Woche 31/2023: Der Dunst des Desinteresses

Montag: Die Kantinenwoche begann mit Currywurst und ich hatte mich morgens für ein weißes Hemd entschieden. Gutgegangen, oder: unbefleckte Ernährung.

Den anschließenden Spaziergang durch den Park kürzte ich ab, da in der Ferne am Wegesrand eine Schwanenfamilie rastete. Schwäne können während der Elternschaft sehr ungemütlich werden, das weiß ich aus meiner Kindheit in Bielefeld-Stieghorst, wenn wir im Park den erziehungsberechtigten Schwänen zu nahe kamen und sie sich mit ausgebreiteten Flügeln flatternd und fauchend auf uns stürzten. Ich nehme an, dass sie das heute auch noch tun, nicht nur in Bielefeld-Stieghorst.

Dienstag: In der Nacht hatte es zeitweise heftig geregnet, kurzzeitig begleitet von Donnergrollen. Morgens hatte es aufgehört, was den planmäßigen Fußmarsch ins Werk ermöglichte. Dabei sah ich wie jeden Morgen fleißige Leute, die Straßen und Plätze kehrten, Müll abholten, Stühle vor die Cafés stellten, Marktstände aufbauten. Vermutlich arbeiteten manche von ihnen immer noch, als ich mich nachmittags bereits wieder auf dem Rückweg befand und mich fragte, was ich heute geleistet habe, wobei sie wesentlich weniger Gehalt bekommen. Die Welt ist nicht gerecht. Ich kann es doch auch nicht ändern.

Das gilt auch für die radelnden Essensausfahrer (ich möchte sie nicht schon wieder Speisesklaven nennen) mit den riesigen orangen Tornistern. Einige von ihnen hüllen seit einiger Zeit ihr Gesicht vom Hals bis kurz unter die Augen in einen schwarzen Stoffschlauch, ein wenig erinnern sie damit an die Banditen in früheren Cowboyfilmen, die ihre Gesichter ebenfalls mit einem Tuch verhüllten, bevor sie einen Zug überfielen. Warum tun sie das? Jedenfalls nicht, um Züge zu überfallen; der Zug würde wegen Personen im Gleis gar nicht erst losfahren. Wahrscheinlich wollen sie unerkannt bleiben, wenn sie durch die Fußgängerzone rasen und rote Ampeln missachten.

Auf dem Rückweg sah ich einen Mietelektroroller auf der Seite liegen, sein Rücklicht blinkte abwechselnd dreimal lang und zweimal kurz, gemäß Morsealphabet, ich habe das mal nachgeschaut, „I – O“ oder „O – I“. Was will er uns sagen?

Mittwoch: Auch dieser Tag begann herbstlich kühl mit Nieselregen am Morgen und setzte sich fort mit immer wieder teils heftigen Regenschauern. Trotz allem war es nachmittags, als ich zwischen zwei Schauern nach Hause radelte, erstaunlich warm geworden.

Abends lief ich eine Runde am Rhein entlang, dabei passierte ich den Abfluss der Kläranlage im Norden kurz vor dem Hafen, wo das gereinigte Wasser in den Rhein geleitet wird. So richtig geklärt scheint es nicht zu sein, weißer Schaum begleitet das austretende Wasser in Fließrichtung. Das hielt zwei Angler nicht davon ab, wenige Meter unterhalb des Abflusses ihre Rute in die Gischt zu halten. Ich wünschte Petri Heil und guten Appetit.

Donnerstag: »Liebe KollegInnen, vielen Dank für deine E-Mail«, steht in einer Abwesenheitsnachricht.

Bonn-Beuel, morgens

Die Stadt Bonn hat laut Zeitungsbericht im vergangenen Jahr 13,4 Millionen Euro an Bußgeldern für Park- und Tempoverstöße eingenommenen. Damit kann gut ein Drittel der jährlichen Kosten der Bonner Oper abgedeckt werden. Ich höre sie schon wieder schreien: Abzocke! Melkkuh der Nation!

Wie weiterhin berichtet wird, verzögert sich der Abriss des alten Schlachthofes, weil zuvor ein Eidechsenschutzzaun in Richtung Bahngleise errichtet werden muss, damit die dort lebenden Kleinreptilien nicht während der Abbrucharbeiten das Gelände aufsuchen und zu Schaden kommen. (Wegen der vom Bahnverkehr ausgehenden Gefahren für die Echsen hat man offenbar weniger Bedenken.) Das ist zu loben und bemerkenswert: Gebäude, in denen jahrzehntelang massenhaft Tiere getötet wurden, können nun aus Tierschutzgründen nicht abgerissen werden.

Gedanke: Wenn Außerirdische zu uns kämen, warum sollten sie mit uns kommunizieren wollen? Wenn Menschen Wälder roden, um Acker- und Weideflächen zu schaffen, diskutieren sie auch nicht vorher mit den Tieren. Außer vielleicht in Deutschland, siehe oben.

Spruch zum Abend: Das letzte Schaf hat kein Fell mehr. Fragen Sie nicht.

Freitag: Manches, was mich früher irritierte oder gar nervte, nehme ich heute amüsiert zur Kenntnis. Zum Beispiel Leute, die mich mal duzen, mal siezen. Wie die Dame am Empfang des von mir regelmäßig und auch heute aufgesuchten Frisiersalons. Vor einiger Zeit, ich berichtete, war sie nach jahrelanger Distanzanrede ohne erkennbaren Anlass, etwa einer gemeinsamen Ballonfahrt, nach der, wie ich mal hörte, das Duzen obligatorisch ist, zum Du übergegangen; nach interessierter, keineswegs verärgerter Frage meinerseits, was sie dazu veranlasst hätte, vereinbarten wir die Beibehaltung der vertrauten Ansprache und praktizierten sie bei meinen folgenden Besuchen. Heute nun siezte sie mich wieder wie früher; ich verkniff mir die Frage, ob wir wieder beim Sie seien und warum. Diesbezüglich bin ich flexibel, situativ wird zurückgeduzt oder -siezt, beides völlig in Ordnung. Wobei mit zunehmendem Alter meine Vorliebe für das Sie wächst. Auch bei sympathischen Leuten wie der Dame am Empfang.

Gelesen bei Frau Kaltmamsell und sofort eine Spur von Seelenverwandtschaft ausgemacht:

“Entsetzen und Schockstarre” waren die ersten Wörter der 20-Uhr-Tagesschau, ich erschrak heftig – UND DANN GING’S UM SCHEISS FUSSBALL?!

Ich schrieb es schon mal: Es ist für mich nicht nachvollziehbar, warum Sport, insbesondere Fußball, in den regulären Nachrichten neben Kriegen, Katastrophen, Klimawandel, Kirchenskandalen und Kindergrundsicherung einen so breiten Raum einnimmt. ZDF-heute leistet sich dafür gar einen separaten Sprecher. Sobald er spricht, oder schlimmer noch einer dieser unerträglich überdrehten Sportreporter im Radio, legt sich der Dunst des Desinteresses über meine Wahrnehmung. Die Worte nehme ich noch als Geräusch wahr, wie Hundebellen, ihr Inhalt dringt indes nicht bis zu mir vor.

Samstag: Todesanzeigen enthalten unterhalb des Namens des Gestorbenen häufig Zusätze wie „Oberregierungsrat a. D.“ oder „Bäckermeister“. In der Zeitung von heute steht in einer Anzeige: „Finanzangestellter und Sänger“. Bei mir könnte mal „Bundesbeamter und Kleinblogger“ stehen.

Im Zoo von Hannover erhielten drei Junglöwen ihre Namen, die Zeitung nennt es Löwentaufe: Zuri, Alani und Tayo. »Die Namen klingen alle sehr schön und unterscheiden sich gut voneinander. Das hilft uns, wenn wir die Jungtiere einzeln ansprechen und rufen möchten«, so ein Zoo-Mitarbeiter. Vielleicht bei Ansprachen wie „Alani, hatten wir nicht vereinbart, dass du nicht den Tierpfleger frisst? Böse Löwin.“

Sonntag: Durch die Sonntagszeitung wurde ich aufmerksam auf die Beobachtungsstelle für Anomalien, die systematisch Kuriositäten im öffentlichen Raum sammelt und dokumentiert. Über ein Meldeformular kann man eigene Beobachtungen zur Anzeige bringen.

Anormal für Anfang August ist weiterhin das kühle Wetter mit Regen und Wind. Hierdurch fiel der Sonntagsspaziergang kürzer, immerhin nicht ganz aus. Ich mag es, wenn beim Gehen Regentropfen auf den Schirm klopfen und an der Rheinpromenade nur wenige Fußgänger, zumeist mit Hund, um die riesigen Pfützen auf dem Gehweg flanieren, in denen die fallenden Tropfen Kreise bilden. Auf die in letzter Zeit liebgewonnene Einkehr in einer Außengastronomie verzichtete ich. Das ist nicht schlimm und wird nachgeholt.

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Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche.

Woche 16/2023: Dicht an der Kante

Montag: Wie morgens im Radio gemeldet wurde, wird es in dieser Woche besonders viele Geschwindigkeitskontrollen auf den Straßen geben. Schon höre ich die Empörten wieder schreien, während sie die Melkkuh der Nation aus dem Stall zerren, um sie durchs Dorf zu treiben.

Der erste Arbeitstag nach dem Urlaub zeigte sich angenehm bei guter Stimmung, obwohl ich vergangene Nacht nicht sehr gut schlief, weniger wegen Vorfreude aufs Werk, vielmehr wegen urlaublicher Schlafsättigung des Körpers. Selbst das an Montagen besonders dunkle 14-Uhr-Lustloch tat sich nicht auf. Bis zu dem Zeitpunkt, da ich in einer Präsentation nämliches las: »Fokus: Basierend auf der Klassifikation der Epics nach den Dimensionen Impact und Aufwand konzentriert sich die Task Force auf „Low Hanging Fruits“ & „Quick Wins“.​« Danach fühlte ich mich wieder urlaubsreif.

Um halb zehn das erste Jour Fixe der Woche. Das bedeutet: Jeder erzählt, an welchen Themen er gerade arbeitet. Die, die es interessiert, wissen es bereits. Alle anderen bearbeiten Mails, schauen aus dem Fenster oder womöglich gar sittenlose Filmchen. Vorteil der bei uns nach wie vor überwiegend videofreien Fernkommunikation.

Kirschblüte auch hinter dem Werk
Mein Humor

Dienstag: Am frühen Morgen wurde ich Zeuge eines Flugzeugabsturzes. Nach dem Start zog die Maschine in etwa tausend Metern Höhe einen beeindruckenden Feuerschweif hinter sich her, vollzog damit einen engen Looping und stürzte dann senkrecht, die Nase voraus, in den Rhein. Bei Berührung der Wasseroberfläche bremste sie ab und versank dann ganz langsam, wie einst die Titanic, bis sie vollständig untergegangen war. Danach wachte ich auf. Menschen kamen zunächst nicht zu Schaden.

Auf dem Rückweg von der Kantine begegnete mir eine Kindergartengruppe, jeweils in Zweierreihe Hand in Hand, dazu zwei Betreuerinnen und ganz hinten ein Großraumkinderwagen für die ganz Kleinen, die noch nicht laufen konnten oder wollten. Plötzlich schrie die vordere der Betreuerinnen: „Jeremy! Wo gehen wir? Ist das die sichere Seite? Hab ich dir nicht gesagt, du sollst …“ – und so weiter, sie war kaum zu bremsen, auf das Kind einzuschelten. Anscheinend waren Jeremy und sein Reihenpartner nach links in Richtung Bordstein beziehungsweise Straße abgedriftet, was der Hüterin Zorn erregte. So lernt das Kind frühzeitig: Nicht aus der Reihe tanzen, immer schön auf der sicheren Seite bleiben.

Der Arbeitstag endete mit Häppchen und Kaltgetränken anlässlich eines erfolgreichen Projektabschlusses, an dessen Gelingen ich einen minimalen bis keinen Anteil hatte, gleichwohl freute ich mich über die Einladung. Soviel zum Vorsatz einer alkoholfreien Woche; was soll man machen.

Die Zeitung berichtet über eine Seniorinnen-Tanzgruppe, die regelmäßig mit selbstgestalteten Kostümen bei Festen und Veranstaltungen auftritt. Nun wollten die Damen mit ihrem Programm „Weltreise in einem Traumschiff“ bei der Mannheimer Bundesgartenschau auftreten, doch konnten sie beinahe die Reise nicht antreten, da ihnen aufgrund der Kostüme, unter anderem japanische Kimonos und mexikanische Sombreros, ein Mangel an „interkultureller Sensibilität“ unterstellt wurde. Erst nach Änderung einiger der anstößigen Verkleidungen dürfen sie nun doch, mit anschließenden Diskussionsveranstaltungen. An einer solchen würde ich wirklich gerne teilnehmen. („Frau Schröder, was haben Sie sich dabei gedacht, in einem Dirndl aufzutreten?“ – „Eigentlich nichts, wir wollten den Leuten nur eine Freude machen.“ – „Aber Sie sehen doch ein, dass das Dindl ein Symbol ist für die jahrhundertelange Unterdrückung der Alpenländerin durch schuhplattelnde Seppen in albernen Lederhosen?“ – „Nein, so habe ich das noch nicht gesehen, aber jetzt, wo Sie es sagen …“)

Wirklich anstrengend finde ich übrigens das Rumgeeiere über das „N-Wort“, wie etwa in einem Artikel über die derzeitige Bereinigung zahlreicher literarischer Werke um abwertende Begriffe und Passagen: »Das heute völlig indiskutable „N-Wort“ war in Deutschland bis weit in die 70er Jahre die gängige Bezeichnung für Schwarze.« Meine Güte, ja, es ist zweifellos falsch und verletzend, jemanden als Neger zu bezeichnen, und ja, als Kinder haben wir das getan und uns nichts Böses dabei gedacht, zumal uns niemand ermahnte. Ich will das nicht beschönigen und verharmlosen, es war eben so. Heute sagt das keiner mehr, der klar bei Verstand ist, und das ist gut so. Aber ist es richtig, das Wort gänzlich aus der Literatur zu tilgen? Aus Kinderbüchern wie Pippi Langstrumpf vielleicht ja. Aber aus alten Romanen, wie von Thomas Mann? Ich weiß nicht, ob in den Werken von Thomas Mann „Neger“ vorkommt, vorstellbar ist es. Wenn ja, sollte es meiner unmaßgeblichen Meinung nach dort stehen bleiben. (Dass der oben erwähnte Jeremy dunkelhäutig war, war sicher Zufall, ich will der Frau da nichts unterstellen.)

Aus einem Zeitungsartikel über Wärmepumpen: »Zudem sollte die Wärmepumpe so aufgestellt werden, dass diese nicht direkt in den Blick fällt, weil man sie dann nicht sofort als eine geräuschintensive Maschine wahrnimmt.« Logisch, was man nicht sieht, hört man auch nicht.

Mittwoch: Morgens wurde ich auf dem Fahrrad von einer Autofahrerin zum Anhalten genötigt, die vor mir auf dem Radstreifen anhielt, um ihr Blag vor der Schule auszusetzen. Anstatt mich lautstark zu erregen, machte ich ein Foto und überlegte, was zu tun sei.

Wenn man die Leute beschimpft, nützt es nichts, gesund ist es auch nicht. Tut man nichts, werden sie ihr Verhalten erst recht nicht ändern. Daher entschloss ich mich abends, ein Meldeformular der Stadt Bonn über Parkverstöße auszufüllen und abzusenden. Nicht aus Rachegelüsten, jedenfalls nicht vorwiegend; vor allem aus Interesse, was jetzt passiert.

Wie bei Ankunft am Werk einmal mehr ersichtlich wurde, können nicht nur Autofahrer ziemlich dämlich parken.

Drei blockierte Stellplätze für ein Leihrad, das genauso gut abseits des Fahrradständers abgestellt werden könnte, sind eine beachtliche Leistung

In Kärnten wurde gewählt. Als Landeshauptmann wurde laut Meldung der bisherige Kaiser (er heißt nur so) angelobt. Das ist ein wundervolles Wort, nicht wahr?

Donnerstag: Ein ebenfalls schönes und mir bislang unbekanntes Wort ist „Kaltlufttropfen“. Ein solcher blies heute den soeben erst angebrochenen Frühling wieder aus dem Land, hoffentlich nur vorübergehend.

Aus terminlichen Gründen fuhr ich nachmittags mit der Straßenbahn nach Hause. In der Südstadt stieg ein Vater mit seinem vielleicht sechsjährigen Sohn zu (oder Onkel mit Neffe oder was auch immer). Beide trugen Maske und mussten mangels freier Sitzplätze stehen. Dabei mieden sie es konsequent, die Haltestangen mit bloßen Händen zu berühren, allenfalls, wenn es gar nicht anders ging, mit über die Hände gezogenem Jackenärmel. In einer engen und ruckeligen S-Kurve, wo die Straßenbahn die Eisenbahn unterquert, stand der Vater breitbeinig und leicht gebeugt, mit vorgestreckten Armen die Balance haltend, auf dem runden Drehteller am Boden, der zwei Wagenglieder verbindet, wie ein kalifornischer Wellenreiter. Das sah ziemlich komisch aus.

Bei der französischen Bahn SNCF feiern die Beschäftigten heute den „Tag des Ausdrucks des Eisenbahnerzorns“, stand in der Zeitung.

Freitag: Demnächst gibt es ein Gesetz gegen Belästigungen am Arbeitsplatz, wenn ich das richtig verstanden habe. Meine Hoffnung, dass dadurch unsinnige Powerpoint-Präsentationen, spontane Einladungen in laufende Teams-Besprechungen und Anrufe vor neun Uhr unter Strafe gestellt werden, ist allerdings gering.

Gelernt: Statt „Die macht nicht mehr lange“ kann man auch sagen: „Die ist dicht an der Kante“.

Samstag: Mit Leuten eines Kölner Eisenbahnfreundevereins, dessen Mitglied ich seit vielen Jahren bin, begab ich mich heute auf eine Bahntour nach Heimbach in der Eifel. In den letzten Jahren ließ meine Teilnahme an den Vereinsaktivitäten stark nach, aus terminlichen, bequemlichen und schließlich pandemischen Gründen. Umso mehr hat es mich gefreut, heute dabei zu sein und die Leute wiederzusehen, auch wenn ich dazu samstagsunüblich früh aufstehen musste. Mit Details zum Reiseverlauf will ich Sie nicht langweilen, möchte indes nicht versäumen, DB Regio und die Rurtalbahn GmbH für die Pünktlichkeit der Züge nicht nur anzuloben.

Heimbach. Man beachte das „by“.
Hey Yo: Gangsta-Szene in Obermaubach.
Die unbedingt bereisenswerte Rurtalbahn am Stausee von Obermaubach

Das Motto der FDP-Parteitages lautet „Machen, was wichtig wird.“ Was auch immer es bedeutet.

Sonntag: Nach mehrjähriger Zwangspause fand heute wieder der Bonner Marathon statt. Warum auch nicht: Die einen unternehmen Lustfahrten mit der Bahn, die anderen laufen über vierzig Kilometer und lassen sich dabei von anderen lautstark antreiben. Ich zog es beim Spaziergang vor, die Laufstrecke zu meiden, allein schon aus akustischen Gründen, und den Frühlingsfortschritt an der Poppelsdorfer Allee zu inspizieren, die bereits unter einem grünen Blätterdach der Kastanien liegt, deren Blüte jedoch noch etwas auf sich warten lässt.

Immerhin: es grünt

Was auch noch auf sich warten lässt ist die Maibocklieferung an eine Gaststätte mit Außengastronomie in der Innenstadt. Deshalb nahm ich mit einem normalen Hellen vorlieb, was das Vergnügen des ersten Freiluftbieres des Jahres nur unwesentlich trübte.

***

Kommen Sie gut durch die Woche und machen Sie, was wichtig wird. Oder so.

Woche 3: Komische Wörter und eine Stellenanzeige

Montag: Um 2:38 Uhr aufgewacht vom Regen, der gegen das Fenster klopft. Liegeposition ändern, weiterschlafen. Herrlich. Um 6:50 Uhr geweckt vom Ruf der Pflicht. Liegeposition verlassen. Nicht schön.

Als ich mich nach Ankunft im Werk an meinem Rechner anmelde, überlege ich, ob „Dafaq“ als Passwort-Bestandteil wohl gegen die IT-Richtlinien des Konzerns verstieße.

In „Nieten in Nadelstreifen“ von Günter Ogger, meiner derzeitigen Stadtbahnlektüre, lese ich zum Thema Manager-Moral:

„Viele der Aufsteiger, die nun in die Chefetagen einzogen, ließen sich blenden von Pumpgenies wie dem Amerikaner Donald Trump …“

Wie ich schon vergangene Woche erwähnte: Das Buch ist von 1992. Im Übrigen habe ich nicht den Hauch einer Idee, was Pumgenies sind; für Hinweise und Erläuterungen wäre ich dankbar.

Dienstag: „Wir machen dazu noch eine Q’n‘A-Session„, heißt es in der Besprechung. Unterdessen begegnen einem im Laufe eines langen Arbeitstages Fragen, die sich nicht so einfach beantworten lassen:

Keine Fragen lässt hingegen die großflächige Gebrauchsanweisung für die neue Aufzugsteuerung im Werk offen, lautet doch der dritte und letzte Tipp: „Betreten Sie den gewählten Aufzug“. Auf dass die fleißigen Werklinge wohlbehalten und pünktlich an ihre Werkbank gelangen.

Am Abend erstelle ich einen Serienbrief, wohl das erste Mal in meinem Leben, ohne lautstark an Word zu verzweifeln.

Mittwoch: „Wir gehen dazu nochmal in den Denkteich„, höre ich in einer Besprechung jemanden sagen. Während ich den Satz notiere für meine Liste, die dringend einer Aktualisierung bedarf (mache ich die Tage, versprochen), denke ich: Dann sauft mal nicht ab.

„Nordzucker mit Gewinnverlust„, steht über einer kurzen Zeitungsmeldung. Ein tolles Wort, wie süßsauer, knallzart, Rundecke, Vatermutter, Ostwestfalen, Industriepark oder Heimarbeit.

Donnerstag: „Ich fühl‘ mich leer und verbraucht, alles tut weh“, kräht Grönemeyer am Morgen, als der Radiowecker angeht. Damit bringt er mein Befinden in früher Stunde perfekt auf den Punkt.

Ich komme noch einmal auf die neue Aufzugsteuerung im Werk zurück. Dazu muss ich ein wenig ausholen: Im Gegensatz zu herkömmlichen Aufzügen wählt man das Ziel schon vor dem Einsteigen durch Eintippen des gewünschten Stockwerks in eine Bedieneinheit außerhalb des Fahrstuhls, woraufhin dem Reisenden die zutreffende Kabine zugewiesen wird. Diese Bedienelemente wurden in den letzten Tagen durch zeitgemäße Displays ausgetauscht. Die Zeit zwischen Tippen und Anzeige des Aufzugs dauert jetzt, dank moderner Technik, etwa zwei bis drei Sekunden länger als vorher. Das ist offenbar ein großes Problem für viele Werklinge – statt sich über die kleine Entschleunigung zu freuen, wettern sie über die Wartezeit, stellen gar sinnlose Berechnungen an, welche Mehrkosten dem Unternehmen durch Leerzeiten entstehen und drücken noch hektischer als zuvor nach dem Einsteigen den Tür-zu-Knopf.

Freitag: Heute weckte mich Lady Gaga. Ich hätte nie gedacht, das mal über sie zu schreiben, aber das Lied, welches jetzt andauernd im Radio zu hören ist, gefällt mir richtig gut.

Per Mail erreichte mich am Nachmittag der Hilferuf eines Bonner Unternehmers, der dringend eine neue Kraft sucht, trotz Stellenanzeige aber nicht findet. Ich kenne ihn persönlich, deshalb kann ich für die Seriosität des Angebots garantieren. Die Anzeige finden Sie nachstehend. Auch wenn Sie gerade nicht an eine berufliche Veränderung denken, empfehle ich die Lektüre, sie ist wirklich lesenswert, besonders die Hinweise, was ausdrücklich nicht zum Aufgaben-/Anforderungsprofil gehört:

Alteingesessenes, marktführendes, weltweit tätiges Bonner Großhandelsunternehmen sucht ab sofort

Auslandserfahrene Assistenz der Geschäftsführung (40 Wochenstunden, keine WE-Arbeit, keine Überstunden!) mit folgendem Aufgabenprofil

–          Telefonempfang (besonders Anrufe aus dem Ausland)

–          Bearbeitung des Posteingangs (Briefe und E-Mails)

–          Mahnwesen (insbesondere auch der englischsprachigen Kunden)

–          Korrespondenz mit Lieferanten (insbesondere der ausländischen)

–          Vorbereitende Buchhaltung (Datenaufbereitung zur Weitergabe an das Steuerbüro)

–          Dienstreiseplanung für Geschäftsführung (insbesondere Übersee)

–          Büroorganisation (Führung des Chefkalenders, Urlaubsplanung, etc.)

–          Marketing der firmeneigenen Marke (Messeplanung, Anzeigenschaltung, Sponsoring etc.)

–          Zahlungsverkehr auf den Bankkonten erledigen (online)

–          Realisierung eigener Projekte im Bereich Produktbeschaffung und -recherche

Folgendes gehört ausdrücklich nicht zum Aufgabenprofil

–          Telefonakquise

–          Kaffeekochen

–          Diktat aufnehmen und ähnlicher Kleinkram

–          Kontakt / Reklamationen / Anwerbung von Endverbrauchern

 Anforderungsprofil

–          Hohes Bildungsniveau (Mathematik, Wirtschaftswissen, interkulturelle Erfahrung, tadellose Rechtschreibung)

–          Verhandlungssicheres Englisch, besonders in der mündlichen Kommunikation

–          Muttersprachliches Deutsch ohne Füll-, Bläh- und Denglishvokabeln, so daß eine erfolgversprechende Kommunikation mit teils schwierigen Lieferanten und Kunden möglich ist

–          Weitgehende PC-Kenntnisse (absolut sicherer Umgang mit MS-Office-Produkten)

–          Wünschenswert wären spanische und / oder portugiesische Sprachkenntnisse

 Folgendes gehört ausdrücklich nicht zum Anforderungsprofil

–          Modischer Auftritt oder Dresscodes (wie Sie sich kleiden ist uns völlig schnurz solange es keine SS-Uniform oder ähnliches ist)

–          Führerschein

–          Abitur, Uniabschluss o.ä.

–          Autospezifisches Fachwissen

–          Smalltalk, Charme und andere „soft skills“; seien Sie ruhig ein Freak, das paßt zu uns

–          Medienkompetenz (Sie sind nicht bei Facebook, Twitter & Co? Wie wunderbar! Wir auch nicht….)

Sollten Sie interessiert sein, wenden Sie sich bitte per Kommentar oder Mail an mich, ich leite es dann gerne weiter.

Samstag: Experten des Verkehrsministeriums empfehlen zur Klimaschonung ein Tempolimit auf Autobahnen sowie eine Erhöhung der Kraftstoffsteuer. Wie nicht anders zu erwarten, erhebt sich daraufhin umgehend die Empörung der „Freie-Fahrt-für-freie-Bürger“-Bewegung. Auch der Kommentator des General-Anzeigers wiederholt erbost die hinlänglich bekannten Gegenargumente. Immerhin: Er verzichtet dabei auf die reichlich abgenutzte Metapher vom armen Autofahrer als „Melkkuh der Nation“.

Sonntag: In unserer Dusche steht jetzt eine Flasche Hundeshampoo „für glänzendes Fell“. Wir haben keinen Hund. Bitte fragen Sie nicht.