Woche 17/2022: Gratulationsgetöse in der Gruppe und Frühfremdeln am Ammersee

Montag: Die neue Arbeitswoche begann mit einer Dienstreise nach Buch am Ammersee, meine erste richtige seit Siewissenschon. Man hat schon schäbigere Tagungsstätten gesehen.

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Ein Kollege ist Vater geworden, woraufhin das übliche Gratulationsgetöse in der Abteilungswhatsappgruppe anhob. Ich zögerte zunächst, nicht, weil ich anderen ihr Elternglück missgönnte, sondern immer weniger nachvollziehen kann, warum man sich jetzt noch fortpflanzt. Schließlich hielt ich einen Glückwunsch doch für angebracht; was kann ein neuer Mensch in diesen Zeiten mehr brauchen als Glück? Diesen Zusatz verkniff ich mir indes.

Frau Anje schrieb, durchaus passend zum Vorstehenden, wieder einen Satz, dem ich vollumfänglich zustimme: »Wirklich dankbar bin ich für all die Probleme, die ich nicht habe, weil es so unendlich viele Dinge gibt, die ich schlicht nicht brauche oder die mich überhaupt nicht interessieren, so dass ich sehr viel Energie spare, weil ich mich weder über diese Dinge informieren noch aufregen muss.«

Dienstag: Zu den Dingen, die ich während Siewissenschon nicht vermisste und erst wieder neu erlernen muss gehört es, in einem Hotel aufzuwachen und mich danach zu motivieren, zum Frühstück aufzubrechen, wo andere schon zur Unzeit mit mir sprechen wollen. Statt Büffet erhielt jeder Gast eine persönliche Etagere mit Brötchen, Croissant, Wurst, Käse, Marmelade und Müsli, dazu ein Ei, wahlweise gekocht, gerührt oder gespiegelt, was meiner Appetitlosigkeit am Morgen geradezu spottete. Dafür sind auch hier wie üblich die Saftgläser lächerlich klein.

Sonst ist es hier wirklich sehr schön, doch was nützt das, wenn zwischen Ende des Tages- und Beginn des Abendprogramms nur wenig Zeit zur eigenen Verfügung steht und es dazu noch regnet.

Auch ein schönes Trafohäuschen für meine Sammlung haben sie hier, wenn auch kein Turm, oder allenfalls ein sehr niedriger:

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Ansonsten haben heute laut Zeitung Namenstag: Kletus, Ratbert, Richardius und Trudpert. Klingt wie die Wilden Vier aus der Augsburger Puppenkiste.

Mittwoch: Trotz Frühfremdelneigung am Morgen war es eine schöne Veranstaltung. Immerhin gab es heute zum Frühstück keine überdimensionierte Etagere, sondern bedarfsgerecht ein Schälchen Müsli vom Büffet.

Schön war danach, sich wieder ohne Angst vor Ansteckung mit einer größeren Anzahl Menschen persönlich auszutauschen, die man lange nicht gesehen hat; auch die nicht geringe Bierzuführung am Vorabend verursachte keine nennenswerten Nachwirkungen. Daher freue ich mich auf zwei gleichartige Veranstaltungen an anderen Orten in der kommenden Woche.

Während einer Fahrtunterbrechung schlug die Motivklingel meines Datengerätes an:

Suchbild: Wo bin ich?

Donnerstag: Während im Werk das Abarbeiten der tagungsbedingten Rückstände recht gut von der Hand ging, war draußen auch das Eichhörnchen fleißig. Es nutzt zur Bevorratung seiner Bestände nun nicht nur das bekannte Loch unterhalb des Daches, sondern auch zwei weitere Höhlen jeweils in Ecken von Fensterstürzen. Apropos stürzen: Offenbar kann er nur an den Hausecken hoch- und runterlaufen, jedoch nicht an der planen Wand. So wäre es beim Sprung vom Fenster zur Hausecke einmal beinahe in die Tiefe gestürzt, konnte sich aber so gerade noch, gleichsam im Sturzflug, an der Ecke festkrallen. Sehr beeindruckend.

Mittags ging ich eine Runde durch den Rheinauenpark.

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Freitag: Vergangene Nacht geträumt, Österreich hätte Bayern annektiert. Trotz eindringlicher Videoansprache von Markus Söder zeigte man sich in Berlin weitgehend unbeeindruckt, es wurden nicht einmal Sanktionen erwogen, um die Versorgung mit Mozartkugeln nicht zu gefährden.

Abends waren meine Lieben und ich in einer Beueler Gaststätte, wo ich (vermutlich) erstmals Sauerbraten vom Pferd aß, deren Spezialität. Hat gut geschmeckt, unterscheidet sich nach meinem Geschmacksempfinden allerdings kaum vom herkömmlichen Rind-Sauerbraten. Und nein, ich finde es in keiner Weise anstößig, Pferdefleisch zu essen.

Samstag: »Kultur mit all seinen wie auch immer gearteten negativen Auswirkungen ist lebensnotwendig«, ist in einem Leserbrief in der Zeitung zu lesen. Es bleibt schwierig.

Schwieriger als gedacht gestaltet sich auch der beabsichtigte, vor drei Wochen angekündigte Erwerb eines Hutes. Das genannte Hutgeschäft in der Bonner Innenstadt, das ich heute in bester Kauflaune aufsuchte, hatte leider nichts Ansprechendes im Angebot. Nicht schlimm, es hat keine Eile.

Stattdessen kaufte ich Schuhe. Im fortgeschrittenen Alter neigen Männer oft zu seltsamen Anschaffungen, so kaufen sich manche in ergrauten Jahren einen Sportwagen, mit dem sie fortan ihren Mitmenschen auf die Nerven gehen. Ich hingegen begnügte mich mitmenschenschonend mit weißen Turnschuhen.

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Sonntag: Der Mai ist gekommen. Zum Einlaufen der neuen Schuhe machte ich einen langen Spaziergang, der zur Würdigung des ausgefallenen Feiertages mit einer Einkehr auf ein Weizenbier in der Südstadt garniert wurde.

Andere feierten den Tag der Arbeit klassisch, indem sie mit einem Protestzug durch die Innenstadt marschierten, wobei die auf Bannern und mündlich vorgetragenen Parolen – irgendwas mit „Kapitalismus“ und „System“ – ein wenig aus der Zeit gefallen schienen.

»RASSISMUS TÖTET.« hat schon vor längerer Zeit jemand in großen Buchstaben an eine Hauswand nebenan geschrieben. Ganz klein hat jemand anderes dazu ergänzt: »NA UND?«. Letzterer Zusatz wurde nun von einem Dritten, oder dem Ersten, man weiß es nicht, durchkritzelt. Ordnung muss sein.

»Liebe ist halal«, ist an einem Laternenpfahl zu lesen. Aber vermutlich nur zwischen Mann und Frau, wage ich gedanklich zu ergänzen.

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Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche mit viel Liebe.

Woche 40: Singende Schwimmdamen mit Verspätung

Montag: Zum Thema Tempolimit auf deutschen Autobahnen schrieb Wolfgang F. aus Bonn in einem Leserbrief an den General-Anzeiger:

Aber das Lobby-Kartell aus Automobilclubs, Autoherstellern und Mineralölkonzernen scheint so mächtig zu sein, dass nicht einmal die Grünen mehr über Tempolimits diskutieren. Das in Verbindung mit dem rücksichtslosen Verhalten zu vieler macht deutlich: Was den US-Amerikanern ihre Waffen sind, sind den Deutschen ihre Autos – und oft ihre Autos als Waffe

Könnte man dort ein Gefällt-mir-Sternchen anbringen, hätte ich es getan.

Hier auch – was mit Liebe:

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Dienstag: Nun wird also die Lebensmittel-Ampel mit dem appetitabregenden Namen „Nutri-Score“ eingeführt. Schön und gut. Das beste: Es wird nur grüne Ampeln geben, da die Kennzeichnung freiwillig erfolgt. Eine verbindliche Einführung ist den Herstellern von Chips und Süßgetränken offenbar nicht zuzumuten.

Eine Zumutung auch der Anblick mancher Krawatte: Würde ein Preis für bizarre Binder ausgelobt, wäre der  heute-Sprecher Christian Sievers ein sicherer Anwärter dafür.

Laut Nachrichtenlage ist Hongkong zurzeit kein zu empfehlendes Reiseziel. Trouble gabs dort schon 1976:

Mittwoch: „1959 fiel Gott als Zwanzigjähriger bei ersten Nachwuchswettbewerben als talentierter Sänger auf“, steht in einer Meldung. Natürlich meinen sie nicht den Allmächtigen – was der vor achtzig Jahren herausragendes leistete, entzieht sich meiner Kenntnis. Vielmehr geht es um den gleichnamigen, großartigen Karel, der heute von uns ging.

„Zug fährt schlafen“, steht abends in der Zielanzeige eines Triebzuges von National Express, der in Köln auf dem Nebengleis fährt. Ich auch.

Donnerstag: „Gott war nie überheblich, war bodenständig und bescheiden, auch wenn er sich natürlich seiner Ausnahmestellung bewusst war“, schreibt die Zeitung aus gegebenem traurigen Anlass.

Ansonsten fuhren wir heute mit dem Chor nach Berlin, deswegen:

Singen macht glücklich. Anderen beim Singen zuzuhören auch. Morgen Abend sind wir dann dran.

Freitag: Unser Hotel, ein Haus der bekannten türkisen Kette, bestätigt um kurz nach halb zehn morgens meine Vorbehalte gegen Frühstücksbuffets in Hotels: Zu wenig Platz für zu viele morgenhungrige Menschen (allerdings angemessen große Saftgläser, um auch das Positive zu benennen). Den Barbereich mit tiefen Sesseln und wackelnden runden Tischchen morgens als Frühstückssaal zu nutzen, mag betriebswirtschaftliche Vorteile bringen, aus Kundensicht ist es eher zweifelhaft.

Den Vormittag nutzte ich für eine individuelle Stadtrundfahrt, und das im wahrsten Sinne: Mit der S-Bahn bis Ostkreuz, dort in die Ring-S-Bahn 41 (oder 42) gestiegen, die wie Satelliten die Stadt umrunden, darin sitzen geblieben, bis man wieder am Ausgangspunkt Ostkreuz ankam. Man sieht dabei sehr viel von Berlin und Berlinern, vor allem in Fahrtrichtung links, wo üblicherweise die Bahnsteige sind. Das ganze für lächerliche sieben Euro für eine Tageskarte, also weniger als ein Kinobesuch.

Ein beliebtes Motiv für Komiker nach Art eines Mario Barth ist das Rätsel über den Inhalt von Damenhandtaschen. Für mich betrachte ich diese Frage als beantwortet: In der S-Bahn saß mir eine junge Dame gegenüber, deren Tasche aufgrund der transparenten Hülle Einblick auf den Inhalt gewährte. Überraschendem wurde ich dabei nicht ansichtig.

Apropos Handtaschen: Zurück nahm ich ab Warschauer Straße die U-Bahn bis Wittenbergplatz, wo ich dem berühmten Kaufhaus des Westens einen Besuch abstattete. Im Erdgeschoss befinden sich die Läden von Gucci, Prada, Louis Vuitton und so weiter. Aus Gründen, die ich nur vermuten kann, verzichtet man dort auf die Preisauszeichnungen an Taschen, Schuhen und all dem anderen schillernden Luxusrat, den kein normaler Mensch benötigt.

Gemessen am Applaus und den lobende Worten, die uns erreichten, lief unser Auftritt abends zufriedenstellend, man selbst kann das als auf der Bühne stehender ja meistens nicht sicher beurteilen.

Samstag: Erkenntnis aus einer Liedzeile eines mitwirkenden Damenchores: „Nur wer vögelt, kann auch fliegen“. Weshalb mein bevorzugtes Verkehrsmittel die Bahn ist.

Neuen Verkehrsmitteln gegenüber bewahrt sich der Hauptstädter augenscheinlich eine gewisse Distanz:

Ansonsten finden sich auch im Gewühl der großen Stadt Oasen der Ruhe und Einkehr.

Sonntag: Fazit der letzten vier Tage in Berlin: Diese Stadt wird nie aufhören, mich zu faszinieren, wenngleich ich hier nicht meinen Lebensmittelpunkt wissen möchte.

Rückfahrt im ICE mit eineinhalb Stunden Verspätung und einer alkohollauten Damenschwimmgruppe aus Lüdinghausen im Wagen. Leider ohne Chorgesang – trotz mehrfacher Aufforderung der Damen ließen sich meine Mitsänger nicht bewegen, die Stimme zu erheben. Stattdessen sangen die Damen schließlich selbst. Kennen Sie auch diese Momente, in denen man sich nichts sehnlicher wünscht als Stille und Einsamkeit?

Die Verspätung resultierte übrigens aus (in dieser Reihenfolge): technischer Störung am Zug, Polizeieinsatz in Wolfsburg, Personen im Gleis bei Hamm und Warten auf den Lokführer in Dortmund. Niemals zuvor hörte ich während einer Bahnfahrt so häufig den Unheil verkündenden Dreifachpiepton.

Woche 19: Verzögerungen im Betriebsablauf

Montag: Mein lieber Schatz, seit nunmehr zwanzig Jahren hältst du es mit mir und meinen Marotten und Macken aus, für die mich manch anderer vielleicht schon mit dem Stecken vom Hof gejagt hätte. Dafür danke ich dir sehr!

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Dienstag: Es ist diese alte, niemals versiegende Wut, mit welcher ich Leute anschreien möchte, die meinen, morgens ihr Fahrrad in die berufsverkehrsvolle Stadtbahn quetschen zu müssen, anstatt es einfach zu benutzen.

Mittwoch: Dass mein ICE 15 Minuten Verspätung hat – geschenkt. Aber warum ist es im 21. Jahrhundert nicht mehr möglich, Züge zu bauen, bei denen es von allen sogenannten Fensterplätzen aus möglich ist, nach draußen zu schauen statt an die graue Innenverkleidung?

Donnerstag: Aus gegebenem Anlass, auf dessen nähere Erläuterung ich zur Wahrung des internen Familienfriedens verzichte, freute ich mich heute sehr über einen Artikel in der Welt Kompakt,

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Freitag: Ein wundervoller Tag voller Liebe, Sonne, Sekt und einer Standesbeamtin namens Himmel.

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Samstag: Ein weltweiter Computervirus legt zahlreiche Systeme lahm, unter anderem bei der Deutschen Bahn. Ob hierdurch der vielbesungene Schulz-Zug Verzögerungen im Betriebsablauf erfährt oder gar in umgekehrter Wagenreihung verkehrt, sehen wir morgen.

Sonntag: Dunkle Wolken über dem Rheinland am Nachmittag. Am Abend verdunkelte sich der Himmel dann auch über der SPD, als der Schulz-Zug in NRW auf ein Nebengleis geleitet wurde wegen einer Überholung durch den Merkel-Express.

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Chronik Woche 46: Nichtstun, Regen, Rückkehr

Montag: Vielleicht sollte man im Urlaub keine Zeitung lesen. Dann wäre mir die Nachricht erspart geblieben, dass in Amerika bereits jetzt, nicht mal eine Woche nach der Wahl des Wahnsinnigen, sich die ersten Hassattacken entfesseln gegen Schwarze, Latinos, Schwule und andere Minderheiten. Legitimiert fühlen sich die Hetzer durch die Wahlkampfaussagen ihres künftigen Präsidenten. Unterdessen wurden in Düren zehn Polizisten verprügelt und teilweise schwer verletzt, die zuvor ein Bediensteter des Ordnungsamtes zur Hilfe gerufen hatte, weil er beim Ausstellen eines „Knöllchens“ bedroht wurde. Was geht nur vor in den Menschen? – Dazu hat es heute auf Gran Canaria kurz geregnet.

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Dienstag: Wenn es, wie die Werbung verheißt, siebenunddreißig Arten von Kopfschmerzen gibt, dann gibt es mindestens genauso viele Arten des Nichtstuns. Eine davon praktiziere ich heute unter Palmen am Hotelpool liegend. Leider mit leichter Erkältung.

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Mittwoch: Im Wesentlichen wie gestern. Wobei: Ganz untätig war ich nicht, sondern schaute mir die Noten der Weihnachtslieder an. In Badehose unter Palmen etwas ungewohnt, aufgrund des nahen Konzerttermins jedoch unvermeidlich.

Donnerstag: Recht starker Wind lässt uns auch heute den Weg durch die Dünen zum Strand meiden und stattdessen den Tag lieber innerhalb der wirklich schönen Hotelanlage verbringen. Was mir nicht in den Kopf will: Warum erkennen manche junge Männer, denen die Natur ein an sich recht attraktives Äußeres schenkte, bei einem einfachen Blick in den Spiegel nicht, dass wallende Rauschebärte einfach hässlich machen? Vor allem in Verbindung mit dieser Einheits-Untenkurzobenlang-Scheitelfrisur?

Freitag: Letzter Urlaubstag, wegen Wind wiederum von weitgehender Untätigkeit im hoteleigenen Palmenhain geprägt. Auf Wikipedia einen sehr interessanten Artikel über Polyamorie gelesen. Es gibt sogar ein eigenes Symbol dafür. Vielleicht eine Anregung für unser Familienwappen.

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Samstag: Beim Rückflug während der Lektüre eines Buches über Faulheit eingenickt. Ein größeres Lob kann man dem Autor wohl nicht machen. – Am späten Abend warnt ein Verkehrshinweis auf WDR 2 die Autofahrer auf der A 1 zwischen Köln-Worringen und -Lövenich vor einer auf der Fahrbahn stehenden Kuh.

Sonntag: Mit dem morgendlichen Augenreiben und Fingernägelschneiden den letzten kanarischen  Sand vom Körper entfernt. Die Erinnerungen an eine angenehm faule Woche bleiben indes noch etwas. Dennoch ist es schön, wieder hier zu sein.

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