Nessun Dorma

Vergangene Nacht träumte mir, ich stehe mit unserem Chor, den Kölner SPITZbuben, auf einer Bühne und wir schmettern unseren größten Hit, die Arie Nessun Dorma von Puccini aus der Oper Turandot. An meiner Seite standen meine Mit-Tenöre M, A und U. Einerseits ergriffen von der Schönheit des Stückes, anderseits aufgrund der Tatsache, dass sich das so niemals wiederholen wird, weil M und A den Chor schon lange verlassen haben, kamen mir noch auf der Bühne die Tränen, wenig später wachte ich mit feuchten Augen auf – das konnte jedoch auch andere Gründe haben. Auch jetzt, im Wachzustand des helllichten Tages, erfüllt es mich mit Wehmut.

Und so klang es. Schön, nicht?

(Übrigens suchen wir dringend neue Mitsänger, vor allem Tenöre.)

Über Hören und Riechen

Neulich schrieb der von mir sehr geschätzte @sechsdreinuller auf Twitter:
„Nichts speichert Erinnerungen so zuverlässig, nachhaltig und unmittelbar wie Musik.“
Da ist was dran, jeder kennt wohl Lieder, Songs, Stücke, bei denen sich sofort bestimmte Erinnerungen einstellen, auch an Dinge und Ereignisse, die viele Jahre zurück liegen. Bei mir sind dies beispielsweise:

,Die Moldau‘ von Friedrich Smetana. Noch heute gehört der Zyklus ,Mein Vaterland‘, dessen zweites Stück ,Die Moldau‘ ist, zu meinen Favoriten bei klassischer Musik. Wir haben ,Die Moldau‘ in der Grundschule im Musikunterricht damals bis ins kleinste analysiert; höre ich sie heute, sitze ich wieder in unserem Klassenraum und habe die beiden Quellen, die Jagdszene und die Bauernhochzeit vor Augen.

Verschiedene Songs der Achtziger, zum Beispiel ,Shout‘ von Tears For Fears, ,I Want To Know What Love Is‘ von Foreighner, ,The Power Of Love‘ von Frankie Goes To Hollywood oder ,Freedom‘ von Wham! versetzen mich immer wieder zurück in die Zeit, als ich zum ersten Mal so richtig schrecklich und unglücklich verliebt war.

,Ninteen Forever‘ von Joe Jackson und ,Sewing The Seeds Of Love‘ von Tears For Fears waren Songs aus der Zeit meines Coming Out.

Das Album ,Whats The Story – Morning Glory‘ von Oasis (ich erwähnte es schon des öfteren: für mich die größte Band aller Zeiten) erinnert mich an die Zeit, als ich mit meinem ersten Freund zusammen war.

,Bittersweet Symphony‘ von The Verve war unser Lied, als ich den Liebsten kennen lernte.

,You Get What You Give‘ von den New Radicals lässt mich zurück denken an die Zeit, als ich nach Bonn zog.

Diverse Songs, die Radio Nostalgi in Frankreich regelmäßig spielt, lassen sofort Urlaubsstimmung aufkommen, auch an einem gewöhnlichen misslaunigen Montagmorgen im verregneten Bonn.

Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen, allein die Songs in meiner iTunes-Liste, die mich an diverse unglückliche Lieben erinnern, würden mehrere Seiten füllen. Wohl jeder könnte eine solche Liste seiner Songs anlegen, ob es nun um die Liebe geht (hier sind bei mir die Erinnerungen am intensivsten) oder andere mehr oder weniger erfreuliche Ereignisse. Ja, Herr @sechsdreinuller hat recht, Musik ist ein sehr stabiler Erinnerungsspeicher.

Und doch muss ich ihm widersprechen, jedenfalls für mich, aber da empfindet wohl jeder Mensch anders: Noch intensiver als Musik es vermag, bringen mir Gerüche alte Erinnerungen sofort wieder zurück, oft völlig überraschend und unvermittelt.

Ich rieche die Ausdünstungen von Bahnschwellen, schon spiele ich als Kind wieder am Bahndamm bei meinen Großeltern in der Nähe von Göttingen. (Gut, hier mischte sich noch Jauchegeruch vom nahen Bauernhof dazu, gleichwohl würde ich meine Kindheit als glücklich bezeichnen.) Ich rieche (und schmecke) Erbsen frisch vom Strauch, schon streife ich wieder durch Omas Gemüsegarten. Das Aroma von Kuhdung versetzt mich zurück in die Sommerferien, die ich mit meinen Eltern und meinem Bruder oft im Allgäu verbrachte. (Die Duftkombination von Kuhfladen und frischem Heu gehört zum Allgäu wie salzige Seeluft zur Nordsee und Lavendelduft zur Provence.) Der Geruch eines bestimmten Kunststoffs erinnert mich an glückliche Stunden, die ich spielend mit meiner LGB-Modelleisenbahn verbrachte; genau so rochen die Loks und Wagen, wenn ich sie neu aus der Packung nahm. Begegne ich jemandem, der ein bestimmtes Parfüm aufgelegt hat, rieche ich sofort meinen damaligen Freund. Tulpenduft versetzt mich in die Frühlinge meiner Kindheit im Garten des Elternhauses, frisch gemähter Rasen in die Sommer ebendort.

Auch diese Liste könnte ich weiter fortsetzen. Im Gegensatz zu Musik sind Gerüche nicht konservier- oder aus dem Netz herunterladbar (bei vielen Gerüchen ist das ohnehin eher ein Segen), deswegen kann ich Ihnen hier leider nicht mit Kostproben dienen. Allein das schon macht Gerüche zu etwas besonderem. Oder wie der Berliner sagt: Dufte, wa!

Hirnradio

Ich entstamme eine musik-affinen Familie: Meine Mutter sang im Kirchenchor und in der Küche, mein Vater hörte gerne Oberkrainer und Egerländer Volksmusik, und mein Bruder spielte Trompete. So lag es nahe, dass auch ich von einer musikalischen Ader durchzogen werde. Meine früheste musikalische Erinnerung ist die Büsumer Wattenkapelle, die bei Ebbe mit Dschingderassabumm und einer Schar Touristen durch das Watt marschierte; ich war fasziniert, besonders von der großen Trommel, die genau einen Takt kannte, unabhängig vom gespielten Stück: bumm – bumm – bummbummbumm; bumm-bumm- … und so weiter.

Folglich wurde ich im zarten Grundschulalter genötigt, ein Musikinstrument zu erlernen, den Klassiker, Blockflöte, nichts, womit ich Eindruck machen oder größeren musikalischen Genuss erzeugen konnte, aber immerhin eine Grundlage. Später spielte ich ebenfalls Trompete und folgte ich meinem Bruder in den örtlichen Posaunenchor. Viel lieber hätte ich Kirchenorgel oder Schlagzeug gelernt, was jedoch aus Platz- (Orgel) und Nervengründen (Schlagzeug) nicht auf elterliche Gegenliebe stieß.

Wenn man von frühester Kindheit an mit Vaters Egerländer Heimatmusik aufwächst, hält man sie einige Jahre lang für normal, wobei ich nicht so weit gehen will zu schreiben, man mag sie; erst später merkt man dann, welches Grauen doch dieser Art Musik innewohnt, der Mensch entwickelt sich halt weiter, durch „Disco“, „Formel Eins“ und „Musikladen“ im Fernsehen sowie „Schlagerralley“ und „Mal Sandock‘s Hitparade“ im Radio. Die älteren von Ihnen werden sich erinnern: die Aufnahmetaste des Kassettenrekorders im Anschlag und lautes Fluchen, wenn der dämliche Moderator reinquatscht oder die Verkehrsdurchsage.

Doch es gab es neben Ernst Mosch einen zweiten Faktor, der geeignet war, meine Freude an der Musik zu trüben, vor allem am Singen. Dieser Faktor hieß Ferdinand K. und war Musiklehrer an unserem Gymnasium. Er ließ uns schrecklichste Lieder singen, das für sich wäre ja noch nicht so schlimm gewesen, aber er ließ uns auch einzeln vorsingen, vor der Klasse, was für einen pubertierenden Schüler kurz vor oder im Stimmbruch nun wirklich kein Vergnügen ist; jedenfalls hatte ich vor jeder Musikstunde einen echten Horror, mindestens so schlimm wie vor den Sportstunden.

Dabei bestand rückblickend kein besonderer Grund dazu, denn ich kann ja singen, also konnte ich es damals vermutlich auch schon, traute mich nur nicht. Nun lassen es meine gesanglichen Qualitäten sicher nicht zu, dass ich als Solist auf einer Bühne stehe (was mich in den Neunzigern nicht davon abhielt, als Sänger einer Keller- und Hobbyband zu agieren, immerhin zwei Auftritte hatten wir mit unseren größten Hits „Don‘t You“ und „Does Your Mother Know“, bevor wir uns auflösten, der Erfolgsdruck war nicht mehr zu ertragen), aber für einen Chor reicht es. So singe ich seit 2005 mit nicht nachlassender Begeisterung bei den „Kölner SPITZbuben“, ich erwähnte es schon an anderer Stelle.

Auch der passive Musikkonsum ist weiterhin mein regelmäßiger Lebensbegleiter, wobei mein Musikgeschmack unter anderem Klassik (gerne: Bruckner, Brahms, Tschaikowsky, Smetana), die Radiohits der Achtziger (immer noch grandios: „True Faith“ von New Order), Britpop der Neunziger (beste Band aller Zeiten: Oasis) und mehr oder weniger aktuelle Musik umfasst.

Das Kapitel Musik wäre unvollständig ohne die Erwähnung meines Hirnradios. Das springt sofort an, sobald keine reale Musik zu hören ist, und ich kann wenig Einfluss auf die Programmauswahl nehmen; wenn es sich einmal auf ein Lied festgelegt hat, dann spielt es das stundenlang, mehrere tausend Strophen. Im günstigsten Fall ein Lied, das ich mag, meistens jedoch eins, das es morgens beim Rasieren im Radio aufgeschnappt hat, zum Beispiel Lady Gaga oder Jan Delay, was einen langen Arbeitstag durchaus zu trüben vermag.

Während ich diese Zeilen niederschreibe, spielt mein Hirnradio die 624. Strophe von Wolfgang Petrys „Wahnsinn“. Es ist die Hölle, Hölle, Hölle, Hölle.

Abgeschrieben: 80er

Hier noch eine Fundsache: Den nachfolgenden Text entdeckte ich beim Durchstöbern meiner E-Mail-Ablage. Leider kenne ich nicht den Verfasser und kann somit auch keine korrekte Quellenangabe machen, hole das jedoch gerne nach, wenn ihn mir jemand nennt. Die E-Mail stammt bereits aus dem Jahre 2001, jedoch hat der Text meines Erachtens an Aktualität noch nicht sehr viel eingebüßt.

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Offen gestanden kotzt es mich an: dieses dumme Gerede der derzeitigen „Generation Z“, die 80er Jahre wären langweilig gewesen. Totaler Bockmist.

Hört genau zu, Ihr zungengepiercten Tekknohoppler mit Tattoos auf der linken Arschbacke: Ihr wart nicht dabei! Wir Mit-Dreissiger/-Vierziger haben sie live erlebt: die Geburt des Synthesizers und den wahren Soundtrack der 80er, der von Bands wie Depeche Mode, Cure und Yazoo geschrieben wurde.

Wir haben noch mit Midischleifen und Oszillographen gekämpft! Wir haben Euer Tekkno erfunden, bei uns nannte sich das aber noch „Wave“ und war tatsächlich Musik. (übrigens verwursten Eure DJs die Dinger noch heute zu einer Art musikalischer Canneloni mit schwülstiger Computerbasssosse).

Wir mussten noch keine Angst haben, dass uns Tina Turner mit dem klassischen Seniorenoberschenkelhalsbruch von der Bühne purzelt und wir haben Madonna noch mit festen Brüsten und ohne Baby-Pause gekannt, Ihr Nasen!

Wir verbinden „Kraftwerk“ noch nicht mit Solarenergie und wir hatten noch Angst, dass Joschka Fischer von Holger Börner mit der Dachlatte verprügelt wird. Wir erinnern uns noch an Terroristenfahndungsplakate, auf denen hin und wieder ein Gesicht liebevoll mit Kuli von einem Staatsbediensteten durchgestrichen wurde …

Die Bundeswehr und die NVA machten noch Spaß, wir kannten ja die Richtung, aus der der Feind kommt …

Zu unserer Zeit fielen Break-Dancer auf den Fussgängerzonen noch hin und wieder richtig auf die Fresse und Peter Maffay wurde beim Stones-Konzert noch ordentlich von der Bühne gepfiffen. Wir hatten noch Plattenspieler (auf 33″ und 45″) und richtig geile Plattencover, auf denen man die Namen der MUSIKER (und nicht der Programmierer) ohne Lupe erkennen konnte und die tatsächlich Kunst waren – keine Tempotaschentuchgrossen, einfarbigen Booklets auf denen gerade noch „nice Price“ lesbar ist.

Für uns war eine LP etwas Heiliges, das gepflegt und geliebt werden musste – und keine CD-Plastik-Wegwerfware, die so robust ist, dass man sie durchaus auch als Bierglasuntersetzer verwenden kann. Bei uns erkannte jeder sein Eigentum noch an den individuellen Kratzern.

Wir haben kein „Big Brother“ geguckt sondern „Formel 1“, wo es eine ganze fette Stunde wirklich gute Musikvideos zu sehen gab, die das Lied untermalten, wir hatten kein MTV mit degenerierten CD-Werbespots nötig.

Wir liessen uns die Haare seitlich ins Gesicht fallen – ohne diese beknackten, umgedrehten Baseballmützen oder Wollhauben. In unseren Hosen konnte man sehen, ob einer einen Hintern hatte, heute hängt der Arsch ja bei jedem von Euch in der Kniekehle der achso tollen Baggy-Trousers.

Bei uns haben sich keine Neonazis mit Türken gekloppt, sondern Punks mit Teds, Teds mit Poppern, Popper mit Ökos und Ökos mit der Polizei…

Und wer einen Führerschein hatte, fuhr als erstes einen Käfer oder eine Ente, bei der Dellen von Individualismus zeugten, ihr Opel-Corsa-Popel!

Und weil ihr gerade im Leistungskurs Informatik sitzt: die AC/DC Einritzungen auf den Tischen sind von UNS – und es geschieht Euch nur recht, wenn ihr glaubt, dass die Dinger aus dem Physiksaal kommen, wo irgendein findiger Schüler seinerzeit die Abkürzung für „Starkstrom/Schwachstrom“ in die Bank gemeisselt hat!

Also erzählt uns nichts über die 80er. Und ja, hiermit entschuldige ich mich, auch im Namen meiner Altersgenossen, für Modern Talking. Das haben wir nicht gewollt…

K wie Karfreitag und Karlsruhe

Karfreitag ist ein stiller Feiertag mit gesetzlich verordnetem Vergnügungsverbot, welches insbesondere öffentliche Musik- und Tanzveranstaltungen ausschließt, während Kirchenglocken uneingeschränkt lärmen dürfen im Namen des Herrn. Zunehmend wird darüber diskutiert, ob dieses Verbot noch zeitgemäß ist, im Radio, im Internet, und die Piraten-Partei hat sogar das Bundesverfassungsgericht angerufen, darüber zu entscheiden, ob das Verbot von Demonstrationen gegen das karfreitägliche Spaßverbot eine unzulässige Einschränkung der Versammlungsfreiheit darstellt.

Ich kann sehr gut an einem Tag im Jahr auf laute Musik und Tanz verzichten, zumal ich das an mindestens 350 weiteren Tagen ebenfalls tue, schließlich bin ich keine zwanzig mehr und schätze einen ruhigen Abend zu Hause mehr als eine durchtanzte Partynacht. Aber das ist hier nicht die Frage. Es ist ein Unterschied, ob ich freiwillig auf etwas verzichte oder ob ich es muss, weil bestimmte Institutionen das so wollen und es Jahrhunderte alte Tradition ist. Warum also können die Kirchen, deren Anhängerschaft schrumpft, per Gesetz in die Freizeitgestaltung aller Menschen eingreifen, insbesondere der Nichtgläubigen? Umgekehrt käme wohl keiner auf die Idee, einen gläubigen Christen heute daran zu hindern, den Tag in Andacht und Stille zu verbringen, schließlich wird niemand gezwungen, auf eine Party zu gehen.

„Aber den Feiertag nehmt ihr gerne mit. Dann könnt ihr heute auch arbeiten gehen.“ – Dieses Argument höre ich immer wieder. Was, bitte schön, hat das eine mit dem anderen zu tun? An Christi Himmelfahrt verbietet es auch niemand, dass die „Ungläubigen“ mit Bierkasten und Bollerwagen ihren „Vatertag“ begehen, ohne darüber nachzudenken, welchen Ursprung dieser Feiertag hat. Und tausende von Krankenschwestern, Busfahrern, Polizisten und Zugbegleitern – ob gläubig oder nicht – können darüber ohnehin nur lachen.

Als Christ bezeichne ich mich nicht mehr, bin aber ausdrücklich auch kein Atheist, behaupte nicht, dass es keinen Gott gibt. Allerdings behaupte ich auch nicht das Gegenteil, vielmehr bin ich der Meinung, jeder muss es mit sich selbst ausmachen, an was er glaubt oder nicht; Bekehrungsversuche aller Art widerstreben mir zutiefst, nicht nur in Bezug auf Religion, sondern generell: niemand soll mir vorschreiben, dass ich kein Fleisch essen, nicht rauchen, keinen Alkohol trinken darf – so lange ich damit andere nicht gefährde oder beeinträchtige. Jedenfalls bin ich mir sicher: Der Gott, an den ich glaube, hat nichts dagegen, wenn Menschen auch heute feiern und fröhlich sind.

Soeben wird gemeldet, dass sich das Bundesverfassungsgericht für nicht zuständig hält. Schade, ich war sehr gespannt auf die Entscheidung.