Gehampel und Glücksgefühl

Nachdem hier in letzter Zeit fast ausschließlich Wochenrückblicke erscheinen, heute mal wieder ein Aufsatz ohne tagesaktuellen Bezug. Das nachfolgende Textlein schlummerte schon seit längerem in den Entwürfen, höchste Zeit, es in des Netzes Weiten zu entlassen.

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Etwas, wozu ich nur noch selten, viel zu selten komme ist Tanzen. Also nicht als Paar: langsamer oder schneller Walzer, Tango, Cha Cha Cha, Foxtrott, all dieses Gehampel, das man mir in der Jugend erfolglos samstagnachmittags in der Tanzschule beizubringen suchte; noch immer denke ich mit Grausen an diese Zeit zurück und an das Glücksgefühl, als nach Grundkurs und Abschlussball diese wöchentliche Pein für mich überstanden war. Ohnehin besuchte ich die Tanzschule nur aus Gruppenzwang und auf mütterliches Flehen, aus mir selbst heraus wäre ich nie auf die Idee gekommen. Bis heute meide ich Aufforderungen zum Tanz, weil ich es nicht kann und nicht will; ebensogut könnte man mich zum Fußballspielen einladen oder vorschlagen, mir mit einem Hammer auf den Daumen zu hauen.

Was ich meine: Ich möchte mal wieder tanzen, alleine mit vielen auf einer Tanzfläche, zu Oasis, New Order, Tears For Fears. Am besten etwas, das ich mitsingen kann, wobei da nicht viel in Frage kommt, da mich Liedtexte nie interessierten und ich sie zumeist nicht verstehe, weder die englischen noch viele deutsche. „Bochum, ich komm aus dir, Bochum, ich häng an dir, aaafrika …“ Egal, Mitsingen macht auch Spaß, wenn es überhaupt keinen Sinn ergibt, jedenfalls solange keiner zuhört. „Sorry for the rock“ statt „Solid like a rock“. Ganz egal, Hauptsache es rockt. Mich im Takt der Musik bewegen, mich fallen lassen im Rausch des Klanges. Auch wenn es vielleicht komisch aussieht, ich weiß, ich bewege mich nicht gerade elegant (weshalb mich mal wer als „Bewegungslegastheniker“ bezeichnete), auch das ist egal, ich muss in der Menge der Tanzenden niemandem gefallen.

Die Zeiten regelmäßiger Tanzgelegenheiten sind lange vorbei, lange bevor Corona alles durcheinanderbrachte. Längst schon fuhren wir an den Wochenenden nicht mehr regelmäßig nach Köln zu irgendwelchen Partys, was ich keineswegs beklage; mit dem Fortschreiten der Jahre steigt das Ruhebedürfnis und man setzt andere Schwerpunkte. Und doch wäre es mal wieder schön.

Wobei, das letzte Mal ist noch gar nicht so lange her, das war am Sonntag nach dem Godesberger Karnevalszoch, als wir vereinsintern noch ein wenig in der Stadthalle nachfeierten. Zwischen den üblichen Karnevalsliedern und zweifelhaften Schlagern („Der Zug hat keine Bremse“) spielte der Musikbeauftragte immer wieder Hits der Achtziger, meiner großen Fetenzeit. Das war fast so schön wie früher, auch wenn es ganz sicher wieder komisch aussah. Das macht nichts. Hauptsache Glücksgefühl.

KW 42: Alles wie immer

Montag: „Gnade gibt es vor Gericht / Montagmorgen aber nicht“, dichtete kürzlich ein lyrisch begabter Kollege, bevor er sich in den Ruhestand verabschiedete. Da ich nicht annehme, dass er zu meinen regelmäßigen Lesern zählt, übernehme ich das einfach mal ganz dreist.

Das auch:

Neben der Atommüll-Frage stellt auch die fachgerechte Entsorgung von Warnbaken immer noch ein ungelöstes Problem dar, dem völlig zu unrecht nur eine geringe öffentliche Aufmerksamkeit zuteil wird.

KW42 - 1

Am frühen Abend noch mal kurz in den Rewe, Brot kaufen (und Nougat-Marzipan-Baumstämme, man muss das Angebot nutzen, so lange es die gibt, es ist ja schon bald Weihnachten). Es war bereits dunkel, aber die gastronomischen Außenbereiche waren gut besetzt und über der Inneren Nordstadt lag ob der milden Temperatur ein Gemurmel und Geschnatter wie an einem Freitagabend im Sommer. Geradezu surreal.

Dienstag: Heute ist Tag des Chefs, sagt das Radio. An diesem Tag lobpreisen Mitarbeiter ihre Vorgesetzten. Also alles wie immer.

„Wir müssen dringend auffällige Wölfe und auch Rudel, die regelmäßig Weidetiere reißen oder sich Siedlungen nähern, entnehmen„, sagt das Landwirtschaftsministerium. Das klingt fast so unverfänglich wie Erdogans „Säuberungen“. Dazu schlägt das Ministerium ein „Wolfsmanagement“ vor. Das erfüllt wohl die Kriterien für das Unwort des Jahres.

Unterdessen wurde in Israel eine 93-jährige zur „Miss Holocaust Survivor“ gekürt.

Mittwoch: Für die lobenden Kommentare zu meinem Aufsatz „Unbekannt verzogen“ danke ich sehr!

Auch zu loben: Seit heute ist der Konsum von Cannabis in Kanada erlaubt. (Ich erspare Ihnen weitere Wortspiele hierzu wie „Marihuana in Marburg“ oder „Hasch in Haschaffenburg“.) Selbstverständlich kann und darf man dazu auch eine gegensätzliche Meinung haben.

Donnerstag: „Die Wirtschaftsordnungen auf der ganzen Welt sind zunehmend zu riesigen Maschinen für die Produktion von Unsinn geworden“, schreibt David Graeber in Bullshit-Jobs. Dem ist zuzustimmen, siehe beispielsweise das „Rolling-Stones-Grillbesteck“, das neulich irgendwo angeboten wurde.

Freitag: Radiomeldung am Morgen: Dieser hässliche volltätowierte Vogel, der zurzeit als Superstar gefeiert wird und dessen Name mir gerade entfallen ist, hat immer seinen eigenen Ketchup dabei, wie sein Bodygard gepostet hat. Infos, die ich brauche.

Hier ein sehr lesenswerter Artikel aus der bunten Welt des Wahnsinns über Eltern.

Samstag: Nachtrag zu Donnerstag: „Nix es esu schläch, dat et nit für jet jot es!“, sagt der glückliche Rheinländer.

Sonntag:  „Weißt du noch, damals, als wir immer auf diese Dinger gestarrt haben? Wie hießen die noch mal…?“ – „Smartphone.“ Irgendwann, wenn sie völlig freiwillig diesen Chip eingepflanzt bekommen haben, werden sie sich das zudenken. Natürlich wird es ein anderes, vermutlich englisches Wort dafür geben, „mind beaming“ oder so. Vielleicht bis dahin auch ein chinesisches.

Was mich dazu bringt, mal wieder den von mir geschätzten und gern gelesenen Max Goldt zu zitieren: „Es entsteht immer wieder Anlass zu vorsichtiger Lebensfreude, wenn man sich vor Augen hält, was es alles nicht gibt und was es daher vielleicht auch niemals geben wird.“

Im nächsten Leben werde ich T-Shirt“, sagt der Geliebte am Abend mit Blick auf einen attraktiven Kerl im Fernsehen. Dann, mit Blick auf mich: „Wobei, da weiß man auch nicht, wo man landet.“

Selbstverständlich

Letzte Woche wurden drei Bankkunden zu Geldstrafen verurteilt, weil sie einem bewusstlos im Vorraum der Bank liegenden Rentner nicht geholfen hatten, sondern ihn ignorierten, scheinbar gleichgültig ihr Geld aus dem Automaten zogen und wieder verschwanden. Erst ein weiterer Kunde hatte nach Hilfe gerufen – zu spät, der Rentner starb wenig später.

„Richtig so, was sind das nur für Menschen“, so in etwa die allgemeine Empörung über den Vorfall, man beklagt die zunehmende Verrohung der Gesellschaft, und so weiter. Selbstverständlich hätte jeder andere dem Rentner geholfen, schließlich hat doch heute jeder ein Telefon in der Tasche. Wie kann man nur so herzlos und egoistisch sein.

Wirklich selbstverständlich?

Einige der Beklagten gaben an, sie hätten den Rentner für einen Obdachlosen gehalten, der im Bankvorraum seinen Rausch ausschläft. Das ist natürlich ein schwaches Argument. Hat ein Mensch weniger Anspruch auf Hilfe, weil er obdachlos ist? Und doch: Wie oft habe ich schon beim Geldziehen Obdachlose im Automatenraum angetroffen, gerade im Winter. Oft schlafen sie, in einem fleckigen, abgerissenen Schlafsack, daneben ihre Habseligkeiten in Discounter-Plastiktüten. Habe ich mich jemals nach ihrem Wohlbefinden erkundigt, auch nur darüber nachgedacht, ob sie vielleicht akut Hilfe benötigten? Ich gebe zu: nein. Vielmehr war ich froh, wenn sie schliefen und mich nicht stattdessen um etwas Kleingeld anhielten.

Nun soll der Rentner schon äußerlich nicht dem Erscheinungsbild eines Obdachlosen entsprochen haben: saubere Kleidung, keine Plastiktüten, kein strenger Geruch; zudem lag er nicht zurückgezogen in einer Ecke des Raumes, sondern direkt vor dem Geldautomaten, so dass die Kaltherzigen, wie auch die Bilder der Überwachungskamera zeigen, über ihn hinweg steigen mussten, um ihre Geschäfte zu erledigen.

Vielleicht war es dieses diffuse Warum-ich-Gefühl: Womöglich hat der Mann ja eine ansteckende Krankheit. Oder: Wie war das nochmal mit der stabilen Seitenlage? Der Erste-Hilfe-Kurs liegt schon so lange zurück, wie schnell macht man was verkehrt. Außerdem kommt bestimmt gleich einer, der genau weiß, was zu tun ist. Und ich muss ja auch noch meinen Bus erreichen.

Hätte ich geholfen? Ja bestimmt. Wahrscheinlich. Vielleicht. Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht.

Letzten Samstag hatte ich eine Stunde Aufenthalt auf dem Karlsruher Hauptbahnhof. Da es mich nach einer Zigarette gelüstete, ging ich den Bahnsteig ab bis zum Raucherbereich am Ende. Während des Rauchens entdeckte ich eine einsame große Tasche neben einer Sitzbank, kein Mensch weit und breit. Jeder weiß: Sowas muss man in Zeiten erhöhter Terrorgefahr melden. – Ich hatte bereits über fünf Stunden Bahn- und Busfahrt hinter und noch zweieinhalb vor mir. Wenn ich jetzt diese – wahrscheinlich harmlose – Tasche meldete, wurde vielleicht der Bahnhof auf unabsehbare Zeit geräumt, kein Zug würde mehr abgehen, ich käme Stunden später nach Hause, wenn überhaupt noch an diesem Tag. Außerdem: Warum sollte ein Attentäter seine Bombe ausgerechnet ganz am Ende des Bahnsteigs platzieren, wo sie vielleicht Sachschäden anrichtet, aber nur wenige Menschen trifft, wenn überhaupt welche?

Ich meldete die Tasche nicht, stattdessen zog ich mich nach der Zigarette in die Bahnsteigmitte zurück für den Fall, dass das Ding doch hochging, und freute mich, als mein Zug pünktlich abfuhr. Offenbar lag ich mit meiner Annahme über die Harmlosigkeit der Tasche richtig, jedenfalls habe ich später nichts von einem Bombenalarm in Karlsruhe gehört.

Und doch weiß ich: Es war grundfalsch, feige und höchst egoistisch von mir, die Tasche nicht zu melden. Dafür schäme ich mich.

Werbung: Rausch. Gold. Bengel.

RGB

Wie schon gelegentlich angeklungen, bin ich ein Freund des Gesanges. Mit dieser Neigung bin ich nicht alleine, vielmehr haben sich gleichermaßen betroffene Menschen in Selbsthilfegruppen, so genannten Chören, zusammen gefunden, wo sie gemeinsam den oralen Akkorden huldigen. Ein solcher Chor sind die Kölner SPITZbuben, welchen anzugehören ich mittlerweile im zehnten Jahr das große Vergnügen habe. Doch singen wir nicht nur zu unserem eigenen Pläsier hinter verschlossenen Türen, ab und an treibt uns unser Laster auf die Bühnen dieser Welt, auf dass ein jeder sich daran erfreue. Das nächste Mal am Samstag, 18. April. Und damit wir nicht so verloren herumstehen, haben wir uns Verstärkung geholt: die wunderbaren „Mannenkoorts“ aus Den Haag.

Hier der offizielle Pressetext:

Hört! Hört!

Die Kölner Spitzbuben machen zum ersten Mal gemeinsame Sache mit dem herrlichen Doppel-Quartett „Mannenkoorts“ aus dem niederländischen Den Haag – und leisten auf ganz persönliche Art einen musikalischen Beitrag zur Völker-Verständigung. Natürlich unter der schwungvollen und stets souveränen Leitung der Chor-Chefin Susanne Bellinghausen.

Soviel steht fest: Es gibt ein buntes, quicklebendiges Programm auf die Öhrchen! Samba-Rhythmus und Eurythmics. Wollust und Wolle Petry. Rosenberg, Rammstein – und jede Menge kölsche Tööön!

Die Begegnung der Nationen findet bezeichnenderweise statt im „Belgischen Haus“, nicht weit von Neumarkt und Dom. Wann? Samstag, 18.04.2015 – und zwar nur an diesem einzigen Abend! Die Bar öffnet um 19:00 Uhr, der erste Ton erklingt um 20:00 Uhr. Und nach dem Konzert ist noch Party im Foyer…

Wir freuen uns auf Sie!

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Hoort! Hoort!

De Spitzbuben uit Keulen hebben voor het eerst hun krachten gebundeld met het heerlijke dubbel-kwartet „Mannenkoorts“ uit Den Haag – en dragen zo op een heel speciale, muzikale manier bij aan de verstandhouding tussen nationaliteiten. Uiteraard onder de bezielende en steeds soevereine leiding van Dirigente Susanne Bellinghausen.

Een ding is zeker: Er komt een bont en sprankelend programma op u af! Samba rithmes en Eurythmics. Wellustigheid en Wolle Petry. Rosenberg, Rammstein en een hoop „kölsche Tööön“!

De ontmoeting vindt, hoe kan het anders, plaats in het Belgische Huis, niet ver van de „Neumarkt“ en de Dom. Wanneer? Zaterdag 18 april 2015 – en dan ook echt alleen die avond! De bar opent om 19.00 uur en de eerste tonen zullen om 20.00 uur weerklinken. Na het concert is er nog feest in het foyer…

Wij verheugen ons op u!

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Wann: Samstag, 18. April 2015, ab 19 Uhr
Wo:    Belgisches Haus, Köln, Cäcilienstraße 47 (Nähe Neumarkt)
Was:   Lassen Sie sich überraschen. Wir arbeiten hart daran, dass es schön wird.