Woche 25/2024: Im Schatten der Zypresse

Montag: Auch im Urlaub lese ich die Bonner Tageszeitung, man will ja informiert bleiben. Ein gewisser Martin Kessler ist offenbar ein kluger Mann, denn er schreibt Leitartikel für den General-Anzeiger. In der heutigen Ausgabe nimmt er Anstoß an neuen Regelungen, wonach die Städte künftig mehr Freiraum erhalten, Tempo dreißig anzuordnen. Dazu der kluge Herr K: „Selbst Millionenstädte, die flächendeckend Tempo 30 einführen, leisten damit einen Beitrag zum Klimaschutz, der gegen null geht. […] Die Kommunen wollen Klimaschutz vorantreiben, obwohl das Aufgabe internationaler Konferenzen ist.“ Das ist so ziemlich das Dümmste, was ich in letzter Zeit zu dem Thema gelesen habe. Doch steht K mit dieser Ansicht nicht alleine da. Genau deshalb habe ich keine Hoffnung mehr für das längerfristige Fortbestehen der Menschheit.

Nach spätem Frühstück unternahmen wir eine Radtour von knapp zwanzig Kilometern Länge. Dabei kamen wir an einem instagramtauglichen Lavendelfeld vorbei:

Vielleicht ist es auch Lavandin

Ich könnte es als Statusbild bei Whatsapp verwenden, aber warum sollte ich das tun? Ich meine: Wie verzweifelt vor Langeweile muss man sein, um sich bei Whatsapp den Status anderer Leute anzusehen?

Nach Rückkehr trug ich den Liegestuhl in den Schatten der Zypresse im Garten und holte darin den Tagebucheintrag für gestern nach, nachdem mir das am Vorabend aus Weingründen nicht mehr gelungen war. Danach las ich im SPIEGEL der Vorvorwoche den Artikel über Kafka zu Ende und meine, ich sollte mich doch noch mal daran wagen, von ihm zu lesen.

Währenddessen stutzte ein Motorsensenmann an der Zufahrt zu unserem Haus den Bewuchs. Als er fertig war, setzte sich in Hörweite eine Baumaschine oder ähnliches in Gang und erfreute längere Zeit das Ohr mit Rückwärtsfahrpieptönen. Das zu beklagen wäre unangemessenes Jammern auf höchstem Niveau, es können nicht alle Urlaub haben.

Dienstag: Um fünf Uhr vierzig wurde die Baumaschine oder ähnliches gestartet und sie begrüßte rückwärts piepend den jungen Morgen. Nach Schließen des Fensters, was sich, da man schon mal auf war, mit einem Toilettengang verbinden ließ, gelang noch einmal die Rückkehr ins Reich der Träume.

Der Tag zeigte sich bewölkt mit Sonnenlücken, trocken und warm. Im Gegensatz zu Bonn, wo Regen und Gewitter geplant waren.

Während des Frühstücks erreichte mich per Mail die Mai-Abrechnung von epubli. Demnach wurde ein weiteres Buch verkauft. Vielen Dank an den Käufer oder die Käuferin, sofern er oder sie hier mitliest. Sonst auch.

Nachmittags las ich mich durch die Blogs, die im UberBlogr Webring versammelt sind. Auch dieses Blog ist dort seit geraumer Zeit vertreten. Nach Mailaustausch mit dem Initiator des Rings habe ich inzwischen auch das Prinzip mit den drei Links verstanden, die man auf der eigenen Startseite hinterlegen muss.

Abends grillten wir, so dass ich das Grundstück heute gar nicht verlassen musste. Beim anschließenden Nachtglas schauten wir den zahlreichen Fledermäusen beim Jagen zu. Zwei davon waren einander sehr zugewandt, sie flederten stets umeinander und schienen dabei viel Spaß zu haben.

Apropos Grillen: Der Liebste hörte am späteren Abend in den Bäumen eine Grille zirpen. Ich hörte sie nicht, so sehr ich auch lauschte. Anscheinend ist diese Frequenz meinem Gehör nicht mehr zugänglich. Das wäre ein bisschen schade.

Mittwoch: Der Tag begann schwül-warm. Nach dem Frühstück gingen wir runter in den Ort, wo heute Wochenmarkt war. Dort kauften wir ein Grillhuhn mit Zubehör für das Abendessen, außerdem Tomaten und zwei Flaschen Rosé. Unser Verbrauch an letzterem ist hier wieder recht hoch, was bitte nicht als Prahlerei zu verstehen ist, vielmehr als eher bedenkliche Tatsachenbeschreibung.

Der Rückweg bergauf durch die Mittagshitze war auch ohne vorherigen Roséverzehr recht anstrengend. Nach Ankunft gab es Erdbeeren mit Creme Fraiche und selbstgemachtem Erdbeer-Granité. Ich verzichtete auf zusätzliche Zuckerung. Noch nie habe ich verstanden, warum man die natürliche Erdbeersüße mit Zucker übertünchen muss, aber das ist wohl, wie so vieles, Geschmacksache.

Danach begab ich mich wieder mit dem Liegestuhl in den Zypressenschatten, wo bei leichtem Wind vorstehende Zeilen niedergeschrieben wurden.

Liegestuhlperspektive
Von der anderen Seite

Nachmittags unternahmen wir eine Ausfahrt nach Nyons und zu unserer Lieblings-Domaine in Vinsobres, wo einige Weinkartons eingeladen wurden. Währenddessen fielen ein paar Tropfen Regen, die sandige Flecken auf dem Auto und anderen glatten Flächen hinterließen.

Donnerstag: Während normaler Arbeitswochen denke ich: Wie schön, schon wieder Donnerstag. Hier und heute: Och nö, schon Donnerstag. Man kann es mir wirklich nur schwer recht machen.

Nachdem es gestern Abend begonnen hatte, regnete es die ganze Nacht durch. Da unser Haus, wie üblich in dieser Region, keine Dachrinnen besitzt, läuft das Wasser direkt ab und es erzeugte auf dem Vordach unter dem Schlafzimmerfenster ein als Schlafbegleitung durchaus angenehmes Dauerprasseln.

Nach dem Frühstück, wetterbedingt heute am Esstisch in der Küche statt vor dem Haus, fuhren wir nach Avignon zum Besuch der Markthalle, auch dort bestand auf dem Weg zwischen Parkhaus und les halles Regenschirmerfordernis.

Schließlich, da das Auto schon mal fuhr, fuhren wir nach Piolenc, wo wir direkt beim Erzeuger einen größeren Posten frisch geernteten Knoblauchs erstanden.

Nach Rückkehr zeigte sich das Wetter weiterhin unentschieden, nicht warm und nicht kalt, bewölkt, immer wieder wieder ein paar Regentropfen. Immerhin: Die angekündigten Gewitter blieben bis zum Zeitpunkt des Aufschreibens am frühen Abend aus. Später zeigte sich doch noch die Sonne.

Durch den Dunst wirkte sie eher wie ein etwas überbelichteter Vollmond

Freitag: Der Wecker ging in unurlaublicher Frühe, weil eine Fahrt nach Marseille geplant war. Nicht einfach so mit dem Auto hinein, was in dieser Stadt vermutlich ein noch geringeres Vergnügen ist als Autofahren ohnehin, vielmehr mit der Bahn ab Miramas entlang der Côte Bleue, eine sehr schöne Strecke mit zahlreichen Aussichten auf das bleue Mittelmeer.

Miramas, vor Abfahrt
Kurz vor Ankunft in Marseille Saint-Charles (bei uns hieße das einfach Marseille Hbf)

Auch die gut zwei Stunden in Marseille waren angenehm, die Stadt zeigte sich längst nicht so laut und schmuddelig wie befürchtet. Nur die Straßenbahnwagen sind die hässlichsten, die ich jemals sah.

Vielleicht denkt sich der Designer im Hauptberuf Kaffeemühlen aus
Oberhalb des alten Hafens
Bahnstation Arenc Euroméditerranée. Ein Ort, den man nach Einbruch der Dunkelheit lieber meidet

Den Zug zurück hätten wir fast verpasst. Nicht, weil wir zu spät gewesen wären an der Station Arenc Euroméditerranée, von wo aus wir nach Miramas zurückfahren wollten. Doch als der Zug fast pünktlich eintraf, fiel mir auf, dass es sich um einen Elektrotriebzug handelte. Das konnte nicht sein, die Strecke war größtenteils nicht elektrifiziert, wie mir während der Hinfahrt aufgefallen war. Nach kurzem Zögern stiegen wir dennoch ein, als das Türzuwarnpiepen schon tönte. Das war gut und richtig, mir war nicht bewusst, dass die französische Staatsbahn SNCF Hybridtriebzüge hat, die unter Fahrdraht elektrisch, sonst mit Dieselmotor fahren. Es ist nicht immer von Vorteil, von Dingen Ahnung zu haben, wenn es nur eine Ahnung ist. Der ahnungslose Fahrgast steigt ohne darüber nachzudenken ein und gerät nicht in derartige Bedrängnis.

Meerblick auf der Rückfahrt mit Marseille im Hintergrund. Die Bildstörungen sind den nach Saharastaubregen nicht ganz sauberen Fenstern geschuldet.

Zur französischen Bahn ist anzumerken: Die Züge waren nicht die allerneuesten, aber sauber und pünktlich. Die Bahnhöfe unterwegs wirkten gepflegt, die Bahnhofsgebäude konnten noch zu Wartezwecken betreten werden und waren nicht verkauft oder abgerissen. Und dank einem Sonderticket für diese Strecke kostete die Fahrt für zwei Person nur fünfzehn Euro.

Abends blieben wir zu Hause und grillten. Der am Donnerstag gekaufte Knoblauch ist ausgezeichnet, roh ziemlich scharf. Es wurde nicht besonders spät.

Abendrot I
Abendrot II

Samstag: Vormittags kam der Vermieter und entfernte die Sahara aus dem Schwimmbecken.

„Sternstunden demokratischer Debatten finden oft zu einer Uhrzeit statt, zu der Schichtarbeiter schon im Bett liegen.“ Über den Satz bitte nochmal nachdenken, lieber General-Anzeiger.

In einer Buchbesprechung bezeichnet dieselbe Zeitung die Autorin als „bekennende Berlinerin“. Man kann sich zu vielem bekennen: als Katholik, Eierbechersammler, FDP-Wähler, Fan einer Fußballmannschaft, Alkoholiker, auch in beliebiger Kombination. Aber als Bewohner einer bestimmten Stadt? Entweder man wohnt dort oder eben nicht, das bedarf nun wirklich keines Bekenntnisses. Nicht einmal, wenn man in Bielefeld wohnt.

Mittags unternahmen wir eine kürzere Radtour, bei der sich das Wetter als wärmer erwies als zunächst angenommen. Besser als umgekehrt.

Sainte-Marguerite wirkte um die Mittagszeit verschlafen, machte jedoch nicht den Eindruck, zu anderen Tageszeiten wacher zu sein

Nachmittags schickte der Geliebte aus Bonn beunruhigende Bilder aus unserer Wohnung, die auf einen schon länger vor sich hin schleichenden Wasserschaden unter der Küchenzeile schließen lassen. Freuen wir uns also auf eine größere Baustelle. Aber erst nach dem Urlaub.

Gegen Abend kühlte es ab, dazu leichter Regen. Deshalb kam es gelegen, dass im Restaurant nur noch im Innenraum ein Tisch für uns frei war. Dort war es nicht nur angenehm warm sondern auch unangenehm laut durch eine Gruppe Belgier, die erst zur Ruhe kamen, als irgendein Fußballspiel begann, dessen Verlauf sie auf ihren Datengeräten verfolgten.

Der Chronist in seinem natürlichen Element (Foto: der Liebste)
Immer wieder schön, wenn Selbstverständliches der Beschreibung bedarf. (Falls Sie es aus Designgründen nicht sofort erkennen: Es handelt sich um den Wasserhahn des Waschbeckens in der Toilette)

Sonntag: Der Tag war sonnig, jedoch windig. Mistral trieb die Wolken nach Süden und lutschte sie dabei klein. Ab dem frühen Nachmittag ließ er nach, als hätte jemand den großen Ventilator einige Stufen kleiner gestellt, aber immer noch genug, um mich aus dem Zypressenschatten unter das windgeschützte Terrassendach zu treiben. Urlaubsstress.

Bitte denken Sie sich dazu eine Bewegung der Wölkchen an den linken Bildrand

Wesentliche Aktivität des Tages war das Einkochen von Knoblauchzehen, beim vorbereitenden Entpulen der Knollen ging ich dem Liebsten etwas zur Hand.

Hierzu denken Sie sich bitte wunderbaren Knoblauchduft

„Wie praktizierst du Selbstfürsorge?“, lautet die WordPress-Tagesfrage. Antwort: Durch konsequente Trennung von Beruflichem und Privat. Während hier meine größte Sorge ist, wo der Liegestuhl am besten steht, befindet sich mein dienstliches Laptop im Büro, das dienstliche Datengerät ausgeschaltet zu Hause in Bonn. Nicht im Traume fiele mir ein, hier nach geschäftlichen Mails zu schauen.

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Kommen Sie gut durch die Woche.

Woche 16/2022: Halbfinger, Warmduscher und Hintensitzer

Montag: Vergangenen Woche nahm ich Anstoß an zahlreichen Motorrädern, die den ganzen Tag an unserer Ferienwohnung vorbeidonnern. Immerhin beginnen sie damit erst nach neun Uhr, somit ist die Nachtruhe ungestört, man soll ja möglichst auch das Positive sehen. Dennoch frage ich mich nicht zum ersten Mal, warum die Dinger, also jedenfalls viele davon, so laut sein müssen und dürfen, zumal es ja auch durchaus moderat gestimmte Modelle gibt. Findet man als Motorradfahrer das Geknatter generell toll, oder nur das der eigenen Maschine?

Nachmittags machten wir einen Ausflug nach Vaison-la-Romaine, das noch erstaunlich touristenleer schien. Den Geliebten zog es in ein Geschäft, dass ausschließlich Geschirr vermeintlich provencalischer Machart anbietet, Sie kennen vielleicht diese grellfarbige Keramik, vermutlich aus chinesischer Produktion. Mit geradezu kindlicher Begeisterung nahm er einige Tassen in Augenschein, deren Erwerb nur mit Mühe zu verhindern war, zumal wir zu Hause Tassen in ausreichender Anzahl und etwas darüber hinaus im Schrank haben. Gleichsam ein Enfant im Porzellanladen.

Blühendes in Vaison-la-Romaine

Bei Frau Diekmann las ich erstmals vom äußeren Schweinehund, der meines Erachtens, im Gegensatz zu seinem inneren Bruder, viel zu wenig Beachtung findet.

Dienstag: Nach Ostern ist die Zahl der am Haus vorbeibrausenden Motorräder merklich zurückgegangen. Dafür brausen nun umso mehr P- und LKW vorbei. Was soll man machen.

Wir wohnen hier nicht nur in häuslicher Gemeinschaft mit Hühnern, die durch ihre Bewegungen und Geräusche Stadtbewohnern wie uns stets ein Lächeln entlocken, sondern auch mit einem Gecko, genauer: einem Europäischen Halbfinger, wie der Liebste recherchiert hat, der abends, während wir uns dem Nachtglas widmen, regungslos an der Hauswand oder kopfüber an der Decke der Terrasse verharrt, um seinen Appetit auf Spinnlein und ähnliches Getier zu stillen. Also der Gecko, nicht der Liebste; letzterer isst normalerweise mit uns am Tisch.

Auf dem Weg zum Nachmittagsgetränk

In Frankreich ist Wahlkampf.

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Was man hier nur wenig sieht, sind blau-gelbe Ukraineflaggen. Gleichwohl ist die daraus folgende Ölkrise auch in hiesigen Supermärkten angekommen.

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Mittwoch: Morgens gab es kein warmes Wasser mehr. Die Warmwasserbereitung erfolgt hier in einem großen Behälter im Nebenraum, der mit (vermutlich Atom-)Strom aufgeheizt wird und offenbar seine Funktion vorläufig eingestellt hat. Somit startete der Tag für mich als im Kaltduschen Ungeübter ohne das tägliche Brausebad, was man wohl überlebt.

Nachmittags besuchten wir zwei Weingüter in Beaumes-de-Venise und Vacqueyras. Auf dem Hinweg kamen wir an La Roque-Alric vorbei, einem pittoresk an einen Berghang gebauten Dorf, dessen wesentliche Funktion darin liegt, als Motiv für Postkarten und Touristenfotos zu dienen. Vom Verkaufs- und Verkostungsraum in Vacqueyras aus ein wunderbarer weiter Blick über noch zart begrünte Weinberge, Wege, Baumgruppen, Hecken, Zypressen, Ginsterbüsche, einzelne Häuser und Gehöfte; ein Gemälde aus verschiedenen Grün-, Ocker-, Braun-, Grau und Blautönen mit einigen gelben Sprenkeln darin. Auch an diesem kühltrüben Tag hätte ich dort stundenlang stehen und schauen können, obwohl nicht viel passierte; hier wurde etwas an den Reben gezupft, dort fuhr ein Traktor durch das Bild. Wie schön muss es sein, jeden Morgen nach dem Aufwachen diesen Anblick zu genießen? Und wie lange würde es dauern, bis durch die Gewohnheit des Täglichen auch hier der Genuss ermattet?

Im Übrigen verweise ich auf meine diesbezüglichen Ausführungen hier von 2010 sowie aus vergangenem September:

»Nicht zum ersten und bestimmt nicht zum letzten Mal stelle ich mir vor, wie es wäre, dauerhaft hier zu leben. Vielleicht in einem eigenen Haus etwas außerhalb, umgeben von Weinreben und Olivenbäumen, ein Lavendelfeld in Sichtweite, dazu Aussicht auf den Mont Ventoux und unser Schwimmbecken, in dem meine Lieben plantschen, während ich im Schatten der Terrasse belanglose Zeilen im Notizbuch vermerke. Im Winter knackt das Feuer im Kamin, während eisiger Mistral das Haus umtost. So schön das klingen mag – es spricht doch einiges dagegen. Allein schon fehlte mir der Mut, zu Hause alles abzubrechen und hier neu anzufangen, einschließlich Erlernen der Sprache, die ich auch nach Jahren nur rudimentär beherrscheanzuwenden im Stande bin. Und verliert das Schöne nicht irgendwann seinen Reiz, wenn man dauerhaft darin wohnt? Wer weiß, vielleicht werden durch den Kimawandel bald alle Sommer in der Provence unerträglich heiß, oder Marine Le Pen übernimmt die Macht, dann heißt es womöglich „Ausländer raus“ und „Schwule hängen“ mit unabsehbaren Folgen für ausländische Schwule. – Freuen wir uns also lieber auf das nächste Mal.«

Nach Rückkehr hatten die Vermieter unserer Wohnung das warme Wasser wieder ans Laufen gebracht. Ab morgen wieder Warmduschen.

Zur Feier des Liebsten Geburtstags verbrachten wir den Abend in einem sehr guten örtlichen Restaurant. Nach dem Hauptgang brachte der Wirt eine kleine quadratische Torte mit brennendem Kerzlein darauf an unseren Tisch, nötigte uns, für den Liebsten zu singen, auf dass auch die übrigen Gäste von seinem Anniversaire erfuhren, teilweise stimmten sie gar ein. Kaum war das Kerzenlicht ausgeblasen, wurde das noch unangetastete Törtchen wieder abgeräumt; wenig später servierte der Wirt drei Streifen daraus, von der Menge her völlig ausreichend, als Dessert. Was er mit dem Rest gemacht hat, entzieht sich meiner Kenntnis.

Die Neigung, in Dingen Gesichter zu erkennen, heißt übrigens Pareidolie.

Donnerstag: Nach Brausebad und Frühstück fuhren wir nach Avignon, der Stadt der Päpste, halben Brücke und Mireille Matthieu. Dort besuchten wir die örtliche Markthalle, wie es sie in vielen größeren französischen Städten gibt. Während der Liebste Einkäufe tätigte, prüften der Geliebte und ich die Getränkequalität einer der Bars und wir kamen zu einem zufriedenstellenden Ergebnis. Erstaunlich, wie viele Menschen, augenscheinlich keine Touristen, sich mittags an einem gewöhnlichen Wochentag an der Bar einer Markthalle aufhalten, nicht nur für einen schnellen Kaffee oder ein Wasser, die meisten hatten ein Weinglas vor sich, das vom freundlichen Barmann regelmäßig nachgefüllt wurde. Offenbar nicht oder nicht überwiegend aus Verzweiflung, sondern Lebensfreude. Wie wenig Aufenthaltsqualität bietet dagegen etwa der Bonner Wochenmarkt, wo man mit Angeboten wie „Ein Kilo Tomaten ein Euro“ angeschrien wird und schon deshalb lieber schnell weitergeht.

»Lungensport in Schwarzrheindorf« lautet eine Artikelüberschrift in der Zeitung, die ich dank Netz auch im Urlaub lese, wohingegen ich auf die Fernsehnachrichten problemlos verzichten kann. Klingt nach einem Wettrauchen.

Freitag: Der letzte Urlaubstag ist stets mit einer gewissen Melancholie belegt. Die Sachen, darunter zahlreiche Weinkartons (und Kaffee, fragen Sie nicht) ins Auto packen, das letzte Nachmittagsbier auf der Terrasse der Lieblingsbar, abends nochmal in die Pizzeria, das war es dann, morgen früh fahren wir zurück.

Nach dem Frühstück fuhren meine Lieben nach Vaison-la-Romaine, den Supermarkt leerkaufen. Da ich Supermarktaufenthalte ermüdend, allenfalls mäßig interessant finde, nutzte ich die Alleinzeit für einen knapp zweistündigen Gang rund um den Ort. Nichts hilft besser gegen Urlaubsendemelancholie als Gehen.

Drogenanbau südlich von Malaucène
Lavendelfeld, Vorsaison
Stillleben, provencalisch

Samstag: Der Vorteil, wenn man zu dritt verreist, ist, ich kann im Auto hinten sitzen. Vorne sitze ich ungern, am unliebsten auf dem Fahrersitz, meine Bewertungen als Beifahrer sind auch nicht besonders gut („Warum blinkst du nicht?“ – „Fahr doch nicht dauernd links!“ – „Vorsicht!“ – und so weiter). Hinten kann ich einfach aus dem Fenster schauen und nachdenken, wovon ich in den vergangenen Tagen ausgiebig Gebrauch machte, freilich ohne zu einem nennenswerten Ergebnis zu kommen.

Übrigens male ich mir nur über weniges so viel aus wie vor einer Reise darüber, was alles schiefgehen kann: Zugausfall, Reifenpanne, Hagelschlag, Gezänk, Meteoriteneinschlag. Doch ging es gut, bereits gegen 17:45 Uhr, somit fast eine halbe Stunde vor der ursprünglich errechneten Ankunftszeit trafen wir nach staufreier Fahrt mit nur geringem Gezänk zu Hause ein.

Sonntag: Die erste Nacht im eigenen Bett schläft es sich wie üblich besonders gut. (Ist der Satz so korrekt, oder muss es heißen „In der ersten Nacht“? Egal, Sie wissen, was ich meine.)

Diese Wochenbetrachtung wäre unvollständig ohne Erwähnung des Vogels, der in Malaucène die Umgebung mit seinem Ruf erfreut: ein etwa halbsekündiger gleichbleibender Ton (E, wie eine zur Ermittlung heruntergeladene Klavier-App, die auf Datengeräten der neuen Generation ohne Zurück-Knopf nur schwierig wieder zu schließen ist, ergeben hat) ungefähr alle zwei Sekunden, an eine Alarmanlage oder einen Feuermelder erinnernd. Abends nach Einbruch der Dunkelheit piept er besonders ausdauernd, manchmal über Stunden, auch tagsüber ist er hin und wieder zu hören, wenn nicht gerade ein Motorrad brüllt. Manchmal gesellt sich nachts in größerer Entfernung ein Artgenosse hinzu, in Tonhöhe und Frequenz geringfügig von ersterem abweichend. So tanzen ihre Töne minutenlang umeinander her, mal treffen sie aufeinander oder verfehlen sich knapp, trennen sich wieder, bis sie erneut verschmelzen, während der Mensch sich wach in seinem Tuch wälzt. Um was für einen Vogel es sich handelt, war nicht zu ermitteln. Ein wenig vermisse ich ihn.

Zum Schluss einige weitere bildliche Eindrücke der Woche.

Der Verfasser bei einem wichtigen Tagestermin
Landschaft bei Vinsobres
Avignon
Blick aus unserer Ferienwohnung über die Straße, ausnahmsweise ohne Kraftfahrzeuggeräusche
À bientôt

Zurück in Bonn. Heute war ich spazieren. Auf dem Friedensplatz war Antikmarkt, wo der übliche Krempel feilgeboten wurde, wie eine kurze Inaugenscheinnahme ergab. Nachdem ich mich einige Meter entfernt hatte, um den Gang fortzusetzen, gab es eine lautes Scheppern und Klirren, als ob einer der Stände mit Geschirr, Gläsern und Hausrat umgekippt wäre. Ich verzichtete auf eine Rückkehr, um nachzuschauen; es wird wohl niemand verletzt worden sein. Desweiteren zog es mich auf die andere Rheinseite, wo am Beueler Rheinufer ebenfalls eine Art Markt mit Verkaufs-, Trink- und Essständen stattfand, das ganze akustisch hinterlegt mit Musik von Bernd Clüver. Für den Rest des Spazierens begleitete mich leider die Liedzeile »Mexican Girl, heut Nacht oder nie«. Ansonsten war es schön:

Rheinaue vor Bonn-Schwarzrheindorf
Ebenda
Der Rhein nördlich von Bonn

»Schick deinen Love Standort« hat jemand mit Kreide auf eine niedrige Mauer in der Inneren Nordstadt geschrieben. Leider nicht, wohin.

Nachtrag am Abend: Frankreich hat gewählt. Nochmal gut gegangen. Wir können wiederkommen.

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Ab morgen wird es wieder ernst. Kommen Sie gut durch die Woche, ich versuche es auch.