Woche 50/2025: Menschen im Besinnlichkeitsrausch

Montag: Als ich morgens das Haus verließ, fiel unangekündigt Regen. Daher gönnte ich dem Fahrrad einen weiteren Ruhetag und ging direkt zur Stadtbahn. Privileg des Innenstadtbewohners.

Vergangene Woche äußerte ich mich über meine Wunschlosigkeit bezüglich Weihnachtsgeschenke. An mehreren Stellen las ich nun, wenn Leute sagen „Ich wünsche mir nichts“ meinen sie eigentlich: Ich wünsche mir sehr wohl etwas, und ich wünsche mir, dass du es herausfindest und mich damit überraschst. Daher sehe ich mich veranlasst, es noch einmal in aller Deutlichkeit klarzustellen: Ich wünsche mir wirklich nichts, würde mich über eventuelle Gaben dennoch angemessen erfreut und dankbar zeigen.

In einer Besprechung faselte einer was von „Informäischen owerlod“. In einer anderen Besprechung wurde wild durcheinander geredet. Ich hörte überwiegend schweigend zu und freute mich auf das nahe Arbeitsende.

Während der Rückfahrt informierten die Stadtwerke ihre Fahrgäste per Durchsage: In der Innenstadt seien Taschendiebe unterwegs, die Haltestelle Uni/Markt sei wegen einer Sperrung zurzeit nur in Richtung Kaiserplatz zu verlassen und am Wochenende seien Bereiche der Innenstadt zur Waffenverbotszone erklärt. Was genau die Verkehrsbetriebe den Kunden mit letzterem mitteilen wollen, wissen nur die Verkehrsbetriebe.

Aus der Zeitung:

Finde den Fehler. (General-Anzeiger online)

Dienstag: Gehört in einer Besprechung: „Ich bin im Büro und das ist hier alles ganz anders als zu Hause.“ Das ist der Kollegin jedenfalls sehr zu wünschen.

Nachmittags beim Heimweg hüllte die untergehende Sonne die Umgebung in freundliches Rosa. Wenn Sie mal schauen möchten:

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Gesehen auf dem Weihnachtsmarkt:

„Mist, verschrieben! Nochmal. – Mist, schon wieder verschrieben! Egal, merkt niemand.“ Doch.

Mittwoch: Der Eintrag für diesen Tag erfolgte erst am Donnerstag, da es mir am Mittwoch zeitlich nicht möglich war. An den insgesamt angenehmen Arbeitstag ohne besonderen Aufschreibenswert schloss sich direkt ein abteilungsinternes Beisammensein auf dem Weihnachtsmarkt mit anschließendem Essen im Restaurant an. Das war trotz oder gerade wegen der nur kleinen Gruppe angenehm und der Abend endete nicht allzu rauschvoll. In der Glühweinhütte, wo der Kollege einen Tisch reserviert hatte, hörte ich erstmals in dieser Saison „Last Christmas“, das nur zur Information. Ich habe nichts gegen dieses Lied und stimme deshalb nicht ein in den vielstimmigen Chor der Wham!-Hasser; vielmehr freute ich mich, als ein anderer Kollege sagte, er sei unglücklich verliebt gewesen, als das Lied aktuell war. Mir ging es genauso und bis heute wüsste ich gerne, was aus meinem damaligen Objekt der Begierde geworden sein mag, das ich nach der Schulzeit für immer aus den Augen verlor. Im Übrigen gibt es sehr viel schlimmere Weihnachts-Popsongs, schalten Sie in diesen Tagen nur mal das Radio ein.

Am Nebentisch saß eine Gruppe junger Leute, ein Mädchen tippte auf einem Klapptelefon herum, wie ich eines Anfang der Zweitausender- (oder, wenn Ihnen das lieber ist, Nuller-)Jahre besaß, ehe das iPhone auch bei uns einzog, mit dem nicht nur eine ganz neue Ära der Mobiltelefonie begann, sondern die Verblödung der Menschheit erheblich beschleunigt wurde und wird.

Auf der Karte der Glühweinbude. Auch hier grassiert die zunehmend liederliche Auslassung von Bindestrichen.

„Aus Neptuns Küche“ las ich auf der Speisekarte des Restaurants und fragte mich, wie dieser sein Dasein unter Wasser fristende Typ wohl kocht.

Donnerstag: Dank umsichtigen Trinkens am Vorabend begann dieser freie Tag ohne ethanolische Nachwirkung. Trotz des dafür perfekten sonnigen Wetters verzichtete ich auf eine Wanderung, stattdessen frühstückte ich im Kaufhof-Restaurant und las dabei die Blogs von gestern nach. Anschließend ging ich zum Schauen über den Weihnachtsmarkt, der um diese Zeit angenehm unbelebt ist. Gleichwohl waren einige der Warmgetränkstände schon wieder gut besucht und es ist wohl keine unzulässige Unterstellung, dass es sich bei dem roten Getränk in den Tassen nicht um Hagebuttentee handelte. Dafür war es sogar mir noch etwas früh.

Aussicht aus dem Kaufhof-Restaurant

Ansonsten nutzte ich den freien Tag für die Abarbeitung einer Liste von Vorhaben, die ich für heute angelegt hatte, unter anderem Geschenke besorgen und einpacken (dass ich selbst nichts geschenkt haben möchte, bedeutet nicht, dass ich anderen nichts schenke, wenn ich was Passendes finde), den Tag gestern nachbloggen und den gestern ausgefallenen Sport nachholen. Dann nahte schon wieder der Abend und Hunger trieb mich nochmals raus in die Gaststätte auf dem Münsterplatz, die jetzt umstellt ist von Weihnachtsmarktbuden. Dort ließ ich mir die Inseltags-Currywurst schmecken, mit Blick auf die vielen Menschen im Besinnlichkeitsrausch draußen, das Bonner Riesenrad, das gar nicht riesig ist, schon deutlich größer als ein Rhönrad, doch ein Winzling gegen das auf Pützchens Markt im Herbst, und den Bonner Weihnachts Baum (genauso geschrieben), ein kegelförmiger Turm mit tausenden Lichtern und Ausschank im Erdgeschoss. Auf dem Weg hörte ich jemanden zu seiner Begleitung sagen: „Ich hasse es jetzt schon, die ganzen Menschen hier.“ Was hatte er wohl erwartet?

Besinnlichkeit

Freitag: Wie morgens im Radio gemeldet wurde, ist die Zahl junger Erwachsener mit einer Aufmerksamkeitsstörung in den letzten zehn Jahren stark gestiegen. Das wundert mich nicht sehr.

Was schön war: ein in Nachholung von gestern angenehmer Fußweg ins Werk und zurück.

Morgens

Abends berichtete die Tagesschau über die Menschen in Gaza, die in ihren notdürftige Zelten und Hütten nun zu allem Elend auch noch von Regen und Kälte heimgesucht werden. Es soll hier nicht darum gehen, zu befinden, wer in diesem Konflikt du Guten und die Bösen sind, darüber mögen sich gerne andere streiten, auch habe ich dazu keine abschließende Meinung, die ich äußern könnte oder wollte. Was mich jedenfalls irritierte, war eine Sequenz mit einer Familie, die den Tod eines frisch geschlüpften Säuglings beklagte. Ich bin gewiss kein Lustverächter, doch diese Menschen leben seit nunmehr zwei Jahren in Trümmern und in ständiger Gefahr, angegriffen oder vertrieben zu werden. Warum setzt man in dieser Situation Kinder in die Welt? Liegt es an meiner antinatalistischen Grundhaltung, dass ich das nicht verstehe?

Samstag: Was auch schön war beziehungsweise ist: Auf Anfrage schickte mir Frau K., die in ihrem LandLebenBlog regelmäßig und äußerst lesens- und sehenswert den Alltag im Odenwald und das Zusammenleben mit einer Hühnerschar beschreibt und bebildert, zwei Bilder von Trafotürmen, die meine Sammlung bereichern und die ich hier mit ihrer freundlichen Erlaubnis zeigen darf.

Fotos: Friederike Kroitzsch

Aus der Reihe „Völlig sinnlose Symbolbilder“:

(General-Anzeiger online)

Sonntag: Die Ahrtalbahn fährt wieder in voller Länge von Remagen bis Ahrbrück. Bei der großen Flut im Sommer 2021 wurde sie in großen Teilen zerstört, seitdem fuhren die Züge nur bis Walporzheim. Nun ist sie wieder aufgebaut und sogar durchgehend elektrifiziert, am Freitag wurde die Strecke feierlich und mit prominenter Begleitung durch Bahnchefin und Bundesverkehrsminister wiedereröffnet. Trotz Oberleitung fährt DB Regio die RB 30 zwischen Bonn und Ahrbrück vorerst weiterhin mit Dieseltriebzügen, vielleicht hat man bei der Bahn nicht mit der baldigen Eröffnung gerechnet und deshalb mit der Beschaffung neuer Elektrotriebzüge noch abgewartet. Elektrisch fahren hingegen die Züge der Transregio, allerdings zurzeit nur bis Altenahr, weil das zweite Gleis zwischen Remagen und Bad Neuenahr baustellenbedingt noch nicht in Betrieb ist, was das Zugangebot einschränkt. Auch hier gilt, wie so oft: Gut Ding will Weile haben.

Deshalb hatte ich beschlossen, mir heute die neue Ahrtalbahn per Mitfahrt anzuschauen. Etwas überrascht war ich, wie viele Menschen den gleichen Gedanken hatten und ohne konkreten Reisezweck bis Ahrbrück und nach kurzem Wendehalt sofort wieder zurück fuhren. Augenscheinlich nicht nur typische Eisenbahnfreunde, die man zumeist – Achtung: Selbstironie – an ihrem etwas irren Blick erkennt, wenn sie einen Zug sehen, sondern normale Menschen aller Altersstufen, vom Kind bis zum fortgeschrittenen Rentner. Die Fahrt verlief pünktlich – bis Bad Godesberg auf der Rückfahrt, wo sich die Weiterfahrt „wegen Reparatur an einem Signal“ um einige Minuten verzögerte. Die Wartezeit überbrückte ich mit Blogs Lesen auf dem Telefon, vermutlich ist auch das Ausdruck der oben genannten Verblödung, wenn auch eine eher milde Form. Als es weiterging, steckte ich das Telefon wieder weg, weil ich beim Bahnfahren gezwungen bin, aus dem Fenster zu schauen und mich deshalb nicht auf das Lesen konzentrieren kann, (nicht nur) da bin ich etwas eigen.

Eine andere Form der Verblödung ist der Zwang vieler Friseursalons und Fahrradläden, sich möglichst originelle Namen zu geben. In Remagen sah ich den Radgeber, in Bad Bodendorf ein Wortspiel mit Hair, das ich mir nicht gemerkt und notiert habe, Komm hair oder so ähnlich.

Um nicht auf den sonntäglichen Spaziergang verzichten zu müssen, stieg ich am Bahnhaltepunkt UN-Campus aus und ging über Kessenich, den Venusberg und die Südstadt nach Hause. Auch den Weihnachtsmarkt streifte ich, blieb jedoch standhaft und verzichtete auf einen Glühwein oder ein ähnliches Warmgetränk.

Ankunft in Ahrbrück
Blick vom Venusberg auf Bonn

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Vielen Dank für die Aufmerksamkeit, kommen Sie gut und möglichst entspannt durch die Woche, bleiben Sie standhaft.

18:30

Woche 32/2025: Was so geschrieben und gesagt wird

Montag: „Zähle 30 Dinge auf, die dich glücklich machen“ lautet der Vorschlag des Tages hier in der Wörterpresse. Das ist schnell getan: Die dreißig arbeitsvertraglich festgelegten Urlaubstage im Jahr machen mich ziemlich glücklich, jeder einzelne davon. In vier Wochen die nächsten elf. Nicht minder lieb sind mir die freien Inseltage jeden zweiten Donnerstag. Wie der kommende.

Dienstag: Der dienstagsübliche Fußweg ins Werk fiel ins Wasser wegen Regens, zurück ging es auf trockenem Weg.

In einer langen Besprechung am Nachmittag sagte einer in etwa jedem vierten Satz „am Ende des Tages“, wie so oft übertrug es sich im Laufe des Gesprächs wie ein Verbalvirus auf weitere Teilnehmer.

Auch ins Wasser gefallen

Nicht am Ende des Tages, doch kurz davor trafen wir uns im kollegialen Rahmen im Biergarten. Aus der ursprünglich geplanten Dreierrunde wurden elf, wie immer öfter in letzter Zeit war ich der Älteste. Ich fand es anstrengend, es wurde viel geschäftliches gesprochen mit der für die Altersgruppe Mitte zwanzig bis Ende dreißig typischen Wortwahl wie „Die Pommes sind krass crunchy“ und „Der Salat ist echt nice„. Zunehmend erschwert nicht nur mein nachlassendes Gehör die Teilnahme an solchen Unterhaltungen, sondern auch meine lückenhaften Englischkenntnisse. Als sie begannen, sich damit zu brüsten, wieviel Zeit man im Büro verbringt („Stell dir vor, jedes Mal würde einer ’ne Pizza ausgeben, nur weil man nach 22 Uhr noch da ist“) wurde es Zeit für mich, zu gehen. Die Runde zu dritt wäre mir lieber gewesen. Wie bereits vergangene Woche sei nochmals Ernst Jandl zitiert: „das stück, darin / ich keine Rolle spiele / ist meines.“ „/ nicht mehr“, wäre zu ergänzen.

Mittwoch: Ein weiterer Grund, weshalb ich es gestern Abend bei zwei Bieren beließ, war der heute Morgen anstehende Zahnarztbesuch zur Kontrolle und Reinigung, da will man nicht mit einer Fahne herumdünsten, auch sonst sind Arbeitstage unter Restalkohol erfahrungsgemäß wenig erfreulich. Nachdem alles zur beiderseitigen Zufriedenheit kontrolliert und gereinigt war, radelte ich jackenlos durch noch deutliche Morgenkühle zum Turm.

Vormittags hatte ich anlässlich einer überraschenden Übung meinen ersten Einsatz als Brandschutzhelfer. Als das Alarmsignal ertönte, zog ich die bereithängende Warnweste über und setzte einen wichtigen Gesichtsausdruck auf, mit dem ich im mir zugewiesenen Gebäudeabschnitt von Büro zu Büro ging, um die Kollegen aus dem Gebäude zu scheuchen. Die gingen allerdings freiwillig, so dass keine scharfe Ansprache oder Gewaltanwendung meinerseits erforderlich war. Schließlich meldete ich telefonisch die Etage als geräumt, dann verließ ich selbst durch das Treppenhaus den Turm. Der nächste Brand kann kommen, muss aber nicht.

Donnerstag: Falls Sie in der Inneren Nordstadt in Bonn wohnen und morgens jemanden etwas schräg, dafür einigermaßen textsicher „Unchained Melody“ singen hörten, das war ich. Während des Brausebades kam es im Radio, der Mitgesang war ununterdrückbar.

Wie am Montag bereits angedeutet, hatte ich heute frei. Wie üblich nutzte ich den Tag für eine Wanderung. Da Wärme angekündigt war, wählte ich eine nicht zu lange, möglichst bewaldete Route ohne stärkere Steigungen: einen Rundweg durch die Ville ab dem Bahnhof Erftstadt entlang mehrerer Seen, die durch Braunkohle-Tagebau im 19. und 20. Jahrhundert entstanden sind; ich habe das kurz für Sie recherchiert, nicht dass es heißt, hier lerne man nichts. Diese Route hatte mir vor einiger Zeit die Nachbarin empfohlen; vielen Dank, liebe M., eine gute Empfehlung, es war sehr schön. Kurz vor dem Ziel bog ich an einer Stelle falsch ab, wodurch eine Extraschleife zu gehen war. Das war nicht schlimm, auch wenn ich dadurch eine Teilstrecke zweimal ging.

Wie schön es war, können Sie hier sehen:

Dschungelartige Vegetation
Obersee
Untersee
Uferweg am Untersee
Mittagessen mit Blick auf den Heider Bergsee
Namenloser Tümpel am Wegesrand mit Bewohnern
Karauschenweiher

Nach Rückkehr in Bonn, Sie ahnen es, folgte eine Stärkung durch Currywurst und Bier. Bei dieser Gelegenheit herzliche Grüße an Leser Christian K., der mich angeschrieben hatte, um Nähres über das Bonner Currywurstangebot zu erfahren. Als Kleinblogger freut es mich immer sehr, wenn Geschriebenes Anerkennung und Rückmeldung erfährt.

Freitag: Nach den vorgenannten Annehmlichkeiten eines Inseltages noch einmal zurück in die Bürosphäre, ehe das Wochenende anbricht. Eine Kollegin lässt mich per Mail wissen, dass sie mich „fyi reingeloopt“ hat. Was so geschrieben und gesagt wird, wenn es bisi wirken soll.

In einer Besprechung gehört und notiert: „Ich habe keine Meldung erhalten, dass etwas unrund läuft, anscheinend läuft alles geradeaus.“ Ja wie denn nun?

Ansonsten war es ein angenehmer, nicht zu langer Arbeitstag, was überleitet zur Rubrik „Was schön war“:

Nach Rückkehr vom Werk standen Kaffee und Kuchen auf dem Balkontisch bereit. Ich kam gerade rechtzeitig an, bevor meine Lieben alles aufgefuttert hatten. Danach war ich beim Friseur, jetzt habe ich wieder die Haare schön. Nach der (wirklich!) letzten Färbung ergrauen auch die Schläfen langsam wieder.

Schön auch der folgende Satz eines Mädchens zu seiner Begleiterin vor dem Schaufenster eines Bekleidungsgeschäfts, gehört auf dem Weg zur (ebenfalls schönen) Abendgastronomie: „Alter, kuck mal der Rock, der ist ja cute.“

Samstag: Nachdem Kulturstaatsminister Weimar innerhalb seiner Behörde die Benutzung von Gendersternen und ähnlichen Sonderzeichen untersagt hat, empfiehlt er dasselbe nun auch anderen öffentlich geförderten kulturellen Einrichtungen, was gleichsam als Anweisung ausgelegt wird. Öffentliche Empörung und Zustimmung dürften sich in etwa die Waage halten. Auch ich verzichte aus Gründen der Sprach- und Schriftästhetik auf Genderzeichen, sowohl hier im Blog als auch in beruflichen Schriftlichkeiten; bislang hat sich keiner niemand darüber beschwert. Auch amüsieren mich immer wieder groteske Wort- und Satzkonstruktionen, die demselben Zweck dienen sollen wie „der Mitarbeitende“, „Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber“ oder die Anrede „Liebe:r Carsten“. Irgenwo las ich mal, nachdem der Schreibende zuvor das Femininum genutzt hatte, den Klammerzusatz „(das gilt auch für nicht-weiblich gelesenen Personen)“. Und doch habe ich überhaupt nichts dagegen, wenn andere es als richtig und notwendig erachten, geschlechtsneutral zu schreiben und sprechen. Ein wenig stolpere ich immer noch darüber, doch ich werde mich daran gewöhnen. Daher halte ich Weimars Weisung zumindest für fragwürdig.

„Alter“ ist übrigens, obwohl männlich gelesen, geschlechtsneutral, siehe Eintrag von gestern.

Zeit für die nächste Frage.

Vergangenen Donnerstag am Mittelsee

Frage Nr. 12 lautet: „Was möchtest du dir unbedingt irgendwann einmal kaufen?“ Unbedingt, aber nicht irgendwann, sondern sobald es erhältlich ist, das neue Buch „Aber?“ von Max Goldt, bestellt ist es schon beim Buchhändler des Vertrauens (selbstverständlich nicht beim großen A.). Irgendwann, aber nicht unbedingt möchte ich mir einen Hut kaufen, wie ich schon gelegentlich erwähnte. Ansonsten habe ich alles erforderliche.

Sonntag: Ein angenehmer Sommersonntag ohne größeren Berichtenswert mit gewohntem Ablauf: Balkonfrühstück mit den Lieben, Sonntagszeitungslektüre, ein längerer Spaziergang auf die andere Rheinseite und innere Erquickung im Biergarten. Laut Wetterprognose bleibt es erstmal warm, ich habe nichts dagegen.

Spaziergangsbild
Innere Kühlung
Mentale Abkühlung für die, die den Sommer nicht mögen

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Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Kommen Sie gut durch die warme Woche.

Redaktionsschluss: 17:00 Uhr

Woche 28/2025: Manchmal ist es zu wahr, um schön zu sein*

Montag: Ein nicht allzu trüber (manche würden schreiben: okayer, mich graust bei solchem Wortungeziefer) Wochenstart mit Regen, Kühle und einem frühen Arbeitsende, weil sich direkt eine Eigentümerversammlung anschloss, die ebenfalls erfreulich kurz und diskussionsarm verlief. Mehr gibt es über den Tag nicht zu berichten, das muss nicht schlecht sein.

Dienstag: Es ist weiterhin kühl, aber trocken. Bei angenehmem Jackenwetter ging ich zu Fuß ins Werk und zurück. Gedanke auf dem Rückweg: Kann es sein, dass das durchschnittliche Alter der Kinder, die von ihren Eltern im Kinderwagen durch die Gegend kutschiert werden, kontinuierlich ansteigt? Vielleicht lassen sich demnächst auch Sechzehnjährige derart chauffieren. Immerhin können sie dann, wenn sie ein Bedürfnis drückt wie Hunger, Kotreiz oder auf den Arm, per Smartphone Kontakt aufnehmen mit dem displaystarrenden, ohrstöpselbewehrten Elternteil.

Mein Kollege, der mich offenbar gut kennt, überreichte mir einen Artikel aus dem ZEIT-Magazin, in dem der Autor Jörg Burger ein Plädoyer auf das Feierabendbier hält. Daraus sei zitiert:

Modisch zeitgemäß wäre es, wenn ich einen rötlich sprudelnden Drink bestellen würde […] Ich trinke allerdings: ein Feierabendbier. […] Seit die Arbeit ein Teil des guten Lebens sein soll und nichts, für das man sich eben zusammenreißt, weshalb man sich abends wieder locker machen kann, gibt es nicht mehr viel zu feiern. […] Wer heute bei der Arbeit digitalen Ablenkungen widerstanden und nicht getrödelt hat, der ist beim ersten Schluck, das kühle beschlagene Glas in der Hand, den Schaum des frisch Gezapften auf der Oberlippe: ein zufriedener Mensch. […] Um 18 Uhr reicht eins. Aber noch eins ist meistens auch nicht falsch. […] Heute finden die Experten, das Leben sollte risikolos sein: null Alkohol. Aber wird es dadurch besser?

Ich fühle mich verstanden und inspiriert, daher verband ich einen Einkaufsauftrag am frühen, wieder sonnigen Abend sogleich mit dem Besuch einer Gaststätte in der Altstadt, wo draußen zufällig ein Tisch frei war. Ich trank nur eins und war sehr zufrieden.

Weg ins Werk

Mittwoch: „Netanjahu schlägt Trump für den Friedensnobelpreis vor“, steht in der Zeitung. Manchmal ist es zu wahr, um schön zu sein oder, wie Dieter Nuhr sagte: Was soll man da als Satiriker noch machen?

Gunkl schrieb: „Ein Diszept ist eine lose Sammlung miteinander unvereinbarer, gleichwohl nicht zutreffender und schon gedanklich hochgradig schleißig ausformulierter Annahmen. Kommt häufiger vor, als es die Seltenheit des Begriffes vermuten läßt.“ Das kann ich bestätigen, wobei mir das Wort „schleißig“ bis heute unbekannt war, aber man kann ja nun wirklich nicht alle Wörter kennen. Laut Duden bedeutet es verschlissen, abgenutzt.

Donnerstag: Kühle und Regen vom Wochenbeginn haben sich verzogen, perfektes Wanderwetter, zufällig an meinem freien Inseltag. Und also wanderte ich: die sechste Etappe des Natursteig Sieg, namentlich eine Runde um Herchen. Klingt harmlos, doch die Strecke hat es in sich. Sie führt überwiegend durch Wälder, teils auf bequem begehbaren breiten Wegen, lange Strecken aber auch über schmale Pfade, teils hart am Abhang, mit zahlreichen Stolperstellen, man muss ein wenig aufpassen. Es empfiehlt sich, einen Wanderstock zu benutzen. Kürzlich schaute ich mal in einem Sportfachgeschäft danach, man zahlt viel Geld dafür. Wesentlich günstiger ist die Variante, für die ich mich entschied: einen der zahlreich am Boden herumliegenden Äste aufheben, geht auch. In meiner ostwestfälischen Kindheit hieß die Mehrzahl von Stock übrigens „Stöcker“, ausgesprochen „Stöcka“. Nun wissen Sie das auch.

Insgesamt war es anstrengend, aber auch wieder beglückend. Zwänge man mich, etwas negatives zu nennen, dann die hier und da etwas liederliche Wegmarkierung, nach der ich mich lieber orientiere anstatt andauernd das Datengerät zu zücken. So verpasste ich manche Abzweigung und musste jeweils ein Stück zurück gehen. Andererseits, wer darin unnötig gelaufene Meter sieht, hat das Prinzip Wandern nicht verstanden.

Die Bahn war heute sowohl hin als auch zurück erfreulich pünktlich, wobei schon die Anreise durch das Siegtal erste Glücksgefühle erzeugt; ich empfehle dringend, aus dem Fenster statt auf das Telefon zu schauen. Bei einem Halt sah ich auf dem gegenüberliegenden Bahnsteig einen Arbeiter (darf man das noch schreiben?), der ohne jede erkennbare Hast ein paar Staubkrümel erst nach links fegte, dann nach rechts. Das wiederholte er mehrmals mit großer Sorgfalt, schließlich kehrte er sie in die davor liegende, mit einem Rost bedeckte Abflussrinne. Vermutlich fühlte er sich unbeobachtet. Ich musste grinsen.

Bilder des Tages:

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Mahnmal an seltsame Zeiten
Die Sieg bei Stromberg
O Täler weit, o Höhen
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Deutschlandpilz
Für Lotte
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Moosansicht
Nie zuvor sah ich so viele wilde Himbeeren am Wegesrand
Verdient, bitte denken Sie sich dazu Currywurst an Pommes

Freitag: Vielleicht war es eine Nachwirkung gestriger Anstrengungen, jedenfalls befand ich mich heute in seltsamer Stimmung. Namentlich fühlte ich mich gestört von Verhaltensweisen anderer: ein quer auf dem Gehweg abgestellter Elektoroller; schon morgens öffentlich telefonierende Menschen und andere, die langsam vor mir her gingen und dabei aufs Telefon schauten; (obwohl ich selbst zu Fuß ging) Läufer auf dem Radweg und Radfahrer, die ohne zu schauen auf den Radweg einbiegen, sich während des Fahrens schnäuzen, indem sie sich ein Nasenloch zuhalten und den Rotz aus dem anderen heraussprühen oder mit irritierender Selbstverständlichkeit aus einer lärmenden Dose die Umgebung mit zweifelhafter Musik beschallen; hupende Autos und solche, die noch bei rot über die Kreuzung brausen sowie weitere Regelverstöße, die mich weder persönlich beeinträchtigten noch mir etwas nahmen. Ich möchte das nicht, ich möchte nicht, dass mich derlei zu stören vermag. Wenn sich das festsetzt, werde ich womöglich irgendwann zum misanthropischen Mopperer, der Leserbriefe schreibt, die Nachbarin wegen des lauten Wellensittichs verklagt und Falschparker aufschreibt, das kann man ja nun wirklich nicht sein wollen. Und vielleicht nehmen andere an mir genauso Anstoß, wenn ich wie üblich die rote Fußgängerampel ignoriere, was bei neutraler Betrachtung auch nicht besser ist.

Der Maileingang war nach einem Tag Abwesenheit ungewöhnlich umfangreich. Darunter Imponderabilien, die sich im Laufe des gestrigen Tages von selbst erledigt haben. Was ein weiteres Mal belegt: Es ist selten ratsam, Dinge sofort anzugehen.

Auf dem Rückweg passierte ich in der Innenstadt eine Gruppe Greenpeace-Aktivisten, die das Gespräch suchten, siehe auch meine Anmerkungen dazu in der vergangenen Woche. Anscheinend konnten sie schon meinen Blick dahingehend deuten, dass eine Ansprache sinnlos war, jedenfalls versuchten sie gar nicht erst, mich anzuquatschen.

Nach der Arbeit war ich beim Friseur, der sein Handwerk wie immer sehr zufriedenstellend und vor allem schweigend vollzog, schon letzteres ist Grund genug für ein angemessenes Trinkgeld.

Manchmal ist das Leben voller Rätsel

Samstag: Die schönsten Wochenenden sind zumeist die ohne Termin im Kalender, wie dieses. Das heißt nicht, dass wir nichts machten. So wie man laut Paul Watzlawick nicht nicht kommunizieren kann, kann man auch nicht nichts machen; selbst wenn man nur auf dem Sofa sitzt und die Tapete anschaut, macht man was. Heute früh beim ersten Toilettengang fielen mir zu diesem Thema kluge Sätze ein, die ich hier ins Blog schreiben wollte, leider war ich da noch zu schläfrig und bequem, sie zu notieren, nun sind sie größtenteils verschwunden. Nur das mit Watzlawick habe ich mir gemerkt, immerhin.

Der große Telekommunikationsanbieter, früher bekannt als Deutsche Bundespost – Fernmeldedienst, feiert an diesem Wochenende sein dreißigjähriges Bestehen. Die Innenstadt sowie das gegenüberliegende Beueler Rheinufer sind dekoriert in Magenta, auf dem Münsterplatz drängeln sich die Menschen, von einer Bühne dröhnt Livemusik, an zahlreichen Ständen stehen sie Schlange, wodurch ich augenblicklich das Interesse daran verlor, zu erfahren wofür sie anstehen. Als ich noch beruflich damit zu tun hatte, standen sie einmal im Monat bei mir Schlange, um ihre Telefonrechnung zu bezahlen, und zweimal im Jahr für das neue Telefonbuch. Mir war das zu voll und zu laut, deshalb zog ich es vor, etwas abseits davon ein Getränk zu mir zu nehmen und dem Treiben zuzuschauen.

Autsch

„Temu greift mit Tütensuppen an“, steht in der Zeitung. Auch das noch.

Zeit für die nächste Frage:

..

Frage Nr. 533 lautet: „Würdest du etwas stehlen, wenn du nicht dafür bestraft würdest?“ Nein, jedenfalls nichts, was man auch käuflich erwerben kann. Was anderes auch nicht, jedenfalls fällt mir spontan nichts ein. Gut, das Bahnhofsschild aus Aerzen, das an der Wand über der Modelleisenbahn hängt, ist streng genommen gestohlen; da die Strecke zu dem Zeitpunkt bereits stillgelegt war, würde ich es eher als „weggefunden“ bezeichnen, es wäre sonst vermutlich im Schrott gelandet. Im übrigen ist das eine seltsame Frage. Ist es noch Diebstahl, wenn im Erwischensfalle keine Strafe droht?

Abends gingen meine Lieben und ich rüber ans andere Rheinufer, um uns zusammen mit einigen tausend Anderen die Drohnenshow anzuschauen, die die Telekom zu ihrem Jubiläum bot. Zunächst war ich skeptisch, weil ich große Menschenansammlungen nicht mag, doch es war sehr entspannt und ungedrängt. Es hat sich gelohnt, ich fand es äußerst faszinierend, wie viel Freude siebenhundert Drohnen verbreiten können, wenn sie friedlich eingesetzt werden. Auch wenn der Stromverbrauch der dahinter stehenden Rechenleistung womöglich dem Tagesbedarf einer mittleren Kleinstadt entspricht.

Gehörte Erkenntnis: „Was der Rhein doch groß ist. Um auf die andere Seite zu kommen, brauchste ne Brücke.“

Herkunft
Kirschblüte
Vielfalt – leider jetzt nicht mehr überall
Ich danke auch – es war großartig

Sonntag: Aus der Sonntagszeitung: „Wer jemals versucht hat, einen halben Meter Baguette mit nach Hause zu nehmen, weiß, dass der Transport der überbordend langen Gebäckstangen schnell zum logistischen Desaster werden kann.“ Dagegen gibt es nun Abhilfe:

(FAS)

Immer wieder schön, wenn Probleme gelöst werden, die es gar nicht gibt.

Ein solches sind auch graue Haare, die sich mit zunehmendem Alter bilden. Eigentlich wollte ich es nicht mehr tun, doch das Zeug war ohne mich zu fragen schon gekauft. Nach massivem sozialen Druck meiner Lieben musste ich sie heute nochmals färben. Das Ergebnis ist nicht schlecht, aber doch gewöhnungsbedürftig, sie sind nun deutlich dunkler als zuvor. Wenn wir uns das nächste Mal begegnen, sind Sie also schon mal vorgewarnt. Das war ganz sicher das letzte Mal.

Spaziergangsbild vom nicht mehr ganz so großen Rhein

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Vielen Dank für die Aufmerksamkeit, kommen Sie gut durch die Woche.

*Urheber: der Geliebte

Redaktionsschluss: 18:30 Uhr

Woche 21/2025: Gequälte Ukulelen und liederliche Zeichensetzung

Montag: Wochentagsübliche Müdig- und Antriebslosigkeit lagen über dem Arbeitstag. Dazu mehrere Besprechungen, deren Anzahl und Länge in keinem vertretbaren Verhältnis zu meinem Redebedarf standen. Auch mein Interesse am Besprochenen ließ zu wünschen übrig, immer wieder schweifte ich gedanklich ab und verwünschte stumm die endlosen Wortgirlanden.

Mittags wurde anlässlich eines erfolgreichen Projektabschlusses Pizza spendiert. Obwohl mein Beitrag zum Gelingen nahe Null lag, war ich zum Mitessen eingeladen. Dafür entfielen der Gang in die Kantine und der Treppensteig zurück. Man kann nicht alles haben.

Aus Datenschutzhinweisen: „Deine Teilnahme an der Befragung ist freiwillig. […] Klicken Sie hier für weitere Details.“ Derartige Liederlichkeiten beobachte ich zunehmend, anscheinend werden Texte vor Veröffentlichung nicht mehr durchgelesen, vielleicht schlägt auch hier der allgemein beklagte Personalmangel zu. Vielleicht bin ich auch zu empfindlich geworden.

Dienstag: Da die Wetterprognose Anzugwetter in Aussicht gestellt hatte, wählte ich nach langer Zeit, nach Monaten, vielleicht Jahren, morgens den Anzug als Arbeitskleidung, den letzten und einzigen, den ich nach der letzten großen Kleiderschrankbereinigung noch besitze, der nach vielen Jahren immer noch passt und den ich weiterhin liebe, sofern dieses Verb bezüglich Textilien und außerhalb fetischistischer Veranlagung angebracht ist, Sie wissen schon, wie es gemeint ist. Im Werk fällt man als Anzugträger inzwischen auf, die Kleiderordnung hat sich seit der Seuche stark gewandelt, was nicht zu beklagen ist, vor allem den früher üblichen und erwarteten Krawatten trauere ich kein bisschen nach. Jedenfalls fühlte ich mich im Anzug wieder sehr wohl und nahm mir baldige Wiederholung vor.

Regelmäßig amüsieren mich Autofahrer, die vor der roten Ampel warten und irgendwann, wenn die Geduld knapp wird, mehrfach einige Zentimeter vorfahren in der Hoffnung, die Ampel dadurch zum Ergrünen zu bewegen. Ähnliches widerfuhr mir morgens vor einer Fußgängerampel, die wegen starken Autoverkehrs besser nicht missachtet werden sollte. Die blieb heute ungewöhnlich lange rot. Irgendwann ging ich einen Schritt vor, um zu schauen, ob sich vielleicht doch eine Verkehrslücke für mich ergab. In dem Moment schaltete sie für den Straßenverkehr auf rot und ließ mich passieren. Es scheint doch zu funktionieren.

Wie epubli per Mail mitteilte, hat im April jemand mein Buch gekauft. Ich danke herzlich und wünsche viel Vergnügen damit.

Weg ins Werk

Mittwoch: Nach einem Tag voller Ereignisse, deren keines hier der Notiz bedarf, verbrachte ich den Abend bei einer Lesung im Pantheon in Beuel, was sich mit einem längeren Abendspaziergang verbinden ließ; ich bin ja der Meinung, jede Strecke bis zu vier Kilometern sollte man, wenn man Zeit hat, zu Fuß zurücklegen. Ich schweife ab. Es lasen: Horst Evers, Dietmar Wischmeyer, Lara Ermer, Philipp Scharrenberg und Nektarios Vlachopoulos.

Horst Evers kenne ich als Autor mehrerer Bücher, er schreibt so ähnliches Zeug wie ich, nur in gut; Dietmar Wischmeyer aus dem Radio in den Neunzigern und dem Fernsehen in der heute-Show; die drei anderen kannte ich bislang nicht. Es war großartig, ich habe im wahrsten Sinne Tränen gelacht. Am besten gefielen mir die Texte des Gastgebers Horst Evers und die von Dieter Wischmeyer; die anderen drei waren indes auch gut. Satz des Abends, von Evers: „Wenn Männer Ukulelen quälen / soll man Makrelen nicht bestellen.“ Wenn Herr Evers mit seinen Freunden oder allein mal in Ihre Stadt kommen sollte, gehen Sie hin, es lohnt sich. Oder hören Sie am 30. Mai im Radio auf WDR 5 die „Unterhaltung am Wochenende“, dafür wurde der heutige Abend aufgezeichnet. Wenn Sie genau hinhören, hören Sie mich vielleicht lachen.

Wegen der fortgeschrittenen Zeit fuhr ich, vermutlich immer noch mit einem Lächeln im Gesicht, anschließend mit dem Bus zurück, der sogleich kam. Ein Lob dem vielgescholtenen Bonner ÖPNV. Auch wenn es mir fragwürdig erscheint, wenn in den späteren Abendstunden ein Gelenkbus viel Luft und mit mir drei Personen durch die Gegend fährt.

Die Herren Evers, Wischmeyer und Scharrenberg (von links)

Donnerstag: Inseltag. Entgegen den Forderungen von Herrn Merz hatte ich heute zur Pflege der Wörkleifbellenz frei. Nachdem ich zur werktagsüblichen Zeit dem Tuche entstiegen war, nutzte ich den Tag für einer Wanderung, und zwar die fünfte Etappe des Natursteigs Sieg von Eitorf bis Herchen. Das war hinreichend beglückend, auch wenn das Wetter sich wechselhaft zeigte, mit einem kurzen Regenschauer gar. Nach viereinhalb Stunden erreichte ich den Zielort Herchen. Wer nun glaubt, es sei geschafft, irrt; die letzten drei Kilometer haben es in sich, mit schmalen Pfaden hart am Abgrund, heftigen Steigungen und Gefällen und mehreren Stellen, an denen der Wanderer aufpassen muss, nicht abzurutschen oder umzuknicken, auch die Wegmarkierung weist an mancher Abzweigung Mängel auf, gleichsam eine liederliche Zeichensetzung. Dafür belohnt die Strecke mit wunderbaren Eindrücken. Vielleicht sollte ich mir einen Wanderstock zulegen.

Erst eine Stunde später erreichte ich endlich den Bahnhaltepunkt von Herchen, wo ich wegen leichter Verspätung des Regionalexpress‘ diesen noch erreichte. Perfekt. Bis Hennef an der Sieg, dort endete die Perfektion: Wegen eines Böschungsbrandes vor Siegburg ging es nicht weiter. Mir war es egal, ich hatte Lesestoff dabei und für die anschließende Belohnungscurrywurst wäre auch noch genug Zeit gewesen. Nachdem die Streckensperrung auch eine halbe Stunde später noch bestand, wurde entschieden, den Zug zurück nach Siegen fahren zu lassen, ich nahm den Bus bis Siegburg, der entsprechend voll war und wesentlich länger brauchte als die Bahn, wenn sie denn fährt.

Sichtung während der Busfahrt: Ein Hennefer Hotel bietet an jedem ersten Samstag im Monat einen „Probe-Day“ an.

Die Currywurst gab es dann auch noch, etwa eine Stunde später als ohne Böschungsbrand. Das war nicht schlimm.

Bei Eitorf
Das auch, glaube ich
Gerste
Für die Sammlung
Fichtenfinale
Ginster. Auch schön.
Wegesrandbirke
Vor Herchen
Schmaler Pfad kurz vor Schluss

Freitag: Der Arbeitstag verlief zufriedenstellend ohne größere Störungen der Büroruhe, sieht man von einigen Teams-Besprechungen ab. Auch in unserem Unternehmen setzt es sich zunehmend durch, dabei die Kamera einzuschalten, als wenn es irgendeinen Vorteil hätte, wenn man dabei gesehen wird und die anderen sehen kann bzw. muss. Ich finde das anstrengend und könnte gut darauf verzichten. Bei größeren Runden schalte ich meine Kamera deshalb nur an, wenn ich das Wort habe. Merkt keiner.

Auch nach mehr als zwanzig Jahren Arbeiten im Turm amüsieren mich immer noch die zwanghaften Aufzugtürzuknopfdrücker, einst hier beschrieben. Als hinge ihr Leben davon ab. Mittlerweile mache ich mir, wenn ich als erster die Kabine betrete, den Spaß, mich direkt an den Knopf zu stellen, so nah, dass ihn keiner drücken kann, und genieße es, wie sie bei offener Tür nervös werden.

Nachmittags befiel mich jäh Schokoladenlust. Zur Linderung schlachtete ich den Lind-Osterhasen (oder Sitzhasen?), der noch in der Schreibtischschublade seiner Bestimmung entgegenlag.

Kurt Kister schreibt in seiner Wochenkolumne „Deutscher Alltag“ wieder Kluges:

Die Diskriminierung des Faxgeräts als Symbol für die Unmoderne ist ein Merkmal mancher leicht autoritär gesinnter Scheuklappenfortschrittler.

(Zum Gesamttext hier entlang.)

Samstag: War es der Ostersitzhase? Morgens zeigte die Waage zwei Kilo mehr an als eine Woche zuvor. Vielleicht lag es auch am leicht erhöhten Bierkonsum in dieser Woche bei mannigfachen Gelegenheiten: Feierabend-Maibock am Dienstag, Lesungsbegleitgetränke am Mittwoch, Wanderungsbelohnungsbier zur Currywurst am Donnerstag und Wirtshausbesuch mit den Lieben gestern. Non, je ne regrette rien.

Zeit für eine weitere der tausend Fragen, heute Nummer *Trommelwirbel* …

(Fotografiert beim Wandern am Donnerstag)

Frage 69 lautet: „Gibst du Menschen eine zweite Chance?“ Das kommt sehr auf den Anlass an. Wenn mir jemand etwas Unverzeihliches antun würde, etwa mutwillig meine Modelleisenbahn beschädigt, wird es schwierig. Ansonsten neige ich zur Harmoniesucht, deshalb grundsätzlich ja. Donald Trump hätte ich nicht wiedergewählt.

Zusammenhangloses Spaziergangsbild

Sonntag: Der Spaziergang führte heute über unübliche Wege durch den Stadtteil Beuel auf der anderen Rheinseite, mit fast elf Kilometern fiel er etwas länger aus. Das Wetter zeigte sich auch heute wechselhaft mit Sonnenschein und Regenschauer, insgesamt war es wesentlich wärmer als erwartet.

Durch eine glückliche Fügung fiel der Regenschauer in einem passenden Moment, als ich unter Dach saß

Wie mir erst jetzt zugetragen wurde, ist der Pornostar Tim Kruger gestorben, bereits im März. Ich kannte ihn nicht, weder persönlich noch vom Ansehen. Da sogar der Focus darüber berichtete und es einen eigenen Wikipedia-Eintrag über ihn gibt, muss er über eine gewisse Prominenz verfügt haben, bemerkenswert für einen Angehörigen dieses Genres. Was bitte nicht despektierlich zu verstehen ist, ich habe volle Hochachtung vor dem Berufsstand und kann nichts Anrüchiges daran erkennen, jedenfalls nicht mehr als an der Werbebranche oder dem Profifußball. Mann muss stets Können können, sonst nützt die beste Schauspielkunst nichts.

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Vielen Dank für die Aufmerksamkeit, kommen Sie gut durch die Woche.

Woche 15/2025: Ist doch nicht so schlimm

Montag: Bereits um viertel vor fünf in der Frühe verließ der Liebste das Tuch, da er geschäftlich bis Freitag nach Spanien reisten musste oder durfte, je nach Betrachtungsweise. Nachdem die Wohnungstür ins Schloss gefallen war, konnte ich nicht mehr einschlafen. Stattdessen, wie stets bei solchen Gelegenheiten, malte ich mir aus, was nun alles schiefgehen könnte: Stadtbahnstörung zwischen Bonn und Siegburg, Zugausfall oder wenigstens Verspätung bis zum Flughafen Frankfurt, Bombendrohung, Meteoriteneinschlag. Ich kann da leider nicht aus meiner Haut, mit zunehmendem Alter wird das immer schlimmer, wohingegen der Liebste bei sowas gelassen bleibt. Zu recht: Alles lief zur Zufriedenheit, zur vorgesehenen Zeit kam er am Ziel an.

Mein Tag verlief in montagsüblicher Unlust. Nach dem Mittagessen wünschte ich mir sehnlichst einen Mittagsschlaf, leider ist derlei in unserer Unternehmenskultur nicht vorgesehen und ich habe wenig Hoffnung, dass sich daran bis zu meiner Zurruhesetzung (ist das nicht ein wunderbares Wort?) noch Wesentliches ändern wird. Apropos Mittagessen: Fragte man mich nach meiner Lieblingsspeise, stünde Entenbrust mit Orangensoße weit oben auf der Liste. Genau die gab es heute in der Kantine. Doch war deren Launenhebungsfaktor gering: Die beigelegten Kartoffeln waren teilweise matschig, das Selleriepurree schmeckte seltsam; immerhin war das Fleisch akzeptabel.

Im Rahmen der Gesundheitswochen sind die Mitarbeiter aufgerufen, öfter die Treppe statt Aufzug zu nutzen. Als Challenge kann man sich in ein Portal eintragen und die täglich gestiegenen Stufen angeben. Einen Aufruf, eine Challenge gar brauche ich nicht: Seit Beginn des Jahres gehe ich konsequent jeden Mittag 487 Stufen hoch, ein wenig staune ich selbst darüber. Auch heute Mittag sah ich niemanden im Treppenhaus, vermutlich ist der Aufruf noch nicht überall vernommen worden.

Dienstag: Nach Ankunft im Büro und Hochfahren des Rechners fuhr die Laune ein wenig runter, als ich die Diskrepanz zwischen besprechungsvollem Kalender und der Aufgabenliste für heute bemerkte. Ich schaffte dann doch einiges weg, weil manche Termine früher endeten und einige Aufgaben weniger Zeit in Anspruch nahmen als angenommen.

Mittags aß ich ein Schupfnudelgericht mit wesentlich größerem Genuss als die Ente gestern. Vielleicht werde ich auf meine alten Tage noch zum Vegetarier, wer weiß.

Dienstags und donnerstags gehe ich grundsätzlich zu Fuß ins Werk und zurück, so auch heute. Was ich dabei überhaupt nicht gebrauchen könnte wäre eine Begleitung mit Gesprächsbedarf, vor allem nicht morgens. Manchmal kommt mir Kollege C. bei seinem Morgenlauf entgegen, wir grüßen uns dann mit einem knappen „Morgen“, das ist schon das Äußerste, was ich auf dem Weg zu reden bereit bin. Auf dem Rückweg heute sah ich auf der Rheinpromenade ungefähr dreißig Meter vor mir jemanden gehen, der möglicherweise ein Kollege war. Ein netter, angenehmer Kollege, mit dem ich gerne einen Plausch halte. Nur eben nicht während des Rückwegs, zumal ich dann GenZ-Ohrstöpsel eingesteckt habe, aus denen GenX-Musik kommt. Also verlangsamte ich meine Schritte. Doch es gelingt mir nicht, beim Gehen eine gewisse Mindestgeschwindigkeit zu unterschreiten, der Abstand zum Vielleicht-Kollegen verringerte sich. Mir blieb nichts anderes übrig, als auf einer freien Bank am Wegesrand Platz zu nehmen und einen Blogartikel zu lesen. Danach war der Abstand groß genug, um ohne Gesprächsgefahr den Weg fortzusetzen. Man schafft sich aber auch manchmal Probleme.

Weg ins Werk, ungestört

Mittwoch: Der Geliebte hat beim Discounter T-Shirts zu einem fragwürdig günstigen Preis erstanden, laut Kennzeichnung gleichwohl fair hergestellt. „Die dürfen sie ja nichtmal hauen“ sagt er. Es hat das Prinzip fair offenbar verstanden.

Gefreut habe ich mich über eine Postkarte, die im Briefkasten lag, und deren Beantwortung ich abends sogleich in Angriff nahm. Was du heute kannst besorgen und so.

Donnerstag: Heute war Inseltag, das heißt ich hatte frei. Anstatt zu wandern, wofür das Wetter bestens gewesen wäre, trocken und nicht so warm, fuhr ich mit der Bahn nach Dortmund, wo ich die Intermodellbau-Messe besuchte, um das Modelleisenbahnerherz zu erfreuen.

Die große Bahn bot das gewohnte Bild, auf dem Hinweg mit Verspätung im Rahmen der Erwartung, zurück etwas mehr. Als unser Regionalexpress mit bereits zwanzigminütiger Verspätung am Düsseldorfer Flughafen wegen der Überholung durch zwei Fernzüge warten mussten, ließ der Triebfahrzeugführer per mehrminütiger Durchsage seinen Frust über die zuständigen Entscheider raus. Fast war ich versucht, nach vorne zu gehen, ihm über den Kopf zu streichen und zu sagen: Ist doch nicht so schlimm.

Wegen Bauarbeiten wurden wir umgeleitet über Gelsenkirchen, Wanne-Eickel, Herne und Castrop-Rauxel, nur in Herne wurde gehalten. Wieder wurde deutlich: Das Ruhrgebiet ist wesentlich grüner als man es erwartet, wenn man es nur aus dem Erdkunde-Unterricht kennt. Außerdem sah ich während der Fahrt zu blühen beginnende Rapsfelder, jedes Jahr wieder ein beglückender Anblick.

Die Messe war gut besucht, in den von mir aufgesuchten Hallen überwiegend von alten Männern, nicht wenige noch älter als ich. Zum letzten Mal war ich vor Corona dort gewesen, somit vor sechs Jahren, ist es denn wahr. Interessant war es auch wieder, wenngleich ich da nicht jedes Jahr hin muss. Sechs Jahre muss es indes auch nicht wieder dauern.

Nicht Castrop-Rauxel sondern Frankreich
Harz

Freitag: „Änderungen sind spannend verpackte Chancen“ las ich wo und musste mich schütteln, vor allem wegen des mittleren Wortes. Sonst auch.

Am frühen Abend kehrte der Liebste aus Spanien zurück. Neben Wurstspezialitäten für die nächsten Wochen brachte er einiges zu erzählen mit, deshalb fällt der Beitrag für heute kurz aus.

Samstag: Nicht nur Post verbindet, wie in den Achtzigern ein Werbespruch der Bundespost lautete, sondern auch Bloggen. So traf ich heute den geschätzten Mitblogger T. wieder, der uns als Schreiblehrling regelmäßig mit seinen Texten erfreut. Wir kennen uns schon sehr lange, kennengelernt haben wir uns vor Jahren bei einem Twittertreffen; so etwas gab es damals, als Twitter noch jung und schön war und niemand ahnte, welch unheilvolle Entwicklung es mal nehmen würde. Nachdem ich mich dort verabschiedet hatte, blieben wir über das Bloggen und unregelmäßigen Briefaustausch in Verbindung, zuletzt gesehen hatten wir uns vor (vermutlich) dreizehn Jahren. Daher erschien ein Treffen längst überfällig. Wie bei einem Date hatten wir uns am Beethovendenkmal auf dem Münsterplatz verabredet, wo wir uns sofort wiedererkannten, das ist nach so langer Zeit nicht selbstverständlich und spricht für einen zufriedenstellenden Erhaltungszustand auf beiden Seiten. Die folgenden Stunden in einem Café vergingen schnell, es war sehr angenehm und unterhaltsam. Deshalb wollen wir das wiederholen, möglichst nicht erst wieder in dreizehn Jahren.

Durch T. wurde ich auf einen Trend aufmerksam, der bislang völlig an mir vorbeigegangen ist: Zimtschnecken. In der Fußgängerzone gibt es ein Geschäft, das ausschließlich diese anbietet in unterschiedlichsten Farben und Varianten. Warum auch nicht. Ansonsten sind bei frühsommerlichem Wetter Innen- und Innere Nordstadt, wo weiterhin die Zierkirschen vor sich hinblühen, voller Menschen, vor den Eisdielen lange Schlangen. Wir sind uns einig, etwas, wofür man lange anstehen muss, nicht unbedingt haben zu müssen.

Sonntag: Gegen Mittag ging der erste leichte Regenschauer herab, dem im Laufe des Nachmittags weitere folgten. Die Zierkirschen in der Inneren Nordstadt und anderswo haben begonnen, die Blütenblätter abzuwerfen. Dafür übernehmen nun Flieder und Blauregen, auch erste Kastanien zieren sich mit Blütendolden. Ansonsten ein angenehm ruhiger Sonntag mit Ausschlafen, Frühstück, Zeitungslektürezeit und Spaziergang.

Purpurrot
Wenn ich das wüsste
Lindengrün in der Lessingstraße, Südstadt

Zum guten Schluss: Erfreulich in dieser Woche waren die beginnende Raps-/Flieder-/Kastanienblüte, ein Wiedersehen und Spazierzeit.

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Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche und, wenn wir uns vorher nicht mehr sehen oder lesen, jetzt schon schöne Ostertage.