Aus gegebenem Anlass

Wieder ist es so weit: Ich werde gefragt, wo ich mir das Fußballspiel anschauen werde, erhalte Einladungen zum Kollektivkucken, auch von Leuten, die sonst nicht gerade zu den ausgewiesenen Fußballfans zählen. Wieder ernte ich Unverständnis, wenn ich dann sage, ich werde es mir gar nicht anschauen, weil mich Fußball nun einmal überhaupt nicht interessiert.

„Aber es ist doch EM, das ist doch was anderes, da muss man schauen!“ – Was ist anders? Fußball ist Fußball, ob auf dem Sportplatz von Kleinwiershausen oder im von aller Welt betrachteten Stadion von… ja wo eigentlich?

„Aber ,wir‘ spielen doch!“ – Wir? Also ich nicht, jedenfalls nicht, dass ich wüsste.

„Auch nicht, wenn Deutschland spielt?“ – Deutschland spielt? Falsch: Deutschland sitzt kollektiv vor der Glotze und missbraucht das arme Wörtchen ,wir‘.

Wirklich, ich gönne allen ihr Fußballvergnügen, ob alleine in ihrer Stube oder mit vielen vor dem Großbildschirm. Genau so gesteht mir bitte zu, dass ich mich derweil anderweitig vergnügen werde, wie, weiß ich noch nicht, aber ich werde mich ganz bestimmt nicht langweilen. Vielen Dank!

Fußball

Spieltrieb

Seit frühester Kindheit interessiere ich mich für die Eisenbahn. Den Ursprung dafür vermute ich bei meinen Großeltern mütterlicherseits, die in einem ehemaligen Bahnwärterhaus an einem Bahnübergang in der Nähe von Göttingen wohnten. Zwar fuhren schon damals nur noch wenige Züge dort, die Strecke wurde schließlich 1980 stillgelegt, aber diese wenigen Züge reichten aus, um mich zu infizieren: Wenn sich die Schranken bimmelnd senkten, ließ ich alles stehen und liegen und eilte vor das Haus in der Hoffnung, eine Dampflok zu sehen, die es in den Siebzigern noch in der freien Wildbahn gab, die sich aber nur noch höchst selten blicken ließen.

Ich hatte diverse Spielzeugzüge zum schieben, mit denen ich das nahezu unendliche Streckennetz auf dem Teppichmuster im Wohnzimmer abfuhr, eine Lego-Eisenbahn, später eine kleine Fleischmann-H0-Platte, aus der im Laufe der Zeit eine ausgewachsene Anlage auf dem Dachboden meines Elternhauses wuchs, mit Fahrplan und Zugmeldeverfahren; wer Uwe und mich dort beim Eisenbahnspielen beobachtete oder auch nur zuhörte, musste uns für leicht bekloppt halten, ohne Frage zu recht.

Der größte Wunsch meiner Kindheit war eine LGB-Eisenbahn in unserem Garten. Diesen erfüllte ich mir 1977 mit einer Startpackung, bestehend aus Lok, zwei Güterwagen und Schienenkreis. Hieraus entstand im Laufe der Jahre die erträumte Gartenbahn, die unseren Reihenhausgarten erschloss, mit einem großen Fahrzeugpark. Wie schön waren die Sommerabende, wenn ich den Lichtern des Schienenbusses folgte, zwei rote Schlusslichter entfernten sich neben dem Gartenweg, verschwanden kurz im Gebüsch, dann kamen auf der anderen Seite des Rasens drei weiße Lichter auf mich zugebrummt, der Zug durcheilte den kleinen Bahnhof zu meinen Füßen, dann wieder die Schlusslichter, stundenlang, wunderschön, unwiederbringlich.

Mitte der Neunziger führten Zeitmangel – ich stand inzwischen im Berufsleben, und das nicht zu knapp -, mein Auszug aus dem elterlichen Haus in meine erste eigene Wohnung und eine akute Interessenverschiebung dazu, dass meine Garten-Kleinbahn das Schicksal ihrer großen Vorbilder ereilte: sie wurde stillgelegt und abgebaut. Ein Teil der Gleise und einige Fahrzeuge wurden verkauft, der Rest liegt im Keller und harrt einer ungewissen Zukunft entgegen. So richtig trennen kann ich mich noch nicht davon, obwohl klar ist, dass ich nie wieder eine Anlage aufbauen werde. Aber man soll ja nie nie sagen…

Der zweite große schienengebundene Wunsch meiner Kindheit und Jugend war es, auf einer richtigen Dampflok zu stehen, als Heizer oder gar Lokführer. Auch den konnte ich mir erfüllen: Bei Gütersloh betreibt seit 1973 der Verein „Dampf-Kleinbahn Mühlenstroth“ eine kleine Museumseisenbahn, also mehr eine LGB-Bahn im Maßstab eins zu eins als eine richtige Bahnstrecke, denn die Dampfkleinbahn fährt auch mehr oder weniger im Kreis auf einem überschaubaren Gelände, und die Loks und Wagen sehen so ähnlich aus wie die von LGB, nur eben in groß. Nach dem ersten Besuch dort mit meinen Eltern, es muss so 1976 gewesen sein, wusste ich: Das ist es, das will ich auch, da will ich mitmachen! Mit sechzehn, also in einem Alter, da andere Jungs schon den Mädchen nachstellten, trat ich dem Verein bei, und fortan verbrachte ich so ziemlich jedes Wochenende dort, konnte es Sonntagabends, wenn ich nach Hause fuhr, kaum abwarten, dass es endlich wieder Samstag wird und ich mich in diese eigene kleine Welt begeben konnte, wo Samstags an Schienen und Fahrzeugen herum geschraubt und Sonntags ein modellbahnmäßiger Fahrbetrieb aufgezogen wird. Bereits im Sommer 1983 stand ich zum ersten Mal als Heizer auf einer Lok, damals ein wahnsinniges Glücksgefühl, das für außenstehende, die sich nicht so sehr für die Eisenbahn erwärmen können, wohl schwer nachzuvollziehen ist. Einige Jahre später erwarb ich dann auch die Berechtigung zum Führen einer Dampflok, natürlich nur vereinsintern auf unserer Kleinbahn, aber immerhin, es ließ meinen Kleineisenbahnerstolz nochmals ein ganzes Stück wachsen.

Dabei war es nicht immer einfach. Aktives Mitglied bei einer Museumseisenbahn zu sein bedeutet eben nicht nur, im Sommer auf dem Führerstand einer Lok zu stehen oder in gestriegelter Uniform Löcher in Fahrkarten zu knipsen, sondern viel harte Arbeit und Dreck, auch im Winter, wenn es zu Hause bei der Modellbahn in der warmen Stube viel schöner ist. Und man muss sich, um der Sache willen, mit Leuten arrangieren, mit denen man außerhalb dieses Hobbys nichts zu tun hätte und teilweise wohl auch nicht haben will. Der Eisenbahnfreund an sich ist schon eine besondere Spezies, also schon der „normale“, der mit Fototasche und ohne erkennbare Frisur am Bahndamm steht, Züge fotografiert und unter seinesgleichen klug daherredet; erst recht aber der aktive Museumseisenbahner.

Was bewegt einen Menschen dazu, einen Großteil seiner Freizeit damit zu verbringen, Schienen zu verlegen, Lokomotiven auseinander zu bauen, Teile zu entrosten und neu anzufertigen, das ganze wieder zu einer Lokomotive zusammenzubauen, um damit Wochenendausflügler um eine Gaststätte herum zu kutschieren? Woher kommt die Motivation, am Freitagabend anzureisen, die Nächte in einem muffigen Schlaf- und Schnarchsaal mit zwölf Betten zu verbringen, samstags in der Werkstatt zu stehen, Sonntag früh um sechs aufzustehen, die Lok anzuheizen, auf der man sich den ganzen Tag aufhält, bis man sie abends in den Schuppen fahren kann und todmüde nach Hause fährt, einer neuen Arbeitswoche entgegen? Ich versuche mal, es zu beantworten: Die Ferne zum Alltag, das Gemeinschaftsgefühl, an einer gemeinsamen Sache zu arbeiten, die Freude am Ergebnis, wenn die Lok nach unzähligen Arbeitsstunden, frisch lackiert, wieder fährt, die Anerkennung der Besucher, die erstaunten Blicke der Kinder, und die Flasche Bier am Abend.

Wie bei anderen Vereinen auch kommen hier die verschiedensten Menschen zusammen, die vor allem eines verbindet: das Interesse an einer gemeinsamen Sache. Arbeiter, Techniker, Büromenschen, Akademiker, Schüler, Studenten, Rentner, jeder kann sich einbringen, nicht jeder muss Eisenbahner, Schweißer oder Schlosser sein. Natürlich gibt es auch hier sympathische, im weitesten Sinne normale, auf der anderen Seite aber auch eher schwierige Menschen, die glauben, sich profilieren zu müssen, weil sie es außerhalb des Schienenkreises vielleicht nicht können. Ich habe während meiner aktiven Zeit bei der Dampfkleinbahn Bekanntschaft mit vielen netten und interessanten Menschen gemacht, auch mit schwierigen, aber keine dieser Bekanntschaften möchte ich missen. Ich habe viel gelernt, über Technik, über Metallbearbeitung, und über Menschen.

Auch hier waren es mehrere Faktoren, die zu einem Rückgang meiner Aktivitäten gegen Null geführt haben: die nachlassende Bereitschaft, mich nach einer langen Arbeitswoche den oben beschriebenen Unbequemlichkeiten auszusetzen, die generelle Interessenverschiebung, welcher schon die Gartenbahn zum Opfer fiel; ausschlaggebend war jedoch auch hier die räumliche Entfernung durch meinen Wegzug nach Bonn. Ganz selten, vielleicht noch ein- bis zweimal im Jahr, lasse ich mich dort blicken, es ist dann immer wieder schön und macht Spaß, der Geruch von Kohle und Öl, das Zischen von Dampf, und das Wiedersehen mit den Leuten; ein bisschen ist es auch ein Ausflug zurück in meine Jugendzeit.

Gestern war ich endlich nach längerer Zeit mal wieder dort, es war ein sehr schöner Tag. Hier ein paar Eindrücke:

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Casual Friday

Eine der zahlreichen Errungenschaften aus dem Land der in alle Richtungen unbegrenzten Mög- und Peinlichkeiten ist neben dem Bic Mac, Homer Simpson, Halloween, Bruce Springsteen, Hollister und Starbucks der so genannten Casual Friday. Ursprünglich diente dieser ab den fünfziger Jahren in großen amerikanischen Unternehmen dazu, den ansonsten an eine strenge Kleiderordnung gebundenen Angestellten durch Verzicht auf gestärktes Hemd und Krawatte den Übergang von der Arbeitswoche ins bevorstehende Wochenende etwas zu erleichtern.

Nun neigt der Deutsche ja dazu, alles scheinbar gute, was aus den Vereinigten Staaten den Weg zu uns gefunden hat, dankbar aufzunehmen und auf die Spitze zu treiben, der Zwanglos-Freitag ist ein gutes Beispiel dafür, wie ich bei meinem eigenen Arbeitgeber immer wieder beobachten kann. So verzichten die Herren freitags nicht nur auf die Krawatte, auch lassen sie den Anzug ganz im Schrank und kleiden sich dafür in verwaschenen Jeans mit kunstvoller Perforation und verspielt-bunten Ornamenten in der Gesäßzone, das Oberkleid variiert je nach Jahreszeit zwischen fragwürdig gemustertem Kurzarm-Freizeithemd und Kapuzenpulli. Als Schuhwerk werden Chucks oder Adidas bevorzugt. Die Damen zeigen sich statt des geschäftsmäßigen Hosenanzugs in ärmllosen Leibchen mit Spaghettiträgern, legginsartigem Beinkleid und offenen Sandalen, wobei streng darauf geachtet wird, dass sämtliche Tätowierungen gut zur Geltung kommen – Sie glauben gar nicht, wo man/frau sich überall tätowieren lassen kann.

Kurz: statt in der Konzernzentrale eines bedeutenden deutschen Unternehmens wähne ich mich freitags zunehmend in der Filiale einer großen Bäckereikette am Samstagmorgen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sich Jogginganzug, Badeshorts, Bikini und Flip Flops endgültig durchgesetzt haben werden.

Ich brauche das nicht, der Übergang ins Wochenende ist mir noch nie schwer gefallen; sobald mich am Freitagnachmittag das große Gebäude ausgespuckt hat, fühle ich mich frei und verwende bis zum Montag keinen Gedanken mehr an geschäftliche Angelegenheiten. Der Übergang vom Wochenende auf Montag fällt mir indes viel schwerer, da sollten sich die Amis endlich mal was sinnvolles einfallen lassen. Wie wäre es mit einem Business Sunday: Statt in Boxershorts und T-Shirt schauen wir den Tatort in Hemd, Krawatte und dreiteiligem Anzug, frisch gebügelt, fri- und rasiert.

Andererseits möchte ich mich nicht allen Trends verschließen, selbst wenn sie vom großen Bruder jenseits des Atlantiks kommen. Da mich schon Facebook langweilt wie ein kombiniertes Angel- und Schachtournier und ich Subway-Filialen meide wie Kardinal Meisner den Sexshop, so will ich wenigstens freitags nicht mehr der einzige Anzugträger sein (obwohl ich gerne Anzug trage). Also: ab kommenden Freitag gehe ich nackt ins Büro. Ich bin mir sicher, nach einer gewissen Irritation wird man mich gewähren lassen, bevor man den Sicherheitsdienst ruft, der mir dann eine Decke überwirft und mich nach nur kurzem Hand- und Wortgemenge aus dem Büro zerrt.