuren reduziert wurde, war auch heute nichts von den vielbeschrienen Staus zu sehen, der Verkehr floss flüssig dahin.

Mittwoch: Frühmorgens wurde ich im Traume von einem Unbekannten an den Füßen aus dem Bett gezerrt. Beim Aufwachen schlug ich auf den Liebsten neben mir ein, vielleicht war er deswegen heute Morgen ein wenig unleidlich. Danach lag ich längere Zeit wach, ehe ich wieder einschlief. Während des Wachens stellte sich keine neue Schreibidee ein; immerhin ergab sich daraus diese Notiz.

Verkehrsbeobachtung: Immer wieder drollig, wenn Autofahrer glauben, indem sie mehrfach ein paar Zentimeter verrollen, könnten sie die Ampel zum Ergrünen bewegen.

Donnerstag: Auch heute wachte ich vorzeitig auf, immerhin erst kurz nach fünf. Was ist nur los mit meinem Schlaf? Vielleicht zu wenig Alkohol, den letzten gab es am Sonntagnachmittag. Ob ich danach wieder einschlief, kann ich nicht sicher sagen. Manchmal meint man ja, man hätte stundenlang wach gelegen, obwohl man zwischendurch schlief, ohne es zu merken.

Die Rheinnixe ist weg. Wie berichtet lag sie nach ihrer Außerbetriebnahme erst längere Zeit am Beueler Ufer, vor einigen Monaten wurde sie verlegt an ihre alte linksrheinische Anlegestelle, warum auch immer. Nun ist sie verschwunden. Leb wohl, kleine Personenfähre, die ich nur selten nutzte. Hoffentlich tut man dir nichts Böses.

Vorletzte Woche Dienstag
Heute Nachmittag

Freitag: Heute vor fünfundzwanzig Jahren zog ich von Bielefeld nach Bonn, wie die Zeit vergeht. Während der Fahrt wurde im Autoradio von dem schweren Unfall bei der Wuppertaler Schwebebahn mit Toten und Verletzten berichtet, das sich am Morgen desselben Tages ereignet hatte. Deshalb werde ich beides immer miteinander in Verbindung bringen, wenngleich es außer dem Datum keine gibt.

Vormittags auf der Betriebsversammlung sagte der Personalvorstand einen klugen Satz zu Work-Live-Balance, den ich nur sinngemäß wiedergeben kann: „Das bedeutet: hier Arbeit, da Leben. Im Idealfall lebt man auch während der Arbeit.“

„Laufen Sie am Wochenende auch Marathon?“, fragte mich mittags der Mann hinter dem Postschalter. Anschließend lachten wir beide herzlich.

Wer noch wegen der Kirschblüte nach Bonn zu reisen beabsichtigt, sollte sich beeilen

Samstag: »Wo verbringst du die Ewigkeit?«, fragt eine sich Seelenretter nennende Gruppierung per Banner hinter einem Flugzeug, das vormittags beim Balkon-Frühstück über die Innenstadt flog. Darüber habe ich mir bislang keine Gedanken gemacht, zumal ich davon ausgehe, dass die Ewigkeit ohne mich beziehungsweise meine möglicherweise rettungsbedürftige Seele ganz gut klarkommen wird.

»Wo siehst du dich in zehn Jahren?« lautet thematisch ähnlich die Tagesfrage. Vorausgesetzt, ich lebe dann noch, was keineswegs sicher ist, wie im aktuellen SPIEGEL zu lesen ist, sind wir der Auslöschung durch einen Atomkrieg näher als je zuvor, auf jeden Fall im Ruhestand. Alles andere wird man dann sehen.

Aus der Reihe Dat is rheinisch in der Tageszeitung: „Sprich ens schön!“ ermahnten rheinländische Eltern früher ihre Kinder, hochdeutsch zu reden, um außerhalb familiärer Runde einen guten Eindruck zu hinterlassen, etwa wenn man zu Besuch war. Ein Satz, der sich auch gut in Besprechungen anbringen ließe, wenn eine, wie erst gestern gehört, so etwas sagt wie „Wir sind gut ongeboardet“.

Übrigens: Der Gebrauch von „natürlich“ ist meistens genau so überflüssig wie „eigentlich“. „Tatsächlich“ sowieso.

Nach dem Frühstück zog es mich raus in die Stadt, zum einen wegen des sommerlichen Wetters, zum anderen weil der Geliebte umfangreiche Raumpflegeabsichten hegte, da will man nicht im Wege sitzen. Außerdem beabsichtigte ich, mir weiße Turnschuhe zu kaufen, da die alten mittlerweile rissig geworden sind. Ich bin nicht der Meinung, dass man mit siebenundfünfzig unbedingt weiße Turnschuhe benötigt, aber heute war mir danach, es ist nicht immer alles rational zu erklären.

Nach Erwerb der Schuhe, die ich ohne langes Suchen sofort im ersten Laden fand, verließ ich das Menschengewusel der Fußgängerzone und setzte mich auf eine Bank am Rheinufer, um Blogs zu lesen. Dabei hob ich immer wieder den Blick, um zu sehen, was es sonst noch zu sehen gab. Unter anderem auf dem Rhein einen Wassersportler auf einem Brett etwa von der Größe eines Skateboards, das, mutmaßlich elektrisch angetrieben, gut eine Handbreite über dem Wasser zu schweben schien. Was es alles gibt.

Sie können nicht anders
Begleitgetränk bei Niederschrift. Für manches ist es nie zu früh.

Sonntag: In Bonn ist Marathonlauf. Auch einem an Sportereignissen Uninteressierten wie mir entgeht das nicht, etwa durch zahlreiche Menschen zu Fuß und Rad in der Stadt mit Insignien der Teilnahme wie Trikot, Startnummer, Rucksack und Umhängeband in den Farben des großen Sponsors, der, nebenbei bemerkt, auch mich seit vielen Jahren sehr zuverlässig sponsort, wenn auch nicht für Marathonlaufen. Das ist überhaupt das Beste an so einem Lauf, die Teilnahme ist völlig freiwillig.

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In einer Nebenstraße zur Laufstrecke war der Gehweg trotz eindeutiger Halteverbotskennzeichnung durch zahlreiche Autos zugeparkt, die meisten bereits mit einem Gruß des Ordnungsamts unter dem Scheibenwischer. Das führt vielleicht wieder, wie bereits bei anderen Anlässen geschehen, zu Empörungsäußerungen gegen die Stadt mit der absurden Begründung, man habe doch immer zu Marathon dort geparkt, niemals hätte man dafür einen Strafzettel erhalten. Regelverstoß als Gewohnheitsrecht.

Auch so eine dumme Gewohnheit

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Kommen Sie gut durch die Woche.

Woche 3/2024: Nicht unerwartet, gleichwohl gruselig

Montag: Angeblich ist der dritte Montag im Januar der traurigste Tag des Jahres, so ist zu lesen, wobei unklar bleibt, ob das eine Erkenntnis der Wissenschaft oder aus dem Tourismus-Marketing ist.

Beim Mittagessen mit einem Kollegen sprachen wir über die aktuellen politischen Entwicklungen und waren uns einig, dass die Aktivitäten und Erfolge der sogenannten Rechten äußerst beängstigend sind, was die Stimmung zu drücken vermag.

Erst abends zu Hause hellte sie deutlich auf, als ich nach längerer Zeit und viel Quengeln endlich mal wieder den Ofen anheizen durfte. Insgesamt war der Tag somit gar nicht so schlecht; wenn es der traurigste des Jahres war, könnte das Jahr ganz gut werden.

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Dienstag: Über Nacht hat es geschneit. Während die Rheinuferpromenade fast vollständig schneebedeckt war, waren in der Innenstadt nur vereinzelte weiße, wenige Quadratmeter große Flecken vorzufinden, als hätte jemand punktuell hier und da, ohne erkennbares Muster, eine Schubkarre voll Schnee ausgekippt und das ganze mit einer sehr feinen Harke anschließend glattgezogen.

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Bereits im vorletzten Jahr hat die Rheinnixe, eine Personenfähre, aus wirtschaftlichen und personellen Gründen dauerhaft den Betrieb eingestellt, ich berichtete. Seitdem lag sie vor dem Beueler Ufer und harrte ihrem ungewissen Schicksal entgegen. Angeblich war sie von dort auch nicht mehr ohne weiteres wegzubewegen, weil sich inzwischen größere Mengen Kies um sie herum abgelagert hatten, nur mit erheblichen Kosten zu entfernen, die keiner übernehmen wollte. Wie ich heute Morgen sah, wurde sie umgeparkt, sie liegt nun an ihrem alten Anlegeplatz auf der Bonner Seite, im Führerhaus brennt Licht, als warte sie nur auf die nächsten Fahrgäste und legte gleich ab. Vielleicht konnte das Hochwasser der vorletzten Woche genutzt werden, um sie zu befreien. Was auch immer der Grund für den Standortwechsel sein mag, mit der Wiederaufnahme des Fährbetriebs rechne ich nicht.

Womit hingegen zu rechnen war: Donald Trump hat die Vorwahl in Iowa gewonnen. Nicht unerwartet, gleichwohl gruselig.

Mittwoch: Wie angekündigt schneite es ab Mittag heftig, deshalb nahm ich statt des Fahrrades die Bahn zum Büro. Auch der Arbeitstag verlief in geregelten Bahnen ohne nennenswerte Vorkommnisse, während draußen die Schneedecke wuchs. In den Büros waren mehr Leute anwesend als erwartet, angesichts der Wetteraussicht rechnete ich damit, dass alle im Heimbüro blieben. Nur der gut gefüllte Futterteller vor dem Fenster blieb unbesucht, weder Raben noch Elstern schienen heute Lust auf Auswärtsessen gehabt zu haben.

In den zuständigen Apps unterdessen Warnungen vor Unwetter, Leib und Leben. Wir haben anscheinend Glück gehabt: Die Eisregenfront zog haarscharf südlich vorbei, hier bei uns nur Schnee, wenn auch mehr als reichlich davon. Warum auch nicht (bzw. „Aber hey“, wem das lieber ist), es ist Januar, da kann es schneien, auch viel. Ich erinnere mich an den Rosenmontag 1987, als über Ostwestfalen heftiger Eisregen niederging. Nach wenigen Stunden war alles mit einer Eisschicht überzogen: Straßen, Gehwege, Autos, Fahrräder, Bäume; letzteren knickten unter der Eislast die Äste ab. So etwas hatte ich vorher noch nicht gesehen. Dasselbe im Dezember 1988 nochmal, ich arbeitete an dem Tag in Werther und hatte Mühe, nach der Arbeit meine Autotür zu öffnen und die festgeeisten Scheibenwischer zu lösen. Irgendwie gelang es mir schließlich und ich kam unfallfrei nach Hause. Soweit ich mich erinnere, sprach beide Male niemand von Unwetter oder Katastrophe, vielleicht irre ich mich auch.

Zur Abwechslung mal wieder die WordPress-Tagesfrage, die heutet lautet: »Kannst du eine Situation schildern, in der du dich geliebt gefühlt hast?« Eine besondere Situation vergangener Zuneigungsbekundung zu nennen fällt mir schwer, vielmehr fühle ich mich durchgehend ausreichend geliebt. Auch wenn meine Lieben bisweilen eine sehr spezielle Art an den Tag legen, das zum Ausdruck zu bringen. Passt schon. (Bitte denken Sie sich hier ein zweifaches herzverziertes Kuss-Emoji.)

Donnerstag: Bonn liegt weiterhin unter einer dichten Schneedecke. Morgens schneite es noch, deshalb wählte ich statt des üblichen Fußmarsches auch heute die Bahn, die mich pünktlich und mit reichlich Platz zum Werk fuhr, das ist zu loben.

Vormittags eine Besprechung in größerer hybrider Runde, die einen saßen am Tisch im Besprechungsraum, die anderen waren zugeschaltet über eine kleine flache Lautsprecherbox auf dem Tisch. Es wurde viel durcheinander geredet. Ich schwieg, schaute nach draußen in den Schnee und fand es schön.

Schön auch die Schlussformel „Gehab dich wohl“, empfangen zum Abschluss eines Telefongesprächs. Die sollte viel öfter Anwendung finden, allemal besser als „Ciao“ oder, was zunehmend am Ende von Mails zu lesen ist: „Cheers“.

Mittags im Park

Zurück ging ich zu Fuß über die immer noch weiße Uferpromenade. Der Schnee ist inzwischen festgetreten, es ließ sich gut und ohne zu rutschen gehen. In der Innenstadt hingegen ist er auf Straßen und Gehwegen zu bräunlichem Matsch angetaut.

Die Rheinnixe an ihrem neuen alten Platz

Nach der Arbeit ging ich zum Zahnarzt wegen der in der vergangenen Woche abgelösten Zahnkrone. Obwohl der Zahn mittelfristig raus soll, erhielt er eine letzte Gnadenfrist, die Krone wurde noch einmal befestigt. Nach Karneval, haben wir vereinbart, melde ich mich wieder wegen der Ziehung. Nach Karneval ist ein dehnbarer Zeitraum.

Freitag: Mittags wurden bevorstehende organisatorische Änderungen bekanntgegeben. Ich behalte meine Aufgaben, meine Kollegen und meinen Chef, darüber bin ich sehr froh. Einzig an eine neue Abteilungs- und Stellenbezeichnung werde ich mich gewöhnen müssen, nicht zum ersten und vermutlich nicht letzen Mal. Ich freue mich nun auf die entsprechenden Mitteilungen dazu, in denen voraussichtlich von verschlankten Strukturen, zu hebenden Synergien und Konzentration auf das Kerngeschäft zu lesen sein wird. Cheers.

Auf dem Heimweg sah ich die ersten Frühblüher ihre Spitzen durch die Schneedecke stechen und freue mich, dass die Natur sich trotz allem offenbar auch in diesem Jahr noch einmal entschlossen hat, zu erwachen.

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Satz des Abends: „Es ist eigentlich traurig, dass man Modern Talking mitsingen kann. Aber man kann es.“

Samstag: Während ich nach dem Frühstück lesend auf dem Sofa weilte, vernahm ich aus der Küche folgenden Dialog: Siri: „Was kann ich für dich tun?“ – Der Geliebte: „Mich am A … lecken.“ – Siri: „Ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll.“

„Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ Das schrieb einst der Philosoph Ludwig Wittgenstein.

Sonntag: Auch in Bonn wurde heute gegen die zunehmende Bräunung politischer Ansichten demonstriert. Ich war beeindruckt: Bis zum Marktplatz, Ort der Kundgebung, drang ich gar nicht vor, weil bereits die Straßen drumherum voller Menschen mit bunten Schildern und Regenbogenfahnen waren. Hoffentlich nützt es was.

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Gehaben Sie sich wohl, kommen Sie gut durch die Woche.