Woche 32/2025: Was so geschrieben und gesagt wird

Montag: „Zähle 30 Dinge auf, die dich glücklich machen“ lautet der Vorschlag des Tages hier in der Wörterpresse. Das ist schnell getan: Die dreißig arbeitsvertraglich festgelegten Urlaubstage im Jahr machen mich ziemlich glücklich, jeder einzelne davon. In vier Wochen die nächsten elf. Nicht minder lieb sind mir die freien Inseltage jeden zweiten Donnerstag. Wie der kommende.

Dienstag: Der dienstagsübliche Fußweg ins Werk fiel ins Wasser wegen Regens, zurück ging es auf trockenem Weg.

In einer langen Besprechung am Nachmittag sagte einer in etwa jedem vierten Satz „am Ende des Tages“, wie so oft übertrug es sich im Laufe des Gesprächs wie ein Verbalvirus auf weitere Teilnehmer.

Auch ins Wasser gefallen

Nicht am Ende des Tages, doch kurz davor trafen wir uns im kollegialen Rahmen im Biergarten. Aus der ursprünglich geplanten Dreierrunde wurden elf, wie immer öfter in letzter Zeit war ich der Älteste. Ich fand es anstrengend, es wurde viel geschäftliches gesprochen mit der für die Altersgruppe Mitte zwanzig bis Ende dreißig typischen Wortwahl wie „Die Pommes sind krass crunchy“ und „Der Salat ist echt nice„. Zunehmend erschwert nicht nur mein nachlassendes Gehör die Teilnahme an solchen Unterhaltungen, sondern auch meine lückenhaften Englischkenntnisse. Als sie begannen, sich damit zu brüsten, wieviel Zeit man im Büro verbringt („Stell dir vor, jedes Mal würde einer ’ne Pizza ausgeben, nur weil man nach 22 Uhr noch da ist“) wurde es Zeit für mich, zu gehen. Die Runde zu dritt wäre mir lieber gewesen. Wie bereits vergangene Woche sei nochmals Ernst Jandl zitiert: „das stück, darin / ich keine Rolle spiele / ist meines.“ „/ nicht mehr“, wäre zu ergänzen.

Mittwoch: Ein weiterer Grund, weshalb ich es gestern Abend bei zwei Bieren beließ, war der heute Morgen anstehende Zahnarztbesuch zur Kontrolle und Reinigung, da will man nicht mit einer Fahne herumdünsten, auch sonst sind Arbeitstage unter Restalkohol erfahrungsgemäß wenig erfreulich. Nachdem alles zur beiderseitigen Zufriedenheit kontrolliert und gereinigt war, radelte ich jackenlos durch noch deutliche Morgenkühle zum Turm.

Vormittags hatte ich anlässlich einer überraschenden Übung meinen ersten Einsatz als Brandschutzhelfer. Als das Alarmsignal ertönte, zog ich die bereithängende Warnweste über und setzte einen wichtigen Gesichtsausdruck auf, mit dem ich im mir zugewiesenen Gebäudeabschnitt von Büro zu Büro ging, um die Kollegen aus dem Gebäude zu scheuchen. Die gingen allerdings freiwillig, so dass keine scharfe Ansprache oder Gewaltanwendung meinerseits erforderlich war. Schließlich meldete ich telefonisch die Etage als geräumt, dann verließ ich selbst durch das Treppenhaus den Turm. Der nächste Brand kann kommen, muss aber nicht.

Donnerstag: Falls Sie in der Inneren Nordstadt in Bonn wohnen und morgens jemanden etwas schräg, dafür einigermaßen textsicher „Unchained Melody“ singen hörten, das war ich. Während des Brausebades kam es im Radio, der Mitgesang war ununterdrückbar.

Wie am Montag bereits angedeutet, hatte ich heute frei. Wie üblich nutzte ich den Tag für eine Wanderung. Da Wärme angekündigt war, wählte ich eine nicht zu lange, möglichst bewaldete Route ohne stärkere Steigungen: einen Rundweg durch die Ville ab dem Bahnhof Erftstadt entlang mehrerer Seen, die durch Braunkohle-Tagebau im 19. und 20. Jahrhundert entstanden sind; ich habe das kurz für Sie recherchiert, nicht dass es heißt, hier lerne man nichts. Diese Route hatte mir vor einiger Zeit die Nachbarin empfohlen; vielen Dank, liebe M., eine gute Empfehlung, es war sehr schön. Kurz vor dem Ziel bog ich an einer Stelle falsch ab, wodurch eine Extraschleife zu gehen war. Das war nicht schlimm, auch wenn ich dadurch eine Teilstrecke zweimal ging.

Wie schön es war, können Sie hier sehen:

Dschungelartige Vegetation
Obersee
Untersee
Uferweg am Untersee
Mittagessen mit Blick auf den Heider Bergsee
Namenloser Tümpel am Wegesrand mit Bewohnern
Karauschenweiher

Nach Rückkehr in Bonn, Sie ahnen es, folgte eine Stärkung durch Currywurst und Bier. Bei dieser Gelegenheit herzliche Grüße an Leser Christian K., der mich angeschrieben hatte, um Nähres über das Bonner Currywurstangebot zu erfahren. Als Kleinblogger freut es mich immer sehr, wenn Geschriebenes Anerkennung und Rückmeldung erfährt.

Freitag: Nach den vorgenannten Annehmlichkeiten eines Inseltages noch einmal zurück in die Bürosphäre, ehe das Wochenende anbricht. Eine Kollegin lässt mich per Mail wissen, dass sie mich „fyi reingeloopt“ hat. Was so geschrieben und gesagt wird, wenn es bisi wirken soll.

In einer Besprechung gehört und notiert: „Ich habe keine Meldung erhalten, dass etwas unrund läuft, anscheinend läuft alles geradeaus.“ Ja wie denn nun?

Ansonsten war es ein angenehmer, nicht zu langer Arbeitstag, was überleitet zur Rubrik „Was schön war“:

Nach Rückkehr vom Werk standen Kaffee und Kuchen auf dem Balkontisch bereit. Ich kam gerade rechtzeitig an, bevor meine Lieben alles aufgefuttert hatten. Danach war ich beim Friseur, jetzt habe ich wieder die Haare schön. Nach der (wirklich!) letzten Färbung ergrauen auch die Schläfen langsam wieder.

Schön auch der folgende Satz eines Mädchens zu seiner Begleiterin vor dem Schaufenster eines Bekleidungsgeschäfts, gehört auf dem Weg zur (ebenfalls schönen) Abendgastronomie: „Alter, kuck mal der Rock, der ist ja cute.“

Samstag: Nachdem Kulturstaatsminister Weimar innerhalb seiner Behörde die Benutzung von Gendersternen und ähnlichen Sonderzeichen untersagt hat, empfiehlt er dasselbe nun auch anderen öffentlich geförderten kulturellen Einrichtungen, was gleichsam als Anweisung ausgelegt wird. Öffentliche Empörung und Zustimmung dürften sich in etwa die Waage halten. Auch ich verzichte aus Gründen der Sprach- und Schriftästhetik auf Genderzeichen, sowohl hier im Blog als auch in beruflichen Schriftlichkeiten; bislang hat sich keiner niemand darüber beschwert. Auch amüsieren mich immer wieder groteske Wort- und Satzkonstruktionen, die demselben Zweck dienen sollen wie „der Mitarbeitende“, „Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber“ oder die Anrede „Liebe:r Carsten“. Irgenwo las ich mal, nachdem der Schreibende zuvor das Femininum genutzt hatte, den Klammerzusatz „(das gilt auch für nicht-weiblich gelesenen Personen)“. Und doch habe ich überhaupt nichts dagegen, wenn andere es als richtig und notwendig erachten, geschlechtsneutral zu schreiben und sprechen. Ein wenig stolpere ich immer noch darüber, doch ich werde mich daran gewöhnen. Daher halte ich Weimars Weisung zumindest für fragwürdig.

„Alter“ ist übrigens, obwohl männlich gelesen, geschlechtsneutral, siehe Eintrag von gestern.

Zeit für die nächste Frage.

Vergangenen Donnerstag am Mittelsee

Frage Nr. 12 lautet: „Was möchtest du dir unbedingt irgendwann einmal kaufen?“ Unbedingt, aber nicht irgendwann, sondern sobald es erhältlich ist, das neue Buch „Aber?“ von Max Goldt, bestellt ist es schon beim Buchhändler des Vertrauens (selbstverständlich nicht beim großen A.). Irgendwann, aber nicht unbedingt möchte ich mir einen Hut kaufen, wie ich schon gelegentlich erwähnte. Ansonsten habe ich alles erforderliche.

Sonntag: Ein angenehmer Sommersonntag ohne größeren Berichtenswert mit gewohntem Ablauf: Balkonfrühstück mit den Lieben, Sonntagszeitungslektüre, ein längerer Spaziergang auf die andere Rheinseite und innere Erquickung im Biergarten. Laut Wetterprognose bleibt es erstmal warm, ich habe nichts dagegen.

Spaziergangsbild
Innere Kühlung
Mentale Abkühlung für die, die den Sommer nicht mögen

***

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Kommen Sie gut durch die warme Woche.

Redaktionsschluss: 17:00 Uhr

Woche 21/2025: Gequälte Ukulelen und liederliche Zeichensetzung

Montag: Wochentagsübliche Müdig- und Antriebslosigkeit lagen über dem Arbeitstag. Dazu mehrere Besprechungen, deren Anzahl und Länge in keinem vertretbaren Verhältnis zu meinem Redebedarf standen. Auch mein Interesse am Besprochenen ließ zu wünschen übrig, immer wieder schweifte ich gedanklich ab und verwünschte stumm die endlosen Wortgirlanden.

Mittags wurde anlässlich eines erfolgreichen Projektabschlusses Pizza spendiert. Obwohl mein Beitrag zum Gelingen nahe Null lag, war ich zum Mitessen eingeladen. Dafür entfielen der Gang in die Kantine und der Treppensteig zurück. Man kann nicht alles haben.

Aus Datenschutzhinweisen: „Deine Teilnahme an der Befragung ist freiwillig. […] Klicken Sie hier für weitere Details.“ Derartige Liederlichkeiten beobachte ich zunehmend, anscheinend werden Texte vor Veröffentlichung nicht mehr durchgelesen, vielleicht schlägt auch hier der allgemein beklagte Personalmangel zu. Vielleicht bin ich auch zu empfindlich geworden.

Dienstag: Da die Wetterprognose Anzugwetter in Aussicht gestellt hatte, wählte ich nach langer Zeit, nach Monaten, vielleicht Jahren, morgens den Anzug als Arbeitskleidung, den letzten und einzigen, den ich nach der letzten großen Kleiderschrankbereinigung noch besitze, der nach vielen Jahren immer noch passt und den ich weiterhin liebe, sofern dieses Verb bezüglich Textilien und außerhalb fetischistischer Veranlagung angebracht ist, Sie wissen schon, wie es gemeint ist. Im Werk fällt man als Anzugträger inzwischen auf, die Kleiderordnung hat sich seit der Seuche stark gewandelt, was nicht zu beklagen ist, vor allem den früher üblichen und erwarteten Krawatten trauere ich kein bisschen nach. Jedenfalls fühlte ich mich im Anzug wieder sehr wohl und nahm mir baldige Wiederholung vor.

Regelmäßig amüsieren mich Autofahrer, die vor der roten Ampel warten und irgendwann, wenn die Geduld knapp wird, mehrfach einige Zentimeter vorfahren in der Hoffnung, die Ampel dadurch zum Ergrünen zu bewegen. Ähnliches widerfuhr mir morgens vor einer Fußgängerampel, die wegen starken Autoverkehrs besser nicht missachtet werden sollte. Die blieb heute ungewöhnlich lange rot. Irgendwann ging ich einen Schritt vor, um zu schauen, ob sich vielleicht doch eine Verkehrslücke für mich ergab. In dem Moment schaltete sie für den Straßenverkehr auf rot und ließ mich passieren. Es scheint doch zu funktionieren.

Wie epubli per Mail mitteilte, hat im April jemand mein Buch gekauft. Ich danke herzlich und wünsche viel Vergnügen damit.

Weg ins Werk

Mittwoch: Nach einem Tag voller Ereignisse, deren keines hier der Notiz bedarf, verbrachte ich den Abend bei einer Lesung im Pantheon in Beuel, was sich mit einem längeren Abendspaziergang verbinden ließ; ich bin ja der Meinung, jede Strecke bis zu vier Kilometern sollte man, wenn man Zeit hat, zu Fuß zurücklegen. Ich schweife ab. Es lasen: Horst Evers, Dietmar Wischmeyer, Lara Ermer, Philipp Scharrenberg und Nektarios Vlachopoulos.

Horst Evers kenne ich als Autor mehrerer Bücher, er schreibt so ähnliches Zeug wie ich, nur in gut; Dietmar Wischmeyer aus dem Radio in den Neunzigern und dem Fernsehen in der heute-Show; die drei anderen kannte ich bislang nicht. Es war großartig, ich habe im wahrsten Sinne Tränen gelacht. Am besten gefielen mir die Texte des Gastgebers Horst Evers und die von Dieter Wischmeyer; die anderen drei waren indes auch gut. Satz des Abends, von Evers: „Wenn Männer Ukulelen quälen / soll man Makrelen nicht bestellen.“ Wenn Herr Evers mit seinen Freunden oder allein mal in Ihre Stadt kommen sollte, gehen Sie hin, es lohnt sich. Oder hören Sie am 30. Mai im Radio auf WDR 5 die „Unterhaltung am Wochenende“, dafür wurde der heutige Abend aufgezeichnet. Wenn Sie genau hinhören, hören Sie mich vielleicht lachen.

Wegen der fortgeschrittenen Zeit fuhr ich, vermutlich immer noch mit einem Lächeln im Gesicht, anschließend mit dem Bus zurück, der sogleich kam. Ein Lob dem vielgescholtenen Bonner ÖPNV. Auch wenn es mir fragwürdig erscheint, wenn in den späteren Abendstunden ein Gelenkbus viel Luft und mit mir drei Personen durch die Gegend fährt.

Die Herren Evers, Wischmeyer und Scharrenberg (von links)

Donnerstag: Inseltag. Entgegen den Forderungen von Herrn Merz hatte ich heute zur Pflege der Wörkleifbellenz frei. Nachdem ich zur werktagsüblichen Zeit dem Tuche entstiegen war, nutzte ich den Tag für einer Wanderung, und zwar die fünfte Etappe des Natursteigs Sieg von Eitorf bis Herchen. Das war hinreichend beglückend, auch wenn das Wetter sich wechselhaft zeigte, mit einem kurzen Regenschauer gar. Nach viereinhalb Stunden erreichte ich den Zielort Herchen. Wer nun glaubt, es sei geschafft, irrt; die letzten drei Kilometer haben es in sich, mit schmalen Pfaden hart am Abgrund, heftigen Steigungen und Gefällen und mehreren Stellen, an denen der Wanderer aufpassen muss, nicht abzurutschen oder umzuknicken, auch die Wegmarkierung weist an mancher Abzweigung Mängel auf, gleichsam eine liederliche Zeichensetzung. Dafür belohnt die Strecke mit wunderbaren Eindrücken. Vielleicht sollte ich mir einen Wanderstock zulegen.

Erst eine Stunde später erreichte ich endlich den Bahnhaltepunkt von Herchen, wo ich wegen leichter Verspätung des Regionalexpress‘ diesen noch erreichte. Perfekt. Bis Hennef an der Sieg, dort endete die Perfektion: Wegen eines Böschungsbrandes vor Siegburg ging es nicht weiter. Mir war es egal, ich hatte Lesestoff dabei und für die anschließende Belohnungscurrywurst wäre auch noch genug Zeit gewesen. Nachdem die Streckensperrung auch eine halbe Stunde später noch bestand, wurde entschieden, den Zug zurück nach Siegen fahren zu lassen, ich nahm den Bus bis Siegburg, der entsprechend voll war und wesentlich länger brauchte als die Bahn, wenn sie denn fährt.

Sichtung während der Busfahrt: Ein Hennefer Hotel bietet an jedem ersten Samstag im Monat einen „Probe-Day“ an.

Die Currywurst gab es dann auch noch, etwa eine Stunde später als ohne Böschungsbrand. Das war nicht schlimm.

Bei Eitorf
Das auch, glaube ich
Gerste
Für die Sammlung
Fichtenfinale
Ginster. Auch schön.
Wegesrandbirke
Vor Herchen
Schmaler Pfad kurz vor Schluss

Freitag: Der Arbeitstag verlief zufriedenstellend ohne größere Störungen der Büroruhe, sieht man von einigen Teams-Besprechungen ab. Auch in unserem Unternehmen setzt es sich zunehmend durch, dabei die Kamera einzuschalten, als wenn es irgendeinen Vorteil hätte, wenn man dabei gesehen wird und die anderen sehen kann bzw. muss. Ich finde das anstrengend und könnte gut darauf verzichten. Bei größeren Runden schalte ich meine Kamera deshalb nur an, wenn ich das Wort habe. Merkt keiner.

Auch nach mehr als zwanzig Jahren Arbeiten im Turm amüsieren mich immer noch die zwanghaften Aufzugtürzuknopfdrücker, einst hier beschrieben. Als hinge ihr Leben davon ab. Mittlerweile mache ich mir, wenn ich als erster die Kabine betrete, den Spaß, mich direkt an den Knopf zu stellen, so nah, dass ihn keiner drücken kann, und genieße es, wie sie bei offener Tür nervös werden.

Nachmittags befiel mich jäh Schokoladenlust. Zur Linderung schlachtete ich den Lind-Osterhasen (oder Sitzhasen?), der noch in der Schreibtischschublade seiner Bestimmung entgegenlag.

Kurt Kister schreibt in seiner Wochenkolumne „Deutscher Alltag“ wieder Kluges:

Die Diskriminierung des Faxgeräts als Symbol für die Unmoderne ist ein Merkmal mancher leicht autoritär gesinnter Scheuklappenfortschrittler.

(Zum Gesamttext hier entlang.)

Samstag: War es der Ostersitzhase? Morgens zeigte die Waage zwei Kilo mehr an als eine Woche zuvor. Vielleicht lag es auch am leicht erhöhten Bierkonsum in dieser Woche bei mannigfachen Gelegenheiten: Feierabend-Maibock am Dienstag, Lesungsbegleitgetränke am Mittwoch, Wanderungsbelohnungsbier zur Currywurst am Donnerstag und Wirtshausbesuch mit den Lieben gestern. Non, je ne regrette rien.

Zeit für eine weitere der tausend Fragen, heute Nummer *Trommelwirbel* …

(Fotografiert beim Wandern am Donnerstag)

Frage 69 lautet: „Gibst du Menschen eine zweite Chance?“ Das kommt sehr auf den Anlass an. Wenn mir jemand etwas Unverzeihliches antun würde, etwa mutwillig meine Modelleisenbahn beschädigt, wird es schwierig. Ansonsten neige ich zur Harmoniesucht, deshalb grundsätzlich ja. Donald Trump hätte ich nicht wiedergewählt.

Zusammenhangloses Spaziergangsbild

Sonntag: Der Spaziergang führte heute über unübliche Wege durch den Stadtteil Beuel auf der anderen Rheinseite, mit fast elf Kilometern fiel er etwas länger aus. Das Wetter zeigte sich auch heute wechselhaft mit Sonnenschein und Regenschauer, insgesamt war es wesentlich wärmer als erwartet.

Durch eine glückliche Fügung fiel der Regenschauer in einem passenden Moment, als ich unter Dach saß

Wie mir erst jetzt zugetragen wurde, ist der Pornostar Tim Kruger gestorben, bereits im März. Ich kannte ihn nicht, weder persönlich noch vom Ansehen. Da sogar der Focus darüber berichtete und es einen eigenen Wikipedia-Eintrag über ihn gibt, muss er über eine gewisse Prominenz verfügt haben, bemerkenswert für einen Angehörigen dieses Genres. Was bitte nicht despektierlich zu verstehen ist, ich habe volle Hochachtung vor dem Berufsstand und kann nichts Anrüchiges daran erkennen, jedenfalls nicht mehr als an der Werbebranche oder dem Profifußball. Mann muss stets Können können, sonst nützt die beste Schauspielkunst nichts.

***

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit, kommen Sie gut durch die Woche.

Woche 11/2025: Einfache Lösungen und liederliche Possessiv-Verschiebungen

Montag: Neben der montagsüblichen Unlust lag eine gewisse – wie nennt man das Gegenteil von Vorfreude? Vorfurcht, Bammel? Na Sie wissen schon – so etwas lag über dem Tag wegen der Zahnziehung am Nachmittag. Die war dann gar nicht so schlimm. Selbst die Injektionen des Betäubungsmittels spürte ich nicht, obwohl der Zahnarzt mehrfach „Das drückt jetzt etwas unangenehm“ sagte, während er stach und spritzte. Etwas unangenehm das anschließende, gefühlt minutenlange Zerren und Ruckeln, vermutlich ging es viel schneller, jedenfalls auch das völlig schmerzfrei. Dann war mir zunächst nicht klar, ob der Zahn schon raus oder eine Unterbrechung zum Werkzeugwechsel erforderlich war. Doch als er mich aufforderte, langsam zuzubeißen, wusste ich, es war überstanden, alles in allem dauerte es vielleicht eine Viertelstunde.

Anschließend musste ich zwei Stunden lang auf ein Stück Vlies beißen, was mich beim Sprechen beeinträchtigte. Aber das kommt mir ja generell entgegen, gerade am Montag. „Ich kann schweigen wie ein Grab“ sagt, wer Diskretion verspricht. Ich kann schweigen wie ein Ostwestfale am Montag, das ist noch etwas ruhiger.

Dienstag: Ich würde mich nicht grundsätzlich als verstockt charakterisieren, manchmal dauert es halt etwas länger, bis Gewohnheiten, die für andere längst selbstverständlich sind, auch bei mir auf zumindest probeweise entgegengebrachtes Interesse stoßen. So benutzte ich im Büro heute erstmals zwei Bildschirme, nachdem der Kollege vom Schreibtisch gegenüber mir kurz gezeigt hatte, wie das geht. Für die Zusammenführung zweier Dokumente erwies sich das als sehr hilfreich, komme ich nicht umhin einzugestehen, daher ist nicht auszuschließen, dass ich das künftig öfter machen werde.

Der Frühling macht Pause, der Fußweg nach Hause erwies sich bei Nieselregen und kaltem Wind von vorne als äußerst ungemütlich. Normalerweise hätte ich daher die Stadtbahn genommen, allein die fuhr nicht wegen Streiks. (Das ist keine Anklage, ich habe dafür Verständnis und finde es lächerlich, wenn behauptet wird, irgendjemand würde für Tarifforderungen in Geiselhaft genommen.) Alternativ hätte ich mit dem Bus fahren können. Zwar streikten auch die Busfahrer der Stadtwerke, aber das Subunternehmen mit den blauen Bussen, die im Gegensatz zu den Stadtwerkebussen stets blitzsauber sind, fuhr. Allerdings erschien mir aufgrund der Menschenmenge an der Haltestelle der Fußmarsch als das kleinere Übel.

Die Stelle, wo bis gestern Nachmittag ein entkrönter Weisheitszahn steckte, zeigt sich ruhig, weder Schmerz noch Schwellung machen sich bemerkbar. Wirklich rein zufällig bekommt morgen auch der Liebste einen Zahn gezogen, sein Termin steht schon länger fest, während meiner sich kurzfristig letzte Woche ergab. Hoffen wir also, dass es auch bei ihm so problemlos läuft.

Mittwoch: Heute vor fünf Jahren wurde weltweit die Covid-19-Pandemie ausgerufen, wohl keiner hätte da vermutet, wie lange uns dieses Unheil begleiten würde. Unglaublich, wie lange das schon her ist. Meine persönlichen Erinnerungen und Gedanken dazu habe ich vor längerer Zeit hier aufgeschrieben.

„Ich bin für einfache Lösungen“ sagte eine in der Besprechung. Niemals hörte ich jemanden sich als Freund komplizierter Lösungen bekennen, was eigentlich erstaunlich ist angesichts der zahlreichen unnötigen Komplikationen überall, nicht nur im beruflichen Umfeld. Allein das Einschalten des Radios in der Küche: Früher drückte oder drehte man einen Knopf am Apparat, heute diskutiert man mit Siri.

Auch der Liebste hat seine Zahnziehung gut überstanden, somit verfügt dieser Haushalt ab dieser Woche über zwei Zähne weniger. Viel weniger sollten es aber auch nicht werden in nächster Zeit.

Ansonsten empfand ich ganztägig Vorfreude auf morgen, denn morgen habe ich frei, es ist kleine Woche. Wie ich den Tag verbringen werde hängt vom Wetter ab, jedenfalls wird keine Langeweile aufkommen, so viel ist sicher.

Donnerstag: Der freie Tag begann mit dem Frühstück im Kaufhof-Restaurant, wie üblich gut besucht von Personen überwiegend im Rentenalter.

Danach wanderte ich durch die Südstadt, die Ortsteile Kessenich, Dottendorf und Friesdorf über den Venusberg, durch das Melbtal zurück bis Poppelsdorf. Das Wetter blieb trocken, ab und zu schimmerte die Sonne als blasse Scheibe durch den Dunst. Von der Temperatur her ließ es sich ohne Schal und Handschuhe gut aushalten. Dennoch hätte ich bei der nächsten Wanderung gegen ein paar Grad mehr nichts einzuwenden, auch Blätter auf den Bäumen wären wieder ganz schön.

Muschelpilze oder Pilzmuscheln auf dem Venusberg
Melbtal bei Ippendorf
Brücke über das Melbtal
Unbekanntes Tier. Immerhin schaut es freundlich

In Poppelsdorf besuchte ich spontan den botanischen Garten, das macht man auch viel zu selten. Beeindruckend die Gewächshäuser, in denen verschiedene Klimazonen mit entsprechender Vegetation nachgestellt werden. Beim Betreten beschlug sofort die Brille, daher konnte ich die exotische Flora zunächst nur erahnen.

Botanischer Garten I
Botanischer Garten II

Praktischerweise befindet sich direkt am botanischen Garten ein Restaurant mit Currywurst auf der Karte. Ein paar Tische weiter rechts saßen vier Personen, darunter ein junger Mann, dem die Natur eine gewisse Schönheit verliehen hat, augenscheinlich war er sich dessen bewusst. Allein durch permanentes Kauen eines Kaugummis setzte er seiner Attraktivität enge Grenzen. Das wusste er vermutlich nicht.

Zu meiner Linken saß eine Frau mit einem etwa sechsjährigen Jungen, unterstellt Mutter und Sohn. Mehrfach versuchte das Kind, mit der Mutter ins Gespräch zu kommen, doch hatte es keine Chance gegen das Datengerät, dem Mutters vollständige Aufmerksamkeit galt. Mir tun solche Kinder immer leid. Oft ist zu lesen von Studien, wonach sich übermäßiger Mobiltelefon-Gebrauch negativ auf die kindliche Entwicklung auswirkt. Ich behaupte, ohne es belegen zu können, das Gebrauchsverhalten solcher Eltern richtet genauso großen Schaden an.

Freitag: Im Büro war gut zu tun, da auch gestern einiges aufgekommenen war. Der Preis des freien Tages, den ich – neben etwas weniger Gehalt – gerne zu zahlen bereit bin. Es ließ sich gut abarbeiten, ich fühlte mich motiviert und kompetent, das ist ja auch mal ganz schön und nicht selbstverständlich. Laut einem Zeitungsbericht fühlen sich nur noch neun Prozent der Arbeitnehmer emotional in starkem Maße mit ihrem Unternehmen verbunden. Aber vielleicht kann man auch mit einer gewissen Distanz gute Arbeit leisten; nur weil ich nicht bei jeder neuen Verkündigung in Jubelgesänge einstimme, bedeutet das noch lange nicht die innere Kündigung. Wie ich schon früher ausführte: Uns verbindet ein Arbeitsverhältnis, keine Liebesbeziehung.

„Die Information ist outdated“ las ich in einer Mail und fragte mich mal wieder, was Leute damit bezwecken, wenn sie sich so ausdrücken. Vielleicht bin ich auch langsam ausdatiert.

Im heimischen Gehege hat sich eine am Dienstagabend jäh aufgekommene, hier nicht näher auszuführende Disharmonie, deren Grund verschwiegen wurde, offenbar wieder aufgelöst. Wäre ich Kafka, würde ich daraus vielleicht eine verstörende Novelle formulieren. Da ich nicht Kafka bin, belasse ich es bei diesen Zeilen und freue mich auf das erste gemeinsame Glas Champagner des Wochenendes.

Samstag: Im Briefkasten lag ein persönlicher Brief, über den ich mich freue. Lieber T., Antwort folgt. (Lieber M., auch dir bin ich noch eine Antwort schuldig, ich weiß.)

Laut kleiner kalender ist heute Sprachlos-Tag. Was soll man dazu sagen. Immer wieder sprachlos machen mich liederliche Possessiv-Verschiebungen in Zeitungsartikeln, heute im General-Anzeiger gleich zweimal:

„Dem Vorschlag hatte die Bezirksvertretung Bonn in seiner jüngsten Sitzung zugestimmt.“

„Nur, weil eine Brücke in seiner Bauweise ziemlich gut konstruiert wurde, …“ (Aus einem Leserbrief)

Apropos Kalender: Heute vor zwanzig Jahren zogen wir in diese Wohnung am Rande der Inneren Nordstadt, zentral und dennoch ruhig gelegen. Ziemlich genau ein Jahr später als vertraglich vereinbart, weil das Haus nicht früher fertig geworden war. Nach wie vor fühlen wir uns hier sehr wohl und ich bin guter Hoffnung, das war bis zum finalen Auszug der letzte Umzug. Aber man weiß nie, vielleicht zieht es uns irgendwann noch aufs Land.

Sonntag: Ein Tag wie aus dem Musterbuch der Wochentage mit Ausschlafen, Frühstück mit den (wieder) Lieben, Sonntagszeitung, darin nichts Erwähnenswertes. Nachmittags ein langer Spaziergang ans andere Ufer, es war sonnig und nicht ganz so warm wie vergangenen Sonntag, so dass es sich mit Jacke gut aushalten ließ. Der Lieblingsbiergarten ist noch geschlossen.

Die Mirabellen blühen
Der Huflattich auch

Abends schrieb ich einen lange überfälligen Brief, nachdem es gelungen war, den mittlerweile eingetrockneten Füller wiederzubeleben. Ich gelobe Besserung.

Zum guten Schluss: Erfreulich in dieser Woche waren zwei problemlose Zahnziehungen, ein Wandertag und ein erhaltener Brief.

***

Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche. Genießen Sie die Sonne.

Woche 6/2025: Besser nicht bestimmt bewegen

Montag: Die Woche begann kalt und nicht allzu montäglich. Mehr weiß ich über den Tag nicht zu berichten, immerhin auch nichts zu beklagen.

Übrigens ist heute laut kleiner kalender Tag der männlichen Körperpflege. Haben wir das auch hinter uns, meine Herren; ab morgen wieder unrasiert ins Büro. Dazu eine gar entzückende Illustration:

„Irgendwie geht mit dem Ding der Bart nicht ab. Und warum trage ich diese alberne Mütze auf dem Kopf?“

Dienstag: Der Tag begann mit einer Enttäuschung: Am Samstag habe ich mich in einem örtlichen Musikfachgeschäft spontanverliebt in eine Trommel, ein kleineres, transportfreundlicheres Modell im Vergleich zu dem Riesentrumm, das ich bislang zu den Aufritten schleppe. Die wollte ich mir heute zum Geburtstag schenken und beim Auftritt am Abend sogleich in Betrieb nehmen. Aber ach: Abweichend von der Anzeige im Netz hat das Geschäft montags und dienstags geschlossen.

Der freie Tag, aus gegebenem Anlass bereits heute statt Donnerstag, wurde dennoch angenehm. Nach dem verhinderten Trommelerwerb frühstückte ich im Kaufhof-Restaurant. Ich mag das Frühstück dort, weil man sich wie im Hotel soviel vom Büffet holt (und bezahlt), wie man voraussichtlich verzehrt, wohingegen die fertigen Frühstücksarrangements in Cafés oft so umfangreich sind, dass meistens etwas zurück geht, was nur schwer mit meiner Sozialisierung als Flüchtlingskind zu vereinbaren ist, ich schrieb es schon.

Nach dem Frühstück fuhr ich mit der Stadtbahn nach Oberdollendorf, von dort unternahm ich eine Rundwanderung durch das Siebengebirge, unter anderem über Stenzels- und Petersberg. Es war kalt, aber beglückend. Den Aufstieg auf den Petersberg schaffte ich schnauffrei, das tägliche Treppensteigen im Turm scheint Früchte zu tragen. Während es für die meisten Menschen völlig normal ist, telefoniere ich äußerst ungern in Öffentlichkeit, Wald und Flur. Dem kam die schwache Mobilfunkabdeckung in Teilen des Siebengebirges entgegen. Ansonsten war ich dankbar, dass die meisten Gratulationen per Kurz- oder WhatsApp-Nachricht eintrafen und das Telefon in der Tasche nur kurz aufzucken ließen, auf dass ich sie später beantworte.

Zurück in Bonn belohnte ich mich wie üblich mit Currywurst an Pommes. Dabei beantwortete ich mit letzter Akkukraft des Telefons die Gratulationsnachrichten. Offensichtlich war der Wandertag sehr anstrengend für das Gerät, im Gegensatz zum Nutzer.

Abends war ein Auftritt des Karnevalscorps in Bad Godesberg, für mich hoffentlich zum letzten Mal mit der sperrigen Trommel. Die neue kaufe ich morgen Abend, wenn sie dann noch da ist.

Der Tag in Bildern:

Bei Heisterbach
Stenzelsberg
Frostige Höhen
Stechpalme, gefrostet
Blick vom Petersberg auf Drachenfels, Schloss Drachenburg und Rhein
Für die Sammlung (Oberdollendorf)
Nur eine Zahl, leicht angerostet

Mittwoch: Im Gegensatz zu gestern war der Tag durchgehend dunstig-bewölkt, morgens mit leichtem Sprühregen. Im Büro war gut zu tun, an dem freien Tag hatten sich ungewöhnlich viele Mails angesammelt. Gut, ein größerer Anteil bestand aus Gratulationen, die zügig abgearbeitet waren. Der Arbeitstag endete mit einem sehr angenehmen Chefgespräch, meine Zielerreichung betreffend, außerdem muss er wie jedes Jahr eine Potentialeinschätzung zu meiner Karriereentwicklung abgeben. Auch in diesem Jahr schrieb er: »Wirkt bzgl. Veränderungen teilweise etwas gleichgültig«. Dem ist vollumfänglich zuzustimmen; maximal sieben Jahre vor dem Ruhestand tendiert mein Karrierestreben, bei weiterhin grundsätzlich positiver Motivation, gegen Null. Jeder weitere Karriereschritt wäre mit erheblicher Freizeiteinbuße verbunden, das muss nun wirklich nicht sein.

Abends kaufte ich wie geplant die kleinere Trommel und absolvierte mit ihr probeweise einen kleinen Parademarsch durch die Wohnung.

Die alte (links) und die neue Trommel

Donnerstag: „Vater Staat ist nicht dein Erziehungsberechtigter“ steht auf den Wahlplakaten der FDP. Und ich wünsche nicht, von Herrn Lindner geduzt zu werden.

„Es ist ja auch ein Haufen Code dahinter“, sagte eine in der Besprechung.

Die Schwäche, Gesichter zu erkennen, heißt Prosopagnosie. Ob bei mir eine leichte Variante vorliegt, weiß ich nicht, jedenfalls kommt es manchmal vor, dass ich zwei Menschen, die ich nur vom Sehen kenne, für einen halte. Sie müssen sich nicht besonders ähnlich sehen wie Zwillinge oder Geschwister, ich weiß auch nicht, aufgrund welcher Merkmale die Verwechslung beziehungsweise Verschmelzung entsteht. Solange, bis ich beide gleichzeitig sehe. Die Erkenntnis „Huch, das sind ja zwei“ ist jedesmal irritierend. Heute Mittag in der Kantine wieder.

Freitag: Während der Radfahrt zum Werk morgens erinnere mich ein länger nachwirkender Stich im unteren Rücken daran, dass Alter nicht nur eine unbedeutende Zahl ist.

Bei Ankunft ärgerte ich mich ein wenig über einen Kollegen. Dazu muss ich ein wenig ausholen: Bei den Aufzügen im Turm wählt man die Etage nicht innerhalb der Kabine, sondern an mehreren Displays im Eingangsbereich. Nach Auswahl des Stockwerks wird der zutreffende Aufzug angezeigt. Besagtem Kollegen wurde nun dieselbe Kabine wie mir zugewiesen, die er einige Sekunden vor mir betrat. Aus Egoismus oder Gedankenlosigkeit betätigte er den Tür-zu-Knopf, woraufhin sich die Türen schlossen und ich mit vermutlich tadelndem Blick davor stehen blieb. Das bemerkte der Kollege, immerhin, und streckte den Arm zwischen die noch nicht ganz geschlossenen Flügel, woraufhin sie sich wieder öffneten und ich eintreten konnte. Statt eines Wortes der Entschuldigung rühmte sich der Held, mir unter dem Risiko des Armverlustes den Einstieg ermöglicht zu haben. Da er in die Vorstandsetage fuhr, wie der Anzeige zu entnehmen war, sah ich von weiteren Beschimpfungen ab.

„Jede Treppenstufe bietet bis zu 4 Sekunden längere Lebenszeit“ las ich in einer Mitteilung. Wenn ich es schaffe, bis zum voraussichtlichen Ende meines aktiven Berufslebens einmal arbeitstäglich die Treppen statt des Aufzugs zu nehmen, könnte ich knapp zwanzig Tage herausholen.

Samstag: Im Rücken zwickt es bei bestimmten Bewegungen weiterhin, erfahrungsgemäß wird mich das noch einige Zeit begleiten. Das morgens angebrachte Wärmepflaster brachte nur wenig Linderung. Also besser nicht bestimmt bewegen. Das ist allerdings kein Grund, auf den Spaziergang zu verzichten.

Spaziergangsbild
Warnhinweis auf der Wärmepflasterpackung

Sonntag: Der Spaziergang führte unter anderem durch die Südstadt, wo die Schneeglöckchen blühen. Woanders wahrscheinlich auch, nur sah ich sie dort erstmals in diesem Jahr. Das milde, zeitweise sonnige Wetter lockte viele Spaziergänger aus den Häusern, vom derzeit allgegenwärtigen Pessimismus war nichts zu spüren.

Anlässlich eines Auftritts der Karnevalsgesellschaft am Abend kam die Trommel zu ihrem ersten öffentlichen Einsatz. Ich bin sehr zufrieden damit.

Zu guter letzt: Erfreulich in dieser Woche waren der Wandertag, die neue Trommel und das schöne Gefühl, wenn der Schmerz nachlässt.

***

Ich wünsche Ihnen eine angenehme, möglichst schmerz- und sorgenfreie Woche.

Woche 43/2024: Getrübte Wanderlust und Schafböcke ohne nennenswerten Beitrag zur Arterhaltung

Montag: Deutschland erwartet eine durchwachsene Kürbisernte, steht in der Zeitung. Das klingt immerhin besser als verdörrt oder verhagelt. Man hätte auch „mäßig“ schreiben können, aber vielleicht würde das kürbisaffine Teile der Bevölkerung so kurz vor Halloween beunruhigen.

Montäglich durchwachsen heute auch Motivation und Arbeitseifer. Gegen Mittag geriet ich in ein Stimmungstief, das sich nachmittags wieder auflöste, nachdem ein umfangreicherer, kurzfristig zu erledigender Arbeitsauftrag, der mich morgens erreicht hatte, als nicht so aufwendig erwies wie zunächst befürchtet und zügig abgeschlossen werden konnte. Das Mittagessen, Nudeln mit Kürbiscreme, ließ ich nach knapp zwei Dritteln zurückgehen, nicht wegen Kürbisabneigung, sondern mangels Appetit.

Dienstag: Ein Tag ohne besondere Nennenswertigkeiten. Zu Fuß ins Werk und zurück, weiterhin mild. Im Büro verbrachte ich die meiste Zeit mit dem Ausfüllen von Kästchen für ein neues Projekt. Ob ich damit zum Gelingen beitrage, ich weiß es nicht. Aber egal, man bezahlt mich gut dafür, an mir soll es nicht liegen. Wie ich schon öfter anmerkte: Man kann sein Gehalt wesentlich schwerer *hüstel* verdienen.

Stimmung und Appetit waren wieder stabil, wie so häufig von Montag auf Dienstag. Mittags gab es einen ganz vorzüglichen Eintopf mit Bohnen und Lammfleisch. Danach ein kurzer Spaziergang mit dem Kollegen durch den Park.

Abends holte ich die fertigen Maßschuhe vom Schuhmacher ab, schlichte schwarze Lederschuhe, sie sind sehr schön geworden. Nicht, dass ich sie unbedingt bräuchte, aber nun habe ich sie und freue mich darüber.

Jugendwort des Jahres ist Aura, wie wir seit vergangener Woche wissen. Was an dem Wort besonders jugendlich sein soll, erschließt sich mir nicht, muss es auch nicht, ich bin alt. Zur Auswahl stand auch das umstrittene Wort Talahon, das ich niemals zuvor gehört hatte. Seit ich es kenne, spreche ich es oft gedanklich aus, wenn mir Exemplare dieser freiwillig(?) lächerlichen Spezies begegnen.

Morgens

Mittwoch: „Die Achse Moskau-Pjöngjang lässt Südkorea näher an die Ukraine rücken“, steht in der Zeitung. Ein weiteres tektonisches Wunder, scheint es.

Morgens auf dem Fahrrad war es wieder handkalt, kühler als an den Vortagen; neben Handschuhen sollte ich auch die Helmunterziehmütze bald mal suchen. Das ist nicht als Klage zu lesen, immerhin ist der November nicht mehr fern, der Dreimonatswandkalender im Büro deutlich dünner geworden. Morgens bis zum Mittag schaute ich vom Schreibtisch aus wieder über eine geschlossene Wolkendecke, wie bereits am vergangenen Freitag berichtet und bebildert, bei Bedarf schauen Sie bitte dort nach.

Im Büro durchgehend zu tun, nicht zu viel, gerade richtig, zeitweise mit leichtem Flowgefühl. Arbeitsschluss fast eine Stunde später als üblich, auch das ist keine Klage, das Arbeitszeitkonto freut sich. Also nicht das Konto, sondern sein Besitzer, wenn die angesammelten Stunden in den nächsten freien Tag umgewandelt werden, konkret: morgen.

Erster Einsatztag der neuen Schuhe, es geht sich bequem darin. Wie ein Kind schaute ich immer wieder drauf und erfreute mich ihrer. (Waren ja auch teurer genug.)

Die Jetpack-App, mit der ich hier meistens schreibe und die abonnieren Blogs lese, wurde mal wieder unangekündigt umgebaut. Jedenfalls die für das Tablet, die iPhone-Variante ist unverändert. Zum Reader gelangt man nun über ein Seitenmenü, das man, nachdem man das herausgefunden hat, über ein neues Symbol oben links öffnet, früher fand man ihn in der Fußleiste. Zudem steht dort jetzt „Leser“ statt „Reader“, was mir als überzeugtem Anglizismenskeptiker eigentlich gefallen sollte. Wozu das alles gut sein soll, kann ich nicht erkennen, eine Verbesserung der Nutzerfreundlichkeit ist es nicht. Aber das ist ja mittlerweile häufig zu beobachten bei allen möglichen Anwendungen und Geräten.

Morgen also frei. Wegen der günstigen Wetterprognose freue ich mich auf einen Wandertag durch den Kottenforst (oder das?). Die Lokalität für die anschließende Einkehr ist auch schon gewählt.

Der frühere Tagesschau-Sprecher Jan Hofer macht nun Fernsehreklame für Trigema. Das finde ich deprimierend.

Donnerstag: Inseltag. Da wir in dieser Woche, so auch heute, einen Maler im Haus hatten, der im Laufe des Morgens eintreffen würde, stand ich bereits zur gewohnten Werktagszeit auf, was im Gegensatz zu den Vortagen, an denen ich morgens außergewöhnlich müde war, mühelos gelang. Es ist eben ein Unterschied, ob mich die Vorfreude auf einen Wandertag aus dem Tuche treibt oder auf das Büro.

Nach Proviantkauf und einem schmalen Frühstück in einer bahnhofsnahen Bäckerei fuhr ich mit der Bahn nach Alfter-Witterschlick, ein Ortsname, der wie eine akute Magen-Darm-Verstimmung klingt, wer auch immer sich den ausgedacht hat. Von dort wanderte ich durch den Kottenforst zurück in Richtung Bonn. Der Weg führte fast ausschließlich durch herbstbuntes Waldgebiet.

Zwischendurch stellte Komoot meine Pfadfinderfähigkeiten auf die Probe, als es mich über Wege leitete, die als solche nicht unmittelbar zu erkennen waren, und über einen Bachlauf, den zu überwinden nur mit einem Fußbad möglich gewesen wäre. Wobei den Füßen etwas Kühlung vielleicht ganz gut getan hätte, denn die Wanderlust war getrübt: Schon morgens beim Anziehen der Schuhe kamen sie mir sehr eng vor, vor allem der linke. Da sowohl Schuhe als auch Füße dieselben waren wie bei den letzten Wanderungen, hoffte ich, dass es sich bald fügt. Während der ersten Kilometer ging es auch ganz gut, dann begann der linke Zeigezeh zu schmerzen, erst leicht, mit jedem Kilometer mehr. Ich hielt durch, nach immerhin gut zwanzig Kilometern endete die Wanderung an der ersten erreichbaren Straßenbahnhaltestelle statt bei der vorgesehenen Gaststätte in der Innenstadt. Dorthin brachte mich dann die Straßenbahn, wo ich mich, mittlerweile Tradition, für die Mühen und Schmerzen mit Currywurst und Hellbier belohnte. Spätestens da ließ der Schmerz nach.

Als ich bei Heimkehr die Schuhe endlich ausziehen konnte, setzte erhebliches Wohlgefühl ein. Das war ihr letzter Einsatz, demnächst kaufe ich neue, bin ja ohnehin gerade in Schuhkaufstimmung. Dann, wie für Wander- und Laufschuhe empfohlen, eine Nummer größer.

Sehen Sie:

Nach Ankunft in Witterschlick, das sehen Sie ja selbst
Jahreszeitlich passend
Forst I
Auch hier jede Menge Stechpalmen (extra für Sie, liebe L)
Moos
Ich war das nicht mit dem Aufkleber
Hiervon hoffte ich mehr zu sehen, traf jedoch nur auf dieses eine angefressene Exemplar
Forst II
Kurfürsten-Weiher

Freitag: „Freihandel harkt beim Agrathema“ steht in der Zeitung. Da besser mal nachhacken.

„Wir sind als Menschen dazu geboren zu arbeiten“, sagte der Bundeskanzler beim Arbeitgebertag in Berlin. Die Rheinische Post berichtet hingegen in ihrer Online-Ausgabe über sogenannte Null-Bock-Tage. Wer morgens keine Lust hat, sich an die Arbeit zu machen, teilt das dem Arbeitgeber kurz mit und bleibt im Bett, bei voller Bezahlung. In Großbritannien soll es das schon länger geben unter der Bezeichnung „reset days“, Tage des Neustarts, was wesentlich wirtschaftsverträglicher klingt als null Bock. In Deutschland ist das Konzept laut Bericht etabliert bei einem (ebenfalls) Berliner Kondomhersteller mit dem für diese Branche wirklich herzallerliebsten Namen „Einhorn“; denken Sie sich dabei gerne mein spätpubertäres Kichern, als ich das las. Wohl jeder kennt diese Tage, typischerweise der Montag. Ob es indes die Lösung ist, dann der Arbeit fernzubleiben, zweifle ich an, weil dann der Montagseffekt am Dienstag doppelt zuschlägt.

Samstag: Laut Zeitungsbericht leisten neun Prozent aller Schafböcke keinen nennenswerten Beitrag zur Arterhaltung, da sie dem eigenen Geschlecht zugeneigt sind. Ein Schäfer aus Löhne in Ostwestfalen hat es sich zur Aufgabe gemacht, anderen Kollegen diese sprichwörtlich schwarzen Schafe abzukaufen für eine eigene schwule Herde, in der sie ihrer Liebe und Triebe nach Bockeslust nachgehen dürfen. Einundzwanzig hat er schon, für weitere hundert hat er Kapazität. Mit der gewonnenen Wolle werden (menschliche) queere Projekte unterstützt. Eine wunderbare Idee, die dem Wort „Wolllust“ eine neue Bedeutung verleiht. Glaubte ich an Wiedergeburt, wäre das ein Eintrag in der Wunschliste.

Von Woll- zu Wanderlust: Beim Kauf von Wanderschuhen in einem Sportgeschäft wurde ich an der Kasse nach langer Zeit mal wieder nach meiner Postleitzahl gefragt. Da fiel mir wieder die Aktion eines Menschen ein, der vor einigen Jahren im Netz dazu aufgerufen hatte, bei solcher Gelegenheit stets die Postleitzahl von Brunsbüttel zu nennen. Nach kurzem Hirnkramen sagte ich 25547. Später schaute ich nach: Der Aufruf des bayrischen Sängers Christoph Weiherer erfolgte bereits im November 2016, korrekt wäre 25541 gewesen. Nach so langer Zeit gar nicht schlecht gemerkt, finde ich.

Sonntag: In der vergangenen Nacht endete die diesjährige Sommerzeit. Wie die Zeitung gestern berichtete, unternehmen die EU-Verantwortlichen einen neuen Anlauf, sie endlich ganz abzuschaffen, nachdem bei einer Bürgerbefragung bereits 2018 eine Mehrheit von vierundachtzig Prozent für die Abschaffung der halbjährlichen Zeitumstellung gestimmt hatte. Wobei nur 4,6 Millionen Menschen an der Befragung teilnahmen, also etwas mehr als ein Prozent der EU-Bürger, woraus sich schließen ließe, neunundneunzig Prozent ist es egal. Ich wäre damit sehr einverstanden, auch wenn es heute bereits um siebzehn Uhr sehr dämmerig, eine halbe Stunde später fast dunkel war. Allerdings bin ich skeptisch, ob ich es noch erleben werde.

In der Sonntagszeitung las ich einen Artikel über Beinverlängerung. Vor allem junge Männer, die mit ihrer Körpergröße hadern, lassen diesen Eingriff über sich ergehen, trotz Schmerzen, gesundheitlicher Risiken und erheblicher Langwierigkeit, bis sie danach wieder einigermaßen laufen können. Man muss immer wieder staunen, was Menschen alles in Kauf nehmen für ein gesteigertes Selbstwertgefühl. In meinem Berufsleben lernte ich Führungskräfte kennen, die geringe Körpergröße stattdessen durch Arschlochhaftigkeit ausglichen und damit ziemlich weit kamen.

Apropos Gehen: Zur Erprobung der neuen Wanderschuhe wurde der Sonntagsspaziergang etwas wanderartiger gestaltet. Bei trübem Wetter, anfangs mit leichtem Regen, führte er durch die Südstadt über den östlichen Hang des Venusbergs bis nach Dottendorf, von dort mit der Straßenbahn zurück. Eine sehr schöne Waldstrecke für den Sonntagnachmittag, mit etwa neun Kilometern und eineinhalb Stunden Gehzeit ist sie gut zu schaffen. Im Gegensatz zu einer Donnerstagswanderung begegneten mir zahlreiche Spaziergänger mit und ohne Hund. Ein Paar mit Hund stand am Wegesrand und schaute in den Wald, immer wieder riefen sie etwas und der Mann blies in eine Pfeife. Offenbar widmete sich der zweite, für mich nicht sichtbare Hund einer interessanten Entdeckung. Davon ließ er sich nicht abbringen, noch lange, nachdem ich an ihnen vorbei war, hörte ich die Pfiffe, eingerahmt vom Geräusch von Blättern fallender Wassertropfen.

Die Wanderschuhe erwiesen sich als geeignet und bequem, somit kann diese Woche in Schuherwerbshinsicht als erfolgreich betrachtet werden.

Dörfliche Idylle in Dottendorf, hinten im Dunst der Venusberg

***

Kommen Sie gut durch die Woche und viel Spaß mit Halloween, wenn Sie es nicht lassen können.