Woche 52/2024: Alternative Tischmanieren und Raclette über Teelichtern

Montag: Weiterhin sind wir in Beaune, Frankreich. Nachtrag zu gestern Abend: Wir waren zum Essen in einem Restaurant, das wir schon von früheren Besuchen kennen und schätzen. Es ist gut, nicht sehr teuer und der Service sehr freundlich. Während des ersten Ganges betrat ein jüngeres Paar mit einem etwa zwei Jahre alten Kind den Raum, sie wurden am Nebentisch platziert. Das Kind zeigte sich lebhaft, es lief herum, plapperte, quengelte, eine alles in allem altersgerechte Verhaltensweise, die vielleicht bei denjenigen, für die Kinderliebe nicht an oberster Stelle steht, ein gewisses Störgefühl auszulösen vermag. Bald warf das Kind das Blumentöpfchen vom Tisch, das nun, getrennt nach Topf, Pflanze und Erde auf dem Boden lag. Die Eltern scherte es nicht weiter, auch sahen sie sich nicht veranlasst, das Malheur zu beheben oder wenigstens zu melden. Als die freundliche Bedienung das sah, zeigte sie sich wenig erfreut. Offenbar hatte man mehr compréhension für kindliche Lebhaftigkeit erwartet, kurz darauf wurden Kind, Malsachen und alles andere zusammengepackt und sie verließen abschiedslos das Lokal. Am Nebentisch, also unserem, wurde dies mit Erleichterung zur Kenntnis genommen, beinahe hätten wir applaudiert. Dem Kind ist kein Vorwurf zu machen. Doch was geht in solchen Eltern vor?

Unser Tischgewächs blieb unbehelligt

Interessant an einem Hotelaufenthalt sind stets auch die anderen Gäste und ihre Verhaltensweisen. Ich vermute, wer in der Gastronomie oder Hotelbranche arbeitet, erlebt vieles, womit man erfolgreich ein Buch oder Blog füllen könnte. (Für entsprechende Blogempfehlungen wäre ich dankbar.) Beim Frühstück fiel mir heute der vielleicht zwanzigjährige Angehörige einer größeren Familie auf, der ungefähr im Minutentakt das Büffet aufsuchte, um noch etwas nachzuholen. Das ganze in kurzen Hosen. Nicht dass ich dem Anblick junger Männerbeine grundsätzlich abgeneigt wäre, aber warum trägt er im Dezember in einem Fünfsternehotel kurze Hosen? Muss der sich oder anderen etwas beweisen?

Sehr nett im übrigen das ältere Ehepaar aus Freiburg, mit dem wir abends in der Hotelbar ins Gespräch kamen. Offensichtlich sind wir nicht die einzigen, die das Verhalten und Auftreten anderer Gäste interessant finden.

Das Hotel hat drei Stockwerke, somit ist es den meisten Menschen möglich, auch ein Zimmer im oberen Stock über die Treppen zu erreichen. Dennoch folgen die meisten Gäste der natürlichen Bequemlichkeit und nehmen den Aufzug, nur selten begegnet mir jemand im Treppenhaus. Im Erdgeschoss gibt es einen Fitnessraum. Dank Aufzug ist er auch für Bewegungssuchende aus den oberen Stockwerken jederzeit bequem erreichbar.

Die Hotelbar. In dem Topf neben dem Feuer wird ausgezeichneter hausgemachter Glühwein warmgehalten, wir haben ihn mehrfach für Sie probiert.

Dienstag: Der Heiligmorgen begann nicht allzu spät und recht entspannt. Nach dem Frühstück gingen wir eine Runde durch die Stadt, die gut gefüllt war mit Autos und Menschen in letzten Besorgungsabsichten für die bevorstehende fête la Noël. Einige Geschäfte, unter anderem Textilläden, hatten bis achtzehn Uhr geöffnet, für Spätentschlossene oder mögliche Weihnachtsverweigerer.

Nach dem Stadtbummel machten wir einen Spaziergang durch den nahegelegenen Parc de la Bouzaise, wo sich Blesshühner und eine Kleingruppe Gänse (neben graugemusterten Wildgänsen auch eine weiße, letztere vielleicht kurz zuvor dem Braten entkommen) vom Fest unbeeindruckt zeigten.

Nach Rückkehr im Hotel gönnten wir uns vor dem heiligen Abend noch etwas Ruhe. Während ich auf dem Sofa die Zeitung und Blogs las, waren von den Lieben nebenan bald leise Schlafgeräusche zu vernehmen. Zwischendurch zuckte immer wieder das Datengerät auf von den tagesüblichen Grüßen und Wünschen in diversen WhatsApp-Gruppen. Im erweiterten Sinne mit Festbezug traf außerdem per Mail eine Empfehlung für bessere Erektionen ein.

Trotz gegenseitigen Nichtschenkpaktes blieben wir dann doch nicht ganz unbeschoren, woher auch immer die Geschenke kamen.

Den Abend verbrachten wir im Hotelrestaurant, wo ein siebengängiges Festmenü in passender Weinbegleitung gereicht wurde. Das war ausgezeichnet, wenn auch des Guten etwas zu viel: Spätestens ab dem vierten Gang konnte ich außer wenigen Probierhappen kaum noch was essen, das zu jedem Gang extra gereichte Brot blieb unangerührt. Das ist nur schwer mit meiner Flüchtlingskinderziehung zu vereinbaren, wonach Teller grundsätzlich leergegessen werden. Allerdings setzt die Magenkapazität hier natürliche Grenzen. Immerhin kam kein Wein um, immer das Positive sehen.

Zuviel des Guten war auch die musikalische Begleitung durch zwei Damen, die mit Geige und Harfe von Raum zu Raum zogen. Sie spielten sehr gut, sogar Stücke von ABBA und Queen, allerdings war es zu laut für Tischgespräche. Deshalb waren wir ihnen nicht böse, als sie weiter zogen und andere Gäste erfreuten.

Nach dem Essen suchten wir mit dem Paar aus Freiburg nochmals für ein Nachtglas die Hotelbar auf. In der Ecke neben dem Kamin saß ein jüngerer Mann augenscheinlich indischer Physiognomie, beschäftigt mit Buch, Datengerät und Getränken. Der saß da schon so, als wir Stunden zuvor ins Restaurant aufgebrochen waren, und er wirkte nicht unzufrieden.

Hotelfensterblick, morgens, mit Weinbergen der Côte d’Or im Hintergrund
Im Parc de la Bouzaise
Sofablick. Mehr braucht es manchmal nicht zur Zufriedenheit.
Nächstes Jahr aber wirklich nichts. (Foto: der Geliebte)

Mittwoch: Beim Aufwachen erwog ich, heute nichts oder überhaupt niemals mehr etwas zu essen. Das späte Frühstück – wir waren die letzten im Frühstücksraum, das Personal war schon mit dem Abräumen des Buffets beschäftigt – fiel mit einem Croissant und einem Pain au chocolat jeweils im Kleinformat, einem Glas Saft und einer Tasse Kaffee entsprechend geringfügig aus.

Mittags deckte ich meinen Bedarf an etwas Bewegung und frischer Luft mit einem Spaziergang über die Remparts, die zu etwa Dreivierteln erhaltene alte Stadtbefestigung um die historische Innenstadt von Beaune. Im Gegensatz zu den vergangenen Tagen waren kaum Autos auf den Straßen, nur wenige Menschen flanierten und führten ihre Hunde oder Kinder aus. Aus einem Fenster drangen Fetzen von „All I Want For Christmas“ von Mariah Carey an mein Ohr, dem in diesen Tagen kaum zu entkommen ist. And Aaaaaahahahahaii …

Nachmittags wurden die meisten Sachen einschließlich getätigter Einkäufe gepackt und ins Auto geladen, auf dass wir morgen zeitig nach Hause aufbrechen können. Wie üblich begleitet von Diskussionen zwischen meinen Lieben. Laut einem beliebten Klischee zerbrechen Ehen an falsch gedrückten Zahnpastatuben. Wie viele Partnerschaften mögen wegen unterschiedlicher Auffassungen über das richtige Packen des Autos bei der Urlaubsabreise in Schieflage geraten?

Nach dem Abendessen nahmen wir den letzten Vin Chaud à la maison in der Hotelbar. Der Inder hatte sich dort inzwischen über drei Sessel häuslich eingerichtet und wirkte weiterhin sehr zufrieden. Die Sitzgruppe gegenüber belegten ein Mann und zwei Teenagerjungs, letztere mit Alpaka-Frisuren. (Diese Bezeichnung für die aktuelle Haarmode junger Männer las oder hörte ich kürzlich irgendwo und finde sie sehr trefflich.) Gesprochen wurde fast nicht, alle drei waren intensiv mit ihren Datengeräten beschäftigt. Manchmal hielt einer dem anderen das Gerät vor die Nase, der grinste dann kurz und widmete sich wieder dem eigenen. Unterbrochen wurde ihr Tun durch einen zwischenzeitlich servierten Imbiss, der mit alternativen Tischmanieren vertilgt wurde, den Blick möglichst wenig vom Bildschirm abgewandt. Sie hatten auf ihre Weise Spaß, nehme ich an.

Rempards mit Moosansicht
Rempards mit Burgund-typischer Dachdeckkunst

Donnerstag: Nachdem auch die letzten Sachen ohne größeren Zank im Auto verstaut waren, verließen wir vormittags Beaune. „Passt bitte gut auf euch auf, die Welt wird nicht besser“, gab uns die Frau des netten Freiburger Ehepaars mit auf den Weg, womit sie zweifellos recht hat.

Auch an der Grenze zu Luxemburg gibt es Kontrollen gegen illegale Einreise. Etwas rätselhaft der Kontrollposten bei Trier: Er ist erst weit hinter der Grenze eingerichtet, nach einem Parkplatz und einer Abfahrt auf deutschem Gebiet. Schleusern wird es somit recht einfach gemacht, ihrem Geschäft nachzugehen. Bestimmt hat man sich dabei was gedacht.

Nach entspannter und sonnenbeschienener Fahrt kamen wir am späten Nachmittag in Bonn an. Dort waren die letzten fünf Törchen des Adventskalenders „Edle Tropfen in Nuss“ abzuarbeiten, was der Ankunft eine gewisse Leichtigkeit verlieh. Zum Abendessen besuchten wir den persischen Lieblingsitaliener. Nach einer Woche mit französischer Küche ist eine Steinofenpizza auch mal wieder ganz schön.

Für den letzten Urlaubstag morgen habe ich einen Wanderbeschluss gefasst.

Freitag: Mittags brach ich auf zur Wanderung, wegen der jahreszeitlich beschränkten Tagesbelichtung nicht sehr lang. Mit dem Bus fuhr ich bis Holzlar, von dort wanderte ich bei Sonnenschein über den Ennert und den mir bislang unbekannten Finkenberg zwischen Küdinghoven und Beuel zurück nach Bonn. Unterwegs begegneten mir vergleichsweise viele Menschen, was am Brückentag zwischen den Jahren liegen mag, viele haben frei, zudem ist die Strecke stadtnah. Jedenfalls war es wieder beglückend, auch wenn die meisten Bäume kahl Winterschlaf halten. Immerhin zeigen sich Moose und Stechpalmen verlässlich dauergrün.

Nach Ankunft in der menschenvollen Bonner Innenstadt belohnte ich mich für die Mühen mit einer Feuerzangenbowle auf dem Remigiusplatz, wo der Weihnachtsmarkt erstmals in diesem Jahr ein paar Tage länger geöffnet bleibt und zum Dreikönigsmarkt wurde, irgendwie muss es ja heißen. Neben mir bestellte und bekam jemand einen Lumumba. Wir kürzlich zu lesen war, soll man das nicht mehr sagen, weil es wohl irgendwie rassistisch ist. Herrje. Ohne Zweifel halte ich es für richtig, nicht mehr Mohrenkopf oder Zigeunerschnitzel zu gebrauchen, auch wenn mir die Diskussion darum bisweilen etwas hysterisch erscheint. Aber Lumumba? Was kommt da demnächst noch? Vielleicht Granatapfel, Götterspeise, Russisches Brot oder Matjes nach Hausfrauenart? AfD und Freie Wähler werden sich freuen, fürchte ich.

Ennert-Wald im Winterschlaf
Hardweiher
Moosansicht
Stilleben auf dem Finkenberg
Der Rhein mal von der anderen Seite

Samstag: Seit Mitternacht darf wieder Silvesterknallwerk verkauft werden. Wie das Radio morgens meldete, hatten die ersten Licht-Schall-Rauchfreunde bereits seit dem Nachmittag vor den Verkaufsstellen gewartet. Zu den Nebenwirkungen hinsichtlich Müll und Lärm befragt, antworteten sie, das hätten sie auf dem Schirm. Dann ist es ja gut.

Nicht auf dem Schirm, sondern auf dem Sofa verbrachte ich große Teile des Tages und war damit sehr zufrieden.

Abends gab es Raclette über Teelichtern, die Öfchen befanden sich in dem am Dienstag gezeigten Geschenkeberg. Das funktioniert erstaunlich gut, schmeckte bestens und machte satt. Und das Spielerische kam auch nicht zu kurz.

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Sonntag: Im Gegensatz zu den Vortagen blieb dieser Tag trüb und kalt, die Pfützen auf den Wegen waren gefroren. Den letzten Sonntagsspaziergang des Jahres verband ich mit einer Probefahrt der neuen Straßenbahnwagen. Zum Glück kam auch gleich einer, im Moment fahren sie noch im Mischbetrieb mit den alten auf der Linie 61. Damit fuhr ich bis bis zur Endhaltestelle in Auerberg und flanierte am Rhein entlang zurück, ein gut einstündiger Marsch, den ich so noch nicht gegangen war. Die neuen Wagen laufen sehr ruhig, was dem an Straßenbahnzügen nicht so interessierten normalen Fahrgast vielleicht gar nicht auffällt.

Wagen 2253 verlässt die Endhaltestelle in Auerberg
Rheinufer gegenüber Graurheindorf

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Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche und einen guten Start in ein neues, möglichst angenehmes Jahr. Vielen Dank, dass Sie meinen Gedanken und Erkenntnissen hier wöchentlich folgen. Passen Sie gut auf sich auf, die Welt wird voraussichtlich nicht besser.

Woche 51/2024: Das gastronomische Angebot wird gut angenommen

Montag: Vergangene Woche zählte ich ein paar komische Wörter auf, die mir irgendwann in den Sinn gekommen waren und bis zu einer möglichen Verwendung auf einer Liste notiert wurden. (Die wenigsten davon waren übrigens neu, wie ich erst heute nach Internetrecherche in einer *hüstel* kurzen Phase verminderter Arbeitslust bemerkte.) Hierzu übersandte mir mein geschätzter Mitschreiber L. einige Ergänzungen, die ich Ihnen mit seiner Erlaubnis gerne zur Kenntnis gebe: Pornokasse, Muschibude, Suboptimierer, Polendioxid, Effie Biest, Saufpate, Affenschein.

Auch anderen fallen komische Wörter ein: „Es ist Besinnlichzeit“, beginnt eine saisonale Grußmail im Bürorechner. Komische Blüten treibt auch immer wieder das Streben nach geschlechterneutraler Sprache. So heißt es in einer Mitteilung der Unternehmenskommunikation „Gewinnende“ als Variante von „Gewinner:innen“. Müsste es nicht „gewonnen Habende“ heißen?

Dienstag: Üblicherweise gehe ich jeden Dienstag und Donnerstag zu Fuß ins Werk und zurück. Seit einiger Zeit nehme ich dabei morgens am Rheinufer eine dreirädrige Gruppe junger Radfahrer wahr, die mich überholt. Das Auffällige daran ist der eine, der dabei unentwegt in Englisch auf die anderen einredet. Wenn sie sich von hinten nähern, höre ich ihn plappern, und ich höre ihn noch, wenn ihre Rücklichter als kleine rote Punkte aus meinem Blickfeld verschwinden. Jeden Dienstag und Donnerstag; an den anderen Tagen plappert er vermutlich auch. Die anderen sind wahrlich nicht zu beneiden.

Als vor allem morgens der wörtlichen Rede eher abgeneigter Mensch staune ohnehin immer wieder, wieviel so früh schon geredet und telefoniert wird, beim Gehen, Laufen, auf dem Rad. So wie manche Menschen zu fürchten scheinen, zu Staub zu zerfallen, wenn sie nicht minütlich aus einer stets griffbereiten Wasserflasche trinken oder irgendwo kurz warten müssen, sind andere anscheinend zum ständigen Reden verdammt.

Alle Jahre wieder diese Meldung: Etwa jeder zweite Beschäftigte ist auch an den Urlaubstagen um Weihnachten und Neujahr für Kollegen, Vorgesetzte und Kunden erreichbar. Auch so ein unerklärlicher, mir fremder Zwang.

Mittwoch: Da ich der anderen Hälfte angehöre, verstaute ich nach Arbeitsende den Rechner im Büroschreibtisch, schaltete das dienstliche Telefon aus und freute mich auf ein paar Tage Urlaub …

Donnerstag: … in Beaune im Burgund, wo wir nach störungsfreier, überwiegend verregneter Fahrt am frühen Nachmittag eintrafen. Da wir das Hotel bereits kennen, es ist unser vierter Aufenthalt hier, fühlte sich die Ankunft ein wenig wie Heimkehr an, was den Geliebten veranlasste, durch Anbringen mitgebrachter Lichterketten das Revier zu markieren.

Auch innerlich verlief die Fahrt nicht allzu trocken, selbstverständlich nicht für den diensthabenden Fahrer
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Leider auch eingetroffen ist meine Erkältung, die sich bereits am Montag als erste vage Ahnung andeutete, sich in der Nacht zu Dienstag mit Halskratzen bemerkbar machte und heute mit laufender Nase ihre Pracht entfaltet.

Freitag: Nach nicht allzu spätem Frühstück unternahmen wir eine Ausfahrt nach Lyon in die dortige Markthalle. Das Anfahren des Parkhauses war wegen des dichten Stadtverkehrs nicht sehr einfach, was mich selbst als Beifahrer auf dem Rücksitz anstrengt, während der Liebste als Fahrer es mit immer wieder bewundernswerter Gelassenheit hinnahm.

Die Markthalle ist einen Besuch wert. Wie in vielen anderen französischen Städten kann man dort nicht nur Lebensmittel aller Art kaufen, auch das gastronomische Angebot wird gut angenommen, an mancher Theke schon mittags Partystimmung.

Nach der Markthalle gingen wir eine Runde durch die sehenswerte Stadt, ehe wir zurück nach Beaune fuhren, wo wir erst nach Einbruch der Dunkelheit ankamen, was um diese Jahreszeit nicht sehr spät ist. Immerhin werden die Tage ab übermorgen wieder länger.

Den Abend verbrachten wir im Hotel, zunächst an der Hotelbar im Kaminzimmer. Heute mit Livemusik, dargeboten von zwei mäßig begabten Sängerinnen, die bekannte Melodien wie „Last Christmas“ und „Halleluja“ recht eigenwillig interpretieren und meine grundsätzliche Abneigung gegen Livemusik als Hintergrundbegleitung bestätigten. Dass niemand applaudierte, schien sie nicht zu beirren. (Nein, vermutlich könnte ich es nicht besser, deshalb lasse ich es auch.) Unser Essen wurde nebenan im Frühstücksraum serviert, wo der Gesang, vermischt mit anderer Musik aus dem Lautsprecher, kaum noch störte; mit jedem Glas Wein weniger.

Markthalle in Lyon
Das Angebot von Geflügel ist für das deutsche Auge bisweilen ungewohnt
Man beachte das Gespinst der Fahrleitungen für die O-Busse
Blick über die Rhone

Samstag: Vormittags besuchen wir bei feuchtkaltem Wetter den Markt in Beaune. Auch hier gibt es eine Markthalle, freilich viel kleiner als in Lyon und vom Angebot her längst nicht so interessant. Außerdem ohne gastronomische Einkehrmöglichkeit, deshalb verweilten wir nur kurz.

Schokoschnecken. Zur Vermeidung von Missverständnissen wurde es dazu geschrieben.

Nach Rückkehr brachen meine Lieben auf zu einer Supermarktbesichtigung. Mangels Interesse verblieb ich im Hotel und genoss ein paar Stunden Alleinzeit, was zwischendurch ja auch mal ganz schön ist.

Sonntag: In der Nacht bis in den Vormittag hinein umtosten starker Regen und Sturm das Hotel. Da mein Bett direkt unter dem Dachfenster steht, war ich in angenehmster Weise gleichsam live dabei. Aus anderen Gründen, an denen ein Digestif aus der Hölle am Vorabend beteiligt war, kamen wir erst kurz vor Schluss zum Frühstück. Danach unternehmen der Liebste und ich eine Ausfahrt nach Chablis, wo wir bei der örtlichen Coopérative mehrere Flaschen des gleichnamigen Weines erstanden. Das Wetter hatte sich beruhigt, auch die Sonnen ließ sich kurz blicken.

Zurück fuhren wir über Flavigny, wo wir die Fertigungsstätte von Anisbonbons besuchten und einige der hübsch dekorierte Blechdosen kauften.

Dabei durchfuhren wir zahlreiche auf den ersten Blick malerische Dörfer, auf den zweiten Blick ist viel Verfall und Leerstand zu erkennen. Oft sind die Ortseingangs- und Ausgangsschilder verhüllt, vermutlich eine Alternative zu den andernorts auf den Kopf gedrehten Schildern, mit denen die französische Landbevölkerung ihren Unmut über die Politik aus Paris zum Ausdruck bringt. Immerhin stehen, wie zum Trotz, an vielen Straßenecken bunt geschmückte Weihnachtsbäume.

Die Tage in Beaune sind übrigens unser gegenseitiges Weihnachtsgeschenk anstelle von gegenständlichen oder gutscheinbaren Gaben, was meiner diesbezüglichen Ideenlosigkeit (man hat ja alles) sehr entgegen kommt. Ich hoffe, die anderen halten sich auch daran, sonst stehe ich am Heiligabend blöd da.

Chablis
La Poste in Chablis
Bei ‎⁨Flavigny-sur-Ozerain⁩

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Kommen Sie gut durch die Woche, allen Leserinnen und Lesern wünsche ich angenehme Weihnachtstage!

Ich kauf mir was

Bald ist Weihnachten. Weihnachten ist das Fest des Schenkens, weil vor gut zweitausend Jahren angeblich drei Männer mit Migrationshintergrund Baumharze und Edelmetall nach Bethlehem trugen, um einen Säugling damit zu beschenken; ob der sich darüber freute, ist nicht überliefert. Aber das ist eine andere Geschichte mit bis heute weitreichenden Folgen wie Zölibat und Staatsleistungen.

Vor dem Schenken kommt das Kaufen. Hierzu schuf der Herr, also nicht der im Himmel, sondern einer aus Amerika, Konsumfeiertage mit klangvollen Namen wie Black Friday und Cyber Monday, aus China kam noch der Singles Day dazu, auf dass das Volk Zeug kaufe, was es nicht benötigt, das aber gerade besonders günstig angeboten wird. Wie kürzlich zu lesen war, haben diese Feiertage ihre große Zukunft bereits hinter sich, weil die Chinesen uns nun dauerhaft mit Billigwaren beglücken.

Unser Gesellschaftsmodell baut darauf auf, dass möglichst viel gekauft wird, je mehr, desto besser, das heißt dann Wachstum. Egal ob Autos, Mobiltelefone, Lippenstifte, überteuerte Schokolade mit zweifelhaft-grünlicher Matschfüllung oder Mittelstreckenraketen – am Konsum hängen Arbeitsplätze und Wohlstand. Das bleibt nicht ohne Folgen für Eichen und Eisbär, doch weniger oder nichts zu kaufen ist aus den oben genannten Gründen keine Lösung. (Konsumkritische Gruppen rufen seit einiger Zeit nach dem schwarzen Freitag zum Kauf-nix-Samstag auf, meines Wissens ohne größere Wirkung.)

Für mich selbst habe ich schon vor längerer Zeit beschlossen, dem allgemeinen Kaufruf nicht zu folgen. Was ist nicht benötige, bleibt ungekauft. Was es nur bei Amazon gibt, gibt es für mich nicht. Für Temu, Shein und wie sie alle heißen empfinde ich fades Desinteresse, von ihnen eingeblendete Werbeanzeigen beim Aufruf der Wetter-App laufen bei mir ins Leere. Überhaupt halte ich mich bezüglich Werbung für ziemlich immun, manche Reklamen sind eher ein Grund, die angepriesenen Produkte zu meiden, man denke an Seitenbacher mit dem hysterischen Schwaben oder Kijimea oder dem ungezogenen Kind.

Ganz anders eine nahestehende Person, die gerne und viel kauft, was im Angebot ist: Schuhe, Hemden, Geschirr mit saisonwechselnden Motiven, Gläser, Kaffee, Tee, Küchengeräte, auch Spuren einer glücklicherweise vergangenen Bleikristalphase sind noch in den Schränken zu finden. Und wenn ein Gebrauchsgegenstand wie eine Gartenschere oder ein Saugpömpel, von dem ein Exemplar je Haushalt üblicherweise völlig ausreicht, besonders günstig ist, werden davon gleich drei gekauft, man weiß ja nie. Unseren Keller und die Garage möchten Sie nicht sehen. Ich prangere das nicht an, so bleibt die Wirtschaft in Schwung, siehe oben.

Manchmal wird ausgemistet, immerhin. Kleidung wird dann, manchmal noch mit Original-Etiketten, als Spende zu Oxfam gebracht, andere Gegenstände landen in einem der noch zu wenigen Tauschhäuschen in der Stadt, auf dem Stromkasten um die Ecke oder, wenn die Nachbarin im Erdgeschoss Urlaub hat, auf deren Treppenabsatz vor dem Haus, mit dem üblichen Zettel „Zu verschenken“. Immer wieder erstaunlich, wie schnell die Sachen Abnehmer finden, selbst ausgemusterte elektrische Zahnbürsten, Backmischungen, Kaffeepads, Teebeutel und Tassen mit zweifelhaften Motiven.

Symbolbild

Doch ab und zu überkommt es auch mich. Nicht oft, dafür teuer. Eine Lokomotive für die Modellbahn, die in der Sammlung bislang fehlte. Oder wenn mir eine Armbanduhr besonders gefällt, weil sie schlicht vom Design und nicht klobig ist, außer der Zeit- und maximal Datumsanzeige nicht mit weiteren Funktionen überladen ist. Dann kann schon mal ein hoher dreistelliger bis unterer vierstelliger Betrag die Bankkarte belasten. In eine solche Uhr verliebte ich mich vor einiger Zeit spontan, nachdem ich sie im Katalog des Händlers, bei dem es sie noch gibt, die guten Sachen, gesehen hatte und sie umgehend in der örtlichen Filiale erwarb. Dabei habe ich genug Uhren, wobei man fragen kann, wie viele Uhren genug sind: eine? Zwei? Zehn? Braucht man im Zeitalter des allgegenwärtigen Datengeräts überhaupt noch eine Armbanduhr? Ich schon, ohne fühle ich mich unvollständig bekleidet.

Oder der Baumwollanzug, schmal geschnitten, den ich vor einigen Jahren im Schaufenster eines höherpreisigen Bekleidungsgeschäfts in der Innenstadt sah. Der Preis schreckte mich zunächst ab, doch nachdem ich das Schaufenster noch einige Male passiert hatte und mir die Schaufensterpuppe irgendwann zuzuzwinkern schien, betrat ich das Geschäft, wenigsten anprobieren konnte ich ihn ja mal, zudem bestand Hoffnung, dass sie ihn nicht in meiner Größe hatten. Indes – er passte perfekt und trug sich äußerst bequem. Noch heute hängt er in meinem Kleiderschrank, er passt immer noch, obwohl auch bei mir der Zeiger der Waage mittlerweile deutlich weiter nach rechts ausschlägt als beim Kauf. Leider trage ich ihn nur noch selten, weil sich die Büromode seit der Coronazeit geändert hat in Richtung Jeans und Pulli, einerseits gut, andererseits ein wenig schade. Manchmal ziehe ich ihn noch an, dann falle ich auf, das ist es mir wert.

Das bislang letzte Objekt meiner Spontanverliebtheit war ein Paar Maßschuhe, die ich im Schaufenster eines Schuhmachers in der Nebenstraße sah, schlichte schwarze Lederschuhe. Die musste ich haben, genau die, auch wenn dafür mehrere Vermessungs- und Anprobetermine wahrzunehmen waren und mehrere Monate vergingen, ehe ich die fertigen Schuhe abholen konnte und dafür einen Preis zahlte, zu dem ich im gewöhnliches Schuhhandel zehn Paare bekommen hätte. Immerhin besteht die Hoffnung, dass sie bis zu meinem Lebensende halten. Über die Möglichkeit, dass künftige Reparaturen so teuer werden wie ein neues Paar im Kaufhof, sehe ich großzügig hinweg. Jedenfalls harmonieren sie perfekt mit dem Anzug.

Bei solchen Anlässen verwende ich keine Zeit darauf, andere Angebote zu recherchieren, ob es vielleicht dasselbe oder ein vergleichbares Produkt woanders günstiger gibt. Genau so, wie ich es sehe, will ich es haben, nichts anderes und am liebsten sofort, der Preis ist nicht so wichtig. Ich glaube, ich bin ein ganz guter Konsument.

Es gäbe noch vieles mehr zu schreiben über dieses Thema, doch will ich Sie nicht länger aufhalten. Sie müssen ja bestimmt noch einige Weihnachtsgeschenke besorgen.

Woche 50/2024: Verwendungsfreie Wörter und angemessene Getränkebegleitung

Montag: Aus einer Intranet-Mitteilung: „Was sieht man lieber als lächelnde Kinderaugen? Nichts.“ Ungeachtet der Frage, wie man Augen zum Lächeln bringt – als eher antinatalistisch eingestellter Mensch entzücken mich derlei Anblicke nicht übermäßig, dennoch würde ich sie einer oben nahegelegten Erblindung ganz klar vorziehen.

Was nur wenig entzückt ist Liederlichkeit in der Berichterstattung. Liebe dpa, Kohlenmonoxid ist ein unsichtbares und geruchloses Gas, mit Rauch kaum zu verwechseln, das sollten Sie wissen.

(Aus General-Anzeiger Bonn)

Ebenfalls nicht zu verwechseln aufgrund unterschiedlicher Bartpracht sind die zwei syrischen Brüder, die nebenan den Friseurladen unseres Vertrauens betreiben und schon lange in Deutschland leben. Dort war ich am Abend zur Nachschur. Da ich annehme, dass sie es heute schon ganz oft beantworten mussten und in den kommenden Tagen weiterhin müssen, verzichtete ich darauf, sie nach ihrer Einschätzung der aktuellen Entwicklungen in ihrem Heimatland zu fragen. Aus ähnlichen Gründen vermeide ich es grundsätzlich, jemanden mit einem augenscheinlich verarzteten Körperteil nach der Ursache zu fragen.

Vielleicht wurde er/sie/es in der Fußgängerzone von einem radelnden Speisesklaven umgemäht. Über nämlichen Berufsstand ergeht sich Herr Gunkl in interessanten Betrachtungen:

„Im Fernsehen gibt es gleichermaßen echt viele Kochsendungen und echt viel Werbung für Essensbringdienste. Das ist nur dann ein Widerspruch, wenn man nicht weiß, daß die Menschen, die Pornos anschauen, sich sehr selten an interpersoneller Lustventilation beteiligen. Es geht nicht darum, das nachzumachen, sondern man sieht’s halt gern, und die in der Darstellung gezeigte Problemlösung wird in der billigstmöglichen Art erledigt.“

Dienstag: Um fünf Uhr früh erwachte ich aus einem unspektakulären Traum, dessen Inhalt sogleich verflog, und schlief bis zum Wecker eineinhalb Stunden später nicht mehr ein, obwohl mich weder trübe Gedanken noch Schmerzen noch störende Schlafgeräusche von nebenan daran gehindert hätten. Stattdessen fiel mir ohne erkennbaren Grund ein weiteres komisches Wort ohne akuten Verwendungszweck ein, das ich mir immerhin merkte, um es nach dem Aufstehen für einen eventuellen späteren Gebrauch zu notieren: Pudelzucker. Weitere früher notierte, bislang verwendungsfreie Wörter sind: Antischocken, Apothekalypse, Bedonis, Blamierraupe, Eisprung-Weltrekord, Hedonistan, Inflatulenzer, Kackordnung, Katholiker, Konsensmilch, Nudistan, Pfarrerflucht, Pilsener Urknall, Reiseamboss, Rekanalisation, Reinhardsgebot, Reinheitsgebet, Schnapsatmung, Stinktanga, Tindermädchen, Wixiklo. Immerhin werden Stinktanga und sechs weitere von der Rechtschreibprüfung nicht beanstandet, Sie dürfen gerne raten, welche. Ansonsten dürfen Sie sich gerne bedienen, wenn Sie eins oder mehrere gebrauchen können.

Ohne erkennbaren Sinn auch, was morgens im Radio gemeldet wurde: Die Jura-Studenten der Uni Bielefeld müssen ihre Examensklausuren im siebzig Kilometer entfernten Hamm schreiben, weil an der heimischen Hochschule die Toiletten defekt sind. Einige reisen sogar am Vortag an, um pünktlich zu erscheinen. Manches muss man nicht verstehen. Warum stellt man in Bielefeld keine Toilettenwagen oder WDixiklos auf, sind die den Herrschaften in der kalten Jahreszeit nicht zumutbar? Warum ausgerechnet Hamm?

Warum nicht zum Beispiel Duisburg? Von dort erreichte mich heute der nächste Brief des Blogkollegen. Dieses Mal nicht handschriftlich, sondern mit einer echten Schreibmaschine geschrieben, einschließlich weniger über-x-ter Tippfehler, die dem Brief schon optisch eine individuelle Anmutung verleihen. So einen habe ich schon lange nicht mehr gesehen, geschweige denn im Briefkasten gehabt. Lieber M., herzlichen Dank dafür! Antwort folgt. Demnächst.

Mittwoch: Kollegen, die schon morgens um acht bei Ankunft im Büro „Mahlzeit“ sagen, verfügen auch über einen sehr speziellen Humor.

Kantinengespräch während der Mahlzeit, nachdem die Kollegin begeistert von unserer Lesung vergangene Woche erzählt hatte: „Was, du bloggst? Ein Buch hast du auch geschrieben? Warum weiß ich davon nichts?“ – Vielleicht zur Wahrung des Bürofriedens.

Die Tage hat ein Frachtschiff auf der Mosel ein Schleusentor schwer beschädigt, voraussichtlich werden sich die Reparaturarbeiten bis März hinziehen. Bis dahin wird die Schleuse nicht passierbar sein, zurzeit hängen siebzig Schiffe fest. Der erwartete Schaden für die Wirtschaft ist immens:

General-Anzeiger Bonn

Wort des Tages, aus einem Versprecher des Geliebten und sogleich notiert: Eierzangenbowle.

Frohes Fest (gesehen auf dem Bonner Weihnachtsmarkt, ansonsten versichere ich, damit nichts zu tun zu haben)

Donnerstag: Ich war nicht selbst dabei, jedenfalls wurde mir durch eine verlässliche Quelle folgender Satz aus einer Besprechung zugetragen: „Das ist doch eine Milchpersonrechnung.“ Übrigens heißt es in bestimmten Kreisen wohl nicht mehr „Mutter“, sondern „milchgebende Person“. Immerhin wurde „Milch“ noch nicht durch „Nachwuchsnährsekret“ ersetzt.

Freitag: Der Tag begann mit einem regelmäßigen Zahnarztbesuch, ansonsten lag eine gewisse Müdigkeit darüber. Ein Zusammenhang mit einem kollegialen Weihnachtsmarkbesuch am Vorabend ist nicht völlig auszuschließen.

Beim Mittagessen wurde ich Opfer eines langen Monologs zu Brandbekämpfung. Der Kollege ist Mitglied der freiwilligen Feuerwehr, was ohne Frage zu loben ist. Doch schafft er es immer wieder, von jedem beliebigen Thema zu seinem Lieblingsthema zu wechseln, schlimmstenfalls zeigt er dazu auf seinem Telefon Bilder von Feuerwehrfahrzeugen. Ich mag nicht auf anderer Leute Telefone schauen, es ist eine Unflätigkeit, sie mir ungefragt vor die Nase zu halten. Bei solchen Anlässen gelingt es mir ganz gut, Zuhören zu simulieren, ab und zu fließt automatisch ein „Aha“ oder „Mmh“ ein, manchmal sogar „Sieh mal an“ und ähnliche scheinbare Interessensbekundungen, während ich gedanklich woanders bin und hoffe, der Redefluss des Gegenübers möge bald versiegen. Immer wieder erstaunlich, dass die Leute das nicht merken. Eigentlich ist das sehr unhöflich von ihnen.

Gehört in einer Besprechung: „Das halte ich für kreuzgefährlich.“ Verstehe ich nicht, allerdings wollte ich den Verlauf durch Nachfragen nicht unnötig in die Länge ziehen.

In einer anderen Besprechung zuckte der Sprachnerv etwas, als nämliches gefragt wurde: „Braucht ihr das detailliert oder etwas high leveler?“

Samstag: Ein angenehmer Tag mit den üblichen Samstäglichkeiten ohne besonderen Notierenswert.

Laut kleiner kalender ist heute Affentag. Aus der Beschreibung: „Der Affentag soll durch individuelle Aktionen begangen werden, beispielsweise indem man sich mit einem Affenkostüm verkleidet oder wie ein Affe spricht und gestikuliert.“ Sprechen wie ein Affe? In dieser Hinsicht machen sich viele Mitmenschen täglich zum Affen.

Abends waren wir auf der Weihnachtsfeier der Karnevalsgesellschaft. Traditionell gab es das rheinische Gericht auf Kartoffelbasis, das je nach Laune, Postleitzahl oder was weiß ich mit unterschiedlichen Bezeichnungen auf den Teller kommt, unter anderem Külles, Kesselsknall, Döppekuchen. Schmeckt jedenfalls sehr gut. Dazu gab es eine angemessene Getränkebegleitung; gelacht und gesungen wurde auch.

Sonntag: Gelesen bei Herrn Buggisch und zustimmend genickt:

Taylor Swift, jenes musikalische Phänomen, das mir Rätsel aufgibt. Rätsel Nummer 1: Wie heißen ihre Songs? Ich kann spontan keinen einzigen Titel nennen. Rätsel Nummer 2: Wie klingen ihre Songs? Ich habe spontan keine einzige Melodie von ihr parat. Und ich bin eigentlich ziemlich gut in so was. Ich mag Musik, ich höre viel Musik, und meine Frau staunt immer ein bisschen, wenn ich bei einem Lied im Radio nach 3 Sekunden Künstler und Titel nennen kann. Aber zugegeben: Das ist Musik aus andern Zeiten. Es ist also gar nicht so, dass ich Taylor Swifts Musik nicht mag. Sie existiert für mich nicht.

Beim Spaziergang sah ich erstmals einen der neuen Straßenbahnwagen in freier Wildbahn. Im Übrigen zeigte sich der Tag, nach anfänglich blauen Stellen am Himmel, dezembrig-grau. Aber das mag ich ab und an durchaus ganz gerne.

Rheingrau
Wagen 2253 auf dem Weg nach Auerberg. Hübsch, finde ich.

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Kommen Sie gut durch die vorletzte Woche des Jahres.

Woche 49/2024: Für Fußgängerinnen sind keine Einschränkungen zu erwarten

Montag: Wegen der Dienstreise nach München war der Wecker auf halb fünf eingestellt, zwei Stunden früher als gewöhnlich an Arbeitstagen. Um kurz nach drei wachte ich auf, umgehend stellten sich die vor Reisen üblichen Gedanken darüber ein, was alles schief gehen kann, von Verschlafen über Stellwerksstörung bis Zugausfall, die mich am Weiterschlafen hinderten. Dennoch schlief ich nach mehreren Sorgenrunden nochmal ein, kurz vor dem Wecker wachte ich wieder auf und kam erstaunlich leicht aus dem Bett.

Ich möchte mich nicht allzu sehr in Eigenlob ergehen, jedenfalls war der Beschluss, eine Regionalbahn früher als die in der Bahn-App angezeigte nach Köln zu nehmen, obwohl alles pünktlich sein sollte, genau richtig, auch auf die Gefahr hin, dadurch eine Dreiviertelstunde in der Kälte des Deutzer Bahnhofs auf den ICE nach München warten zu müssen. Nach pünktlicher Abfahrt in Bonn stand der Zug später wegen einer Weichenstörung längere Zeit vor Köln-Süd, aus der Dreiviertelstunde in Deutz wurden schließlich wenige Minuten. Das Unbehagen wäre vermeidbar gewesen, da der ICE entgegen dem Fahrplan auch in Siegburg/Bonn hielt, das bequem und zuverlässig mit der Stadtbahn zu erreichen ist. Warum wurde das geheim gehalten?

Immerhin erreichte ich in Deutz den ICE, während die planmäßige Regionalbahn aus Bonn vermutlich noch vor Köln-Süd im Stau stand. Entgegen der Anzeige in der App war er nicht besonders voll, jedenfalls nicht Wagen 31. Schönheitsfehler: Mein reservierter Platz war einer von den allgemein beliebten, von mir indes gemiedenen Sitzen in einer Vierergruppe mit Tisch, obwohl ich das anders gebucht hatte. In Frankfurt, wo ein größerer Fahrgastwechsel erfolgte, fand ich einen zufriedenstellenden Reihensitz mit Fußfreiheit. Mit etwa einer Viertelstunde Verspätung kamen wir in München an, somit am unteren Rand des Rahmens meiner Planung.

Das Hotel, im wenig pittoresken Stadtteil Obergiesing gelegen, ist einfach und zweckerfüllend. Immerhin verfügt das Zimmer über zwei Jackenhaken, dafür keinen Kleiderschrank oder wenigstens Ablageflächen für Kleidung. Aber ich war hier ja nicht im Urlaub, für zwei Nächte reichte es.

Einfach und zweckerfüllend

Die Kollegen besuchten abends den Tollwood-Weihnachtsmarkt auf der Theresienwiese. Ich verzichtete zugunsten eines ruhigen Alleinabends mit Aussicht auf frühe Nachtruhe. Ob die den Namen verdiente, würde sich zeigen; die Tegernseer Landstraße ist nicht, wie der Name vermuten lässt, eine ruhige Allee zum gleichnamigen Gewässer, sondern eine brausende, sechsspurige Hauptverkehrsstraße.

Dienstag: Die Kollegen erschienen mit Restmüdigkeit zum Frühstück, nachdem sie um zwei Uhr nachts zurück ins Hotel zurückgekehrt waren. Ich erfreute mich hingegen einer der Tageszeit angemessen Munterkeit, sogar meine Abneigung gegenüber Hotelfrühstücksräume überwand ich. (Pluspunkt: ausreichend große Saftgläser.) Auch die Nachtruhe war gegeben, dank ausreichendem Schallschutz gegen den brausenden Verkehr.

Etwas rätselhaft zwei Bedienelemente über dem Kopfende des Bettes mit flackernden Buttons, über die wohl das Raumlicht zu steuern ist. So sehr ich auch drauftippte und -drückte, nichts ging an oder aus. Ein wenig fühlte ich mich wie Polizeichef Heribert Pilch im Dauerkampf mit dem Kaffeeautomaten in der Krimikomikserie „Kottan ermittelt“.

Satz des Tages in einer Besprechung: „Das Team zeichnet sich durch maximale Humorlosigkeit aus.“

Abends besuchten wir in größerer Gruppe den Augustiner-Bierkeller. Dort war es sehr laut, was die verbale Kommunikation nicht nur für mich erschwerte. Den Biergenuss, unter anderem eine nur mäßig gefüllte Maß, beeinträchtigte das indes nicht. Außerdem wurde Wiener Schnitzel als typisch bayrisches Gericht ausgewiesen. Auf meine Essensauswahl – Ente mit Rotkohl und Knödeln – hatte das keinen Einfluss. Laut Karte sogar eine Bauernente, was auch immer das bedeuten mag.

Mäßig

Mittwoch: Die Rückfahrt mit der Bahn verlief zufriedenstellend. Pünktlich verließ der ICE München, wegen Stockungen vor Frankfurt wurde der Zielbahnhof Siegburg/Bonn mit fünf Minuten Verspätung erreicht. Da kann man nun wirklich nicht meckern.

Ich reiste im Ruhebereich. Vor mir zwei junge Damen, die sich angeregt, jedoch wenigstens mich nicht sehr störend unterhielten. Eine weitere junge Frau daneben sah bzw. hörte das wohl anders: Empört wies sie die beiden zurecht, ehe sie sich wieder dem Film auf ihrem Datengerät widmete, dem sie über Ohrstöpsel lauschte. Man kann sich auch ein bisschen anstellen.

Ab Frankfurt saß eine Dame neben mir, die es mit dem Ruhebereich ebenfalls nicht so eng sah. Deutlich für mich und alle Umsitzenden telefonierte sie mit einem Lokal, wo sie gestern anlässlich einer Weihnachtsfeier einen Ohrring verloren hatte. Muss ein rauschendes Fest gewesen sein.

„Nenne fünf Dinge, in denen du gut bist“ lautet der heutige Themenvorschlag des Blogvermieters. Ich wäre schon froh, wenn ich eins nennen könnte.

Donnerstag: Kleine Woche – Inseltag. Statt der üblichen Wanderung gönnte ich mir einen ruhigen Tag mit Ausschlafen. Zu Frühstück und Zeitungslektüre suchte ich das Kaufhof-Restaurant auf, wie weitere ältere Herren ohne Begleitung an den anderen Tischen. Auch wenn es voraussichtlich noch ein paar Jahre dauert, nähren solche Tage die Vorfreude auf den Ruhestand deutlich. Nach Rückkehr begann es kräftig und für längere Zeit zu regnen, was den Nichtwanderbeschluss bekräftigte.

Nachmittags legte ich die Reihenfolge der Texte für die Lesung am Abend fest und beantwortete den Brief eines Blogkollegen.

Die Lesung hätte ein paar weitere Besucher vertragen können, war ansonsten für die Lesenden wie (hoffentlich auch) die Hörenden vergnüglich, die Zeit verging schnell. Vielen Dank an die Stage Gallery für die Bereitstellung des Raumes und ganz besonders an dich, lieber Lothar, dass ich wieder an deiner Seite vortragen durfte!

Freitag: Der letzte Arbeitstag der Woche war sogleich der erste im Büro. Regen und Sturmerwartung legten die Anfahrt mit der Bahn nahe. Auf der Etage war ich fast allein, die anderen zogen Heimbüro vor. Mir war es recht, so konnte ich nachmittags, als alle Besprechungen überstanden waren, in Ruhe Angefallenes wegarbeiten. Nachmittags war der Regen vorerst durch, was den Rückweg zu Fuß ermöglichte.

Für den Abend hatte der Liebste kurzfristig beim Franzosen unseres vollen Vertrauens reserviert. Seit Weggang des ambitionierten, schon von Sternen träumenden Jungkochs steht der Chef selbst in der Küche, das Niveau ist wieder traditioneller ausgerichtet und die Preise wurden gesenkt, was dem Restaurant nicht geschadet hat. Es war gut besucht, wir waren höchst zufrieden.

Samstag: Beim Aufwachen spürte ich eine gewisse postethanolische Unpässlichkeit, dabei war die Weinbegleitung am Vorabend nicht übermäßig gewesen. Manchmal ist das so, dann vertrage ich nicht viel. Vielleicht das Wetter?

Das, so morgens die Frau im Radio, starte heute mit dichter Bewölkung, erst zum Nachmittag hin werde es voraussichtlich „schöner“, so die Frau. Wieder frage ich mich: Was ist an Bewölkung, sofern sie uns nicht Starkregen, Hagel oder Orkan um die Ohren haut, schlecht?

Aus einem Zeitungsartikel über die anstehende Untersuchung einer der drei Bonner Rheinbrücken: „Radfahren­de und Fußgänger müssen daher in dieser Zeit die Brücke auf der jeweils anderen Seite überqueren.“ Für Fußgängerinnen sind demnach keine Einschränkungen zu erwarten.

Aus einem anderen Artikel über Modelleisenbahnen als mögliches Weihnachtsgeschenk:

Finde den Fehler (General-Anzeiger Bonn)

Sonntag: Im Radio sind nun wieder auf allen Sendern die Weihnachts-Popsongs mit künstlichen Glocken und Pferdeschlittenschellen zu hören, manche eine echte Ohrenplage. Vielleicht äußerte ich es schon in den Vorjahren, in diesem Fall verzeihen Sie mir bitte die Wiederholung: In meinen Ohren das diesbezüglich schlimmste Lied ist nicht das vielgeschmähte „Last Christmas“, sondern „Wonderful Christmas Time“ von Paul McCartney. Ding-dong, ding-dong … Grauenvoll.

Nachmittags verband ich den üblichen Spaziergang mit der Freilassung mehrerer Bücher in öffentliche Bücherschränke. In der Südstadt treiben die Magnolien schon Knospen aus. Sie werden wissen, was sie tun. Die Innenstadt war an diesem verkaufsoffenen Sonntag gefüllt mit kaufoffenen Menschen, die sich auf der Jagd nach Besinnlichkeit durch die Gassen des Weihnachtsmarktes schoben.

Nebenan auf der Hofgartenwiese feierten unterdessen die Syrer mit Flaggen und Freudenrufen die Vertreibung des Tyrannen aus ihrem Land, auch hupende Autokorsos waren später, als ich wieder zu Hause war, zu vernehmen. Ich freue mich mit ihnen. Hoffentlich entwickelt sich dort alles zum Guten, ein wenig skeptisch bin ich noch.

Schöne Adventszeit
Poppelsdorfer Allee
Am botanischen Garten

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Kommen Sie gut und möglichst adventsstressfrei durch die Woche. Ding-dong.