Woche 24/2023: Wenn französische Radiomoderatoren „A-ha“ sagen

Montag: Eine weitere Woche Provence liegt vor uns. Nach dem Frühstück unternahmen wir eine kleinere Ausfahrt mit den Fahrrädern in nördliche Richtung, derweil sich über dem Mont Ventoux bereits wieder beeindruckende Wolkentürme aufbauten.

Scheinvulkan

Nach Rückkehr fuhr der Liebste mit dem Wagen nach Carpentras in den Supermarkt, ich machte es mir auf dem Liegestuhl im Garten bequem, wo ich Blogs las (sie waren alle wieder sehr fleißig) und meine eigenen Blog-Aufsätze sichtete, um bald eine Entscheidung treffen zu können, was ich am 5. September bei den TapetenPoeten vorlese, auch wenn bis dahin noch etwas Zeit ist. Seit ich fast nur noch diese Wochenrückblicke schreibe, komme ich kaum noch zu längeren Texten. Das würde ich gerne wieder ändern, mal so nebenbei bemerkt.

Während ich im Schatten der Zypresse las, sichtete und überarbeitete, begann sich im Westen der Himmel zu verdunkeln, erstes fernes Grummeln war zu vernehmen, durchmischt vom Gesang der Amsel und anderer Vögel um mich herum, die sich wie ich vorläufig nicht davon beeindrucken ließen. Im Laufe des Nachmittags bildetet sich rings um Malaucène mehrere Gewitter, zeitweise blitzte und grollte es aus drei verschiedenen Richtungen, während es hier trocken blieb. Nachdem der Liebste zurückgekehrt war, platzierten wir uns auf der überdachten Terrasse unseres Hauses und schauten der Meteorologie bei der Arbeit zu. Erst als eine Wolkenwand auf uns zurollte, Regen und deutliche Abkühlung mit sich führend, auch die Vögel verstummten, zogen wir uns ins Haus zurück.

Wir fahren nun seit vielen Jahren hierher, eine solche Häufung von Gewittern, fast täglich, haben wir noch nie erlebt. Und in keinem Urlaub habe ich bislang so viele Wolkenfotos gemacht, wobei es nicht meine Absicht ist, mit dem anerkannten Fachblog für Bewölkung in Konkurrenz zu treten.

Denken Sie sich einen Blitz dazu

»Trauer um Silvio Berlusconi: „Mit seinem Tod endet eine Ära“«, twittert die Tagesschau. Finde den Fehler.

Dienstag: In den frühen Morgenstunden wachte ich auf durch eine Kombination aus Traumschreck und Blasendruck. In dem Traum wurden versehentlich die unteren Tore einer Kanalschleuse geöffnet, obwohl die oberen nicht geschlossen waren. Da war vielleicht was los. (Manchmal lässt mich Blasendruck träumen, ich suche eine Toilette auf, die seltsam verbaut ist, so dass man dort sein Geschäft nur unter ungewöhnlichen Verrenkungen verrichten kann; irgendwie gelingt mir dann doch die vollständige Erleichterung. Wenn ich danach aufwache, ist die Blase immer noch gefüllt. Ich bin der Natur sehr dankbar, dass sie das so eingerichtet hat.)

Bleiben wir noch beim Unterleib: Über Twitter fand ich diesen Artikel über den Sommerpenis, ein mir bislang in jeder Hinsicht unbekanntes Phänomen. Am besten gefallen mir die Hinweise »Auch interessant: …« und »Lesen Sie auch: …«, sowie der Satz »Während der Sommerpenis ein Phänomen ist, mit dem man sich gerne abfindet, sollte man beim Anschwellen anderer Körperteile handeln und versuchen, die Blutzirkulation anzuregen.«

Der Tag begann regnerisch und deutlich kühler als die Vortage, was den Urlaubsgenuss nicht minderte. Ab Mittag heizte die Sonne gründlich auf, am frühen Abend die üblichen Gewitter, die wir liegestuhlliegend von der Terrasse aus verfolgten.

Mittwoch: Auch im Urlaub informiert bleiben über die Geschehnisse in der Welt, wobei mir hier die tägliche Lektüre der Bonner Tageszeitung beim Frühstück auf dem Datengerät genügt; auf Fernsehnachrichten, zu Hause fester Bestandteil des geregelten Tagesablaufs, kann ich verzichten. So berichtet die Zeitung über grüne Ampelfrauchen, die mit Rock und Zöpfen bei einigen Bonner Fußgängerampeln versuchsweise die bekannten -männchen abgelöst haben, was zu heftigen Reaktionen in den elektronischen Ätzwerken führt, sowohl zustimmend als auch dagegen. Unter anderem wird beklagt, dass diversgeschlechtliche Menschen unberücksichtigt blieben, wie auch immer die als Ampelpüppchen darzustellen wären. Mir geht das an südlichen Körperregionen vorbei, zumal ich Fußgängerampeln grundsätzlich ignoriere.

Hier war es heute sonnig und warm, wir unternahmen eine letzte Radtour über Veaux, Mollans-sur-Ouvèze und Entrechaux, teilweise entlang und auf der Trasse der ehemaligen Schmalspurbahn von Orange nach Buis-les-Barronnies, was das Herz des Eisenbahnfreundes erfreute.

Ehemaliger Eisenbahntunnel zwischen Mollans und Entrechaux
Farben der Provence
Auch hier inzwischen diese hässlichen Steine in Käfighaltung

Als wir zurückkamen, fanden wir das Haus ohne électricité vor, eine größere Störung, die nicht nur unser Haus betraf, wie ein Anruf beim Vermieter ergab. Nachmittags brachten wir die Fahrräder zurück und verbanden dies mit dem Nachmittagsbier im Ort. Nach Rückkehr war der Strom noch immer nicht wieder da. Ein wenig geriet ich in Sorge um den Kühlschrank, wegen des Eises für den Pastis und den Rosé zum Nachtglas. Ab neunzehn Uhr floss der Strom wieder, für die Getränkeversorgung hat zu keiner Zeit eine Gefahr bestanden.

Donnerstag: »Parlament will nichts weniger als ein Ende der Menschheit verhindern«, ist in der Zeitung über einen EU-Beschluss zu Künstlicher Intelligenz zu lesen. Abgesehen davon, dass das Ende der Menschheit voraussichtlich nicht mehr zu verhindern ist, jedenfalls nicht per EU-Beschluss: Was bedeutet »nichts weniger als«? Ergäbe der Satz ohne diese drei Wörter einen anderen Sinn?

Der Tag ist sonnig und warm. Ich sitze wieder an meinem Lieblingsplatz im Garten, die Bäume hinter mir rauschen von einem leichten, beständigen Wind aus Norden, derweil der Liebste in der Küche Knoblauch einkocht. Das Ende dieses wunderbaren Urlaubs ist bereits in Sicht, weshalb diese und folgende Tagesnotizen Spuren von Melancholie enthalten können.

Freitag: Der letzte Urlaubstag verlief ohne nennenswerte Unternehmungen. Zum letzten Mal frühstückten wir ausgiebig und in Ruhe vor dem Haus, danach landeten die Reste, die nach Hause mitzunehmen sich nicht lohnt, statt im Kühlschrank im Müll. Zum letzten Mal saß ich im Garten mit Gegendblick, bearbeitete ein paar Texte und las in „Respekt zu diesem Deutsch“ von Peter Köhler, mit der Erkenntnis, dass ich, obwohl ich mir einbilde, das Schriftliche ganz gut zu beherrschen, beim Schreiben noch ganz schön viel falsch mache. (Der ist aber auch pingelig.)

Am frühen Abend packten wir die meisten Sachen und verstauten Sie im Auto. Von da an hatte ich das Gefühl, noch nicht weg und nicht mehr richtig hier zu sein.

Die letzte Pizza, der letzte Rosé. Wenigstens letzterer wird uns dank ausreichender Einkäufe beim Lieblingsweingut noch einige Zeit erhalten bleiben.

Abendröte

Samstag: Um acht Uhr verließen wir Malaucène bei Sonnenschein, zehn Stunden später, nach recht entspannter Autofahrt ohne nennenswerte Ereignisse, trafen wir in Bonn ein, wo die Sonne immer noch schien.

Auf Radio Nostalgi spielten sie A-ha. Wenn französische Radiomoderatoren „A-ha“ sagen, klingt das lustig.

Sonntag: Aufgewacht mit leichten Kopfschmerzen, vermutlich vom Rückkehrrosé am Vorabend, und etwas deprimiert. So schwer ist es mir schon lange nicht mehr gefallen, das Ende des Urlaubs zu akzeptieren. Luxusleiden, ich weiß.

Ein wenig Leidenslinderung brachte der einstündige Spaziergang durch die Bonner Südstadt. Der Weg führte entlang zahlreicher Außengastronomien mit Bierausschank, deren Verlockungen ich tapfer widerstand. In der Stadt ist es drückend heiß, die Leute sind angemessen (un-)bekleidet, auch das ist in Einzelfällen herausfordernd.

»#Kultur bleibt Innenstadt«, klebt an mehreren Lampenmasten, eine Anmerkung, Forderung, was auch immer, deren Aussage nicht unmittelbar einleuchtet. Heute wird gerne allen möglichen Konjektaneen eine Raute vorangestellt, um ihnen Bedeutung zu verleihen. In diesem Fall vergebens, die Bedeutung bleibt unklar. Bleibt die Kultur in der Innenstadt? Welche Art von Kultur überhaupt? Sprachkultur eher nicht. Isch bin U-Bahn. Ich könnte das für Sie im Netz recherchieren, bitte jedoch, das bei Bedarf selbst zu tun.

»Hier keine Fahrräder anstellen/anketten. Denkmalschutz«, bittet eine Schild an einem Südstadtvorgartenzaun, immerhin ohne Raute. Es gibt viele gute Gründe, irgendwo keine Fahrräder abzustellen: weil sie dort im Weg stehen, Beschädigungen zu befürchten sind oder einfach die Optik stören. Warum jedoch der örtliche Denkmalpfleger daran Anstoß nehmen sollte, leuchtet nicht ein. Vielleicht ist es sein Vorgarten.

»Einfahrt !«, teilt ein anderes Schild an einem Tor knapp mit, ohne Raute, dafür mir Leerzeichen. Hier ist Mitdenken gefordert: Nur Einfahrt, keine Ausfahrt? Einfahrt freihalten?

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Kommen Sie gut durch die Woche. Ich bemühe mich auch.

Woche 38/2021: Le bonheur de congé sans bisou

Montag: Der Tag begann mit Appetitlosigkeit, eine direkte Auswirkung des von Urlaubseuphorie geprägten Vorabends. Nach Pre-Aperitif, Aperitif und vorzüglichem (weinbegleitetem) Essen im Lieblingsrestaurant hatte es einen Absacker gegeben, danach, weil der Wirt uns wohl mag, noch einen zweiten auf Kosten a) des Hauses und b) des heutigen Wohlbefindens. Und weil es so schön war, wurde nach Rückkehr noch ein Rosé entkorkt und auf der Dachterrasse unseres Hauses geleert, was sein muss, muss sein.

Nachmittags waren die Kräfte wieder hergestellt für einen ersten Ausflug in die Umgebung, die noch immer genauso schön ist wie ehedem, warum sollte sie auch nicht. Dabei besuchten wir zwei Weingüter in Beaumes de Venise und Vacqueyras, die augenscheinlich und erfreulicherweise gut durch Pandemie und Lese gekommen sind.

Auch ich habe gelesen: Das Militär soll klimafreundlicher werden, steht im SPIEGEL. Nachhaltiger töten also. Unterdessen sind die Franzosen angepisst, weil die Australier lieber amerikanische U-Boote kaufen, wodurch der französischen Rüstungsindustrie Milliarden entgehen. Der Umweltgedanke – amerikanische Atom- statt französischer Diesel-U-Boote – dürfte für die Entscheidung wohl ein eher untergeordnetes Kriterium gewesen sein. Ich hätte übrigens eine Idee, wie der durch Armeen verursachte Kohlendioxid-Ausstoß ganz auf Null zu reduzieren wäre.

Abends beim Essen kamen wir mit einem Ehepaar aus Bochum ins Gespräch, was, gemessen an meiner grundsätzlichen Abneigung, mit fremden Leuten zu sprechen, recht angenehm war.

Dienstag: Wie zu lesen ist, sieht der AfD-Chef Chrupalla in sich den „Schwiegermuttertypen“. Den will ja nun wirklich niemand zur Schwiegermutter haben.

Dazu passend gelesen hier: „Das Wort Arschloch ist genderneutral.“

Nachmittags besuchten wir eine befreundete Winzerfamilie in Vinsobres. Auch hier wirkt sich Covid-19 aus, wenn auch nicht nur zum Schlechten: Statt Bisou-Bisou zur Begrüßung gabs zum Abschied eine alte Flasche vom besten Produkt des Hauses.

Hier kann man Rosé beim Werden zusehen.
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Ein 1989er Cuve Charles Joseph der Domaine du Moulin in Vinsobres

Mittwoch: Heute durchwanderten wir die Region nördlich von Malaucène, wobei wir einem wesentlichen Element jeder Wanderung, dem pique-nique, einen angemessenen Zeitrahmen einräumten.

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Donnerstag: „Endlich Donnerstag“, denke ich in einer normalen Arbeitswoche, heute indessen „Was, schon wieder Donnerstag?“, mit Blick auf die schon baldige Rückreise. Tagsüber fuhren wir nach Avignon und Châteauneuf-du-Pape, wo mehrere Weinkisten und andere Lebensmittel Eingang in den Kofferraum fanden. Nach dem Besuch der Markthalle von Avignon überquerten wir einen kleinen Flohmarkt mit bemerkenswertem Angebot.

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In der Gaststätte, wo wir regelmäßig das Nachmittagsgetränk zu uns nehmen, saß am Nebentisch eine Frau mit einem Buch, das sie verkehrt herum hielt. Vielleicht eine Detektivin auf Observation? Man kennt das ja aus diversen Szenen, die Zeitung mit Loch in der Mitte oder eben das verkehrt herum gehaltene Buch. Vielleicht ist das auch ihr Lieblingsbuch, das sie, schon hunderte Male gelesen, in- und auswendig kennt, dennoch nicht davon lassen kann, in der Hoffnung, auf diese Weise eine neue Perspektive zu finden. Oder sie übt einfach Überkopflesen, eine Fähigkeit, die man immer mal gebrauchen kann, auch wenn mir gerade kein Verwendungszweck einfällt.

Freitag: Mit einer gewissen Urlaubsendmelancholie verfasse ich diese Zeilen, derweil der Liebste noch ein paar Besorgungen in der Umgebung macht. Morgen fahren wir zurück. Nicht zum ersten und bestimmt nicht zum letzten Mal stelle ich mir vor, wie es wäre, dauerhaft hier zu leben. Vielleicht in einem eigenen Haus etwas außerhalb, umgeben von Weinreben und Olivenbäumen, ein Lavendelfeld in Sichtweite, dazu Aussicht auf den Mont Ventoux und unser Schwimmbecken, in dem meine Lieben plantschen, während ich im Schatten der Terrasse belanglose Zeilen im Notizbuch vermerke. Im Winter knackt das Feuer im Kamin, während eisiger Mistral das Haus umtost. So schön das klingen mag – es spricht doch einiges dagegen. Allein schon fehlte mir der Mut, zu Hause alles abzubrechen und hier neu anzufangen, einschließlich Erlernen der Sprache, die ich auch nach Jahren nur rudimentär beherrsche anzuwenden im Stande bin. Und verliert das Schöne nicht irgendwann seinen Reiz, wenn man dauerhaft darin wohnt? Wer weiß, vielleicht werden durch den Kimawandel bald alle Sommer in der Provence unerträglich heiß, oder Marine Le Pen übernimmt die Macht, dann heißt es womöglich „Ausländer raus“ und „Schwule hängen“ mit unabsehbaren Folgen für ausländische Schwule. – Freuen wir uns also lieber auf das nächste Mal.

Samstag: Nach einer Woche Provence ist meine immer schon tiefe Verachtung gegen laute Motorräder wie ihre Fahrer noch um ein paar weitere Zentimeter gesunken. Fahrerinnen dürfen sich ausdrücklich mitgedacht fühlen.

Etwas gestiegen ist dagegen augenscheinlich wieder der Insektenbestand, jedenfalls lassen während der Rückfahrt zahlreiche Kerbtierleichen auf der Windschutzscheibe darauf schließen.

Ankunft in Bonn gegen zwanzig Uhr, wo uns der Geliebte mit der ihm eigenen Wiedersehensfreude empfing.

Sonntag: Statt Worten noch ein paar Bilder.

Der letzte Pastis am Vorabend der Abreise. Da die Flasche danach leer war, blieb uns nichts anderes übrig.
„Quincaillerie“ ist wirklich ein schönes Wort, jedenfalls noch schöner als „Haushaltswaren“.

Zu Hause ist es auch schön, das ist nur eine Frage des Blickwinkels.

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Altglastölpel gibt es in Deutschland wie in Frankreich. Kleines Rätsel: Welches Bild entstand wo?

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Es kann doch wirklich nicht so schwer sein, Weiß- von Braunglas zu unterscheiden.

Sie können sich vielleicht vorstellen, wie sehr ich mich nun auf die neue Arbeitswoche freue.