Woche 21/2023: Ankunft in Andernach, verliebt in München und eine Evakuierung

Montag: „Alle Schnittstellen sind shiny„, hieß es in einer Besprechung mit vielen durcheinander redenden Teilnehmern, zu der ich offenbar versehentlich eingeladen war und inhaltlich nichts beitragen konnte. Ebenso glanzvoll dieser Satz in einer Mail, die mich in tiefe Ratlosigkeit versetzt: »Das Artifactory ersetzt mit dem Sundown des LCM TeamForge die Fachfunktion eines Binär-Repositories und kann bereits für neue Repositories angefragt werden.« Klingt beruhigend, auch wenn ich nicht den Hauch einer Ahnung habe, was er bedeutet. Weiß der Himmel, wie ich in diesen Mailverteiler geraten bin.

Es ist warm. In Büros und Kantine akuter Halbarmhemdenalarm.

Der Rückspiegel an meinem Fahrrad ist längst keine Ausnahmeerscheinung mehr, man sieht sie immer häufiger. Meistens an den Rädern älterer Herren. – Ach ja, richtig.

Warum wünscht man sich gegen Ende des Arbeitstages eigentlich einen „schönen Feierabend“ statt einfach einen „schönen Abend“? Diese Frage warf meine liebe Flurkollegin am Nachmittag auf, womit sie recht hat. Nur wenige werden nach des Wertages Mühen ein Fest aufsuchen, jedenfalls nicht zwischen Montag und Donnerstag.

Dienstag: Bei zunächst kühl-zugigem Wetter reiste ich nach München, um dort Frau Kraulquappe zu treffen. Nach Jahren intensiven schriftlichen Austausches waren wir beide der Meinung, es sei an der Zeit für ein persönliches Kennenlernen.

Die Bahnfahrt verlief zufriedenstellend, wegen eines defekten Stellwerks erfolgte die Abfahrt mit zwölf Minuten Verspätung, was für eine Stellwerksstörung geradezu ein Fliegenschiss im schienengebundenen Raum-Zeit-Gefüge ist. Einzig Wagen fünf, für den meine Reservierung gebucht war, fehlte ohne weitere Information im Zugverband, doch fand ich, da der Zug nur mäßig belegt war, einen Fensterplatz mit Blick nach draußen (so wichtig und nicht selbstverständlich, siehe unten) im Wagen sechs. Hier bestand nur die Gefahr, vom Platz verscheucht zu werden, da die Reservierungsanzeige im Wagen nicht funktionierte.

Bei Ankunft in Andernach dachte ich: »Ankunft in Andernach«, das wäre ein schöner Romantitel. Wenn jemand dazu eine Idee hat, bedienen Sie sich.

Während der Fahrt hörte ich eine seit Jahren nicht mehr vernommenen Mobiltelefonmelodie, Didl düdü, didl düdü, didl düdüdüü, wer verwendete den damals, Nokia? So lange ist das noch gar nicht her, und doch schon so weit weg. Oder kann man sich die inzwischen als nostalgischen Signalton auf das aktuelle Datengerät laden, wie das Schrillen einer Schelle aus Bundespost-Zeiten?

Ich kam mit immer noch zehn Minuten Verspätung unverscheucht in München an, wo mich milder Sonnenschein, Frau Kraulquappe und Dackeldame Pippa sehr herzlich empfingen. Spätestens beim ersten Bier im Biergarten entwickelte sich die Herzlichkeit zu Sympathie, die so weit ging, dass ich aus eigenem Antrieb ein Selfie von uns fertigte, was für mich, der Selfies grundsätzlich dämlich findet, bemerkenswert ist und sich mangels Übung als gar nicht so einfach erwies.

Ausdruck von Lebensfreude auf bayrisch (rechts) und ostwestfälisch

Mittwoch: Vormittags erkundete ich die nähere Umgebung zunächst unbegleitet durch Frau K. und Fräulein P., kam dabei vom vorgeschlagenen Wege ab, verlor vor Gehfreude ein wenig das Raum-Zeit-Gefühl und traf mit leichter Verspätung am vereinbarten Treffpunkt ein.

Idyll am Westermühlbach
Auch ganz reizend

Mittags brachen wir auf zu einem Ausflug zum Kloster Andechs, wo wir uns stärkten mit Schweinsbraten und dem berühmten örtlich gebrauten Bier, das ganze eingerahmt in eine Wanderung durch oberbayerische Fluren und sehr angenehme Gespräche.

Fräulein P. weist den Weg
Auf dem Rückweg

Danach erhielt ich Gelegenheit für einen Blick über den Starnberger See, wiederum verbunden mit einer kurzen Einkehr.

Anleger in Berg
Kleinblogger in Berg, aber das sehen Sie ja selbst (Foto: Frau Kraulquappe)

Später beim Abendessen besprachen Frau K. und ich unser gemeinsames Blogvorhaben, wovon Sie demnächst mehr lesen werden.

Wort des Tages: Postbelastungsschmerz. Kenne ich, ab und an.

Donnerstag: Vormittags zeigte mir Frau K. die Schönheit des Nymphenburg-Viertels, mit anschließender (alkoholfreier) Einkehr in einem Café. Nach allem, was ich in den vergangenen Tagen von München gesehen habe, bemerke ich, mich ein wenig in diese Stadt verliebt zu haben. Zum Abschied mittags beschlossen wir, derartige Treffen zu wiederholen. Herzlichen Dank an Frau Kraulquappe für das Besuchsprogramm und die ausgezeichnete Betreuung, und an Fräulein Pippa für die geteilte Aufmerksamkeit! Der imaginäre Bewertungsbogen erhält in allen Kategorien fünf Sterne.

Schlossgartenkanal

Die Rückfahrt mit der Bahn gestaltete sich besonders abenteuerlich. Da der von mir gebuchte EC mit etwa einer Stunde Verspätung abfahren sollte, wegen „Reparatur am Zug“, stieg ich in einen vorher fahrenden ICE, der pünktlich den Münchener Hauptbahnhof verließ. Vor Neu-Ulm wurde er langsamer, dann blieb er auf freier Strecke stehen. Kurz darauf ertönte das Piepen des Unheils, das Sie vielleicht kennen, wenn Sie öfter Bahn fahren: drei aufeinander folgende Pfeiftöne, der mittlere eine Terz höher als die äußeren; dann ist selten etwas Gutes zu erwarten. Als Grund des außerplanmäßigen Haltes wurde zuerst Strommangel genannt, angeblich stand nicht mehr genügend Elektrizität für eine Weiterfahrt zur Verfügung, das war mir als Begründung neu. Wie sich wenig später herausstellte, hatte kurz zuvor ein Regionalexpress die Oberleitung beschädigt, dadurch war der Streckenabschnitt stromlos. Es gab also genug Strom, nur nicht hier. Bis wann der Schaden behoben wäre, wusste man nicht. Nach und nach fielen die Systeme im Zug aus: die Klimaanlage (zum Glück war es nicht heiß), die Beleuchtung, die Anzeigebildschirme. Immerhin funktionierten noch die Lautsprecherdurchsagen und, wichtig, die Toiletten.

Gut eine Stunde später die Durchsage: Unser Zug kann nicht weiterfahren und wird evakuiert. Da die Stromversorgung des Gegengleises nebenan inzwischen wieder hergestellt werden konnte, sollte bald ein anderer Zug neben uns halten, in den wir hinüber wechseln sollten. Und also kam es, wir stiegen über einen schwankenden Steg in den rettenden Nebenzug, der uns gut zweieinhalb Stunden nach dem unheilverkündenden Piepen bis Stuttgart brachte. Dort fuhr eine halbe Stunde später ein Intercity nach Bonn ab, in dem ich bei Verfassen dieser Zeilen gerade sitze. Wenn jetzt nichts mehr passiert, bin ich gegen elf zu Hause. Das war es wert und es schmälert die Freude über das Treffen mit Frau K. ganz und gar nicht. Gleichwohl ein Eintrag in der Liste der Dinge, die man nicht unbedingt erlebt haben muss.

„Fensterplatz“

Auffallend gut war die Stimmung im stehenden Zug, bis zum Schluss wurde gescherzt und gelacht. Im aufnehmenden Zug hingegen meinten wieder einige, den Sitz neben sich mit Handtasche oder Rucksack belegen zu müssen, auf dass sich ja keiner daneben setzte, obwohl vorher ausdrücklich darum gebeten worden war, wegen des beschränkten Platzangebotes sein Gepäck zu verstauen. Ich rege mich nicht auf, ich bemerke nur.

Loben möchte ich ausdrücklich den Zugchef Herrn König, der uns im Rahmen seines jeweils aktuellen Kenntnisstands während der ganzen Zeit über Lautsprecher informierte und Hintergründe erläuterte (zum Beispiel warum es nur eine Übergangsbrücke gab, Grund: Auch die Bahn hat Personalmangel), stets in ruhigem, fast unterhaltendem Ton. »STEHTS BEMÜHT« hat hinter dem Stuttgarter Hauptbahnhof jemand an eine Mauer gesprüht. Dem ist nichts hinzuzufügen.

In Wiesloch-Walldorf ist übrigens der Ausstieg rechts, falls Sie da mal rausmüssen.

Freitag: Nach etwa neuneinhalb Stunden Bahnreise kam ich gestern Abend gegen elf zu Hause an. Immerhin, zu Fuß oder mit dem Fahrrad wäre das nicht zu schaffen gewesen, auch hier vor allem das Positive sehen.

Zu Fuß ging ich heute auch außer der Reihe ins Werk, weil ich direkt im Anschluss einen Friseurintermin hatte – Sie sehen, auch ich kann geschlechtergerecht, aber warum sollte ich „Friseurtermin“ schreiben, wenn mich nun mal eine Friseurin frisiert – wo war ich, ach ja: zu Fuß, weil man vor dem Salon das Fahrrad nur schlecht abstellen kann.

Dieses Motiv hatten wir diese Woche noch nicht

Der Arbeitstag lief ganz gut, zu meiner Freude war das Nachzuholende der letzten drei Tage bereits am frühen Nachmittag nachgeholt. Das bleibt bitte unter uns, nicht dass jemand an höherer Stelle daraus falsche Schlüsse bezüglich meiner Arbeitsauslastung zieht.

Samstag: Wie die Radionachrichten morgens melden, sind die Menschen in NRW heute aufgerufen, Funklöcher über eine App zu melden. Wie soll das gehen? Nimmt man da nicht besser Postkarten?

Nach dem Frühstück, also deutlich nach Mittag, ging ich für einige Be- und Entsorgungen durch die Stadt und erfreute mich an den optischen wie aromatischen Reizen des Kurze-Hosen-und-Draußenriesling-Wetters.

In der Zeitung eine Besprechung des Buches »Die Welt ist laut – Eine Geschichte des Lärms« von Kai-Ove Kessler, das, wie der Titel nahelegt, von Menschen verursachte Störgeräusche betrachtet und das ich auf die Liste der zu beschaffenden Bücher gesetzt habe. Während ich auf dem Balkon sitze und diese Zeilen tippe, wird in der Nachbarschaft mit stundenlanger Ausdauer etwas maschinell beschliffen, über der Inneren Nordstadt liegt ein andauerndes Raunen und Grölen, weil wohl irgendein wichtiges Fußballspiel stattfindet, und in der Nähe lässt ein PS-Poseräffchen seinen Automotor knallend pupsen. So fügt es sich wieder mal.

Pupsen musste auch Herr Wittkamp, und zwar im Fahrstuhl. Bei ihm las ich erstmals das Wort „Omnivor“ und weiß nach anschließender Recherche, dass ich selbst einer bin, also ein Allesfresser. Außer Gorgonzola und Koriander. Das galt lange Zeit auch für Oliven und Kümmel, inzwischen mag ich beides ganz gerne, so ändern sich Geschmäcker.

Sonntag: Ein ruhiger und warmer Pfingstsonntag, der sich für den eher Ungläubigen von einem gewöhnlichen Sonntag vor allem dadurch unterscheidet, dass die ab dem Nachmittag einsetzende Vorfreude auf die kommende Arbeitswoche noch einen Tag auf sich warten lässt.

Zu den sonntäglichen Pflichten, auch zu Pfingsten, gehört der Spaziergang, der heute wieder auf die andere Rheinseite führte, wo die Leute vor einem eingezäunten Areal am Beueler Rheinufer Schlange stehen und Eintritt zahlen, um über ein Fressbudenfest zu schlendern. Da ich für so etwas ungern warte und zahle, außerdem das Wort „schlendern“ gar fürchterlich finde, ging ich weiter meines Weges.

Auen vor Schwarzrheindorf

Am Straßenrand ein nicht mehr ganz neues Auto mit einem Zettel unter dem Scheibenwischer: »Habe meinen Schlüssel verloren. Kümmere mich um eine Lösung, versprochen.« Stehts bemüht.

Weniger optimistisch dagegen eine angeklebte Laternenpfahlbotschaft von Extinction Rebellion: »WIR SIND AM ARSCH«. Das ist vielleicht von der Ausdrucksweise her etwas rustikal, inhaltlich indes korrekt.

Gelesen bei Frau Kaltmamsell und für richtig befunden: „Später Tagesschau hinterhergeguckt: Acht von 15 Minuten über deutschen Männerbundesliga-Fußball. Das halte ich für sehr falsch: Menschen, die sich für dieses Thema interessieren, haben sicher genügend andere, auch öffentlich-rechtliche Quellen dafür.“

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Kommen Sie gut durch die Viertagewoche, bleiben Sie optimistisch.

Woche 28: Der Urmeter muss wegen akuter Verkürzung neu definiert werden

Liebe Leserin, lieber Leser, hier mein persönlicher, absolut subjektiver und in keiner Weise maßgeblicher Rückblick auf die Woche vom 6. bis 12. Juli 2020.

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Montag: Letzter Tag auf dem Schiff. Nach kurzem Zwischenhalt in Winningen, einem recht schönen, touristisch nicht allzu überbelichteten Moselort, erreichten wir nachmittags Bonn, wo für uns die Reise endete.

„Genießen Sie die letzten Züge“, sagte der Kreuzfahrtleiter nach Ablegen in Winningen zum überwiegend älteren Publikum. Wie immer war er gekleidet in weißer Hose, weißen Sportschuhen und Polohemd in der türkisen Unternehmensfarbe. In Verbindung mit der Schutzmaske erinnerte er an einen Pfleger, was ja hier nicht völlig abwegig war. „Ich meinte natürlich die letzten Züge Ihres Urlaubs“, fügt er vorsichtshalber hinzu, man weiß ja nie, wer da wieder was in den falschen Hals kriegt.

Das überwiegend osteuropäische Personal an Bord weckte übrigens zum Teil gewisse Assoziationen. Vielleicht habe ich in früheren Jahren einfach zu viele tschechische Pornos gekuckt.

Auf die allerletzte Etappe nach Köln am nächsten Morgen in urlaubsunublicher Frühe verzichteten wir aus naheliegenden Gründen, das Abendessen an Bord nahmen wir selbstverständlich noch mit, ist ja bezahlt.

Fazit: Sehr zu empfehlen, machen wir wieder.

Das vergangene Woche gezeigte Brückenlimbo in Wehlen wurde vom Liebsten hier noch einmal in bewegten Bildern festgehalten.

Dienstag: In Nachschau auf unsere Reise träumte ich vergangene Nacht vom Bordrestaurant. Zum Abendessen wurden Kaninchenhälse angeboten. „Da könnte ich mich reinlegen“, sagte die Tischnachbarin.

„Was Deutschland angeht: Corona ist vorbei. Das Thema ist durch. Ich persönlich bin nicht bereit, bei einer solchen „Infektionslage“ (und so kann man sie ja kaum noch bezeichnen) eine Maske anzuziehen“, schreibt Guido M aus B in einem Leserbrief an den General-Anzeiger. Der Mann hat offenbar die Welt verstanden, nun erklärt er sie allen.

Dazu passend schreibt Frau Nessy:

„Diese seit Jahren zunehmende Erwartung, von jeglichem Ungemach frei zu sein – auf Kosten Anderer. Auf dem Fahrradweg parken, damit man nicht 300 Meter weit laufen muss. Mit dem Auto in die Stadt fahren, weil man den ÖPNV als ranzig empfindet. Drei Flugreisen im Jahr unternehmen, weil man auch wirklich mal ausspannen möchte. Keine Maske im Geschäft tragen, weil es darunter so stickig wird. Dieses wehleidige Gejammer der Privilegierten – ich krieg’n Hals. Setzt eure Masken auf, Desirée und Frank-Dieter! Und wenn ihr schwitzt: Denkt halt an was Kaltes.“

Aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, die ich mit zwei Tagen Verspätung durchblätterte: „Unfallchirurgen schlagen Alarm: Dank der Hochleistungsmedizin überleben immer mehr Schwerverletzte.“ Erschreckend.

Mittwoch: Jair Bolsonaro ist positiv auf Covid-19 getestet worden. Somit einer von zwei Menschen auf der Welt, bei denen ich glaube, es hat den richtigen getroffen; wer der andere ist, können Sie sich vielleicht denken. Wobei, wenn ich darüber nachdenke, fallen mir noch ein paar weitere ein, Deutsche sind nicht unter den Opfern. Was Bolsonaro betrifft, hoffe ich auf ein paar unerquickliche Symptome. Andernfalls stellt er sich hin und behauptet, er habe es ja gleich gesagt, nur eine leichte Erkältung, mehr nicht. Das wäre ein fatales Signal nicht nur für Menschen wie Guido M aus B.

„Hey ich bins, Janine Kunze“, kräht die Frau in der Radioreklame. Früher wusste ich nicht, wie man Janine Kunze schreibt, heute frage ich mich: Wer ist Janine Kunze?

Donnerstag: Kürzlich wütete ich hier über Radfahrer, die während der Fahrt auf ihr Datengerät schauen. Heute sah ich eine Radfahrerin, die in der Fußgängerzone mit beachtlicher Geschwindigkeit neben sich einen großen vierrädrigen Rollkoffer bewegte. Das hat mich dann doch ein wenig beeindruckt.

Im Zusammenhang mit Fahrradunfällen durch Autofahrer, die beim Öffnen der Tür nicht auf Radfahrer achten, las ich zum ersten Mal den Begriff „Dooring“. Wer hat sich das nun wieder ausgedacht?

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Mittags brachen wir auf zum Elternkurzbesuch nach Ostwestfalen. Ein Spaziergang mit meiner Mutter führte zu dem Wäldchen nicht weit vom Elternhaus im Bielefelder Osten, wo wir als Kinder gerne hingingen, unbegleitet von Erwachsenen und mobil unerreichbar, von wo wir manchmal erst zum Abendessen zurückkehrten, undenkbar heute. Inzwischen sind die Wege im Wald zugewuchert, anscheinend geht da keiner mehr hin.

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Nach wochenlanger Autobahnabstinenz merkte ich einmal mehr, wie sehr mich das Fahren Rasen und Drängeln auf deutschen Autobahnen anstrengt, auch als Beifahrer. Fragte mich die bekannte Fee nach den drei Wünschen, so trüge ich ihr dieses auf: 1) ein generelles Tempolimit von 120 km/h; 2) strenge Kontrollen des Tempos, der Abstände, der Geräuschentwicklung (letztere vor allem bei Motorrädern und Poseräffchenwagen) und der Benutzung von Datengeräten am Steuer; 3) saftige Strafen bei Verstößen, mindestens Geldstrafen, die richtig wehtun, bis hin zu temporären und dauerhaften Fahrverboten. Unterdessen hörte ich im Autoradio, die kürzlich beschlossene Verschärfung des Bußgeldkataloges wurde ausgesetzt, angeblich wegen Formfehlern. Wann tritt dieser besch Scheuer endlich zurück?

„Fußball lebt durch seine Fans“, erkannte ich aus den Augenwinkeln an einen Brückenpfeiler geschrieben. Spontan fielen mir dazu die Bilder in der Tagesschau neulich ein nach dem Spiel von Werden Bremen, glaube ich, gegen wasweißich, kenne mich da nicht aus und es interessiert mich auch nicht. Jedenfalls ließen die dort gezeigten „Fans“ einige Schlüsse über das „Leben“ des Fußballs zu.

Genug gewütet für heute.

Freitag: Am letzten Urlaubstag verließ ich freiwillig und problemlos um sieben Uhr des Bettes Behaglichkeit und nahm mir eine mehrstündige Alleinzeit, die ich waldwandernd auf der zweiten Etappe des Rheinsteig-Wanderwegs von Königswinter nach Bad Honnef verbrachte. Nach dem Drachenfels fuhren zwei mittelalte* Herren auf Mountainbikes** an mir vorbei, nach einigen hundert Metern hielten sie an und kuckten irgendwas an einem der Räder. Als ich mit kurzem Gruß an ihnen vorbeiging, bemerkte ich, es waren elektrische Fahrräder, wie diese rasenden Elektrorentner sie haben, nur eben als Mountainbike. Was es alles gibt.


* Also unwesentlich älter als ich

** Ein von mir als weitgehend alternativlos akzeptierter Anglizismus. „Bergfahrrad“ klingt jedenfalls ziemlich blöde.

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Ein Männlein grinst im Walde

Samstag: Am frühen Nachmittag besuchte ich das Bonner Stadtmuseum, um mir die Ausstellung „Fotografien aus dem Corona-Alltag“ anzuschauen. Sehenswert.

Auf dem Weg dorthin beobachtete ich die Leute in der Fußgängerzone beim ein-Meter-fünfzig-Abstand-halten. 2020 wird wohl auch als das Jahr in die Geschichte eingehen, in dem der Pariser Urmeter wegen akuter Verkürzung neu definiert werden musste. (Dasselbe gilt für Autos, die Fahrräder überholen.)

Sonntag: Ansonsten gehört und notiert:

„Du brauchst hier gar nicht rumzubrüllen, man bekommt dich ja gar nicht übertönt!“

„Abends werden die alten faul … oder wie heißt das?“

„Bist du allergisch gegen Bienenstich?“ – „Nein, den esse ich ganz gerne.“

„Deswegen geht ihr auch an meine Cremes. Ich sehe aus wie ein Scheißhaus, und ihr habt den perfekten Taint.“

Gelesen im SPIEGEL:

„Eine große Schwäche von mir ist, dass ich mich schwertue, andere Menschen zu ertragen. Vor allem wenn sie in größeren Gruppen auftauchen.“

(Hans Joachim Schellnhuber, Klimaforscher)

Zur aktuellen Rassismusdebatte in Amerika:

„Was wir tun können? Weiterhin diskutieren und nicht automatisch empört sein, wenn jemand eine andere Meinung äußert. Wir werden nie alle einig sein können.“

(Daniel Kehlmann, Schriftsteller)

„Als würde Helene Fischer aus Protest gegen Überfischung auf ihren Nachnamen verzichten.“

***

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in eine möglichst angenehme neue Woche.

Woche 47: Vorfestliche Besinnlichkeit

Montag: Der Mann raucht doch nicht etwa?

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(aus General-Anzeiger Bonn)

Das Wort „Sobremesa“ kommt aus dem Spanischen und es bezeichnet den Augenblick, da man das gemeinsame Mahl beendet hat und noch plaudernd vor den leeren Tellern sitzt. Für mich war die heutige Sobremesa in der Kantine indes nur von kurzer Dauer. Nicht, weil dringende Geschäfte mich zurück an den Schreibtisch drängten, sondern wegen der zwei englisch sprechenden jungen Damen nebenan am Tisch. Während sie auf das Datengerät der einen schauten, gab die andere ihrer Verzückung Ausdruck, indem sie fortwährend „Oooh … nooo … oh my goood …“ und so weiter rief. Aufgrund akuter Gefahr, durchzudrehen und „Shut up“ oder schlimmeres in Richtung der beiden zu bellen, zog ich mich nach dem Mahl lieber in die Stille meines Büros zurück.

Dienstag: Demnach darf man es wohl auch „Frisieren“ nennen, wenn man sich eine Glatze schneiden lässt.

(aus General-Anzeiger Bonn)

Aufgrund akuter Kälte machte ich abends zum ersten Mal in diesem Herbst den Ofen in der Stube an und schaute durch die Scheibe den Flammen beim Verzehr der hölzernen Nahrung zu. Ein weiterer Grund, den Herbst zu mögen, was indes nicht jeder so sah: Die Flammen erzeugten nicht nur physische Wärme, sondern waren auch Ursache unerwarteter zwischenmenschlicher Reibungshitze, weitere Einzelheiten dazu erspare ich ihnen. Nur soviel: nichts sexuelles.

Mittwoch: Weniges bringt bereits morgens einander fremde Menschen schneller miteinander ins Gespräch als ein defekter Stadtbahnzug.

Im Werk: „Die sind proaktiv unterwegs“, sagt einer. Ein anderer sagt später, er sei heute „agil unterwegs“. Hoffen wir, dass sie irgendwann ankommen.

Ich selbst war am Abend chortechnisch unterwegs. In der Bahn musste ich einer jungen Dame beim Telefonieren zuhören: „Das war megalecker, danach waren wir megageil Cocktails trinken.“

Donnerstag: Beobachtung während der Rückfahrt vom Werk: Zwei Herren, ein älterer und ein jüngerer, standen am Bahnsteig. Nachdem die eingefahrene Bahn zum Stehen gekommen war und sich die Tür direkt vor den beiden öffnete, bewiesen sie Höflichkeit, indem sie gleichzeitig eine dem jeweils anderen Vortritt gewährende Handgeste in Richtung Wageninneres vollführten. Danach betraten sie synchron die Bahn. Eine eingeübte Choreografie hätte nicht perfekter sein können. Es hätte nur noch gefehlt, dass sie sich beim Eintreten einmal um die eigene Achse drehen und sich dabei abklatschen.

Freitag: Heute wird der Bonner Weihnachtsmarkt eröffnet. Bis Sonntag, dann macht er für einen Tag zu, weil die Kirche das so will.

An der katholischen Kirche reiben sich zurzeit die Gemüter, weil an der Baustelle des Bonner Münsters ein großes Werbeplakat eines örtlichen Handelsunternehmens seine eigene frohe Botschaft verkündet; hierdurch sollen die Sanierungskosten für das Bauwerk ein wenig gemildert werden. (Das derzeitige Vermögen der katholischen Kirche wird übrigens auf etwa zweihundert Milliarden Euro geschätzt, falls Sie mal wieder jemand um eine Spende für das Münster bittet. Aber das eine hat ja mit dem anderen nichts zu tun.) – „Profanisierung der christlichen Botschaft“, „fortschreitende Kommerzialisierung der Adventszeit und der Weihnachtsbotschaft“, so die Empörten. Zu recht: Gegen so ein Plakat erscheint der Weihnachtsmarkt darunter mit feilgebotenem Zierrat und Tinnef, Riesenrad, lärmendem Kinderkarussell und singenden Hirschköpfen an der Glühweinbude wie eine heilige Messe in stiller Nacht.

Wolfgang Herrndorf schieb 2011 in Arbeit und Struktur über den Papstbesuch in Berlin dieses:

„Daß eine Gesellschaft es sich leisten kann, eine Millionenstadt einen Tag lang lahmlegen zu lassen durch den Besuch eines Mannes, der eine dem Glauben an den Osterhasen vergleichbare Ideenkonstruktion als für erwachsene Menschen angemessene Weltanschauung betrachtet, erstaunlich.“

Samstag: Eine Frau aus dem Saarland hat sich laut Zeitungsbericht ein Motiv mit einer Maggiflasche auf den Oberschenkel tätowieren lassen. Meinetwegen, ist ja ihr Bein. Aber wie um alles in der Welt hat sie es damit auf Seite eins der Tageszeitung geschafft?

ORO beweist ein sicheres Auge für vorfestliche Besinnlichkeit im Siebengebirge.

KW47

(aus General-Anzeiger Bonn)

Manchmal erscheint es verwunderlich, wie diese überaus dumme Spezies sich so weit entwickeln konnte.

Sonntag: Statt Instagram hier ein paar Eindrücke aus dem Messdorfer Feld, wohin mich der Sonntagsspaziergang heute führte.

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Verkehrschaos unterdessen in der Bonner Innenstadt wegen einer Umleitung. Was treibt die Menschen nur an einem Sonntag, zudem weihnachtsmarktfrei, in derartigen Massen mit dem Auto in die Stadt? Haben die nichts besseres zu tun?

Vor der Ampel stand ein Sportwagen mit zwei bärtigen jungen Männern darin, die mein Poseräffchen-Vorurteil aufs trefflichste bedienten. „Gleich rasen sie los“, so der Gedanke, während mein Blick voller Verachtung sie traf. Doch als die Ampel grünte, fuhr der Wagen an ohne übertriebene Beschleunigung, Motorbrüllen und knallende Auspufffürze. Fast war ich ein wenig enttäuscht. Meine Vorurteile sind auch nicht mehr das, was sie mal waren.