Woche 27/2023: Am meisten leiden die Raben

Montag: Gelungenes Gendern ist oft Glückssache. Wenig geglückt ist es der Zeit Online hier: »Marseille ist dabei nicht nur die zweitgrößte Stadt Frankreichs nach Paris, sondern auch eine, in der die Kluft zwischen den Einwohnern und Einwohnerinnen am größten ist.«

Im Übrigen zeigte sich der Wochenstart ohne nennens-notierenswerte Ereignisse, was immerhin kein Unglück ist.

Dienstag: Gegen vier in der Frühe wachte ich auf aus verstörenden Träumen, deren Inhalt ich vage erinnere, womit ich Sie allerdings nicht belästigen will. Danach lag ich etwa eine Stunde lang wach und fragte mich, welche fehlgeleiteten Hirnströme derartiges erdacht haben mochten.

Der Tag verlief in gewohnten Bahnen mit Fußmarsch ins Werk und zurück, mäßiger Arbeitslust am Nachmittag und Friseurinbesuch am Abend. Vielleicht ist sie gar keine Friseurin, sondern eine frisierende „weiblich gelesene Personen“, wie man jetzt anscheinend Leute nennt, die bis vor kurzem noch voreilig als Frauen bezeichnet wurden. Jedenfalls las ich nämliches während des Wartens in einem Zeitungsbericht. Du liebe Güte, um nicht zu schreiben: dämlich.

Mittwoch: Nach Schotterwüsten und Steinen in Käfighaltung erfreut sich nun Kunstrasen zunehmender Beliebtheit bei (Vor-)Gartenbesitzern, berichtet die Zeitung. »Die steigende Nachfrage nach dem künstlichen Grün, das mittlerweile täuschend echt aussieht, sei eine ganz natürliche Entwicklung«, wird ein Außenauslegewarenlieferant zitiert. Natürlich.

Größter Beliebtheit erfreut sich Teams als das Medium der Bürokommunikation. Warum halten es manche für den gängigen Regeln von Anstand und Höflichkeit entsprechend, wenn sie andere anrufen und einleitend sagen „Ich habe ein paar Fragen, Moment, ich teile mal eben meinen Bildschirm“, anstatt als erstes zu fragen, ob der Angerufene Zeit für ihr Anliegen hätte?

Woran ich mich erst wieder gewöhnen muss, vermutlich erwähnte ich es schon, ist, mittags nicht mehr alleine in der Kantine zu essen. Dazu gehört es, zu Beginn des Mahles so etwas wie „Guten Appetit“ zu sagen, als ob es ohne dieses nicht schmeckte oder an Bekömmlichkeit einbüßte. Manche sagen nur noch „Guten“, was ich gewöhnlich überhöre und unerwidert lasse. Wenigstens sagen sie nicht „Mahlzeit“. Oder was Englisches.

Donnerstag: Es gibt Tage, an denen die Existenz anderer Menschen lästig erscheint, ohne dass dafür ein konkreter Anlass erkennbar ist; vielmehr tun sie das gleiche wie sonst auch: ihren Müll in die Gegend werfen, auf Radwegen laufen, öffentliche Flächen bekoten. So ein Tag war heute.

Der Bundestag hat gegen ein neues Gesetz zur Sterbehilfe entschieden. Das finde ich sehr schade. Nicht, dass mich zurzeit akute dauerhafte Lebensmüdigkeit drückte, doch fände ich es beruhigend, bei Bedarf jederzeit das Licht ausmachen zu können, ohne andere zu behelligen, zum Beispiel indem ich mich vor die einfahrende Stadtbahn werfe. Auch das ist Freiheit. (Ich wüsste übrigens, was im äußersten Fall zu tun ist. Schmerzfrei und sauber.)

Immerhin: Abends gab es Sekt, weil einer von uns seit geraumer Zeit de facto die Viertagewoche hat. Leider nicht ich.

Freitag: Die Tagesfrage des Blogvermieters lautet, bei welchen Themen ich eine Autorität sei. Da muss ich passen, es gibt meines Wissens nichts, bei dem ich durch besondere Kenntnisse und Fähigkeiten hervortrete, vielmehr ist in fast allen Bereichen Mittelmaß meine Richtschnur. Etwas, das mich von den meisten anderen abhebt, ist die Neigung zu Gänsehaut selbst an so warmen Tagen wie heute. Autorität erlange ich damit wohl nicht.

Die Rückfahrt vom Werk brach ich nach ungefähr einem Viertel ab und kehrte um, da ich mein Datengerät im Büro vergessen hatte, was ich als positives Zeichen bezüglich meiner Digitalabhängigkeit werte; den meisten jüngeren wäre das nicht passiert. Nach erneuter Abfahrt bemerkte ich, den Fahrradhelm im Schrank gelassen zu haben. War wohl nicht mein Tag.

Namenstag haben unter anderem Bodard und Walfrid. Zweiterer klingt wie der Hänselname für einen etwas voluminöser geratenen Menschen namens Wilfried. Kinder und Kollegen können bekanntlich sehr gemein sein.

Samstag: „Wie hast du geschlafen?“ – „Gut.“ – „Dich habe ich gar nicht gefragt.“ Szenen aus dem Leben zu dritt.

Nach dem Frühstück unternahm ich die samstagsübliche Runde durch die sommerwarme Stadt. Auf dem Weg zum Glascontainer sprach mich in der Inneren Nordstadt ein junger Mann an und bat um eine Spende, um sich etwas zum Essen kaufen zu können. Ich gab ihm nichts und reagierte auch sonst nicht auf seine Ansprache. Kurz darauf saßen Engelchen und Teufelchen auf meinen Schultern und redeten auf mich ein. E: „Warum warst du so unhöflich, warum hast du ihm nichts gegeben? Er hatte Hunger und du bist reich.“ (Es hätte auch sagen können: „Du bis ein reiches A…loch“, aber dieses Wort ist im Engelsvokabular vermutlich nicht enthalten.) T: „Richtig so, der war gar nicht bedürftig, hatte sogar eine Zigarette in der Hand. Soll erstmal aufhören zu rauchen, dann hat er auch Geld für Brötchen. Der gehörte bestimmt zu einer professionellen Bettlerbande und fährt einen BMW.“

Es ist nicht so, dass ich nie was gebe. Wenn ich morgens zu Fuß ins Werk gehe, sitzt manchmal ein alter Mann am Rathaus, vor sich einen Pappbecher. Er spricht niemanden an, sitzt dort einfach und wartet. Dem werfe ich ab und zu überzähliges Kleingeld in den Becher, nicht nur Kupfer, auch Euromünzen. Dann freut er sich, wir wünschen uns gegenseitig einen angenehmen Tag und ich freue mich auch. Heute freute ich mich nicht ob meines Knausers und weil ich den Jungen wie Luft behandelt habe, selbst auf sein „Schönen Tag noch“ reagierte ich nicht. Ja, er hatte eine Zigarette in der Hand, warum auch nicht, wahrscheinlich hat ihm die jemand geschenkt. Vermutlich hatte er wirklich Hunger. Wer weiß, vielleicht ist der alte Mann am Rathaus ein Profi und Inhaber mehrerer Mietshäuser.

Ich kann nicht allen was geben, dazu sind es zu viele. Aber warum gebe ich dem einen, dem anderen nicht? Nach welchen Kriterien entscheide ich das? Wie reagiere ich höflich und angemessen, auch wenn ich nichts gebe? Darüber wird nachzudenken sein. „Nein danke“, wie es mir neulich versehentlich bei solcher Gelegenheit entfuhr, ist sicher keine geeignete Erwiderung. Die Grundfrage ist: Warum müssen Menschen in einem so wohlständigen Land überhaupt betteln? Fragen Sie die FDP, könnte die Antwort lauten, aber das wäre wohl sehr stark vereinfachend.

Sonntag: Es ist heiß. Das hielt mich nicht vom sonntäglichen Spaziergang ab, wobei ich des öfteren die Straßen- auf die Schattenseite wechselte. Auf der Rückenlehne einer öffentlichen Bank saß ein Rabe mit weit aufgerissenem Schnabel. Anlässlich von Kriegen und Katastrophen heißt es oft, am meisten litten die Kinder. Bei derartiger Hitze glaube ich, am meisten leiden die Raben. Weder können sie schwitzen noch das Federkleid lüften, hinzu kommt ihre für Sonnenlicht besonders empfängliche Schwärze.

»Rettet die Welt« las ich irgendwo im Vorbeigehen. Gerne wiederhole ich: Die Welt bedarf nicht der Rettung, allenfalls müsste sich die Menschheit retten. Dies bewusst im Konjunktiv.

Natur, gestern Abend in der Südstadt. Zu den wenigen Dingen, die mich wirklich interessieren, zählt, wie es hier aussehen wird tausend Jahre später, nachdem sich die Menschen erfolgreich selbst ausgerottet haben.

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Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche.

Woche 1/2023: Auf dem Boden der Tatsachen

Montag: Auf den Werkstoiletten wurden zwischen den Jahren Schilder angebracht, man möge beim Verlassen das Licht ausschalten. Für manche müssen halt auch Selbstverständlichkeiten beschildert werden, siehe auch „Nicht vor der Einfahrt parken“ und „Betreten der Baustelle verboten“. Oder „Vorsicht, Heißgetränk“ auf den unsäglichen Pappbechern. Ab heute müssen Kaffeeverkäufer auch Mehrwegbehälter anbieten, allerdings erst ab einer bestimmten Betriebsgröße. Die hippen Wägelchen am Wegesrand dürfen hingegen weiterhin den Gehkaffeedrang der hippen Kundschaft bedienen, der Müll bleibt uns also vorerst erhalten.

Das Wort „Freiheit“ wurde zur Floskel des Jahres erklärt? Mal kurz überlegen: Lindner, Wissing, Buschmann, Kubicki (also der andere) … ja, passt perfekt.

Dienstag: Morgens herrschte interessantes Licht.

„Lass uns mal wieder zusammen Mittagessen“, schreibt einer per Mail. Vorteil der schriftlichen Kommunikation: Durch schlichtes Nichtantworten kann man konkludent zu Ausdruck bringen, dass es keine Eile hat.

Mittwoch: Der angekündigte Regen mit Sturm blieb aus, so kam ich trocken und unbestürmt mit dem Fahrrad ins Werk und wieder zurück. Die Kantine bot mittags Currywurst an Pommes an. Auch sonst gibt es über den Tag nichts Nachteiliges zu berichten. Weiteres auch nicht.

Schauen wir stattdessen zur Abwechslung mal in die Vergangenheit. Heute vor dreißig Jahren, an einem Montag, schrieb ich um halb eins nachts ins Tagebuch: »Ich kann nicht schlafen. Das liegt allerdings eher daran, daß ich zum Abendessen einen Cappuccino getrunken habe als an der an sich erschreckenden Tatsache, daß es nur noch 31 1/2 Stunden bis zur ersten Prüfungsklausur sind.« Nach drei Jahren Beamten-Ausbildung, auch als Vorbereitungsdienst bezeichnet, stand die Laufbahnprüfung für den gehobenen Dienst an. In den nächsten Tagen folgten drei weitere Klausuren sowie im Februar die mündliche Prüfung, dann hatte ich es geschafft. Danach musste ich nie wieder eine größere Prüfung ablegen und ich wäre dem Universum dankbar, wenn sich daran in der verbleibenden Zeit nichts mehr änderte. Auch wenn ich manchmal noch davon träume und danach stets mit einem Lächeln aufwache. – Im Tagebuch ließ ich mich dann noch über meinen Liebeskummer aus und redete mir schriftlich ein, darüber hinweg zu sein, was keineswegs zutraf; vielmehr hielt der Schmerz noch bis lange nach der bestandenen Prüfung an. »Willkommen auf dem Boden der Tatsachen!«, mit diesem schönen Satz endete der Tageseintrag, damit schließe ich auch für heute.

Donnerstag: Die Bonner Stadtreinigung firmiert seit einiger Zeit unter „Bonnorange“. Vielleicht muss das so sein, so wie die Verkehrsbetriebe der Stadtwerke Bielefeld sich schon länger „MoBiel“ nennen, irgendwer wird sich was dabei gedacht haben. Wie komme ich jetzt darauf: Bonnorange hat gegen Ende vergangenen Jahres angekündigt, bei der Papierabholung ab Januar nur noch die Blauen Tonnen zu leeren; weitere Papierabfälle, die daneben gestellt werden, bleiben liegen. Hierdurch, so Bonnorange, sollen die geschundenen Rücken des Personals geschont werden, was zu loben ist. Dies gilt gleichermaßen für Privathaushalte wie für Gewerbetreibende. Bedenken amazonisierter Bürger wie von Ladenbesitzern werden regelmäßig mit Verweis auf die öffentlichen (immer vollen) Altpapierbehälter beantwortet sowie auf die städtischen Wertstoffhöfe (somit mehr Autoverkehr, also nicht im Sinne der Grünen Oberbürgermeisterin). Oder man könne kostenlos zusätzliche Blaue Tonnen anfordern (wenn man dafür Platz hat). Mal sehen, wie lange Bonnorange das durchhält. Warum ich das besinge: Als ich morgens auf dem Weg ins Werk durch die Fußgängerzone ging, lagen vor mehreren Geschäften wie ehedem Kartonagen gestapelt, wenn auch längst nicht so viele wie bisher. Bei Rückkehr am Abend waren sie verschwunden. Wo mögen sie geblieben sein?

Rücken- wie auch alles andere schonend war ein weiterer Bonnorangemitarbeiter tätig, den ich morgens auf dem weiteren Weg am Rheinufer seiner Beschäftigung nachgehen sah. Diese bestand darin, auf dem sandigen Streifen zwischen Geh- und Radweg mit einem Besen etwas auf eine langstielige Kehrschaufel zu fegen, wobei sein Tun weder System noch Ziel erkennen ließ. Er fegte bald hier ein paar Krümel, ging einige Meter, bald fegte er da. Was genau er fegte, war nicht auszumachen, da es noch dunkel war. Und doch war seine Arbeit wahrscheinlich nicht sinnloser als meine an manchen Tagen. Nur wesentlich schlechter bezahlt.

Freitag: Mittags in der Kantine gab es Heringsfilets nach Hausfrauenart. Wie kommen solche Bezeichnungen zustande? Woher kommen Forelle Müllerin, Birne Helene, Kalbshaxe Florida*? Gibt es einen Zentralen Ausschuss für kulinarische Namensgebung (ZAKUNA), der sowas verbindlich festlegt? Ich könnte das recherchieren. Dann erführe ich vielleicht: Am Karfreitag 1951 bemerkte Hertha Böhm in Löhne (Westfalen) erst morgens, dass sie vergessen hatte, einzukaufen, daher suchte sie alles Verfügbare aus Vorratskammer und Kühlschrank zusammen, um ihren Lieben, dem Gatten Albert und den drei Kindern, ein vorösterliches Mahl zu bereiten. Leider fanden sich neben den eingelegten Heringen nur noch zwei Becher Sahne kurz vor Verfallsdatum, eine Zwiebel und ein schrumpeliger Apfel. Kurz vor dem Mittagessen schellte es bei den Böhms, ein berühmter Sternekoch stand vor der Tür, der sich im Eingang vertan hatte. „Kommen Sie doch rein und essen sie mit uns“, bat Frau Böhm ihn herein, unwissend, welche Herdkoryphäe sie vor sich hatte. Dieser Bitte kam der Koch, nach langer Reise hungrig, gerne nach. „Das schmeckt vorzüglich“, lobte er kurz darauf das Fischgericht, „was machen Sie beruflich?“ – „Hausfrau“, antwortete sie wahrheitsgemäß und durchaus stolz auf ihren Stand. – Vielleicht war es auch ganz anders. Es gibt Fragen, die unbeantwortet bleiben dürfen. Wie diese.

*Ja ich weiß, die hat sich Loriot ausgedacht.

Samstag: Frau Gabriele H. aus Königswinter schreibt in ihrem Leserbrief an den General-Anzeiger: »Freiheit, zur Floskel des Jahres gekürt, ist also ein gehaltloses Wort, ohne Relevanz. Die Freiheit der Person, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Glaubensfreiheit, Berufsfreiheit, Freizügigkeit, Versammlungsfreiheit – alles leere Luft? […] Seltsam, dass in vielen Ländern der Welt junge Leute gegen Diktaturen protestieren und unter Lebensgefahr Freiheit einfordern, dieses leere, floskelhafte Wort.« Anscheinend hat sie da etwas nicht richtig verstanden.

Sonntag: Nachmittags ging ich spazieren.

Blick von der Kennedybrücke Richtung Norden
Rheinaue vor Schwarzrheindorf
Friedrich-Ebert-Brücke
Von der Friedrich-Ebert-Brücke Richtung Süden mit Siebengebirge und Mutterhaus

Gefunden in der Sonntagszeitung: Sie erwägen mittelfristig den Kauf eines Grundstücks am Wasser, ohne sich um die Folgen des Klimawandels sorgen zu müssen? Dann ist vielleicht hier was für Sie dabei. »Lassen Sie Ihre Rendite mit dem Meeresspiegel steigen.«

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Kommen Sie gut durch die Woche.

Woche 10/2022: Unheilstöbern und ein Lichtblick in diesen an Lichtblicken armen Zeiten

Montag: „Nicht jedes Problem ist der Nagel, nur weil ich gerade den Hammer in der Hand habe“, sagte einer während einer Präsentation. Ein sehr schöner Satz, auch wenn ich ihn nicht verstehe.

Wahre Spezialisten für Probleme und ihre Lösungen sind bekanntlich Unternehmensberater, auch für Probleme, Verzeihung: Issues oder Herausforderungen, die erst mit Befall der Werksflure durch die dunkel Beanzugten beziehungsweise Kostümierten entstanden sind. Wie heute zu lesen war, zieht sich nun auch McKinsey aus Russland zurück. Die negativen Auswirkungen auf den Wahnsinnigen und sein Land dürften überschaubar bleiben.

Übrigens wandelt sich Putin in der Berichterstattung immer mehr vom Präsidenten zum Machthaber. Auch das dürfte ihn wenig beeindrucken.

Ein Lichtblick in diesen an Lichtblicken armen Zeiten: „Zum hier essen?“ – „Ja gerne.“ Wie sich bereits in der vergangenen Woche abzeichnete, darf man seit heute wieder in der Kantine essen. Bitte denken Sie sich hier das Bild einer männlichen Person mittleren Alters, die mit dem Ausdruck kindlichen Glücks ihr Dessert auslöffelt.

Dienstag: Wir haben die beste aller Schwiegermütter auf ihrem letzten Weg begleitet. Ich bin nicht (mehr) religiös genug, um zu glauben, sie sei nun an einem besseren Ort. Aber wer weiß, vielleicht liest sie das hier und lässt kurz einen Stern aufleuchten.

Die Beisetzungsfeier war sehr schön, sofern man Beisetzungen mit diesem Attribut versehen kann und darf. Die Musik kam aus der Konserve, da zur Vermeidung der Virenverteilung weiterhin nicht gesungen werden darf. Eine gute Alternative, spontan fielen mir zwei Lieder für meine eigene Verabschiedung ein; dazu werde ich gelegentlich eine kleine Liste erstellen.

Mittwoch: Die Launen des Menschen wechseln bisweilen wie das Wetter. Nur gibt es für letzteres einigermaßen verlässliche Vorhersagen.

Nun kaufen die Menschen statt Klopapier massenhaft Jodtabletten, auch besteht offenbar großes Interesse an Atombunkern, angeblich kann man Plätze darin gar für fünfstellige Beträge bei eBay erwerben. Als ob das irgendetwas nützen würde.

Nützt auch nichts, dennoch freut sich der Chronist:

Donnerstag: Während ich in der Kantine nach längerer Zeit mal wieder Kollegen S. traf und mit ihm kurz Höflichkeiten austauschte, dachte ich: Der ist ja gealtert. Ähnliches dachte er vermutlich über mich.

Ein mir neues Wort gelesen: „Doomscrolling“, auf Deutsch in etwa „Unheilstöbern“. Es bezeichnet die Angewohnheit, im Netz vor allem die Katastrophenmeldungen wahrzunehmen, mit allen negativen Folgen für die Psyche. Derart Stöbernde sind zurzeit sicher gut beschäftigt.

Freitag: Ein anderes Wort las ich in der aktuellen Ausgabe der PSYCHOLOGIE HEUTE: „Talkoholics“. Es bezeichnet solche, die keine Hemmungen kennen, ihre Mitmenschen um den Verstand zu quatschen. Sicher fällt dazu auch Ihnen mindestens eine Person aus Ihrem beruflichen oder persönlichen Umfeld ein.

Dieses Spritpreisgejammer nervt. Wem es zu teuer ist, fahre einfach weniger Auto oder, wenn das angeblich nicht möglich ist, wenigstens langsamer. „Aber meine Freiheit … mimimimi…“

Gelesen bei Frau Novemberregen: »Der 12.3. ist ein Datum, auf das ich mich seit dem 7.2. freue und da kam es mir noch extrem weit weg vor, ich dachte, am 12.3. sei sicher schon alles irgendwie anders – ist es natürlich auch, aber ich dachte anders-besser nicht anders-schlechter. Ich muss exakter denken.«

Samstag: Die liebe Freiheit – Mallorca erwartet eine baldige Rückkehr der Touristen in großer Zahl. Plakate in der Stadt werben wieder für Partys und Veranstaltungen, ohne den darüber geklebten Hinweis auf eine Verschiebung um einige Monaten oder ins nächste Jahr. Fußgängerzone und Lokale sind voller Menschen. In einer Woche sollen trotz steigender Zahlen und ständig erneuerter Rotwarnung in der Corona-App fast alle Beschränkungen aufgehoben werden. – Was jetzt als „Rückkehr zur Freiheit“ und „Freedom Day“ gefeiert wird, fühlt sich für mich gerade so falsch an wie sich nur etwas falsch anfühlen kann. Aber wahrscheinlich sehe ich mal wieder alles viel zu pessimistisch.

Apropos Partys – Immer häufiger ist „Hobbies“ und „Parties“ zu lesen ist, wenn Hobbys und Partys gemeint sind, was zu beanstanden mir fern liegt. Vielmehr ist zu erwarten, dass das schon bald die korrekte Schreibweise sein wird, warum auch nicht, so wie die roten die braunen Eichhörnchen verdrängen (oder umgekehrt, ich weiß es gerade nicht). Indes las ich bereits mehrfach „Dixieklo“, was nur dann akzeptabel ist, wenn statt der bekannten blauen Bedürfniszellen öffentliche WC-Anlagen mit regelmäßigen Jazzveranstaltungen gemeint sind oder Toiletten, die beim Anheben des Deckels Banjomusik abspielen. Sonst eher nicht.

Sonntag: O ihr Verdammten, versklavt durch eure Datengeräte! Wundert ihr euch wirklich, wenn eure Kinder komisch werden und nicht mehr mit euch sprechen?

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Haben Sie eine angenehme Woche voller Lichtblicke und möglichst wenig Unheil und Issues.