Woche 34/2025: Manchmal ist es verrückt

Montag: Der vergangene Wochenrückblick zog ungewöhnlich viele freundliche Kommentare nach sich, dabei fand ich den gar nicht so dolle. Vielen Dank dafür. Manchmal, um nicht zu schreiben öfter, ist es umgekehrt, dann denke ich: Jetzt hast du aber mal richtig einen rausgehauen, und dann kommt fast nichts. Keine Klage, nur Feststellung.

Ansonsten bot der Wochenbeginn keinen Grund zur Klage (oder es war ein ganz okayer Start, wie manche zu schreiben keine Hemmungen haben, auch das an Grässlichkeit kaum noch zu steigernde Wort okayisch hörte ich in diesem Zusammenhang schon), dafür auch wenig Berichtenswertes.

Mit Verspätung gelesen bei Gunkl:

Es wird nicht passieren, aber lustig wäre es schon, wenn eine höchstpotente künstliche Intelligenz nach Abschätzung möglicher Ergebnisse beschließt, daß Krieg einfach blöd ist, und unter unautorisiertem Zugriff auf die Steuerelektronik aller Waffensysteme alles Kriegsmaterial unbrauchbar macht und so Weltfrieden herbeiführt, weil das einfach intelligenter ist, als Krieg zu führen.

Dialog des Tages: „Ich war in Sorge.“ – „Musst du nicht, ich bleibe bei dir.“ – „Das ist ja meine Sorge.“ So geht Liebe.

Dienstag: Gestern brachte ich meine Freude über zahlreiche Kommentare zum Blogbeitrag letzter Woche zum Ausdruck, heute freute ich mich sehr über einen Brief von jemandem, der meinen Ausführungen bei mehreren Lesungen lauschte. Angereichert war das Schreiben mit dem Gedicht „Wenn die Möpse Schnäpse trinken“ von James Krüss, das so endet:

Wenn an Stangen Schlangen hangen / Wenn der Biber Fiber kriegt,

Dann entsteht zwar ein Gedicht, aber sinnvoll ist es nicht.

Weiterhin beigefügt war eine Stilblüte der Kategorie Manager-Gequatsche und das Bild einer Skulptur von Asier Sanz. Lieber F., herzlichen Dank dafür! Eine angemessene briefliche Antwort folgt.

Der Schreiber bloggt übrigens auch, nämlich hier, schauen Sie mal rein, es lohnt sich.

Was Vorstandsmitglieder so sagen
Asier Sanz

Gefreut habe ich mich auch über eine Mail von Epubli, wonach jemand im vergangenen Monat das Buch gekauft hat. Auch dafür herzlichen Dank, ich wünsche gute Unterhaltung damit.

Gespräch beim Abendessen, einer fragt „Wie heißt nochmal die mit der Nase?“ Zwei antworten synchron: „Barbra Streisand.“ Manchmal ist es verrückt.

Mittwoch: Als ich morgens beim ersten Kaffee auf dem Balkon saß, lag ein latenter Fäkalgeruch in der Luft. Der war auch noch deutlich zu vernehmen, während ich mit dem Fahrrad auf dem Weg ins Werk durch die Innere Nordstadt fuhr. Da er sich danach auflöste und ich morgens mit der gebotenen Gründlichkeit geduscht hatte, gehe ich davon aus, dass ich nicht selbst die Quelle war.

In Köln beginnt die Computerspielemesse Gamescom, wo tausende Besucher erwartet werden. Auch so eine Welt, die keinerlei Gemeinsamkeiten mit meiner aufweist, was daran liegen mag, dass meine, in der Dinge wie Fußball, Netflix oder Amazon keine Bedeutung haben, sehr speziell ist.

Beides auch nicht in meiner Welt

Donnerstag: Diese Woche ist kleine Woche, Viertagewoche, also hätte ich heute frei gehabt, Inseltag. Konjunktiv, weil es in Werkszusammenhängen eine Veranstaltung gab, an der teilzunehmen mir wichtig war, auch das gibt es. In den vergangenen Jahren war sie stets mit vier sehr angenehmen Dienstreisen verbunden, ich berichtete; in diesem Jahr fand sie leider nur am Bildschirm per Teams statt. Dennoch hätte ich ungern auf die Teilnahme verzichtet. Nicht verzichten muss ich auf den freien Tag, der auf morgen verlegt wurde, wodurch der Insel- zu einem Halbinsel-, Landzungen-, Polder- oder Koogtag wird. Jedenfalls wird es ein langes Wochenende.

Freitag: Den freien Tag nutzte ich auch heute wieder für eine Wanderung. Diese führte von Köln-Rath-Heumar durch das Königsforst und die Wahner Heide bis Troisdorf. Beim Umstieg von der Regional- in die Stadtbahn in Köln-Deutz kamen mir zahlreiche Besucher der Gamescom-Messe entgegen, teilweise in bizarren Verkleidungen. Wie oben bereits geschrieben, eine andere Welt, was nicht ablehnend oder überheblich gemeint ist; vielleicht finden die Wandern völlig absurd, was es vielleicht auch ist.

Das Wetter war ideal zum Wandern, trocken und um die zwanzig Grad, nur kurz zeigte sich die Sonne. Wie erhofft blüht inzwischen die Heide. Nicht so flächendeckend und postkartengrell wie in nordniedersächsischen Touristenanlockungsmedien, dennoch augerfreuend. Hier und da kündigt sich schon der Herbst an mit ersten gelben Blättern. Kurz vor Troisdorf fand ich Erquickment im wunderschönen Heidekönig-Biergarten, trotz trübem Wetter war er gut besucht.

Sehen Sie:

Aggertalbahn
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Herbsterwachen
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Womit die Rubrik „Was schön war“ auch heute hinreichend bedient ist.

Samstag: Die Nacht endete früh, weil eine Bahnreise nach Bielefeld anstand, um die Mutter zu besuchen. Obwohl der Regionalexpress ab Bonn ausfiel und der Ersatzzug – immerhin gab es einen, das ist nicht selbstverständlich – knapp eine halbe Stunde Verspätung hatte; obwohl wir in Duisburg wegen eines Polizeieinsatzes, dem laut Durchsage eine „kleine Auseinandersetzung“ im vorderen Zugteil vorausgegangen war, länger standen, erreichte ich das Ziel dank üppiger Umsteigezeit in Köln mit nur geringer Verspätung.

In Köln stellte die Bahn ihre Kunden auf eine besondere Probe: Angezeigt war die Einfahrt des RE 6 nach Minden (mit dem ich fuhr), angesagt wurde und es fuhr ein der RE 26 nach Remagen. Verwirrung, man stieg erst ein, bald wieder aus, fragte einander „Ist das der Zug nach …“, die Abfahrt verzögerte sich dadurch um mehrere Minuten. Wie viele mögen, vielleicht abgelenkt durch Ohrstöpsel und Datengerät, erst in Köln-Süd bemerkt haben, dass sie in der falschen Bahn saßen, oder erst in Remagen.

Zum Mittagessen hatte die Mutter Kohlrouladen zubereitet, die schmeckten wie bei Muttern. (Kleiner Scherz.) Während sie danach ein halbes Stündchen ruhte, unternahm ich einen Spaziergang durch Bielefeld-Stieghorst, der etwas länger ausfiel als geplant, wie das so ist, wenn ich einmal so im Gehen bin. Das war nicht schlimm, rechtzeitig zu Kaffee und Kuchen (Marzipantorte von Bäckerei Kriemelmann, der Geburtstagskuchen meiner Kindheit, Gutes vergeht nicht) war ich zurück.

Während der Fahrt nahm ich auffallend viele Männer mit Blumensträußen wahr, als ob heute Tag des schlechten Gewissens wäre. (Ist es nicht, laut kleiner kalender ist Sklavenhandels-, Regensing- und Windreite-Tag. Alles ohne erkennbaren Blumenbezug.)

„Geld macht dumm – Armut auch“ las ich an eine Wand gesprüht, soweit ich mich erinnere in Düsseldorf. Ein unlösbares Problem, die allgemeine Verdummung ist nicht aufzuhalten, wie zunehmend zu bemerken ist. „Denk absurd“ war woanders zu lesen. Damit kann man sogar Präsident eines großen Staates werden, bitte denken Sie sich zutreffende Staatsoberhäupter selbst dazu.

Schlimm finde ich die künstliche Zugansagerin in den Zügen von National Express, die auch erhebliche Verspätungen mit der klebrigen Fröhlichkeit einer Reklamesprecherin verkündet. Doch verkündete sie auf der Rückfahrt, die auffallend pünktlich verlief, Gutes. Als sie sagte „Nächster Halt: Köln Hauptbahnhof“ erschrak ich fast ein wenig.

Ebenfalls auf der Rückfahrt telefonierte einer laut und ausdauernd. Da er das auf Französisch tat, verstärkte es die Vorfreude auf den baldigen Urlaub in der Provence.

Auch heute sah ich viele Bäume mit ersten Herbsterscheinungen. Ist der Herbst dieses Jahr früher dran als sonst?

Was sonst noch so an Wände geschrieben wird

Sonntag: In der Sonntagszeitung (FAS) Innenansichten sogenannter Latte-Macchiato-Eltern, die mit ihren kleinen Kindern gerne in Cafés gehen; konkret berichtet Sebastian Eder, ein solcher Vater:

Warum aber fühle ich mich so wohl in Cafés? Andere Eltern hassen es, wenn ihre Kinder dort an ihnen zerren, noch ein Croissant wollen, das nächste Bilderbuch anschleppen oder schon wieder das ganze Essen auf dem Boden verteilen. Bei mir stellt sich eher eine Entlastung ein: Das Kinderchaos gibt es sowieso, hier bringt mir währenddessen wenigstens jemand Kaffee und Essen, ich muss danach weder aufräumen noch spülen.

[…]

Genervte Blicke von Gästen wären mir auch egal. Wer seine Ruhe haben will, soll zu Hause bleiben.

[…]

Bei mir jedenfalls hilft mit kranken Babys nur: rausgehen und tragen, tragen, tragen – und wenn das Baby eingeschlafen ist, Kaffee trinken. Wird das Kind größer, kann es selbst etwas bestellen und ist auch mal ein paar Minuten zufrieden. Selbst wenn der bellende Husten durchs Café schallt.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, wenn Sie sowas lesen oder gelegentlich selbst erleben. Bei mir erzeugt derartig arrogante Rücksichtslosigkeit, die vorausgesetzte Selbstverständlichkeit, mit der Eltern ihre Bedürfnisse und die ihrer Blagen über alles stellen, stets eine gewisse Wut. Aber man darf ja nicht sagen, sonst sieht man sich schnell, gerade als Kinderloser, der Kinderfeindlichkeit bezichtigt (was so schlimm nun auch nicht ist). Dieselbe Empörung schäumt regelmäßig auf, wenn Hotels und Restaurants aus jedenfalls für mich nachvollziehbaren Gründen keine Kinder als Gäste wünschen. In Anlehnung an Herrn Eder sei entgegnet: Wer seine Kinder aushäusig toben lassen will, soll ein anderes Restaurant bzw. Hotel aufsuchen.

Gerade fällt mir auf, ich muss ja noch eine Frage beantworten.

Frage Nr. 37 lautet: „Weißt du normalerweise, wann es Zeit ist, zu gehen?“ Normalerweise ja. Heute Nachmittag war ich verabredet auf dem Bonner Weinfest, möglicherweise verweilte ich dort etwas länger als nötig, wodurch Auswirkungen auf die Schlussredaktion dieses Wochenrückblickes nicht völlig auszuschließen sind. Eventuelle Liederlichkeiten in Rechtschreibung, Satzbau und Logik bitte ich deshalb zu entschuldigen.

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Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Kommen Sie gut durch die Woche.

19:00

Woche 33/2025: In sicherem Abstand

Montag: Eine der wesentlichen Aufgaben des Tages war es, einen Karton Wein auf dem Fahrradgepäckträger zum Büro zu transportieren, auf dass ihn der liebe Kollege, wenn er demnächst nach seinem und in meinem Urlaub in Bonn ist, übernehmen kann. (Ich schrieb erst: nach seinem und während meines Urlaubs, das las sich unrund. Korrekt, indes noch unrunder hätte sich „nach seinem Urlaub und während meines Urlaubs“ gelesen. Egal.) Lieber S., der Wein ist unbeschädigt angekommen, er steht im Hochschrank hinter meinem Schreibtisch. Einen schönen Urlaub euch weiterhin!

Ansonsten verlief der Arbeitstag in gewohnter Montagsmüdigkeit und -unlust. Im übrigen war es sehr ruhig, weil viele Kollegen und Chef Urlaub haben. Er sei ihnen von ganzem Herzen gegönnt.

Morgens ließ eine Mischung aus Sonnenstand, Rhein und Reflexion eines der UN-Hochhäuser in Sichtweite sehenswert glitzern:

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Es ist wieder sehr warm. Auch das beklage ich nicht, denn, analog zu Karl Valentin, klagte ich, wäre es trotzdem warm. Als Kind mochte ich Sommerhitze nicht. Nicht wegen der Hitze an sich, sondern weil ich dann genötigt wurde, kurze Hosen zu tragen. Das tat ich ungern wegen meiner dünnen Beine, die mir von anderen, bei denen nicht nur die Beine wesentlich dicker waren, ständig eingeredet wurden.

Dienstag: Der Fußweg ins Werk verlief sonnenbeschienen, jedoch nicht mehr ganz so warm; ohne Jacke gut auszuhalten. Dabei lag schon eine Anmutung von Spätsommer in der Luft.

Spätsommer

In letzter Zeit fallen mir zunehmend Radfahrer auf, die einen Helm mit sich führen, ihn jedoch nicht auf dem Kopf tragen, wo er im Falle des Unfalls den größten Nutzen entfaltete, sondern ihn während des Fahrens materialschonend-lässig am Lenker baumeln haben. Vielleicht gab es das schon immer, manchmal fallen einem Dinge, die es schon lange gibt, ja erst spät auf. Bei mir war es zum Beispiel der Schmetterlingsflieder, auch als Sommerflieder bekannt, den ich erstmals bewusst 1990 während des Grundstudiums in Köln wahrnahm. In Ostwestfalen, wo ich mich zuvor die meiste Zeit aufgehalten hatte, nur war er mir nie aufgefallen, obwohl es ihn dort mit Sicherheit auch gab und gibt. Zurück zu den unbehelmten Radfahrern, übrigens aller Geschlechts- und Altersklassen, somit lässt es sich nicht als pubertärer Leichtsinn abtun: Warum machen die das? Meinen die, den Helm im Sturz, kurz vor dem Aufprall noch schnell aufsetzen zu können?

Bleiben wir im Kopfbereich: Vor allem im asiatischen Raum gilt Gesichtsverlust als großes persönliches Unglück, wobei er manchen Menschen, nicht nur in Asien, wenn man sie sich so anschaut, nicht unbedingt zum Nachteil gereichen würde. Einen speziellen Fall davon sah ich morgens am Rheinufer:

Wozu mag es vorher gedient haben? Nach einem unterleibserfreuenden Spielzeug sieht es eher nicht aus, auszuschließen ist es aber nicht.

Auf dem Fußweg zurück, nun deutlich wärmer, überholte mich ein Läufer mit Schriftzug auf dem Rücken des T-Shirts: „Reden kostet nichts. Schweigen schon.“ Das gefällt mir, auch wenn ich es nicht ganz verstehe. Man kann sich – auch mit Helm – um Kopf und Kragen reden; ähnliche Folgen durch Nichtreden sind mir unbekannt. Ich werde darüber nachdenken.

Mittwoch: Aus einem Zeitungsartikel über den Drang mancher Männer, sich in der Öffentlichkeit mit freiem Oberkörper zu zeigen: „… Aktivistinnen und Aktivisten, die für geschlechtsneutrale Körper eintreten, sei ein entblößter Männer-Oberkörper ein Dorn im Auge.“ Geschlechtsneutrale Körper? Ich möchte das nicht. Im selben Artikel heißt es auch: „Doch bei nackten Oberkörpern bleibt eine Geschlechterkluft (Gender Gap)“. Das muss dieses Sommerloch sein.

Das neue Buch von Max Goldt ist eingetroffen. Es kommt nach ganz oben auf den Stapel der ungelesenen, ich freue mich sehr darauf.

Aber?

Donnerstag: „Achtziger und die größten Klassiker“ spielt der Radiosender WDR 4 nach eigenem Bekunden. Deshalb war ich morgens entsetzt, als sie, gerade als ich wehrlos unter der Dusche stand, dieses furchtbare, nicht endende etwa 44-strophige, bislang im Nachbarsender WDR 2 rauf- und runter gespielte Wellerman-Lied brachten, das mich danach noch längere Zeit ohrwurmte.

Auf dem Fußweg zum Werk begegnete mir eine etwas abgerissene Person unklarer Binärität, vertieft ins Selbstgespräch mit verteilten Rollen. Mal sprach sie ruhig wie mit einem Gegenüber, dann schrie sie so unschöne Sätze wie „Halt endlich dein Maul, du Schlampe!“, auch das Wort „Fotze“ fiel mehrfach, ehe sie wieder im ruhigen Ton sprach. Irgendwo hörte oder las ich mal einen Satz, der sinngemäß lautete: „Jeder kämpft seinen eigenen Kampf, von dem die anderen nichts ahnen.“ Wir ahnen nicht, welchen Kampf diese Person führt, jedenfalls erscheint ein Wellerman-Ohrwurm dagegen als ein zu vernachlässigendes Problem.

Passend zum gestern erwähnten Zeitungsartikel kam mir am Rheinufer ein Läufer ohne T-Shirt entgegen, dessen Körper zum Glück weder geschlechtsneutral noch mir ein Dorn, eher eher ein Lusttränchen im Auge war. Aber ich bin ja auch kein Aktivist.

Kurz vor Ankunft am Turm sah ich im Rheinauenpark unter einem Baum einen blonden jungen Mann in sommerlicher Sportbekleidung, der etwas am Boden herumnestelte (komisches Wort, fällt mir gerade auf), dann zog er sich die Schuhe aus, kniete sich hin, beugte sich nach vorne in Richtung Osten und verharrte so für längere Zeit. Als Religionen skeptisch begegnender Mensch fand ich das irritierend, zumal er nicht dem derartiges praktizierenden Kulturkreis zugehörig aussah. Aber was weiß ich schon.

Gelesen im Kieselblog und zustimmend genickt:

Ich glaube, dass wir Menschen plappern wie Affen sich lausen: Es handelt sich um ein soziales Ritual. Eigentlich ist es dabei zweitrangig, um welches Thema es geht – hauptsache, wir teilen mit, wie wir uns fühlen und unser Gegenüber tut das auch (wobei komplett egal ist, was das Gegenüber sagt oder fühlt).

Das Problem an der Sache ist, dass ich Geplapper nicht kann. Ich denke immer, es würde richtig gesprochen werden, es gäbe immer einen richtigen Austausch. Auch wenn ich rational verstehe, wie wichtig die soziale Fellpflege ist, bin ich dazu nicht wirklich fähig. Entweder gehe ich dann in ein richtiges Gespräch (bzw. versuche ich es), oder ich stehe stumm da und lächle, denn ich weiß ja nicht, wie ich plappermäßig korrekt reagieren soll.

Vielleicht ist das gemeint mit Schweigen kostet, siehe oben: Viele Menschen kostet es Mühe und Überwindung, mal die Klappe zu halten.

Freitag: Was schön war: Ruhe im Büro, mehrere Haken in der Outlook-Aufgabenliste, roter Wackelpudding mittags als Dessert, anschließend ein Spaziergang durch den Park, die vorläufige Entschärfung eines Konflikts (machmal wünsche ich mir ein Teinihaus, für das nur ich einen Schlüssel habe) und gemeinsames Grillen, Essen und Trinken am Abend.

Samstag: Über Nacht hat es sich deutlich abgekühlt, die Sonne blieb ganztägig hinter einer dicken Wolkendecke versteckt. Dennoch ließ es sich weiterhin gut jackenlos und kurzärmlig draußen aufhalten. Wie üblich verband ich den Leergutentsorgungsgang mit einem Spaziergang an den Rhein. Dort, am Rheinufer hatten die Grünen unter einem gleichfarbigen Sonnenschirm einen Informationsstand aufgebaut. Um nicht angesprochen zu werden, schaute ich im Vorbeigehen betont desinteressiert und beschleunigte den Schritt ein wenig. Nicht, weil ich eine Abneigung gegen diese Partei hegte, ganz und gar nicht, sondern weil ich generell ungern zu einem Gespräch mit Fremden genötigt werde. In sicherem Abstand setzte ich mich auf eine Bank, schaute den vorübergehenden und -radelnden Menschen mit und ohne Hunden zu und las Blogs. Einige Passanten, die aus Richtung der Grünen kamen, hielten ein Faltblatt der Partei in der Hand, das sie sich vielleicht aus Interesse, vielleicht aus Höflichkeit in die Hand drücken gelassen hatten. Wie viele davon mögen ungelesen im Abfall entsorgt werden.

„Kuck mal wie tief … oder wie flach“ rief eine Radfahrerin ihrem Begleiter zu und deutete auf den Fluss, der zur Zeit wenig Wasser führt. „Ja“ lautete die knappe Antwort, offenbar hatte er verstanden, was sie meinte.

„Mittwoch ist Lesetag“ stand auf dem Stoffbeutel, der an einem anderen Radfahrer hing. Warum nur Mittwoch? Und warum gerade an diesem Tag? Wird an den übrigen Tagen nicht gelesen? Aber jedem wie er mag.

Hier ist, regelmäßige Leser und -innen ahnen es, Samstag Fragetag.

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Frage Nr. 9 lautet: „Was machst du morgens als Erstes?“ Das hängt vom Tag ab, oder kommt darauf an, wenn Ihnen das lieber ist: An Arbeitstagen den Radiowecker ausschalten, wenn die Halb-sieben-Nachrichten durch sind, am Wochenende das iPad heranholen, um etwas zu lesen, bis das Bad frei ist; bei mir ist nicht nur Mittwoch Lesetag. Als allererstes aber, das ist mir jetzt etwas unangenehm, doch Frage ist Frage, bohre ich, einer langjährigen Angewohnheit folgend, ausführlich in der Nase. Das bleibt bitte unter uns.

Sonntag: Der Tag begann zunächst kühl, weshalb zur Lektüre der Sonntagszeitung auf dem Balkon ein Jäckchen angebracht war. Das führte zur Erheiterung meiner weniger kälteempfindlichen Lieben, aber ich kann es nicht ändern. Wer nicht frieren will, braucht für den Spott nicht zu sorgen.

Zum Spaziergang am Nachmittag wärmte es merklich auf, sodass ich das Jäckchen ablegen konnte. Auch auf der anderen Rheinseite gibt es einen schönen Biergarten mit Ausschank bayrischen Bieres, der gut besucht war und sich in den Spaziergang integrieren ließ.

Beobachtung: Nicht nur die Fahrer von Renn- und Lastenfahrrädern zeigen oft bemerkenswerte Rücksichtslosigkeit gegen andere Verkehrsteilnehmer, sondern auch auch manche Nutzer elektrisch angetriebener Rollstühle, die ohne jede Hemmung durch die Fußgängerzone rasen und sich dabei, das ist jetzt nur eine empirisch nicht belegte Vermutung, völlig im Recht glauben.

Was ist nur los mit diesen Menschen?

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Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Kommen Sie gut durch die Woche.

17:30

Woche 32/2025: Was so geschrieben und gesagt wird

Montag: „Zähle 30 Dinge auf, die dich glücklich machen“ lautet der Vorschlag des Tages hier in der Wörterpresse. Das ist schnell getan: Die dreißig arbeitsvertraglich festgelegten Urlaubstage im Jahr machen mich ziemlich glücklich, jeder einzelne davon. In vier Wochen die nächsten elf. Nicht minder lieb sind mir die freien Inseltage jeden zweiten Donnerstag. Wie der kommende.

Dienstag: Der dienstagsübliche Fußweg ins Werk fiel ins Wasser wegen Regens, zurück ging es auf trockenem Weg.

In einer langen Besprechung am Nachmittag sagte einer in etwa jedem vierten Satz „am Ende des Tages“, wie so oft übertrug es sich im Laufe des Gesprächs wie ein Verbalvirus auf weitere Teilnehmer.

Auch ins Wasser gefallen

Nicht am Ende des Tages, doch kurz davor trafen wir uns im kollegialen Rahmen im Biergarten. Aus der ursprünglich geplanten Dreierrunde wurden elf, wie immer öfter in letzter Zeit war ich der Älteste. Ich fand es anstrengend, es wurde viel geschäftliches gesprochen mit der für die Altersgruppe Mitte zwanzig bis Ende dreißig typischen Wortwahl wie „Die Pommes sind krass crunchy“ und „Der Salat ist echt nice„. Zunehmend erschwert nicht nur mein nachlassendes Gehör die Teilnahme an solchen Unterhaltungen, sondern auch meine lückenhaften Englischkenntnisse. Als sie begannen, sich damit zu brüsten, wieviel Zeit man im Büro verbringt („Stell dir vor, jedes Mal würde einer ’ne Pizza ausgeben, nur weil man nach 22 Uhr noch da ist“) wurde es Zeit für mich, zu gehen. Die Runde zu dritt wäre mir lieber gewesen. Wie bereits vergangene Woche sei nochmals Ernst Jandl zitiert: „das stück, darin / ich keine Rolle spiele / ist meines.“ „/ nicht mehr“, wäre zu ergänzen.

Mittwoch: Ein weiterer Grund, weshalb ich es gestern Abend bei zwei Bieren beließ, war der heute Morgen anstehende Zahnarztbesuch zur Kontrolle und Reinigung, da will man nicht mit einer Fahne herumdünsten, auch sonst sind Arbeitstage unter Restalkohol erfahrungsgemäß wenig erfreulich. Nachdem alles zur beiderseitigen Zufriedenheit kontrolliert und gereinigt war, radelte ich jackenlos durch noch deutliche Morgenkühle zum Turm.

Vormittags hatte ich anlässlich einer überraschenden Übung meinen ersten Einsatz als Brandschutzhelfer. Als das Alarmsignal ertönte, zog ich die bereithängende Warnweste über und setzte einen wichtigen Gesichtsausdruck auf, mit dem ich im mir zugewiesenen Gebäudeabschnitt von Büro zu Büro ging, um die Kollegen aus dem Gebäude zu scheuchen. Die gingen allerdings freiwillig, so dass keine scharfe Ansprache oder Gewaltanwendung meinerseits erforderlich war. Schließlich meldete ich telefonisch die Etage als geräumt, dann verließ ich selbst durch das Treppenhaus den Turm. Der nächste Brand kann kommen, muss aber nicht.

Donnerstag: Falls Sie in der Inneren Nordstadt in Bonn wohnen und morgens jemanden etwas schräg, dafür einigermaßen textsicher „Unchained Melody“ singen hörten, das war ich. Während des Brausebades kam es im Radio, der Mitgesang war ununterdrückbar.

Wie am Montag bereits angedeutet, hatte ich heute frei. Wie üblich nutzte ich den Tag für eine Wanderung. Da Wärme angekündigt war, wählte ich eine nicht zu lange, möglichst bewaldete Route ohne stärkere Steigungen: einen Rundweg durch die Ville ab dem Bahnhof Erftstadt entlang mehrerer Seen, die durch Braunkohle-Tagebau im 19. und 20. Jahrhundert entstanden sind; ich habe das kurz für Sie recherchiert, nicht dass es heißt, hier lerne man nichts. Diese Route hatte mir vor einiger Zeit die Nachbarin empfohlen; vielen Dank, liebe M., eine gute Empfehlung, es war sehr schön. Kurz vor dem Ziel bog ich an einer Stelle falsch ab, wodurch eine Extraschleife zu gehen war. Das war nicht schlimm, auch wenn ich dadurch eine Teilstrecke zweimal ging.

Wie schön es war, können Sie hier sehen:

Dschungelartige Vegetation
Obersee
Untersee
Uferweg am Untersee
Mittagessen mit Blick auf den Heider Bergsee
Namenloser Tümpel am Wegesrand mit Bewohnern
Karauschenweiher

Nach Rückkehr in Bonn, Sie ahnen es, folgte eine Stärkung durch Currywurst und Bier. Bei dieser Gelegenheit herzliche Grüße an Leser Christian K., der mich angeschrieben hatte, um Nähres über das Bonner Currywurstangebot zu erfahren. Als Kleinblogger freut es mich immer sehr, wenn Geschriebenes Anerkennung und Rückmeldung erfährt.

Freitag: Nach den vorgenannten Annehmlichkeiten eines Inseltages noch einmal zurück in die Bürosphäre, ehe das Wochenende anbricht. Eine Kollegin lässt mich per Mail wissen, dass sie mich „fyi reingeloopt“ hat. Was so geschrieben und gesagt wird, wenn es bisi wirken soll.

In einer Besprechung gehört und notiert: „Ich habe keine Meldung erhalten, dass etwas unrund läuft, anscheinend läuft alles geradeaus.“ Ja wie denn nun?

Ansonsten war es ein angenehmer, nicht zu langer Arbeitstag, was überleitet zur Rubrik „Was schön war“:

Nach Rückkehr vom Werk standen Kaffee und Kuchen auf dem Balkontisch bereit. Ich kam gerade rechtzeitig an, bevor meine Lieben alles aufgefuttert hatten. Danach war ich beim Friseur, jetzt habe ich wieder die Haare schön. Nach der (wirklich!) letzten Färbung ergrauen auch die Schläfen langsam wieder.

Schön auch der folgende Satz eines Mädchens zu seiner Begleiterin vor dem Schaufenster eines Bekleidungsgeschäfts, gehört auf dem Weg zur (ebenfalls schönen) Abendgastronomie: „Alter, kuck mal der Rock, der ist ja cute.“

Samstag: Nachdem Kulturstaatsminister Weimar innerhalb seiner Behörde die Benutzung von Gendersternen und ähnlichen Sonderzeichen untersagt hat, empfiehlt er dasselbe nun auch anderen öffentlich geförderten kulturellen Einrichtungen, was gleichsam als Anweisung ausgelegt wird. Öffentliche Empörung und Zustimmung dürften sich in etwa die Waage halten. Auch ich verzichte aus Gründen der Sprach- und Schriftästhetik auf Genderzeichen, sowohl hier im Blog als auch in beruflichen Schriftlichkeiten; bislang hat sich keiner niemand darüber beschwert. Auch amüsieren mich immer wieder groteske Wort- und Satzkonstruktionen, die demselben Zweck dienen sollen wie „der Mitarbeitende“, „Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber“ oder die Anrede „Liebe:r Carsten“. Irgenwo las ich mal, nachdem der Schreibende zuvor das Femininum genutzt hatte, den Klammerzusatz „(das gilt auch für nicht-weiblich gelesenen Personen)“. Und doch habe ich überhaupt nichts dagegen, wenn andere es als richtig und notwendig erachten, geschlechtsneutral zu schreiben und sprechen. Ein wenig stolpere ich immer noch darüber, doch ich werde mich daran gewöhnen. Daher halte ich Weimars Weisung zumindest für fragwürdig.

„Alter“ ist übrigens, obwohl männlich gelesen, geschlechtsneutral, siehe Eintrag von gestern.

Zeit für die nächste Frage.

Vergangenen Donnerstag am Mittelsee

Frage Nr. 12 lautet: „Was möchtest du dir unbedingt irgendwann einmal kaufen?“ Unbedingt, aber nicht irgendwann, sondern sobald es erhältlich ist, das neue Buch „Aber?“ von Max Goldt, bestellt ist es schon beim Buchhändler des Vertrauens (selbstverständlich nicht beim großen A.). Irgendwann, aber nicht unbedingt möchte ich mir einen Hut kaufen, wie ich schon gelegentlich erwähnte. Ansonsten habe ich alles erforderliche.

Sonntag: Ein angenehmer Sommersonntag ohne größeren Berichtenswert mit gewohntem Ablauf: Balkonfrühstück mit den Lieben, Sonntagszeitungslektüre, ein längerer Spaziergang auf die andere Rheinseite und innere Erquickung im Biergarten. Laut Wetterprognose bleibt es erstmal warm, ich habe nichts dagegen.

Spaziergangsbild
Innere Kühlung
Mentale Abkühlung für die, die den Sommer nicht mögen

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Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Kommen Sie gut durch die warme Woche.

Redaktionsschluss: 17:00 Uhr

Woche 31/2025: Es schadet ja nicht

Montag: Der Regen am Sonntag vertrieb vorerst die sommerliche Wärme und brachte Jackenkühle ins Land. Morgens ließ sich bereits ein erster Hauch von Herbst erahnen, vorläufig noch eher ein Gefühl denn eine Wahrnehmung, doch sehr lange dauert es nicht mehr, bis es deutlich wahrnehmbar später hell und früher dunkel wird, die Luft ein erstes herbstliches Aroma annimmt. Die Mauersegler sind bereits fort und in München wird das Oktoberfest aufgebaut.

Beim Brötchenkauf am Abend nahm ich einen Gesprächsschnipsel zwischen zwei jungen Männern wahr, deren einer also sprach: „Ich muss meine Agenda vorantreiben“. Ich berichte das, weil das Gesagte in erfrischendem Widerspruch stand zu der Form, wie es gesagt wurde: Während der Satz sich in bestem Businesskasperdialekt liest, bediente sich der Sprecher reinster Kanakensprache, Verzeihung: Kanaksprak.

Dienstag: Ein weiteres Kennzeichen des nahenden Herbstes ist alljährlich die absurde Empörung über Dominosteine in den Supermärkten im Spätsommer, als gäbe es eine Kaufverpflichtung. WDR 4 fragte morgens gar seine Hörer nach ihrer völlig unmaßgeblichen Meinung dazu. Vielleicht sollte man Marzipankartoffeln, Spekulatius und Dominosteine einfach ganzjährig anbieten, dann hätte sich diese unsinnige Diskussion erledigt. Käufer fänden sich bestimmt.

Auf dem Fußweg zurück vom Werk ging ich einer dunkel dräuenden Wolkenfront entgegen, die laut Wetter-App nördlich vorüber ziehen würde. Leider fühlte sich die Front nicht an die Vorhersage gebunden, vielmehr trieb sie mich mit Wind und dicken Tropfen in eine Gaststätte. Was soll man machen.

Noch in sicherer Entfernung

Im Feuilleton der Tageszeitung ein Gedicht von Ernst Jandl: „das stück, darin / ich keine Rolle spiele / ist meines.“ Ich fühle mich seltsam angesprochen.

Mittwoch: Heute gingen Anzugwetter und Anzugtragelaune eine günstige Konstellation ein, was meine Bekleidungsauswahl am Morgen entsprechend beeinflusste. Manchmal muss es sein, auch wenn ich auf der Etage anscheinend der Letzte bin, der daran noch Freude hat. Deshalb erst recht.

Warum halten es manche für intellektuell schick*, „wishlist“ sagen zu müssen, wenn sie Wunschzettel meinen? Oder „out of office“, wenn sie keine Lust haben, ins Büro zu kommen?

*vor einiger Zeit gelesen bei Frau Anje, für gut befunden und notiert. Mit herzlichem Gruß nach Greven oder Borkum.

Vielen Dank an den Schweizer Tagesanzeiger für das erhellende Lesebeispiel:

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Vormittags kehrte der Liebste wohlbehalten von der Geschäftsreise aus Amerika zurück. Meine leise Befürchtung, sie könnten ihn dort behalten oder gar nicht erst reinlassen, weil sie im Blog seines Gatten, also hier, antipräsidiale Lästereien ausgemacht haben, hatte sich zum Glück nicht bewahrheitet. Man muss ja mittlerweile auf alles gefasst sein.

Donnerstag: Morgens gehe ich regelmäßig an der recht neuen Filiale der großen amerikanischen Cafékette am Marktplatz vorbei. Sie wirkt sehr einladend. Vermutlich würde ich sie gelegentlich aufsuchen, wenn es nicht die große amerikanische Kette wäre.

Am Rheinufer kläffte mich morgens ein Dackel an. Da mir Dackel grundsätzlich sympathisch sind, verzichtete ich auf eine Unmutsäußerung gegen das Tier und bemerkte in Richtung der Halterin: „Der hat ja eine große Klappe.“ Daraufhin erwiderte sie: „Ja, der ist total bekloppt.“ Das fand ich auch sehr sympathisch.

Vergangene Woche äußerte ich mich lästerlich gegen Klappfahrräder und deren Nutzer. Völlig unklar ist mir hingegen der Sinn dieser Fahrradmonster mit Walzenreifen dick wie Feuerwehrschläuche, deren grobstolliges Profil ein bedrohlich klingendes Singen erzeugt, wodurch ihr Herannahen schon aus der Ferne zu vernehmen ist. Ungefähr so sympathisch wie sogenannte Sportwagen mit knallfurzendem Auspuff.

Auf dem Rückweg sah ich einen Jugendlichen, der die meisten Klischees erfüllte: Trinkflasche in der Hand, Ohrstöpsel, und vor jedem vierten Fenster blieb er stehen, um sich in dessen Spiegelung die Alpakalocken zurecht zu wuscheln, die danach genauso lagen wie vorher. Auch irgendwie sympathisch.

Gelesen unter einem Blogartikel: „Dieser Beitrag erschien zuerst am 31. Mai 2018 und wurde leicht geändert, aber nicht gegendert.“ Wie mögen die drei letzten Wörter zu verstehen sein: als Trotzreaktion oder als Entschuldigung?

Gedanke: Kann es sein, dass bei Kolleg*innen, Kund*innen und Expert*innen jeweils männliche Personen ausgeschlossen werden, bei Lehrer*innen, Radfahrer*innen und Stahlträger*innen hingegen nicht?

Freitag: Was schön war: Die für heute angekündigten Schauer mit Starkregen und Gewitter fielen zumindest hier aus, so dass ich weitgehend unberegnet zum Werk und nicht allzu spät zurück radeln konnte; auf dem Rückweg fielen nur wenige Tropfen, die nicht weiter störten. Auch sonst bot dieser letzte Arbeitstag der Woche keinen Grund zum Unmut. Man muss sich auch über kleine Dinge freuen können, ganz wichtig.

Samstag: Nachdem wie berichtet vor zwei Wochen der Pride Bonn stattfand, schloss sich heute Beethovens Bunte an, gleichsam der Bonner CSD. Warum es innerhalb so kurzer Zeit zwei derartige Veranstaltungen mit identischem Anliegen gibt, weiß ich nicht, aber es schadet ja nicht. Vor zwei Wochen äußerte ich mich erleichtert darüber, dass es keine Störungen durch sogenannte Rechte* gab. Das war heute anders: Am Rande des Münsterplatzes hatte sich mittags ein Grüppchen dunkel gekleideter junger – nun ja: Männer mit einem Banner platziert; ein pickelgesichtiger Jüngling plärrte etwas unbeholfen akustisch schwer verständliche, mutmaßlich homophobe Parolen in ein Megafon. Sie waren zu siebt, laut Zeitung waren sechzig angemeldet. Den sieben Zwergen ohne Schneewittchen stand eine wesentlich größere Gruppe linker Aktivisten gegenüber, die deren verbale Absonderungen lautstark übertönten. Was genau sie erwiderten, war ebenfalls akustisch schwer zu verstehen, doch fand ich ihre Überzahl beruhigend, auch wenn ich mit den Zielen und Aussagen linker Aktivisten nicht immer vorbehaltlos übereinstimme.

*Es fällt mir weiterhin schwer, sie so zu nennen, steckt dasselbe Wort doch auch in Menschenrechte, Gerechtigkeit und Rechtsprechung.

Als ich nachmittags im Rahmen des Leergutentsorgungsgangs nochmals den Münsterplatz aufsuchte, waren sowohl die rechten als auch die linken Schreihälse verschwunden, man hatte sich wohl gegenseitig heiser geschrieen. Stattdessen fand das CSD-Fest im gewohnt friedlichen Rahmen statt mit Bühnenprogramm, Informationsständen und einem Getränkestand, wo ich zum Zeichen der Verbundenheit zwei Kölsch trank und das regenbogenbunte Treiben betrachtete. Hoffentlich ist das noch lange ungestört möglich. Heute waren es nur sieben.

Anfang September 1999 gab es diese Veranstaltung unter der Bezeichnung „Schwul-lesbisches Sommerfest“ zum ersten Mal in Bonn. Damals war ich mitten dabei und bekam doch nicht viel davon mit, weil ich selbst in der Getränkebude stand, wo viel zu tun war. Sechsundzwanzig Jahre ist das her, wie die Zeit vergeht.

Das bringt mich zur nächsten Frage. Nr. 26 lautet: „Warst du ein glückliches Kind?“ Ja, das war ich, auch wenn ich auf Schulsport und den zu häufig gehörten Satz „Du musst mehr essen, damit du was auf die Rippen bekommst“ gerne verzichtet hätte. Doch das Gute überwog bei weitem, es hat mir an nichts gefehlt, dafür bin ich sehr dankbar.

Aus einem Zeitungsartikel über unterschiedliche Serienkuckgewohnheiten von Männern und Frauen: „… 44 Prozent der weiblichen Zuschauenden, aber nur 38 Prozent der männlichen …“

Sonntag: Neununddreißigtausend Rolltreppen, amtlich „Fahrtreppen“ gibt es in Deutschland, steht in der Sonntagszeitung. Außerdem ist heute nationaler Senftag, weiß der kleine kalender. Somit wissen Sie das nun auch, falls Sie mal danach gefragt werden sollten oder auf einer Party sind, wo die Gespräche zu versiegen drohen.

Beim Spaziergang sah ich einen, der mit einer Hand einen Kinderwagen schob, in der anderen hielt er – nein, kein Datengerät, sondern eine Bierflasche. Vielleicht sollte man auch für Elternschaft eine Art Führerschein einführen.

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Vielen Dank für die Aufmerksamkeit, kommen Sie gut durch die Woche.

Redaktionsschluss: 17:00