Das sagt man nicht

Warnung: Der folgende Text enthält das N-Wort in der Ursprungsfassung.

Der einst beliebte, dauerjugendliche, gleichwohl inzwischen etwas in die Jahre gekommene Moderator Thomas Gottschalk hat vor einigen Wochen auf sich aufmerksam gemacht mit seinem Buch, in dem er beklagt, man dürfe heute vieles nicht mehr sagen, was vor einigen Jahren noch zulässig gewesen sei. Ich habe das Buch nicht gelesen und beabsichtige es aus Zeitgründen bis auf weiteres nicht zu tun. Dennoch erlaube ich mir, Herrn Gottschalk zu widersprechen. Man darf durchaus noch alles sagen, was das Strafgesetzbuch nicht ausdrücklich aus guten Gründen verbietet. Schriebe ich zum Beispiel, der alte weiße Mann stamme vom Neger ab, so bliebe das strafrechtlich unverfolgt, dennoch müsste ich als Folge einen gewissen Ansehensverlust in Kauf nehmen, zu recht. Dass wir diesen inzwischen als „N-Wort“ umschriebenen Begriff früher mit Selbstverständlichkeit benutzten, war zumindest von mir keine böse Absicht, wir wussten es einfach nicht besser. Roberto Blanco war einer und der tanzende Sängerimitator von Boney M., Tina Turner eine, ebenso die dunkelhäutige Puppe der Nachbarstochter, und der schokoladenumhüllte Zuckerschaum auf einer Rundwaffel hieß so, auch wenn das mit dem Kuss gar keinen Sinn ergibt. „Denk an die armen N-Kinder in Afrika“ sagte die Oma, wenn der Teller nicht leergegessen wurde. – Heute wissen wir es besser, daher meiden wir solche Wörter, das ist gut und richtig so.

Wobei ich gestehe, manchmal staune ich, welche Begriffe mittlerweile Empörungspotenzial enthalten. Kürzlich etwa war es der „Oberindianer“ aus Udo Lindenbergs altem Hit „Sonderzug nach Pankow“. Ein Berliner Chor sollte oder wollte das Lied ohne dieses Wort singen, um amerikanische Ureinwohner nicht zu grämen. Womöglich ist das den Betroffenen herzlich egal, weil sie ganz andere Probleme haben oder vielleicht demnächst bekommen, wenn Häuptling Orangehaut wieder an der Macht ist.

In bestimmten Kreisen gilt es schon seit längerer Zeit als unschicklich, Personen dem äußeren Anschein nach als Frau oder Mann zu bezeichnen, schließlich wisse man nicht, ob die derart bezeichnete Person sich nicht einem anderen oder keinem Geschlecht zugehörig fühlt, nur noch nicht dazu kam oder es gar nicht beabsichtigt, eine äußere Angleichung vornehmen zu lassen. Statt „Frau“ gab es den Vorschlag, von „Personen mit Menstruationshintergrund“ zu sprechen. Eine komische Vorstellung, etwa an der Fleischtheke oder in der Bäckerei, wenn es heißt: „Ich glaube, die junge Person mit Menstruationshintergrund ist vor Ihnen dran.“ Inzwischen tendiert man diesbezüglich wohl zu „sich weiblich lesende Person“, was die Situation beim Bäcker nicht viel weniger komisch macht.

Beziehungsweise bei der Bäckerin – ein weiteres Thema, das angeblich „die Gesellschaft spaltet“: die geschlechtsneutrale Ansprache einschließlich korrekter Pronomen, auf Neudeutsch gendern. In unterschiedlichen Formen wird es praktiziert: mit Genderstern, Binnen-I, Doppelpunkt, klassisch durch Nennung der männlichen und weiblichen Form wie „Liebe Kolleginnen und Kollegen“. Manche benutzen konsequent die weibliche Form, Männer und alle anderen sind mitgedacht, sagen sie; andere wiederum wechseln innerhalb desselben Textes oder Satzes, dann entstehen irritierende Formulierungen wie „Grundschullehrer und Busfahrerinnen verlangen höheres Gehalt“. Ob das der Sache dienlich ist, ich weiß es nicht.

Und schließlich die Partizipform wie „Radfahrende“. Besonders Sprachpingelige meinen, das sei falsch. Wenn einer, der sonst immer mit dem Rad fährt, heute ausnahmsweise den Bus nimmt wegen Hagel und Sturm, dann sei er eben nicht rad-, sondern busfahrend. (Jedoch kein Busfahrer, der sitzt vorne links; oder die Busfahrerin, klar.) Ein Sonst-immer-Rad-heute-aber-Busfahrender. Mit Verlaub, das halte ich für Unfug. Wer eine junge Person in der Kneipe fragt, was sie denn macht, und zur Antwort bekommt, sie studiere, wird wohl verstehen, was sie meint, auch wenn sie in diesem Moment gerade nicht an ihrer Masterarbeit schreibt. Und aufgepasst: Diese Methode ergibt nur im Plural Sinn, weil ein(e) Studierende(r) nun einmal genauso männlich bzw. weiblich ist wie ein(e) Student(in).

(Das laut Straßenverkehrsordnung vorgegebene Zeichen 237 für einen Radweg bildet übrigens immer ein Herrenrad ab. Gab es dagegen schon Proteste?)

Ein Argument für das Gendern soll eine Studie liefern: Menschen wurden aufgefordert, bekannte Politiker zu nennen. Die derart Befragten nannten überdurchschnittlich viele männliche Politiker. Wurde hingegen nach Politiker:innen (oder eine andere Form) gefragt, wurden mehr Frauen genannt. Das mag sein und ist nachvollziehbar. Doch ist das wirklich ein Problem? Wenn es heißt, Angestellte im Einzelhandel wünschen sich mehr Urlaub, denkt wohl niemand, Verkäuferinnen begnügten sich mit weniger Freizeit.

Ich fremdele mit dem Gendern noch etwas. Im Schriftbild stört es meinen Lesefluss, gesprochen klingt es wie mit erhobenem Zeigefinger. Zugegeben, ein sehr flachwurzelndes Argument. Vielleicht muss ich mich nur noch daran gewöhnen; das dahinterstehende Anliegen kann ich zumindest nachvollziehen, ich zähle mich nicht zu den geifernd-eifernden Gegnern.

Man soll auch nicht mehr Schwule und Lesben sagen, wenn gleichpolig Liebende gemeint sind, denn damit grenzt man andere Lebens- und Liebesformen aus, wie Bi-, Trans-, Inter- und Asexuelle. Stattdessen heißt es nun LGBTQ*…-Community; jeder Buchstabe steht für eine andere Vorliebe und die Reihe scheint jährlich länger zu werden. Bei „Wetten dass..?“, ich glaube noch bevor Thomas Gottschalk es übernahm, trat mal einer auf, der die Zahl Pi auf fünfzig oder mehr Stellen hinter dem Komma fehlerfrei aufsagen konnte. Gäbe es die Sendung noch, könnte dort vielleicht demnächst jemand reüssieren, indem sie oder er alle Buchstaben der oben genannten Reihe hersagen und zudem erklären kann. Ich kann es trotz persönlicher Betroffenheit (für mich bitte das G) nicht.

Jüngstes Beispiel verdächtiger Wörter ist der Lumumba, jenes unter anderem auf Weihnachtsmärkten beliebte Kakaogetränk mit alkoholischer Geschmacksverstärkung. Angeblich geht das Wort zurück auf einen erschossenen schwarzen Freiheitskämpfer, woraus die Herleitung „Brauner mit Schuss“ entstanden sein soll. Das erscheint mit etwas weit hergeholt. Sollte es jedoch stimmen, dass das Getränk aus genau diesem Grund zu seinem Namen kam, so bin ich der letzte, der darauf beharrt, es weiter so zu nennen. Vielleicht wäre Schokohol eine Alternative. Ohnehin trinke ich lieber Glühwein, Eierpunsch und Feuerzangenbowle. Gelegentlich auch nicht-alkoholische Getränke.

Insgesamt erscheint mir ein etwas entspannterer Umgang mit solchen Wörtern manchmal angebracht, das gilt für beide Seiten. Niemandem wird etwas genommen, wenn er Paprikaschnitzel oder Schokokuss sagt. Andererseits muss man nicht in jedes vermeintlich verdächtige Wort Diskriminierungspotenzial hinein interpretieren. Sonst beklagt Herr Gottschalk demnächst die Ächtung von Eisbombe (gewaltverherrlichend), Matjesfilet Hausfrauenart (antifeministisch), Götterspeise (blasphemisch), und die blaue Partei mit der schokofarbenen Gesinnung hat wieder was zu hetzen.

Wobei, das Wort Gottschalk ist bei näherer Betrachtung auch nicht ganz ohne. Aber über Namen macht man sich nicht lustig. Auch nicht, wenn jemand Frauenschläger heißt; allenfalls darf man sich da fragen, womit deren Vorfahren einst ihren Lebensunterhalt bestritten. Vermutlich beließen sie es nicht beim Gebrauch falscher Pronomen.

Apropos schlimme Wörter: Es gibt welche, die völlig unverdächtig und allgemein gebräuchlich sind, die ich gleichwohl gar fürchterlich finde, ohne dass ich begründen könnte, warum. Neben den üblichen Anglizismen wie Call, Meeting und roundabout sind das: schlendern, schmunzeln, schlemmen, stöbern, schlecken, shoppen und lecker. Die darf Thomas Gottschalk weiterhin sagen, niemand außer mir wird daran Anstoß nehmen.

Woche 16/2023: Dicht an der Kante

Montag: Wie morgens im Radio gemeldet wurde, wird es in dieser Woche besonders viele Geschwindigkeitskontrollen auf den Straßen geben. Schon höre ich die Empörten wieder schreien, während sie die Melkkuh der Nation aus dem Stall zerren, um sie durchs Dorf zu treiben.

Der erste Arbeitstag nach dem Urlaub zeigte sich angenehm bei guter Stimmung, obwohl ich vergangene Nacht nicht sehr gut schlief, weniger wegen Vorfreude aufs Werk, vielmehr wegen urlaublicher Schlafsättigung des Körpers. Selbst das an Montagen besonders dunkle 14-Uhr-Lustloch tat sich nicht auf. Bis zu dem Zeitpunkt, da ich in einer Präsentation nämliches las: »Fokus: Basierend auf der Klassifikation der Epics nach den Dimensionen Impact und Aufwand konzentriert sich die Task Force auf „Low Hanging Fruits“ & „Quick Wins“.​« Danach fühlte ich mich wieder urlaubsreif.

Um halb zehn das erste Jour Fixe der Woche. Das bedeutet: Jeder erzählt, an welchen Themen er gerade arbeitet. Die, die es interessiert, wissen es bereits. Alle anderen bearbeiten Mails, schauen aus dem Fenster oder womöglich gar sittenlose Filmchen. Vorteil der bei uns nach wie vor überwiegend videofreien Fernkommunikation.

Kirschblüte auch hinter dem Werk
Mein Humor

Dienstag: Am frühen Morgen wurde ich Zeuge eines Flugzeugabsturzes. Nach dem Start zog die Maschine in etwa tausend Metern Höhe einen beeindruckenden Feuerschweif hinter sich her, vollzog damit einen engen Looping und stürzte dann senkrecht, die Nase voraus, in den Rhein. Bei Berührung der Wasseroberfläche bremste sie ab und versank dann ganz langsam, wie einst die Titanic, bis sie vollständig untergegangen war. Danach wachte ich auf. Menschen kamen zunächst nicht zu Schaden.

Auf dem Rückweg von der Kantine begegnete mir eine Kindergartengruppe, jeweils in Zweierreihe Hand in Hand, dazu zwei Betreuerinnen und ganz hinten ein Großraumkinderwagen für die ganz Kleinen, die noch nicht laufen konnten oder wollten. Plötzlich schrie die vordere der Betreuerinnen: „Jeremy! Wo gehen wir? Ist das die sichere Seite? Hab ich dir nicht gesagt, du sollst …“ – und so weiter, sie war kaum zu bremsen, auf das Kind einzuschelten. Anscheinend waren Jeremy und sein Reihenpartner nach links in Richtung Bordstein beziehungsweise Straße abgedriftet, was der Hüterin Zorn erregte. So lernt das Kind frühzeitig: Nicht aus der Reihe tanzen, immer schön auf der sicheren Seite bleiben.

Der Arbeitstag endete mit Häppchen und Kaltgetränken anlässlich eines erfolgreichen Projektabschlusses, an dessen Gelingen ich einen minimalen bis keinen Anteil hatte, gleichwohl freute ich mich über die Einladung. Soviel zum Vorsatz einer alkoholfreien Woche; was soll man machen.

Die Zeitung berichtet über eine Seniorinnen-Tanzgruppe, die regelmäßig mit selbstgestalteten Kostümen bei Festen und Veranstaltungen auftritt. Nun wollten die Damen mit ihrem Programm „Weltreise in einem Traumschiff“ bei der Mannheimer Bundesgartenschau auftreten, doch konnten sie beinahe die Reise nicht antreten, da ihnen aufgrund der Kostüme, unter anderem japanische Kimonos und mexikanische Sombreros, ein Mangel an „interkultureller Sensibilität“ unterstellt wurde. Erst nach Änderung einiger der anstößigen Verkleidungen dürfen sie nun doch, mit anschließenden Diskussionsveranstaltungen. An einer solchen würde ich wirklich gerne teilnehmen. („Frau Schröder, was haben Sie sich dabei gedacht, in einem Dirndl aufzutreten?“ – „Eigentlich nichts, wir wollten den Leuten nur eine Freude machen.“ – „Aber Sie sehen doch ein, dass das Dindl ein Symbol ist für die jahrhundertelange Unterdrückung der Alpenländerin durch schuhplattelnde Seppen in albernen Lederhosen?“ – „Nein, so habe ich das noch nicht gesehen, aber jetzt, wo Sie es sagen …“)

Wirklich anstrengend finde ich übrigens das Rumgeeiere über das „N-Wort“, wie etwa in einem Artikel über die derzeitige Bereinigung zahlreicher literarischer Werke um abwertende Begriffe und Passagen: »Das heute völlig indiskutable „N-Wort“ war in Deutschland bis weit in die 70er Jahre die gängige Bezeichnung für Schwarze.« Meine Güte, ja, es ist zweifellos falsch und verletzend, jemanden als Neger zu bezeichnen, und ja, als Kinder haben wir das getan und uns nichts Böses dabei gedacht, zumal uns niemand ermahnte. Ich will das nicht beschönigen und verharmlosen, es war eben so. Heute sagt das keiner mehr, der klar bei Verstand ist, und das ist gut so. Aber ist es richtig, das Wort gänzlich aus der Literatur zu tilgen? Aus Kinderbüchern wie Pippi Langstrumpf vielleicht ja. Aber aus alten Romanen, wie von Thomas Mann? Ich weiß nicht, ob in den Werken von Thomas Mann „Neger“ vorkommt, vorstellbar ist es. Wenn ja, sollte es meiner unmaßgeblichen Meinung nach dort stehen bleiben. (Dass der oben erwähnte Jeremy dunkelhäutig war, war sicher Zufall, ich will der Frau da nichts unterstellen.)

Aus einem Zeitungsartikel über Wärmepumpen: »Zudem sollte die Wärmepumpe so aufgestellt werden, dass diese nicht direkt in den Blick fällt, weil man sie dann nicht sofort als eine geräuschintensive Maschine wahrnimmt.« Logisch, was man nicht sieht, hört man auch nicht.

Mittwoch: Morgens wurde ich auf dem Fahrrad von einer Autofahrerin zum Anhalten genötigt, die vor mir auf dem Radstreifen anhielt, um ihr Blag vor der Schule auszusetzen. Anstatt mich lautstark zu erregen, machte ich ein Foto und überlegte, was zu tun sei.

Wenn man die Leute beschimpft, nützt es nichts, gesund ist es auch nicht. Tut man nichts, werden sie ihr Verhalten erst recht nicht ändern. Daher entschloss ich mich abends, ein Meldeformular der Stadt Bonn über Parkverstöße auszufüllen und abzusenden. Nicht aus Rachegelüsten, jedenfalls nicht vorwiegend; vor allem aus Interesse, was jetzt passiert.

Wie bei Ankunft am Werk einmal mehr ersichtlich wurde, können nicht nur Autofahrer ziemlich dämlich parken.

Drei blockierte Stellplätze für ein Leihrad, das genauso gut abseits des Fahrradständers abgestellt werden könnte, sind eine beachtliche Leistung

In Kärnten wurde gewählt. Als Landeshauptmann wurde laut Meldung der bisherige Kaiser (er heißt nur so) angelobt. Das ist ein wundervolles Wort, nicht wahr?

Donnerstag: Ein ebenfalls schönes und mir bislang unbekanntes Wort ist „Kaltlufttropfen“. Ein solcher blies heute den soeben erst angebrochenen Frühling wieder aus dem Land, hoffentlich nur vorübergehend.

Aus terminlichen Gründen fuhr ich nachmittags mit der Straßenbahn nach Hause. In der Südstadt stieg ein Vater mit seinem vielleicht sechsjährigen Sohn zu (oder Onkel mit Neffe oder was auch immer). Beide trugen Maske und mussten mangels freier Sitzplätze stehen. Dabei mieden sie es konsequent, die Haltestangen mit bloßen Händen zu berühren, allenfalls, wenn es gar nicht anders ging, mit über die Hände gezogenem Jackenärmel. In einer engen und ruckeligen S-Kurve, wo die Straßenbahn die Eisenbahn unterquert, stand der Vater breitbeinig und leicht gebeugt, mit vorgestreckten Armen die Balance haltend, auf dem runden Drehteller am Boden, der zwei Wagenglieder verbindet, wie ein kalifornischer Wellenreiter. Das sah ziemlich komisch aus.

Bei der französischen Bahn SNCF feiern die Beschäftigten heute den „Tag des Ausdrucks des Eisenbahnerzorns“, stand in der Zeitung.

Freitag: Demnächst gibt es ein Gesetz gegen Belästigungen am Arbeitsplatz, wenn ich das richtig verstanden habe. Meine Hoffnung, dass dadurch unsinnige Powerpoint-Präsentationen, spontane Einladungen in laufende Teams-Besprechungen und Anrufe vor neun Uhr unter Strafe gestellt werden, ist allerdings gering.

Gelernt: Statt „Die macht nicht mehr lange“ kann man auch sagen: „Die ist dicht an der Kante“.

Samstag: Mit Leuten eines Kölner Eisenbahnfreundevereins, dessen Mitglied ich seit vielen Jahren bin, begab ich mich heute auf eine Bahntour nach Heimbach in der Eifel. In den letzten Jahren ließ meine Teilnahme an den Vereinsaktivitäten stark nach, aus terminlichen, bequemlichen und schließlich pandemischen Gründen. Umso mehr hat es mich gefreut, heute dabei zu sein und die Leute wiederzusehen, auch wenn ich dazu samstagsunüblich früh aufstehen musste. Mit Details zum Reiseverlauf will ich Sie nicht langweilen, möchte indes nicht versäumen, DB Regio und die Rurtalbahn GmbH für die Pünktlichkeit der Züge nicht nur anzuloben.

Heimbach. Man beachte das „by“.
Hey Yo: Gangsta-Szene in Obermaubach.
Die unbedingt bereisenswerte Rurtalbahn am Stausee von Obermaubach

Das Motto der FDP-Parteitages lautet „Machen, was wichtig wird.“ Was auch immer es bedeutet.

Sonntag: Nach mehrjähriger Zwangspause fand heute wieder der Bonner Marathon statt. Warum auch nicht: Die einen unternehmen Lustfahrten mit der Bahn, die anderen laufen über vierzig Kilometer und lassen sich dabei von anderen lautstark antreiben. Ich zog es beim Spaziergang vor, die Laufstrecke zu meiden, allein schon aus akustischen Gründen, und den Frühlingsfortschritt an der Poppelsdorfer Allee zu inspizieren, die bereits unter einem grünen Blätterdach der Kastanien liegt, deren Blüte jedoch noch etwas auf sich warten lässt.

Immerhin: es grünt

Was auch noch auf sich warten lässt ist die Maibocklieferung an eine Gaststätte mit Außengastronomie in der Innenstadt. Deshalb nahm ich mit einem normalen Hellen vorlieb, was das Vergnügen des ersten Freiluftbieres des Jahres nur unwesentlich trübte.

***

Kommen Sie gut durch die Woche und machen Sie, was wichtig wird. Oder so.

Woche 19: Notizen unter Weineinfluss, Abgründe und nackt kochende Männer

Montag: Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer hat sich mal wieder mit irgendwas unbeliebt gemacht; was genau, erfährt der Zeitungsleser nicht. Dafür dieses: „Mit dem Begriff N-Wort wird eine früher in Deutschland gebräuchliche rassistische Bezeichnung für Schwarze umschrieben.“ Schön, dass das endlich mal klargestellt ist. Darauf ein N-Wortkussbrötchen. (Ich gestehe, das N-Wort im intimsten Kreise, wo es niemanden stört oder verletzt, gelegentlich noch auszusprechen, ohne jede böse Absicht.)

Ein weiteres N-Wort, indes gänzlich unbedenklich, ist Namenstag. Den haben heute laut Zeitung: Epimach, Gordian, Isidor, Job; als Namen eher ungebräuchlich, daher nur selten auf Auto-Heckscheiben zu lesen.

Dienstag: Der erste Piks. Durch das kleine Pflaster auf dem Oberarm fühlt man sich fast ein wenig systemrelevant. Unterdessen freuen sich viele darauf, was sie bald vielleicht wieder dürfen. Ich sehe darüber hinaus mit etwas Unbehagen, was wir womöglich demnächst wieder müssen.

Zum Beispiel dieses: „Wir müssen ja auch Erwartungsmanagement betreiben“, gehört in einer Besprechung.

Mittwoch: „Ich bin der Jan-Malte“, sagte morgens der Mann im Radio. Für seinen Namen kann er nichts, für den bestimmten Artikel schon.

Mittags nach dem Essen begegnete mir im Rheinauenpark eine Läuferin, begleitet von einer männlichen Stimme aus einem Lautsprecher. Ob es sich dabei um einen Wortbeitrag im Radio oder eine Telefonkonferenz handelte, war auf die Schnelle nicht auszumachen. – Nachmittags auf dem Heimweg vom Werk sah ich einen, der freihändig radelnd ein Tablet in den Händen hielt, worüber er mit Trottel-Koronalisierung telefonierte. Demnächst fahren sie dann vielleicht mit aufgeklapptem Laptop auf Elektrorollern. Was geht in diesen Menschen nur vor? Oder wie es in einer Fernsehreklame heißt: Bin ich der einzige, der das nicht normal findet?

Ansonsten liebe ich – neben dem Herbst – diese Jahreszeit sehr, deswegen:

Die gestern injizierte Systemrelevanz fühlte sich heute an wie ein leichter Muskelkater. Keine Larmoyanz, reine Feststellung. Außerdem ist heute wegen Feier- und Brückentag gleichsam schon Freitag, wer wollte da jammern.

Der Geliebte bevorzugt neuerdings schwarze Einmalhandschuhe. „Daran sieht man das Blut nicht so“, sagt er. Ich gehe nicht von einer unmittelbaren Gefahr für Leib und Leben aus.

Donnerstag: „Verarschen kann ich mich selbst!“ – „Los, mach mal.“ Und wie war Ihr Himmelfahrt so? (Es ist Liebe, glauben Sie mir; vielleicht eine Form, die sich Außenstehenden nicht unmittelbar erschließt.)

Freitag: Brückentag. Welch wunderbares Wort, in einer Reihe mit so schönen deutschen Wörtern wie Wanderlust, Weltschmerz, Kindergarten, Habseligkeiten, Doppelhaushälfte und Auslegeware. Zumal eine Brücke dem Zweck dient, Täler und Abgründe zu überwinden, womit der Charakter der Werktätigkeit einigermaßen treffend erfasst ist.

Samstag: „Rund fünf Prozent der deutschen Männer bevorzugen es, ohne Kleidung zu kochen“, schreibt die PSYCHOLOGIE HEUTE über die Freude am Nacktsein. In Gedanken gehe ich nun alle mir bekannten kochenden Männer durch und hoffe bei den meisten, sie gehören zu den anderen fünfundneunzig Prozent.

Bleiben wir in der Küche: Nach Bleikristall, Kaffeemaschinen und -tassen hat der Geliebte jetzt Gefallen gefunden an einer bestimmten Geschirrsorte; der Paketbote brachte heute gleich drei Pakete davon, wofür nun Platz geschaffen werden muss. Demnächst trage ich also wieder ausgemusterten Hausrat in das Häuschen zwei Straßen weiter. Was tut man nicht alles, wenn man liebt. Und einer muss den Konsum ja am Leben halten.

Laut Zeitung hat Isidor heute schon wieder Namenstag. Vielleicht für diejenigen, die es Montag für einen Scherz hielten.

Sonntag: Meine Bettlektüre der vergangenen Woche war „Vervirte Zeiten“ von Ralf König, wo der Corona-Alltag des Kölner Paares Konrad und Paul mit seinen Entbehrungen geschildert wird. Wer (wie ich) die Comics von Ralf König mag, wird auch dieses Buch mögen. Auch wenn sie in den letzten Jahren sehr harmlos, geradezu jugendfrei geworden sind; schon lange sieht man dort nicht mehr das Körperteil, das womöglich in nicht allzu ferner Zukunft als das „P-Wort“ umschrieben wird.

Gestern Abend haben wir uns übrigens die Serie „All you need“ angeschaut, die es in der ARD-Mediathek zum Strömen gibt. Obwohl ich nicht gerade der begeisterte Serienkucker bin, hat es mir gut gefallen. Es geht um das Liebesleben von vier jungen Männern und einer Frau in Berlin, wobei auch dem Auge was geboten wird. (Allerdings ebenfalls kein <P-Wort>, das ist im deutschen Fernsehen auch 2021 noch undenkbar.)

„Kann es eigentlich sein, dass Deutsche weniger gut Deutsch können als Engländer Englisch und Franzosen Französisch?“, fragt Claudius Seidl in der FAS zum Thema Sprachverschmutzung. Ja, kann gut sein.

Die Geschirrlieferung von gestern beinhaltete auch eine Kuchenplatte mit aufwändiger Glaskuppel. Diese nahmen wir heute in Betrieb mit Geburtstagskuchen aus der Nachbarschaft.

Eine deutsche Eigenart ist ja, Kuchen und Torten ab einem gewissen Sättigungsvermögen als „mächtig“ zu bezeichnen, warum auch immer. Nie hörte ich dieses Wort im Zusammenhang mit Rinderkotelette oder Grünkohl, die ebenfalls ganz schön satt machen können, dafür bei Kohleflözen, von deren Verzehr eher abzuraten ist. Das hier abgebildete Exemplar war jedenfalls äußerst mächtig. Liebe M, er war köstlich! Lieber J, alles Gute dir!

Ansonsten in dieser Woche notiert: 1) „Hildegard Knef und die Kesselflicker“ (vermutlich als Bandname) und 2) „Asphalt in Aspik“. Die Hintergründe dieser Notizen sind, da sie unter Weineinfluss erfolgten, nicht mehr nachvollziehbar.