Woche 12/2025: AFAICS

Montag: An den inflationären Gebrauch des Wortes „spannend“ als Synonym für interessant hat man sich inzwischen gewöhnt, selbst Pilze und Schnecken können heutzutage spannend sein. Eine gewisse Steigerung stellt da die Ankündigung von „exciting news“ dar, heute gleich zweimal in unterschiedlichen Zusammenhängen gelesen. Meine Aufregung über das derartig Verkündete hielt sich in Grenzen.

Dienstag: Der strahlende Sonnenschein bildete einen deutlichen Kontrast zum kalten Wind, der mir morgens auf dem Fußweg ins Werk entgegen blies. Auch die Läufer am Rheinufer liefen überwiegend langebehost, wer wollte es ihnen verdenken. Verdenken kann man einigen von ihnen allenfalls, dass sie dabei konsequent und ohne Not auf dem Radweg laufen, das aber unabhängig von Temperatur und Hosenlänge.

Nachmittags hatte ich einen Termin beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt, um das Hörvermögen mal wieder überprüfen zu lassen. Während ich – wie schon mehrfach geschrieben – es keineswegs als Nachteil empfinde, nicht mehr alles so genau zu hören, erst recht nicht das Gerede fremder Menschen am Nebentisch oder in der Bahn, liegt mir der Liebste schon lange in den Ohren, endlich was gegen meine Hörschwäche bei Hintergrundgeräuschen zu unternehmen. Indes der Befund: Keine Verschlechterung zum letzten Mal, weiterhin keine Hörhilfe erforderlich. Mit meinem Hinweis, er müsse einfach deutlicher sprechen, wenn wir etwa in einer Gaststätte sind, stoße ich regelmäßig auf taube Ohren.

Wie mir Epubli schrieb, hat im Februar jemand mein Buch gekauft. Ich sage herzlichen Dank und wünsche viel Vergnügen damit.

Wie die Zeitung berichtet, hat in Gera ein Mann in der Straßenbahn seine Gattin mit einer brennbaren Flüssigkeit in Brand gesetzt. Dazu die Zeitung: „Die Tat in Gera lässt den Atem stocken: Am helllichten Tag brennt eine Frau“ – hätte er sie etwa besser abends anzünden sollen? „Das ist kein alltägliches Geschehen“, wird dazu eine Polizeisprecherin zitiert. Die Frau versteht ihr Hand- beziehungsweise Mundwerk.

Herr Gunkl schreibt: »Der* Erwiderung „Das ist polemisch!“ wird meist dann gebracht, wenn der Formulant dieses Vorwurfs gerade bemerkt hat, daß seine Argumente einem deutlichen, sauberen Schachmatt erlegen sind.«

*Das sollte wohl „Die“ heißen. Trotzdem treffend.

Mittwoch: Ein (mir) neuer Gruß aus der Küche der Kommunikationshölle erreichte mich morgens: „AFAICS“. Wie eine kurze Recherche ergab, steht das für „as far as I can see“. Soweit ich das sehe, vollendeter Bullshit.

In Zeiten zunehmender Falschmeldungen ist ein Abo für Qualitätsmedien gut angelegtes Geld: Laut Zeitung ist der Trigema-Chef Wolfgang Grupp im echten Leben niemals dem Affen Charlie begegnet. Für diese Nachricht zahlt man doch gerne.

Abends schrieb ich einige Zeilen an meinem nur langsam vorankommenden Romandings, das, so viel sei verraten, völlig ohne Liebe und Triebe auskommt. Es ist nicht so, dass mir dazu die Zeit fehlte, es mangelt nur am regelmäßigen Aufraffen und Machen. Ich weiß nicht, woran das liegt; dieses Blog regelmäßig zu befüllen schaffe ich ja auch.

Donnerstag: Da große Woche ist, musste ich heute arbeiten, das war nicht schlimm. Auf dem Rückweg erlaubte ich mir, da es deutlich milder geworden ist, das erste Freiluftbier der Saison, wofür die Norweger das Wort Utepils verwenden, ich erwähnte es schon in den Vorjahren. Ort des Genusses war der Außenbereich des Rheinpavillons, auf einer Schräge unmittelbar am Ufer, gleichsam auf (Bull-)Augenhöhe mit den Schiffen. Nächsten Donnerstag habe ich wieder frei, voraussichtlich ohne Freiluftbier, weil es wieder kühler werden soll. Haben die Norweger auch ein Wort für Bier in geschlossenen Räumen? Wobei der Bedarf für ein solches Wort überschaubar sein dürfte, aber hey, das gilt ja für viele Wörter, dennoch werden sie häufig hergeplappert. (Woher kommt eigentlich dieses pubertär-dämliche „aber hey“?)

Hinweg
Utepils

Freitag: Eine nicht neue, heute bei Ankunft im Turm bestätigte Erkenntnis ist, manchen Menschen geht die Kombination der Wörter „guten“ und „Morgen“ nur schwer über die Lippen. Vielleicht hat man es ihnen nicht beigebracht. Das ist indes kein Hindernis, um Teamleiter zu werden.

Ebenfalls nicht neu die Frage, warum Toilettenkabinen nicht schall- und geruchsdicht gebaut werden. Zu den Dingen, die ich ganz besonders wenig schätze, gehört die akustische und olfaktorische Zeugenschaft anderer Leute Darmentleerung. Nicht zu Hause und erst recht nicht in Gemeinschafts-Verrichtungsorten wie in Bürogebäuden und Gaststätten.

„Älterwerden hat nicht viele, aber doch einige Vorteile“ schreibt Kurt Kister in seiner wöchentlichen Kolumne Deutscher Alltag, die ich seit heute nach Neuanmeldung wieder empfange, nachdem ich aus rätselhaften Gründen schon zweimal aus dem Verteiler gefallen bin.

Der Meister des Symbolbilds stellt wieder sein Können unter Beweis:

(General-Anzeiger Bonn)

Samstag: In der Inneren Nordstadt hat die Kirschblüte begonnen und sie lockt die ersten Fotografenden an. Falls auch Sie deswegen in nächster Zeit eine Reise nach Bonn planen, warten Sie noch etwas, die Bäume in den beiden Hauptblühstraßen brauchen noch etwa zwei Wochen, bislang sind nur erste, wenig fotogene Knospen erkennbar, die von einigen ebenfalls fotografiert werden, warum auch immer.

Frühblüher in der Maxstraße

Sonntag: Ein großer Textilhändler in der Innenstadt bietet laut Schild im Schaufenster Styles ab 25,99€ an, wie ich während des Spaziergangs sah. Warum auch nicht. Ansonsten lockt der Frühling wieder zahlreiche Menschen nach draußen, das jahreszeittypische Nebeneinander von T-Shirts und Daunenjacken. Auch die Natur hat umgestellt auf Frühling: Forsythien und Magnolien stehen in voller Blüte, die Kastanien in der Südstadt bringen zartes Grün hervor. In der Außengastronomie auf dem Münsterplatz fand ich einen freien Platz, aus Vernunftgründen bestellte ich eine Limonade. Direkt gegenüber, am Fuße des Beethoven-Denkmals, säugte unter den Augen zahlreicher Cafébesucher eine Frau an freigelegter Brust ihr Kind, das für einen Säugling ungewöhnlich groß wirkte.

Zum guten Schluss: Erfreulich in dieser Woche waren der Hörbefund, das erste Freiluftbier und mehrere geschriebene Zeilen.

***

Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche.

Woche 25/2023: Wer nicht melden will, muss schwitzen

Montag: Meine Morgenstimmung hätte Erika Fuchs, die damalige Übersetzerin der Donald-Duck-Comics, wohl mit einem »SEUFZ!“ treffend auf den Punkt gebracht. Bei Ankunft im Werk lag eine Störung der Schließtechnik vor, die mir zwar Zugang zum Büro gewährte, jedoch nicht in den Gebäudeteil mit der Kaffeemaschine. Stöhn. Im Laufe des Morgens wurde die Störung behoben und die Stimmung hob an. Auch sonst zeigte sich der erste Arbeitstag nach zwei Wochen Urlaub recht freundlich, die Zahl der eingegangenen Mails war erstaunlich niedrig, darunter keine Problemfälle mit weiterem Seufzpotenzial.

Es ist heiß, die Rasenfläche hinter dem Bürogebäude ist verdorrt, bereits jetzt, dabei hat der Sommer noch gar nicht richtig begonnen. Wo soll das hinführen?

Am frühen Abend, als ich Brötchen für das Abendessen holte, ging ich durch die Innenstadt und dachte: Was für komische Leute. Ich kann das an nichts festmachen, objektiv gesehen waren es die gleichen wie sonst auch. Vermutlich, sofern sie mich überhaupt wahrnahmen, fanden sie mich genauso komisch. Ich kann es ihnen nicht verdenken.

Dienstag: Nur weil es etwas wärmer ist, ist das kein Grund, nicht zu Fuß ins Werk zu gehen.

Promenade
Provence am Mutterhaus

Nach langer Zeit mal wieder insgesamt fast vier Stunden Besprechung in Präsenz mit elf Menschen, Kaffee und Kaltgetränken in einem immerhin angenehm temperierten Besprechungsraum. Danach fühlte ich mich erschöpft. Man ist nichts mehr gewohnt.

Früher sagte man: „Der führt was im Schilde“; heute: „Der verfolgt eine Agenda“.

Mittwoch: Es musste so kommen. Vormittags kam jemand von der Haustechnik, um die Jalousie im Büro zu reparieren, die nicht mehr herunterfährt. Leider ohne Erfolg, die Fachfirma muss ran. Dass bis auf Weiteres nachmittags die Sonne ins Büro scheint und zusätzlich wärmt, kann ich niemanden zum Vorwurf machen, außer mir selbst. Erst am Montag habe ich die Störung gemeldet, obwohl sich das Teil seit Wochen nicht mehr bewegt. Im Winter hatte ich wochenlang gefroren, weil es im Büro wegen defekter Heizung (oder wegen Putin) an manchen Tagen nicht wärmer als achtzehn Grad wurde. Als dann eines Tages die Jalousie oben blieb, dachte ich: Muss ich mal melden, hat keine Eile. Dann kam der Urlaub. Wie die Oma schon wusste: Wer nicht melden will, muss schwitzen. Mein Zweitname sei Prokrastin. Der Ventilator ist einstweilen mein bester Freund.

Diese Besprechung hätte eine Mail sein können, dachte ich nach einer Teams-Runde, die für eine halbe Stunde angesetzt und schon nach wenigen Minuten beendet war. Das mal positiv sehen.

Ansonsten ein weiterer warmer Tag mit kurzem Gewitter am Nachmittag, dessen kühlende Wirkung sich binnen kurzer Zeit verflüchtigte. Eigentlich hatte ich mir für den Abend vorgenommen, zu laufen. Doch bei der Wärme – och nö.

Donnerstag: Die für heute angekündigten Unwetter zeigten sich zumindest hier bei uns einigermaßen gemäßigt. Planmäßig konnte ich zu Fuß ins Werk gehen, erst gegen Mittag kam der erste Regen auf, der sich zu einem Gewitterschauer aufbaute und bald wieder nachließ, das gleiche nochmal am späten Nachmittag kurz vor end of business. Außerhalb der Regenphasen war es weiterhin warm, die »Herbstliche Gnocchi-Gemüsepfanne« mittags in der Kantine brachte keine innere Abkühlung, ebensowenig die Schilder »Kein Winterdienst« in den Rheinauen.

Den diesjährigen Preis für Verpackung verdient dieses französische Keksprodukt

Freitag: Ich lasse es dem Universum als kleine Zankerei zum Wochenende durchgehen, dass morgens, gerade als ich eingeseift unter der Dusche stand und nicht eingreifen konnte, im Radio mal wieder Giesingers Lied über die frustrierte tanzende Mutter gespielt wurde, was mich danach noch längere Zeit ohrwurmend begleitete.

Morgens auf dem Fahrrad umspielte mich ungewohnt angenehme Junikühle, fast schon war es zu kalt ohne Jäckchen. Nachmittags auf dem Rückweg wieder Wärme.

Der Kollege, der immer gar wunderbare Wörter benutzt, schickte per Mail ein kurzes Heads-up, worin er einen Optionenraum aufzeigt. Es ging um Probleme mit einem neu eingeführten Prozess. Als ich vor Wochen die zugehörige Prozessanweisung las, war mein Gedanke: Das wird nicht funktionieren, doch verzichtete ich, da es nicht viel mehr als ein aus jahrelanger Erfahrung gewachsenes Bauchgefühl war und zudem mangels fachlicher Zuständigkeit, auf entsprechende Kommentare in Richtung der Verantwortlichen; man hätte es auf Wunsch von höchster Stelle so oder so eingeführt. „Ihr macht das schon“ ist oft klüger als „Ich würde das anders machen“.

Samstag: Der General-Anzeiger stellt in einer Beitragsreihe ab heute spannende regionale Ausflugslokale vor: »Ein kühles Getränk, ein Sitzplatz mit Aussicht und dazu am besten noch ein Sonnenuntergang.« Das ist vor Spannung kaum auszuhalten. Warum heißt es immer häufiger „spannend“, wenn „interessant“ oder einfach nur „nett“ gemeint ist? Ist das Bequemlichkeit, nach dem passenden Wort zu suchen?

Mittags in der Fußgängerzone sprach mich ein sehr junger Mann von der Seite an, was ich überhaupt nicht mag, nicht von jungen Männern noch von mittelalten Frauen. Da er nicht den Eindruck erweckte, um Bargeld anzuhalten und auch sonst ganz hübsch anzusehen war, ließ ich ihn sprechen, und also frage er, ob er mir etwas aushändigen dürfte. In seiner Hand hielt er einige Zettel und Prospekte, die als christlich-religiöse Druckerzeugnisse auszumachen waren. Ich lehnte dankend ab. „Darf ich wenigstens für Sie beten?“, fragte er dann, wogegen ich nichts einzuwenden hatte, etwas Fürbitte schadet nicht. „Wie heißen Sie denn?“, wollte er noch wissen. Das wurde mir etwas zu intim, daher verweigerte ich die Auskunft. Wenn er seinem Gott später sagt, dieser ältere Kerl mit kurzer Hose, Chucks und rotem Polohemd, wird der schon wissen, wem das Gebet gilt.

Sonntag: Ein ruhiger, warmer Tag. Auch die Sonntagszeitung widmet sich der Frage, warum den fünf Insassen des Tauchbootes, die auf dem Weg zum Wrack der Titanic ums Leben gekommen sind, mehr Aufmerksamkeit zuteil wurde als mehreren hundert Flüchtlingen, die kürzlich im Mittelmeer ertrunken sind. Vielleicht weil wir uns ein paar übermütigen Reichen näher fühlen als den namenlosen Menschen auf der verzweifelten Suche nach einem besseren Leben, was weiß ich. Menschen sind und bleiben seltsam.

Im Zusammenhang mit der zerdrückten Tauchkapsel ist hier und da das Wort „tragisch“ zu vernehmen. Das halte ich für falsch. Der geplatzte Tauchgang ist vergleichbar mit Jugendlichen, die im Übermut auf abgestellte Güterwaggons klettern und dort vom Schlag der Oberleitung getroffen werden. Das ist nicht tragisch, sondern einfach dumm.

Beim Spaziergang durch die Nordstadt und an den Rhein begegneten mir nur wenige Menschen. Auch im Lieblingsbiergarten waren die meisten Tische frei, das zahlreiche Personal unausgelastet. Entweder ist es den Leuten zu heiß, oder sie sind im Urlaub.

Keine Werbung, jedenfalls keine bezahlte

In einer Seitenstraße rollte vor mir langsam ein riesiger weißer Mercedes-SUV, dessen linker Vorderreifen platt war. Er fuhr in eine Parkbucht, der Fahrer stieg aus, ging in die Hocke und betrachtete das Schlamassel. Obwohl völlig unangebracht, musste ich ganz kurz innerlich grinsen.

Statt Alkohol bevorzugt die Jugend zunehmend Fruchtgetränke, das ist zu loben. Auch damit kann man manches falsch machen.

Falsch
Richtig

Beim Gehen fragte ich mich: Werden die eigentlich inzwischen mit diesen weißen Hörstöpseln in den Ohren geboren?

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Kommen Sie gut durch die Woche, möglichst ohne Seufzen und Stöhnen.

Woche 9/2022: Jedem seinen Alb

Montag: Nachdem ich gegen halb vier in der Frühe aus einem nicht sehr unangenehmen Traum erwacht war, hinderten mich innere wie äußere Unruhe zunächst am Wiedereinschlafen. Erst gegen fünf fand ich erneut in den Schlaf, ehe mich die Radionachrichten um halb sieben zum Aufstehen in eine neue Woche motivierten. (Sie dürfen hier gerne eine gewisse Ironie vermuten.)

Dienstag: Auch die zurückliegende Nacht war von wenig Schlaf gesegnet. Dieses Mal war es der Nachbar von oben, der mit Freunden bis drei Uhr offenbar eine kleine Karnevalssitzung in seiner Wohnung abhielt, zwar nicht mit lauter Musik, dafür mit wiederholter Polonaise über die nur mäßig schallgedämpfte Stahlwendeltreppe und mehrfachem geräuschvollem Möbelrücken. Eine am Morgen schriftlich verfasste Protestnote meinerseits wird ihn vermutlich so wenig beeindrucken wie den russischen Präsidenten Friedensdemonstrationen im Ausland. Zu weitergehenden Sanktionen fehlen mir leider die Möglichkeiten, da wir keine Geschäfts- noch sonstige Beziehungen mehr pflegen. „Guter Zaun – gute Nachbarschaft“ las ich kürzlich irgendwo. Da ist was dran. Leider sind Zäune selten schalldicht.

Morgens kam mir einer entgegen, komplett dunkel gekleidet mit schwarz vermummtem Gesicht unter tiefgezogener Kapuze, die Augen nicht zu sehen, wie der Tod persönlich auf dem Weg zu seinem Tagwerk. Statt einer Sense trug er eine Große Packung Tabak mit sich, darauf deutlich sichtbar der Hinweis „Rauchen tötet“. Manchmal passt es einfach.

Mittwoch: Nach dem Mittagessen bei aktueller Vorfrühlingshaftigkeit im Freien unternahm ich einen Spaziergang durch den Rheinauenpark, wo der Wasserstand der Teiche wegen Wartungsarbeiten zurzeit stark abgesenkt ist. Dort fauchte mich eine Wildgans am Wegesrand an, sonst die friedlichsten Wesen. Vielleicht erzürnte sie das Niedrigwasser. Vielleicht war sie einfach nur gereizt, wie so viele in dieser Zeit.

Bei der Rückfahrt wurde ich auf dem Radstreifen zweimal von abbiegenden Autos behindert. Darüber hätte ich mich erzürnen können, aber wem wäre damit geholfen gewesen?

Gar nicht erzürnt, eher erleichtert nahm ich eine abends im Briefkasten vorgefundene Absage des Arbeitgebers auf eine Bewerbung zur Kenntnis, bleiben mir dadurch doch viel zusätzliche Arbeit und am Ende zwei Klausuren erspart. Andere wurden halt für noch geeigneter gehalten, das ist völlig in Ordnung.

Ich weiß nicht, ob ich es schon mal erzählt habe, als Täglichblogger über fünfzig hat man da nicht immer den Überblick: Manchmal träume ich, in absehbarer Zeit stünde eine große schriftliche und mündliche Abschlussprüfung an, für die es noch viel zu lernen gibt, mehr als bis dahin Zeit zur Verfügung steht, und von der alles abhängt, wie einst das Abitur und die Laufbahnprüfung für die Weihen der gehobenen Beamtenlaufbahn. Das sind diese Träume, bei denen sich unmittelbar nach dem Erwachen breites Grinsen der Erleichterung einstellt. Andere werden von wilden Tieren verfolgt oder stehen nackt im Aufzug, ich schreibe Klausuren, so hat ein jeder seinen Alb.

Immerhin hat mich das damalige Bestehen der Prüfungen davor bewahrt, heute im Social-Media-Team eines Unternehmens zu arbeiten, wo ich fremde Leute ungefragt duzen muss.

Im Übrigen bewundere ich Menschen mit besonderen Fähigkeiten. Abends sah ich einen, der sich aus dem örtlichen Imbisslokal eine Currywurst im flachen Pappschälchen geholt hatte, damit auf sein Fahrrad stieg und freihändig davonradelnd die Wurstscheiben aufgabelte. Freihändig Fahrrad zu fahren gehört zu den Dingen, die ich nie gelernt habe, genauso wenig wie bei rollendem Rad auf- und abzusteigen. Daher staune ich immer wieder, mit welcher Leichtig- und Selbstverständlichkeit andere es tun, auch ohne Currywurst im Pappschälchen.

Da war er schon weggeradelt. Mir gefiel das Motiv dennoch.

Donnerstag: »Stand with Belarus« fordert ein verwitterter, ausgeblichener Aufkleber, den ich morgens auf dem Fußweg ins Werk an einem Lampenpfahl sah. Das hat sich inzwischen irgendwie erledigt, wenn auch völlig anders als von dem Aufkleber (also sowohl dem Klebezettel als auch der ihn aufklebenden Person) ursprünglich gemeint.

„Das ist sowas von irrational“, sagte einer, der mir entgegenkam, zu seinen beiden Begleiterinnen. Wir können nur vermuten, was er meinte, aber vermutlich hat er recht.

Ansonsten war es morgens kalt und optisch ansprechend.

Aus der Reihe „Schiefe Bilder“: »Die Verkehrsberuhigung des Rheinufers zwischen Rosental und Zweiter Fährgasse soll ab Juli Fahrt aufnehmen«, schreibt der General-Anzeiger zur angestrebten städtischen Verkehrswende. Wünschen wir ihr gute Fahrt.

Freitag: Weiterhin verkauft die Kantine zur zum Mitnehmen. Als ich mittags bei der Entgegennahme des Zweikammer-Mehrweg-Mitnahmegefäßes die Dame an der Kasse fragte, ab wann man dort wieder stationär essen darf, von einem richtigen Teller und mit anschließendem Dessert, stellte sie eine Rückkehr zum Normalbetrieb ab nächster Woche in Aussicht. „Wenn alles gut geht“, fügte sie hinzu. Schiefgehen kann zurzeit ja vieles, vom Ausfall der Heizung bis hin zum Atomkrieg. Hoffen wir also mit ihr, dass alles gut geht.

Samstag: Die Zeitung berichtet Neues von der Endlos-Baustelle der Bonner Beethovenhalle. Nicht eine erneute Steigerung der Baukosten oder Verzögerung der Fertigstellung waren Gegenstand, sondern die Wasserhähne in den Sanitäranlagen, aus denen künftig nur noch kaltes Wasser zur Handreinigung laufen wird. Falls die Halle jemals fertig und in Betrieb gehen wird. Von zahlreichen Gaststätten und öffentlichen Toiletten nichts anderes gewohnt sehe ich darin kein Problem, doch sind empörungsvolle Leserbriefe Bonner Bürger diesen Mangel betreffend in Kürze zu erwarten.

Auch auf die Gefahr hin, anbiedernd zu wirken, was nicht beabsichtigt ist – ein weiteres Mal komme ich nicht umhin, Herrn B. zu zitieren, weil er schreibt, was ist:

»… wobei ich auch das Wort spannend furchtbar finde, und zwar nicht erst seit neuerer Zeit, sondern schon seit alle Menschen alles spannend finden, ihre Aufgaben, ihre Jobs, ihre Beziehungen, die Entwicklungen, den Krieg, alles ist spannend und ich denke immer, ihr spinnt doch.«

Sonntag: Ausgeschlafen, langer Spaziergang, Sonnenschein, schauen wir zum Ende der Woche mal auf die positiven kleinen Dinge, die es auch noch gibt.

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„Utepils“ ist nicht der Name der Biermarke einer Brauerei in Frauenhand, sondern verwenden laut PSYCHOLOGIE HEUTE die Norweger dieses Wort für das erste, besonders wohlschmeckende Bier des Jahres, das bei Frühlingssonnenschein draußen genossen wird. Also immerhin etwas, auf das man sich noch freuen kann.

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Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche. Lassen Sie sich durch die aktuellen Ereignisse nicht allzu sehr die Stimmung beeinträchtigen und bewahren Sie sich den Blick für die kleinen, angenehmen Dinge. Ich versuche es ebenfalls.