Woche 41: Vielleicht nicht mehr lange

Montag: Da fährt man mal eine Woche lang nicht ins Werk, schon ist es morgens finster.

Während der frühmorgendlichen Zeitungslektüre las ich einen Satz, der Christian Lindner aus der zotig-forschen Feder geflossen sein könnte: „Bei der herbstlichen Leistungsschau zeigen die Cucurbitaceae-Züchter ihre prallsten Exemplare und wetteifern darum,“ (theatralische Pause, zwinker zwinker, nicht was Sie schon wieder denken, hö hö) „wer den schwersten Kürbis des Jahres gezogen hat.“

Wenig Erbauliches las ich dagegen in den Mails, die nach einwöchiger Abwesenheit in größerer Anzahl meiner Kenntnisnahme harrten: „… gezielter Input für die Visualisierung eines Drafts“ – „Wir haben die Agenda für den Call finalisiert.“ Merken die es wirklich nicht?

Dienstag: Donald Trump ist aus dem Krankenhaus entlassen. Vielleicht ertrugen sie dort einfach sein Gelaber nicht mehr, nachdem sie sich nicht getraut hatten, ihm das kürzlich noch von ihm selbst empfohlene Desinfektionsmittel zu spritzen. Wie zu erwarten behauptet er, man müsse vor Corona keine Angst haben. Unterdessen denkt die ganze Welt: Ich weiß, man soll niemandem wünschen … – trotzdem … Immer diese blöde Moral.

„Vielleicht ist Moral nichts anderes als der Versuch einer Entschuldigung für diejenigen, die es nicht wagen, ihre Träume und Wünsche und Wahrheiten auszuleben?“, schreibt Herr Emil, und bekommt dafür ein Sternchen von mir.

Wohl eher keine Moralschwäche, eher Gedankenlosigkeit mittags in der Kantine. Scheinbar Trumps absurder Empfehlung folgend, rücken die lieben Kolleginnen und Kollegen mit ihren Stühle zu viert und mehr an Tische, wo nur zwei sitzen dürfen. Warum wird das nicht kontrolliert und unterbunden? Ich schwanke zwischen Ratlosigkeit und Wut.

Mittwoch: „Ich habe die Kollegen mal cc‘ed“, schreibt einer in einer Mail, die ich Cc erhalten habe. Noch so einer, der es offenbar nicht merkt.

Meinen oben geschilderten Unmut bezüglich des Abstandhaltens in der Kantine habe ich schriftlich gegenüber der Werksleitung geäußert. Mal sehen, ob es eine Reaktion gibt.

Donnerstag: Wenn jemand aus einer WhatsApp-Gruppe Geburtstag hat (oder sich krank meldet) ist die einzig richtige Aktion, ihm die Gratulation (oder Genesungswünsche) als persönliche Nachricht zu übermitteln und dann die Gruppe für acht Stunden stummzuschalten.

Aufsitzrasenmäher gelten gemeinhin als beliebtes Männerspielzeug. Das gilt vermutlich auch und erst recht für den Monster-Laubbläser, den ich mittags im Rheinauenpark zunächst schon von weitem hörte, dann sah – allein schon wegen der immensen Geräuschentwicklung. Aus Gründen, die mir verschlossen bleiben, mögen es ja viele Männer laut.

Ansonsten gerierte ich mich heute leicht trottelig. Merke: Wenn man ein Paket aus der Packstation abholen und ein weiteres darin einlegen will, beachte man unbedingt die Reihenfolge – erst das eine einlegen, dann das andere entnehmen. Im umgekehrten Fall kann es sonst passieren, dass man die Packstation mit derselben Sendung verlässt, mit der man ankam.

Freitag: „Ein ruhend Beschäftigter ist nicht aktiv beschäftigt“, sagte einer. Ein schöner Satz zum Wochenende. Ein anderer sprach von „Beschäftigtinnen und Beschäftigten“. Auch schön.

Das Wetter war mir in dieser Woche gnädig: Es regnete häufig, nur nie, wenn ich ins Werk oder zurück radelte. Vielleicht habe ich einen Regenschutzengel. – Mal unter uns Radfahrern: Das Missachten einer roten Ampel wird nicht akzeptabler, wenn man dazu auf den Gehweg nebenan ausweicht.

Abends begaben wir uns zum Essen ins Wirtshaus. Auf dem Weg dorthin und zurück sah ich viele Menschen in den Straßen und vor den Gaststätten, unbekümmert, unmaskiert, eng beieinander, und dachte: Vielleicht nicht mehr lange.

Das schlimmste an diesem Abend aber war die Melodie aus der Reklame für ein neuartiges Trimmrad, auf dem man sich über einen Bildschirm anschreien lassen kann, die vorübergehend als Ohrwurm den Sender meines Hirnradios beherrschte. Gut gemacht, Paloton.

Samstag: Nach dem Frühstück schickte mich der Liebste zum Metzger unseres Vertrauens. Auf dem Türschild mit den Öffnungszeiten ist auch eine Notfall-Telefonnummer angegeben. Falls außerhalb der Geschäftszeiten die Leberwurst ausgeht?

„Die Schönheit des Alters wird oft unterschätzt. Hier kommt sie zur Geltung“, las ich in der Zeitung über einen Rotwein von der Côte-du-Rhône. Vielleicht ist dieser Satz auch zur Hebung der Frühlaune geeignet, wenn ich ihn an den Spiegel im Bad hefte.

Sonntag: „Das neue Zuhause für Querdenker“, las ich während des Spaziergangs auf dem Werbeplakat eines Büromöbelhauses in der Innenstadt. Vielleicht sollte die Marketingabteilung darüber aus aktuellem Anlass nochmal in sich gehen.

Kurze Zeit später kam ich an einem Hutgeschäft vorbei mit dem schönen Namen „Hutgeflüster“. Leider hat es offenbar den Geschäftsbetrieb eingestellt, jedenfalls deuten die zugeklebten Scheiben darauf hin*. Der Hut als alltägliche Kopfbedeckung ist einfach außer Mode, wie ich schon mehrfach beklagte.

Des Weiteren sah ich eine wegen Bauarbeiten verkehrsbefreite Autobahn …

… einen Radweg (hier war vielleicht im Rahmen des Vorhabens „Fahrradhauptstadt Bonn“ etwas Geld übrig) …

… und ein herbstliches Stilleben mit dem unsterblichen Designklassiker Monobloc-Stuhl:

Ansonsten in dieser Woche erfreulich waren ein nicht zu langer erster Arbeitstag, Queen, Rheinischer Sauerbraten und ein Haarschnitt.


*) Nachtrag vom 14. Dezember 2020 – Heute erreichte mich ein Hinweis des Ladeninhabers (oder der Inhaberin, das geht aus der Nachricht nicht hervor):

Mein kleines Lädchen ist nach wie vor aktiv. Ich stelle dort Hüte nach altem Hutmacher-Handwerk her und verkaufe diese auch. Glücklicherweise gibt es auch heute noch Menschen, die ihren Kopf gerne mit (individuellen) Hüten schmücken. Bei starker Sonneneinstrahlung lasse ich hin und wieder ein großflächiges Rollo im Schaufenster herunter, um meine Hüte zu schützen. Daher wirkte es auf Sie vermutlich wie geschlossen. Ich würde mich freuen, wenn Sie in Ihrem Blog einen kurzen Hinweis geben könnten, dass das Atelier nach wie vor „lebt“.

Dieser Bitte komme ich selbstverständlich gerne nach.

Foto der Woche: Anton

Die Aktion „Foto der Woche“ von Aequitas et Veritas läuft bis zum 31. Dezember. Jede Woche zeigt man ein Foto und schreibt was dazu, etwa wann und wo man es gemacht hat, warum man es zeigt oder welche Gedanken man damit verknüpft.

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Das Foto dieser Woche zeigt Anton:

Falls Sie jetzt denken: Wer? Wo? Ich sehe niemanden, nur einen Schreibtisch in einem ansonsten zweifelhaft eingerichteten Zimmer, dann haben sie völlig recht. Anton ist der Schreibtisch. Den Namen habe nicht ich ihm gegeben, sondern sein Hersteller, die bekannte schwedische Möbelmanufaktur, die sämtliche Artikel, vom Teelicht bis zur Einbauküche, mit mehr oder weniger phantasievollen Namen ausstattet.

Anton trat vor zwanzig Jahren in mein Leben, kurz nach dem Umzug nach Bonn. Seitdem verbrachten wir viel Zeit gemeinsam, an ihm lernte ich das Internet kennen, damals noch mit fiependem und rasselndem Modem; hier entstanden zahlreiche Aufsätze für das Blog, Notizen, Tagebucheinträge, ein paar Romanversuche, auch mehrere Basteleien für die Modelleisenbahn. Zwei Umzüge überstanden wir zusammen ohne größere Schäden.

In dieser Woche haben wir uns getrennt, Anton und ich, obwohl er noch recht gut erhalten ist, was ich, bei aller Bescheidenheit, auch seinem Besitzer bescheinigen würde. Manchmal ist die Zeit einfach reif für etwas Neues. Auf Vorschlag des Liebsten, der seit März aus dem bekannten Grund an Anton seine Heimarbeit verrichtet, haben wir ihn (also Anton, nicht den Liebsten) gegen Bekant aus demselben Haus ersetzt, an dem sich auch recht angenehm bloggen lässt, was hiermit belegt sei.

Woche 40: Reifende Reben und fahles Verglimmen

Montag: Der frühere NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement ist am Wochenende laut Medien „friedlich“ gestorben. Die Bundeskanzlerin ließ über ihren Regierungssprecher eine Würdigung per Twitter seibern, also das Medium, über das auch der amerikanische Präsident üblicherweise seinen Unfug absondert. Das hat Clement nun wirklich nicht verdient.

Was wir uns zweifellos verdient hatten, war eine Woche Urlaub. Da die aktuelle Risikolage weitere Reisen nicht zulässt, blieben wir zunächst in Sichtweite von Bonn. Ziel der ersten Etappe war der Petersberg, wo wir uns im ehemaligen Gästehaus des Bundes ein wenig Luxus um die Nase wehen ließen, das erlaubt man sich ja sonst auch nicht so oft, vielmehr käme man zu normalen Zeiten wohl gar nicht auf die Idee. Für mich war es die erste Begegnung mit einer Toilette, deren Deckel sich bei Annäherung automatisch öffnet und nach Verrichtung wieder schließt. Weitere technische Raffinessen und Wasserspiele des Beckens wagte ich mich nicht auszuprobieren. Der Geliebte war da mutiger, auch wenn er einen jähen Schrei nicht unterdrücken konnte, nachdem er das Knöpfchen mit dem Fontainensymbol gedrückt hatte.

Der Petersberg
Blick vom Petersberg

Dienstag: Bei Regen verließen wir am Vormittag den Petersberg und fuhren weiter an die Mosel, um dort ein paar Tage zu bleiben; von der Lokalität her auch nicht wirklich schlecht:

Hotel Schloss Lieser in Lieser

„Sängerin Rihanna macht ja auch in Unterwäsche“, sagte auf der Fahrt dorthin der Mann im Autoradio. Wahrscheinlich bin ich mal wieder der einzige, der das lustig findet.

Mittwoch: Nach dem Frühstück machten wir einen Ausflug nach Traben-Trarbach, wo dem Moseltouristen auf der Suche nach regionaltypischen Geschenken für seine Lieben alles Erforderliche in großer Auswahl angeboten wird.

Donnerstag: Während ich im Frühstückssaal mein Müsli löffelte, sah ich jemandem dabei zu, wie er bei leichtem Niesel auf der Außenterrasse die schweren Metallstühle und -tische stapelte und anschließend mithilfe eines Gabelstaplers einsammelte und wegfuhr. Als wäre der Sommer mit diesem Tag offiziell für beendet erklärt worden und nun bis zum nächsten Jahr einzulagern.

Heute entfernten wir uns nicht weit vom Ort. Bei einem Rundgang durchs Dorf und die örtlichen Weinberge schauten wir den Reben beim Reifen und den Weinbauern beim Ernten zu, entweder traditionell mit Schere und Eimer oder mit einer riesigen Erntemaschine, die innerhalb von Minuten Reihe um Reihe von Weinstöcken entbeert, ein wahres Wunder der Ingenieurskunst. Wobei, was mag so eine Maschine neben Weinbeeren noch so alles, wenig vergärenswertes, abzupfen, wie Blätter, Käfer, Schnecken, Vogelkot, Feldmäuse? Weiß der Winzer.

Von Wein zu Bier: Nebenbei erhielten wir auch einen Einblick in den ortstypischen Humor. Ob die Beschriftung der Tafel nach Verabreichung größerer Mengen des angepriesenen Produkts entstanden ist, erscheint nicht völlig abwegig.

Freitag: Donald Trump und Gemahlin wurden positiv auf Corona getestet. Wünschen wir Frau Melania einen möglichst milden Verlauf. Wegen des Gatten möge das Universum die richtige Entscheidung treffen, vielleicht geht da ja mal ein bisschen mehr als bei Johnson, Lukaschenko und Bolsonaro. Aber Trump kann anscheinend ohnehin nichts und niemand etwas anhaben. Insofern erscheint diesbezüglicher Hoffnungsschimmer eher als fahles Verglimmen.

Gegen Mittag verließen wir Lieser in Richtung Bonn. Es gibt Menschen, die sich nach einem Gran-Canaria-Urlaub freuen, wenn der Rückflug erst am Abend geht, weil sie dadurch noch mehrere Stunden am Strand oder Schwimmbecken herumlungern können. Ich bin da etwas eigen: Wenn ein Urlaub vorüber ist, möchte ich so schnell wie möglich nach Hause, nicht stundenlang mit gepackten Taschen auf den Transfer zum Flughafen warten oder eine zehnstündige Autofahrt aus der Provence erdulden. Insofern ist die Mosel das perfekte Reiseziel – bereits nach weniger als zwei Stunden Fahrt saß ich wieder auf heimischer Brille.

Samstag: Laut Zeitung gilt im Kölner Hauptbahnhof an diesem Wochenende ein Waffenverbot. Heißt das, an allen anderen Tagen nicht?

Dreißig Jahre Deutsche Einheit. Kleines Detail am Rande: Wie ich neulich irgendwo las, antwortet man auf die Frage „Wie macht die Ente?“ im Westen „quak quak“, im Osten hingegen „nak nak“. Der Franzose sagt übrigens, ich habe das mal recherchiert, „coin coin“ (sprich: „koan koan“), wobei er vermutlich „miam miam“ denkt, weil er sich die Ente bereits an Rotwein- oder Orangensoße vorstellt.

Bleiben wir beim Essen: Abends suchten wir den Italiener unseres Vertrauens auf. Am Nebentisch saßen vier Personen, drei Männer und eine Frau, wobei einer der Männer mit ungefähr achtzig Prozent Sprechanteil beachtliches Redefleisch bewies in einer Lautstärke, die das ganze Lokal zu beschallen vermochte. Dabei sagte er Sätze wie „Danach zünde ich den Karriere-Turbo“. In solchen Momenten erscheint mir eine Hörschwäche nicht ausschließlich nachteilig, weil man dann einfach sein Hörgerät ausschalten kann.

Sonntag: Laut sind bekanntlich im Allgemeinen auch die Amerikaner, dazu nach meiner Überzeugung bekloppt, auch schon vor und ohne Trump. Einen weiteren Beleg dazu finden Sie hier, wo sich eine hysterische junge Digital-Naive über deutsche Fenster freut, als gäbe es Gratis-Wochen bei Starbucks. Der Anblick der Weinerntemaschine vom Donnerstag würde ihr womöglich vor Begeisterung multiple Höhepunkte bescheren.

Ansonsten in dieser Woche erfreulich: Sonne und Regen, gutes Essen mit gutem Wein, sehr freundliche Menschen, Ausschlafen dank moderater Frühstückszeit.

Foto der Woche: Original und Fälschung

Die Aktion „Foto der Woche“ von Aequitas et Veritas läuft bis zum 31. Dezember. Jede Woche zeigt man ein Foto und schreibt was dazu, etwa wann und wo man es gemacht hat, warum man es zeigt oder welche Gedanken man damit verknüpft. In dieser Woche verstoße ich ein wenig gegen die Regel, indem ich zwei Fotos hochlade, die in gewisser Weise ein Bild zeigen. Oder auch nicht. Es ist etwas verwirrend.

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Die Woche verbrachten wir von Dienstag bis Freitag an der Mosel in einem ausgezeichneten Hotel. (Mehr dazu am Montag im Wochenrückblick.) Ein Ärgernis in Hotels sind ja häufig zu viele Menschen in Frühstückssälen; neben den winzigen Saftgläsern beklagte ich es des öfteren.

Nicht so hier. Zur Vermeidung menschlicher Anhäufungen erfolgt das Frühstück in Schichten. Wer vor Schichtbeginn eintrifft, wartet in einem Vorraum, bis der Tisch hergerichtet ist. Zur Überbrückung der Wartezeit sind zwei sehr ähnliche Gemälde an einer Wand angebracht, Sie kennen das vielleicht aus der „Hörzu“, wo früher am Ende immer ein Bilderrätsel mit dem Namen „Original und Fälschung“ zu lösen war. Aus zwei auf den ersten Blick identischen Bildern musste man eine Anzahl winziger Unterschiede finden. Ob man dabei was gewinnen konnte, erinnere ich mich nicht mehr, auch weiß ich nicht, ob es das Rätsel oder überhaupt die „Hörzu“ noch gibt; Fernsehprogrammzeitungen braucht man ja eigentlich nicht mehr heute, wo ein jeder nur noch streamt.

Hier im Hotelfrühstückswartevorraum die verschärfte Rätselvariante: Beide Bilder hängen in Überkopfhöhe, zudem mit mehreren Metern Abstand dazwischen. Um das Rätsel zu lösen, benötigt man also gute Augen und man bleibt in Bewegung. Da die ersten Gäste ob meines Hin- und Her-Laufens bereits komisch kuckten, gab ich es bald auf. Falls Sie es versuchen möchten, bitte sehr:

Im Übrigen war die Größe der Saftgläser, wie alles andere hier, nicht zu beanstanden.