Montag: Als solchen Geräten mit einer gewissen Skepsis begegnender Mensch schenkte ich unserer digitalen Personenwaage im Bad nicht allzu viel Glauben, als sie gestern Morgen ein unplausibel hohes Gewicht anzeigte, zumal es sich wenig später nach dem Duschen um ein halbes Kilo verringerte; soviel Dreck wird da wohl nicht weggebraust worden sein. Heute früh spannten die Knöpfe der Strickjacke deutlich, die vor einem Jahr noch tadellos saß. Sicher ist das auf unsachgemäße Wäsche zurückzuführen. Kann ja nur.
Der Feuilleton-Teil der Tageszeitung enthält an Montagen mittlerweile als festen Bestandteil eine Tatort-Kritik. Mord und Totschlag als Kultur zu betrachten finde ich reichlich unangemessen. Dann bitte auch eine regelmäßige Rezession der neuesten Filme auf XHamster. Ich kann das gerne übernehmen.
Dienstag: Der Rhein hat Hochwasser. Die Anlegestege der Ausflugsschiffe und Rudervereine, üblicherweise Richtung Flussmitte abwärts geneigt, stehen waagerecht oder neigen sich nach oben. Frachtschiffe, auf die man sonst vom Ufer aus herabschaut, fahren auf Augenhöhe. Und es ist kalt, was erstaunlich viele Läufer nicht davon abhält, in kurzen Hosen das noch morgenmüde Auge zu reizen.

Das Leben überrascht manchmal durch erstaunliche Zufälle. Gestern beim Abendessen noch beklagte ich im Kreise der Lieben, dass der neue Kantinenbetreiber keinen Wackelpudding mehr anbietet. Raten Sie mal, was es heute Mittag zum Dessert gab. Vielleicht durch die heimischen Lausch- und Laberdosen, in denen die dämliche Frau Siri wohnt?
Vergangene Woche beklagte ich das jahreszeitlich durchaus begründete Verschwinden der Glühweinbude am Rheinpavillon. Hierbei handelt es sich um eine Gaststätte am Rheinufer im typischen Baustil der Fünfzigerjahre, vermutlich und wenn dann zu recht denkmalgeschützt. Im Obergeschoss befindet sich ein Café, dort hielt ich auf dem Rückweg spontan Einkehr und bestellte einen Pfefferminztee, jaha, ich kann auch ohne Alkohol. Es war voller als es von außen schien, ich fand noch einen Platz mit Blick auf den Fluss. Statt der erwarteten Tasse wurde eine ganze Kanne serviert, daher saß ich etwas länger als geplant, was überhaupt nicht schlimm war; da zu sitzen ist sehr angenehm, man kann während des Verzehrs vorüberfahrende Schiffe und gegenüber am anderen Ufer die Lichter von Beuel betrachten. Hier war ich sicher nicht zum letzten Mal.

»Thee und Bier stellten mich aus der Erschöpfung wieder her«, schrieb passend Thomas Mann heute vor vierundachtzig Jahren ins Tagebuch.
Eine Bierlieferung wurde mir vom Lieblingspaketdienstleister per Mail angekündigt. Die anfängliche Vermutung, da ich nichts bestellt hatte, es könnte sich um eine der üblichen Spam-Mails handeln, bewahrheitete sich nicht. Wer mag die Lieferung veranlasst haben? Ich habe einen vagen Verdacht.
Mittwoch: Warum eigentlich glauben Menschen, sich im Straßenverkehr wie Irre verhalten zu dürfen, denen alle anderen Verkehrsteilnehmer zu weichen haben, sobald sie ein Lastenfahrrad führen?
Auf dem Weg zur Kantine begegnete mir ein ehemaliger Abteilungskollege, der vor geraumer Zeit zum Leiter einer anderen Abteilung ernannt wurde, von der ich nie hörte; seitdem sehe ich ihn nur selten, weil er in einem anderen Gebäudeteil seinem leitenden Wirken nachgeht. Da er den Blick auf sein Datengerät gerichtet hatte und auch zum Zeitpunkt unserer Begegnung nicht davon abließ sah ich davon ab, ihn anzusprechen und auf die Briefe hinzuweisen, die noch in seinem Postfach auf unserem Flur liegen. Man will ja nicht stören.
Nach Rückkehr am Abend war das Bier geliefert, fünf Halbe aus bayrischer Klosterherstellung und ein Glas. Meine Vermutung die Bestellerin betreffend traf zu. Herzlichen Dank, liebe N.!
Donnerstag: Morgens schneite es überraschend heftig, was mich nicht davon abhielt, zu Fuß ins Werk zu gehen. Flockenumtost genoss ich den Gang am allmählich wieder abschwellenden Fluss, gelegentlich begegnet und überholt von Läufern, die der Schnee ebenfalls nicht von ihrem Morgenlauf abhielt und deren Fußspuren schon bald wieder weggeschneit waren. Erst nach Ankunft im Büro bemerkte ich, wie nass die Jacke geworden war.


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»Was hast du in deinem Leben über die Liebe gelernt?« lautet die WordPress-Tagesfrage. Nämliches: 1) Wer suchet, der findet nicht; am ehesten findet, in einem unerwarteten Moment, wer nicht sucht. 2) Liebe und Lust sind trennbar, Monogamie wird völlig überbewertet. 3) Aller guten Dinge sind drei. Mindestens.
Freitag: Die Arbeitswoche endete angenehm mit Schnee am Nachmittag, der nur kurz liegenblieb, und einer karnevalistischen Großveranstaltung mit zehn Karnevalsgesellschaften und Musik in der der Bonner Innenstadt, an der ich mangels Uniform nur in begleitender Funktion teilnahm und die in alkoholischer Hinsicht glimpflich endete.

Samstag: In Bonn ist laut Zeitungsbericht ein Obdachloser zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt worden, weil er im vergangenen Jahr einen menschlichen Kopf vor dem Bonner Landgericht ablegte, den er zuvor seinem Kumpel abgetrennt hatte, ich erzählte es, Sie erinnern sich vielleicht. Was ihn zu der Tat bewogen hatte, verschweigt er nach wie vor. Dem ursprünglichen Kopfinhaber wird es egal gewesen sein, da er bereits vor dem Kopfverlust infolge einer Krankheit gestorben war. Die Anklage lautet deshalb nur auf „Störung der Totenruhe“. Der hier einschlägige Paragraph 168 des Strafgesetzbuches lautet im Absatz eins: »Wer unbefugt aus dem Gewahrsam des Berechtigten den Körper oder Teile des Körpers eines verstorbenen Menschen, eine tote Leibesfrucht, Teile einer solchen oder die Asche eines verstorbenen Menschen wegnimmt oder wer daran beschimpfenden Unfug verübt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.« Klingt wie aus einer anderen Zeit. Am besten gefällt mir das mit dem beschimpfenden Unfug.
Nach samstäglichen Besorgungen hielt ich kurze Einkehr in der Lieblingsweinbar, direkt an einer Straßenbahnhaltestelle gelegen. Während des Rieslings sah ich einen Straßenbahnfahrer mit Krawatte, ein sehr seltener Anblick. Die Bus- und Straßenbahnfahrer früherer Zeiten trugen blaue Uniformjacke, Schirmmütze und selbstverständlich Krawatte. Das ist lange her. Heute muss man fast froh sein, wenn sie überhaupt einigermaßen bekleidet sind.
Es ist ein durchaus angenehmes Merkmal fortschreitenden Alters, wenn man am Samstagabend statt aushäusigen Fetenrausches auf ARTE eine Dokumentation über Moose anschaut, eine faszinierende Lebensform, die selbst unter widrigsten klimatischen Unbequemlichkeiten noch gedeiht. Vielleicht sind es Moose, die bald die Weltherrschaft erlangen, nachdem wir uns erfolgreich ausgelöscht haben. Eine noch faszinierendere, geradezu unheimliche Lebensform ist Physarum polycephalum, auch Blob genannt, über den anschließend berichtet wurde. Er verfügt über erstaunliche Intelligenz, obwohl er kein Hirn hat, im Gegensatz zu vielen Menschen, die trotz Hirn nennenswerte Intelligenz vermissen lassen.
Sonntag: Während des Spazierens sah ich am Rhein einen Mann, der mit Flusswasser seinen kleinen Hund hinten reinigte. Der Hund ließ es über sich ergehen, begeistert wirkte er nicht, was bei der Wassertemperatur und überhaupt nachvollziehbar ist.
Auf dem weiteren Weg durch den trüben, sich scheinbar endlos ziehenden Januar sah ich die erste Schneeglöckchenblüte und einen Kleinbus mit der Aufschrift »Es gibt Hoffnung«, was wie ich finde ganz gut zusammenpasst. Außerdem sah ich jede Menge Moos, die Dokumentation gestern Abend hat mir diesbezüglich die Augen geöffnet. Es ist kaum möglich, auch nur wenige Meter durch die Gegend zu gehen, ohne irgendwo die grünen Polster zu erblicken.




Es gibt Menschen, die ihre Lebensaufgabe darin sehen, über Moose zu forschen. Das muss wunderbar sein.
Ganz wunderbar muss es auch sein, sein Moos zu verdienen mit Schreiben, wenn man es kann wie Max Goldt, der sich ausnahmsweise interviewen ließ, anzuschauen hier:
Ach ja, dies noch:

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Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche, möglichst ohne Mord, Totschlag und anderen Unannehmlichkeiten.