Woche 15/2025: Ist doch nicht so schlimm

Montag: Bereits um viertel vor fünf in der Frühe verließ der Liebste das Tuch, da er geschäftlich bis Freitag nach Spanien reisten musste oder durfte, je nach Betrachtungsweise. Nachdem die Wohnungstür ins Schloss gefallen war, konnte ich nicht mehr einschlafen. Stattdessen, wie stets bei solchen Gelegenheiten, malte ich mir aus, was nun alles schiefgehen könnte: Stadtbahnstörung zwischen Bonn und Siegburg, Zugausfall oder wenigstens Verspätung bis zum Flughafen Frankfurt, Bombendrohung, Meteoriteneinschlag. Ich kann da leider nicht aus meiner Haut, mit zunehmendem Alter wird das immer schlimmer, wohingegen der Liebste bei sowas gelassen bleibt. Zu recht: Alles lief zur Zufriedenheit, zur vorgesehenen Zeit kam er am Ziel an.

Mein Tag verlief in montagsüblicher Unlust. Nach dem Mittagessen wünschte ich mir sehnlichst einen Mittagsschlaf, leider ist derlei in unserer Unternehmenskultur nicht vorgesehen und ich habe wenig Hoffnung, dass sich daran bis zu meiner Zurruhesetzung (ist das nicht ein wunderbares Wort?) noch Wesentliches ändern wird. Apropos Mittagessen: Fragte man mich nach meiner Lieblingsspeise, stünde Entenbrust mit Orangensoße weit oben auf der Liste. Genau die gab es heute in der Kantine. Doch war deren Launenhebungsfaktor gering: Die beigelegten Kartoffeln waren teilweise matschig, das Selleriepurree schmeckte seltsam; immerhin war das Fleisch akzeptabel.

Im Rahmen der Gesundheitswochen sind die Mitarbeiter aufgerufen, öfter die Treppe statt Aufzug zu nutzen. Als Challenge kann man sich in ein Portal eintragen und die täglich gestiegenen Stufen angeben. Einen Aufruf, eine Challenge gar brauche ich nicht: Seit Beginn des Jahres gehe ich konsequent jeden Mittag 487 Stufen hoch, ein wenig staune ich selbst darüber. Auch heute Mittag sah ich niemanden im Treppenhaus, vermutlich ist der Aufruf noch nicht überall vernommen worden.

Dienstag: Nach Ankunft im Büro und Hochfahren des Rechners fuhr die Laune ein wenig runter, als ich die Diskrepanz zwischen besprechungsvollem Kalender und der Aufgabenliste für heute bemerkte. Ich schaffte dann doch einiges weg, weil manche Termine früher endeten und einige Aufgaben weniger Zeit in Anspruch nahmen als angenommen.

Mittags aß ich ein Schupfnudelgericht mit wesentlich größerem Genuss als die Ente gestern. Vielleicht werde ich auf meine alten Tage noch zum Vegetarier, wer weiß.

Dienstags und donnerstags gehe ich grundsätzlich zu Fuß ins Werk und zurück, so auch heute. Was ich dabei überhaupt nicht gebrauchen könnte wäre eine Begleitung mit Gesprächsbedarf, vor allem nicht morgens. Manchmal kommt mir Kollege C. bei seinem Morgenlauf entgegen, wir grüßen uns dann mit einem knappen „Morgen“, das ist schon das Äußerste, was ich auf dem Weg zu reden bereit bin. Auf dem Rückweg heute sah ich auf der Rheinpromenade ungefähr dreißig Meter vor mir jemanden gehen, der möglicherweise ein Kollege war. Ein netter, angenehmer Kollege, mit dem ich gerne einen Plausch halte. Nur eben nicht während des Rückwegs, zumal ich dann GenZ-Ohrstöpsel eingesteckt habe, aus denen GenX-Musik kommt. Also verlangsamte ich meine Schritte. Doch es gelingt mir nicht, beim Gehen eine gewisse Mindestgeschwindigkeit zu unterschreiten, der Abstand zum Vielleicht-Kollegen verringerte sich. Mir blieb nichts anderes übrig, als auf einer freien Bank am Wegesrand Platz zu nehmen und einen Blogartikel zu lesen. Danach war der Abstand groß genug, um ohne Gesprächsgefahr den Weg fortzusetzen. Man schafft sich aber auch manchmal Probleme.

Weg ins Werk, ungestört

Mittwoch: Der Geliebte hat beim Discounter T-Shirts zu einem fragwürdig günstigen Preis erstanden, laut Kennzeichnung gleichwohl fair hergestellt. „Die dürfen sie ja nichtmal hauen“ sagt er. Es hat das Prinzip fair offenbar verstanden.

Gefreut habe ich mich über eine Postkarte, die im Briefkasten lag, und deren Beantwortung ich abends sogleich in Angriff nahm. Was du heute kannst besorgen und so.

Donnerstag: Heute war Inseltag, das heißt ich hatte frei. Anstatt zu wandern, wofür das Wetter bestens gewesen wäre, trocken und nicht so warm, fuhr ich mit der Bahn nach Dortmund, wo ich die Intermodellbau-Messe besuchte, um das Modelleisenbahnerherz zu erfreuen.

Die große Bahn bot das gewohnte Bild, auf dem Hinweg mit Verspätung im Rahmen der Erwartung, zurück etwas mehr. Als unser Regionalexpress mit bereits zwanzigminütiger Verspätung am Düsseldorfer Flughafen wegen der Überholung durch zwei Fernzüge warten mussten, ließ der Triebfahrzeugführer per mehrminütiger Durchsage seinen Frust über die zuständigen Entscheider raus. Fast war ich versucht, nach vorne zu gehen, ihm über den Kopf zu streichen und zu sagen: Ist doch nicht so schlimm.

Wegen Bauarbeiten wurden wir umgeleitet über Gelsenkirchen, Wanne-Eickel, Herne und Castrop-Rauxel, nur in Herne wurde gehalten. Wieder wurde deutlich: Das Ruhrgebiet ist wesentlich grüner als man es erwartet, wenn man es nur aus dem Erdkunde-Unterricht kennt. Außerdem sah ich während der Fahrt zu blühen beginnende Rapsfelder, jedes Jahr wieder ein beglückender Anblick.

Die Messe war gut besucht, in den von mir aufgesuchten Hallen überwiegend von alten Männern, nicht wenige noch älter als ich. Zum letzten Mal war ich vor Corona dort gewesen, somit vor sechs Jahren, ist es denn wahr. Interessant war es auch wieder, wenngleich ich da nicht jedes Jahr hin muss. Sechs Jahre muss es indes auch nicht wieder dauern.

Nicht Castrop-Rauxel sondern Frankreich
Harz

Freitag: „Änderungen sind spannend verpackte Chancen“ las ich wo und musste mich schütteln, vor allem wegen des mittleren Wortes. Sonst auch.

Am frühen Abend kehrte der Liebste aus Spanien zurück. Neben Wurstspezialitäten für die nächsten Wochen brachte er einiges zu erzählen mit, deshalb fällt der Beitrag für heute kurz aus.

Samstag: Nicht nur Post verbindet, wie in den Achtzigern ein Werbespruch der Bundespost lautete, sondern auch Bloggen. So traf ich heute den geschätzten Mitblogger T. wieder, der uns als Schreiblehrling regelmäßig mit seinen Texten erfreut. Wir kennen uns schon sehr lange, kennengelernt haben wir uns vor Jahren bei einem Twittertreffen; so etwas gab es damals, als Twitter noch jung und schön war und niemand ahnte, welch unheilvolle Entwicklung es mal nehmen würde. Nachdem ich mich dort verabschiedet hatte, blieben wir über das Bloggen und unregelmäßigen Briefaustausch in Verbindung, zuletzt gesehen hatten wir uns vor (vermutlich) dreizehn Jahren. Daher erschien ein Treffen längst überfällig. Wie bei einem Date hatten wir uns am Beethovendenkmal auf dem Münsterplatz verabredet, wo wir uns sofort wiedererkannten, das ist nach so langer Zeit nicht selbstverständlich und spricht für einen zufriedenstellenden Erhaltungszustand auf beiden Seiten. Die folgenden Stunden in einem Café vergingen schnell, es war sehr angenehm und unterhaltsam. Deshalb wollen wir das wiederholen, möglichst nicht erst wieder in dreizehn Jahren.

Durch T. wurde ich auf einen Trend aufmerksam, der bislang völlig an mir vorbeigegangen ist: Zimtschnecken. In der Fußgängerzone gibt es ein Geschäft, das ausschließlich diese anbietet in unterschiedlichsten Farben und Varianten. Warum auch nicht. Ansonsten sind bei frühsommerlichem Wetter Innen- und Innere Nordstadt, wo weiterhin die Zierkirschen vor sich hinblühen, voller Menschen, vor den Eisdielen lange Schlangen. Wir sind uns einig, etwas, wofür man lange anstehen muss, nicht unbedingt haben zu müssen.

Sonntag: Gegen Mittag ging der erste leichte Regenschauer herab, dem im Laufe des Nachmittags weitere folgten. Die Zierkirschen in der Inneren Nordstadt und anderswo haben begonnen, die Blütenblätter abzuwerfen. Dafür übernehmen nun Flieder und Blauregen, auch erste Kastanien zieren sich mit Blütendolden. Ansonsten ein angenehm ruhiger Sonntag mit Ausschlafen, Frühstück, Zeitungslektürezeit und Spaziergang.

Purpurrot
Wenn ich das wüsste
Lindengrün in der Lessingstraße, Südstadt

Zum guten Schluss: Erfreulich in dieser Woche waren die beginnende Raps-/Flieder-/Kastanienblüte, ein Wiedersehen und Spazierzeit.

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Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche und, wenn wir uns vorher nicht mehr sehen oder lesen, jetzt schon schöne Ostertage.

Woche 27/2022: Umdiedreißigjährige

Montag: „Ich bin gerade etwas lost.“ – „Sorry, ich musste mich erst unmuten (gesprochen: anmjuten).“ – Was Leute in Besprechungen so reden, wenn sie geschäftig wirken wollen. Ansonsten verlief der Wochenbeginn ruhig ohne unmutauslösende Momente.

»Keiner der Koalitionspartner fand das Tempolimit so wichtig, dass es Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden hätte. Wir haben uns auf andere Maßnahmen konzentriert.«

Verkehrsminister Wissing gegenüber dem SPIEGEL auf die Frage, warum sich die FDP gegen ein Tempolimit sperrt. In einer amerikanischen Ulksendung käme an dieser Stelle wohl Hintergrundgelächter.

Dienstag: Mittags beim Flanieren durch den Park sah ich eine Wildgans regungs- und fassungslos auf den wasserlosen, noch immer in Sanierung befindlichen See blicken, wo mittlerweile Sand verteilt wird. Nur Geduld, rief ich ihr zu, bis Ende August soll es fertig sein, stand in der Zeitung. Sie nickte kurz, ohne den Blick von der Sandwüste abzuwenden.

Wasser- und fassungslos

Mittwoch: Jeder Tag ist anders, niemals ist einer wie der andere. Und doch verlaufen sie oft ähnlich: Aufstehen, Bad, Kaffee, Fahrt ins Werk, Bürokrams, Besprechung (heute erstmals nach Monaten sogar als Präsenztermin im Mutterhaus, insofern war der Tag besonders), Mittagspause mit Kantine (Cordon Bleu) und kurzem Spaziergang durch den Park, Pressespiegel, mehr Bürokrams, in letzter Zeit auch wieder Schwätzchen mit Kollegen, Feierabend, Fahrt nach Hause; Brötchen für das Abendessen mit den Lieben besorgen, Zeitung und Blogs lesen, heute oder Tagesschau kucken, Essen, zeitig ins Bett, Lesen, Schlafen. Und keine Idee, was ich ins Blog schreiben soll. So ein Tag war heute. Das ist nicht schlimm.

Donnerstag: Es gibt sie noch, die guten Jobs. Dabei meine ich nicht meinen, wobei, doch, der ist auch ganz gut. Aber nicht so gut wie dieser: Als ich morgens zu Fuß ins Werk ging, fuhr ein Fahrzeug der Bundes-Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung vorbei und blieb etwa hundert Meter vor mir am Rheinufer stehen. Ihm entstiegen zwei Herren, die mit elektrischem Grasmäher und Laubbläser die weißen Schilder von Bewuchs befreiten und reinigten, die alle hundert Meter die Rheinkilo- beziehungsweise Hektometrierung (heißt das so?) markieren. Der Fahrer blieb derweil sitzen, bis seine Kollegen fertig waren mit Mähen und Blasen, um sie zum nächsten Schild zu chauffieren.

Ich dagegen werde (zugegeben nicht schlecht) dafür bezahlt, mir Sätze wie diesen anzuhören: „Der Ball liegt im Feld von …, der muss da jetzt ein Preisschild dranmachen.“

Auf dem Rückweg – dunkle Wolken über Bonn-Beuel

Gelesen in einem SPIEGEL-Artikel über Monogamie im Tierreich: »Und bei den Fischen unterhalten Tigerhaie und Seepferdchen oft dauerhafte Zweierbeziehungen.« Die Kinder möchte ich sehen: Tigerpferdchen? Also Zebras? Im selben Artikel werden Reptilien aufgrund ihrer Promiskuität als „wechselfreudig“ bezeichnet. Ein wahrer Schatz im Silbensee.

Freitag: Die Welt ächzt vor Überbevölkerung. Bald acht Milliarden Menschen tummeln und drängeln sich darauf, täglich werden es mehr. Andererseits klagen viele Branchen über Personalmangel. Wie kann das sein? Wo sind die alle?

Abends war ich im Friseursalon meines Vertrauens, jetzt in neuen Räumlichkeiten mit einem für mich neuen Friseur, weil meine Stammfriseurin Urlaub hat. Ein wenig Unbehagen kommt jedes Mal wieder auf bei der Frage „Was kann ich für Sie tun?“ – Was soll man da sagen, das nicht allzu offensichtlich klingt wie „Etwas kürzer“? Natürlich kürzer, länger geht ja wohl kaum. Oder mehr, vor allem hinten-oben, wo es immer lichter wird. Etwas übergriffig fand ich die Frage nach meiner beruflichen Tätigkeit, die ich mit einem knappen „Bürojob in einem großen Unternehmen“ beantwortete. Die Gegenfrage „Und Sie?“ verkniff ich mir. Mit dem Ergebnis war ich indes zufrieden.

Samstag: Bereits gegen halb neun morgens hob nebenan das laute Rauschen eines Gasbrenners an, Sie kennen diese Flammenwerfer, die von Dachdeckern benutzt werden, um Teerpappe gefügig zu machen. Was hier geflammt wurde, war nicht zu erkennen, vermutlich beseitigte jemand Unkraut, die Leute kommen oft auf die absurdesten Ideen, wenn es der Bequemlichkeit dient. Anscheinend ist das Gas noch immer zu billig, woran sich zunächst auch nicht viel ändern wird, wenn Herr Putin den Hahn zudrehen lässt, da hierfür kein Erdgas verwendet wird.

Meine Empörung hielt sich dennoch in Grenzen, da ich schon aufgestanden war, um später mit der Bahn nach Dortmund zu fahren, wo ich mit C., meinem ältesten Schulfreund, verabredet war. Also natürlich nicht der älteste an Jahren, sondern den ich am längsten kenne, Sie verstehen schon. Auch nach über fünfzig Jahren ist der Kontakt trotz der räumlichen Entfernung nicht abgerissen, wir telefonieren zu den Geburtstagen, und ab und zu – viel zu selten – treffen wir uns auf halber Strecke zwischen Bonn und Bünde in Dortmund.

Die An- und Abreise im Nahverkehr bot einmal mehr die Möglichkeit, das Leben in vollen Zügen zu genießen. Mir war es egal, ich hatte einen Sitzplatz am Fenster. Auf dem Hinweg saßen hinter mir welche auf dem Weg zu einem Festival, wenn ich es richtig verstanden habe. Sie unterhielten sich im üblichen Jargon der Umdiedreißigjährigen, mit „genau“ und „tatsächlich“ sowie englischen Einsprengseln in jedem zweiten Satz. In Düsseldorf stieg eine lärmende Hobby-Fußballmannschaft hinzu, die von den Umdiedreißigjährigen eine Flasche Rosé gereicht bekam, die einmal den Gang runter und wieder rauf gereicht wurde, natürlich ohne Gläser. Mich grauste. Erfreulicherweise stiegen sie bereits in Mülheim an der Ruhr wieder aus, was zu folgendem, durchaus witzigen Dialog mit den Umdiedreißigjährigen führte: „Was wollt ihr denn in Mülheim?“ – „Da haben wir unsere Ruhr.“

Diese wunderschöne V 60 stand im Dortmunder Hauptbahnhof herum und verlangte nach Fotografiertwerden

Seuchenbedingt lag das letzte Treffen mit Freud C. drei Jahre zurück, daher gab es viel zu erzählen, und da Erzählen durstig macht, gab es Weißwein dazu. Viel Weißwein, was die Koordination der Rückreise etwas abenteuerlich werden ließ. Aber der Umstieg in Köln gelang, ich kam wohlbehalten, wenn auch etwas später als ursprünglich geplant, zu Hause an.

Sonntag: Da der Weißwein von gestern nachwirkte, fiel der Spaziergang heute etwas länger aus.

Auch kam ich erst heute dazu, die Samstagsausgabe des General-Anzeigers fertig zu lesen. Wolfgang Pichler schrieb darin über Rap: „… dieses höchst gewöhnungsbedürftige Gebell auf den Billig-Musiksendern, wo Leute mit suboptimalem Klamotten- und Schmuckgeschmack so dreinblicken, als wollten sie entweder ein­ander oder den Zuschauer massakrieren, während sie nicht druckfähige Äußerungen über eigenes und fremdes Sexualverhalten von sich geben.“

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Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche.