Woche 42/2025: Englisch sprechende Menschen in weißen Turnschuhen

Montag: „Words are very unnecessary“ sang Depeche Mode morgens im Radio. Ich fühlte mich bestätigt, was mich nicht davor bewahrte, gelegentlich sprechen zu müssen.

Meines Erachtens unnötige Worte verschwendete am frühen Abend auch der Liebste, als er eine Autofahrerin belehrte, die sich anschickte, im Halteverbot vor unserem Haus zu parken. Zum Dank hörte er „Ich parke aber immer hier“ und „Regeln? Nun kommen Sie mir nicht so!“ Mir ist es mittlerweile viel zu mühsam, fremde Leute auf ihr Fehlverhalten anzusprechen, wenn es mich nicht unmittelbar betrifft. Das macht nur schlechte Laune auf beiden Seiten und der Angesprochene ändert sein Verhalten erst recht nicht. Menschen wollen nicht belehrt werden. Wer nicht will, muss eben zahlen.

Aus der Zeitung: „Söders Strahlkraft ist innerhalb der CSU im Moment für niemand anderen auch nur ansatzweise erreichbar. Sein Glück sei es, dass es keinen zweiten Söder gebe.“ Nicht nur seins.

Dienstag: Auch heute fragte ich mich wieder, warum junge Kollegen nicht mehr in der Lage sind, ein einfaches „Hallo“ oder „Guten Morgen“ einigermaßen angemessen zu erwidern und mich stattdessen, während sie sich einen unverständlichen Grunzlaut abringen, anschauen, als hätte ich einen auffälligen Hautausschlag oder stünde unbekleidet vor ihnen. Was ist mit denen los?

Auch wunderte ich mich über die große Anzahl von Rechtschreibfehlern (über die sachlich-inhaltlichen äußere ich mich gar nicht) in gelesenen Anforderungsdokumenten. Wie sehr muss man unter Druck stehen, dass man sich das nicht nochmal durchliest, bevor man es absendet? Oder ist es Absicht, um den Anschein hoher Arbeitsbelastung entstehen zu lassen? Oder ist das einfach egal, Hauptsache man ahnt ungefähr, um was es geht?

Überhaupt wundere (oder ärgere) ich mich immer wieder über die zunehmend liederliche Art der werksinternen, manchmal aus -externen Kommunikation, nicht nur wegen Rechtschreib- und Grammatikfehlern. Vieles erfolgt nur noch auf Zuruf oder per Teams-Chat, schon eine Woche später kaum noch nachvollziehbar. Erst heute entging mir wieder eine mindestens wissenswerte Information, weil ich nicht Teil der betreffenden Chatgruppe war. Andererseits, wie eine frühere Kollegin zu sagen pflegte, ich zitierte es bereits mehrfach, was dessen Wahrheit nicht schmälert: Unwissenheit schafft Freizeit.

Beliebt ist es auch, zu einer Teams-Besprechung einzuladen ohne konkrete beziehungsweise im Einladungsbetreff nur rudimentär beschriebene Angabe, um was es geht. Solche Besprechungen enden oft nach kurzer Zeit, weil ich mich nicht in der Lage sehe und auch nicht bereit bin, die zu erörternden Fragen spontan, ohne Recherche oder wenigstens gründliches Nachdenken zu beantworten. Auf meine Bitte, mir das Problem noch einmal schriftlich zukommen zu lassen, kommt dann oft nichts mehr.

Immer öfter denke ich: Ich bin zu alt für diesen Scheiß. Vielleicht bin ich es wirklich.

Ansonsten war der Tag von leuchtendem Herbstgold verziert:

Morgens am Rhein
Ebenda
Auf dem Rückweg
Gülden auch das Oktoberfestbier im Glas

Mittwoch: Vormittags brachte eine Kollegin der Nachbarabteilung ihr Kind mit ins Büro. Kein Säugling, es kann schon laufen, und also lief es den Flur auf und ab, gefolgt von der mit durchdringender Stimme auf es einredenden Mutter und augenscheinlich zum Zwecke der Niedlichfindeaufforderung. An unserem Büro liefen sie dank geschlossener Glastür vorbei, was vielleicht auch am Augenrollen von mir und meiner Bürogenossin lag, die ähnlich antinatalistisch veranlagt ist wie ich.

Danach wurde das Kind noch lautstark (die Mutter) etwas bespaßt, ehe es wieder weg war, vielleicht abgeholt, und die Kollegin sich im Nachbarbüro platzierte, wo sie mit unverminderter Lautstärke lange und viel telefonierte.

Dafür war es abends zu Hause sehr ruhig, weil jemandem offenbar eine auch auf Nachfrage nicht näher beschriebene Laus über die Leber gelaufen war und er es deshalb vorzog, zu schweigen. Mir war es recht, siehe Montagmorgen.

Donnerstag: Diese ist eine gerade, somit eine kleine Woche, das heißt, heute hatte ich frei. Der Tag begann mit dem Frühstück im Kaufhof-Restaurant, das kurz nach der Öffnungszeit schon erstaunlich gut besucht war, keineswegs nur von Rentnern. Haben die nichts zu tun an einem Tag, da anständige Menschen arbeiten? Vielleicht waren das Touristen, oder Lehrer in den Herbstferien.

Danach übte ich mich in Örben Heiking; für eine längere Wanderung war keine Zeit, da ich in Bereitschaft war zur Erledigung einer Vereinsangelegenheit, namentlich Korrekturlesen eines Druckwerks, das bis Anfang November fertig sein muss und morgen in den Druck gehen sollte. Dazu benötigte ich die Zuarbeit anderer, die im Laufe des Tages eintreffen sollte. Um dennoch wenigstens etwas in Gehgenuss zu kommen, fuhr ich mit dem Bus bis zur Endhaltestelle im Stadtteil Brüser Berg, von dort ging ich zu Fuß zurück durch das mir bislang unbekannte, herbstlich eingefärbte Derletal, Duisdorf, Lessenich, das Messdorfer Feld, Endenich und die Weststadt; Ziel war die Gaststätte am Friedensplatz, wo ich am frühen Nachmittag eintraf, um mich mit Hilfe von Currywurst und Bier zu regenerieren.

Im Derletal
Ebendorten
Für die Sammlung – ein außergewöhnlich pitoresker Trafoturm in Lessenich
Messdorf
Essigbäume im Messdorfer Feld
Fassaden in der Weststadt

Frisch gestärkt war ich bereit für die Vereinsangelegenheit, jedoch traf die Zuarbeit heute nicht mehr ein. Dann geht es eben erst Montag in den Druck, sollte auch noch reichen. So lange wie es dauert, dauert es halt.

Freitag: „… wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, …“ beginnt eine Mail, die mich auf die Teilnahme an der regelmäßigen Pflichtschulung zur Korruptionsverhütung hinweist. Gerne hätte ich geantwortet „Die Freude ist ganz Ihrerseits“, wenn die Nachricht nicht von einem noreply-Absender gekommen wäre. Immerhin werde ich gesiezt, das ist mittlerweile selten in solchen Mitteilungen. Die Durchführung habe ich auf Montag terminiert, wenn die Arbeitslust ohnehin gering ist.

In der Kantine mittags war ich umgeben von englisch sprechenden Menschen in weißen Turnschuhen. Hat vermutlich nichts zu bedeuten, fiel mir nur auf.

Was schön war: Nach dem Mittagessen hatte ich Gelegenheit, an einer Führung für Externe durch den Turm teilzunehmen, in dem ich, mit zwei Unterbrechungen, vom ersten Tag seiner Inbetriebnahme vor dreiundzwanzig Jahren an arbeite. Viel Neues erfuhr ich dabei nicht, beging immerhin erstmals ein gläsernes Treppenhaus im Konferenzbereich, das weitgehend unnütz ist und, immerhin das war mir neu, seine Existenz der Tatsache verdankt, dass Kunst am Bau ab einer bestimmten Gebäudegröße Pflicht ist. Der Ordnung halber sei darauf hingewiesen, dass ich mich für die Führung in der Zeiterfassung ausgebucht hatte.

Auch schön: Die Wochenkolumne von Kurt Kister erscheint nach monatelanger Sommerpause wieder. Jedesmal, wenn er sich in eine solche Pause verabschiedet, lässt er ein wenig offen, ob er nochmal schreibend wiederkehren wird. Umso mehr freute es mich heute, als sie per Mail eintraf. Darin zitiert er einen gewissen Frank Turner mit diesem schönen Satz: „In einer Welt, die sich dafür entschieden hat, den Verstand zu verlieren, soll man wenigstens versuchen, freundlich zu sein.“ Ja, auch diesbezüglich sollte man stets bemüht sein.

Samstag: Während des Frühstücks mit dem Liebsten im Restaurant traf die bereits für Donnerstag erwartete Zuarbeit für das Vereins-Jahresheft ein, somit verbrachte ich anschließend einige Stunden am Schreibtisch. Was man so macht am Wochenende.

Der Begriff FOMO (fear of missing out, die Furcht, etwas zu verpassen) dürfte allgemein bekannt sein. Doch daneben gibt es auch MOMO, wie beim Hamburger Mitblogger zu lesen ist. Dazu schrieb er:

Mystery of Missing Out: Das Gefühl, etwas zu verpassen, ohne zu wissen, was es ist. Etwa weil andere nichts mehr über ihr vermeintlich tolles Erleben in den sozialen Medien teilen. Das ist ein sehr schönes Beispiel für Probleme, auf die ich noch nicht einmal ansatzweise gekommen bin.

Zeit für die nächste Frage. Heute ist der 291. Tag des Jahres. (Je nachdem, wo man schaut; nach anderen Quellen der 275. oder 290.; die meisten Quellen sagen 291, also glaube ich das mal. Ich könnte es auch mithilfe des Kalenders selbst ermitteln, aber so wichtig ich es nicht.) Frage 291 lautet: „Verzeihst du anderen Menschen leicht?“ Ja, ich glaube schon. Vielleicht, weil mir bislang nichts nachhaltig Unverzeihliches zugefügt wurde, jedenfalls erinnere ich mich an nichts derartiges. Auch meine Geburt war gut gemeint, da bin ich mir sicher. Sogar als der Geliebte vor ein paar Jahren mit dem Staubsauger über meine Modelleisenbahn ging, verrauchte der Zorn bald, nachdem diverse Figürchen und Fahrzeugteile aus dem Staubsaugerbeutel geborgen und wieder an den vorgesehenen Stellen befestigt waren. Vielleicht bin ich einfach zu gut für diese Welt.

Abends aßen wir mit einem befreundeten Paar, das wir lange nicht gesehen hatten, im französischen Restaurant. Exklusiv für uns gab es Lammkeule, die wir aus dem letzten Provence-Urlaub mitgebracht hatten, dazu perfekt passenden Rotwein aus Châteauneuf-du-Pape. Das war sehr schön und äußerst sättigend.

Sonntag: Noch immer gesättigt vom Vorabend verspürten wir nur geringen Frühstücksappetit, entsprechend unüppig fiel das Frühstück aus. Wesentlich empfänglicher für Nahrung zeigte sich eine Schar Raben am Rheinufer, die von Passanten mit Erdnüssen gefüttert wurden, wie ich während des Spaziergangs sah. Gerecht ist das nicht: Tauben dürfen nicht gefüttert werden, Raben schon.

Rheinufer
Innere Nordstadt

Ansonsten war es ein ruhiger Sonntag mit Lesezeit auf dem Sofa. Übrigens liest man nicht mehr einfach so, jedenfalls nicht längere Texte, Bücher gar, sondern man betreibt Deep Reading, wie ich hier las. Man geht ja auch seit geraumer Zeit nicht mehr einfach so durch einen Wald, sondern man betreibt Waldbaden. „In einer Welt, die sich dafür entschieden hat, den Verstand zu verlieren, …“ Siehe oben.

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Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Kommen Sie gut durch die Woche und bleiben Sie bei Verstand.

18:00

Woche 52/2021: Allzu große Strengnahme führt selten zu etwas Sinnvollem

Montag: Der Justizminister möchte die „Wahlverwandtschaft“ ermöglichen. Hierzu steht im Koalitionsvertrag: »Wir werden das Institut der Verantwortungsgemeinschaft einführen und damit jenseits von Liebesbeziehungen oder der Ehe zwei oder mehr volljährigen Personen ermöglichen, rechtlich füreinander Verantwortung zu übernehmen.« Das wäre mal eine echte Innovation, wenn man seine Verwandtschaft künftig wählen kann statt sie wie bislang ausschließlich ohne Widerspruchs- und Rückgaberecht von der Natur zugeteilt zu bekommen. Auch das „oder mehr“ klingt interessant und dürfte Kirchen wie konservative Kreise aufhorchen lassen.

Ansonsten berichtet die Zeitung – nicht zum ersten Mal – über einen knapp dreihundert Meter langen Trampelpfad, der sich im Laufe der Zeit am Beueler Rheinufer gebildet hat, siehe rote Linie:

(Mit freundlicher Unterstützung von Google Maps)

Schon lange beschäftigt der Pfad Naturschützer, besorgte/empörte Bürger und Politiker; seit Jahren versucht die Stadt Bonn, dem Wildtrampeln Einhalt zu gebieten durch Bepflanzung, Findlinge und Baumstämme, alles ohne Erfolg, obwohl der reguläre Weg nördlich des Pfades keinen nennenswerten Umweg bedeutet, wie Sie vielleicht erkennen können. Doch die menschliche Bequemlichkeit ist nicht zu beugen, selbst wenn sie nur subjektiv empfunden wird; zuletzt wurde gar ein Holzzaun zerstört. Vielleicht sollte die Stadt es mal mit Fußangeln, Fallgruben, Stolperdrähten, Exkrementausbringung oder Landminen versuchen.

Dienstag: Mittags stand ich vor der verschlossenen Kantine, vielen Dank an Omikron und Querfurzer. Stattdessen gab es in einem werksgastronomischen Nebenbetrieb noch was, sogar zum örtlichen Verzehr. Ab kommender Woche öffnet die Kantine dem Vernehmen nach wieder, allerdings vorerst nur für den Verzehr außer Haus. Das wäre geeignet, meine Laune zu trüben, doch was nützt es? Nicht nur wegen der über die Weihnachtstage verzehrten Speisemengen ist die Gefahr, zu verhungern, gering, und irgendwann darf man bestimmt wieder im Haus essen, wenigstens einige Wochen oder Monate lang. Vielleicht irgendwann wieder für immer, womöglich gar noch vor meiner Pensionierung. Sicher ist das keineswegs.

Auch gestern protestierten in Bonn wieder rund achthundert Menschen gegen Siewissenschon, wie die Zeitung heute berichtet. „Es ist mei­ne freie Ent­schei­dung über mei­nen Kör­per, ob ich mich imp­fen las­se oder nicht“, sagte einer, der seinen Na­men nicht in der Zei­tung le­sen will; darüber besser nicht aufregen, bringt nichts. Wesentlich origineller das Argument eines anderen Impf- und Maskenmeiders: „Ge­stor­ben wur­de schon im­mer.“ Zum Glück, möchte man da ergänzen.

Mittwoch: Man hört und liest nun oft, eine allgemeine Impfpflicht würde „die Gesellschaft spalten“. Wenn man ein Stück Holz auf den Spaltklotz legt und mit der Axt so daneben haut, dass am rechten (oder linken) Rand nur ein kleiner Span abgetrennt wird: Ist das Holz dann gespalten?

Ein schöner Verschreiber ist übrigens „Impflicht“: Ich zünde ein Licht an, auf dass ein jeder sich impfen lasse. (Eine jede und alle anderen natürlich auch.)

Donnerstag: Erstmals las ich im Zusammenhang mit wild abgestellten und umgeworfenen Elektrorollern das schöne Wort „Rollermikado“.

Der Journalist Claus Kleber im General-Anzeiger über Interviews mit Olaf Scholz: »Das ist einer, der die Frage kaum zur Kenntnis nimmt. Der wartet, bis der Interviewer aufhört zu reden, und spult dann seinen Standard ab.« Nicht nur Herr Scholz beherrscht diese zweifelhafte Kunst, möchte man ergänzen. Glauben die wirklich, wir merken das nicht?

Freitag: Silvester. Nicht nur das Jahr ist zu Ende: Erst jetzt erfuhr ich vom Tod eines Bekannten, der bereits am vergangenen Sonntag im Alter von 69 Jahren diese Welt verlassen hat. Auch wenn wir uns nicht sehr nahe standen, so geht es mir doch recht nahe. Lieber B, ich erhebe mein Glas auf dich!

Ansonsten war 2021 in persönlicher Hinsicht kein besonders schlechtes Jahr, dennoch kann es weg, ich werde es nicht sehr vermissen.

Spaziergänge am Rhein würde ich indessen sehr vermissen.

Samstag: Neujahrsbedingt verzögerte sich der Frühstücksbeginn um mehrere Stunden, dafür fiel es etwas knapper aus. Nachtrag zu vergangener Woche: Kaffee, dessen Bohnen zuvor das Gedärm einer Schleichkatze passiert haben, schmeckt nicht besser, er ist nur teurer, wir haben das mal für Sie ausprobiert. (Streng genommen sind das keine Bohnen, sondern Beeren beziehungsweise deren Kerne, aber allzu große Strengnahme führt ja selten zu etwas Sinnvollem.)

Während des längeren Ernüchterungsspazierganges entdeckte ich im Stadtteil Beuel zwei weitere Trafotürme, die meinem Auge bislang entgangen waren und meine Sammlung nun ergänzen.

Sonntag: Das Naturfilmportal XHamster muss womöglich bald seinen Betrieb einstellen, stand in der Zeitung. Das ist ungerecht, ich kann mich da nur wiederholen: Tatort genießt mit Mord und Todschlag zur besten Sendezeit Kultstatus bei Jung und Alt, aber sobald eine Erektion zu sehen ist, wird unsere Jugend gefährdet? Das ist doch lächerlich.

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Liebe Spamversende/(r), auch Gendern will gelernt sein.

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Sichtung im ICE 1050 auf dem Weg von Bielefeld nach Bonn: Die waren entweder sehr teuer oder extrem billig, ich kenne mich da nicht so aus.

Lächerlich sind im Übrigen auch alte Männer auf zu lauten Motorrädern.

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Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche und alles Gute für das noch neue Jahr! Es würde mich freuen, wenn Sie auch künftig ab und zu hier reinschauen.

Woche 16: Das Leben in leeren Zügen genießen

Montag: Jedem Anfang wohnt ein Ende inne, soviel ist sicher. Doch will ich es positiv sehen, heute begann eine Woche Urlaub. Die wesentlichen Aktivitäten waren: eine Grundsatzdiskussion am frühen Abend, mit deren Details ich sie nicht belästigen will, und eine Aktualisierung der Liste.

Dienstag: Die Zeitung berichtet über empörte Bonner Eltern, weil ihr evangelisches Kind nicht eine katholische Grundschule besuchen darf, trotz „Schulweg von weniger als 500 Metern, auf dem Bürgersteig immer geradeaus, ohne die Straße oder gar eine Kreuzung überqueren zu müssen“, somit hätte das Kind es eines Tages, etwa ab der vierten Klasse, womöglich gar ohne elterliche Chauffeurdienste dorthin geschafft. Das kann man ärgerlich und gemein finden, völlig nachvollziehbar. Die eigentliche Frage ist aber doch: Warum gibt es solche „Konfessionsschulen“ überhaupt? Man stelle sich vor, andere Konzerne, vielleicht die Deutsche Bank oder Bayer, betrieben ebenfalls Grundschulen bevorzugt für Kundenkinder. Dann wäre aber was los.

Zum Geburtstag des Liebsten machten wir eine kleine Wanderung im Ahrtal: mit der Ahrtalbahn bis Dernau, dann zu Fuß rechtsahrisch bis Mayschoß, dort bei Sonnenschein die erste Rast. Zurück ging es links der Ahr auf einem Teilstück des Rotweinwanderwegs bis Dernau, wo wir nach zweiter Rast die Rückfahrt antraten. Erkenntnis: Man gelangt sehr zügig von Mayschoß nach Dernau, wenn man unterwegs nicht alle paar Meter von einem Weinausschank aufgehalten wird.

Alles Gute, mein Schatz!

Die auch als „Union“ bekannte Zankgemeinschaft hat endlich entschieden: Nun wird also Armin Laschet im Herbst voraussichtlich den Kürzeren ziehen.

Übrigens: Der Begriff „Große Koalition“ erscheint mittlerweile genauso aus der Zeit geraten wie „Kotflügel“ oder „Videothek“.

Mittwoch: „Frauen fühlen sich nicht mehr mitgemeint, wenn von Studenten oder Mitgliedern die Rede ist“, steht im General-Anzeiger. Liebe Damen: auch nicht bei Mitgliedern? Echt jetzt?

Den Urlaubstag nutzte ich für eine Reise nach Bielefeld, um meine Mutter zu besuchen, die erste längere Bahnreise seit über einem Jahr. „Das Leben in leeren Zügen genießen“, könnte der neue Werbespruch der Bahn sein. Aus Gründen der Bahnbegeisterung wählte ich einen Umweg über Münster. Kurz davor durchfuhren wie den Ort Buldern – ein schönes Wort, das auch als Verb denkbar ist, etwa wenn jemand eifrig mit etwas beschäftigt ist, dessen Sinn und Zweck sich Außenstehenden nicht unmittelbar erschließt. „Na, bist du wieder am rumbuldern?“, könnte man dann fragen. Oder so: „Kommst du zum Essen?“ – „Gleich, muss noch kurz was buldern.“

Nach Rückkehr in Bonn ließ der Bildschirm in der Stadtbahnhaltestelle wissen, dass Mecklenburg-Vorpommern die Impfung mit Astra Zeneca für alle freigibt. Unmittelbar im Anschluss folgte eine Reklame für Astra Urtyp. Manchmal mag man nicht mehr an Zufälle glauben.

Donnerstag: Ich habe beschlossen, den fertigen Bestseller über epubli zu veröffentlichen, da es mir aussichtslos erscheint und ich im Übrigen wenig Lust habe, zu versuchen, dafür einen Verlag zu finden. Um Erfahrungen mit epubli zu sammeln, habe ich zunächst ein altes Werk genommen, das ich bereits 2007 schrieb und seitdem mehrfach überarbeitet habe. Zwischenzeitlich war es auch als Bytebuch beim großen A erhältlich, jetzt nicht mehr, weil ich mit dem großen A nichts zu tun haben will, nicht als Kunde und schon gar nicht als Autor. Die Erstellung des Buchs bei epubli ging einfach und schnell, gestern wurde der Prototyp geliefert. Den heutigen Urlaubstag habe für Anpassungen und Korrekturen genutzt, eine hochgradig angenehme Tätigkeit. Ich hoffe nun, in den nächsten Tagen den Auftrag zu erteilen. Wenn alles so klappt wie erhofft, kommt dann der Bestseller an die Reihe.

Freitag: Heute beginnen die Abiturprüfungen, war morgens im Radio zu hören. Die Abiturenti‘ tun mir wirklich leid in diesen Zeiten, ich kann mir kaum vorstellen, wie das überhaupt funktionieren soll. Bei der Gelegenheit überlegte ich, wie lange das bei mir her ist, und kam auf fünfunddreißig Jahre, also fast doppelt so viele wie ein Abiturienti‘ üblicherweise alt ist. Das ist schon erschreckend genug. Noch erschreckender: Nichts, aber auch wirklich gar nichts von dem, was ich damals für die Prüfungen lernte, weiß ich heute noch, weil ich es einfach nicht benötige und nie benötigte, es wäre völlig unnützes Wissen, das wertvollen Hirnspeicherplatz blockiert. Wie auch diese bislang ungelöschten Informationen: 1) Bei meinem Arbeitgeber waren früher Kassenbücher mit dokumentenechter Tinte oder Kugelschreiberpaste nach DIN 16554 zu führen. 2) Es gab einen „Antrag auf Erstattung eines von einem Münzwertzeichengeber zu unrecht einbehaltenen Münzbetrages“. Gäbe es noch Partys, hätte das vielleicht einen gewissen Unterhaltungswert.

Den Urlaubstag nutzte ich für eine wunderbare Wanderung über den Venusberg und „hintenrum“ zurück. Falls es Sie interessiert, schauen Sie hier. (Die „Klinke“ im südlichen Teil erklärt sich durch den Abstecher zu einem Trafoturm, den ich in der Ferne sah und fotografieren musste:)

Erwähnte ich schon, dass ich Trafotürme sammle? Also natürlich nur die Bilder davon; bitte frage Sie nicht, warum, ich kann es nicht erklären. Immerhin beruhigend: Ich bin da nicht der einzige.

Ein paar „normale“ Bilder habe ich auch gemacht:

(Die Poppelsdorfer Allee in Bonn)
(Im Wald oberhalb von Poppelsdorf)
(Bei Schweinheim)
(Auch bei Schweinheim)
(Blick vom Kreuzberg, von wo aus man den Kölner Dom sieht, siehe Pfeil)

Samstag: Noch ein toller Zufall – wie heute der Zeitung zu entnehmen ist, gibt es das Verb „buldern“ schon, jedenfalls fast: „Beim Bouldern klettert man ohne Seile und Gurte an kleinen Felsformationen und Felsblöcken, die in der Regel nicht höher als sechs Meter sind.“ Ob das zu wissen nützlich oder unnütz ist, mag jedi‘ für sich entscheiden. (Toll, nicht? Das i‘-Gendern funktioniert auch bei Pronomen.)

Tom macht sich lesens- und bemerkenswerte Gedanken über das Sterben und das, was möglicherweise danach kommt:

„Doch welche Erfahrung wäre extremer als die des Sterbens. Da bietet das Gehirn zu guter Letzt nochmal alles auf, was an Neuronen, Botenstoffen, Synapsen und Elektrizität verfügbar ist, bevor das alles letztlich ausgeknipst wird.“

Habe ich auch schon, siehe dorten. (Ein früherer, lange pensionierter Kollege sagte „dorten“, wenn andere „dort“ sagen. Laut Duden ist diese schöne Wort ebenfalls längst pensioniert.)

„Schwarz – blau – schwarz – blau …“ murmelte der Geliebte am Abend vor sich hin. Zum Glück war er nicht mit einer Elektroinstallation beschäftigt, sondern mit der möglichst harmonischen Anordnung von Kaffeekapseln.

Sonntag: Ja, es ist irrational – obwohl ich selbst nicht (mehr) rauche, begegne ich Menschen, deren Blick beim Gehen oder gar Fahrradfahren aufs Datengerät gerichtet ist, mit weniger Verständnis als welchen mit Zigarette. Manchmal neige ich gar zu Aggressionen.

Es ist gefährlich (ja, Rauchen auch), vor allem raubt der Bildschirm die Aufmerksamkeit für die Dinge, die links und rechts des Weges zu sehen sind. Wie den einen zweifelhaften Humor belegenden Spruch „Denk an die Umwelt – fahr mit dem Bus“, den ich beim Spaziergang an einem modernen Nachfahren des VW-Bullis sah.

Ähnlich fragwürdiger Humor mag die Tage auch gut fünfzig Schauspieleri‘ dazu getrieben haben, in angeblich ironischen Filmchen die Pandemie-Politik zu kritisieren. (Dass ich fast niemanden davon kenne, ist bezeichnend für meinen Medienkonsum.) Dazu schreibt die F.A.S.:

Einen großen Fehler haben aber wir, die Journalisten, schon vorher begangen: Wir haben die Schauspieler darin bestärkt, sich als Welterklärer zu fühlen – eine Rolle, der manche von ihnen nicht gewachsen sind. Wir haben sie nicht nur nach ihren Filmen gefragt, sondern nach Werten, nach Weltanschauung, nach dem richtigen Leben. In Wahrheit sind diese mehrheitlich vegan lebenden Loft- oder Landhausbewohner nicht besser oder klüger als wir selbst.

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 25.4.2021

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Wie am Donnerstag angekündigt, ist der Roman „Herbsterwachen“ in einer überarbeiteten Fassung (und unter einem anderen Pseudonym) neu bei epubli erschienen, eine Geschichte über Leben, Liebe, Lust und Leiden. Weiteres finden Sie hier.

(Ja ich weiß, damit ist er auch wieder beim großen A erhältlich, aber immerhin nicht ausschließlich. Dagegen kann man wohl nichts machen.)

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Ansonsten die Woche gehört und gelesen:

  • Gelesen: „? und ! sind keine Rudeltiere.“ (stand unter einem Forumseintrag im Netz)
  • Gehört: „Die wollmilchlegende Eiersau“

Ich wünsche Ihnen eine angenehme neue Woche!