Heimarbeit

Nach fast zwei Wochen siechem herumlungern und Fuß hochlegen befand ich es an der Zeit, meinem Arbeitgeber wieder etwas mehr Zeit zu widmen, zumal bei der Ausübung meiner überwiegend sitzenden Tätigkeit eine uneingeschränkte körperliche Bewegungsfähigkeit zwar erfreulich, nicht jedoch zwingend erforderlich ist. Daher beschloss ich, zunächst zwei Tage lang von zu Hause aus zu arbeiten, ,Home Office‘ zu machen, wie es so unschön heißt, wobei dieser Begriff ja schon ein krasser Widerspruch in sich ist, etwa so wie Ostwestfalen.

Nach einem Arzttermin am Vormittag begab ich mich also aufs Sofa, so wie an den Tagen zuvor auch, nur statt mich in erfreulicher Lektüre zu ergehen, schaltete ich den dienstlichen Rechner ein. Ich gebe zu: ich hatte es mir wesentlich schwieriger vorgestellt, den Ablenkungen häuslicher Umgebung, gepaart mit fehlender cheflich-kollegialer Beobachtung zu widerstehen. Dabei waren die Verlockungen zahlreich – Zeitung lesen, mal kurz ins Internet, die Spülmaschine ausräumen, Wäsche zusammenlegen, endlich mit dem Schreiben meines Bestsellers beginnen, eine neue Frisur ausprobieren und wieder verwerfen, Fotoalben sortieren, lästige Überweisungen tätigen, zwei bis drei Gedichte auswendig lernen, ein Nickerchen halten, den Staub aus den Lamellen der Designer-Wohnzimmerlampe entfernen. (Gut, das mit dem Nickerchen habe ich tatsächlich gemacht.) Trotz vorstehender Reize lief es erstaunlich gut: ungestört von Telefon und Kollegen, die plötzlich in der Tür stehen und was wollen, etwa eine Auskunft oder einen Plausch halten, bekam ich einiges geschafft.

Dem Vernehmen nach bevorzugen vor allem junge Erwerbstätige zunehmend diese Form der Arbeit – zeitlich und örtlich flexibel, zu Hause, in der Wanne, so sie eine haben, in der Dusche eher selten, im Park, im Café, in der Sauna, bei Gassigehen und Liebesspiel; auch nachts und am Sonntag vor und nach Tatort. Gerade freischaffend tätige ,Freelancer‘ (nein, ich gebrauche jetzt nicht das Wort ,neudeutsch‘, denn es ist weder neu noch deutsch), Leute also, die davon leben, dass sie etwa Nordseekrabben pulen, sich lustige Werbung ausdenken, irgendwas mit Medien machen oder für Auftraggeber Texte verfassen. Da mein Geschreibsel sich nicht eignet, Geld damit zu verdienen, halte ich meinem Arbeitgeber die Treue, von Montag bis Freitag, von morgens bis zum frühen Abend, und zwar am liebsten im Büro, so absurd es manchem auch erscheinen mag, täglich mehrere Stunden mit vielen Menschen in einem großen Bürogebäude zu verbringen.

Ja, nennen Sie mich altbacken, aber ich bevorzuge es, mich zum Zwecke des Brot-, Bier- und Bucherwerbs morgens mit einem Anzug zu kleiden, mich mit fremden, mürrischen Menschen in die Stadtbahn zu quetschen und mittags mit den Kollegen in die Kantine zu gehen. Das schöne daran ist nämlich: Es gibt meinem Tag Struktur, und wenn mich das Gebäude abends wieder ausspuckt, schüttle ich den Arbeitstag ab wie ein nasser Hund das Wasser aus dem zotteligen Fell, klopfe einige imaginäre Krümel von den Schultern, und dann ist Feierabend, aber richtig. Oder Wochenende. Oder Urlaub.

Fazit – ein bis zwei Tage Heimarbeit kann ich mal machen, sie hat gewisse Vorzüge. Dennoch, und ich hätte nie gedacht, mal einen solchen Satz zu schreiben: Ich freue mich, bald wieder ins Büro gehen zu können.

2 Gedanken zu “Heimarbeit

  1. ThomasS Oktober 29, 2013 / 00:39

    Auch hier gilt wohl die Platitüde:
    Alles hat seine Vor-und Nachteile.

    Vorteile hat Home-Office besonders für den Raucher.
    Während du dir daheim kurzerhand eine Aktive ansteckst und rauchend weiterarbeitest, ohne dass sich jemand dran stört, musst du im Büro die Arbeit ertmal unterbrechen. Und das überlegst du dir vorher eh lieber zweimal.

    Oder wenn du zwischendurch gewisse Ermüdungserscheinungen verspürst, kannst du zuhause ganz unproblematisch kurz mal in die Untiefen ins Internet abtauchen, ohne befürchten zu müssen, dass der Chef hereinplatzt und du in Erklärungsniotstand kommst. Oder wenn gar nix mehr gehen will, kannst du dich zuhause sogar kurz hinlegen.
    Versuch das mal im Büro. 😉

    Gut, geschäftsmäßige Kleidung war in den Büros, in denen ich gearbeitet habe, nie erforderlich. Aber häte ich da im Hochsommer bei 35 Grad im Schatten nur inm Boxer-Shorts am Schreibtisch gesessen, hätten die Kollegen wohl auch nicht schlecht geschaut. Im Home Office kein Problem! 🙂

    Bleibt das letzte Argument für die Arbeit im Büro: Die Kollegen. Der menschliche Kontakt, die Möglichkeit zur sozialen Interaktion u.s.w.
    Das muss man wohl normalerweise als wohltuend empfinden. Aber wer sagt, dass ich normal bin. 😉
    Wenn z.B. ein Kollege Geburtstag feiert oder so, dann ist es normal, dass für ein paar Stunden die Arbeit ruht und einfach nur palavert wird. Da muss man dann mitziehen, wenn man nicht ausgegrenzt werden will! Egal, wie dringend man eigentlich weitermachen möchte oder vielleicht sogar muss.
    Wer weiß, wie viele Kollegen während solcher Auszeit-Sessions insgeheim wie auf glühenden Kohlen geparkt waren und gedacht haben: Jetzt mach doch mal einer den Anfang! Der Spielverderber sein, der als erstes von solcher Geselligkeit auffsteht … auch das erfordert eine gewisse Größe. Zumal dann, wenn sich der Rest des Büros entscheidet, doch noch bissl gesellig zu bleiben, hat man schon erstmal die A***-Karte gezogen. Die kann man dann zwar später wieder einlösen, aber das kostet wiederum unnötige Anstrengung.

    Also: Ich persönlich kann auch gut ohne die soziale Interaktion zu irgendeinem Kollegenkreis leben.
    Und umgekehrt ist es vermutlich ebenso. 😉

    Und was das Argument der Tagesstruktur betrifft:
    Analog zu dem Spruch „Was brauche ich Ordnung! Ein Genie beherrscht das Chaos!“ schaffe ich mir lieber meine eigenen Strukturen, als dass ich sie mir von außen diktieren lasse.

    Fazit: Jedem das Seine. 😀

    Und wenn sogar ein Senior Consultant auf ein armes Würstchen wie mich neidisch wäre … dann hätten wir tatsächlich sowas wie „verkehrte Welt“! Oder?

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  2. Michael Nero November 14, 2013 / 09:53

    Ich stimme Deinem Artikel völlig zu – ich war mal selbständig und habe von zu Hase aus gearbeitet. Dann kann man zu Hause und Arbeit nicht mehr so schön abschütteln, sondern hat immer in der Birne, dass man docjh schon mal im Arbeitszimmer weitermachen könnte, usw., usw.
    Ich glaub das ist echt eine Typfrage, ich brauch das auch, das Gefühl: Raus aus dem Büro, Feierabend!

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