Woche 27/2025: Auch gegenüber Nervensägen immer höflich bleiben

Montag: Die Büros waren für einen Montag ungewöhnlich stark belegt, was daran liegen mag, dass der Turm gut gekühlt ist, während draußen das früher sogenannte schöne Wetter vor sich hin glüht. Die Rückfahrt mit dem Rad war dementsprechend mühsam, irgendwas ist ja immer.

Nach Rückkehr holte ich in der nicht minder heißen Innenstadt Brötchen für das Abendessen. Dabei kam ich mal wieder an einem Stand junger Aktivisten vorbei, die unschuldigen Passanten ein Gespräch über ihr Anliegen aufzuzwingen suchten, vielleicht Kinder-, Tier- oder Klimaschutz, ich habe nicht so genau darauf geachtet. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, das sind wichtige Anliegen, aber diese Leute sind unangenehm anstrengend. Als ich mich also näherte, winkte mir eine Aktivistin zu und rief mit der üblichen aufgesetzten Fröhlichkeit „Halloho!“ Da ich als überzeugter Passivist solchen Gesprächsgesuchen gegenüber nicht an einer Konversation interessiert war, erwiderte ich das Halloho nicht minder fröhlich und ging weiter meines Weges. Auch gegenüber Nervensägen immer höflich bleiben.

Früher lag die Macht in der Familie beim Besitzer der Fernseherfernbedienung. Heute ist es das Bedienaggregat für die Klimaanlage. (Geschrieben mit steifgefrorenen Fingern.)

Dienstag: Als ich morgens zu Fuß ins Werk ging, saß auf einer Bank am Rheinufer eine junge Frau und übte Blockflöte. Vor ihr stand ein Notenständer, die Noten waren daran mit Klammern befestigt, damit sie nicht vom bereits morgens sehr warmen Südwind fortgeblasen wurden. Sie spielte nicht schlecht, doch begann sie das mir unbekannte Stück mehrfach von vorn. Ganz offensichtlich spielte sie nicht für Publikum oder mit dem Ziel, dafür von Passanten Münzen zu beziehen, jedenfalls stand kein Sammelbecher vor ihr. Warum sie als Ort für ihr Üben das Rheinufer anstatt der heimischen Stube wählte, weiß ich nicht. Vielleicht ist es dort zu warm oder sie hat geräuschsensible Nachbarn. Ähnliches gilt vermutlich für den schon vor einiger Zeit erwähnten Trompetenspieler, der täglich mittags in der Tiefgarage des Mutterhauses übt, wo es schön hallt, aus den Schächten herausschallt und weithin zu hören ist. Nein, nicht schön: Nie hörte ich ihn ein Lied oder wenigstens Teile davon spielen, immer nur wiederkehrende, öde Tonfolgen. Dabei erreicht er erstaunliche Höhen, jedenfalls manchmal, wenn er den Ton trifft. Gleichwohl, hören möchte man es nicht. Dagegen war die Flötistin richtig gut.

In einer Stellungnahme las ich das schöne Wort „Erwachsenenunterhaltung“ als Umschreibung für unterleibserfreuende Anregungsmedien und notierte es für alle Fälle.

Heimweg durch Schatten
Heiß

Aus der Zeitung:

(General-Anzeiger Bonn)

Aufgrund einer spontanen Idee des Liebsten gab es zum Abendessen Sushi, für mich zum ersten Mal. Hat gut geschmeckt, gerne wieder. Und das mit den Stäbchen versuchen wir beim nächsten Mal.

Mittwoch: Heute sei der heißeste Tag des Jahres, sagte morgens der Mann im Radio. Anfang Juli eine eher gewagte Prognose.

Nachmittags hatte ich einen Termin in einem anderen Gebäude unweit des Mutterhauses. Der Weg dorthin und zurück fühlte sich an, als würde ich von einem riesigen, unsichtbaren Fön auf höchster Temperaturstufe angeblasen. Um dem ganzen noch eine gewisse Absurdität zu verleihen, trug ich eine Fleecejacke im Unternehmesdesign mit mir für einen Fototermin, die dann doch nicht gebraucht wurde.

„Jetzt müssen wir aber wirklich was gegen den Klimawandel tun“ ist mal wieder überall zu hören. Morgen wird es kühler, dann sind die Benzinpreise wieder wichtiger. Wohlstand, Wachstum, Wirtschaft und so. Und die nächste Urlaubsreise in sonnige Gefilde, die haben wir uns nun wirklich verdient.

Letzten Freitag schrieb ich: „Für die Rückfahrt mit dem Fahrrad war ich genötigt, eine neue Strecke zu nehmen, weil die bisherige Route inklusive möglicher Varianten wegen mehrerer Baustellen zurzeit nicht nutzbar ist. Ging auch. Mal sehen, wie lange, ehe auch diese wegen neuer Bautätigkeiten unpassierbar wird.“ Raten Sie mal, was heute auf der Rückfahrt den Weg versperrte. Immerhin kann man die neue Baustelle über die Auto-Fahrbahn umfahren. Dafür sind auf der Zu-Fuß-Strecke zwei Baustellen beendet, wie ich bereits gestern mit freudigem Staunen zur Kenntnis nahm.

„China drängt nach Europa“, so der Titel eines Zeitungsartikels. Liest sich nach einem größeren tektonischen Vorhaben.

Donnerstag: Auf vielfachen Wunsch einer einzelnen Person habe ich meine freien Donnerstage auf die geraden Wochen verlegt. Was nicht heißt, dass ich heute ins Werk führe, vielmehr ergeben sich durch die Änderung zwei freie Donnerstage in Folge.

Am Vorabend brachte eine Kaltfront mit Gewittern, die um Bonn freundlicherweise herum zogen, eine gewisse Abkühlung, so wurde es heute nicht wärmer als fünfundzwanzig Grad: Wanderwetter. Das nutzte ich für eine Wanderung durch den (oder das?) Königsforst östlich von Köln, eine Tour, die mir die liebe Kollegin schon vor längerer Zeit empfohlen hat.

Die Anfahrt mit der Bahn gestaltete sich gewohnt abenteuerlich – eine Regionalbahn verschwand ohne Begründung plötzlich von der Anzeige, die nächste war verspätet. Aber ich hatte Zeit und erreichte vor der Mittagsstunde die Zielhaltestelle.

Die ersten Kilometer der Wanderung erschienen zunächst etwas eintönig mit geraden, breiten Wegen, doch dann wurde es deutlich abwechslungsreicher. Für warme Tage ist die Strecke ideal: überwiegend im Wald, keine nennenswerten Steigungen und Stolperstellen, und mit achtzehn Kilometern nicht zu lang. Höhepunkt der Tour, jedenfalls geografisch, ist der Monte Troodelöh, laut Beschilderung der höchste Punkt Kölns. Es gibt sogar ein Gipfelbuch, in das ich mich selbstverständlich eintrug. Im Gegensatz zur Zugspitze, wo wegen des hohen Andrangs kürzlich ein zweites Gipfelkreuz aufgestellt wurde, wie dieser Tage zu lesen ist, war hier nichts los.

Insgesamt war es wieder beglückend. Die Rückfahrt mit der Bahn verlief pünktlich. Einziges Bemerknis war ein Jungvater ein paar Reihen weiter, der lautstark offenbar mit Frau und Kind videotelefonierte und dabei immer wieder die Fragen „Wo ist Luca? – Wo ist der Papa?“ Für jedermann hörbar ins Abteil stellte. Sie konnten nicht abschließend geklärt werden, weil der Papa noch was arbeiten und deshalb Schluss machen musste. Ein allgemeines Aufatmen ging durch den voll besetzten Wagen. Nach Ankunft in Bonn wie üblich Currywurst und Bier, letzteres ungegrillt, siehe oben.

Sonstige Erkenntnisse des Tages:

1) Schön an einer Wanderung alleine sind stets die Selbstgespräche, ohne dass jemand „Was?“ sagt.

2) Im Kölner Ortsteil Heumar gibt es eine Straßenbahnhaltestelle „Autobahn“. Warum? Warum gerade dort? Köln ist umringt von Autobahnen, wer Zeit und Lust hat kann gerne recherchieren, an wie vielen Stellen diese von einer Straßenbahnlinie gekreuzt werden. Gibt es in Heumar nichts anderes, das als Haltestellennamensgeber herhalten kann?

Sehen Sie:

Birken
Gipfelschild
Mit dem Link ist das wie bei Hunden, die an jede Laterne urinieren müssen
An diesem Weiher nahm ich das Mittagessen zu mir, derweil das Telefon sich an der Pauerbenk labte
Suchbild mit Fröschen
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Freitag: Jemand schreibt „der Zustellende“ statt „der Zusteller“. Wenn die Gendersprache im Singular regelmäßig an ihre Grenzen stößt. Mehr gibt es über den Tag nicht zu berichten, es war ja auch gestern genug.

Samstag: Über Nacht hatte sich das iPhone nahezu vollständig entladen, vielleicht hatte ich es am Vorabend nach dem letzten Glas Rosé nicht korrekt auf die induktive Ladefläche gelegt. Daher musste ich das Gerät zurücklassen, als wir aushäusig frühstücken gingen. Das fühlte sich erstaunlich normal an, ich habe es nicht vermisst und geriet ob der Offleinigkeit nicht in Unruhe. Das finde ich beruhigend.

Heute ist schon der 186. Tag des Jahres. Anstatt diese unabänderliche Tatsache zu beklagen, beantworte ich lieber eine weitere der tausend Fragen. Frage Nr. 186 lautet: „Worüber grübelst du häufig?“ Das kann ich kurz machen: gar nichts. Oder länger: Ich neige nicht dazu, meine Gedanken längere Zeit um ein Problem kreisen zu lassen ohne Aussicht auf eine Lösung. Vielleicht weil ich zum Zeitpunkt der Niederschrift in der glücklichen Situation bin, von größeren Sorgen ungeplagt zu sein, weder finanzieller noch gesundheitlicher oder beruflicher Natur. Auch gelingt es mir ganz gut, die großen Krisen der Welt, die ich nicht beeinflussen kann, nicht allzu nah an mich heranzulassen. Zudem habe ich keine Kinder, um deren Zukunft ich mich sorgen müsste. Auch das ist sehr beruhigend.

Sonntag: Nach strukturellem Biertrinken auf dem Godesberger Parkfest am Vortag, wo die Karnevalsgesellschaft mit Getränkeausschank und Grillstand vertreten war, blieben wir heute etwas länger liegen. Dabei verpassten wir nichts, es regnete den ganzen Tag und es hat sich deutlich auf unter zwanzig Grad abgekühlt. Das war kein Grund, auf den Spaziergang am Nachmittag zu verzichten, der mit einer Runde durch die Nordstadt und an den Rhein etwas kürzer ausfiel und gastronomisch unbegleitet blieb. Etwa auf halber Strecke bemerkte ich, dass es eine ganz gute Idee gewesen wäre, die wasserdichten Wanderschuhe anzuziehen, leider zu spät. Trotz riesigem Regenschirm, unter dem eine vierköpfige Familie Platz hätte, gelingt es mir nie, die Füße trocken zu halten. Nur wenige Menschen zog es bei dem Wetter nach draußen, die Rheinpromenade war nahezu menschen- und fahrradleer, das Tor zum Lieblingsbiergarten verschlossen. Bedauerlich war das Wetter für die Teilnehmer an der heutigen CSD-Parade in Köln, die dadurch die Wahl hatten zwischen Frieren und weniger Haut zu zeigen.

Promenade, menschenleer

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Vielen Dank für die Aufmerksamkeit, kommen Sie gut durch die voraussichtlich nicht zu warme Woche.

Woche 25/2025: Möglichst im Schatten

Montag: Schon länger bemängele ich eine allgemein nachlassende Sorgfalt beim Verfassen von Schriftlichkeiten, hier und da merkte ich es bereits an. Heute in einer offiziellen Mitteilung an den Vertrieb: „Wir bitten für euer Verständnis.“ Fürbitte im harten Geschäftsleben ist mir bislang selten begegnet.

Ansonsten war der Start in die neue Arbeitswoche, schon wieder eine viertägige dank Feiertag, erträglich. Nur die Zahl der Besprechungen war etwas zu hoch, davon die erste bereits morgens um halb neun, somit deutlich vor meiner täglichen Buchstabenlieferung. Wenigstens blieben die meisten Kameras aus und ich hatte nur geringen Redeanteil. Währenddessen betrachtete ich in der Ferne die lange Warteschlange vor dem Konferenzzentrum, wo man sich dieser Tage wieder zu einer internationalen Klimakonferenz trifft. Und wieder frage ich mich, ob das dafür ausgestoßene CO2 in einem angemessenen Verhältnis zum zu erwartenden Ergebnis steht.

In einer anderen Besprechung nachmittags schweifte ich gerade gedanklich etwas ab, als ich plötzlich um meine Meinung gefragt wurde. Meine Antwort, nachdem ich das Mikrofon endlich eingeschaltet hatte, lautete sinngemäß „Ja, das kann man so machen.“ Hat hoffentlich keiner gemerkt.

Dienstag: Wenn ich wie heute zu Fuß ins Werk gehe, komme ich in der Innenstadt an einem äußerst hässlichen Haus vorbei. Gebaut wurde es mutmaßlich in den Siebzigerjahren, als ohnehin nicht sonderlich auf Ästhetik geachtet wurde oder man anders darauf schaute, jedenfalls ist mir aus dieser Epoche kein auch nur halbwegs ansehnliches Gebäude bekannt. Dieses Haus mit seiner zweifelhaften Ornamentik aus bräunlicher Metallverkleidung sticht besonders hervor. Im Erdgeschoss ist ein Friseursalon, die Etagen darüber werden von einer Leiharbeitsfirma genutzt. Ob es darüberhinaus weitere Nutzer, gar Bewohner gibt, weiß ich nicht, ist auch nicht wichtig. Weshalb ich es erwähne: An der Fassade ist eine Uhr angebracht. Diese steht schon seit Jahren, seit ich das Gebäude erstmals zur Kenntnis genommen habe, konstant auf halb eins. Als ob sie uns sagen wollte: Es ist nicht fünf vor zwölf, auch nicht fünf nach, sondern schon halb eins, und das seit Jahren. Also seht euch vor, noch fünf Minuten, und es ist um euch geschehen.

Es würde nicht verwundern, wenn es unter Denkmalschutz steht

Am Rheinufer sah ich zahlreiche Konferenzteilnehmer auf umweltfreundlichen Elektrorollern zum Konferenzzentrum rollern, in der Hoffnung, den nächsten Zeigersprung der Uhr aufzuhalten oder wenigstens verzögern zu können. Außerdem zwei mittelalte Läufer, die sich wegen der Wärme bereits am Morgen ihrer T-Shirts entledigt hatten. Auch kein sonderlich ästhetischer Anblick, aber sowas soll man ja nicht mehr sagen oder schreiben wegen Badischäiming.

Auch nicht gerade eine Schönheit

In der Kantine gab es Fairmasthuhn, demnach fair gemästet, welch Widerspruch in sich; dem Huhn gegenüber erscheint es nicht sonderlich fair. Den ersten Gedanken, ob es nicht Viermasthuhn heißen müsste, verwarf ich wieder. (Obwohl die Rechtschreibprüfung keine roten Strichelchen darunter macht.)

Wesentlich zufriedener als Fair- oder Viermasthühner wirkte diese Gänsegroßfamilie, die mir auf dem Rückweg begegnete.

Gans schön viele. Verzeihung.

Mittwoch: Außer dem von mir sehr geschätzten Erbseneintopf zum Mittag verlief der Büroaufenthalt ohne besondere Bemerknisse. Der Tag endete mit einer Geburtstagsfeier in einem Garten südlich von Bad Godesberg. Viel mehr ist danach nicht erinnerlich.

Den Herkulesstauden an den Gleisen wurde noch immer nicht der Garaus gemacht

Donnerstag: An Fronleichnam feiern die Katholiken, wenn ich es richtig verstehe, jedes Jahr muss ich es erneut nachlesen, die bleibende Gegenwart von Jesus Christus. Erfreulich, dass wir auch zweitausend Jahre später deswegen heute nicht ins Büro müssen, auch Unkathohlen nicht. Sofern man im richtigen Bundesland wohnt; in den anderen scheint Jesus nicht so gegenwärtig zu sein.

Den freien Tag nutzte ich nach spätem Frühstück mit den Lieben auf dem Balkon unter anderem für einen längeren Spaziergang durch Schwarzrheindorf und Beuel. Es war sehr warm, nur wenige Menschen zog es aus den Häusern, auf dem sonst stark befahrenen Rheindeich nur wenige Radfahrer. Vielleicht sind die auch alle weggefahren über das lange Wochenende und drängen sich jetzt an irgendwelchen Stränden. Da bleibe ich lieber zu Hause.

Dieser als Reihenhaus getarnte Trafoturm in Beuel war mir bislang entgangen.

Dort läuft die Klimaanlage auf Hochtouren, der Geliebte lässt darüber nicht mit sich reden. Dadurch ist es in der Wohnung kühl, für mein diesbezüglich etwas eigenartiges Empfinden, weswegen ich mir schon die Bezeichnung „fimschiges Weibchen“ gefallen lassen musste, zu kühl. Das treibt mich immer wieder zum Aufwärmen raus auf den Balkon, ehe es mir dort zu warm wird und ich wieder rein gehe, bis es zu kalt wird und ich wieder raus … siehe oben. Man macht was mit.

Auch Frau K. ist übers lange Wochenende weggefahren. In ihrem immer lesenswerten Landlebenblog schreibt sie wieder wunderbare Sätze wie diesen:

… Motorradfahrer brüllen sich über den ohrenbetäubenden Krach ihrer blubbernden Motorräder gegenseitig Unverständliches zu, bevor sie jaulend und heulend starten. Ich wundere mich, mit welcher Begeisterung und welchem Durchhaltevermögen Menschen laut sind – in einer ohnehin ja schon durchaus lauten Zeit. 

Freitag: Im Büro herrschte dank Brückentag der anderen die erwartete Ruhe mit nur wenigen Besprechungen und geringem Aufkommen an Anliegen in Wort und Schrift. Das motivierte mich zu einem zeitigen Verlassen der Arbeitsstätte mit Zwischenhalt zur inneren Kühlung auf dem Heimweg, da man bekanntlich nicht warten soll, bis der Durst sich meldet. Von der wesentlich jüngeren Ausschankkraft wurde ich geduzt, ich werte es positiv und fühle mich geschmeichelt.

Feierabend

Bei Gunkl las ich das wunderbare Wort „Bedeutungsüberschuß“ und nehme mir vor, es demnächst in werklichen Angelegenheiten mal anzuwenden.

Samstag: Heute ist kalendarischer Sommeranfang, nachdem das Wetter sich schon länger sommerlich geriert. Wie üblich verband ich die erforderliche Altglasentsorgung mit einem Spaziergang, stets möglichst im Schatten, durch die Nordstadt, an den Rhein und durch die Innenstadt. In letzterer ist an diesem Wochenende Straßenfest, dazu ist die Friedrichstraße auf voller Länge mit einem roten Teppich ausgelegt und für den Radverkehr gesperrt. Zusätzlich zur dort ohnehin zahlreich ansässigen Gastronomie werden alle paar Meter Speisen und Getränke zum örtlichen Verzehr angeboten, trotz Hitze waren die Plätze gut belegt. An einer Stelle mit Livemusik ging ich etwas schneller, da ich Livemusik außerhalb von Konzerten und Karnevalsveranstaltungen zumeist als lästig empfinde. Immerhin gelang es mir, den gastronomischen Verlockungen zu widerstehen und mich zurück in die klimatisierte Wohnung zu begeben, die mir heute, im Gegensatz zu Donnerstag, nicht zu kalt vorkommt.

Nordstadt, sommerlich

Zeit für eine weitere Frage. Da heute der 21. ist, nehme ich die doch gleich. Frage 21 lautet: „Ist es wichtig für dich, was andere von dir denken?“ Ja, grundsätzlich schon, jedenfalls bei Menschen, die mich kennen und die mir was bedeuten. Das halte ich auch für gut und richtig, denn Leute, denen das völlig egal ist, sind in der Regel die größten Arschlöcher, verzeihen Sie meine derbe Ausdrucksweise. Eine Folge daraus ist ein gesteigertes Harmoniebedürfnis und eine gewisse Konfliktscheu, was nicht immer gut ist, aber ich kann es nicht ändern.

„Bonn gewinnt“, mit dieser an ein in den Achtzigern beliebtes Spiel erinnernden Sentenz, bei dem es darum ging, als erster vier farbige Plastikplättchen in eine Reihe zu bringen, wirbt die amtierende Oberbürgermeisterin auf Plakaten um Wiederwahl bei den Kommunalwahlen im September. Offen bleibt dabei, was genau zu gewinnen ist und gegen wen. Vielleicht Bielefeld? Rätselhaft auch ein anderes Wahlplakat derselben Partei:

Macht für das Morgen? Was bedeutet das? Macht im Sinne von mächtig, oder macht mal?

Gelesen bei Herrn Buddenbohm und zustimmend vehement genickt:

Als älterer Mensch jedenfalls, wenn man aus der Perspektive eines Menschen auf Szenen und Geschehen oder überhaupt auf irgendwas sieht, der nicht mehr primär an Action und Erlebnis interessiert ist, sondern vielleicht allmählich etwas mehr an Ruhe und Kontemplation, ohne damit allzu ambitioniert klingen zu wollen, aus dieser Perspektive, so glaube ich, wirkt die damalige Zeit naheliegenderweise anziehend. […] Wahrscheinlich geht es nicht nur mir so. Wie bekanntlich alle Fragen, die mit „Bin ich eigentlich der oder die Einzige …“ beginnen, kategorisch verneint werden können.

Nein, Sie sind nicht der Einzige.

Sonntag: Auch heute war es sehr warm, wärmer noch als gestern, was selbstverständlich kein hinreichender Grund ist, auf den allsonntäglichen Spaziergang zu verzichten.

Ob DAS die Wähler überzeugt?
Wenig los an der Poppelsdorfer Allee, nicht nur dort

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Vielen Dank für die Aufmerksamkeit, kommen Sie gut durch die Woche und den Sommer.

Redaktionsschluss: 18:30

Woche 18/2022: Camargue in Brandenburg und Sympathie in Lippe

Montag: »Das ist harter Tobak«, ist in einem Zeitungskommentar zu lesen. Auf der Liste der abgegriffensten Metaphern ein ganz alter Hut.

Wie weiterhin in der Zeitung zu lesen ist, erlaubt ein Göttinger Schwimmbad aus Gründen der Geschlechtergerechtigkeit jetzt auch Besucherinnen an Wochenenden den Besuch mit freiem Oberkörper. (Für Freunde des generischen Femininums: also allen Besucherinnen.) Das ist zu befürworten, solange aus der Erlaubnis keine Verpflichtung wird.

Dienstreise nach Schönefeld bei Berlin. Die Notdurft der mitfahrenden Kollegin erforderte einen kurzen Halt auf einem Rastplatz. Wo wir schon mal hielten, wollte auch ich die Gelegenheit nutzen, kam allerdings nicht dazu, weil die Herrenabteilung der Toilette verschlossen war. Jetzt, da Frauen oben ohne ins Freibad dürfen, wäre es wünschenswert, endlich auch diese unsinnige Geschlechtertrennung bei Toiletten zu überdenken. Und wozu gibt es immer noch Damen- und Herrenfahrräder?

Wo wir gerade beim Wünschen sind: Der Ort Wünschdorf wird auf einem braunen Sehenswürdigkeitenhinweisschild am Autobahnrand als „Bücher- und Bunkerstadt“ bezeichnet. Vielleicht habe ich mich auch verlesen.

Dienstag: Teil zwei unserer Tagungstournee. Der Tagungsort ist, verglichen mit Buch am Ammersee in der vergangenen Woche, nicht ganz so idyllisch gewählt, aber wir sind ja nicht (nur) zum Vergnügen hier: Statt bayrischer Seeidylle Neubau- und Gewerbegebiet. Immerhin – in einem Teich zwischen Bahnstrecke und vierspuriger Straße weilen Flamingos, und sie scheinen sich dort nicht unfreiwillig aufzuhalten. Ein Hauch von Camargue in Brandenburg.

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Finde den Fehler.
Kleines Rätsel am Wegesrand
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Auch das kollegiale Abendprogramm war überwiegend angenehm. Gewiss, einer nervt immer, das gehört dazu. Im Übrigen kann ich wunderbar abschalten, während andere über Fußball sprechen.

Mittwoch: Dank rechtzeitigem Absprung am Vorabend erwachte ich in einigermaßen erfreulichem Zustand. Dennoch verzichtete ich aus in der vergangenen Woche bereits dargelegten Gründen auf das Frühstück.

Tagsüber gehört und notiert: „Wir sind relativ statisch unterwegs.“

Zügig unterwegs waren wir nachmittags auf dem Weg nach Celle zur dritten Tagungsetappe, die morgen startet. Nach dem Abendessen in kleiner Runde im Hotelrestaurant zeitig ins Tuch. Man weiß nicht, was einem der nächste Abend abverlangt.

Donnerstag: Hypothese: Je voluminöser der Gast, desto größere Mengen an Nahrung werden auf den Teller gepackt. Während meiner stillen Beobachtung beim Frühstücksbüffet treten Ursache und Wirkung in einen fröhlichen Streit miteinander. Ansonsten gibt es Saftgläser in angemessener Größe und im Zimmer einen Haken für die Jacke, was in Hotels keineswegs selbstverständlich ist.

Neben uns tagt hier auch eine Gruppe von Rheinmetall, ein Unternehmen, das seine Eigenschaft als bevorzugtes Verabscheuungsobjekt aus aktuellen Gründen zumindest teilweise eingebüßt hat. Bleibt immer noch Amazon.

Vor dem Abendessen ging ich ein wenig durch die Gegend.

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Rapsfelder gehen immer
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Freitag: Erst gegen Mittag kehrte das uneingeschränkte Wohlbefinden zurück, da am Vorabend Rosé, Hausbrand, Wiedersehensfreude und Willensschwäche in eine ungünstige Konstellation getreten waren, die morgens noch etwas nachwirkte.

Gegen 18 Uhr kehrte ich nach einer sehr angenehmen Tagungswoche heim in die Arme der Lieben. Die vierte und letzte Etappe folgt übernächste Woche, ich freue mich drauf.

Samstag: Da plötzlich Sommer ist, frühstückten wir erstmals in diesem Jahr auf dem Balkon, den wir neuerdings mit dem Außenaggregat der neuen Klimaanlage teilen, die seit dieser Woche unsere Wohnung bereichert, weil die Lieben meinen, wir benötigen derlei, und wer bin ich, daran zu zweifeln. „Daran gewöhnst du dich“, sagt der Liebste. Bestimmt, man gewöhnt sich angeblich auch an Tinnitus. Und im Gegensatz zum Ohrenflöten kann man auf dem Gerät Dinge abstellen, immer auch das Positive sehen.

„Ich würde mir wünschen, dass du das mal begutachtest“, hörte ich in der Fußgängerzone einen zu seiner mutmaßlichen Gattin sagen. Vielleicht haben sie gerade ein Seminar über erfolgreiche Kommunikation in der Partnerschaft absolviert.

Sonntag: Um 0:45 Uhr aufgewacht, weil jemand an der Haustür geklingelt hatte (wobei das bei uns nicht klingelt, sondern ein „Düdl-düdl-düdl“-Geräusch ertönt; ich wollte aber nicht „gedüdelt“ schreiben). Da wir weder Besuch noch ein weiteres Paket erwarteten, reagierten wir nicht und konnten, da nicht erneut geklingelt beziehungsweise gedüdelt wurde, in Ruhe weiterschlafen.

Heute vor fünfundzwanzig Jahren erkannten zwei (damals noch) junge Männer während einer Gruppenwanderung durch lippische Wälder und Fluren gegenseitige Sympathie; auf den Tag genau fünf Jahre später sagten sie vor dem Bonner Standesamt „Ja“. Mein Liebster, danke für die Jahre, in denen wir uns nun schon aufs Angenehmste reiben! Ich freue mich auf die nächsten fünfundzwanzig. Mindestens.

Der zwanzigste Hochzeitstag heißt übrigens „Porzellanhochzeit“. In Japan heißt es „Kintsugi“, wenn die Risse eines zerbrochenen und wieder zusammengefügten Porzellangefäßes mit Goldstaub hervorgehoben werden, habe ich mal irgendwo gelesen. Das hat keinen direkten Bezug zum vorstehenden Absatz, ist trotzdem schön.

Auch schön. Wenn wir Menschen uns irgendwann erfolgreich selbst ausgerottet haben, wird sich die Natur alles ganz schnell zurück holen. Immer das Positive sehen.

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Kommen Sie gut durch die sommerliche Woche.