Neulich träumte mir, ich sei ein erfolgreicher Schriftsteller, der mit seinem Debütroman Vom Leid des Kronkorkens innerhalb kürzester Zeit die Spitzen aller deutschen Bestsellerlisten erobert hat. Das Interview, welches der Feuilletonist einer führenden überregionalen Tageszeitung – im Folgenden der Einfachheit halber F genannt – anlässlich der Verleihung eines bedeutenden Literaturpreises mit mir führte, können Sie unten nachlesen. Da es die nachträgliche Wiedergabe eines Traumes ist, kann ich leider keine Garantie dafür übernehmen, dass das Interview genau so stattfand; mögliche Erinnerungslücken wurden phantasievoll aber plausibel ergänzt.
F: Herr Kah, Ihr Buch hat innerhalb von nur drei Wochen die Top Fünf fast aller deutschen Bestsellerlisten erreicht, selbst Marcel Reich-Ranicki äußerte sich schon verhalten begeistert. Wie erklären Sie sich den unglaublichen Erfolg Ihres Einstiegswerkes?
Ich: Keine Ahnung, ich fühle mich noch immer wie in einem Traum.
F: Können Sie uns etwas zur Entstehung des Buches sagen?
Ich: Es kam jäh über mich wie ein Anfall, als ich unter der Dusche stand, plötzlich war die Geschichte da und wollte aufgeschrieben werden, noch nass und nur mit einem Handtuch umwickelt, um meinen Kopf, stützte ich an meinen Schreibtisch und begann aufzuschreiben, was mir eine fremde Stimme in die Feder diktierte, Wort für Wort, Satz für Satz, Kapitel für Kapitel; nach zwei Wochen ununterbrochenen Schreibens war es dann fertig.
F: Sie meinen, Sie haben zwei Wochen lang ununterbrochen…
Ich: Bis auf kurze Unterbrechungen, die der menschlichen Natur geschuldet sind, sie verstehen. Man staunt, bei welchen Verrichtungen man alles schreiben kann: beim Essen, auf der Toilette, beim…
F: Gewiss, gewiss. Herr Kah, mit Ihrem Werk haben Sie ein Thema aufgegriffen, welches bislang in der Weltliteratur noch nicht behandelt wurde und womit Sie anscheinend den Nerv der Zeit getroffen haben. Wie kamen Sie dazu, ausgerechnet hierüber zu schreiben?
Ich: Sehen Sie, das erklärt vielleicht gerade den Erfolg meines Buches: Die Bücherschränke sind voll mit Werken über Liebe, Sex, Mord und Totschlag, Körperausscheidungen, Familienschicksale; zu diesen Themen gibt es im Grunde nichts, was nicht schon irgendwann geschrieben wurde. Mein Buch behandelt ein Thema, das jeden betrifft, vom Kleinkind bis zum Greis, vom Hartz IV- Empfänger bis zum Top-Manager. Ich möchte Ihre Frage mal umformulieren: Warum hat bislang noch niemand darüber geschrieben?
F: Es gelingt Ihnen, den Leser mit einer sehr dichten Sprache zu fesseln…
Ich: … nicht wahr, da bekommt das Wort Dichter eine ganz neue Bedeutung (albernes Lachen)
F: M-hm… Herr Kah, gerade mit Ihrem Romanhelden, Malte-Kevin, diesem gleichsam beneidens- wie bedauernswerten Halbidioten, liebt, leidet und empfindet der Leser in einer nahezu unbeschreiblichen Weise, er könnte als unsterbliche Figur ist die Weltliteratur eingehen, Seite an Seite mit Christian Buddenbrook, Oskar Matzerath und Wachtmeister Dimpfelmoser – Hand aufs Herz: steckt etwas Malte-Kevin in Ihnen?
Ich: Nein. In mir steckten schon einige, das können Sie mir glauben, aber ein Malte-Kevin noch nicht, das wüsste ich…
F: (errötend) Nein, nein, das meinte ich nicht, vielmehr wollte ich wissen… also, trägt Ihr Roman autobiografische Züge?
Ich: Sehen Sie, so ein bisschen Malte-Kevin sind wir doch alle: wir essen, trinken, spielen gelegentlich an uns herum, bohren in der Nase, wenn es keiner sieht, schauen uns Pornos an, hören gerne Volksmusik…
F: Sie mögen Volksmusik?
Ich: Natürlich nicht. Sie?
F: Nun, ab und zu schaue ich schon das Musikantenstadel, wenn es nichts besseres gibt, das Fernsehprogramm wird ja auch immer schlechter…
Ich: Interessant… Wann haben Sie gemerkt, dass Sie Volksmusik lieben?
F: Nun ja, lieben, so weit möchte ich nicht gehen, aber… ähem… – Herr Kah, haben Sie schon ein neues Werk in Arbeit, werden Sie versuchen, an den Erfolg vom Leid des Kronkorkens anzuknüpfen?
Ich: Nein. Ich werde nie wieder etwas schreiben. Wissen Sie, nach dem Erfolg des Kronkorkens kann ich mir nicht vorstellen, etwas vergleichbares oder gar besseres zu schreiben; alles, was jetzt noch käme, könnte dagegen nur farb- und tonlos erscheinen.
F: Was werden Sie stattdessen tun?
Ich: Ich spiele mit dem Gedanken, mir die Brust vergrößern zu lassen, und dann… mal sehen.
F: Eine Brustvergrößerung als… äh… Mann?
Ich: Ja warum denn bitte nicht? Wir leben im Zeitalter der Gleichberechtigung, Frauen arbeiten in metallverarbeitenden Berufen, die Zahl der Stahlträgerinnen ist in den letzten zehn Jahren sprunghaft gestiegen, sie fahren Bus, ja selbst ein Laubbläser in Frauenhand ist heutzutage nichts außergewöhnliches mehr; da werde ich als Mann mir ja wohl die Brust vergrößern lassen dürfen!
In diesem Moment ging der Wecker los und beendete jäh das Gespräch. Leider kann ich mich nicht erinnern, was das Thema meines Romans Vom Leid des Kronkorkens war, welcher mir diesen Erfolg bescherte. Aber die Idee mit der Brustvergrößerung gefällt mir immer besser.