Woche 29/2024: Wenn die Muse nicht in Kusslaune ist

Montag: Abends sitze ich auf dem Balkon unter der ausgefahrenen Markise, auf die nach einem sonnig-warmen Tag Regen fällt. Rechts von mir, auf dem Balkon gegenüber, beschallt eine Amsel die Siedlung, offenbar stört sie der Regen nicht. Darüber schreien Möwen, die nach subjektivem Empfinden immer mehr und lauter werden, wie so manches in diesen Zeiten.

Während es über mir prasselt, warte ich vergeblich auf den Kuss der Blogmuse, doch die küsst heute wohl woanders, oder sie hat das montägliche Antriebslos gezogen, ich kenne das. Lassen wir es also dabei. Vielleicht morgen wieder mehr. Oder übermorgen. Oder demnächst.

Vielleicht dieses noch: Laut kleiner kalender haben heute Donald und Wladimir Namenstag. Es gibt schon erstaunliche Zufälle.

Dienstag: Wenn die Muse nicht in Kusslaune ist, bleibt immer noch und jederzeit, neben den Schlechtigkeiten der Welt, das Wetter als Thema, gerade in diesem verwässerten Sommer. So auch heute: Morgens beim Fußmarsch in die Werktätigkeit brannte die Sonne schon sehr intensiv auf die schattenlose Uferpromenade, auch ohne Jacke war es mir zu warm. Und das will schon was heißen, wenn es mir zu heiß wird.

Nachmittags zog ein Gewitter über die Stadt, das von meinem Schreibtisch im 28. Stock aus beeindruckend anzusehen war. (Kann man das so schreiben, beeindruckend anzusehen? Sie wissen schon, was ich meine.) Als ich kurz darauf zum Heimweg aufbrach, hatte es sich deutlich fast auf Jackentemperatur abgekühlt, wärmte sich jedoch bald wieder auf. Der Regen muss heftig gewesen sein, die Straßen am Rheinufer standen handbreit unter Wasser. Radfahrer wichen aus auf den Gehweg, ein Auto pflügte durch die Gischt, Fußgänger blieben zögernd stehen vor breiten Rinnsalen, die über die Promenade in den Rhein strömten. Mangels Alternative ging ich, den Elementen trotzend, weiter und prüfte, ob die Schuhe wasserdicht sind; Ergebnis: sind sie nicht.

Am Brassertufer

Daraus resultierende Fußfeuchte hielt mich nicht vom Feierabendweizen auf dem nun wieder sonnenbeschienen Marktplatz ab, wo diese Zeilen mühsam ins Datengerät getippt wurden.

Keine oder allenfalls unbezahlte Werbung. Paulaner, Erdinger oder jedes andere Weißbier hätte ich genauso fotografiert.

In einem Zeitungsartikel über Windräder und Weltkulturerbe las ich das Wort „Kulturverträglichkeitsprüfung“ und freute mich ein weiteres Mal über die wunderbaren Wortschöpfungsmöglichkeiten unserer Sprache.

(Ich glaube, sie küsst wieder.)

Mittwoch: Morgens während des Brausebades hörte ich im Radio erstmals bewusst Taylor Swift. WDR 4 berichtete über das bevorstehende Konzert der Dame in Gelsenkirchen und darüber, wie sie deswegen alle eskalieren. (So heißt das jetzt wohl.) Deswegen spielten sie, obwohl nach eigener Aussage spezialisiert auf „Achtziger und die größten Klassiker“ (was sie nicht davon abhält, ab und zu auch Max Giesinger zu spielen, der weder Achtziger noch – Gott bewahre – ein großes Klassiker ist) ein Lied von ihr. Ich fand es angenehm anhörbar, indes wüsste ich nicht, was ihre Musik abhebt von der vergleichbarer Künstlerinnen, warum ausgerechnet sie damit so viel erfolgreicher ist als andere. Das Lied kam mir nicht bekannt vor, als hätte ich es schon oft gehört, ohne zu wissen, dass es von ihr ist. Auch blieb es mir nicht nicht in Erinnerung, weder können ich den Titel nennen (irgendwas mit no heroes?) noch die Melodie summen. Vermutlich werde ich es nicht wiedererkennen und ihr zuordnen, wenn ich es das nächste Mal zufällig höre.

Was wiederum die Frage aufwirft: Wie kann es sein, dass dieser Superstar dermaßen gründlich nicht in meiner Wahrnehmung vorkommt, wo doch alle Welt von ihr angetan ist? Desinteresse? Das Alter? Selbst am Fußball, der mich kein bisschen interessiert, komme ich nicht ganz vorbei, weiß, wer Thomas Müller ist und wie der aktuell amtierende Bundestrainer heißt. Wie also kann es sein?

Aus der Zeitung: „Die Bundesstadt war und wird mit seinen Gassen und Einbahnstraßen nie eine Autostadt sein.“ Auf der Liste der Lieblingsfehler ganz weit oben.

Donnerstag: Ein freier Tag, Inseltag, Wandertag. Heute eine Runde durch die Waldville, ein Waldgebiet westlich von Bonn, bequem mit der Bahn zu erreichen; am Bonner Hauptbahnhof steigt man ein und zehn Minuten später in Alfter-Impekoven wieder aus. Spektakuläre Ausblicke wie Rhein- oder Siegsteig bietet die Tour nicht, dafür viel Strecke durch den Wald, was es auch an heißen Tagen wie heute erträglich macht.

Etwa eine halbe Stunde nach Erreichen des Waldes vernahm ich in naher Hörweite einen umstürzenden Baum, erst Knacksalven, dann den dumpfen Aufschlag auf den Boden. Da dem Umsturz kein Kettensägengetöse voranging, wird der Baum wohl eines natürlichen Todes gestorben sein. Das bringt mich zu grundsätzlichen Betrachtungen über die Natur, die mir während des Gehens in den Sinn kamen. Was ist das überhaupt, Natur? Viele denken dabei an das Ursprüngliche, vom Menschen Unberührte. Demnach gäbe es in Deutschland nur noch wenig Natur, auch die meisten Wälder wurden und werden seit Jahrhunderten bewirtschaftet. Doch ist nicht letztlich alles Natur, einschließlich Mensch, den auch die Natur hervorgebracht hat, mit all seinen Fehlern und allem, was er erschaffen hat bis hin zu Tiktok, Laubläsern und Atombomben? Warum diese natürliche Fehlentscheidung nicht längst korrigiert wurde, weiß nur die Natur. Vielleicht hat sie bereits damit begonnen, die Menschen wollen es nur nicht sehen.

Bei Buschhoven
Unendlicher Weizen bei Dünstekoven
Am Wegesrand immer wieder Tümpel, in denen Frösche wohnen. Bei Nahen des Wanderers springen sie panisch ins Wasser und verharren im Tauchgang, bis die Gefahr vorüber ist. Die Teichfrösche der Schwiegereltern waren da früher deutlich gelassener.
Der Eiserne Mann gilt als Sehenswürdigkeit der Waldville, wobei Geschichte und Zweckbestimmung des Pömpels nicht völlig geklärt sind.
Birkenbild
Entsprechende Waldgeräusche denken Sie sich bitte
Extra für Frau Lotelta: Auch in der Waldville wachsen Stechpalmen

Ungefähr im letzten Viertel verließ mich Komoot: Mitten im Wald endete plötzlich die Anzeige der geplanten Route. Nun ist die Waldville nicht der Amazonas, daher fand ich auch ohne mobile Navigation problemlos den Weg zurück, vielleicht etwas anders als ursprünglich geplant, was die Wanderlust nicht trübte.

Wenige Minuten nach Rückkehr in Impekoven kam eine Bahn und brachte mich mit lobenswerter Pünktlichkeit (wie auch bei der Hinfahrt) zurück nach Bonn, wo ich mir, mangels gastronomischer Möglichkeiten in Impekoven, das Belohnungsweizen gönnte und mich auf den nächsten Inseltag freute, von denen ich demnächst, wenn alles meinen Vorstellungen entsprechend verläuft, wesentlich mehr haben werde.

Freitag: Nachwirkungen von gestern sind nicht nur Erinnerungen an einen schönen Wandertag, sondern auch Insektenstiche in größerer Anzahl, wie ich erst heute bemerkte. Obwohl ich vorher Insektenspray aufgelegt hatte, fanden die Tierchen offenbar Gefallen an meiner Haut, insbesondere der linken Hand; im Laufe des Tages bemerkte ich an weiteren Stellen juckende Pöckchen. Auch das ist Natur.

Am Wochenende bleibt es warm. „Denkt daran, viel zu trinken!“ sagte die Kollegin am Ende der Besprechung. Das bekomme ich hin.

Aus einem Zeitungsbericht über Straßenmusiker: „Allerdings kann in Bonn nicht einfach jede Person in die Fußgängerzone gehen und auf seinem Instrument klimpern.“ Schon wieder.

Endlich Wochenende

Entgegen der Gewohnheit verbrachten wir den Abend nicht in der örtlichen Gastronomie, sondern auf dem Balkon, wo der Liebste erstmals auf dem Grill Pizza zubereitete. Hierzu wurde entsprechendes Grillzubehör (Pizzastein, Wärmehaube, Pizzaschieber) beschafft sowie Teig vorbereitet. Es bedarf noch etwas der Übung, bis das Ergebnis auch in optischer Hinsicht perfekt (oder wenigstens rund) ist, geschmacklich jedenfalls war es überzeugend. Ein wenig frage ich mich, ob sich dieser immense Aufwand lohnt, wo man doch in vielen Lokalen ausgezeichnete Pizza serviert bekommt. Eine ähnliche Frage stelle ich mir, wenn Leute selbst Brot backen. Andererseits, wenn sie Freude daran haben und es schmeckt, warum nicht.

Samstag: Heute war es sehr heiß, selbst der Gang zum Altglascontainer strengte mehr an als die Wanderung am Donnerstag, ein Zusammenhang mit dem zu Entsorgenden ist nicht auszuschließen. (Gestern Abend beim Pizzagrillen und -essen wurde der erwähnten kollegialen Rat streng befolgt.) Anstrengend auch die Menschen in der Fußgängerzone, die heute besonders langsam vor mir hergingen.

Nach Rückkehr begab ich mich auf das klimatisierte Sofa, um zu lesen, unter anderem dieses im SPIEGEL vom immer lesenswerten Jochen-Martin Gutsch über eine Schwanenfamilie: „Aber sie scheißen viel.“ Insgesamt dreimal kam das Fäkalwort in unterschiedlichen Formen in dem Text vor. Mich stört das überhaupt nicht, nur erstaunt es, dass man ihm das erlaubt.

Sonntag: Statt Spaziergang heute eine Radtour nach Bonn-Mehlem, wo administrative Vereinstätigkeiten ohne besonderen Bloggenswert (Adressieren und Frankieren von etwa siebenhundert Briefumschlägen für den Versand der nächsten Mitgliederzeitung) zu erledigen waren. Auf dem Hinweg geriet ich in einen kurzen, heftigen Regenschauer, dessen Unannehmlichkeit sich wegen vorsorglich mitgeführter Regenjacke und kurzer Hose in Grenzen hielt. Auch das ist Natur.

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Kommen Sie gut durch die Woche.

Woche 4/2023: Auf Wiedervorlage

Montag: Ein Fachgeschäft in der Bonner Innenstadt wirbt im Schaufenster für „liebevoll gestaltete Brillen“. Vorgärten können liebevoll gestaltet sein, Grabgestecke auch, oder Schutzumschläge von Kinderbüchern. Jedoch Brillen? Was mag das bedeuten? Gestelle in pastellenen Farben, mit handgemalten Ornamenten und sonstigem, für die Unterstützung nachlassender Sehkraft unerheblichem Zierrat? Gläser in Herzform? Vielleicht solche raumfüllenden Teile, wie Elton John sie in den Siebzigern auf der Bühne trug? Es gibt wirklich grauenvolle Brillen, wenn man sich mal umschaut, was die Leute so auf der Nase tragen. Als großer Freund funktionaler Schlichtheit ist das Sortiment dieses Geschäftes vermutlich nichts für mich.

»Somit sind wir mit euch aligned. Same-same …« schrieb mir einer per Mail. Ich weiß nicht, wie es weiterging, nach dem zweiten »same« verließen mich Interesse und Leselust.

In unserem Geschäftsbereich ist es durchaus begrüßenswerte Übung, neue Kolleginnen und Kollegen per Powerpoint-Steckbrief vorzustellen, der per Mail an alle gesandt wird. In einem solchen, der mich heute erreichte, gibt ein junger Kollege als Hobbys „Reisen, Motorsport und Fußball“ an. Im Falle eines persönlichen Zusammentreffens werden wir wohl nur wenige außerdienstliche Gesprächsthemen finden. Muss ja auch nicht, ich spreche ohnehin eher ungern.

»Mahlzeiten allein, was nicht unangenehm.« schrieb Thomas Mann am 23. Januar 1954 in sein Tagebuch. Auch ich aß mittags in der Kantine und tiefer Zufriedenheit meine Currywurst mit Pommes ohne Tischbegleitung und verstehe ihn völlig.

Gleichsam ein Lichtblick zum Feierabend: Als ich das Werk verließ, erschien es mir deutlich heller als noch in der vergangenen Woche zur selben Uhrzeit. Der Sommer naht.

Vielleicht sagt, wer „aligned“ sagt, auch „Happy name day“, wenn er jemandem zum Namenstag gratuliert. Das könnten er heute tun, falls sich im Bekanntenkreis Emerantiana, Ildefons oder Liuthild befindet. Klingt wie Figuren aus den Werken von Tolkien, wobei das nur eine vage Idee ist, da ich von ihm bislang nichts las und in absehbarer Zeit nicht zu tun beabsichtige.

Dienstag: Der erste Blogeintrag des Tages ergab sich bereits vor dem Aufstehen aus einer Radiomeldung über die beginnende Messe Jagd und Hund in Dortmund. Neben dem Erlangen der Meisterschaft im Hirschrufen kann man dort auch eine Safari in Afrika buchen, um Löwen und Elefanten totzuschießen. In Zeiten, da die FDP immer noch damit durchkommt, uns unbegrenztes Autobahnsausen als Freiheit zu erklären und Luxusjachten von der CO2-Abgabe ausgenommen sind, womöglich und vermutlich hat auch da die FDP ihre gelben Finger im Spiel, soll uns derlei nicht wundern.

Eduscho hat keine Schmorschleifen, wurde mir beim ersten Morgenkaffee beschieden, das lasse ich mal so stehen. (Nein, das müssen Sie nicht verstehen.)

Morgens zur blauen Stunde

Per Mail erreichte mich eine nicht ganz zielgruppengerechte Werbung.

(Bitte beachten Sie die letzte Zeile.)

Mittwoch: Jeder hat mal einen schwachen Moment, warum nicht auch ein Radiosender. So bat WDR 4 heute Morgen seine Hörer um die Nennung besonders witziger Abschiedsformeln, woraufhin sich die Hörerschaft mit „Auf Wiesegehen“, „Auf Wiedergestern“ und „Tschüssikowski“ meldete. Fast ebenso witzig fände ich „Auf Wiederkäuen“ (nach dem Restaurantbesuch), „Auf Wiedervorlage“ (nach dem Liebesabenteuer) und „Bis auf Weiteres“ (geht immer). Von einem Anruf bei WDR 4 sah ich aus Zeitgründen ab.

Eine weltweite Netzstörung bei Microsoft soll heute Vormittag zu erheblichen Beeinträchtigungen geführt haben. Bei mir lief alles problemlos, auch Teams. Leider.

In der Kantine gab es unter anderem „Lachsforelle aus Leverkusen“ (im Aspirinsud?) und ein vegetarisches Gericht mit „gerettete Brot Crumble“ als Zutat, wovor auch immer die Brotkrumen gerettet wurden. Vor dem Verzehr jedenfalls nicht, es schmeckte ganz passabel.

Donnerstag: Die für heute angekündigte Eisglätte blieb zumindest hier in Bonn weitgehend aus, derohalben kam ich nach einem Marsch durch feuchtkalte Luft wohlbehalten im Werk an. Nur am Mutterhaus geriet ich etwas ins Rutschen, weil der Boden davor aus architektonischen Gründen teilweise mit Metallplatten belegt ist, die trotz aufgebrachtem Streugut bei diesem Wetter sehr glatt sind.

Vormittags wurde per Textnachricht an meine Muttergefühle appelliert.

Mittags wurde ein Kollege nach einundfünfzig Dienstjahren in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet, mit Ansprache des Vorstands, Sekt und belegten Brötchen. Mit ihm geht ein Urgestein; er hatte es nie nötig, seine Bedeutung durch alberne englische Wortintarsien hervorzuheben, er war auch mit seinem ehrlichen Rheinisch anerkannt bis in höchste Führungsebenen. So etwas dürfte mittlerweile sehr selten sein. Alles Gute weiterhin, lieber G.!

Freitag: Morgens auf dem Weg ins Werk musste ich mit dem Fahrrad vor einer roten Ampel anhalten, was ich überhaupt nicht schlimm finde. (Außer vor Fußgängerampeln, die ich als unverbindlichen Vorschlag ansehe, vermutlich erwähnte ich das bereits gelegentlich.) Heute Morgen jedenfalls stand ich und wunderte mich über das Auto auf der von rechts einmündenden Querstraße, das trotz Grünlicht stehen blieb. Erst als es wieder gelb wurde, fuhr der Wagen bei Dunkelgelb hektisch los. Da war wohl jemand ein wenig abgelenkt vom Datengerät, hm?

Am frühen Nachmittag schaute die Sonne überraschend durch das Bürofenster und sie ließ das Thermometer auf dem Schreibtisch kurzzeitig hochschnellen von achtzehn auf zwanzig Grad. Man soll nie aufhören, sich auch über die kleinen Dinge des Alltages zu freuen.

Aus der Zeitung: »Der wegen des Mordes an dem Münchner Modezaren Rudolph Moshammer verurteilte Iraker ist nach 18 Jahren Haft in Deutschland in sein Herkunftsland abgeschoben worden.« Modezar, Medienmogul, Rockröhre – sie können einfach nicht anders.

Samstag: Eine alteingesessene Bonner Parfümerie gibt den Geschäftsbetrieb auf und lockt deshalb mit Sonderpreisen. Als künstlichen Körperaromen gegenüber eher gleichgültig eingestellter Mensch wunderte ich mich über die lange Schlange vor dem Geschäft. Da ahnte ich noch nicht, dass ich kurz darauf selbst fast eine halbe Stunde lang in der Schlange vor einem Fischstand auf dem Wochenmarkt stehen würde, um wie aufgetragen vier Scheiben Lachs zu erstehen. Bemerkenswert auch der junge Mann vor mir, der offenbar erst als er an der Reihe war anfing zu überlegen, was er eigentlich kaufen wollte, was den Fortgang der Geschäfte nicht gerade beschleunigte. Aber ich hatte ja Zeit und habe nun was zu notieren.

Wie viele Menschen mögen, bevor das Schild angebracht wurde, vor dieser Säule gestanden und sich gefragt haben: Verdammt, wie komme ich jetzt in diesen Laden?

Sonntag: Wegen der Nachwirkung einer karnevalistischer Veranstaltung am Vorabend war der Spaziergang heute erforderlicher als ohnehin. Ich sollte gelegentlich über meinen Alkoholkonsum nachdenken, besser mal ein paar trinkfreie Tage einlegen, es muss ja nicht gleich ein ganzer Monat sein, der „Dry January“ wird gerade vielfach gepriesen. Wäre jetzt, kurz vor Februar, auch etwas spät. Über der Südstadt sah und hörte ich eine kleinere Formation Kraniche auf dem Weg in Richtung Norden und wunderte mich über deren frühe Rückkehr, wobei ich gar nicht weiß, wann sie sonst üblicherweise den Nordflug antreten. Ich an ihrer Stelle wäre jedenfalls noch etwas länger im warmen Süden geblieben. Sie werden ihre Gründe haben. Während meiner Betrachtung flog das Vogel-V unter dem heute auch bei Tageslicht sichtbaren Mond her, das wirkte fast etwas kitschig; bitte denken Sie sich hier ein entsprechendes Foto.

Nach Rückkehr probierte ich mal dieses ChatGBT aus, das zurzeit vielfach Begeisterung und Entsetzen auslöst. Aufgabenstellung: Ein kurzer Text über den Sonntagsspaziergang mit zurückkehrenden Kranichen am Himmel im Stil von Max Goldt. Hier das Ergebnis:

»Der Sonntagsspaziergang war wie immer eine willkommene Abwechslung. Die Sonne schien, die Vögel zwitscherten und die Bäume rauschten im Wind. Doch plötzlich, am Himmel, erschienen sie. Eine Schar von Kranichen, die auf ihrem Rückweg in den Süden waren. Sie flogen majestätisch vorbei, ihre Schreie hallten durch die Luft. Es war ein beeindruckender Anblick, als sie sich im Formation flogen und dann in der Ferne verschwanden. Der Sonntagsspaziergang war plötzlich noch viel schöner geworden, dank der zurückkehrenden Kraniche am Himmel.«

Ich weiß ja nicht. Herr Goldt hätte das besser hinbekommen.

Was anderes aus dem Netz: Sagen Sie „Samstag“ oder „Sonnabend?“ – „Saugglocke“ oder „Pömpel“? – „Küsschen“ oder „Bützche“? – „Rotkohl“ oder „Blaukraut“? Diese und andere Fragen können Sie im Dienste der Sprachwissenschaft hier beantworten.

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Kommen Sie gut durch die Woche. Bis auf Weiteres.

Woche 41/2022: In erster Linie mitfühlendes Bedauern

Montag: Der erste Arbeitstag der Woche war lang, da ich nachmittags die Einladung zu einer Besprechung um 17 Uhr auszuschlagen nicht über das Herz brachte. Vormittags verlangte der Rechner nach einem Neustart, weil irgendwelche Software zu aktualisieren war. Mehrere Minuten bezahltes aus dem Fenster Schauen, man kann sein Geld auf härtere Weise verdienen. Meine persönliche Stimmung war zufriedenstellend, auch solche Montage gibt es manchmal.

Im Zusammenhang mit der Weitung von Wissen benutzen viele gerne das zweifelhafte Wort „aufschlauen“. Im selben Sinne las ich in einer Mail das Word „aufbeefen“ und stellte mir sogleich vor, wie der zu Beefende mit Lappen von Rindfleisch umwickelt, anschließend wie ein Rollbraten umschnürt wird, auf dass die Lappen nicht abfallen. Trat nicht einst Lady Gaga ähnlich gewandet mal auf die Bühne, oder habe ich das geträumt?

Fleischlos dagegen das Mittagessen, für mich gab es Maultaschen mit geräucherter Käsesoße. Wie räuchert man Käsesoße?

Nach dem Essen ging ich eine Runde durch den Park, wo der Herbst nun langsam beginnt, die verbliebenen, im Sommer noch nicht vorzeitig abgeworfenen Blätter bunt zu färben. Er ist spät dran, oder kommt mir das nur so vor?

„Wir haben da noch ein hick up“, hörte ich in einer Besprechung und bekam spontan Schluckauf.

„Ich freue mich total auf die neue Aufgabe“ – Eine Kollegin wird demnächst Abteilungsleiterin. Meine Empfindungen bei solchen Nachrichten ähneln denen, wenn jemand Mutter oder Vater wird: in erster Linie mitfühlendes Bedauern.

Dienstag: Wir wohnen gegenüber der Zufahrt zum Landgericht. Jeden Morgen fährt ein Wagen vor, in dem laut Rapp gehört wird. Meine Vorbehalte gegenüber dieser – nun ja: Musikrichtung, ihrer Erzeuger und Hörer sind vermutlich unbegründet, zumal ich mich bislang nicht intensiver damit beschäftigt habe. Gleichwohl wäre es meinem Vertrauen in die Judikative dienlich, wüsste ich, dass der Fahrer dieses Wagens bei Gericht statt für Rechts- für die Grünpflege zuständig ist.

Beim Mittagessen in der Kantine waren wir zu viert, was nur noch selten vorkommt. Während des Essens anderer Leute Gespräche nicht folgen zu müssen zähle ich zu den eher angenehmen Begleiterscheinungen der Seuche. Tischthema waren Kaffeemaschinen und -mühlen, welche am besten brühen, welche am besten mahlen; erstmals hörte ich in solchen Zusammenhängen den Begriff „Einkreiser“. Man zeigte sich gar gegenseitig Bilder auf den Datengeräten. Anderer Leute Nachwuchs oder Partybegegnungen ungefragt unter die Nase gehalten zu bekommen finde ich zumeist ermüdend; ihre Haushaltsgeräte anzuschauen ist indes am Rande des Unerträglichen. Anschließend gingen die Kaffeeliebhaber zu einem der in Werksnähe zahlreichen mobilen Ausschänke, um Kaffee aus Pappbechern zu trinken. Ich verzichtete zugunsten einer Runde durch den Park. Alleine, ohne Gehkaffee. Oder „ambulanten Verzehr“, wie ich irgendwo las.

Mittwoch: Vormittags im Werk wurde ich Zeuge einer Bestandsbegehung. Das ist nicht nur ein tolles Wort, sondern auch ein toller Job: Zwei Personen ziehen klemmbrettbewehrt von Büro zu Büro, um nach eigenem Bekunden zu prüfen, ob noch alle Wände stehen. Nachdem ich das Vorhandensein aller Wände bestätigt hatte, jedenfalls habe ich in letzter Zeit keine vermisst, machte die Dame ein Kreuz in ihrer Liste und sie zogen weiter.

Seit gestern liegt auf der Spüle in der Werks-Kaffeeküche ein Pizzakarton. Erst heute bemerkte ich, dass sich darin noch eine komplette Pizza befindet. Was geht nur vor in den Leuten?

Donnerstag: Morgens auf dem Weg ins Werk sah ich Rot.

Oft sind es kleine Dinge, die die Welt ein wenig besser machen: Mittags gab es in der Kantine einen ganz vorzüglichen Erbseneintopf, dazu frisches Brot. Erst gestern um diese Zeit dachte ich, die könnten hier öfter mal Eintopf anbieten – et voila. Deshalb dachte ich heute nach dem Essen etwas intensiver an Entenbrust mit Orangensoße; vielleicht hilft es ja.

Danach sah ich im Park einen älteren Herren, dem in einigen Metern Abstand ein (augenscheinlich nicht viel jüngerer) Langhaardackel folgte. Plötzlich bekam der Dackelbauch kurzfristig Bodenkontakt, weil der Hund in ein kleines rundes Loch getreten war, das wohl dazu dient, bei Bedarf einen Absperrpömpel* einzustecken. Das sah sehr drollig aus, daher musste ich kurz lachen, wofür ich den Dackel und PETA ausdrücklich um Entschuldigung bitte. Bei dieser Gelegenheit herzliche Grüße und die besten Genesungswünsche an die Dackeldame in München!

*Für diejenigen, denen Pömpel kein gängiger Begriff ist: In Ostwestfalen, wo ich wech komme, ist Pömpel ein Sammelbegriff für Pfahl, Pfosten, Poller, aber auch Saugglocke für verstopfte Abflüsse. Ob das woanders auch der Fall ist, entzieht sich meiner Kenntnis, daher vorsorglich diese Erläuterung.

Freitag: „Hier ist bald nicht mehr lange“, hörte ich morgens den Geliebten sagen. Wenngleich die Bedeutung im Dunst des Unklaren blieb, erschien es mir notierenswert.

Das am Vortag empfundene Entenbrustsehnen blieb unerfüllt. Stattdessen gab es mittags Heringsfilets mit Sahnesoße an Kartoffeln, somit immerhin etwas mit Wasserbezug. Auch gut.

Samstag: An manchen Tagen sind mir andere Menschen am liebsten, wenn sie jenseits der Frontscheibe der Lieblingsweinbar vorübergehen und mich mit meinem Rosé oder (heute) Riesling in Ruhe lassen.

Von der Weinbar aus blickt man auf eine stark befahrene Kreuzung. Erhielte ich für jeden Wagen, der noch schnell trotz Rotlicht weiter fährt, zehn Cent, wäre mein Verzehr finanziert.

Der Liebste wurde per Anwaltsschreiben im Namen einer ominösen „Interessengemeinschaft Datenschutz“ zur Zahlung von 170 Euro angehalten, weil er auf seiner Internetseite „Google Fonts“ verwendet, das laut Schreiben dazu neigt, die IP-Adressen der Seitenbesucher in die USA zu übermitteln, oder so ähnlich. Es wird immer verrückter.

Sonntag: Erst gegen elf Uhr verließ ich mit gewissem Widerwillen das Bett, nachdem mich zuvor ein inneres Unbehagen, dessen Ursache ich nicht benennen könnte, früh erwachen und immer wieder für nur kurze Zeit einschlafen ließ.

Man soll sich nicht über Namen erheitern, ich weiß. Dennoch wüsste ich gerne, welche Tätigkeit die Vorfahren der in der Sonntagszeitung zitierten Elke M. Schüttelkopf ausgeübt haben.

Während des Spazierganges ging ich an einem Hauseingang vorüber mit dem üblichen Hinweis »Keine Werbung einwerfen« am Briefkasten, ergänzt um die Einschränkung »Außer für Schuhe«.

Ich habe übrigens, neben vier weiteren, ein Buch von Harald Welzer in den öffentlichen Bücherschrank gebracht. Nicht, weil den gerade alle doof finden, sondern weil ich es doppelt hatte.

Gelesen hier:

Betrachte ich die Sache recht, so findet sich kein einziges Merk­mal, mit dessen Hilfe ich unzweifelhaft bestimmen könnte, ob ich wach bin oder träume.

René Descartes

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Kommen Sie gut durch die Woche.