Woche 17/2024: Schöne Aussicht und ein Gang nach Auerberg

Montag: Reisen machen mich nervös, sogar wenn andere sie tun. Morgens reiste der Liebste in die USA nach Atlanta, wo er bis nächste Woche beruflich zu tun hat. Was mich daran nervös machte war nicht die Angst vor einem Flugzeugunglück (obwohl er mit einer Boeing-Maschine flog), sondern die Anreise zum Flughafen Frankfurt, erst mit der Stadtbahn nach Siegburg, dann weiter mit dem ICE. Aufgrund persönlicher Erfahrungen mit öffentlichen Verkehrsmitteln fand ich meine Sorge begründet, zumal er die spätest mögliche Stadtbahnverbindung wählte. Doch es lief alles zur Zufriedenheit, er kam gut und pünktlich an.

Der erste Arbeitstag im Mutterhaus nach viereinhalb Jahren Auslagerung verlief zufriedenstellend und weitgehend ohne Montäglichkeit. Auch das Gewusel auf dem Flur und in den Nebenbüros – nebenan telefonierte einer zu etwa achtzig Prozent seiner Arbeitszeit – störte mich weniger als befürchtet.

Blick aus meinem Büro über den Rheinauenpark auf das Siebengebirge

Beim Ausräumen meiner Schreibtischschubladen vergangene Woche fand ich eine noch fast volle Schachtel Altoids-Pfefferminzbonbons. Das freute mich ganz besonders, zumal mir schon vor längerer Zeit die örtlich Bezugsquelle abhanden gekommen ist. Vermutlich könnte ich sie beim großen A bestellen, doch bestelle ich dort aus grundsätzlicher Abneigung nichts; wenn es etwas nur beim großen A gibt, dann gibt es das für mich eben nicht.

Falls Sie die irgendwo sehen sollten, wäre ich für einen Hinweis sehr dankbar.

Am Samstag hatte ich bei einem Hersteller von Modellautos per Kontaktformular wegen Ersatzteilen angefragt, nachdem bei einem Omnibusmodell durch Unachtsamkeit ein Rückspiegel abgefallen und vermutlich im Staubsauger verschwunden war. Heute kam per Mail die Antwort: Gerne schicke man mir die gewünschten Teile, gegen Zusendung von Briefmarken im Wert von sieben Euro. Bis in die Neunzigerjahre eine durchaus gängige Zahlungsmethode, heute mutet sie ein wenig extravagant an.

Dienstag: Nach eisiger Nacht war der Rhein morgens in Nebel gehüllt, während abseits davon blauer Himmel das Auge erfreute; aus der Kranichperspektive wird das recht beeindruckend gewesen sein, sofern Kraniche auf so etwas achten. Da ein vernebelter Rhein nicht sehr oft zu sehen ist, erlaube ich mir heute eine gewisse Bildlastigkeit.

Am Brassertufer
Blick auf Beuel, wenn es zu sehen wäre
Das übliche Wochenbild, ohne Hintergrund
..
Der Bundesgalgen
Wie man sieht beziehungsweise nicht, war auch das Mutterhaus dicht umhüllt

Auf dem Rückweg stillte ich im Rheinpavillon spontane Lust auf ein Arbeitsendegetränk, wobei diese schon morgens auf dem Hinweg erwachte, als die Gaststätte noch geschlossen war. Zudem wäre es bedenklich, bereits vor acht Uhr Bier zu trinken. Währenddessen fuhr auf dem Rhein ein kleines Segelboot mit erheblicher Schräglage vorüber, mal neigte es sich nach Back-, mal nach Steuerbord, stets ausgeglichen durch die beiden Insassen, die sich auf der jeweils anderen Bordseite weit nach außen lehnten. Für mich wäre das nichts, schon gar nicht bei der derzeit herrschenden Kälte.

Luv oder Lee
Später kam eine alte Bekannte durch: Die Alisa, mit der wir im vergangenen Jahr auf dem Rhein kreuzfuhren

In der Fußgängerzone sah ich einen, der Passanten einen angeknitterten Pappbecher entgegen hielt und um Kleingeld anhielt. Kurz darauf begegnete mir ein anderer, ebenfalls mit einem Pappbecher in der Hand, nicht so knitterig wie der erste, gefüllt mit aufgecremtem Kaffee. Ich fragte mich, wie der wohl geschaut hätte, hätte ich dort Münzen eingeworfen.

Mittwoch: Wie ich erst nachmittags bemerkte, waren die beiden Umzugskartons aus dem alten Büro längst angeliefert, nur nicht wie darauf angegeben in mein neues Büro, sondern in einen Sammelraum den Gang runter, Servicewüste Deutschland. Egal, nach dem Auspacken und dekorativer Platzierung des Inhalts im Regal kommt eine gewisse Behaglichkeit auf, im Gegensatz zu den meisten anderen Büros ohne feste Bewohner.

Abends besuchte ich recht spontan eine Lesung, nachdem ich morgens durch die Zeitung darauf aufmerksam wurde. Sie fand statt in einer Kneipe unweit unserer Wohnung, die ich seit Jahren nicht mehr besucht hatte. Beim letzten Mal hieß sie noch anders und das Publikum war ein völlig anderes; soweit ich mich erinnere, hatten Damen keinen Zutritt. In den hinteren Räumen konnte Mann sich in einer Art und Weise vergnügen, die hier detailliert zu schildern womöglich gegen die Richtlinien des Bloganbieters verstößt.

Die Lesung (beziehungsweise der Poetry Slam, das Publikum stimmte per bei Gefallen hochgehaltener Fliegenklatsche ab), war unterhaltsam.

Auch die Fliesenbeschriftung über den Urinalen hat Niveau

Einer meiner Vorsätze lautet, nie wieder um die Wette zu lesen, nachdem ich bei einem ähnlichen Anlass vor Jahren grandios den letzten Platz belegt hatte. Dennoch habe ich mir heute einen Handzettel mit den nächsten Terminen und Kontaktdaten des Veranstalters eingesteckt, man soll niemals nie sagen.

Donnerstag: Aus terminlichen Gründen ließ es sich heute nicht vermeiden, die Kantine erst gegen zwölf aufzusuchen. Um diese Zeit ist der Andrang besonders groß, an manchen Tagen findet man dann kaum noch einen freien Platz. Ich hatte Glück und fand einen unbesetzten Zweiertisch, von wo aus ich gute Aussicht auf das hungrige Treiben hatte. Erkenntnis auch heute, wie kürzlich schon bemerkt: Das Platzproblem könnte deutlich gelindert werden, wenn die Leute nach dem Essen gehen würden, anstatt noch eine Viertelstunde und länger vor leer gegessenen Tellern sitzend zu quatschen.

Kennen Sie Gunkl? Sollten Sie. Er schreibt täglich tolle Sachen. Heute dieses:

Vermutlich bin ich nicht der erste, der sich überlegt, ob ein Feiertag fürs Universum, so er einmal eingeführt werden sollte, anders – jedenfalls glamouröser – benannt werden sollte als „Alltag“.

Tolles auch im General-Anzeiger:

Hier wäre wohl zunächst ein Kurs zu richtiges Schreiben angebracht.

Freitag: Resümee nach einer Woche Mutterhaus: Trotz permanentem Gemurmel aus den Nebenbüros fühle ich mich dort wieder wohl, die Sehnsucht zurück in die behagliche Ruhe des bisherigen Gebäudes ist gering. Die Aussicht auf das Siebengebirge entschädigt für vieles. Ein wenig gewöhnen muss ich mich noch daran, dass nebenan ständig die Kollegen wechseln. Ich bin einer der wenigen mit festem Arbeitsplatz, man kann sich das aussuchen: Entweder bis zu drei Tage in der Woche Heimbüro, dafür keinen festen Schreibtisch, oder jeden Tag ins Büro kommen. Da musste ich nicht lange überlegen. Auch der zweite Platz in meinem Büro ist flexibel belegt. In dieser Woche war nur zweimal wer da, beide waren sehr verträglich. Im Übrigen gilt, wie die geschätzte Mitbloggerin Frau Novemberregen schon vor einigen Wochen schrieb: Es ist ein Arbeitsplatz, keine Tagespflege.

Samstag: Der Frühling ist zurückgekehrt mit Sonnenschein und milder Luft. Das veranlasste mich am Nachmittag zu einem längeren Spaziergang nach Bonn-Auerberg. Nicht, weil das ein besonderes schöner Stadtteil wäre, eher im Gegenteil, die Auerberger mögen mir verzeihen, sondern weil mir wieder eingefallen war, vor längerer Zeit mal im Netz recherchiert zu haben, dass der dortige Rossmann Altoids-Bonbons im Sortiment hatte, siehe Montag. Leider nur hatte, jetzt hat er nicht mehr. Dafür immerhin ein ähnliches Produkt eines anderen Herstellers, ebenfalls in einer dekorativen Blechschachtel. Somit war der Gang nach Auerberg nicht vergeblich. Wobei ein Spaziergang ohnehin nie vergeblich ist, auch nicht nach Auerberg.

..
Wahlkampf

Sonntag: Nach spätem Frühstück fuhr ich mit der Bahn nach Bonn-Duisdorf, um eine Modellbahnbörse zu besuchen. Damit war ich schnell durch, es war nichts Kauflust erregendes im Angebot, das ist nicht schlimm. Zurück ging es zu Fuß durch das Messdorfer Feld, damit war der Sonntagsspaziergang auch erledigt. Mehr gibt es über den Tag nicht zu berichten, das ist auch nicht schlimm.

***

Kommen Sie gut durch die Woche.

Woche 16/2024: Heftiger April, Wanderlust und ein Umzug

Montag: „Ganz NRW ist stolz auf Leverkusen“ lobte der Ministerpräsident die örtliche Fußballmannschaft, die offenbar irgendwas gewonnen hat. Dem erlaube ich mir zu widersprechen. Ich gönne allen, die aktiv daran beteiligt waren sowie allen anderen, denen es was bedeutet, diesen Sieg, doch warum sollte er mich mit Stolz erfüllen? Ich habe nichts dazu beigetragen.

Die letzte Woche in meinem jetzigen Büro ist angebrochen. Vor viereinhalb Jahren zogen wir auf Wunsch und Weisung des damaligen Chefchefs vom nahen Mutterhaus in dieses Gebäude. Das fand ich erst blöd, allein schon wegen der Aussicht auf den Rhein vom bisherigen Schreibtisch aus, doch nach dem Umzug fühlte ich mich hier von Anfang an sehr wohl, weil es im Gegensatz zum Mutterhaus sehr ruhig ist. (Noch ruhiger wurde es mit Corona, darauf hätte ich gerne verzichtet.) Ab kommender Woche sind wir wieder drüben, daran werde ich mich gewöhnen müssen, vor allem die Menschengeräusche. Ein wenig freue ich mich auch drauf, allein schon wegen der Aussicht.

Nachmittags zeigte sich das Wetter sehr unfreundlich, Windböen umwehten das Werk, die App kündete von stärkerem Regen, der auf dem Bildschirm schon fiel, während es hinter dem Fenster noch trocken war. Das motivierte mich zu einem zeitigen Arbeitsende, was sich als gute Entscheidung erwies: Etwa eine halbe Stunde nach Heimkehr setzte erhebliches Brausen und Tosen an, das vom Sofa aus wesentlich angenehmer anzuschauen war als vom Fahrradsattel.

Übrigens ist die Rheinnixe wieder da; als ich gegen den Wind und mit bangem Blick gegen dunkles Gewölk nach Hause radelte, lag sie wieder an ihrem Anlegeplatz vor dem Rheinpavillon, als wäre sie nie weg gewesen.

Später zeigte sich aprilgemäß wieder die Sonne

Dienstag: Auch heute heftiger April. Morgens kam ich noch trocken zu Fuß ins Werk, die meiste Zeit mit tief in den Hosentaschen vergrabenen Händen, weil die Temperatur nach der Regenfront gestern Nachmittag (die Zeitung nennt es „Gewittersturm“, obwohl es meines Wissens weder geblitzt noch gedonnert hatte, Drama muss sein) deutlich gesunken ist. Nach Ankunft im Büro verdunkelte es sich, bald schlug starker Regen gegen die Fenster und labte die ergrünte Flora. Keine guten Aussichten für den geplanten Wandertag am Donnerstag.

Kalt
Da ist sie wieder

„Wer hat für das Thema die Hosen an?“ sagte eine in der Besprechung.

Abends holte ich Döner für uns. Auf dem Rückweg hörte ich einen zum anderen sagen: „Du kannst dich influencen lassen oder eben nicht.“ Vorher stellte ich fest, dass der schöne große Regenschirm, den mir die Lieben letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt hatten, nicht an seinem Platz hing. Da ich ihn als Einziger benutzt habe, liegt es nahe, dass ich es war, der ihn irgendwo vergaß. Wenn ich nur wüsste, wo.

Mittwoch: »Glück ist, wenn das Orchester einsetzt«, steht auf Werbeplakaten für eine örtliche Musikveranstaltung, darauf ein augenscheinlich glücklicher Dirigent. Wobei Zweifel aufkommen an seiner Kompetenz und Autorität, wenn das Anheben der Instrumente Glückssache ist.

Das Rätsel der Rheinnixe ist teilgelöst: Laut Zeitungsbericht war sie am Wochenende in der Werft, sie soll demnächst verkauft werden. Vollständig geklärt ist der Verbleib des Regenschirms: Ich vergaß ihn vergangene Woche beim Friseur, wo ich ihn heute unversehrt abholen konnte.

Der Schauspieler Wichart von Roël ist gestern gestorben. Wieder ein Ach-der-lebte-noch?-Moment. Die Älteren kennen ihn vielleicht noch als Opa in der legendären Klimbim-Familie, „Damals in den Ardennen“ und so. Auch eine Art von Humor, die heute, wenn überhaupt, allenfalls mit vorangestelltem Warnhinweis auf mögliche moralische Bedenklichkeiten gesendet würde.

Abends besuchte ich erstmals das Treffen der Bonner Ortsgruppe vom Bundesverband junger Autoren und Autorinnen e.V. (BVjA). Der Schwerpunkt lag eindeutig bei den Autorinnen, ich war der einzige anwesende – nun ja: Autor, das war nicht schlimm. Auch trete ich den anwesenden Damen wohl nicht zu nahe, wenn ich meiner Freude Ausdruck verleihe darüber, dass das j im Vereinskürzel aus gutem Grund klein geschrieben ist; soweit ich es sah, hob ich den Altersdurchschnitt durch meine Anwesenheit nicht wesentlich an.

Gehört zum Thema Ernährung: „Ich bin der Überzeugung, der Mensch ist gebaut wie ein Schwein.“ Bei manchen beschränkt sich das nicht auf die Bauweise, wäre ohne jeden Bezug auf Anwesende zu ergänzen.

Donnerstag: Der erste Inseltag des Jahres, also ein freier Tag zwischendurch. Bis zuletzt war aus Wettergründen offen, ob ich wie geplant wandern kann. Da es morgens trocken war und die Wetter-App für den weiteren Tag keine Regenfälle in Aussicht stellte, entschied ich mich für die Wanderung: dritte Rheinsteig-Etappe von Linz nach Bad Honnef, die ich vor drei Jahren (so lange ist das schon wieder her) schon einmal gelaufen war, in umgekehrter Richtung. Dabei hatte ich mich an einer Stelle gründlich verlaufen und es erst so spät bemerkt, dass auch die Wander-App nichts mehr retten konnte, es sei denn, ich wäre einige Kilometer zurück gegangen, das wollte ich nicht. Deshalb die Strecke heute nochmal, nur andersrum.

Nach Ankunft mit der Bahn in Linz ein kleines Frühstück (Rosinenschnecke und Kaffee) in einem Café, bevor es losging: Immer den blau-weißen Wegmarkierungen nach, die offenbar erst kürzlich erneuert worden sind; nur wenige Male benötigte ich die App, um nicht vom rechten Wege abzukommen. Immer wieder erstaunlich, wie neu eine Wegstrecke erscheint, wenn man sie andersrum geht. Die Entscheidung für die Wanderung heute war richtig: Das Wetter blieb trocken bis auf wenige Regentropfen gegen Mittag, die die Wanderlust nicht zu trüben vermochten, erst etwas kühl, was sich mit der ersten längeren Steigungsstrecke verlor, immer wieder zeigte sich auch die Sonne. Erkenntnis, wenn auch keine neue: Weniges ist beglückender, als frisch ergrünende, vögelbesungene Wälder zu durchstreifen.

Vergangene Pracht oberhalb von Linz
Hier meinte man es besonders gut mit der Wegweisung
Blick von der Erpeler Ley: rechts der namensgebende Ort, gegenüber Remagen
Insgesamt vier Trafotürme für die Sammlung säumten den Weg. Ein besonders schöner in Orsberg.
Beglückendes Grün
Allee oberhalb von Unkel
Moosansicht

Als am Nachmittag das Etappenziel Bad Honnef erreicht war, schien mir das zu früh zum Aufhören, obwohl ich da schon fünf Stunden gewandert war. Deshalb entschied ich mich, eine Teilstrecke der zweiten Etappe (Bad Honnef – Königswinter) anzuhängen, die beim letzten Mal im Juli 2020 wegen offenbar kurz zuvor gefällter, kreuz und quer auf den Wegen herumliegender Baumstämme und von Fahrzeugen zerfurchter Wege unpassierbar gewesen war.

Danach reichte es. Die Füße verlangten nach einer Pause, der Magen nach Nahrung. Beides fand sich in einem Imbisslokal in Bad Honnef. Manchmal lautet die einzig sinnvolle Antwort auf alle Fragen: Currywurst mit Pommes, dazu ein Weißbier.

Freitag: Anscheinend hatten die für das Wetter zuständigen höheren Mächte gestern Rücksicht genommen auf meine Wanderabsichten, bereits heute regnete und wehte es wieder heftig, deshalb war die Stadtbahn Verkehrsmittel der Wahl.

„Das ist – sportlich dürfen wir ja nicht mehr sagen – herausfordernd“, sagte eine in der Besprechung. Wer hat das wann verfügt? Warum wurde der Gebrauch von herausfordernd nicht gleich mit verboten? Ich hätte da noch ein paar weitere Vorschläge.

Es sportlich zu nennen wäre übertrieben, jedenfalls blieb ich in Bewegung, weil von unsichtbaren Mächten gesteuert die Sonnenschutz-Jalousien mehrfach versuchten, herunterzufahren, was mangels Sonnenschein besonders unsinnig war. Um sie daran zu hindern, musste ich mich jedes Mal zum Schalter neben der Bürotür begeben und sie wieder hochfahren. Anscheinend ein weiter verbreitetes Phänomen, wie bei Frau Kaltmamsell zu lesen ist.

Nachmittags bezog ich mein Büro im Mutterhaus und begann, mich einzurichten. Als erstes baute ich den zweiten Monitor ab, weil er für mein Empfinden zu viel Platz auf dem Schreibtisch beanspruchte und schon auf einem genug Unbill erscheint. Ich weiß nicht, wozu so viele mittlerweile mindestens zwei Bildschirme und ein aufgeklapptes Laptop benötigen. Die Aussicht auf Rhein, Siebengebirge und Bad Godesberg ist erfreulich, heute war sie durch heftigen Regen getrübt. Alles Weitere kommende Woche, sofern die beiden Umzugskartons aus dem bisherigen Büro gebracht werden. Es hat keine Eile.

Samstag: Morgens spielten sie bei WDR 2 wieder dieses Jerusalema-Lied. Seit den frühen Achtzigern bis vor nicht langer Zeit war WDR 2 ein von mir bevorzugt gehörter Radiosender, gerade auch wegen der Musik, das erwähnte ich sicher schon. Das hat sich geändert, seit man auch dort als Hörer ungefragt geduzt wird. Ein weiterer Grund ist vorgenanntes Lied, ich finde es gar grauenvoll, es steht auf meiner ungeschriebenen Liste der Radioabschaltgründe gleich hinter dem Wellerman und noch vor Giesingers frustrierter tanzender Mutter.

Herzlichen Glückwunsch dem Liebsten zum Geburtstag und allen, die Wiho heißen, zum Namenstag. Aus erstem Anlass suchten wir abends ein (für uns) neues Restaurant in der Nordstadt auf. Wir waren sehr zufrieden mit Qualität, Service, Preisen und voraussichtlich nicht zum letzten Mal dort.

Sonntag: Katja Scholtz in der FAS über den Verzehr von Meeresgetier:

»… ich habe es genau beobachtet in französischen Restaurants — man benötigt ein kompliziertes Operationsbesteck, lebenslange Erfahrung und vor allem sehr viel Geduld, um aus winzigen Krustentierenscheren zwei Milligramm Fleisch herauszufriemeln und dabei auch noch gut auszusehen.«

Das kenne ich gut.

Während des Spazierganges sah ich ein rätselhaftes Verkehrsschild:

Wer oder was ist frei? Halbierte Autos?

Da hat wohl jemand zu viel Pantothensäure verabreicht bekommen:

Auf einer Schachtel mit Vitaminpillen

***

Kommen Sie gut durch die Woche. Ziehen Sie sich warm an, es soll kalt werden.

Woche 47/2022: Mopsfilet im Blätterteigmantel

Montag: Der Werktag begann mit einer Besprechung bereits um acht Uhr und endete mit einer solchen, die bis fast siebzehn Uhr ging. Daran gemessen war die Tageslaune erstaunlich gut.

Für die zahlreichen Rückmeldungen auf meine Betrachtungen der vergangenen Woche danke ich sehr. Wie ich von Frau Christine erfuhr, ist meine geschilderte Abneigung gegen Koriander genetisch bedingt, das war mir bislang nicht bekannt. Für die einen schmeckt er (mutmaßlich) nach Seife, für andere ganz passabel. So ähnlich wie die Sache mit der Spargelpipi, also nicht der Geschmack (das vielleicht auch, bei sehr speziellen Vorlieben, ich möchte das nicht weiter vertiefen), sondern der Geruch, der nur bei bestimmter genetischer Veranlagung der Produzenten entsteht. Oder wahrgenommen wird – wie auch immer.

Gänzlich unbekannt war mir bis heute auch der Name Amalberg, dessen Träger laut Zeitung heute Namenstag haben. Wie immer bin ich zu bequem, zu recherchieren, ob so wirklich jemand heißt, und warum. Klar, weil die Eltern das dem Standesbeamten in die Urkunde diktiert haben. Aber wie kamen sie darauf?

Seit jeher, nicht nur zu Zeiten irgendwelcher Meisterschaften und Ligen, graust es mich, wenn in geschäftlichen Zusammenhängen jemand sagt „Das ist wie beim Fußball“ und dann einen albernen Vergleich zum gerade behandelten Thema zieht. Nicht nur mich:

(Bitte klicken Sie auf das Bild, weiter unten kommt noch was.)

Im Übrigen nahm die Telekom heute die letzten Münzfernsprecher außer Betrieb, womit ein weiteres schönes deutsches Wort demnächst nur noch im Lexikon der ausgestorbenen Wörter zu besichtigen ist. Außerdem ist heute Tag des Fernsehens, hörte ich gerade im Radio. Auch das noch.

Dienstag: Morgens ging ich zu Fuß ins Werk. Beim Gehen kann ich wunderbar über verschiedenes nachdenken. Heute dachte nicht besonders intensiv nach, da es nichts Spezielles zu bedenken gab. Stattdessen erfreute ich mich an dem durchaus angenehmen Ohrwurm, der beim Wecken aus dem Radio in mein Hirn gekrochen war.

Die Flecken sind übrigens keine Verunreinigung des Bildes, was nach Ablösung von Dias durch Digitalbilder ohnehin nur noch selten vorkommt, sondern Kondensstreifen (Mitte) und Vögel (rechts)

Der Rückweg führt am Mutterhaus vorbei durch den nördlichen Ausläufer des Rheinauenparks, ehe man an den Rhein gelangt. Dort, in dem Parkausläufer, ging abends eine Frau einige Meter vor mir her. Hinter einer Wegabzweigung, an der ich rechts abbog zum Rheinufer, sie indes geradeaus weiter gegangen war, blieb sie plötzlich stehen und führte einige Schritte aus, die an Stepptanz erinnerten, freilich ohne das typische Klackediklackediklack, vielmehr ein Scharredischarredischarr, da sie die Tanzschritte auf Kiessand statt auf Parkett vollzog. Vielleicht kam sie gerade von einem Tanzkurs und wollte das soeben Erlernte noch einmal kurz vertiefen. Augenscheinlich hatte sie mich hinter sich nicht bemerkt; wenn man sich unbeobachtet fühlt, tut man ja manchmal merkwürdige Dinge, ich kenne das von mir selbst, ohne das weiter ausführen zu wollen.

Am Rheinufer kam mir ein jüngeres gemischtes Paar eingehakt entgegen. Wenige Meter vor unserer Begegnung griff sie an die ihr abgewandte Wange ihres Begleiters und zog sein Gesicht zu sich hin, um einen Kuss anzufordern und zu bekommen, keinen langen Knutscher Jungverliebter, sondern einen kurzen Wegekuss. Als wollte sie signalisieren, dass sie bereits vergeben ist. Vielleicht hatte sie mich auch durchschaut und wollte mir zu verstehen geben, dass er vergeben ist. Die Welt ist voller Missgunst.

Mir selbst gönnte ich am Rheinpavillon einen Glühwein mit Amaretto, heute in weiß; dazu wurden Spekulatius gereicht.

Im Zwiebelblog las ich erstmals das herrliche Wort „Wortkörperschonung“. Es bezeichnet übrigens nicht eine Ansammlung in Reihe gepflanzter Wortstämmchen, auf dass sie dereinst zu langen Wörtern und ganzen Sätzen heranwachsen.

Mittwoch: In der Zeitung las ich erstmals das Wort Absentismus. Im Netzduden steht als Bedeutung, nachdem man sich der Werbung erwehrt hat: »gewohnheitsmäßiges Fernbleiben vom Arbeitsplatz«. Somit etwas, das als mittelfristiges Lebensziel erstrebenswert erscheint.

Klaus S. aus St. S. nimmt in einem Leserbrief an den Bonner General-Anzeiger daran Anstoß, als Nutzer der öffentlichen Verkehrsmittel nicht mehr als Fahrgast bezeichnet zu werden, sondern als Mitfahrender. »Bin ich als Restaurantgast denn heutzutage auch ein Mitesser?« fragt er am Ende. Nein, lieber Herr S., Mitessender.

Als Fahrradfahrender wurde ich abends auf der Rückfahrt vom Werk nass geregnet, woran ich indes keinen Anstoß nehme. Als praktizierender Absentist wäre mir das nicht passiert.

Am Montag der 42. Woche berichtete ich über die obsolete Operation am rechten Ellenbogen, weil mein Körper die Sache in der Zwischenzeit selbst erledigt hatte. Hierüber erhielt ich heute eine Rechnung der Chirurgischen Praxis über 17,70 Euro. Für knapp zehn Sekunden Anschauen und die Anmerkung „Da haben Sie Glück gehabt“ recht ordentlich.

Donnerstag: Der Radiosender WDR 4 rief heute auf zum „FEIER-DEIN-EINZIGARTIGES-TALENT-TAG“. (Ja, da fehlt ein E, ist mir auch aufgefallen, aber so steht es auf deren Internetseite.) Hörer sollten sich melden und erzählen, was sie besonders gut können. Während des Fußweges ins Werk dachte ich darüber nach, wegen was ich dort anrufen könnte, wenn mir derlei Rundfunkgeschwätz fremder Leute nicht grundsätzlich zuwider wäre. Das Ergebnis meiner Überlegungen war ernüchternd, mir fiel nichts ein. Es mag ein paar Dinge geben, die ich ganz gut kann, etwa Rechtschreibung einschließlich korrekter Verwendung von -s, -ss und -ß, mir per Mnemotechnik meine Kreditkartennummer merken oder den Zauberwürfel entzaubern; auch in beruflicher Hinsicht zeigten sich meine Chefs bislang zufrieden mit meinen Leistungen. Doch findet sich nichts darunter, das besonders hervorsticht, eher ist in allem, was ich tue, Mittelmaß meine Richtschnur. Sollte ich indessen meine Inkompetenzen aufzählen, fiele mir spontan vieles ein, zum Beispiel Autofahren, Trompete spielen oder Kinder hüten. Daher hat dieser Talentfeiertag für mich eine Relevanz wie Mariä Lichtmess oder Bundesligafinale.

Morgens gesehen an einem städtischen Laubsammelwagen

„Wir hatten einen smoothen Hochlauf“ hörte ich in einer Besprechung und nahm es auf in die Liste, die bei der Gelegenheit aktualisiert wurde und mittlerweile über fünfhundert Einträge enthält. Vielleicht zählt das auch als Talent.

Freitag: „Wie gehts dir“, wurde ich gefragt. Nun: Während andere vor Hunger und Kummer nicht in den Schlaf kommen, ist an manchen Tagen meine größte Sorge, was ich heute ins Blog schreiben soll. Ich glaube, es geht mir ganz gut.

Auf dem Bonner Weihnachtsmarkt gibt es jetzt eine Hundebäckerei. Liebhaber von Mopsfilet im Blätterteigmantel muss ich allerdings enttäuschen: Es ist nur Gebäck für des Menschen besten Freund im Angebot. Vielleicht Pansenplätzchen, ich habe mangels Haustier nicht genauer geschaut.

Samstag: Wie die Zeitung mehrspaltig berichtet, ist man in Wachtberg-Ließem empört, weil auf einem Straßenabschnitt wegen Asphaltmängeln die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf dreißig Stundenkilometer reduziert wurde und die Polizei deren Einhaltung zu allem Übel nun auch noch kontrolliert hat, wobei jeder fünfte Wagen zu schnell fuhr. Der Ließemer Ortsvorsteher zeigt sich befremdet: Zahlreiche „abgezockte“ Bürger hätten sich bereits bei ihm gemeldet und „absolutes Unverständnis für die Maßnahme“ geäußert. Nicht empörend, vielmehr verwunderlich finde ich, wie breit die Zeitung darüber berichtet und dabei gewisses Verständnis für die Zuschnellfahrer durchklingen lässt. Der Artikel endet mit dem Satz »Das städtische Presseamt beantwortete am Freitag eine Anfrage zur Ließemer Straße bis Redaktionsschluss nicht.« Warum sollte es auch.

Sonntag: Wieder eine Woche beendet ohne nennenswerte Imponderabilien.

Beendet habe ich auch die Lektüre des Buchs „Von der Nutzlosigkeit erwachsen zu werden“ von Georg Heinzen und Uwe Koch aus dem Jahre 1985, das ich vor längerer Zeit einem öffentlichen Bücherschrank entnahm. Dabei handelt es sich nicht um einen Ratgeber im Sinne von „Auch im fortgeschrittenen Alter jung bleiben“, vielmehr ist es ein Roman und beginnt so:

»Ich bin nicht Lokomotivführer geworden. Alles ist anders gekommen, als ich gedacht habe. Ich bin auch nicht Präsident geworden oder Urwalddoktor, nicht einmal Studienrat. Eigentlich bin ich gar nichts geworden.

Ich bin nicht Vater, nicht Ehemann, nicht ADAC-Mitglied. Ich habe keinen festen Beruf und kein richtiges Hobby. Mir fehlt alles, was einen Erwachsenen ausmacht, die Aufgaben, die Pflichten, die Belohnungen. Ich bin kein Vorgesetzter und keine Autoritätsperson, ich habe keinen Dispositionskredit und trage keinerlei Unterhaltslasten, außer für mich selbst.«

Nach längerer Zeit mal wieder ein Buch, bei dem ich bedauerte, dass es zu Ende war. Es kommt vorläufig nicht zurück in den öffentlichen Bücherschrank.

***

Kommen Sie gut durch die neue Woche, auch wenn die deutsche Mannschaft bei der Fußballweltmeisterschaft ausgeschieden ist. (Zum Zeitpunkt dieser Niederschrift, 17:30 Uhr, steht das Spiel noch bevor. Ich werde es mir nicht anschauen, so wie ich mir niemals Fußballspiele anschaue, egal wo und warum sie stattfinden, weil mich Fußball nicht interessiert. Das soll mich nicht daran hindern, einen Tipp abzugeben.)

Woche 45: Mittelzehweh und Geschichtsfalten

Montag: Zu der montagsüblichen Todessehnsucht, oder jedenfalls Berufslebensmüdigkeit, gesellte sich am Morgen Missmut gegen das WLAN-Radio im Bad. Seinen Vorteil, darüber auch den französischen Lieblingssender Nostalgie hören zu können, machte es zunichte durch minutenlanges Zwischenspeichern, unterbrochen durch Einspielungen von jeweils nur wenigen Sekunden Dauer. Ich behaupte nicht, früher sei alles besser gewesen; der analoge Vorgänger des Geräts, der den Sender noch mit langer Antenne aus der Luft empfing, fiel durch derartige Unterbrechungen jedenfalls nicht auf. Aber in diesem Haushalt muss aus Gründen (extra für Sie, liebe N) alles digital sein.

Tagsüber drang durch das aufgrund unnovemberlicher Milde gekippte Bürofenster das vielstimmige Lied zahlreicher Laubbläser an mein Ohr. Leider ohne Zwischenspeichern.

„Die Zeit der Jokes über den BER muss jetzt zu Ende sein“, wird der Bundesverkehrsminister in der Zeitung anlässlich der Inbetriebnahme des Hauptstadtflughafens zitiert. Recht hat er. Machen wir lieber Jokes über Herrn Scheuer.

Rückblickend war der Tag gar nicht so montäglich.

Dienstag: Atomkraftgegner befürchten einen Castortransport durch Bonn, steht in der Zeitung. Ich bin kein großer Freund dieser Energiequelle und finde es ebenso bedauerlich, dass dieses Zeug per Zug durch die Gegend gefahren und Millionen von Jahren irgendwo gelagert werden muss, keine Frage. Doch was ist an einem Transport durch Bonn schlimmer als durch andere Orte, vielleicht Bielefeld oder Bottrop? Manchmal erscheint „Mir doch egal“ die einzig angemessene Antwort.

Selbstfürsorge ist in diesen Zeiten besonders wichtig, lese ich, das beinhaltet auch gutes Essen. Dazu passend sah ich heute in einer internen Mitteilung diese Grafik unbekannter Herkunft:

Wenn ich das richtig interpretiere, wären demnach nougatgefüllte Sellerie und Marzipanmohrrüben die beste Wahl.

Ob die Amerikaner heute auch die beste Wahl treffen, erfahren wir frühestens morgen. Ich fürchte nichts Gutes für die nächste und übernächste Zeit, unabhängig von ihrer Wahlentscheidung. Selbst wenn der Wahnsinnige abgewählt wird, seine zahlreichen Anhänger bleiben. Und sie werden nicht schlagartig vernünftig.

„Es wird furchtbarer, in interessanten Zeiten zu leben“, schreibt Frau Myriade, wenn auch in ganz anderem Zusammenhang. Da hat sie leider recht.

Mittwoch: Noch kein Ergebnis, man zählt weiterhin Stimmzettel aus der vom Präsidenten geschmähten Briefwahl. Vorläufig, hoffentlich nicht allzu lange, steht USA für „Unentschiedene Staaten von Amerika“.

Abends stand wegen eines wehen Zehs eine Frage im Raum, über die ich noch nie nachgedacht habe, oder jedenfalls schon sehr lange nicht mehr, jedenfalls kann ich mich nicht daran erinnern: Haben Zehen Namen, so wie Finger? Der große und kleine Zeh schon, die heißen halt genau so, wobei man zum Großen auch „Bockermann“ sagte, jedenfalls da, wo ich her-/wechkomme. Aber die dazwischen, heißen die auch irgendwie? Der neben dem Bockermann, ist das der Zeigezeh?

Donnerstag: „Lange Rede, großer Sinn“, sagt der Projektleiter. Selbstbewusstsein hat er. Vielleicht ist das seine Art der Selbstfürsorge.

Mittags sah ich einen, der aussah wie Atze Schröder, nur in unironisch. Eine gleichsam tragische Erscheinung.

Eine interessante Erscheinung dagegen das Mutterhaus im Nebel:

Nachmittags erschien am Bürofenster ziemlich später Besuch:

Ich weiß nicht, wie oft ich es noch schreiben, sagen oder singen soll: Warum beschäftigt ZDF-heute einen eigenen Sprecher (m/w/d) nur für Sportmeldungen? Das scheint Herr Emil ähnlich zu sehen, wo ich voller Zustimmung dieses las: „Und warum Informationen über […] Fußball noch immer wichtiger sind als viele andere Dinge, die »die Normalbürger« interessieren könnten oder sollten, erschließt sich mir auch nicht.“

Freitag: Das Mittelzehweh lässt nach. Anscheinend hat das aufgetragene Lavendelöl geholfen, oder jedenfalls der Glaube daran. Lavendelöl hilft ja gegen fast alles: Mundgeruch, Hautschuppen, Augenringe, Gesichtsfalten, Fußpilz, Scheidentrockenheit, nächtlichen Harndrang, Schlechtlaunigkeit und Liebeskummer. Warum also nicht auch Zehwehen.

„…als Corona war…“, hörte ich im Vorbeigehen einen zum anderen sagen. Habe ich mal wieder was nicht mitbekommen?

Samstag: Nachtrag zu Montag: Das mit dem WLAN scheint eher eine persönliche Sache zwischen uns zu sein. Während die Geräte meiner Lieben einwandfrei funktionieren, speichert bei mir das Radio zwischen, der Rechner verbindet sich nicht mit dem Netz und das Tablet zickt herum. Als ob das System mein Digitalfremdeln spürte wie Hunde mein Desinteresse an ihnen und mich deshalb meistens genauso ignorieren wie ich sie. Dabei bin ich der Technik keineswegs abgeneigt, sonst könnten Sie das hier ja nicht lesen. Nur wenn ich manchmal noch auf die (mechanische) Armbanduhr schaue, während ich am Rechner sitze, merke ich, so ganz bin ich noch nicht digitalisiert.

„Das Neue ist nicht immer das Bessere. Es ist noch nicht einmal immer das Gute“, stand heute im General-Anzeiger.

Am frühen Abend erreichte uns das Wahlergebnis aus den USA, wonach Joe Biden wohl der nächste Präsident wird. Wie erwartet sieht Donald Trump das völlig anders. So oder so – nicht nur in den Redaktionen der Sonntagszeitungen dürfte die Nachricht einige Hektik ausgelöst haben.

Sonntag: Ich folge Bloggerinnen, und es sind in diesem Fall tatsächlich zumeist -innen, die ungefähr wöchentlich ein neues Buch vorstellen. Wie machen die das nur? Mein Stapel ungelesener Bücher wird immer höher, in manchen Wochen schaffe ich kaum den SPIEGEL und die Sonntagszeitung durchzulesen, schon ist der Tag wieder vorüber und die Bettzeit naht; wenn ich dann vor dem Einschlafen endlich im Buch (aktuell: „Ozelot und Friesennerz“ von Susanne Matthiesen) lese, fallen mir bald die Augen zu. Hat deren Tag mehr als vierundzwanzig Stunden, oder schlafen die nie?

Ansonsten die Woche gehört: „Wie die eine, die in den Brunnen gefallen ist, und dann war der wieder voll Gold … Pechmarie. Ach nee, die ist in Teer gefallen.“

Verschreiber der Woche: Geschichtsfalten. Passt vielleicht ganz gut in diese Zeiten.

Gelesen in der FAS: „Es sind mitnichten Leichtweine, sondern ausgewachsene Burgunderweine, wie sie sich ein fangfrischer Fisch nicht schöner erträumen würde.“

Gesehen in Bonn-Endenich:

Ihnen eine angenehme neue Woche! Ob mit Alkohol oder ohne, sei Ihnen überlassen.

Woche 33: Harmonische Dreisamkeit im Mausehaus

Montag: „Zu tun gibt es ja immer was“, sagte der Mann in der Radioreklame, die mich morgens angenehmen Träumen entriss. Blöder kann man wohl nicht in eine neue Woche starten.

Als ich vor gut zwanzig Jahren im Mutterhaus die Arbeit aufnahm, waren Anzug oder wenigstens Jacket und Krawatte eine ungeschriebene Selbstverständlichkeit für männliche Büroknechte. Auch freitags. Wer ohne Krawatte ins Büro kam, konnte sich einer entsprechenden Bemerkung des Chefs sicher sein, es sei denn, die Temperaturen lagen wie zurzeit über dreißig Grad – dann verzichteten sogar Chefs auf den Halsbinder, manche öffneten gar den zweiten Hemdenknopf, auch nicht immer schön. Die Damen hatten es da deutlich besser – leichte Sommerkleider und offene Schuhe waren nie Gegenstand des Anstoßes. In dieser Hinsicht hat sich vieles zum deutlich Besseren verändert: Zunächst entfiel an Freitagen die Krawattenerwartung – womit widerlegt ist, so ungern ich das zugebe, alles, was aus Amerika kommt, sei schlecht – später auch an den übrigen Tagen. Inzwischen sind Krawattenträger klar in der Minderzahl, und das ist gut so. Sogar Männer – auch Abteilungsleiter – in kurzen Hosen zeigen mittlerweile mehr oder weniger wohlgeratene Beine. Auch das ist gut, wobei ich selbst so weit noch nicht bin. Kommt vielleicht noch, wenn ich demnächst der letzte auf dem Flur in langen Beinkleidern bin. ‪Doch so warm der Sommer auch glüht – für Kaffee ist es nie zu heiß.‬

Nicht zu heiß, trotz Anzug und Krawatte und in ganz anderer Hinsicht, war es vergangenen Samstag Florian Schroeder in Stuttgart, der für mich ab sofort zu den ganz Großen dieser Zeit zählt. Deswegen.

Ich habe übrigens beschlossen, mich nicht länger aufzuregen, wenn andere das mit dem Abstand nicht begreifen oder einfach nicht wollen; es würde meine allgemeine Lebensqualität zu sehr beeinträchtigen. Ich kann nur weiterhin für mich selbst darauf achten. Mehr kann ich für mich und andere nicht tun.

Dienstag: Vergangene Nacht schlief ich wärmebedingt schlecht, hinzu kamen akustische und olfaktorische Unwägbarkeiten von der Nebenmatratze, auf die ich nicht näher eingehen möchte. Während einer längeren Wachphase überlegte ich: Erreichen Florian Schroeder nach seinem Auftritt in Stuttgart nun wohl wüste Beschimpfungen und Morddrohungen? Wie geht man mit so etwas um? Droht mir ähnliches, nachdem ich für ihn Sympathie bekundete? Eher nicht, weil das hier nicht viele lesen. Vorteil des Kleinbloggers.

Tagsüber schrieb man mir per Mail: „Bitte geh du hier in den Lead.“ Soll ich jetzt singen, oder was?

Laut Zeitung rüsten die Stadtwerke Bonn ihre Busflotte derzeit mit Anti-Infektionsschutzwänden aus. Maschendraht?

Abends grummelte in der Nähe ein Gewitter, das etwas Regen schickte. Auch zwischenmenschlich grummelte es ein wenig, ohne konkret erkennbare Ursache; manchmal ist das so, wenn Menschen zusammen leben. Womöglich auch eine Folge der Hitze.

Mittwoch: Kurz nach Mitternacht kam das nächste Gewitter. Zunächst ein fernes Dauergrollen, das scheinbar nur sehr langsam sich näherte. Später erhellten Blitze den Nachthimmel über der Stadt und Donner rollte um die Häuser. Nicht wenige Menschen behaupten, sie schliefen besonders gut, wenn über ihnen die Naturgewalten toben; vielleicht haben sie dann auch besonders guten Sex, warum auch nicht, in dieser Hinsicht gibt es ja wenig, was es nicht gibt. Bei mir gilt das nur für nächtlichen Regen ohne Gewitter (also das mit dem Schlafen, mit dem anderen will ich Sie nicht unnötig langweilen). Eine Art erhalten gebliebener Urrespekt aus der Kindheit hält mich bei Gewitter wach. Immerhin, statt mir, bis es vorbei ist, die Bettdecke über den Kopf zu ziehen, wo bald Erstickung droht, stehe ich mittlerweile auf und schaue es mir vom Fenster aus an. Dann zähle ich die Sekunden zwischen Blitz und Donner. Wie weit ist es weg? Kommt es näher? Alte Faustregel, wenn ich nicht irre: Anzahl Sekunden geteilt durch drei gleich Entfernung in Kilometern. Um kurz nach halb zwei war es vorbei. Kurz vor drei kam das nächste, recht schnell und bald wieder vorbei, dafür mit starkem Regen. Dieses Mal blieb ich im Bett und schlief dann doch noch ganz gut.

Nach einem weiteren heißen Tag zog am Abend das nächste Unwetter mit Gewitter, Sturm und viel Regen über die Stadt und richtete (zum Glück nicht bei uns) größeres Unheil an. Vorher sah das vom Balkon so aus:

KW33 - 1

Hinterher nach vorne hinaus so:

KW33 - 1 (1)

Auch die interne Gewitterneigung war noch nicht ganz abgeklungen, weil Tief C sich aus nach wie vor unerfindlichen Gründen noch immer nicht aufgelöst hatte. Hingegen harmonische Dreisamkeit am späten Abend in unserem VogelMausehaus:

KW33 - 1 (2)

Donnerstag: Badgespräch am Morgen: „Stehst du schon wieder hinter mir!“ – „Nein, du stehst vor mir.“

Billie Eilish – laut Zeitung der zweitwichtigste Teenager der Welt. Nie gehört. Nachteil des Boomerdaseins. Oder Vorteil, wer weiß.

In den Medien wird behauptet, die demokratische Kandidatin für das US-Vizepräsidentenamt, Kamala Harris, sei „schwarz“. Verstehe ich nicht. Sie ist doch mindestens so „weiß“ wie Donald Trump, wenn man die Bilder vergleicht.

Freitag: Nur kurz Regen am Abend. Überhaupt regnet es zu wenig in letzter Zeit, manche Kommunen haben schon Schwierigkeiten mit der Wasserversorgung. Die Schwimmbecken sind voll, aber der Duschkopf bleibt trocken. Dagegen war die Klopapierkrise ein Witz.

Ist Ihnen mal aufgefallen, dass es in Filmen selten regnet ohne Gewitterbegleitung, einfach nur Regen? Befürchten die Filmemacher, der Zuschauer würde den Regen sonst nicht bemerken? Darüber regt sich mal wieder niemand auf.

Samstag: „Die Vorstellung, dass an irgendeiner Stelle des Internets gesiezt wird, ist geradezu abwegig“, steht im General-Anzeiger zum Schwinden des „Sie“. Der Schreiber scheint dieses Blog nicht zu kennen. Warum sollte er auch.

Sonntag: Zwei notierenswerte Sätze aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung:

„Nichts verpufft schneller als die öffentliche Empörung.“
(Rainer Hank über integres Handeln von Unternehmen)

„Heute kommen Menschen aus allen Kontinenten, um Paderborn weiträumig zu umfahren.“
(Oliver Maria Schmitt über Paderborn)

In der PSYCHOLOGIE HEUTE las ich einen interessanten Artikel über sogenannte Spätblüher, das sind Leute, die erst im fortgeschrittenen Alter ihre wahre Berufung finden. Das gibt mir Hoffnung, doch noch Karriere zu machen als erfolgreicher, angesehener … wasweißich.

Am späteren Abend nach Einbruch der Dunkelheit werkelte der Nachbar gegenüber etwas Undefinierbares auf seiner Terrasse herum, wie so häufig. Dass wir ihm offensichtlich dabei zuschauen, störte ihn nicht. Kennen Sie das, wenn Sie jemanden bei seinem unablässigen Tun betrachten und sich fragen: Was treibt ihn nur?