Woche 47: Vorfestliche Besinnlichkeit

Montag: Der Mann raucht doch nicht etwa?

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(aus General-Anzeiger Bonn)

Das Wort „Sobremesa“ kommt aus dem Spanischen und es bezeichnet den Augenblick, da man das gemeinsame Mahl beendet hat und noch plaudernd vor den leeren Tellern sitzt. Für mich war die heutige Sobremesa in der Kantine indes nur von kurzer Dauer. Nicht, weil dringende Geschäfte mich zurück an den Schreibtisch drängten, sondern wegen der zwei englisch sprechenden jungen Damen nebenan am Tisch. Während sie auf das Datengerät der einen schauten, gab die andere ihrer Verzückung Ausdruck, indem sie fortwährend „Oooh … nooo … oh my goood …“ und so weiter rief. Aufgrund akuter Gefahr, durchzudrehen und „Shut up“ oder schlimmeres in Richtung der beiden zu bellen, zog ich mich nach dem Mahl lieber in die Stille meines Büros zurück.

Dienstag: Demnach darf man es wohl auch „Frisieren“ nennen, wenn man sich eine Glatze schneiden lässt.

(aus General-Anzeiger Bonn)

Aufgrund akuter Kälte machte ich abends zum ersten Mal in diesem Herbst den Ofen in der Stube an und schaute durch die Scheibe den Flammen beim Verzehr der hölzernen Nahrung zu. Ein weiterer Grund, den Herbst zu mögen, was indes nicht jeder so sah: Die Flammen erzeugten nicht nur physische Wärme, sondern waren auch Ursache unerwarteter zwischenmenschlicher Reibungshitze, weitere Einzelheiten dazu erspare ich ihnen. Nur soviel: nichts sexuelles.

Mittwoch: Weniges bringt bereits morgens einander fremde Menschen schneller miteinander ins Gespräch als ein defekter Stadtbahnzug.

Im Werk: „Die sind proaktiv unterwegs“, sagt einer. Ein anderer sagt später, er sei heute „agil unterwegs“. Hoffen wir, dass sie irgendwann ankommen.

Ich selbst war am Abend chortechnisch unterwegs. In der Bahn musste ich einer jungen Dame beim Telefonieren zuhören: „Das war megalecker, danach waren wir megageil Cocktails trinken.“

Donnerstag: Beobachtung während der Rückfahrt vom Werk: Zwei Herren, ein älterer und ein jüngerer, standen am Bahnsteig. Nachdem die eingefahrene Bahn zum Stehen gekommen war und sich die Tür direkt vor den beiden öffnete, bewiesen sie Höflichkeit, indem sie gleichzeitig eine dem jeweils anderen Vortritt gewährende Handgeste in Richtung Wageninneres vollführten. Danach betraten sie synchron die Bahn. Eine eingeübte Choreografie hätte nicht perfekter sein können. Es hätte nur noch gefehlt, dass sie sich beim Eintreten einmal um die eigene Achse drehen und sich dabei abklatschen.

Freitag: Heute wird der Bonner Weihnachtsmarkt eröffnet. Bis Sonntag, dann macht er für einen Tag zu, weil die Kirche das so will.

An der katholischen Kirche reiben sich zurzeit die Gemüter, weil an der Baustelle des Bonner Münsters ein großes Werbeplakat eines örtlichen Handelsunternehmens seine eigene frohe Botschaft verkündet; hierdurch sollen die Sanierungskosten für das Bauwerk ein wenig gemildert werden. (Das derzeitige Vermögen der katholischen Kirche wird übrigens auf etwa zweihundert Milliarden Euro geschätzt, falls Sie mal wieder jemand um eine Spende für das Münster bittet. Aber das eine hat ja mit dem anderen nichts zu tun.) – „Profanisierung der christlichen Botschaft“, „fortschreitende Kommerzialisierung der Adventszeit und der Weihnachtsbotschaft“, so die Empörten. Zu recht: Gegen so ein Plakat erscheint der Weihnachtsmarkt darunter mit feilgebotenem Zierrat und Tinnef, Riesenrad, lärmendem Kinderkarussell und singenden Hirschköpfen an der Glühweinbude wie eine heilige Messe in stiller Nacht.

Wolfgang Herrndorf schieb 2011 in Arbeit und Struktur über den Papstbesuch in Berlin dieses:

„Daß eine Gesellschaft es sich leisten kann, eine Millionenstadt einen Tag lang lahmlegen zu lassen durch den Besuch eines Mannes, der eine dem Glauben an den Osterhasen vergleichbare Ideenkonstruktion als für erwachsene Menschen angemessene Weltanschauung betrachtet, erstaunlich.“

Samstag: Eine Frau aus dem Saarland hat sich laut Zeitungsbericht ein Motiv mit einer Maggiflasche auf den Oberschenkel tätowieren lassen. Meinetwegen, ist ja ihr Bein. Aber wie um alles in der Welt hat sie es damit auf Seite eins der Tageszeitung geschafft?

ORO beweist ein sicheres Auge für vorfestliche Besinnlichkeit im Siebengebirge.

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(aus General-Anzeiger Bonn)

Manchmal erscheint es verwunderlich, wie diese überaus dumme Spezies sich so weit entwickeln konnte.

Sonntag: Statt Instagram hier ein paar Eindrücke aus dem Messdorfer Feld, wohin mich der Sonntagsspaziergang heute führte.

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Verkehrschaos unterdessen in der Bonner Innenstadt wegen einer Umleitung. Was treibt die Menschen nur an einem Sonntag, zudem weihnachtsmarktfrei, in derartigen Massen mit dem Auto in die Stadt? Haben die nichts besseres zu tun?

Vor der Ampel stand ein Sportwagen mit zwei bärtigen jungen Männern darin, die mein Poseräffchen-Vorurteil aufs trefflichste bedienten. „Gleich rasen sie los“, so der Gedanke, während mein Blick voller Verachtung sie traf. Doch als die Ampel grünte, fuhr der Wagen an ohne übertriebene Beschleunigung, Motorbrüllen und knallende Auspufffürze. Fast war ich ein wenig enttäuscht. Meine Vorurteile sind auch nicht mehr das, was sie mal waren.

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