Foto der Woche: Dampf und Glück

Die Aktion „Foto der Woche“ von Aequitas et Veritas läuft bis zum 31. Dezember. Jede Woche zeigt man ein Foto und schreibt was dazu, etwa wann und wo man es gemacht hat, warum man es zeigt oder welche Gedanken man damit verknüpft. Da ich in dieser Woche nichts zeigenswertes fotografiert habe, zeige ich ein 37 Jahre altes.

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Meine Begeisterung für Eisenbahnen und Dampfloks entstand irgendwann in früher Kindheit und führte in die übliche Laufbahn – von Schiebezügen, deren Streckennetz das Muster der Teppichs im Wohnzimmer war, über die Lego-Eisenbahn, dann kam die erste Modellbahnplatte in HO, schließlich die LGB-Eisenbahn im elternhäuslichen Garten. Der größte schienengebundene Wunsch meiner Kindheit und Jugend war es, mal auf einer richtigen Dampflok zu stehen, als Heizer oder gar Lokführer. 

Der Verein Dampf-Kleinbahn Mühlenstroth machte es möglich. Er betreibt bei Gütersloh, also nicht weit entfernt von Bielefeld, wo wir wohnten, eine Art Modelleisenbahn im Maßstab 1:1. Das heißt, es sind schon richtige Lokomotiven und Wagen, die in ihren früheren Leben mal dem Transport von Gütern und Personen dienten, nur lagen dort, wo sie heute fahren, früher keine Gleise, vielmehr wurden sie erst in den frühen Siebzigerjahren von Eisenbahnfreunden dort verlegt, um die alten Loks – teilweise von Schrottplätzen gerettet und anschließend aufgearbeitet – als Hobby weiter zu betreiben. Eine Art Gnadenhof für ausgemusterte Loks und Wagen, kann man so sagen.

Nach dem ersten Besuch der Dampfkleinbahn mit meinen Eltern, es muss so 1976 gewesen sein, wusste ich: Das ist es, das will ich auch, da will ich mitmachen! In einem Alter, da andere Jungs schon den Mädchen nachstellten, zum Fußball und in die Disko gingen, trat ich dem Verein bei. Bereits im Sommer 1983 stand ich zum ersten Mal als Heizer auf einer Lok, für mich ein wahnsinniges Gefühl von Glück und Stolz, das für Außenstehende, denen bei Eisenbahn vor allem Unpünktlichkeit, Verzögerungen im Betriebsablauf und umgekehrte Wagenreihung einfallen, vielleicht schwer nachzuvollziehen ist.

Hier nun das Foto von September 1983, es zeigt mich mit damals zeitgemäßer Frisur als Heizer der Lok Nr. 12 „Mecklenburg“, Baujahr 1934. Vielleicht ist mein Glücksgefühl nicht unmittelbar zu erkennen, aber seien Sie versichert: Ich war durch und durch erfüllt davon.

Aktives Mitglied bei einer Museumseisenbahn zu sein bedeutet indessen nicht nur, im Sommer auf dem Führerstand einer Lok zu stehen oder in Bahn-Uniform Löcher in Fahrkarten zu knipsen, sondern viel harte Arbeit und Dreck, auch im Winter, wenn es zu Hause bei der Modellbahn in der warmen Stube viel schöner ist. Der Eisenbahnfreund an sich ist eine besondere Spezies, also schon der „normale“, der in beiger Jacke mit Fototasche und ohne erkennbare Frisur am Bahndamm steht, Züge fotografiert und unter seinesgleichen klug daherredet; erst recht aber der aktive Museumseisenbahner. Wie bei anderen Vereinen auch kommen hier die verschiedensten Menschen zusammen: Arbeiter, Techniker, Büromenschen, Akademiker, Schüler, Studenten, Rentner; jeder kann sich einbringen, nicht jeder muss Eisenbahner, Schweißer oder Schlosser sein. Ich habe während meiner aktiven Zeit bei der Dampfkleinbahn Bekanntschaft mit vielen netten und interessanten Leuten gemacht, auch mit schwierigen; keine dieser Bekanntschaften möchte ich missen. Ich habe viel gelernt, über Technik, über Metallbearbeitung, und über Menschen.

Seit meinem Umzug nach Bonn bin ich nur noch sehr selten dort, wenn es hoch kommt einmal im Jahr, in manchen Jahren gar nicht, so wie in diesem. Aber dieses Jahr ist ohnehin anders. Deshalb kann die Bahn zurzeit auch nicht fahren, aber es gibt sie immer noch.

Woche 18: Wenn beim ersten Pastis das Lächeln zurückkehrt

Montag: Zu den Dingen, die wohl niemals enden werden, gehört meine Furcht vor nächtlichen Gewittern. Auf stürmische Nacht folgte ein lahmer, ereignisarmer Tag. Das Produktivste, was ich heute leistete, waren zwei Flecken, die ich während des Mittagessens per soßengetränkter Nudeln auf mein Hemd kleckerte.

Dienstag: Der wohl paradoxeste Feiertag ist der 1. Mai, muss man doch ausgerechnet am „Tag der Arbeit“ nicht ins Büro; indes liegt es mir fern, dieses zu beklagen. Laut bekanntem Volkslied schlagen ab heute die Bäume aus. Passend dazu steht im aktuellen SPIEGEL: »… das Verhältnis der Deutschen zur Farbe Grün ist ein besonders intensives. Zurzeit äußert es sich darin, dass man Bücher kauft, in denen Bäume ein geheimes Leben führen. Und diese Bücher womöglich bei Amazon bestellt, woraufhin Bäume ihr geheimes Leben früher beenden müssen, weil Amazon Logistikhallen unfassbaren Ausmaßes braucht …«

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Apropos Rodung: Nachfolgende Bilder aus einer Werbeanzeige auf Instagram lassen mich fassungslos aufschreien: WARUM?

 

Verstehe einer die Jungen Männer von heute: Sie lassen sich die absurdesten Rauschebärte wachsen, bei deren Anblick Räuber Hotzenplotz, der Almöhi und Wolfgang Thierse vor Neid ergrünen würden, doch unterhalb der Halskrause wird jedes Häärchen entfernt.

Mittwoch: Dienstreise nach Frickenhausen am Main. Während der Zugfahrt las ich im Kundenmagazin der Bahn die Kolumne eines gewissen Thilo Mischke, der unter der Überschrift „Mein neuer Nachbar“ jeden Monat darüber schreibt, wie er Fahrgäste im Zug belästigt, indem er ihnen ein Gespräch aufzwingt. Träfe er dazu eines Tages auf mich, fiele die nächste Kolumne aufgrund meiner naturgegeben-ostwestfälischen Abneigung gegen Unterhaltungen mit fremden Menschen sehr knapp aus. Aus demselben Grund war ich auch sehr froh darüber, in Würzburg trotz knappem Übergang den Busanschluss erreicht zu haben, anstatt ein Taxi nehmen zu müssen. Die Busfahrt führte durch malerische fränkische Orte, deren Namen ich noch nie hörte und sogleich wieder vergaß.

Donnerstag: Im Bad des Hotelzimmers stand dieses an der Wand:

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Mit vom Vergang der Jahre etwas ausgeblichenem Enthusiasmus möchte ich den Satz mal umformulieren: Ich stehe morgens auf, und der Tag verhöhnt mich.

Verhöhnt dürften sich auch die Fahrgäste dieses Omnibusses fühlen, den ich am Würzburger Hauptbahnhof sah:

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Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen, plädiere ich für den Boykott aller Produkte, deren Werbeanzeigen großflächig die Sicht durch Bahn- und Busfenster verhindern.

Freitag: „Was meint zum Beispiel Officer?“, fragt Frau Dr. Walburga F.-G. in ihrem Leserbrief an den General-Anzeiger, mit welchem sie den häufigen und unnötigen Gebrauch von Anglizismen beklagt. Finde den Fehler.

Samstag: Ich liebe den Moment, wenn nach zwölfstündiger Autofahrt mit vielen Staus, einem Beinahezusammenstoß und unerwartetem Öldurst des Motors beim ersten Pastis das Lächeln ins Gesicht zurückkehrt.

Lächeln dürften auch zahlreiche Kinder im niederländischen Utrecht, nachdem die dortige Staatsanwaltschaft festgestellt hat, dass Cowboy-und-Indianer-Spiele rassismusunverdächtig und somit straffrei zu betreiben sind.

Sonntag: Ausflug zur Weinmesse „Rhône Éclat“ in Orange. Das angekündigte Regenwetter mit Gewitter gestaltete sich angenehm sonnig und warm. Ich bleibe dabei: Tätowierte Waden sehen scheiße aus. Immer und bei jedem.

Woche 2: Mit Befremden hinter die Fichte geführt

Montag: Heute begann der Abbruch des Immenrather Domes in Erkelenz, auf dass dort demnächst Braunkohle abgebaggert werde. Ich stehe der Kirche nicht sehr nahe, dennoch empfinde ich beim Betrachten der Bilder tiefe, hilflose Wut.

Dienstag: Es ist wohl keine besonders gewagte These, zu behaupten, eine Bank müsse vor allem Vertrauen wecken, um zu erreichen, dass die Leute ihr Geld bringen oder welches bei ihr leihen. Insofern bleibt völlig im Dunkeln, welchen Zweck die alberne Fernsehreklame der RaboDirect-Bank verfolgt. Vertrauen wecken jedenfalls nicht.

Mittwoch: Es erscheint mir zunehmend unsinniger, den ganzen Tag auf einen Bildschirm zu schauen. Umso absurder empfinde ich den Trend zum Zweitbildschirm auf immer mehr Schreibtischen.

Donnerstag: Über die Beschäftigung in einem Konzern schrieb Corinne Maier schon 2005 in ihrem Buch „Die Entdeckung der Faulheit“ (meiner derzeitigen Stadtbahnlektüre):

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Zu ergänzen sind sinnlose Besprechungen und Telefonkonferenzen. Manches ändert sich nie.

Freitag: Mit Freude las ich heute in einem Zeitungsartikel, man habe „mit Befremden“ reagiert, eine Formulierung, die im heutigen Zeitalter allgegenwärtiger Empörung nur noch selten gebraucht wird. Im selben Zusammenhang, auf welchen inhaltlich einzugehen ich aus Zeitgründen verzichte, war zu lesen, die derart Befremdeten fühlen sich „hinter die Fichte geführt“, was geradezu heiter klingt im Vergleich zum Synonym „verarscht“.

Samstag: Prunksitzung der Karnevalsgesellschaft Fidele Burggrafen in der Stadthalle zu Bad Godesberg. Noch vor wenigen Jahren hätte ich jedem, die mir voraussagte, es würde mir einmal große Freude bereiten, in grün-weißer Uniform auf eine Bühne aufzumarschieren und dort als „vierter Mann der drei Tenöre“ jecke Lieder zu singen, zu seiner blühenden Phantasie gratuliert.

Sonntag: Hätts jo nä sage könne, dann wör dat nit passiert. Aus vorgenannten Gründen verließ ich das Bett erst am späteren Mittag. Während der anschließenden Zahnpflege belästigten mich Bundesligageräusche aus dem Radio. Mein Desinteresse an Fußballdingen wird niemals dieselbe Erosion erfahren wie meine frühere Reserviertheit gegenüber dem Karneval. Da bin ich mir sicher.

Woche 12: Irgendwas ist ja immer

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Montag: Vergangene Nacht träumte ich von einem Skorpion auf fleckigem Betttuch, welchem ich verständlicherweise mit einer gewissen Furcht begegnete. Als ich heute in ruhiger Minute nach der darauf zutreffenden Angst (vielleicht Cnidophobie – Angst vor Stacheln) recherchierte, stieß ich auf Anatidaephobie: die Angst, von Enten beobachtet zu werden. Gibt es eigentlich einen Begriff für die Angst davor beziehungsweise Abneigung dagegen, am Montagmorgen zum Sprechen genötigt zu werden?

Dienstag: Nachdem die Erkältung halbwegs abgeklungen ist, hindert mich nun leichter Schmerz im rechten Oberschenkel am Laufen. Irgendwas ist ja immer. Vielleicht das Alter? Immerhin: Das schont die neuen Laufschuhe. – Unterdessen ist heute die neue Waschmaschine eingetroffen. Vorläufig hört sie auf den Namen Bärbel.

Mittwoch: Trotz eher mäßigem Lesegenusses heute die aktuelle Stadtbahnlektüre „Ich hasse dieses Internet“ von Jaret Kobeck ausgelesen. Es gelingt mir fast nie, ein Buch vorzeitig zu beenden, weil es sich anfühlt wie eine persönliche Beleidigung des Autors, was meinem krankhaften Harmoniestreben zuwider läuft. Außerdem könnte ja am Ende doch noch was Lesenswertes kommen. Kam aber nicht.

Donnerstag: Ein herrlicher Frühlingstag mit Fußmarsch zur Arbeit am Morgen. An anderen, seltenen Tagen, an denen Widerwille mein Wegbegleiter ins Büro ist, motiviert mich die Erkenntnis, es gibt viel schlimmere Jobs als meinen. Zum Beispiel Sprecher der Deutschen Bahn. Überhaupt Sprecher. Es sei denn, man heißt Andrea Titz und ist Sprecherin des Oberlandesgerichtes München. Äußerlich Evelyn Hamann nicht unähnlich, tritt sie regelmäßig vor die Fernsehkameras und berichtet mit sonorer, von bayrischem Akzent verzierter Stimme über den Sachstand der ganz großen Verfahren, in dieser Woche etwa des Prozesses gegen Georg Funke, den ehemaligen Chef der Hypo Real Estate. Bekannt geworden ist sie durch regelmäßige Auftritte anlässlich des NSU-Prozesses, mittlerweile gewissermaßen der Hauptstadtflughafen unter den Strafverfahren. Sie sehen in mir einen großen Bewunderer von Andrea Titz.

Laut einer Zeitungsmeldung würde fast ein Drittel aller Menschen zwischen neunzehn und achtunddreißig eher auf Sex verzichten als auf ihr Smartphone, so weit ist es schon gekommen. Ich wäre immerhin zum Verzicht bereit auf Sex mit dem Smartphone.

Freitag: Iktsuarpok kommt aus dem Inuit und bezeichnet die Vorfreude, wenn man auf jemanden wartet. Ich kenne Iktsuarpok gut. Jeden Freitag aufs Neue.

Samstag: Reisen bildet. Auf der Rückfahrt aus Köln wurde ich in der Mittelrheinbahn Zeuge eines Gespräches, in dessen Verlauf eine Dame ihrem Sitznachbarn und allen anderen Mitreisenden drumherum mitteilte, sie nehme nie das Mobiltelefon mit auf die Toilette.

Das Ende des Internets finden Sie übrigens hier: http://endedesinternets.de/

Sonntag: Die Zeitumstellung auf Sommerzeit ist in etwa so notwendig wie ein Porsche.

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Zum Weltlachtag

Heute ist nicht nur Tag der Arbeit, zudem Namenstag von Arnold, August und Maximilian, sondern auch Weltlachtag. Stand jedenfalls gestern in der Zeitung. Hierzu wünsche ich Ihnen viel Vergnügen mit einem Dichterwort:

Kostenübernahme
Ein guter Scherz zur rechten Zeit,
Ein Bier, sich zuzuprosten,
Erfreun das Herz, vor allem wenn
Ein anderer trägt die Kosten.

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Nachtrag: Herzlich zum Lachen brachte mich heute die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung mit einer Beschreibung des BMW i3, obwohl mein Interesse für Autos als eher homöopathisch zu bezeichnen ist:

bmw i3 - 1

bmw i3 - 2